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Berliner Kurier 19.10.2018

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*<br />

REPORT<br />

Der Hausvogteiplatz<br />

heute: DasHaus zur<br />

Berolina mit Uhr ist<br />

detailgetreu restauriert,<br />

davorder historische<br />

Brunnen.<br />

Hausvogteiplatz<br />

Die Nahtstelle<br />

des <strong>Berliner</strong><br />

Schicks<br />

Hier erfand man die Mode<br />

für die normale Frau –Nazis<br />

vertrieben die Kreativen<br />

Von<br />

MARITTA TKALEC<br />

ImJahr 1839 kam der jüdische<br />

Kaufmann Valentin<br />

Manheimer auf die Idee,<br />

ein Damenmantel-Modell<br />

fünfmal anzufertigen. Eine geniale<br />

Idee, wie sich herausstellte,<br />

sie revolutionierte die Welt<br />

von Kleidung und Mode. Der<br />

aus einem Dorf im Jerichower<br />

Land zugezogene Sohn eines<br />

jüdischen Kantors und Händlers<br />

hatte als 21-Jähriger mal<br />

eben die Konfektion erfunden<br />

und für sich selbst den Weg zu<br />

Erfolg und Wohlstand gebahnt.<br />

Ort des Geschehens: der<br />

Hausvogteiplatz. Valentin<br />

Manheimer und seine beiden<br />

Brüder blieben nicht die einzigen,<br />

die dort ihr Textilgeschäft<br />

aufbauten. Die meisten Gründer<br />

waren Juden. Binnen weniger<br />

Jahrzehnte entstand im<br />

Stadtraum rund um den Haus-<br />

In der Zeitschrift<br />

„Elegante Welt“<br />

stellte man<br />

die neuesten<br />

Kreationen vor,<br />

wie dieses extravagante,<br />

bühnengeeignete<br />

Modell.<br />

vogteiplatz ein Ort explodierender<br />

Kreativität. Hier paarte<br />

sich Geschäftssinn mit der Offenheit<br />

für Modernes. Ja, hier<br />

blühte der frühe Kapitalismus.<br />

Alles zusammen stiftete im<br />

Textilviertel den Mythos Berlins<br />

als Modestadt. Heute versuchen<br />

die Stadt und neue<br />

Kreative wenigstens ein Echo<br />

dessen zu erzeugen, was bis<br />

1933 die Welt beeinflusste und<br />

beeindruckte. Die Nationalsozialisten<br />

schnitten die Blüte so<br />

radikal ab, dass selbst Magda<br />

Goebbels, die modebewusste<br />

Fotos: Berlin-Mitte-Archiv; Wikimedia Commons, Elegante Welt<br />

Gattin des Propagandaministers,<br />

klagte: „Mit den Juden ist<br />

die Eleganz aus Berlin verschwunden.“<br />

Über die verheerenden<br />

Folgen arisch-völkischen<br />

Neids auf den Erfolg einer<br />

Minderheit kann gar nicht<br />

oft genug gesprochen werden:<br />

Sie gipfelten im Raub des jüdischen<br />

Eigentums, „Arisierung“<br />

genannt. Die Kreativen wurden<br />

vertrieben, manchen gelang die<br />

Emigration, einige endeten in<br />

der Vernichtung.<br />

Der Hentrich&Hentrich-Verlag<br />

hat soeben ein Buch herausgebracht,<br />

das in zehn Aufsätzen<br />

die Geschichte des einzigartigen<br />

Ortes mitten in Berlin und<br />

seiner einst so belebenden<br />

Geister zusammenträgt – Ergebnisse<br />

des Forschungs- und<br />

Ausstellungsprojektes „Brennender<br />

Stoff“. So dient das<br />

Buch zugleich als Begleitband<br />

einer Ausstellung, die derzeit<br />

im Bundesjustizministerium zu<br />

sehen ist, auf dessen Gelände<br />

einst etliche Konfektionshäuser<br />

lagen. Ab 2.November ist sie<br />

im Hauptgebäude der Humboldt-Universität<br />

einer großen<br />

Öffentlichkeit frei zugänglich.<br />

Tatsächlich erzählt der Hausvogteiplatz<br />

exemplarisch <strong>Berliner</strong><br />

und deutsch-jüdische Geschichte.<br />

Schon 1288 hatte man<br />

bei der Gründung der <strong>Berliner</strong><br />

Schneidergilde den Ausschluss<br />

der Juden festgeschrieben –<br />

aus „beharrlicher Furcht vor<br />

dem wirtschaftlichen Potenzial<br />

der jüdischen Minderheit“.<br />

Diese eroberte in der Folge<br />

den Altkleiderhandel. 1671<br />

sprach der Große Kurfürst im<br />

Judenedikt den regen Leuten<br />

das Recht zu, auch mit neuen

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