Berliner Kurier 16.10.2018
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* BERLINER KURIER, Dienstag, 16. Oktober 2018<br />
BERLIN 13<br />
Diese Bewohner sind der<br />
harte Kern der Mieter-<br />
Initiative, die sich für den<br />
Denkmalschutz einsetzt.<br />
Kiez-Aufstand<br />
Stoppt die Gesobau-Bagger!<br />
Fotos: Friedel<br />
Mieterinitiative im Kissingenviertel kämpft gegen die Modernisierung ihrer denkmalgeschützten Siedlung<br />
Von<br />
MIKE WILMS<br />
Pankow – Mieter aus dem<br />
Kissingenviertel wollen ihre<br />
denkmalgeschützte Siedlung<br />
retten. Sie wehren sich gegen<br />
die Gesobau und gegen eine<br />
Modernisierung, die in ihren<br />
Augen das Erbe des Erbauers<br />
Otto Rudolf Salvisberg († 58)<br />
gefährdet. Er plante im Berlin<br />
der 20er-Jahre etwa auch<br />
die Siedlungen Onkel Toms<br />
Hütte und Weiße Stadt, heute<br />
Unesco-Weltkulturerbe.<br />
Speisekammer, die noch aus<br />
der Zeit der Errichtung der Anlage<br />
(1926–1928) stammt.<br />
„Aber ich muss leider fürchten,<br />
dass die Vereinbarung gebrochen<br />
wird“, so Görke. Seine<br />
Angst sei darin begründet, dass<br />
der Vermieter seit der Modernisierungsankündigung<br />
2015 alles<br />
daran gesetzt habe, die Arbeiten<br />
auch durchzuziehen.<br />
In der Wohnung zwei Etagen<br />
tiefer sieht es bereits anders<br />
aus. Wand und Speisekammer<br />
sind rausgerissen. „Es hätte in<br />
der Macht der Unteren Denkmalschutzbehörde<br />
von Pankow<br />
gelegen, diese Zerstörung zu<br />
Die Mieter-Kritik im Pankower<br />
Kissingenviertel<br />
richtet sich gegen den Abriss<br />
von alten Speisekammern<br />
und Trennwänden,<br />
gegen den Umbau der Bäder,<br />
gegen den Austausch<br />
historischer Fenstergriffe<br />
und Briefklappen. „Ich hoffe,<br />
dass die Arbeiter nicht<br />
auch noch diese Mauer<br />
rausreißen“, sagt Mieter<br />
David Görke und zeigt auf<br />
die Wand zwischen seinem<br />
Bad und seiner Küche. In<br />
zähen Verhandlungen mit<br />
der landeseigen Gesobau<br />
hat Görke Zugeständnisse<br />
erkämpft. Dazu gehört<br />
auch der Erhalt seiner alten Die Mieter wollen die historischen Speisekammern retten.<br />
verhindern“, sagt Frank Labuszewski,<br />
Sprecher der Protestinitiative.<br />
Doch die Behörde habe<br />
die Pläne der Gesobau mitgetragen.<br />
Labuszewski sitzt im<br />
Wohnzimmer seiner Mutter<br />
Maria-Elisabeth, die seit 1959<br />
in der Siedlung mit 256 Wohnungen<br />
lebt. Sie haben 14 Mitstreiter<br />
zu sich eingeladen.<br />
„Seit Monaten verfassen wir<br />
ein Brief nach dem anderen, es<br />
gab mehrere Krisentreffen mit<br />
Vermieter, Denkmalschutz und<br />
Baufirma“, berichtet die Gruppe.<br />
Sogar einen führenden Gutachter<br />
in Deutschland hätten<br />
sie mit einer Expertise beauftragt.<br />
Er vermochte keinen triftigen<br />
Grund zu erkennen, den<br />
bestehenden Zustand der Wohnungen<br />
so stark zu verändern.<br />
Doch nicht alle Beteiligten<br />
stimmen dieser Sicht zu. Denkmalschutz<br />
ist zumeist auch eine<br />
Abwägungssache. Die Gesobau<br />
kann nach eigener Auskunft<br />
keine massive Gefährdung des<br />
Denkmalbestandes durch die<br />
Modernisierung erkennen. Die<br />
Untere Denkmalschutzbehörde<br />
argumentiert in einer E-Mail<br />
vom 12. Juli mit praktischen Erwägungen.<br />
So führe die von<br />
Masuch ausgearbeitete Bauvariante<br />
dazu, dass in einigen<br />
In dieser Wohnung sind Speisekammer und Wand schon weg.<br />
Wohnungen auf Steckdosen in<br />
den Bädern verzichtet werden<br />
müsse. „Wir können nachvollziehen,<br />
dass Bäder ohne Steckdosen<br />
für Bewohner nicht zumutbar<br />
sind und stellen deshalb<br />
unsere Bedenken gegen den<br />
Abbruch der Speisekammern<br />
zurück“, heißt es in der E-Mail.<br />
Im Kräftemessen zwischen<br />
Mietern und Vermieter zeichnet<br />
sich nun ein Kompromiss<br />
ab. „Die knapp 20 Mitglieder<br />
unserer Initiative haben die Zusage,<br />
dass auf ihre Wünsche<br />
und Beschwerden eingegangen<br />
wird“, sagt Frank Labuszewski.<br />
Doch in der Gesamtsicht sei<br />
dies nicht der erwünschte<br />
Sieg.<br />
Denn während der Streit<br />
immer neue Wendungen<br />
genommen habe, sei die<br />
Modernisierung weitergelaufen.<br />
Labuszewski<br />
schätzt, dass für 70 Prozent<br />
der Wohnungen jede Hilfe<br />
zu spät gekommen sei. Viele<br />
Mieter seien eingeknickt,<br />
hätten den Bauplänen<br />
zähneknirschend zugestimmt.<br />
Zudem komme<br />
ein zweiter Konflikt auf die<br />
Siedlung zu: Künftig soll<br />
nicht mehr mit Gas, sondern<br />
mit Fernwärme geheizt<br />
werden. Das sei aber<br />
viel teurer.