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DIE<br />
TRACHTEN<br />
TIROLS
Alle Rechte vorbehalten<br />
© <strong>2018</strong> Berenkamp<br />
www.berenkamp.at<br />
ISBN 978-3-85093-369-8<br />
Druck und Binderei: Longo AG, Bozen<br />
Gefördert von<br />
Herausgeber: <strong>Tiroler</strong> Landestrachtenverband<br />
www.landestrachtenverband.at<br />
Wissenschaftliche Texterstellung: Dr. Andrea Aschauer<br />
Fotos: Brigitte & Gerhard Watzek und andere (siehe Bildnachweis)<br />
Zur besseren Lesbarkeit werden in diesem Buch personenbezogene Bezeichnungen, die sich zugleich auf Frauen und Männer<br />
beziehen, generell nur in der männlichen Form angeführt, also z. B. „Leser" statt „LesererInnen" oder „Leserinnen und Leser“.<br />
Dies ist in der deutschen Sprache üblich und bringt keinesfalls eine Geschlechterdiskriminierung oder eine Verletzung<br />
des Gleichheitsgrundsatzes zum Ausdruck.<br />
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek<br />
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in<br />
der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische<br />
Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
DIE<br />
TRACHTEN<br />
TIROLS
INHALTSVERZEICHNIS<br />
7 Vorwort: Landeshauptmann Günther Platter<br />
8 Vorwort: Kulturlandesrätin Dr. Beate Palfrader<br />
9 Vorwort: Landestrachtenverbandsobmann Oswald Gredler<br />
10 Einführende Gedanken: Dr. Andrea Aschauer<br />
12 Kleidung – Mode – Tracht<br />
13 Die Tracht in Tirol<br />
18 Allgemeines zur <strong>Tiroler</strong> Frauentracht<br />
29 Allgemeines zur <strong>Tiroler</strong> Männertracht<br />
35 Gedanken zur Tracht: Bischof MMag. Hermann Glettler<br />
AUSSERFERN<br />
37 Lechtal<br />
53 Tannheimer Tal<br />
59 Geschichte eines Tannheimer Schalks<br />
61 Reutte und Umgebung<br />
67 Eine neue Tracht für Zwischentoren<br />
68 Trachtenvereine und die Tracht<br />
78 Die Bedeutung der Tracht in der Arbeitsgeme<strong>ins</strong>chaft Volkstanz Tirol:<br />
Ing. Kaspar Schreder<br />
79 Tracht im Museum: Anna Engl M. A.<br />
OBERINNTAL<br />
85 Oberes Oberinntal mit Paznaun- und Stanzertal<br />
91 Pitztal<br />
95 Ötztal<br />
104 Musikkapellen und die Tracht<br />
109 Tracht in der <strong>Tiroler</strong> Blasmusik: Mag. Elmar Juen<br />
110 Schützenkompanien und die Tracht<br />
115 Schützen und Tracht: Mjr. Mag. Fritz Tiefenthaler<br />
116 Mythos Tracht: Dr. Gunter Bakay<br />
INNSBRUCK & INNSBRUCK LAND<br />
121 Seefelder Plateau<br />
127 Luitascher Tracht<br />
131 Innsbruck und Umgebung<br />
137 Stubaital<br />
143 Wipptal<br />
149 Rum<br />
155 Mils bei Hall in Tirol<br />
163 Oberes Unterinntal<br />
169 Bürgerkleid und Bürgertracht<br />
177 Tracht als gelebte Tradition: Mag. a Christine Oppitz-Plörer<br />
178 Die Speckbacher Tracht<br />
181 Tracht als Identität: Franz Hitzl<br />
4
182 Landsturmgruppen und die Tracht<br />
188 Trachtenerneuerung: Dr. Reinhard Bodner<br />
UNTERINNTAL<br />
195 Achental<br />
201 Zillertal<br />
207 Brandenberg<br />
213 Alpbachtal<br />
223 Radfeld<br />
229 Wildschönau<br />
233 Unteres Unterinntal<br />
241 Das Kasettl<br />
251 Gedanken einer Unterinntalerin zur Tracht: Katharina Wurzer<br />
252 Dirndl und Trachtenanzug<br />
257 Auf Tuchfühlung mit der <strong>Tiroler</strong> Tradition: Josef Margreiter<br />
258 Aus Kleidung wird Kostüm: Dr. Sandra Hupfauf<br />
OSTTIROL<br />
261 Matrei in Osttirol<br />
267 Kals<br />
273 Defereggental<br />
283 Iseltal<br />
287 Lienz<br />
297 Lesachtal<br />
301 Pustertal<br />
311 Osttirol allgemeine Frauen- und Männertracht<br />
314 Das Bäurische Gewand<br />
325 Gedanken zur Tracht: ÖR Josef Geisler<br />
326 Werktagstrachten<br />
333 Überbekleidung zur Tracht<br />
346 Die Trachtenschneiderei: Maßband, Nadel und Faden<br />
348 Die Stoffe zur Tracht: Loden und Leinen, Seide und Samt<br />
354 Die Kopfbedeckung zur Tracht: Fazzelhaube, Stotzen und Scheibenhut<br />
361 Die Haartracht: Knoten, Zopf und Gretelfrisur<br />
362 Das Kunsthandwerk zur Tracht: Sticken, Klöppeln und Häkeln<br />
370 Schmuck und Beiwerk zur Tracht: Brosche, Flor und Pompadour<br />
376 Die Lederhose zur Tracht: Bockleder und Teufelshaut<br />
379 Der Ranzen zur Tracht: Messing, Zinn und Federkiel<br />
382 Der Strumpf zur Tracht: Model, Riedel und Lofel<br />
384 Der Schuh zur Tracht: Leisten, Leder und Ahle<br />
387 Trachtenpflege<br />
388 Glossar<br />
391 Bildnachweis<br />
392 Bibliographie<br />
397 Dank<br />
5
INNSBRUCK<br />
UND UMGEBUNG<br />
Die erneuerte Tracht gehört in die heutige Zeit<br />
und ist nur dann Tracht, wenn sie oft und gern getragen wird.<br />
Griseldis Krassnig<br />
„Bauer und Bäurin bey Innsbruck“, kolorierte Radierung,<br />
1835, Johann Georg Schaedler (1777–1866)<br />
Die Innsbrucker trugen früher wie alle Städter ein Bürgerkleid<br />
beziehungsweise eine Bürgertracht. Die Kleidung<br />
unterschied sich von jener auf dem Land meist<br />
durch die Verwendung feinerer Stoffe und teureren Zubehörs.<br />
Zudem gingen Bürger und Bürgerinnen durch<br />
verstärkte Kontakte mit Reisenden und Händlern eher<br />
„mit der Mode“ als die bäuerliche Bevölkerung. Ein<br />
Vergleich der Aufzeichnungen von Kleidungsstücken in<br />
bäuerlichen und bürgerlichen Verlassenschaften macht<br />
dies deutlich. Auf einigen Darstellungen von Innsbrucker<br />
Bürgerinnen aus dem 19. Jahrhundert ähnelt ihre<br />
Kleidung dem heutigen Kasettl. Die in dunklen Tönen<br />
gehaltenen Kleider sind tief ausgeschnitten, das Dekolleté<br />
ist mit einem reich gefalteten hellen Tuch bedeckt,<br />
Passe oder Rüschen zieren den Ausschnitt an den Kanten.<br />
Die helle Schürze fehlt auch bei der Bürgertracht<br />
nicht. Es finden sich obendrein Innsbrucker Bürgerinnen,<br />
die sich in einer Schalktracht oder in Blusenkleidern<br />
abbilden ließen. Die bäuerliche Bevölkerung rund<br />
um Innsbruck trug unter anderem die Wipptaler Tracht,<br />
wie dies 1835 der deutsche Maler Johann Georg Schaedler<br />
festgehalten hat.<br />
131
132
Innsbruck & Umgebung<br />
Heute tragen die Frauen in der Landeshauptstadt und<br />
deren näheren Umgebung, im unteren Oberinntal bis<br />
Imst sowie auf dem Mieminger Plateau die erneuerte<br />
Innsbrucker Tracht, mitunter auch „Untere Oberinntaler<br />
Tracht“ genannt. Die Bandführung mit dem breiten<br />
Trachtenband waagrecht unter dem spitzen Rückenausschnitt<br />
und drei doppelten, senkrecht angebrachten,<br />
abgenähten roten Samtbändern ist der Ötztaler Tracht<br />
entlehnt. Das Trachtenband ist bei der Innsbrucker<br />
Tracht wein- bzw. rostrot, ebenso das Schnürband. Mieder<br />
und Brustlatz bestehen aus schwarzem, in eher seltenen<br />
Fällen aus braunem, blauem oder grünem Wolloder<br />
Seidenstoff mit handgesticktem oder eingewebtem<br />
Blumenmuster. Für die Latzbestickung werden vorwiegend<br />
Tulpen-, Granatapfel-, Nelken- oder Sonnenblumenmotive<br />
gewählt. Die Schürze ist in Blau gehalten mit<br />
vielen Variationsmöglichkeiten, von hell bis dunkel, Seide<br />
bis Wolle, glatt bis in sich gemustert.<br />
Die Innsbrucker Tracht gibt es außerdem in geknöpfter<br />
Form mit rotem Trachten- oder Seidenbandbesatz oder<br />
roten Passepoilierungen an den Kanten. Die Passepoil-<br />
Tracht kann weiters in geschnürter Form mit gesticktem<br />
und mit Goldborte verziertem Latz angefertigt werden.<br />
Die vertikalen Samtbänder am Rückenteil finden sich<br />
größtenteils bei allen Varianten.<br />
133
134<br />
Der Wollrock ist mit einem roten Kittelblech nach innen besetzt, das schmal vorstößt.
135<br />
Innsbruck & Umgebung
ZILLERTAL<br />
Es geit kålte Wåssar,<br />
es geit kålte Brünn,<br />
es geit schiane Diandlan<br />
an Zillachtål inn.<br />
„Angsangl“ (Gstanzl) aus dem Zillertal<br />
Der Frauenhut zum Zillertaler Röckl ist etwas zierlicher als der Männerhut, aus feinem Material gearbeitet, mit schwarzer Kordel,<br />
Goldquasten und einer am Hinterkopf befestigten Masche aus schwarzem Seidenband.<br />
Das Zillertal hat für die <strong>Tiroler</strong> Tracht allgemein wohl besondere<br />
Bedeutung. Vor allem durch die Konzertreisen<br />
der Zillertaler Musik- und Sängergruppen im 19. Jahrhundert<br />
wurde die Zillertaler Tracht in ganz Europa<br />
bekannt. Sie entsprach den romantischen Vorstellungen<br />
der adeligen und bürgerlichen Gesellschaft, was den Erfolg<br />
der Sänger zudem steigerte.<br />
Die wohl am meisten getragene Tracht im Zillertal ist<br />
das Röckl, die Festtracht der Frauen. Sie ähnelt dem<br />
Kasettl vor allem durch den tiefen viereckigen Miederausschnitt<br />
mit schmaler Passe, verziert mit Posamenten<br />
oder Stickereiborten. Mieder und Ärmel des<br />
Röckls sind jedoch aus Samt gefertigt, im Unterschied<br />
zum seitlich geschlossenen Kasettl an der Vorderseite<br />
durch einfache Hafteln (Häkchen) verschlossen. Im Ausschnitt<br />
liegt das weiße oder farbig zur Schürze passende,<br />
gleichmäßig gefältelte Seidentuch. Die Seidenschürze<br />
zum Röckl kann man aus Pastellfarben in möglichst<br />
kleiner Musterung wählen.<br />
Viele Zillertalerinnen ziehen zu festlichen Anlässen<br />
die Sonntagstracht an. Mieder und Latz dieser Tracht<br />
bestehen aus rotem Wollbrokat oder Loden. Armund<br />
runder Rückenausschnitt sind mit einem breiten<br />
schwarzen, an den Achseln unterbrochenen Besatz aus<br />
201
202<br />
Zillertaler Sonntagstracht
Zillertal<br />
Die Latz- und Rückenstickerei kann aus unterschiedlichen überlieferten Mustervorlagen gewählt werden.<br />
Die Hand- oder Maschinenstickerei lässt bei jüngeren Arbeiten das heute breite Angebot an farbigen<br />
Garnen erkennen.<br />
Wollstoff oder feinem Loden besetzt. Latz, Vorderkanten<br />
und der restliche Armausschnitt werden schwarz<br />
passepoiliert. Die Miederrückseite ist durch schwarze<br />
oder rote Bogennähte in drei Abschnitte unterteilt und<br />
wie der leicht nach oben geschwungene Latz mit Blütenoder<br />
Lebensbaummotiven bestickt. Das Schnürband ist<br />
rot, die handgezogene Schürze aus Wollstoff blau. Der<br />
schwarze Seidenflor mit silbernem Ring schmückt den<br />
Hals. Einige Frauen tragen über die Schulter ein blaues<br />
Seidentuch mit kurzen Fransen. Der in Stehfalten gezogene<br />
Kittel aus Wollstoff wird mit rotem Kittelblech belegt,<br />
das schmal vorstößt.<br />
203
Zillertaler Hut mit dem charakteristisch geschwungenen Gupf, der leicht nach unten gebogenen breiten Krempe und den zwei nach<br />
vorn hängenden Goldquasten.<br />
Die abgebildeten Schuhe stammen von einem Mitglied der „Rainer-Sänger“, die sich in den 1950er-Jahren in der Nachfolge der Original<br />
Rainer-Sänger aus dem Zillertal gegründet haben und sich in besonderer Weise dem Liedgut und der Kleidung der ursprünglichen Sängergruppe<br />
verpflichtet fühlten. Die Kleidung für ihre Auftritte ließen sie nach historischen Aufnahmen der Original Sänger anfertigen.<br />
Die Österreichische Post präsentierte in der Briefmarkenserie<br />
„Klassische Trachten“ 2015 die alte Tuxer Alltagstracht.<br />
Die Frauentracht besteht aus dem geschnürten<br />
dunklen Mieder mit langärmeliger Leinenbluse, dem<br />
hoch an der Taille angesetzten Rock mit Kittelblech nach<br />
außen und der blauen Schürze aus Wollstoff. Die Alltagstracht<br />
der Männer setzt sich aus der hellgrauen Tuxer<br />
Lodenjoppe, dem weißen Stehkragenhemd mit Seidenflor,<br />
dem wollenen Brustfleck mit Leibgurt und der<br />
Kniebundhose aus grobem Leinen zusammen. Überraschend<br />
ist, dass die Briefmarke mit der alten Tuxer<br />
Tracht nicht nur Philatelisten interessierte – seit ihrem<br />
Erscheinen erlebt die Tuxer Alltagstracht offensichtlich<br />
eine Renaissance und wird in Tux wieder gern getragen.<br />
204
Zillertal<br />
Die Festtracht der Zillertaler Männer ist vor allem<br />
durch den „Tuxer“ (Joppe, Janker) typisiert. Es gibt<br />
wohl nur wenige Zillertaler, die diese hellgraue Lodenjoppe<br />
aus der gewalkten Wolle des Tuxer Ste<strong>ins</strong>chafs<br />
mit schwarzen Wollborteneinfassungen und schwarzen<br />
breiten Ärmelstulpen aus Samt nicht in ihrem Kleiderschrank<br />
haben. Drei Ziernähte charakterisieren den Zillertaler<br />
Janker – zwei Ziersteppnähte schließen eng an<br />
die Wollborte und den Ärmelsamtbesatz, die dritte<br />
Ziernaht wird mit größerem Abstand genäht. In die<br />
Schulter- und teilweise in die Rückennaht ist ein Passepoil<br />
aus grünem Loden eingenäht. Zwei schwarze Knöpfe<br />
und mit grüner Seide umnähte Knopflöcher schließen<br />
den Ärmelschlitz. Gefüttert wird der Tuxer original mit<br />
Matratzengradl aus Baumwolldamast.<br />
Vor allem Schützen und Musikanten sowie Mitglieder<br />
von Traditionsvereinen tragen dazu die lederne Kniebundhose<br />
oder eine Kniehose aus Fustian (Teufelshaut<br />
genannt). Den roten Brustfleck mit eingearbeiteter Brusttasche<br />
besetzen vom Halsausschnitt zur Brust je eine glänzende<br />
grüne, silberne und goldene Borte. Seitliche Knöpfe<br />
schließen den Brustfleck, die roten Träger sind auf der<br />
Rückseite gekreuzt. Den schwarzen Flor legen die Männer<br />
um den Stehkragen des Trachtenhemds, binden ihn zu<br />
einem Krawattenknoten und stecken ihn e<strong>ins</strong>eitig in den<br />
linken Armausschnitt des Brustflecks. Der Federkielranzen,<br />
weiße Kniestrümpfe mit Modeln und schwarze Trachtenschuhe,<br />
die über die Knöchel reichen, vervollständigen<br />
diese Festtracht.<br />
Die Sonntagstracht der Zillertaler, „Kleine Tracht“ genannt,<br />
besteht aus der langen schwarzen Hose mit Bügelfalte,<br />
der schwarzen Weste mit schwarzen Knöpfen,<br />
dem weißen Kragenhemd mit schwarzer Krawatte und<br />
dem niederen dunkelgrauen schmalkrempigen Filzhut<br />
mit schwarzem oder grünem Hutband, weißer Feder mit<br />
Flaum und Blumen. Selbstverständlich fehlen auch bei<br />
dieser Tracht weder der gestickte Ranzen – ein <strong>Blick</strong>fang<br />
an der dunklen Kleidung – noch der Zillertaler Tuxer.<br />
205
BOCKLEDER<br />
UND TEUFELSHAUT<br />
DIE LEDERHOSE ZUR TRACHT<br />
Geschlechter kommen, Geschlechter vergeh’n –<br />
hirschlederne Reithosen bleiben besteh’n!<br />
Börries von Münchhausen (1874–1945), deutscher Schriftsteller und Lyriker<br />
Säckler werden die „Lederhosen-Schneider“ genannt,<br />
die jedoch nicht nur für das Schneidern der Ledernen<br />
zuständig sind, sondern ebenso für deren Bestickung,<br />
was in Tirol aber eine eher nebensächliche Rolle spielt.<br />
Hirsch, Gams und Reh liefern das beste Rohmaterial für<br />
eine Trachten-Lederhose. Früher trugen nur Jäger oder<br />
betuchte Bauern dieses feine Leder. Einfachere Leute waren<br />
auf Bock- oder Schafleder bzw. lederähnliche Stoffe,<br />
wie Fustian oder Teufelshaut (Velvet), angewiesen. Eine<br />
Lederhose besteht aus ca. 50 Teilen. Bei der Schnittauflegung<br />
hat der Säckler Naturfehler, unterschiedliche Färbungen<br />
und Stärken der Häute zu berücksichtigen und<br />
außerordentlich strapazierte Stellen mit Futterleder zu<br />
verstärken. Die gesamte Fertigungszeit einer Lederhose<br />
beträgt ohne Stickerei 25 bis 50 Stunden. Das hat natürlich<br />
seinen Preis, doch: Einmal erworben, hält eine Lederhose<br />
bei guter Pflege das ganze Leben.<br />
Früher war die Unterscheidung zwischen Säckler und<br />
Schneider wesentlich. Im Gegensatz zu den Säcklern<br />
brachten die Schneider ihre Nähte nach innen an<br />
(„Schneiderart“). Die Säckler wiederum durften die<br />
einzelnen Lederteile nur nach außen zusammennähen,<br />
sodass die hellen Lederkanten als Erkennungsmerkmal<br />
sichtbar blieben („Säcklerart“). Heute verweist diese<br />
376
Oben: Zur Tracht werden kurze Lederhosen oder Kniebundhosen getragen.<br />
Bilder links: Schneidernaht. Bilder rechts: Säcklernaht<br />
Säcklernaht auf eine händisch gut verarbeitete Lederhose.<br />
Auch an den Stickereien einer Lederhose kann man<br />
Handarbeit von Maschinenfertigung unterscheiden.<br />
Sticht eine Stickmaschine das Leder komplett durch, wird<br />
bei der Handarbeit nur angestochen und der Faden innerhalb<br />
des Leders geführt, wodurch sich die Stickerei<br />
reliefartig abhebt. Lederhosen gibt es aufgrund ihrer<br />
Strapazierfähigkeit vor allem im alpinen Bereich schon<br />
seit Jahrhunderten. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts<br />
setzte ein allgemeiner Wandel in der Art der Kleidung<br />
ein. So manche Lederhose wurde durch eine lange,<br />
dunkle Stoffhose, vorwiegend aus Loden, ersetzt. Ab<br />
1900 kam es schließlich zu einer Renaissance der Lederhose.<br />
Vorbild war nicht zuletzt Kaiser Franz Joseph I.,<br />
der sich bei seinen Aufenthalten in Bad Ischl oder bei<br />
Jagdausflügen gern in Lederhose zeigte.<br />
377
Die <strong>Tiroler</strong> Lederhose unterscheidet sich von jenen anderer<br />
Regionen vor allem durch die vorwiegend vertikal<br />
verlaufende „Arschnaht“ (am Gesäß vom Bund zum<br />
Schritt). In Bayern oder im Salzburger Raum weisen die<br />
Lederhosen eine sogenannte „Teller- oder Sattlernaht“<br />
auf, die in einem Bogen über das Gesäß verläuft. Kurze<br />
Lederhosen werden nur selten mit einer Tellernaht<br />
versehen. Stickereien fehlen an den <strong>Tiroler</strong> Lederhosen<br />
häufig oder sind nur am Hosenlatz oder seitlich an den<br />
Hosenbeinen zu finden. Die Hosenträger zur Lederhose<br />
können ebenfalls aus Leder sein, in Tirol bestehen sie jedoch<br />
vorwiegend aus Borten in Rot oder Grün.<br />
378
MESSING, ZINN UND<br />
FEDERKIEL<br />
DER RANZEN ZUR TRACHT<br />
Steckt nicht Gold, Silber und Kupfermünzen in euren Gürtel.<br />
Mt 10, 9<br />
Das Grundgerüst eines Ranzens zur Tracht fertigte früher<br />
ein Riemer, den es als eigenen Handwerksberuf nicht<br />
mehr gibt. Heute ist dafür der Sattler zuständig.<br />
Bis zum Ende des 17. Jahrhunderts finden sich vorwiegend<br />
Metallstiftranzen mit Ornamenten aus kleinen Messing-,<br />
Kupfer- oder Zinnnägeln. Um 1800 verschwand<br />
diese Technik der Ranzenverzierung fast vollständig<br />
und wurde durch die Bestickung der Riemen mit farbigen<br />
Lederbändern oder Federkielen abgelöst. Heute gibt<br />
es wieder einige wenige Kunsthandwerker, die sich der<br />
schon beinahe ausgestorbenen Herstellung von Metallstiftranzen<br />
zuwenden. Die kleinen Nägel werden mit einer<br />
Pinzette in die über eine Schablone vorgestochenen<br />
Muster <strong>ins</strong> Leder gesteckt, anschließend an der Rückseite<br />
umgedrückt und fixiert. Im 21. Jahrhundert sieht<br />
man am häufigsten Ranzen mit Federkielstickerei. Als<br />
Grundmaterial zum Besticken eignet sich besonders das<br />
geschmeidige Ziegenleder. Das Stickmaterial stammt aus<br />
den Oberschwanzfedern eines Pfaus, die sich aufgrund<br />
ihrer Länge und Robustheit anbieten. Die Vorbereitung<br />
der Federkiele stellt eine äußerst schwierige Arbeit dar,<br />
müssen die Kielstreifen nach dem Zuschneiden doch<br />
gleichmäßig breit und elastisch sein. Ein Kiel ergibt sechs<br />
bis acht „Stickfäden“. Vor der Arbeit wird das Muster mit<br />
weißer Tusche auf das Leder gezeichnet, danach mit einer<br />
flachen Ahle einzeln vorgestochen und schließlich<br />
mit den Kielen Stich für Stich bestickt.<br />
379<br />
379
Die größte Zier der Männertracht war und ist der verzierte<br />
Bauchgurt (Ranzen), dessen Ursprung allerdings<br />
weniger Schmuck- als vielmehr Schutzfunktion hatte.<br />
Auf Reisen galt es, Geld und Reisepapiere möglichst sicher,<br />
also am besten direkt am Körper zu transportieren.<br />
Zu jener Zeit wurden nur Riemengurte ohne Schild getragen,<br />
die man auch als „Geldkatze“ bezeichnete. Der<br />
Name leitet sich aus dem häufig dafür verwendeten Material<br />
ab: einem Katzenbalg. Verzierendes Beiwerk zur<br />
Tracht blieb der Ranzen gleichwohl ohne seine ehemalige<br />
Bestimmung des Schutzes wertvoller Habseligkeiten.<br />
Nach Zeit und Region unterschiedlich sind Form und<br />
Muster der Ranzen. Der in Nord- und Osttirol verbreitete<br />
Schild- oder Blattranzen besteht aus dem Schild<br />
(„Blattl“) und dem Gurt. Die Fatsche oder Binde, der<br />
gerade, über die gesamte Länge bestickte Ranzen, ist<br />
vorwiegend in Südtirol zu finden.<br />
Die Ornamente der Verzierungen spielen eine große Rolle.<br />
Beliebte Muster sind Wappen, Lebensbäume, christliche<br />
Symbole, Initialen oder Symboltiere wie Hirsch oder<br />
Adler. Berufssymbole (Amboss oder Zimmermannswerkzeug)<br />
sowie die Lyra bei Musikanten werden ebenfalls<br />
gern aufgestickt. Häufig steht die Jahrzahl der Herstellung<br />
auf dem Ranzen. Einige <strong>Tiroler</strong> Männer tragen<br />
beeindruckende alte Gurte, die bereits ihre Urgroßväter<br />
fertigen ließen.<br />
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