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BIBER 10_18 Ansicht

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Österreichische Post AG; PZ <strong>18</strong>Z041372 P; Biber Verlagsgesellschaft mbH, Museumsplatz 1, E 1.4, <strong>10</strong>70 Wien<br />

www.dasbiber.at<br />

+<br />

RENDI-WAGNER:<br />

NULL SMS VON KURZ<br />

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SCHWULE<br />

GOTTESMÄNNER<br />

+<br />

MIT SCHARF<br />

OKTOBER<br />

20<strong>18</strong><br />

WIEN-<br />

WAHL:<br />

MIGRANTEN<br />

PLANEN PARTEI<br />

WIR MACHEN DIE<br />

NEUEN WIENER<br />

DER <strong>BIBER</strong> BABY BOOM


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EINE STADT,<br />

DIE DIR HÖHEN GIBT.<br />

WIEN KANN.<br />

© Kletterhalle Wien<br />

Sport ist in Wien kein ausschließliches Schönwetterprogramm.<br />

Die drei Sport & Fun Hallen unserer Stadt sind täglich für alle Sportbegeisterten<br />

geöffnet – mit Angeboten zu diversen Ballsportarten über<br />

Klettern und Bouldern bis hin zu eigenen Fitnessbereichen. Die dafür<br />

benötigten Sportgeräte können gegen Vorlage eines Lichtbildausweises<br />

kostenlos ausgeborgt werden.<br />

Eine Übersicht der Angebote der drei Wiener Sport & Fun Hallen<br />

finden Sie unter www.sport.wien.at


3<br />

minuten<br />

mit<br />

Harry<br />

Mo<br />

Er singt auf Serbisch,<br />

hat angolische Wurzeln,<br />

träumt von einem Duett<br />

mit Ex-Yu-Sängern und<br />

wohnt in Ottakring. Der<br />

junge Sänger Harry Mo über<br />

seine Liebe zur Kultur und<br />

Musik des Balkans.<br />

Von Samira Hartl<br />

Foto: Susanne Einzenberger<br />

<strong>BIBER</strong>: Wie kommt es zu dem Namen<br />

„Harry Mo“?<br />

HARRY MO: Harry kommt von meinem<br />

österreichischen Vornamen, Harald.<br />

Das Mo stammt aus der Zeit, in der ich<br />

noch gerappt habe. „Mokonzi“ bedeutet<br />

in Angola, wo meine Wurzeln liegen, so<br />

viel wie König. Also wurde aus „Harry<br />

Mokonzi“ eben „Harry Mo“.<br />

Was hat dich dazu bewegt, selbst Balkanmusik<br />

zu machen?<br />

Ich hatte immer viele Freunde aus Ex-<br />

Jugoslawien. Daher die Faszination für<br />

die Sprache und die Kultur. So richtig<br />

motiviert war ich aber, als ich das erste<br />

Mal ein Lied von Mile Kitić gehört habe.<br />

Danach wollte ich unbedingt auch auf<br />

Serbisch singen.<br />

Wieso fasziniert dich die Musik so?<br />

Für mich wäre das Performancesex. Ich<br />

mag den Rhythmus und wie die Men-<br />

schen dazu tanzen. Diese Lebensfreude<br />

und die Stimmung am Balkan. In meinen<br />

Texten geht es hauptsächlich um<br />

Zusammenhalt und positive Vibes. Ich<br />

will damit alle Menschen ansprechen,<br />

egal ob jung oder alt. Ich bekomme<br />

viele positive Rückmeldungen, also<br />

denke ich, es kommt auch gut an.<br />

Bist du schon am Balkan aufgetreten?<br />

Einen wirklichen Auftritt hatte ich<br />

bis jetzt noch nicht. Ich habe einmal<br />

in einem kleinen Café in Kroatien<br />

gesungen. Dort hat mich zwar keiner<br />

gekannt, aber sie haben mich sympathisch<br />

gefunden. Morgen fahre ich mit<br />

meinem Produzenten nach Belgrad für<br />

einen Videodreh.<br />

Du wohnst jetzt in Ottakring. Wie gefällt<br />

es dir in Wien und wo trifft man dich?<br />

Die Großstadt ist einfach cooler als das<br />

Leben am Land. Es kommt mittlerwei-<br />

le öfter vor, dass mich Leute auf der<br />

Ottakringer Straße erkennen und Fotos<br />

mit mir machen wollen. Am ehesten<br />

trifft man mich im Mr. Wood oder wenn<br />

besondere Konzerte sind auch im Club<br />

Village und Tresor.<br />

Wie sehen deine Zukunftspläne aus?<br />

Ich lass alles ein bisschen auf mich<br />

zukommen, es läuft momentan ganz<br />

gut und ich bin prinzipiell eher ein<br />

spontaner Mensch. Ich würde mir auf<br />

jeden Fall mal ein Duett mit einem Ex-<br />

Yu-Sänger wünschen.<br />

Alter: 24<br />

Geburtsort: Güssing, Burgenland<br />

Besonderes: Mit seinem Lied „Afro<br />

Kolo“ wollte der junge Österreicher<br />

mit angolischen Wurzeln die<br />

Kulturen aus Afrika und dem<br />

Balkan verbinden.<br />

/ 3 MINUTEN / 5


5 3 MINUTEN MIT<br />

HARRY MO<br />

Ein Österreicher mit angolischen Wurzeln,<br />

der auf Yugo singt – das ist Harry Mo.<br />

IMAM, PRIESTER, GLÄUBIG, SCHWUL<br />

Dass man Religion und Homosexualität<br />

vereinbaren kann, zeigen uns Jide Macaulay<br />

und Ishmael Sbulele Bahati.<br />

26<br />

<strong>10</strong> IVANAS WELT<br />

Frau Magistrat kennt sich mit Finanzamt,<br />

AMS und Krediten aus.<br />

POLITIKA<br />

12 DIE MIGRANTENLISTE 2020<br />

Eine neue Migrantenliste formiert sich und<br />

möchte bei der Wien-Wahl 2020 punkten.<br />

20 INTERVIEW IN ZAHLEN<br />

„Frau Rendi-Wagner, wieviele Menschen<br />

haben Sie geimpft?“<br />

22 „ICH WAR DOCH NOCH<br />

EIN KIND“<br />

Ahsen war 14, als sie gegen ihren Willen ihrem<br />

Großcousin versprochen wurde. Die Geschichte<br />

einer Frau, die zwangsverheiratet wurde.<br />

INHALT<br />

RAMBAZAMBA<br />

26 TREFFEN SICH EIN<br />

SCHWULER PRIESTER UND<br />

EIN SCHWULER IMAM<br />

Und beide Afrikaner finden, dass man<br />

Homosexualität mit ihrer Religion<br />

problemlos vereinbaren kann.<br />

32 BABYBOOM BEI <strong>BIBER</strong><br />

Gleich drei Mitglieder unserer Redaktion<br />

haben Nachwuchs bekommen.<br />

TECHNIK<br />

42 AB INS ALL MIT ADAM<br />

Über Raketen, Assassins Creed und den<br />

Google-Geburtstag: Die Technik-Updates des<br />

Monats<br />

KARRIERE<br />

44 MULTITASKING GIBT<br />

ES NICHT<br />

Andrea erklärt euch, wieso das Prinzip „eins<br />

nach dem anderen“ euch in eurer Karriere<br />

mehr weiterbringt.<br />

MIGRANTEN AN DIE MACHT<br />

Der politische Untergrund Wiens brodelt:<br />

Eine neue Migrantenliste formiert sich und<br />

möchte bei der Wien-Wahl 2020 punkten.<br />

12


www.thishumanworld.com<br />

DR. RENDI WAGNER<br />

„Frau Rendi-Wagner, wie<br />

oft haben Sie sich über<br />

Sebastian Kurz geärgert?“<br />

20<br />

46 MEIN BESTER RAT<br />

Walter Ruck verrät, wieso man Energieräuber<br />

meiden sollte.<br />

50 SELBERMACHER: BODY<br />

POSITIVITY FÜR GEMÜSE<br />

Auch für Obst und Gemüse gibt es heutzutage<br />

Beautystandards: Zu krumm, zu klein oder<br />

einfach zu viel? Was im Mist landen würde,<br />

retten die Gründer von „Unverschwendet“.<br />

OKTOBER<br />

20<strong>18</strong><br />

LIFE & STYLE<br />

52 #METOO IN DIE FRESSE UND<br />

LEGALES WEED<br />

Aleks lag zu lange in der Sonne und ihre<br />

Hautfarbe trägt nun die Nuance Österreich.<br />

53 MERCDES:<br />

CLASH OF GENERATIONS<br />

Zeig mir dein Insta-Profil, und ich sag dir, wer<br />

du bist! 1 Mutter, 1 Tochter, 1 Mercedes.<br />

KULTUR<br />

56 WERTEVERFALL DURCH<br />

#INSTABEAUTY<br />

Unser Medienkonsum wird seichter: Aus Dokus<br />

werden Schmink-Videos auf Youtube. Damit wir<br />

nicht ganz deppert werden, hat Jelena coole<br />

Ausstellungs-Tipps in Wien für euch parat.<br />

58 THEATER FÜR<br />

BETTELSTUDENTEN<br />

So kommt ihr an 12 Euro-Restkarten für U27<br />

im Wiener Konzerthaus.<br />

29<br />

–<br />

nov<br />

<strong>10</strong> dec<br />

20<strong>18</strong><br />

vienna<br />

32<br />

BABYBOOM<br />

BEI <strong>BIBER</strong><br />

Delna, Amar und Ivana<br />

sind Eltern geworden:<br />

Über ergonomische<br />

Schnuller, moderne<br />

Balkanväter und darüber,<br />

was eine Jugo-Bobo<br />

Mama ausmacht.<br />

Marko Mestrović, Christoph Liebentritt, COVER: Marko Mestrović<br />

60 „WIE KANNST DU NUR FÜR<br />

DIE KRONE SCHREIBEN?“<br />

Jung, weiblich, migrantisch und Krone-<br />

Redakteurin: Wie geht das?<br />

62 DIE LEIDEN DES<br />

JUNGEN TODOR<br />

Todor steckt in der Zwickmühle: Soll er seinen<br />

bettelnden Landsmännern Geld geben oder<br />

nicht?


Liebe LeserInnen,<br />

„Sorry, komme heute ein bissi später, bin im Baby-Schwimmkurs.“<br />

– solche Mails sind bei uns momentan keine Seltenheit. Bei<br />

Biber ist gerade Baby-Saison: Drei unserer alteingesessenen<br />

Redaktionsmitglieder haben vor Kurzem ihr erstes Kind bekommen.<br />

Also, nicht miteinander, aber es fühlt sich trotzdem so an, als hätten<br />

wir als Redaktion plötzlich einen Mini-Kindergarten. Gespräche über<br />

Babybrei, Schnuller und Tragetücher stehen an der Tagesordnung. Doch<br />

wie es sich wirklich anfühlt, zum ersten Mal Mutter oder Vater zu werden,<br />

erzählen Delna, Ivana und Amar ab Seite 33.<br />

Aber nicht alles ist so Friede, Freude, Eierkuchen wie das biber’sche<br />

Baby-Glück: Im politischen Untergrund Wiens brodelt es. Es entsteht<br />

eine neue Migranten-Liste. Menschen mit Migrationshintergrund fühlen<br />

sich von der österreichischen Politik nicht repräsentiert und bereiten<br />

sich auf die Wien Wahl 2020 vor. Wie sie das anstellen wollen, lest ihr ab<br />

Seite 12.<br />

Doch nicht nur in der Politik geht es in dieser Ausgabe unkonventionell<br />

zu. Auch die Religion erlebt eine kleine Revolution: Treffen sich ein<br />

schwuler Imam aus Kenia und ein schwuler Pastor aus Nigeria in Wien<br />

und reden über Religion. Nein, das ist kein Witz. Wir waren dabei.<br />

Jide Macaulay und Ishmael Sbulele Bahati, beide homosexuelle<br />

Gottesmänner, haben mit uns darüber gesprochen, wie sie ihre Religion<br />

und ihre Sexualität vereinbaren. Das spannende Interview findet ihr ab<br />

Seite 36.<br />

Die Ausgabe ist vollgepackt mit weiteren tollen Geschichten, aber wir<br />

müssen es bei diesem kleinen Teaser belassen. Amar muss jetzt nämlich<br />

nach Hause zum Baby.<br />

Richtigstellung: In der letzten Covergeschichte „Flirtzone-Moschee“ ist<br />

uns ein Fehler unterlaufen. Die Aussage von Monika „Ich habe relativ<br />

schnell eingesehen, dass die Männer in meiner Umgebung nichts für<br />

mich sind, weil sie leider nie auf derselben intellektuellen Ebene waren<br />

und eine Frau am Herd wollten.“ war an die Allgemeinheit der Männer<br />

gerichtet und nicht an die MJÖ (Muslimische Jugend Österreich). Wir<br />

entschuldigen uns bei allen Beteiligten.<br />

Scharfe Bussis,<br />

die Redaktion<br />

IMPRESSUM<br />

MEDIENINHABER:<br />

Biber Verlagsgesellschaft mbH, Quartier 21,<br />

Musuemsplatz 1, E-1.4, <strong>10</strong>70 Wien<br />

HERAUSGEBER & CHEFREDAKTEUR:<br />

Simon Kravagna<br />

STV. CHEFREDAKTEUR/IN:<br />

Amar Rajković<br />

Delna Antia (karenziert)<br />

CHEFiNNEN VOM DIENST:<br />

Amar Rajković<br />

Aleksandra Tulej<br />

Melisa Erkurt<br />

CHEFREPORTERINNEN:<br />

Melisa Erkurt<br />

FOTOCHEF:<br />

Marko Mestrović<br />

KOLUMNIST/IN:<br />

Ivana Cucujkić, Todor Ovtcharov<br />

REDAKTION & FOTOGRAFIE:<br />

Emira Abidi, Bilal Albeirouti, Soza<br />

Almohammad, Aadilah Amin,<br />

Adam Bezeczky, Petimat Dadajeva,<br />

Alex Dietrich, Emir Dizdarević, Aida<br />

Duric, Susanne Einzenberger, Nada<br />

El-Azar, Maryam Ghanem Andrea<br />

Grman, Samira Hartl, Nour Khelifi,<br />

Sophie Kirchner, Christoph Liebentritt,<br />

Zoe Opratko, Jelena Pantić-Panić,<br />

Aleksandra Tulej, Sarah Wagner,<br />

Artur Zolkiewicz<br />

ART DIRECTOR: Dieter Auracher<br />

LEKTORAT:<br />

Birgit Hohlbrugger<br />

CORPORATE SOCIAL INNOVATION:<br />

Andrea Grman<br />

BRANDED CONTENT:<br />

Katja Trost<br />

BUSINESS DEVELOPMENT:<br />

Andreas Wiesmüller<br />

GESCHÄFTSFÜHRUNG:<br />

Simon Kravagna<br />

Wilfried Wiesinger<br />

REDAKTIONSHUNDE:<br />

Tito, Casper<br />

KONTAKT: biber Verlagsgesellschaft mbH<br />

Quartier 21, Museumsplatz 1,<br />

E-1.4, <strong>10</strong>70 Wien<br />

Tel: +43/1/ 9577528<br />

redaktion@dasbiber.at<br />

marketing@dasbiber.at<br />

abo@dasbiber.at<br />

WEBSITE: www.dasbiber.at<br />

ÖAK GEPRÜFT 1. HJ 2017:<br />

Druckauflage 85.000 Stück<br />

verbreitete Auflage 80.601 Stück<br />

DRUCK: Mediaprint<br />

8 / MIT SCHARF /


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SCHULE?<br />

STUDIUM?<br />

LEHRE?<br />

Ich geh mal ins BIZ<br />

Im BerufsInfoZentrum bist du richtig,<br />

wenn es um deine Berufswahl geht.<br />

Ob du mit der Schulklasse, mit Freundinnen und Freunden oder<br />

allein kommst – die Berater/innen der BerufsInfoZentren (BIZ)<br />

des AMS Wien informieren und beraten dich gerne rund um deine<br />

Ausbildungs- und Berufswahl. Weitere Infos unter www.ams.at/biz<br />

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In Ivanas WELT berichtet die biber-Redakteurin<br />

Ivana Cucujkić über ihr daily life.<br />

IVANAS WELT<br />

FRAGST DU FRAU MAG.ISTRAT!<br />

In jeder Balkan-Familie gibt es sie. Diese eine Person mit akademischem<br />

Titel. Die sich mit allem auskennen muss. Mit Finanzamt, AMS, Krediten.<br />

In meiner Familie bin ich das. Leider.<br />

Mietverträge kündigen, AMS-Anträge ausfüllen, Lebensläufe<br />

verfassen. Das gehört nicht etwa zu meiner<br />

Jobdescription. Das sind Dinge, die ich für meine Verwandten<br />

erledige. Wieso? Weil ich studiert habe. Was?<br />

Egal.<br />

Mit einem Uniabschluss hat man in einer Großfamilie<br />

so ziemlich die Arschkarte gezogen. Meine mittlerweile<br />

verstorbene Oma hatte schon recht, als sie irrtümlich<br />

über mich als „Frau Magistrat“ statt „Frau Magistra“<br />

sprach. So viel Unterschied ist da nicht. Also für meine<br />

Verwandtschaft nicht. Titel verpflichtet, die absolvierte<br />

Studienrichtung ist dabei egal. Ich müsse doch wissen,<br />

welche Unterlagen für die Rot-Weiß-Rot-Karte vorzulegen<br />

sind, wann das Boarding für den Venedig-Flug<br />

beginnt, von wo der nächste Bus nach Serbien fährt<br />

und welche Bank grad die besten Wohnfinanzierungen<br />

anbietet.<br />

DIPLOMIERTE ALLESWISSERIN<br />

Denn ich hab ja studiert! In den Augen meiner Eltern,<br />

Tanten und Cousins qualifiziert mich das somit wohl zur<br />

Lösung der großen Weltprobleme. Voll krass, aber ich<br />

kann als vermeintlich diplomierte Alleswisserin manchmal<br />

auch nicht weiterhelfen. Kenne keinen Griechisch-<br />

Dolmetscher oder die Liste der Notare im 21. Bezirk<br />

auswendig. Voll krass auch das blanke Entsetzen darüber,<br />

dass sie sich um ihren Kram manchmal selber<br />

kümmern müssen.<br />

Als Mag.istrat für alle Fragen rund um alles habe ich mir<br />

mittlerweile so viele Skills angeeignet, dass ich sofort<br />

als Buchhalterin, Bewerbungscoach oder AMS-Referentin<br />

anheuern könnte. Diese familiären Fremderledigungen<br />

nehmen in Arbeitsstunden teilweise Ausmaße<br />

eines Teilzeitjobs an. In den USA gibt es sogar eine<br />

eigene Berufsbezeichnung dafür: den Personal Family<br />

Assistant. Mit meiner lebenslangen Berufserfahrung<br />

könnte ich dort eine steile Karriere hinlegen.<br />

FRAG ALE…IVANA!<br />

Oh, es ist nicht etwa so, dass ich mit einer überirdischen<br />

Begabung im Informationen-in-Erfahrung-Bringen gesegnet<br />

oder im 30-köpfigen Jugo-Clan als einzige der<br />

deutschen Sprache mächtig und mit einem Heim-PC<br />

ausgestattet bin.<br />

Na.<br />

Es ist einfach immer Ivana, die mit diversen Anfragen<br />

zwangsbeglückt wird.<br />

Lange vor Amazons virtueller Sprachassistentin ALE-<br />

XA benutzten meine Verwandten IVANA. Ich bin quasi<br />

der Balkan-Prototyp von Alexa. Vielleicht sollte ich<br />

eine „Frag-Ivana“-App entwickeln für meine Family.<br />

Dann wären meine To-Dos zumindest einigermaßen<br />

übersichtlich und ich könnte zu sowas wie einer Life-<br />

Balance zurückfinden. Denn momentan scheitere ich<br />

kläglich am eigenen Zeitmanagement. Was aktuell mit<br />

einem acht Monate alten Baby eh nicht existiert. Also<br />

verschiebe ich meine persönlichen Angelegenheiten<br />

auf die Nacht: Nahrungsaufnahme, Körperpflege. Und<br />

diesen Text hier. Morgen kein Parteienverkehr! Frau<br />

Mag.istrat out of office.<br />

cucujkic@dasbiber.at<br />

<strong>10</strong> / MIT SCHARF /


FAMILIENBONUS<br />

Bis zu 1.500 €<br />

Steuern sparen<br />

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Der Familienbonus Plus ist die bisher größte Entlastungsmaßnahme aller Zeiten für Familien. Insgesamt<br />

werden rund 950.000 Familien und etwa 1,6 Mio. Kinder in Höhe von bis zu 1,5 Mrd. Euro entlastet.<br />

Entgeltliche Einschaltung<br />

Ein großes Plus für Familien<br />

Was heißt das nun für Ihre Familie? Sie<br />

erhalten künftig einen Steuerbonus von<br />

bis zu 1.500 Euro pro Kind und Jahr. Der<br />

Familienbonus Plus vermindert also direkt<br />

Ihre zu zahlende Steuer. Bei niedrigeren<br />

Einkommen bedeutet das in Zukunft sogar<br />

nicht nur weniger, sondern gar keine Einkommensteuer<br />

mehr bezahlen zu müssen.<br />

Der Familienbonus Plus steht Ihnen so lange<br />

zu, so lange für das Kind Familienbeihilfe<br />

bezogen wird. Nach dem <strong>18</strong>. Geburtstag<br />

Ihres Kindes steht Ihnen ein reduzierter<br />

Betrag zu, wenn für dieses Kind weiterhin<br />

Familienbeihilfe bezogen wird.<br />

Neu: Der Kindermehrbetrag<br />

Anders als bisher werden nun auch geringverdienende<br />

Alleinerziehende bzw.<br />

Alleinverdienende berücksichtigt, die gar<br />

keine oder eine sehr niedrige Einkommensteuer<br />

bezahlen. Ihnen steht künftig ein so<br />

genannter Kindermehrbetrag in Höhe von<br />

250 Euro pro Kind und Jahr zu.<br />

Neues ersetzt Altes –<br />

zu Ihrem Vorteil<br />

Die gute Nachricht vorweg: Niemand steigt<br />

durch den Familienbonus Plus schlechter<br />

aus als zuvor. Im Gegenteil: Der Familienbonus<br />

Plus kann unter den Eltern aufgeteilt<br />

und damit optimal ausgenützt werden. Da<br />

er unmittelbar die Steuer und nicht nur die<br />

Steuerbemessungsgrundlage vermindert,<br />

hat er eine vielfach höhere Entlastungswirkung<br />

als die Abzugsfähigkeit von Kinderbetreuungskosten<br />

und die Berücksichtigung<br />

des Kinderfreibetrages, die ab 2019<br />

wegfallen.<br />

So holen Sie sich Ihren Bonus<br />

Sie können gegenüber Ihrem Arbeitgeber<br />

erklären, dass der Familienbonus Plus ab<br />

dem Jahr 2019 über die Lohnverrechnung<br />

berücksichtigt werden soll. Dann verringert<br />

sich schon während des Jahres Ihre<br />

Lohnsteuer. Sie können ihn aber auch nach<br />

Ablauf des Jahres beim Finanzamt über die<br />

Steuererklärung bzw. Arbeitnehmerveranlagung<br />

geltend machen.<br />

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AUFSTAND DER<br />

MIGRANTEN<br />

Im politischen Untergrund Wiens brodelt es. Eine neue Migrantenliste<br />

formiert sich und möchte bei der Wien-Wahl 2020 punkten.<br />

Permanentes Islam-Bashing und Migranten als ewige Sündenböcke<br />

in Politik und Medien steigern die Chancen des Projekts.<br />

Von Amar Rajković und Soza Almohammad (Fotos)<br />

Mitarbeit: Emira Abidi, Petimat Dadajeva<br />

Der Speisesaal im türkischen<br />

Restaurant<br />

„Kent“ in der Gudrunstraße,<br />

Wien X, füllt sich<br />

langsam. Hakan Gördü<br />

sitzt an einem Tisch in der Ecke des<br />

Raumes. Über ihm hängt ein Riesenluster<br />

aus <strong>10</strong>01 Nacht, ein Ziegelsteinbogen<br />

an der Wand dahinter setzt den 34-jährigen<br />

Austrotürken trotz Randplatz in<br />

den Mittelpunkt. Gördü ist augenscheinlich<br />

unausgeschlafen. „Mein Sohn ist<br />

erst acht Monate alt, da gibt es wenig<br />

Gelegenheiten zu entspannen“, erklärt<br />

er seine Augenringe: „Für die Geschichte<br />

machen wir aber die Fotos an einem<br />

anderen Tag. Das Gesprochene hier ist<br />

sowieso wichtiger als meine Person“.<br />

Das klingt nach Understatement. Dabei<br />

gibt es keinen Grund, auf bescheidenen<br />

Pfaden zu wandern, wenn es nach Gördüs<br />

politischen Ambitionen geht.<br />

SINNESWANDEL<br />

Der Mann mit schlanker Statur, Vollbart<br />

und kurzen, schwarzen Haaren ist kein<br />

unbeschriebenes Blatt in der österreichischen<br />

Öffentlichkeit. Er fiel 2016 durch<br />

seine Twitter-Äußerungen („Geht’s alle<br />

scheißen“) auf, die sich an Erdogans<br />

Gegner richteten und die seinen Rücktritt<br />

als UETD-Stellvertreter zu Folge hatten.<br />

Die „Union Europäisch-Türkischer Demokraten“<br />

gilt als politischer Arm der AKP in<br />

Europa und organisierte unter anderem<br />

den Besuch des türkischen Präsidenten<br />

2014 in der Wiener Albert-Schulz-Halle<br />

und die Demos 2016, auf denen der<br />

gescheiterte Militärputsch bejubelt<br />

wurde. Gördü scheint seit einigen Jahren<br />

wie ausgewechselt, gibt sich mittlerweile<br />

versöhnlich und selbstkritisch. „Die<br />

Türken in Wien haben in den letzten<br />

Jahren dazugelernt, die Politik aus dem<br />

ehemaligen Heimatland nicht hierher<br />

zu importieren. Was wir brauchen sind<br />

Politiker, die mit Minderheiten sympathisieren<br />

und hier den Menschen helfen“,<br />

führt Gördü aus. Sein Interesse gelte<br />

nicht der Türkei, er will das Leben in<br />

Wien verändern und das geht noch<br />

immer am besten mit den Mitteln der<br />

Politik. „Ja, wenn es nach mir geht,<br />

werden wir schon morgen eine breite<br />

Migrantenliste gründen, die sich gegen<br />

Fremdenfeindlichkeit und Sündenbockpolitik<br />

einsetzt“, frohlockt Gördü. Dabei<br />

ist er schon gründungserprobt, wenn<br />

man in die Vergangenheit zurückblickt.<br />

12 / POLITIKA /


Hakan Gördü will mit einer<br />

Migrantenpartei durchstarten<br />

/ POLITIKA / 13


ERSTER VERSUCH 2015<br />

2015 ließ ein Simmeringer Arzt die<br />

Öffentlichkeit aufhorchen. Drei Monate<br />

vor den Wahlen verkündete Türgay Taskiran,<br />

er werde mit einer eigenen Liste<br />

„Gemeinsam für Wien“ (GFW) antreten.<br />

Die von vielen Medien als „Türkenpartei“<br />

titulierte Bewegung<br />

feierte einen kleinen<br />

Erfolg (7.608 Stimmen),<br />

schrammte aber klar<br />

an den 5% vorbei, die<br />

für den Einzug in den<br />

Wiener Landtag vonnöten<br />

gewesen wären. Taskiran<br />

erinnert sich: „Wir hatten<br />

damals zu wenig Zeit,<br />

ein schlagfertiges Team<br />

aufzubauen. Hätten wir<br />

längerfristiger geplant,<br />

wäre auch ein Einzug in<br />

den Landtag realistisch<br />

gewesen“. Gördü, selbst<br />

Mitglied im Team, verließ<br />

nach interner Auseinandersetzung<br />

die Liste. Eine<br />

Reunion mit Taskiran kann<br />

er sich nicht vorstellen,<br />

„dafür sei dieser zu wenig<br />

Politiker“, außerdem wolle<br />

man eine breite Bevölkerungsschicht<br />

erreichen.<br />

Die damalige GFW-Liste<br />

bestand zum größten Teil<br />

aus AKP-nahen Türken.<br />

Gördüs Liste, die noch<br />

keinen Namen trägt, soll<br />

hingegen eine breite<br />

Bürgerrechtsbewegung<br />

sein. Ob da auch Österreicher<br />

erlaubt sind?<br />

„Unser Plenum besteht<br />

aus serbischen, tschetschenischen<br />

Gruppen,<br />

türkischen Bloggern,<br />

österreichischen Aktivisten,<br />

Pakistanis,<br />

Afghanen“, so Gördü. Klingt bunt und<br />

divers. Aber braucht es überhaupt eine<br />

Migrantenliste in Österreich? Und würden<br />

Migranten diese Liste überhaupt wählen<br />

wollen? Ist das nicht ein weiterer Schritt<br />

zur Abschottung?<br />

UNTERWEGS IN<br />

FAVORITEN<br />

Schauplatz Viktor-Adler-Markt. Kaum ein<br />

anderes Grätzl ist so politisch aufgeladen<br />

wie der nach dem ehemaligen Sozialdemokraten<br />

benannte Ort. Auf der einen<br />

Seite eine starke, sichtbare türkische<br />

Community, auf der anderen Seite der<br />

frustrierte, österreichische Arbeiter, der<br />

sein Favoriten nicht wiedererkennt. Kein<br />

Der Koordinator für Integration<br />

in der Bundes-SPÖ,<br />

Ahmed Husagic, steht einer<br />

Migrantenliste in der Politik<br />

kritisch gegenüber.<br />

Der Simmeringer Arzt Turgay<br />

Taskiran scheiterte bei den<br />

letzten Wien-Wahlen 2015 mit<br />

seiner Migrantenliste „Gemeinsam<br />

für Wien“<br />

Der Obmann der Jungen ÖVP<br />

in Wien-Fünfhaus, Muamer<br />

Becirovic, kritisiert den<br />

Umgang seiner eigenen Partei<br />

mit Migranten.<br />

Sieht die österreichische Politik<br />

in der Pflicht: Politberater<br />

Timur Rusen Akșak<br />

Wunder, dass die FPÖ traditionell hier<br />

ihre Fans versammelt, um sie auf die<br />

bevorstehenden Wahlen einzustimmen.<br />

Hamad Khaled, der einen Fleischstand<br />

betreibt, hat Angst vor einer weiteren<br />

Spaltung der Gesellschaft, die seiner<br />

Meinung nach durch Auftritte von FPÖ-<br />

Politikern vorangetrieben wird: „Sehen<br />

Sie rüber, dort stehen dann zwei Reihen<br />

von Polizisten, Hunde, um das Chaos zu<br />

verhindern“, zeigt der Fleischer Richtung<br />

Favoritner Straße, wo die Reden<br />

abgehalten werden. Viele FPÖ-Wähler<br />

seien aggressiv und würden viele seiner<br />

Kunden einschüchtern, klagt Khaled. Ob<br />

er eine reine Migrantenpartei wählen<br />

würde? „Klar, sofort!“, verkündet Khaled,<br />

während er sein Mittagessen<br />

runterschlingt.<br />

Ähnlich sieht das Mosaad<br />

Mohamed. Der 56-Jährige<br />

ist gebürtiger Ägypter<br />

und betreibt ebenfalls<br />

eine halal-Fleischerei am<br />

Markt. Wenn das Programm<br />

der Partei ihm<br />

zusagt, würde er sie sofort<br />

wählen. Ihm sei schließlich<br />

egal, ob das SPÖ, FPÖ<br />

oder eben eine Migrantenpartei<br />

ist. Hauptsache,<br />

seine Anliegen werden<br />

vertreten.<br />

SPÖ AM<br />

BELIEBTESTEN<br />

Bis jetzt waren vor allem<br />

die SPÖ und die Grünen<br />

die beliebtesten Parteien<br />

unter Migranten, obwohl<br />

diese Wählergruppen<br />

traditionell wertekonservativ<br />

eingestellt sind. Der<br />

Soziologe Kenan Güngör<br />

erklärt dieses Paradoxon:<br />

„Der Großteil der Türkischstämmigen<br />

in Österreich<br />

stammt aus wertkonservativen<br />

Verhältnissen,<br />

wählte aber die Parteien,<br />

die den Schutz von Minderheiten<br />

im Fokus hatten“<br />

– Rot und Grün eben.<br />

Dies unterstreicht auch<br />

das Ergebnis der letzten<br />

Wien-Wahlen. Fast die<br />

Hälfte der Menschen mit<br />

Migrationshintergrund wählte die SPÖ,<br />

Grüne kamen auf überproportional viele<br />

Stimmen (16% - zum Vergleich: 11,8%<br />

gesamt), dazwischen schoben sich die<br />

Freiheitlichen mit 24%, laut der Wahlanalyse<br />

von SORA/ISA im Auftrag des<br />

ORF. Das ist mit vielen serbisch- oder<br />

polnischstämmigen Stimmen zu begründen,<br />

die traditionell islamkritisch sind.<br />

Rechtsgerichtete Austrotürken wählten<br />

14 / POLITIKA /


„<br />

Als<br />

Austrotürke<br />

bist du zu<br />

einem Zustand<br />

der Paria<br />

verdammt.<br />

“<br />

die FPÖ kaum, weil die Blauen zwar<br />

ebenso nationalistisch geprägt sind, aber<br />

gleichzeitig einen strikt anti-islamischen<br />

und anti-türkischen Kurs fahren, weiß<br />

Güngör: „Das heißt die Parteien, denen<br />

Türkischstämmige ideologisch nahe<br />

stehen, wollen einen nicht und konnten<br />

somit nicht gewählt werden.“<br />

FATALE VERWECHSLUNG<br />

„Gmahde Wiesn“ für die SPÖ also? Die<br />

Rechnung ist nicht so einfach, weiß<br />

Timur Rusen Akșak, Journalist, wohnhaft<br />

in Wien. Er ist ein Kenner der Szene und<br />

attestiert den Roten eine stiefmütterliche<br />

Behandlung ihrer türkischstämmigen<br />

Wähler: „Als Austrotürke bist du zu<br />

einem Zustand der Paria verdammt“,<br />

beschreibt Aksak den Status quo seiner<br />

Landsmänner im Alpenland als Anspielung<br />

auf die rechtlose Kaste in Indien.<br />

Die Regierungsparteien ÖVP/FPÖ kämen<br />

sowieso nicht in Frage, weil sie von<br />

muslimischen ÖsterreicherInnen als klar<br />

islamophob wahrgenommen werden und<br />

selbst liberale Türken damit vergrämen.<br />

So geschehen im Mai, als der jetzige<br />

Klubobmann der FPÖ, Johann Gudenus,<br />

beim Maiaufmarsch der Wiener SPÖ<br />

Kemalisten mit AKP-Anhängern verwechselte<br />

und sie als radikale Islamisten<br />

bezeichnete. „Die Grünen waren lange<br />

Zeit die erste Adresse für Migranten. Das<br />

hat sich insbesondere bei den Austro-<br />

Türken verändert. Ein gutes Beispiel ist<br />

der langjährige, grüne (Ex-)Mandatar<br />

Peter Pilz, der sich nicht nur - für viele<br />

Austro-Türken - einseitig auf das Thema<br />

Islam und Türkei eingeschossen, sondern<br />

auch den Stein mit den illegalen Doppelstaatsbürgerschaften<br />

ins Rollen gebracht<br />

Kopftuchverbote, Moscheen-<br />

Schließungen und der<br />

angebliche „Kulturkampf“<br />

zwischen Abendland und Orient<br />

in Wiener Klassenzimmern: Es<br />

brodelt unter den Muslimen in<br />

Österreich. Die frühere Furcht vor<br />

der FPÖ („Daham statt Islam“)<br />

ist einer großen Wut auf das<br />

„Islambashing“<br />

durch Politik und<br />

Medien gewichen.<br />

kravagna@dasbiber.at<br />

KOMMENTAR VON SIMON KRAVAGNA<br />

Eine reine<br />

Türkenliste wird<br />

nicht reichen<br />

Kurz und<br />

Strache tragen<br />

zur „Islamisierung“<br />

Österreichs<br />

so viel bei<br />

wie Erdogan,<br />

sagen Kenner<br />

der Szene<br />

Kein Wunder, dass<br />

ein neuer Anlauf<br />

für eine Migrantenpartei<br />

von jungen<br />

Muslimen geplant<br />

wird. Eine rein<br />

türkische Liste<br />

wird keinen Erfolg<br />

haben. Das wissen<br />

die Initiatoren. So<br />

ein Projekt muss<br />

breiter aufgestellt<br />

sein. Eine bunte<br />

Migrantenpartei –<br />

inklusive ein paar<br />

„echten“ Österreichern?<br />

Oder doch<br />

lieber gleich eine „Moslem“-<br />

Partei?<br />

Wie zu Beginn der meisten<br />

sozialen Bewegungen sind es<br />

erst einmal die „Studierten“ in<br />

benachteiligten Gruppen, die<br />

vom Polit-Aufstand träumen.<br />

Für den Erfolg des Projekts<br />

wird entscheidend sein, ob die<br />

migrantischen oder muslimischen<br />

Massen mit den politischen<br />

Träumereien ihrer Eliten etwas<br />

anfangen können.<br />

Es wäre eine große Überraschung,<br />

wenn eine Migrantenpartei<br />

(mit muslimischer<br />

Ausrichtung) bei der Wiener<br />

Wahl 2020 den Einzug in den<br />

Gemeinderat schafft. Wenn doch,<br />

dann können sich deren Vertreter<br />

bei ÖVP und FPÖ bedanken. Kenner<br />

der Szene sagen bereits jetzt:<br />

Kurz und Strache tragen durch<br />

ihren Show-Kampf gegen den<br />

„politischen<br />

Islam“ zur<br />

„Islamisierung“<br />

Österreichs<br />

derzeit<br />

zumindest<br />

so viel bei<br />

wie der<br />

türkische<br />

Präsident<br />

Erdogan.<br />

Aber vielleicht<br />

ist das<br />

den Regierungsparteien<br />

sogar<br />

sehr recht.<br />

Immerhin<br />

kostet<br />

jede Migrantenpartei – ob links,<br />

konservativ oder islamisch - vor<br />

allem die Wiener SPÖ Stimmen.<br />

Denn bisher hat die Mehrzahl<br />

der Muslime und Migranten bei<br />

den Sozialdemokraten ihr Kreuz<br />

gemacht. Vielleicht sollte sich die<br />

Wiener SPÖ wieder mal stärker<br />

daran erinnern, dass sie ihre<br />

guten Ergebnisse auch ihren vielen<br />

migrantischen WählerInnen<br />

zu verdanken hatte. Bricht diese<br />

Gruppe bei der kommenden<br />

Wahl weg, dann wird es eng für<br />

das Rote Wien. ●<br />

/ POLITIKA / 15


hatte.“, so Akșak. Die Neos bekommen<br />

noch die meiste Sympathie unter<br />

türkischstämmigen Wählern, wie auch<br />

Gördü bestätigt. „Christoph Wiederkehr<br />

ist ein toller Typ, aber schau dir den Rest<br />

der Partei an, ein weißer Fleck“, begründet<br />

Gördü seine Skepsis gegenüber der<br />

in Magentapink auftretenden Partei. Eine<br />

Tatsache, die ihn noch stärker bekräftigt,<br />

das verkrustete Politsystem neu aufzumischen.<br />

Dabei will sich Gördü keinesfalls<br />

auf die knapp 50.000 (lt. Statistik<br />

Austria) wahlberechtigten Austrotürken<br />

in Wien verlassen, sondern auf alle<br />

Migranten, die Diskriminierungen und<br />

Vorurteilen ausgesetzt sind und keine<br />

„Na, die SPÖ“, sagt die Studentin achselzuckend.<br />

Die beiden angehenden Lehrerinnen<br />

haben eine ähnliche Meinung zur<br />

möglichen Migrantenliste bei den nächsten<br />

Wahlen. „Der schwarze Menschenrechtler<br />

Malcolm X hat mal eine weiße<br />

Frau abgelehnt und das später bereut,<br />

deswegen würde ich mir eine Liste auch<br />

mit autochthonen ÖsterreicherInnen<br />

wünschen“, verteilt Leila gratis Tipps an<br />

die Initiatoren der Migrantenpartei. Aisha<br />

wünscht sich eine Partei mit Inhalten und<br />

fürchtet zugleich eine Ghettobildung.<br />

Trotzdem würde sie die „Liste wählen,<br />

wenn das Programm mit ihrer Vorstellung<br />

übereinstimmt“, verrät uns die<br />

Halb-Amerikanerin, Halb-Burgenländerin.<br />

Ähnlich bunt ist der Familienstammbaum<br />

von John, 20, und Michael, 25. John,<br />

ein griechisch-orthodoxer Araber aus der<br />

Türkei und sein Schwager Michael, ein<br />

Aramäer aus Syrien, sehen ebenfalls ein<br />

politisches Vakuum, das gefüllt werden<br />

muss. „Wenn morgen Wahlen wären,<br />

würde ich eine ungültige Stimme abgeben“,<br />

so Michael. John reiht sich in die<br />

Kritik ein: „Ich verstehe Migranten, die<br />

nicht wählen gehen. Heute wird dir dies<br />

und das versprochen und morgen weiß<br />

keiner mehr was davon“, klagt John,<br />

der selbst Mitglied in der SJÖ war. Beide<br />

wären nicht abgeneigt, eine migrantische<br />

Michael traut der Politik nicht und<br />

würde deswegen weiß wählen,<br />

wäre morgen Wahl.<br />

Zitiert Malcolm X:<br />

Die angehende Volksschullehrerin<br />

Leila<br />

Wäre einer Migrantenliste nicht<br />

abgeneigt - John, ehemaliges<br />

Mitglied der Sozialistischen Jugend.<br />

politische Identitätsfläche mehr finden.<br />

Das sind dann immerhin rund 200.000<br />

Menschen alleine in der Bundeshauptstadt,<br />

wobei da nur die erste Generation<br />

(selber im Ausland geboren) berücksichtigt<br />

wurde und nicht die zweite und<br />

dritte, die sich bekanntlich auch sehr<br />

stark zu ihren Wurzeln zugehörig fühlt.<br />

Reminder: Die Grünen holten mit knapp<br />

<strong>10</strong>0.000 Stimmen rund 12% bei den<br />

letzten Wiener Wahlen.<br />

WEISS WÄHLEN<br />

So auch Leila. Die 21-Jährige ist halb<br />

Ägypterin, halb Wienerin. Sie ist Lehramtsstudentin<br />

an der Pädagogischen<br />

Hochschule in Favoriten. Wir treffen sie<br />

mit ihrer Kollegin Aisha im Diwan in der<br />

Rotenhofgasse. Wen sie bei den letzten<br />

Wahlen gewählt hat, wollen wir wissen:<br />

„<br />

Würde die<br />

Liste wählen,<br />

wenn das Programm<br />

mit<br />

meiner Vorstellung<br />

übereinstimmt.<br />

“<br />

16 / POLITIKA /<br />

Liste zu wählen, jedoch mit richtigem<br />

Programm und österreichischen Mitgliedern.<br />

Das betonen sie beide.<br />

ERDOGAN WIE WILDERS<br />

ODER SALVINI<br />

Ahmed Husagić, Integrationsbeauftragter<br />

der Bundes-SPÖ, rechnet einer<br />

reinen Migrantenpartei kaum Chancen<br />

aus. „Ich bin gegen Parteien, die sich<br />

aufgrund von Ethnie oder Religion<br />

zusammensetzen“, so Husagić. Die in<br />

den Communities umstrittene neue Landesgeschäftsführerin<br />

der Wiener SPÖ,<br />

Barbara Novak, nimmt er in Schutz. „Frau<br />

Novak hat sich für ein Kopftuchverbot im<br />

Kindergarten ausgesprochen. Das halte<br />

ich für wichtig, weil Kinder nicht ausgegrenzt<br />

werden dürfen. Und was Erdogan<br />

betrifft: Die SPÖ spricht sich genauso


MIGRANTEN ALLER LÄNDER,<br />

VEREINIGT EUCH:<br />

Ethnisch zusammengestellte Politikparteien sind rar aber nicht<br />

ganz neu: In den 90er Jahren sorgt der geborene Istanbuler<br />

Adnan Dincer mit einer eigenen Liste bei den AK-Wahlen für ein<br />

Novum. „Neue Bewegung für die Zukunft“ erzielte einen Achtungserfolg<br />

und konnte in die Vollversammlung der Vorarlberger<br />

Arbeiterkammer einziehen. Bei den Nationalratswahl letztes Jahr<br />

rutschte die Liste mit 0,1% bundesweit in die<br />

Bedeutungslosigkeit. Einen Schritt weiter ist<br />

die „Denk“-Partei aus den Niederlanden. Die<br />

vorwiegend von türkischen Einwanderern<br />

gegründete Partei besetzt sogar drei Sitze<br />

(2,1% Stimmen) in der Zweiten Kammer des<br />

niederländischen Parlaments. Einer der Gründer,<br />

Tunahan Kuzu, kündigte im Juni an, 2024<br />

auch in Deutschland mit einer Migrantenliste antreten zu wollen.<br />

Die Liste „ALI“ (Alternative-Liste), die bei den Ìnnsbrucker<br />

Gemeinderatswahl im April angetreten ist (2,38%), hat einen<br />

türkischstämmigen Namen und Spitzenkandidaten. Der Ex-Grüne<br />

Mesut Onay sieht die Liste als keine reine Migrantenpartei, sondern<br />

als linkes Bündnis mit Fokus auf soziale Themen.<br />

Gördü im Gespräch mit dem Autor dieser<br />

Geschichte.<br />

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„<br />

Ich verstehe<br />

Migranten, die<br />

nicht wählen<br />

gehen.<br />

“<br />

Ist über den steigenden Rassismus<br />

in der Gesellschaft besorgt:<br />

Hamad Khaled<br />

Zuerst lesen, dann wählen ist das<br />

Motto der 26jährigen Aisha.<br />

gegen Orban in Ungarn, Salvini in Italien<br />

oder Wilders in Holland aus“, spricht<br />

der geborene Bosnier die zwei wesentlichen<br />

Streitpunkte an, die vor allem<br />

konservativen türkischstämmigen SPÖ-<br />

Wählern ein Dorn im Auge sind. Muamer<br />

Becirović, Obmann der Jungen ÖVP in<br />

Wien Fünfhaus, selbst gläubiger Muslim,<br />

versteht den wachsenden Unmut der vor<br />

allem muslimischen Menschen in Wien.<br />

„Mich sprechen unzählige Migranten an<br />

und erzählen, sie fühlen sich von keiner<br />

Partei vertreten. Sie würden für jedes<br />

Problem verantwortlich gemacht werden<br />

und die ÖVP befeuert das, leider. Das<br />

wird sich auch in Zukunft nicht ändern,<br />

was ein grober Fehler ist“, stimmt der<br />

22-jährige Jungpolitiker ungewohnt forsche<br />

Töne an. In Gegensatz zu Husagić<br />

glaubt er auch an den Erfolg einer<br />

Migrantenpartei: „Sie würden locker in<br />

den Landtag einziehen, wahrscheinlich<br />

sogar in den Nationalrat. Es ist ein verdammt<br />

großes Vakuum entstanden, das<br />

durch die Migrantenliste aufgefüllt werden<br />

würde“, so Becirović. Er hoffe noch<br />

immer, dass möglichst viele Migranten<br />

sich in die Politik trauen.<br />

Tatsächlich sind Menschen mit Migrationshintergrund<br />

in Österreichs Politik<br />

stark unterrepräsentiert. Im Nationalrat<br />

haben gerade sieben von <strong>18</strong>3 Abgeordneten<br />

einen migrantischen Background,<br />

im Wiener Landtag sind es derer sechs.<br />

Dazu zählen schon der englischstämmige<br />

David Ellensohn (Grüne) und der tsche-<br />

chischstämmige Peko Baxant (SPÖ).<br />

Immerhin stellt die SPÖ mit Saya Ahmed<br />

die Bezirksvorsteherin in Alsergrund.<br />

Der von vielen Muslimen geschätzte<br />

Ex-Kanzler Christian Kern zählt schon zur<br />

Polit-Geschichte.<br />

Zurück im Kent, Wien Favoriten. Gördüs<br />

Arbeitshandy hat während unseres<br />

Gesprächs die ganze Zeit den Tisch<br />

vibrieren lassen. „Ich muss jetzt da dran,<br />

habe ja noch einen normalen Job neben<br />

meiner politischen Aktivität“, so Gördü.<br />

Wie lange noch, das ist noch unklar. „Wir<br />

haben viel dazugelernt, das möchten wir<br />

nicht nur an die Migranten, sondern an<br />

die gesamte Gesellschaft zurückgeben.“<br />

Wenn das nicht schon nach Wahlkampf<br />

klingt. ●<br />

Shisha-Talk: Autor der Geschichte im Gespräch mit jungen Wienern in Favoriten.<br />

Marko Mestrović<br />

<strong>18</strong> / POLITIKA /


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Frau Rendi-Wagner,<br />

wie viele Menschen<br />

haben Sie geimpft?<br />

Wie viele Tage<br />

haben Sie<br />

überlegt, ob<br />

Sie die SPÖ<br />

übernehmen<br />

wollen?<br />

Wie viele<br />

Stunden<br />

brauchte Ihr<br />

Mann, um seine<br />

Zustimmung<br />

zu geben?<br />

Seit wie<br />

vielen Monaten<br />

sind Sie<br />

SPÖ-Mitglied?<br />

Interview in Zahlen:<br />

In der Politik wird schon genug<br />

geredet. Biber fragt in Worten, die<br />

neue SPÖ-Chefin Pamela Rendi-<br />

Wagner antwortet in Zahlen.<br />

3<br />

<strong>10</strong><br />

19<br />

Von Simon Kravagna, Fotos: Marko Mestrović<br />

Drei Tage hat Pamela Rendi-Wagner überlegt, ob sie<br />

Parteichefin der SPÖ werden will<br />

Zehn mal hat sich die neue SPÖ-Chefin bereits so<br />

richtig über Kanzler Kurz geärgert.<br />

Wie viel sollte<br />

jemand mit<br />

einem Fulltime-<br />

Job brutto<br />

mindestens<br />

verdienen?<br />

Auf einer Skala<br />

von 0 bis<br />

<strong>10</strong>0: Wie viele<br />

Meter links<br />

von der Mitte<br />

stehen Sie?<br />

Wie viele Male<br />

haben Sie sich<br />

richtig über<br />

Sebastian Kurz<br />

geärgert?<br />

Wie hoch<br />

sollte der<br />

Prozentanteil<br />

von Frauen in<br />

der Regierung<br />

sein?<br />

Wie hoch<br />

sollte der<br />

Prozentanteil<br />

von Frauen in<br />

Aufsichtsräten<br />

sein?<br />

1700<br />

49<br />

<strong>10</strong><br />

50<br />

50<br />

20 / POLITIKA /


Wie viele<br />

Parteien haben<br />

Sie in ihrem<br />

Leben bisher<br />

gewählt?<br />

Wie oft haben<br />

Sie als neue<br />

Parteichefin<br />

Sebastian<br />

Kurz ein SMS<br />

geschickt?<br />

Wie viele<br />

SMS hat<br />

Sebastian Kurz<br />

Ihnen retour<br />

geschickt?<br />

Wie viele<br />

namhafte<br />

Politiker gehen<br />

Ihnen auf die<br />

Nerven?<br />

Wie viele Euro<br />

verdienen Sie<br />

brutto als SPÖ-<br />

Klubobfrau?<br />

1<br />

1<br />

0<br />

5<br />

15.<strong>10</strong>8<br />

Nach ihrer Kür zur Parteichefin hat sie ihm trotzdem ein nettes<br />

SMS geschrieben …<br />

… leider hat der Kanzler Null SMS zurück geschickt.<br />

Hat er die Nachricht übersehen?<br />

In welchem<br />

Alter haben Sie<br />

am meisten an<br />

sich gezweifelt?<br />

Wie viele<br />

Jahre haben<br />

Sie als Ärztin<br />

gearbeitet?<br />

Wie viele<br />

Impfungen<br />

haben Sie dabei<br />

verabreicht?<br />

In welchem<br />

Bezirk in Wien<br />

haben Sie<br />

Ihre Kindheit<br />

verbracht?<br />

Wann haben<br />

Sie zuletzt<br />

getwittert?<br />

15<br />

8<br />

<strong>10</strong>.000<br />

<strong>10</strong>.<br />

25.1.2017<br />

/ POLITIKA / 21


„Ich war doch<br />

noch ein Kind“<br />

Mit 14 wird Ahsen gegen ihren Willen ihrem Großcousin versprochen.<br />

17 Jahre lang ist sie mit einem Mann verheiratet, der sie schlägt und<br />

vergewaltigt. Die Geschichte einer Frau, die zwangsverheiratet wurde.<br />

Text: Melisa Erkurt, Foto: Christoph Liebentritt<br />

Mama stimmt das wirklich?<br />

Mama, ich bin doch noch<br />

ein Kind, ich will zur Schule<br />

gehen, bitte Mama, mach<br />

es rückgängig.“ Ahsen erinnert sich noch<br />

genau an die Worte, mit denen sie ihre<br />

Mutter anflehte. An ihre Angst, ihr Zittern<br />

in der Stimme. „Wenn du nicht ja sagst,<br />

bist du nicht mehr meine Tochter“, sagt<br />

ihre Mutter damals nur und besiegelt<br />

damit Ahsens Schicksal. Ahsen ist zu<br />

dem Zeitpunkt 14 Jahre alt, lebt in der<br />

Türkei und muss gegen ihren Willen ihren<br />

sechs Jahre älteren Großcousin in einer<br />

Stadt in der Provinz Sivas heiraten.<br />

Heute ist Ahsen 53 Jahre alt und<br />

lebt in einem Gemeindebau in Wien. Sie<br />

blickt zurück auf ein Leben voller Gewalt,<br />

Zwang und Angst in ihrer Zwangsehe<br />

mit Mehmet*. Ahsen hat Jahrzehnte<br />

später endlich einen Weg gefunden, mit<br />

ihrem Schicksal umzugehen. Ein Schritt<br />

ist, öffentlich über das zu reden, was ihr<br />

angetan wurde. „Weil das heute noch<br />

immer so vielen Mädchen angetan wird“,<br />

sagt sie. Nur eine Bedingung hat Ahsen:<br />

„Nicht weinen“, sagt Ahsen, „nicht weinen<br />

bei meiner Geschichte“.<br />

Ende der 70er Jahre in einem Dorf in<br />

Anatolien, Ahsens Großcousin Mehmet*<br />

ist damals 20 und arbeitet in Österreich.<br />

Im Heimtaturlaub in der Türkei sieht er<br />

Ahsen, sie gefällt ihm, er sagt seiner<br />

Familie, dass sie eine Verlobung mit ihr<br />

in die Wege leiten soll. Das ist damals in<br />

der ländlichen Türkei durchaus üblich so.<br />

Ahsens Eltern werden daraufhin angesprochen,<br />

sie stimmen zu. „Sie haben<br />

geglaubt, dass sie mir damit ein besseres<br />

Leben in Österreich ermöglichen“, sagt<br />

Ahsen. Auch ihre Brüder und Schwestern<br />

reden auf Ahsen ein. Ihr Bruder droht<br />

ihr mit Gewalt, sollte sie sich weigern,<br />

Mehmet zu heiraten. Schließlich gehe es<br />

um die Familienehre, sie haben Mehmet<br />

ihr Wort gegeben. „Meine Familie war<br />

nicht strenggläubig, das Ganze hat nichts<br />

mit dem Islam zu tun, sondern mit der<br />

Familienehre“, sagt Ahsen. Deshalb<br />

muss es auch ihr Großcousin sein und<br />

auf keinen Fall jemand, der nicht zur<br />

Familie gehört: „Es musste in der Familie<br />

bleiben, einen Fremden hätten sie nie<br />

akzeptiert“, erzählt Ahsen. „Das ist für<br />

dich eine große Chance, du gehst nach<br />

Österreich“, sagt ihr ihre Schwester.<br />

Ahsen möchte glauben, was ihre Familie<br />

ihr sagt.<br />

„DU BIST IM HOCHZEITS-<br />

KLEID GEGANGEN UND<br />

KOMMST ERST IM SARG<br />

WIEDER ZURÜCK“<br />

Sie fängt an, sich ihr Leben schönzureden,<br />

sich mit dem Gedanken an ein<br />

Leben mit Mehmet zu arrangieren. Mit<br />

16 muss sie Mehmet offiziell heiraten,<br />

denn da können ihre Eltern für sie beim<br />

Standesamt unterschreiben, da sie noch<br />

nicht volljährig ist. Sie geht mit Mehmet<br />

nach Österreich. Kurz davor besorgt sie<br />

sich in der Türkei die Pille, sie will auf<br />

keinen Fall schwanger werden, sie ist<br />

ja selber noch ein Kind. Doch in Österreich<br />

verbietet Mehmet ihr die Pille zu<br />

nehmen. Zeitgleich fängt er an, sie zu<br />

schlagen, bei jeder Kleinigkeit rastet er<br />

aus. Mit 17 wird Ahsen mit ihrem ersten<br />

Kind schwanger. Ahsen ist aufgeregt,<br />

irgendwie freut sie sich aber auch auf<br />

das Kind, dann hat sie endlich jemanden,<br />

den sie liebt, dann ist sie endlich nicht<br />

mehr alleine. Doch sie wünscht sich<br />

eine gute Zukunft für sich und das Kind.<br />

„Ich habe mir daraufhin zuhause mithilfe<br />

eines Wörterbuchs Deutsch beigebracht,<br />

ich wollte unabhängig sein“, erzählt<br />

Ahsen. Sie fängt an als Hausbesorgerin<br />

zu arbeiten, das Geld, das sie dafür<br />

bekommt, nimmt Mehmet ihr sofort weg.<br />

Sie wohnen damals in einer 28<br />

Quadratmeter kleinen Wohnung in Wien.<br />

Ahsen verbringt die meiste Zeit alleine<br />

zuhause. „Er ist nach der Arbeit nach<br />

Hause gekommen, hat geduscht und<br />

ist dann ins Gasthaus. Und dann ist er<br />

irgendwann in der Nacht gekommen und<br />

hat mich vergewaltigt“, erzählt sie.<br />

Mehmet holt seine Mutter und seinen<br />

Bruder aus der Türkei in die kleine<br />

Wohnung nach. Ahsen ist <strong>18</strong> und mit<br />

dem zweiten Kind schwanger. Als sie<br />

Bedenken darüber äußert, ob sie zu<br />

sechst genug Platz haben werden,<br />

schlägt Mehmet Ahsen. Er schlägt sie<br />

auch vor seiner Mutter, die zusieht und<br />

das toleriert. Er schlägt sie sogar, als<br />

sie hochschwanger ist. Ahsen fleht ihre<br />

22 / POLITIKA /


POLITIKA / 23


Eltern an, zurückkommen zu dürfen. „Du<br />

bist im Hochzeitskleid gegangen und<br />

kommst erst im Sarg wieder zurück“,<br />

sagt ihr Vater. Das ganze Geld, das<br />

Ahsen verdient, bekommt sie nie zu<br />

Gesicht. Mehmet gibt ihr nichts, sie<br />

muss sich ihre Kleidung umnähen, weil<br />

sie kein Geld für Umstandsmode hat.<br />

Weil Mehmet keine Waschmaschine<br />

kaufen will, muss Ahsen die Kleidung der<br />

ganzen Familie, auch die ihrer Schwiegermutter<br />

und ihres Schwagers mit<br />

der Hand waschen. „Eine Frau hat die<br />

Hausarbeit zu machen, sie braucht keine<br />

Waschmaschine“, sagt Mehmet.<br />

„RETTE DEINE KINDER!“<br />

Immer wieder unterbricht Ahsen ihre<br />

Erzählungen, um sich eine Zigarette<br />

anzuzünden. „Wieso bin ich damals nicht<br />

ins Frauenhaus gegangen?“, sagt sie. Die<br />

Nachbarn sehen Ahsen damals oft mit<br />

blauen Flecken und blutenden Lippen,<br />

keiner sagt etwas. Eines Tages drückt<br />

ihr ihre Nachbarin ein Sparbuch in die<br />

Hand: „Nimm dir eine neue Wohnung, so<br />

kann es nicht weitergehen. Rette deine<br />

Kinder.“ Ahsen hat mittlerweile fünf<br />

Kinder, sie leben alle in der winzigen,<br />

kalten Wohnung. Doch Ahsen schafft<br />

es nicht, die Wohnung alleine mit ihren<br />

Kindern zu beziehen, Mehmet kommt<br />

mit. „Die Kinder haben ihn so geliebt“,<br />

sagt sie. Nach außen hin ist Mehmet<br />

ein sympathischer Mann, ein fröhlicher<br />

Vater. Er kümmert sich zwar wenig um<br />

die Kinder, weil er selten zuhause ist,<br />

doch die Kinder lieben ihren Baba. Vor<br />

ihnen versteckt Ahsen ihre Gefühle,<br />

ihre Angst vor ihrem Mann. Sie schreit<br />

nicht, wenn er sie nachts vergewaltigt,<br />

sie bleibt stumm, wenn er sie schlägt:<br />

„Ich wollte den Kindern nicht ihr Bild von<br />

ihrem Vater zerstören“, sagt sie. Mehmet<br />

schließt auf ihren Namen Verträge ab,<br />

macht Schulden in Ahsens Namen. „Er<br />

hat für alles Geld ausgegeben, nur bei<br />

den Kindern und mir hat er gespart.“<br />

Als er sich weigert, der Tochter Geld zu<br />

geben, damit diese auf einen Schulausflug<br />

mitfahren kann, reicht es Ahsen. Sie<br />

wirft seine Kleidung aus dem Fenster.<br />

Daraufhin taucht er tatsächlich eine<br />

Zeit lang nicht auf. Irgendwann klopft er<br />

wieder an der Tür, die Kinder lassen ihn<br />

rein, sie dachten, die Eltern hätten einen<br />

harmlosen Streit gehabt. „Mama, verzeih<br />

ihm – für mich“, , fleht ihre jüngste<br />

Tochter sie an. „Meine Kinder sind meine<br />

Goldstücke, mein Ein und Alles. Irgendwie<br />

habe ich Mehmet geliebt, ohne ihn<br />

hätte ich diese Kinder nicht“, sagt Ahsen.<br />

Also gibt sie nach.<br />

Doch dann schlägt er erstmals ihren<br />

Sohn. Da reicht Ahsen die Scheidung<br />

ein, sie muss den Kindern ihr Bild von<br />

ihrem Vater nicht zerstören, er hat es<br />

selbst getan – das erkennt sie jetzt. Im<br />

Jahr 2000 ist sie endlich offiziell geschieden.<br />

Doch sie weiß, dass Mehmet sie<br />

nicht einfach so in Ruhe lassen wird. Sie<br />

kann nachts deshalb nicht schlafen, hat<br />

Herzrasen. Sie geht zum Arzt, sagt, dass<br />

es ihr nicht gutgeht: „Mein Gehirn ist<br />

krank, schicken sie mich auf die Baumgartner<br />

Höhe!“ (Anm. d. Red.: sozialmedizinisches<br />

Zentrum in Wien), schreit sie.<br />

Dann wird alles schwarz. Ahsen erinnert<br />

sich nur noch, wie sie aufwacht und<br />

nicht weiß, wo sie ist. „Sie haben zwei<br />

Wochen geschlafen“, sagt ihr der Mann,<br />

der sich im Raum befindet. Er ist Arzt.<br />

Ahsen befindet sich auf der Intensivstation<br />

der Baumgartner Höhe. „Sie hatten<br />

einen Nervenzusammenbruch“, erklärt<br />

der Arzt.<br />

„VERZEIH MIR!“<br />

Da beginnt Ahsen zu verstehen. Das<br />

Herzrasen, die Schlafstörungen – ihre<br />

Psyche konnte schon lange nicht mehr,<br />

jetzt ist auch der Körper an seine Grenzen<br />

gestoßen. „Wenn Sie wieder zu<br />

ihrem Mann zurückgehen, werden Sie<br />

nie gesund“, sagt ihr der Doktor. „Das<br />

können Sie Ihren Kindern nicht antun.“<br />

Ihre Kinder, ihre Goldstücke. Ahsen sucht<br />

das Gespräch mit Mehmet, sagt ihm,<br />

dass er sie in Ruhe lassen muss. Er weint<br />

und steht ein paar Tage später trotzdem<br />

vor ihrer Tür. Ahsen denkt an ihre Kinder,<br />

an die Worte ihres Arztes, dann ruft<br />

sie die Polizei, das hätte sie schon vor<br />

Jahren machen sollen. Laut polizeilichem<br />

Beschluss darf Mehmet sich ihr ab jetzt<br />

nicht weiter als 200 Meter nähern.<br />

Mehmet begreift, wie ernst es seiner Ex-<br />

Frau ist, er taucht unter, niemand weiß,<br />

wo er ist. Gleichzeitig heißt das aber<br />

auch, dass er keine Alimente zahlt. Doch<br />

Ahsen ist das egal, Hauptsache sie und<br />

ihre Kinder haben endlich ihre Ruhe –<br />

nach 17 Jahren Zwangsehe.<br />

Ahsen sagt heute, sie habe mit ihrer<br />

Vergangenheit abgeschlossen, Frieden<br />

gefunden. Sogar ihren Eltern, die sie<br />

mit 14 zwangsverheiratet haben, hat sie<br />

verziehen: „Meine Mutter ist 1997 an<br />

Krebs erkrankt.“ Am Sterbebett richtet<br />

sie ihre letzten Worte an Ahsen: „Verzeih<br />

mir bitte“, fleht sie Ahsen an. „Verzeih<br />

mir.“ Und Ahsen verzeiht ihr. „Ich muss<br />

verzeihen, für mich, sonst könnte ich<br />

nicht weiterleben.“ Zu ihrer restlichen<br />

Familie hat sie trotzdem keinen Kontakt<br />

mehr. Ihre Kraft schöpft sie aus der Religion:<br />

„Früher habe ich gedacht, dass das<br />

mein Schicksal ist, dass ich mit diesem<br />

Mann zusammenbleiben muss. Heute<br />

weiß ich: Allah hat mich erschaffen, nicht<br />

er.“ Ahsen und ihre Kinder waren auch<br />

in psychologischer Betreuung. Ihr ist es<br />

wichtig, dass ihre vier Töchter - ihr Sohn<br />

ist bei einem Unfall ums Leben gekommen<br />

- studieren. Stolz zeigt sie das<br />

Uni-Diplom ihrer ältesten Tochter. „Ich<br />

habe ihnen beigebracht, nein zu sagen,<br />

dass sie sich jederzeit von ihrem Partner<br />

scheiden lassen können, dass das keine<br />

Schande ist und dass Bildung das Wichtigste<br />

ist, das macht unabhängig“, sagt<br />

Ahsen. „Bei der Sponsionsfeier hat meine<br />

Tochter gesagt ‚Das ist für Mama‘“,<br />

erzählt Ahsen stolz. Sie hätte damals<br />

auch gerne die Schule abgeschlossen,<br />

vielleicht sogar wie ihre Töchter studiert.<br />

„Ich war doch noch ein Kind“, sagt<br />

Ahsen und dann weint sie doch. ●<br />

HILFSANGEBOTE BEI<br />

ZWANGS- UND FRÜHHEIRAT<br />

IN ÖSTERREICH:<br />

Orient Express<br />

Beratungs-,Bildungs- und Kulturinitiative<br />

für Frauen<br />

Frauenservicestelle<br />

Tel.: +43 1 72 89 725<br />

Wiener Interventionsstelle<br />

gegen Gewalt in der Familie<br />

Tel.: +43 1 58 53 288<br />

24-Stunden-Frauennotruf<br />

Notrufstelle für Mädchen und<br />

Frauen, die Betroffene von Gewalt<br />

wurden<br />

Tel.: +43 1 71 71 9<br />

Frauenhaus Notruf<br />

Tel.: 05 77 22<br />

24 / POLITIKA /


ereitgestellt<br />

ZWANGSHEIRAT WIRD DURCH<br />

DIE FLÜCHTLINGSWELLE AN<br />

RELEVANZ GEWINNEN<br />

Dr. Monika Potkanski-Palka<br />

untersucht in ihrer Studie „…da<br />

war keine Liebe – Zwangsheirat<br />

und geschlechtsbezogene<br />

Gewalt in Österreich“ Zwangsheirat<br />

in Österreich. Gründe<br />

für Zwangheirat sind laut ihrer<br />

Studienergebnisse u.a. die Aufrechterhaltung<br />

der Familienehre<br />

sowie die Jungfräulichkeit der<br />

weiblichen Familienmitglieder. Die qualitative Studie basiert<br />

auf Interviews mit Expertinnen österreichischer Frauenhäuser<br />

und Schutzeinrichtungen sowie auf Gesprächen mit betroffenen<br />

und bedrohten Frauen.<br />

Aus den Gesprächen mit den Frauen geht hervor, dass die<br />

Eheanbahnung sehr rasch erfolgt. Die Eheschließung wird<br />

im Ausland vollzogen, in den meisten Fällen immigriert der<br />

Ehepartner später nach Österreich. Widersetzt sich ein Mädchen<br />

der Entscheidung zu heiraten, erfährt sie physische und<br />

psychische Gewalt. Österreichische Institutionen fungieren<br />

als wichtige Andockpunkte, wo die Mädchen und Frauen<br />

Hilfe und Informationen erhalten.<br />

Zwangsheirat ist eine Form geschlechtsbezogener Gewalt,<br />

die in kulturellen Kontexten vorkommt, in denen patriarchalische<br />

Sitten und Gebräuche eine starke Verwurzelung finden<br />

und in denen Mädchen und Frauen diskriminiert, unterdrückt<br />

und benachteiligt werden. Eine unter Zwang herbeigeführte<br />

Heirat lässt sich nicht auf religiöse Praktiken zurückführen,<br />

sondern findet ihre Legitimation in tradierten Bräuchen<br />

und Lebensweisen. In Österreich ist Zwangsheirat seit dem<br />

1.1.2016 als eigener Tatbestand festgelegt. Statistiken,<br />

die Einblick darüber geben, wie viele Frauen in Österreich<br />

von Zwangsheirat betroffen sind, gibt es allerdings nicht.<br />

Zwangsheirat wird jedoch in den kommenden Jahren an<br />

Relevanz gewinnen, was u.a. mit den verstärkten Flüchtlingswellen<br />

der vergangenen Jahre aus vorwiegend Syrien und<br />

anderen arabischsprachigen Ländern erklärt werden kann.<br />

Einer der Gründe, nach Österreich zu fliehen, sei die Möglichkeit<br />

der Scheidung vom Ehemann. Frauenrechte und die<br />

Chance, ein freies und selbstbestimmtes Leben in Österreich<br />

führen zu können, unterstützen die Entscheidung zur Flucht.<br />

Die Studie über Zwangsheirat ist aktuell diesen September erschienen.<br />

Dr. Monika Potkanski-Palka ist selbstständige Soziologin. Ihre wissenschaftlichen<br />

Schwerpunkte liegen im Bereich der Familien- und Jugendforschung,<br />

intergenerative Beziehungen, Migration sowie Gender. Mit der<br />

Thematik der Zwangsheirat befasst sie sich seit 2012, hierzu forschte sie<br />

nicht nur im deutschsprachigen Raum, sondern auch in Indien. Neben<br />

ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit engagiert sie sich für Frauen- und<br />

Menschenrechte.<br />

Kontakt: monika.potkanski@gmail.com<br />

wgkk.at<br />

www.wgkk.at<br />

Die WGKK in den sozialen Medien – wir informieren vielseitig!<br />

Die WGKK ist auf Facebook!<br />

Wir wollen informieren, Service<br />

bieten und spannende Geschichten<br />

aus der Wiener Gebietskrankenkasse<br />

(WGKK) erzählen und freuen uns auf<br />

Ihr „Gefällt mir“!<br />

Wenn Sie Fragen oder Anregungen<br />

haben, schicken Sie uns gerne eine<br />

Nachricht!<br />

https://www.facebook.com/wgkk.at


Jide Macaulay ist offen schwul, Pastor und aus Nigeria.<br />

Ishmael Sbulele Bahati lebt in Kenia, ist Imam und<br />

ebenfalls homosexuell. Beide finden, dass ihre<br />

Sexualität und Religion problemlos vereinbar sind<br />

und auch Wien liberale Gotteshäuser braucht.<br />

Von: Emir Dizdarević, Fotos: Christoph Liebentritt, Mitarbeit: Aleksandra Tulej<br />

„GOTT<br />

VEREHRT<br />

UNS“<br />

<strong>BIBER</strong>: Wann habt ihr gemerkt, dass ihr schwul seid?<br />

JIDE MACAULAY: Bei mir war es, als ich zwischen sechs<br />

und dreizehn Jahre alt war. Ich war immer eifersüchtig,<br />

wenn ein Junge eine Freundin hatte. Ich wollte dann immer<br />

das Mädchen sein. In meiner Kultur in Nigeria haben wir<br />

kein Wort für schwul, also war es für mich schwierig, meine<br />

Gefühle einzuordnen. Aber es wussten eigentlich immer alle<br />

um mich herum. Ich kann mich erinnern, als ich neun Jahre<br />

alt war und mich meine Großmutter angegriffen hat, ihre<br />

Faust ballte, mir auf die Brust schlug und sagte: „Steh wie<br />

ein Junge“.<br />

ISHMAEL SBULELE BAHATI: Ich weiß es schon mein ganzes<br />

Leben lang.<br />

Wissen deine Eltern, dass du schwul bist, Ishmael?<br />

ISHMAEL SBULELE BAHATI: Ich wurde von anderen geoutet,<br />

aber habe die Chance gleich genützt. Als sie es erfuhren,<br />

wurde ein Familienrat einberufen, wo sie dann über mich<br />

sprachen. Wir haben in meiner Kultur in Kenia auch kein<br />

Wort für schwul und so hieß es nach dem Treffen, ich hätte<br />

mich in eine Frau verwandelt. Ich habe gesagt, dass das so<br />

nicht stimmt und ich Männer statt Frauen liebe. Heute lebe<br />

ich offen schwul, alle wissen es und ich gebe auch Interviews<br />

im Fernsehen, wo ich darüber rede.<br />

Gab es Widerstände durch deine Familie?<br />

ISHMAEL SBULELE BAHATI: Als ich 19 Jahre alt war, sind<br />

zwei meiner Cousins mit drei Mädchen zu mir heim in mein<br />

Zimmer gekommen. Sie haben mich unter Druck gesetzt mit<br />

einem der Mädchen zu schlafen. Und ich habe es gemacht.<br />

Ich hatte davor noch nie mit jemandem Sex. Aber ich wollte<br />

einfach dazugehören und meine Cousins zufriedenstellen.<br />

Leider wurde das Mädchen dann schwanger von mir und<br />

bekam Zwillinge, ein Mädchen und einen Jungen. Ich habe<br />

sie mit den Jahren kennengelernt. Sie haben auch Zeit mit<br />

mir und meinem Freund verbracht. Ich wollte, dass meine<br />

Kinder das von mir erfahren und nicht durch wen anderen.<br />

Wie war das bei dir und deiner Familie, Jide?<br />

JIDE MACAULAY: Ich bin sehr religiös aufgewachsen,<br />

meine Eltern haben sich aber getrennt, als ich 14 Jahre alt<br />

war. Mein Vater ist der Direktor der zweitgrößten theologischen<br />

Universität in Nigeria, der „United by University“. Er<br />

ist extrem konservativ. Von meiner Homosexualität haben<br />

meine Eltern erst erfahren, als ich bereits in London gelebt<br />

habe. Meine Mutter hat es positiv aufgenommen, mein Vater<br />

negativ.<br />

Wie hast du in London mit deiner Homosexualität gelebt?<br />

JIDE MACAULAY: Als ich mit <strong>18</strong> nach London gezogen bin,<br />

habe ich versucht, mein nigerianisches Leben fortzuführen.<br />

Ich habe mit mir gekämpft, ich wollte nicht schwul sein. Ich<br />

habe 40 Tage gefastet und gebetet und zu Gott gesagt:<br />

„Gib mir eine Freundin“. Und nach den 40 Tagen bin ich<br />

26 / RAMBAZAMBA /


Jide Macaulay (links), Pastor<br />

aus Nigeria, Ishmael Sbulele<br />

Bahati (rechts), Imam aus<br />

Kenia, sind beide offen<br />

homosexuell.<br />

/ RAMBAZAMBA / 27


Jide Macaulay: „Ich sehe Gott anders und ich will, dass LGBT-Menschen<br />

Gott als etwas Schönes sehen, das uns in seiner Mitte aufnimmt.“<br />

einem Mädchen in der Kirche begegnet und habe sie einfach<br />

gefragt, ob sie meine Freundin sein möchte. Und sie hat „Ja“<br />

gesagt. Vier Jahre später haben wir geheiratet und einen<br />

Sohn zusammen bekommen. Die Ehe hat wegen meiner<br />

Sexualität aber nicht funktioniert.<br />

Wie hat die Kirchengemeinschaft eure Scheidung aufgenommen?<br />

JIDE MACAULAY: Als ich mich geoutet habe, bin ich von<br />

meiner Gemeinschaft geächtet worden. Ich bin dann zwei<br />

Jahre nicht mehr in die Kirche<br />

gegangen und habe mir in der<br />

Zwischenzeit einen LGBT-Freundeskreis*<br />

aufgebaut. 1996 bin<br />

ich wieder in eine andere Kirche<br />

gegangen. Ich habe den Menschen<br />

in der Kirche nicht erzählt, dass<br />

ich schwul bin, aber auch meinen<br />

schwulen Freunden nichts davon<br />

gesagt, dass ich in die Kirche<br />

gehe. Ich habe mich zwischen zwei<br />

Welten bewegt und war in beiden<br />

unglücklich.<br />

Wie lange ging das gut?<br />

JIDE MACAULAY: Nach vier Jahren<br />

haben die Kirchenbesucher<br />

„<br />

Ich kann mich erinnern,<br />

als ich neun Jahre alt<br />

war und mich meine<br />

Großmutter angegriffen<br />

hat, ihre Faust ballte,<br />

mir auf die Brust schlug<br />

und sagte: „Steh wie ein<br />

Junge“.<br />

“<br />

28 / RAMBAZAMBA /<br />

herausgefunden, dass ich schwul bin. Sie haben versucht,<br />

mich zu exorzieren. Das war schmerzhaft. Sie haben mich<br />

kontrolliert, missbraucht, geschlagen. Ich habe mitgemacht,<br />

weil ich gehofft habe, dass ich im Unrecht bin und sie es<br />

besser wissen. Das habe ich sechs Wochen lang mitgemacht,<br />

schließlich hatte ich genug Mut gesammelt und habe<br />

die Kirche verlassen.<br />

Wie war das bei dir und deiner muslimischen Glaubensgemeinschaft,<br />

Ishmael?<br />

ISHMAEL SBULELE BAHATI: Ich<br />

habe mich nicht unwohl mit meiner<br />

Sexualität gefühlt, sondern mehr<br />

mit der Tatsache, dass ich eine<br />

Schande für meine Familie bin. Ich<br />

habe dreimal versucht mich umzubringen,<br />

aber jedes Mal überlebt.<br />

Ich habe mich dann zurückgezogen<br />

und alles gelesen, was ich in die<br />

Hände bekommen habe. Die Bibel,<br />

den Koran, und so weiter.<br />

Wie bist du dann zur Religion<br />

gekommen?<br />

ISHMAEL SBULELE BAHATI: Das<br />

war dann erst 2012. Ich habe<br />

einen Imam kennengelernt, der


#LOYAL<br />

#PERSÖNLICH<br />

#KREATIV<br />

#DIVERSITÄT<br />

#WIRSINDANDERS<br />

Wir könnten Euch jetzt erzählen, was für eine große, tolle Anwaltskanzlei<br />

wir sind und wie oft wir bereits ausgezeichnet wurden – doch damit<br />

wollen wir Euch nicht langweilen.<br />

Wir sind anders. Wir leben Diversität nach innen und nach außen.<br />

Und bei uns haben nicht nur Männer die Hosen an.<br />

Hanita Veljan<br />

Rechtsanwältin und<br />

gebürtige Bosnierin<br />

Ihr habt Fragen an uns?<br />

Kontaktiert uns auf<br />

www.phh.at / veljan@phh.at


tiefreligiös aber auch offen schwul war. Er hatte sogar Kinder.<br />

Ich habe mich einfach in ihm gesehen. In einem Seminar<br />

habe ich dann vom Konzept der „Versöhnung“ gehört, nach<br />

dem du Religion und Sexualität vereinen kannst. Das war<br />

2014 und ein absoluter Wendepunkt für mich. Ich habe dann<br />

bei einem Programm mitgemacht, das drei Monate gedauert<br />

hat. Du musst da wirklich hart an dir arbeiten, an deinem<br />

Glauben arbeiten und den Glauben auch praktizieren. Das<br />

war der Punkt, wo ich das Gefühl hatte, mich selbst gefunden<br />

zu haben.<br />

Wie reagierte das religiöse Umfeld darauf?<br />

ISHMAEL SBULELE BAHATI: 2014<br />

hatte ich angefangen über Religion<br />

und Sexualität zu reden und das<br />

wurde dann gefährlich. Die religiösen<br />

Führer meinten, ich sei ein<br />

„Rebell“. Ein Rebell, in dem Sinne,<br />

dass ich nach meiner Ausbildung<br />

verstand, wie sie denken und das<br />

jetzt gegen sie verwenden konnte.<br />

Wann bist du wieder zum christlichen<br />

Glauben zurück, Jide?<br />

JIDE MACAULAY: Ich hatte Gäste<br />

aus Südafrika bei mir zu Besuch<br />

in London und sie haben mich<br />

immer wieder in eine Kirche eingeladen,<br />

von der sie meinten, sie<br />

sei anders, inklusiver als andere<br />

Kirchen. Das war die Metropolitan<br />

Community Church, die 1986 von<br />

einem schwulen Mann im Jahr<br />

1968 gegründet wurde. Ich habe<br />

dort zwei Jahre lang meine Ausbildung zum Pastor gemacht<br />

und bin dann 2005 nach Nigeria, um die erste Kirche für<br />

LGBT zu gründen – House of Rainbow.<br />

Aber sind Religion und Homosexualität nun miteinander<br />

vereinbar?<br />

JIDE MACAULAY: Ich glaube fest daran, dass Schwulsein<br />

bedeutet, dass Gott uns verehrt. Es ist mir egal, wenn<br />

andere sagen „Gott wird dich bestrafen, Gott wird dich<br />

zurücklassen.“ Ich sehe keinen Gott, der das seiner eigenen<br />

Schöpfung antut. Ich sehe Gott anders und ich will, dass<br />

LGBT Gott als etwas Schönes sehen, das uns in seiner Mitte<br />

aufnimmt. Die Kirche hat uns angelogen, uns unserer Freiheit<br />

„<br />

Sie haben versucht,<br />

mich zu exorzieren. Das<br />

war schmerzhaft. Sie<br />

haben mich kontrolliert,<br />

missbraucht, geschlagen<br />

und sie waren einfach<br />

bösartig. Ich habe<br />

mitgemacht, weil ich<br />

gehofft habe, dass ich<br />

im Unrecht bin und sie<br />

es besser wissen.<br />

“<br />

beraubt, uns erniedrigt. Aber Gott macht keine Fehler. Wir<br />

müssen einfach lernen, mit der Vielfalt seiner Schöpfung<br />

umzugehen.<br />

Wie siehst du das, Ishmael?<br />

ISHMAEL SBULELE BAHATI: Mir haben die Geschichten des<br />

Propheten Mohamed geholfen. Da gibt es zum Beispiel die<br />

Geschichte der Mukhannath. Das waren Männer, die in den<br />

Frauenvierteln erlaubt waren, weil sie keine Begierde nach<br />

Frauen hatten und damit keine Gefahr darstellten. Es gibt<br />

auch andere Geschichten, in der eine wütende Masse eine<br />

transsexuelle Frau zum Propheten bringt, die er bestrafen<br />

soll. Er aber sagt, dass er niemanden<br />

bestrafen kann, der zu<br />

Allah betet. Es gibt viele Geschichten,<br />

in denen LGBT auftauchen –<br />

selbst unter besten Freunden des<br />

Propheten.<br />

Glaubt ihr, dass liberale Gotteshäuser<br />

auch in Wien notwendig sind?<br />

JIDE MACAULAY: Ich glaube, dazu<br />

bräuchte es progressive Kräfte, die<br />

hungrig nach Veränderung sind.<br />

Jene LGBT, die Pastoren werden<br />

wollen, müssen sich dafür einsetzen.<br />

Sie müssen das Denken<br />

innerhalb der Religion verändern.<br />

Solche Veränderungen gehen<br />

langsam. Man muss sich mal<br />

vorstellen, dass Christen Hunderte<br />

von Jahren gebraucht haben,<br />

um schwarze Menschen nicht als<br />

Sklaven zu sehen.<br />

ISHMAEL SBULELE BAHATI: Es gibt dazu eine Stelle im<br />

Koran, die ich besonders mag. Am letzten Tag werden<br />

Allahs Engel den Menschen Folgendes fragen: „Wie war die<br />

Welt für dich?“ Und die Menschen werden sagen, dass sie<br />

unterdrückt wurden und deshalb nicht beten konnten. Und<br />

dann wird der Prophet Mohamed sagen: „Ist die Welt, die<br />

Allah geschaffen hat, nicht groß genug, damit du dich in ihr<br />

bewegen kannst?“ Ich interpretiere das so, dass wenn du<br />

keinen Platz in der Mainstream-Religion hast, du nach einem<br />

anderen Ort und neuen Leuten suchen musst. Ich glaube<br />

übrigens auch, dass wir die religiösen Führer zu diesen,<br />

unseren Orten einladen sollten, damit sie verstehen, dass wir<br />

keine Dämonen sind. ●<br />

JIDE MACAULAY:<br />

52, Beruf: Pastor, Gründer von<br />

House of Rainbow, Besonderes:<br />

liebt Reisen und hat schon 39<br />

Länder besucht.<br />

Jide Macaulay und Ishmael Sbulele Bahati wurden von<br />

Afro Rainbow Austria (ARA) im Rahmen der Wienwoche<br />

eingeladen. ARA ist Wiens erste NGO von und für<br />

Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans und Intersexuelle<br />

Menschen aus afrikanischen Ländern, die in Österreich<br />

leben. Mehr Infos zu ARA findet ihr hier:<br />

https://afrorainbow.at/<br />

ISHMAEL SBULELE BAHATI:<br />

42, Beruf: Imam, Kenia,<br />

Besonderes: Lieblingshobby:<br />

Browsen im Internet.<br />

30 / RAMBAZAMBA /


*Beim Kauf eines Kuchens (ausgenommen Cookies und Croissants) in Kombination mit einem Heißgetränk regular oder grande erhältst du eine der oben abgebildeten Tassen gratis. Diese Promotion ist eine Aktion der McDonald’s Werbeges.m.b.H.<br />

Die Tassen werden hierfür von der McDonald’s Werbeges.m.b.H. zur Verfügung gestellt. Solange der Vorrat reicht. In allen teilnehmenden Restaurants mit McCafé. © 20<strong>18</strong> McDonald’s.<br />

Hol dir jetzt eine von 4 neuen Tassen!


UNSER<br />

1.<br />

KIND<br />

Das Leben der biber-Vizechefs<br />

Delna Antia und Amar<br />

Rajkovic, sowie der Chefkolumnistin<br />

Ivana Cucujkic<br />

hat sich seit der Geburt des<br />

ersten Kindes schlagartig<br />

verändert. Drei Geschichten<br />

über ergonomische Schnuller,<br />

Busenobsessionen und Babyphone<br />

als Militärinstrument.<br />

Fotos: Marko Mestrović<br />

32 / RAMBAZAMBA /


Die Ehrfurcht,<br />

mein Busen und ich<br />

Delna Antia-Tatić<br />

Mein Sohn ist <strong>10</strong> Monate alt, er<br />

trägt Schuhgröße 22, besitzt<br />

7 Zähne und gerade besucht<br />

er mit seinem Vater einen „Pikler“-Krabbelkurs.<br />

Mein Sohn ist mein erstes Kind<br />

und ich könnte jede Seite dieses Bibers<br />

mit ihm füllen. Denn es gibt nichts Spannenderes<br />

auf der Welt als ihn. Bloß weiß<br />

ich nicht, ob euch das alles interessiert?<br />

Etwa ob er heute Früh schon gekackt hat<br />

und wie viel, ob er gut gegessen hat und<br />

wie viel und ob ihm eh nicht kalt ist. Oder<br />

zu heiß? Ich könnte euch auch erzählen,<br />

dass er der größte Busenfreund ist<br />

und wir ihn Nuckelkönig nannten, dass<br />

er rasend wütend wird, wenn er etwas<br />

nicht will, aber muss (wie wickeln), und<br />

dass er am allerliebsten an Kinderwagenreifen<br />

lutscht. Zum Geburtstag wünscht<br />

er sich seine eigene Waschmaschine<br />

und in meiner Nase zu bohren beruhigt<br />

ihn. Mein Sohn hat mein Leben (und die<br />

Wohnung) auf den Kopf gestellt und ich<br />

liebe ihn einmal zum Himmel und zurück<br />

bis in die Unendlichkeit. Denn er ist der<br />

süßeste Sohn der Welt.<br />

So, das zu ihm. Nun zu mir. Denn<br />

davon möchte ich erzählen, vom Mamasein.<br />

Es ist nämlich gar nicht so süß wie<br />

gedacht. Wusstet ihr, dass Babys nicht<br />

naturgemäß niedlich im Stubenwagen<br />

schlafen, während Mama rundherum<br />

alles schupft? Ich war überrascht – vor<br />

allem darüber, wie wenig ich schupfe.<br />

(Grenzenlos naiv hatte ich ja geplant,<br />

während meiner Karenz den Doktor zu<br />

machen. LOLLL!) Nun, dafür lerne ich<br />

anderes:<br />

Aufgabe, die es gibt. Was dazu führt,<br />

dass ich in ständiger (Für-)Sorge bin<br />

und tendenziell angespannt. Selbst in<br />

Momenten scheinbarer Pause, etwa<br />

nachts, schrecke ich hoch und kontrolliere:<br />

Zugedeckt, warmer Nacken bzw. eh<br />

kein Fieber – und liegt er überhaupt noch<br />

im Bett? Tagsüber muss ich aufpassen,<br />

dass er nicht stürzt, Finger einklemmt,<br />

in Kabel beißt oder an Heizungsrohren<br />

nuckelt. Zwischendurch natürlich füttern,<br />

hoppern, wickeln und es ist wohl kein<br />

Wunder, dass ich auf die Frage „Wie geht<br />

„Das Mama-Sein ist<br />

gar nicht so süß wie<br />

gedacht“, wundert<br />

sich Delna.<br />

es Dir?“ oft keine Antwort weiß. „Mir?<br />

Ich? Wer soll das bitteschön sein?“<br />

DIE DANKBARKEIT<br />

Mein „Ich“ ist bescheiden geworden.<br />

Als ich etwa das erste Mal wieder auf<br />

dem Bauch einschlief, empfand ich ein<br />

geradezu berauschendes Glücksgefühl.<br />

Nicht nur die Schwangerschaft hatte<br />

mich daran gehindert, auch mein Baby.<br />

Es schlief nämlich selbst am liebsten<br />

auf meinem Bauch, bzw. die ersten acht<br />

Wochen ausschließlich dort. Ähnlich<br />

empfand ich damals tiefe Dankbarkeit,<br />

wenn ich mit geschlossener Tür aufs Klo<br />

gehen konnte oder „ganz normal“ am<br />

Tisch aß und nicht in meiner Sofastillecke<br />

(ich nannte sie Babyknast) gefüttert<br />

werden musste. Überhaupt, essen,<br />

trinken, duschen, all das wird zum<br />

DIE EHRFURCHT<br />

„Das ist unser Sohn, kannst du es<br />

glauben?“. Mein Mann sagt oft diese<br />

Worte, meistens wenn Darian schläft.<br />

Dann schauen wir uns an und kichern<br />

selig berührt vor lauter Ehrfurcht über<br />

unser Wunder des Lebens. Verantwortlich<br />

zu sein, dass ein anderer Mensch<br />

lebt, gut und glücklich, ist die größte<br />

/ RAMBAZAMBA / 33


Wenn Darian sich nicht<br />

mehr einkriegt, dann<br />

spielt die Mami mit den<br />

Halteschlaufen in der Bim,<br />

um ihn zu unterhalten.<br />

Luxusmoment, Haare waschen gleicht<br />

einem Wellnessprogramm. Selbst heute,<br />

Monate später und total erwachsen, ist<br />

jede U-Bahnfahrt, die ich alleine unternehme,<br />

ein Kurzurlaub. Einfach zu sitzen<br />

und ins Handy zu starren, ohne ständig<br />

in Habachtstellung zu sein: Ist er müde,<br />

ist ihm fad, weint er bitte nicht, weil ein<br />

Mann ihn anlächelt...<br />

DIE WURSCHTIGKEIT<br />

Andererseits, soll er doch! Babys weinen<br />

nun mal, sie schreien und brüllen. Mir<br />

wird dann zwar heiß, aber ich habe<br />

einen eingespielten Aktionsmodus:<br />

Ich singe laut das Benjamin Blümchen<br />

Lied, ich spiele enthusiastisch mit den<br />

Halteschlaufen der Wiener Linien (aus<br />

Kinderwagenperspektive wackeln sie<br />

wie tolle Mobiles), ich bugsiere das sich<br />

aufbäumende Kind in die Bauchtrage und<br />

schnaufe wie eine Lokomotive gleichmäßig<br />

wippend „Sch, sch, sch“. Und zur<br />

Not, wenn gar nichts mehr geht, dann<br />

pack ich aus: Brüste raus, kein Problem.<br />

Egal ob in der U-Bahn, beim Chef oder<br />

sonst wo, ich stille überall und in jeder<br />

Lebenssituation. Ob stehend, gehend<br />

oder im Auto: Ich kann jede einzelne ins<br />

Maxi-Cosi halten und andocken. Was<br />

die anderen sagen oder denken: Is mir<br />

wuarscht.<br />

DER BUSEN<br />

Womit wir beim Wichtigsten wären. Dem<br />

Busen. Ich hätte nie gedacht, dass meine<br />

Zwei jemals so eine prominenente Rolle<br />

spielen würden. Mein Busen ist Segen<br />

und Fluch zugleich. Einerseits bietet er<br />

griffbereit Essen, Trinken, Schnuller und<br />

Beruhigungsmittel in einem, andererseits<br />

wird ein Leben ohne ihn (d.h. ohne<br />

Mama) unmöglich. Vor allem nachts.<br />

Seit <strong>10</strong> Monaten wünsche ich mir nichts<br />

mehr als eine Nacht – eine einzige Nacht<br />

Schlaf. Daher und wegen ausartender<br />

körperlicher Defizite will ich abstillen.<br />

Wenn dann Alarm geschlagen wird, kann<br />

endlich auch jemand ohne Busen – wie<br />

der Vater – die Schicht übernehmen. Bis<br />

dahin bin ich dankbar über drei Stunden,<br />

die ich am Stück schlafe. Aber es ist ja<br />

nicht nur der Schlafmangel:<br />

DAS FUNKTIONIEREN<br />

Ich knie auf dem Sofa. Zwischen den<br />

Zähnen klemmt mein T-Shirt. Mit einer<br />

Hand stütze ich mich auf, mit der<br />

anderen massiere ich meine rechte<br />

Brust. Unter mir schreit mein Sohn. Ich<br />

probiere sein Kinn in Richtung des roten<br />

Flecks auf meiner Brust zu positionieren.<br />

Dazu muss ich logisch denken: Wenn<br />

der Fleck innen unten ist, dann muss es<br />

wie herum liegen? Ich hantiere mit dem<br />

schreienden Baby herum. Ich lege es<br />

vertikal, dann horizontal, dann knie ich<br />

mich in die andere Richtung horizontal.<br />

Draußen schneeregnet es. Mein Mann<br />

ist auf Dienstreise. Ich habe Durst, ich<br />

habe Hunger und ich habe Milchstau.<br />

Irgendwann klappt es. Mein Sohn trinkt,<br />

ich massiere den Knoten. Die Milch<br />

fließt und eine Träne tropft. Körperlich<br />

schwach zu sein, fühlt sich mit Baby<br />

schlimmer an als je zuvor. Denn ich muss<br />

doch stark sein, stark wie nie zuvor.<br />

DIE OMA<br />

Nicht nur in solchen Momenten vermisse<br />

ich meine Eltern, ja meine Familie in<br />

Deutschland. Ich wünschte, sie würden<br />

um die Ecke wohnen, wenigstens in<br />

der gleichen Stadt, ich wünschte, ich<br />

könnte anrufen und fragen: Mama, Papa,<br />

könnt ihr kommen? Ich brauche gerade<br />

Beistand oder Milchreis, oder ich muss<br />

zum Frauenarzt. Zwar habe ich eine liebe<br />

Schwiegermutter, die extra aus Wöl-<br />

34 / RAMBAZAMBA /


lersdorf anreist, wenn mein Mann eine<br />

Woche weg ist, aber logischerweise ist<br />

das nicht das Gleiche. Daher lautet meine<br />

oberste Babybekommlektion: Habe<br />

eine Oma in Petto, am besten sogar zwei.<br />

Eine, die dir das Baby abnimmt, damit du<br />

Fußnägel schneiden oder schlummern<br />

kannst, die andere um dir warme Pasta<br />

zu kochen. So haben wir Urlaub gemacht<br />

und es war herrlich. Mein Mann und ich<br />

waren nämlich GEMEINSAM im Wasser<br />

und ich habe ein komplettes Buch gelesen.<br />

Apropos Mann: Über den bin ich am<br />

allerdankbarsten. Sobald er kann, bindet<br />

er sich das Baby um den Bauch, spaziert<br />

los und schenkt mir Pausen.<br />

DIE SEHNSUCHT<br />

Die Ironie ist allerdings: Sobald ich<br />

„endlich“ ohne Baby bin und entspannen<br />

könnte (oder aufräumen), werde ich<br />

unruhig. Dann schaue ich mir Fotos und<br />

Videos von ihm an. Dieses Mamasein<br />

mag unfassbar anstrengend sein, aber<br />

wenn mein Sohn lacht, ist alles vergessen<br />

– sein Glucksen ist das Öl für meine<br />

Muttermaschine. Ich bin selig dankbar,<br />

dass Darian auf der Welt ist. ●<br />

Auch Väter<br />

haben Gefühle<br />

Amar Rajković<br />

WANN KOMMST DU? Eine<br />

Nachricht wie hunderte<br />

scharfe Klingen unter<br />

der Haut. Sie kommt regelmäßig von<br />

meiner Frau, bevorzugt zwischen 16<br />

und 17 Uhr, werktags. Auf den ersten<br />

Blick würde man meinen, ich bin mit<br />

einer Eifersuchtsfurie liiert, doch beim<br />

genaueren Hinkrabbeln erkennt man den<br />

feinen Unterschied. Wir sind seit sechs<br />

Monaten stolze Eltern eines prächtig<br />

gedeihenden Wonneproppens (Ich sag<br />

nur „97 Perzentile“ – das ist der Wert,<br />

der den Wachstum des Babys bestimmt<br />

von 0-<strong>10</strong>0). Dieser kleine Ciabatta hat<br />

nicht nur unseren gemeinsamen Alltag<br />

vollkommen auf den Kopf gestellt, er hat<br />

eines an die Oberfläche hervorgeholt –<br />

die Gemeinheit meiner großen Liebe.<br />

Um mich nach dem Erscheinen<br />

dieses Artikels überhaupt nach Hause<br />

zu trauen, eines vorweg: Die hier<br />

angestimmten Klagelieder in Richtung<br />

Partnerin beruhen keineswegs auf nur<br />

von mir erlebten Alltagssituationen. Weil<br />

Daddysein in meinem Freundeskreis<br />

ziemlich trendy ist, konnte ich mich mit<br />

vier anderen Jungvätern austauschen.<br />

Das Ergebnis: Denen geht es genauso.<br />

Aber wie denn eigentlich?<br />

DIE PRE-BABY-PHASE<br />

Ich bin ich so früh wie möglich aus der<br />

Arbeit abgehauen, um noch ein paar<br />

schöne Momente mit dem Kleinen zu<br />

erleben. Eigentlich bin ich früher raus,<br />

um die Anspannung aus den eigenen<br />

vier Wänden etwas herauszunehmen.<br />

Die ist nämlich so massiv, man könnte<br />

ganze Turnhallen damit füllen.<br />

Entgeltliche Einschaltung<br />

PAPA-KARENZ<br />

EINE ZEIT, DIE NIE<br />

WIEDER KOMMT.<br />

Das erste Mal gibt’s nur einmal – ob es die ersten Schritte sind oder der erste Milchzahn.<br />

Seien Sie auch als Vater mit dabei! Zum Glück haben wir dafür hierzulande<br />

besonders gute Ausgangsbedingungen – vom Kinderbetreuungsgeld über den<br />

Partnerschaftsbonus bis zum Familienzeitbonus. Immer mehr Väter in Österreich<br />

nutzen die Angebote. Mehr Infos unter www.bundeskanzleramt.gv.at


Überforderung oder<br />

doch Glückseligkeit?<br />

Neo-Babo Amar<br />

Meine Frau ist wahrlich der Glücksgriff<br />

meines Lebens. Unsere lange kinderlose<br />

Beziehung war genau das, was<br />

ich immer gesucht habe. Eine humorvolle,<br />

intelligente, attraktive Partnerin mit<br />

riesengroßem Herzen. Dazu teilt sie meine<br />

Leidenschaften Reisen und Essen und<br />

macht mir keine Szene, wenn ich abends<br />

Fußball oder auch NBA-Basketball (Übrigens,<br />

bald ist Saisonbeginn. Freust du<br />

dich, Schatz?) in der Glotze schaue. Und,<br />

sie lacht über meine blöden Witze. Da<br />

wir beide Waagen und damit keine Streitprofis<br />

sind, lief unsere Beziehung bis<br />

zur Geburt des Sohnes wie am Schnürchen.<br />

Harmonie wohin das Auge reicht,<br />

hedonistisches In-den-Tag-Leben, Reisen<br />

in ferne Länder oder „probieren wir doch<br />

den neuen Peruaner aus?“, das waren<br />

die Ingredienzen für unseren perfekten<br />

Liebesmix.<br />

FULL-METAL-MAMA<br />

Damit ist seit der Geburt des „Destroyers“<br />

(O-Ton meine Frau) Schluss. Die<br />

schönste und aufregendste Lebensperiode<br />

wird von dunklen Wolken am<br />

Horizont getrübt. Aus ihnen ergießt sich<br />

ein saurer, bissiger Regen, der mir in<br />

Form von verbalen Watschen Ernüchterung<br />

beschert. Bumm, die Tür knallt zu.<br />

Warum? Weiß ich noch nicht genau, ich<br />

habe ja bis vor fünf Sekunden geschlafen.<br />

Oder die Befehle meiner Frau mitten<br />

in der Nacht, der „Drill-Sergeant“ von<br />

„Full Metal Jacket“ hätte seine wahre<br />

Freude daran. „Kannst du kommen? Der<br />

Kleine hat gekotzt. Ich muss den Teppich<br />

reinigen. Kannst du auf ihn aufpassen?“,<br />

erhallt es aus dem Babyphone, dessen<br />

anderes Ende im Kinderzimmer postiert<br />

ist. Ich komme mir wie beim Bundesheer<br />

vor, nur, dass die Zeit nicht nach sechs<br />

Monaten zu Ende ist.<br />

SIE KANN AUCH GEMEIN<br />

SEIN<br />

Es ist wahrlich eine neue Seite, die ich<br />

an meiner Frau entdecke. Und, ich weiß<br />

schon: Mütter leisten viel mehr als Väter.<br />

Hut ab vor jeder Mama, die angekotzt<br />

und unausgeschlafen durch den Alltag<br />

wandelt und ihre ganze Zeit nur einem<br />

Lebewesen widmet und dabei ihre Interessen<br />

hinten anstellt. 1<strong>10</strong>% jeden Tag,<br />

boah, das muss anstrengend sein. Das<br />

spüre ich am eigenen Leib, wenn ich mal<br />

am Wochenende aufstehen „darf“, um<br />

dem Kleinen das Flaschi zu geben.<br />

Was ich aber nicht in Ordnung finde:<br />

Mich als Mann rechtfertigen zu müssen,<br />

dass ich nicht als Frau auf die Welt<br />

gekommen bin. Diese Unterstellung<br />

schwingt immer mit, wenn mir meine<br />

Liebste erzählt, wie mühsam der<br />

Tag mit dem zahnenden, kackenden<br />

und quengelnden Ungeheuer war. Als<br />

hätte ich den Kleinen mit einem Kauring<br />

bestochen, damit die Mami alle Hände<br />

voll zu tun hat und Daddy sein Wellness-<br />

Programm in der Arbeit abzieht. Weil im<br />

Büro ist es ja super gemütlich und ich bin<br />

dort auch keinen Stresssituationen ausgesetzt.<br />

„Das bisschen Journalismus, jo<br />

mei.“, denkt sich wahrscheinlich meine<br />

Frau, während ihr gerade ein Asozialer<br />

nicht mit dem Kinderwagen in die alte<br />

Straßenbahngarnitur geholfen hat.<br />

Das alles ist übrigens Alltag für tapfere<br />

Mütter rund um den Globus. Aber warum<br />

am eigenen Partner immer auslassen?<br />

Unsere biologischen Rollen sind vor<br />

allem im ersten Lebensjahr sehr klar<br />

definiert. Sie bekommt das Kind und ich<br />

gehe arbeiten, damit das Kind genug<br />

zum Essen hat. So weit, so basic. (Fairerweise<br />

muss man sagen, dass sie mit<br />

ihrem Kinderbetreuungsgeld natürlich<br />

auch sehr viel beisteuert)Im Gegensatz<br />

zu älteren Generationen, bemühe ich<br />

mich, jede einzelne Sekunde mit meinem<br />

Sohn zu verbringen. Jede einzelne<br />

Sekunde meiner Frau im Haushalt zu<br />

helfen. Jede einzelne Sekunde, um diesen<br />

Mini-Menschen kennenzulernen und<br />

seine Babyhaut zu streicheln. Und trotzdem<br />

habe ich das Gefühl, es ist oft nicht<br />

genug. Ich wische den Tisch nach jedem<br />

Essen ab, ich räume das Geschirr in die<br />

Maschine, ich nehme sogar meine Hausschuhe<br />

und platziere sie beim Verlassen<br />

der Wohnung in die dafür vorgesehenen<br />

Laden. Ich nehme den Kleinen immer<br />

wieder mit in den Park, damit die Mama<br />

paar Stunden für sich hat. Ich wickle ihn<br />

vom ersten Tag an, ja, ich schaffe es<br />

sogar manchmal, unseren Sohn in den<br />

Schlaf zu wiegen. Dazu verzichte ich auf<br />

90% meiner ursprünglichen Sozialkontakte<br />

und opfere den Samstag für Kinderpartys,<br />

anstatt für Faulenzen auf der<br />

Couch oder Weintrinken am Naschmarkt.<br />

36 / RAMBAZAMBA /


WINDEL VOLL –<br />

SCHLAFEN LASSEN?<br />

„Solange der Kleine schläft ist alles gut.“,<br />

quittiert meine Frau die Vorwürfe, die ich<br />

gegen sie erhebe. Sie solle doch etwas<br />

bei der Wortwahl aufpassen und doch<br />

bitte ab und zu ein „Danke“ sagen, oder<br />

auch „du bist ein toller Vater.“, entgegne<br />

ich ihr. Ich weiß, die meisten lesenden<br />

Mütter werden mich und diesen Text<br />

belächeln und müde abwinken. Doch<br />

genau darum geht’s! Verständnis, Empathie<br />

für das Gegenüber entwickeln. Wenn<br />

du dich im letzten Jahr grundlegend<br />

verändert hast, dich viel mehr ins Zeug<br />

haust und alles Erdenkliche versuchst,<br />

um deinen Sohn „richtig“ zu erziehen,<br />

hört man mal gerne ein Lob, anerkennende<br />

Worte. Wenn ich hundert Sachen<br />

richtig mache, dann wäre es halt nett<br />

auch mal über kleine Fehler hinwegzusehen.<br />

(Wobei das ist Auslegungsache:<br />

Muss man das Baby mit vollgekackter<br />

Windel mitten in der Nacht aufwecken<br />

oder erst morgens wechseln?)<br />

Meine Frau sagt mir oft, ich soll mir<br />

nicht ins Hemd machen und ihre harschen<br />

Worte nicht auf die Waagschale<br />

legen. Aber, wenn mich jemand ohne<br />

Grund anschreit, find ich das nicht so<br />

toll. Tut ihr das, liebe Mütter? Also, ein<br />

„Danke“, ein „gut gemacht“ hören auch<br />

Papis gerne. Dann könnt ihr uns gerne<br />

weiterhin als Boxsack verwenden, dafür<br />

sind wir doch da. Und jetzt hoffe ich,<br />

dass meine Frau nicht das Schloss ausgewechselt<br />

hat. ●<br />

Tipp an alle<br />

werdenden Papas:<br />

Der Nasensauger<br />

mit Schlauch ist die<br />

beste Erfindung für<br />

verrotzte Babys und<br />

fürsorgliche Väter.<br />

/ RAMBAZAMBA / 37


Von C-Klasse zu Ökotex:<br />

Mit Baby zum Jugo-Bobo<br />

Ivana Cucujkić-Panić<br />

Ja ja, Kinder ändern dein Leben,<br />

sagen sie. Was sich ganz sicher<br />

schon vor der Geburt geändert<br />

hat, war mein Kontostand. Hab ich ihn<br />

früher hie und da mit Cocktailabenden,<br />

Samstagsbrunches oder der regelmäßigen<br />

Ausweitung meiner Schuhkollektion<br />

leicht strapaziert, befindet er sich seit<br />

den Baby-News konstant im Sturzflug.<br />

Anfangs sind wir tatsächlich äußerst<br />

vernünftig und kostenschonend, fast<br />

schon wie zwei verarmte WG-Studis,<br />

an die Besorgungen des Baby-Inventars<br />

herangegangen. Für den Kinderwagen<br />

kalkulierten wir ‚großzügige‘ 600 Euro,<br />

darin wird er immerhin einige Jahre<br />

sitzen, das soll ein ordentliches Gefährt<br />

sein. Im Schlafzimmer machen wir dann<br />

eine Ecke frei, streichen sie pastellgrau<br />

und stellen das Hemnes-Modell von Ikea<br />

auf, das wir mit ein paar ‚Do it yourself‘-<br />

Kniffen zu einem zweckerfüllenden<br />

Wickeltisch umfunktionieren. Das Teil,<br />

in dem der Säugling als Bettverlängerung<br />

neben mir schlafen wird, gibt es<br />

bestimmt fast ungebraucht und günstig<br />

bei Willhaben. Noch ein paar Strampler,<br />

zwei Schnuller, passt. Kein budgetäres<br />

Drama also und an zwei Wochenenden<br />

erledigt. Wie naiv ich war…<br />

MOMZILLA BRICHT AUS<br />

Solche Pläne lesen sich nämlich immer<br />

wie das Script eines Horrorfilms: Es fängt<br />

ganz harmlos, fast langweilig an, plötzlich<br />

und unvermittelt taucht der Kettensägenkiller<br />

auf und alles endet in einem<br />

Blutmassaker.<br />

Ein paar Klicks durch diverse Mom-<br />

Blogs und zwei Babymesse-Besuche<br />

später, erwachte bereits Momzilla in mir.<br />

Hinzu kamen die ersten prä-elterlichen<br />

Schuldgefühle, die uns nach einem wirgeben-Geld-für-uns-selbst-und-nichtfürs-Kind-aus-Moment.<br />

Danach hielt<br />

mich nichts mehr.<br />

Im sechsten Monat schwanger<br />

gönnten wir uns nämlich einen ‚Prä-<br />

Dieser süße Racker<br />

ist für den ominösen<br />

Fleck auf Ivanas<br />

Jeans verantwortlich.<br />

Babyurlaub‘ in Dubai und genossen zehn<br />

Tage lang die vorerst letzten romantischen<br />

Momente in trauter Zweisamkeit.<br />

Wir suhlten uns also im 5-Sterne-<br />

Beachclub unter der arabischen Sonne<br />

und gingen, an unseren 20-Dollar teuren<br />

Virgin-Minze-Cocktails nippend, noch<br />

einmal die asketische Secondhand-<br />

Einkaufsliste für das neue Familienmitglied<br />

durch. Der Widerspruch zwischen<br />

Luxusurlaub und gebrauchtem Beistellbett<br />

konnte nicht größer sein. Von den<br />

Schuldgefühlen übermannt, warfen wir<br />

die Vernunft gemeinsam mit der selbstgebastelten<br />

Wickelkommode in diesem<br />

Moment in den Persischen Golf.<br />

Die Büchse der Babyshopping-Pandora<br />

war geöffnet. Die ‚großzügig‘ veranschlagten<br />

600 Euro für den Kinderwagen<br />

wurden zugunsten eines deutschen<br />

„Stiftung-Warentest-Urteil-sehr-gut“-<br />

Modells in der Luxusausführung verdoppelt.<br />

Zur Wickelkommode gesellte sich<br />

ein zweitüriger Kleiderschrank aus weißlackiertem<br />

Massivholz aus holländischer<br />

Produktion. Diese wanderten aus dem<br />

elterlichen Schlafzimmereckerl ins eigene,<br />

neu gestrichene Kinderzimmer. Das


BEZAHLTE ANZEIGE<br />

SPORTLICHER HERBST IN<br />

DEN WIENER MOTORIKPARKS<br />

Für alle Altersgruppen gibt es spaßige<br />

Stationen zu entdecken.<br />

An den Kletterstationen<br />

wird vor allem<br />

die stabilisierende<br />

Muskulatur trainiert.<br />

Sportbegeisterte kommen im Helmut-<br />

Zilk-Park voll auf ihre Kosten.<br />

PID/Fürthner/Votava/Message/Venetikidis<br />

Dass Bewegung<br />

gesund für Groß<br />

und Klein sei, ist<br />

eine Binsenweisheit.<br />

Aber selten<br />

macht Fitness<br />

so viel Spaß<br />

wie in den zwei<br />

Motorikparks<br />

der Stadt Wien.<br />

Im Favoritner Sonnwendviertel gibt<br />

es ein wahres Bewegungsparadies<br />

für Fitnessbegeisterte und jene,<br />

die es werden wollen. Auf 1.400m²<br />

werden an den zehn Balancier- und<br />

Kletterstationen im Helmut-Zilk-Park<br />

Koordination, Geschicklichkeit und<br />

Ausdauer spielerisch trainiert. Die<br />

Geräte des Motorikparks garantieren<br />

ein abwechslungsreiches Training<br />

und sind für nahezu alle Altersgruppen<br />

und Fitnesslevels geeignet. Für<br />

eine Stärkung zwischendurch steht<br />

das Café Mann zur Verfügung.<br />

KITESURFEN „LIGHT“ IN<br />

DER DONAUSTADT<br />

Vom Balanceakt über schwingende<br />

Hindernisse, über eine<br />

Orientierungs kletterwand, direkt in<br />

das reinste Netzkletter-Paradies und<br />

einen Kraftpavillon. Dies sind neben<br />

einer 1<strong>10</strong> Meter langen Hürdenstrecke<br />

und einer Trampolinstrecke nur<br />

einige der insgesamt 23 Stationen<br />

im 2,5 Hektar großen Motorikpark<br />

Donaustadt. Ein besonderes Highlight<br />

bildet der Kitesurfsimulator, bei<br />

dem man frei durch die Luft kreisend<br />

wichtige Muskelgruppen stärkt. Wer<br />

lieber festen Boden unter den Füßen<br />

will, kommt auf dem 700 Meter Laufparcours<br />

auf seine Kosten.<br />

Mehr Informationen zu den Motorikparks<br />

der Stadt Wien unter:<br />

http://www.motorikpark-wien.at


Ivanas Sohn Matija<br />

kriegt nur Bio-Essen<br />

von Denns.<br />

Beistellbett brauchte jetzt unbedingt eine<br />

Wippfunktion, der Stillstuhl musste auf<br />

jeden Fall die graue Samtausführung von<br />

der einen Instagram-Influencerin sein.<br />

Beides wurde aus England mit stolzen<br />

Transportkosten nach Wien, Brigittenau<br />

geschifft. Das Kinderzimmer gleicht nun<br />

einem Showroom für namhafte Hersteller<br />

von Babyprodukten aus Nordeuropa.<br />

Das Highlight ist das dänische Designer-<br />

Gitterbettchen mit klimaregulierender<br />

3D-Premium-Matratze und thront auf<br />

einem handgeknüpften „Fair trade“-<br />

Teppich.<br />

OMG, ICH BIN EIN BIO-<br />

BOBO-JUGO<br />

Ich konnte meine zügellosen Babyshoppingtouren<br />

mühelos rechtfertigen; ich bin<br />

die Argumentationskönigin, wenn es um<br />

kostspielige Ausgaben geht. Denn Nachhaltigkeit<br />

und Bio-Zertifizierung haben<br />

nun mal ihren Preis!<br />

Schließlich sind sämtliche Anschaffungen<br />

schadstofffrei, fair, nachhaltig,<br />

ökologisch produziert. Produkteigenschaften,<br />

die mir bei Kaufentscheidungen<br />

vor meinem Leben mit Baby herzlich egal<br />

waren, und die ich gerne übermotivierten<br />

Gutmenschen aus Bobostan überlassen<br />

habe.<br />

Mittlerweile habe ich mich selber zum<br />

peinlichen Jugobobo gewandet. Musikalische<br />

Früherziehung, Urlaub im ayurvedischen<br />

Familienhotel, Holzspielzeug.<br />

Jap, eine Kundenkarte bei ‚Herr und Frau<br />

Klein‘ - DER Pilgerstätte für Hipstereltern<br />

in Wien Neubau, steckt nun ebenfalls<br />

in meiner Geldbörse. Alles Dinge, für<br />

die ich mich früher ernsthaft fremdgeschämt<br />

hätte, gehören heute zu meinem<br />

Leben. Ich beschäftige mich intensiv mit<br />

Themen, die ich vor Baby verschmäht<br />

habe. Bio-Essen zum Beispiel. War<br />

früher alles aus dem Hofer ums Eck gut<br />

genug, pilgern wir heute für 300 Gramm<br />

Süßkartoffeln zum Bio-Supermarkt. Als<br />

übermotivierte Jungeltern bereiten wir<br />

den Babybrei selbst zu, in der eigens<br />

dafür angeschafften 4-in-1-Dampfgar-<br />

Gerätschaft. Leider zeigt Baby derzeit<br />

mehr Begeisterung für den Industriebrei<br />

aus dem Gläschen. Ebenso hat er den<br />

ergonomisch kiefergerechten Schnuller<br />

aus Naturkautschuk um zehn Euro<br />

prompt wieder ausgespuckt.<br />

Beim Kauf von Stramplern wird<br />

auf die ‚Organic-Cotton-Zertifizierung‘<br />

geachtet und Feuchttücher müssen aus<br />

99% Wasser bestehen, ohne Parfüm und<br />

Öle. Aber die bekommen wir sowieso<br />

mitgeliefert im monatlichen Öko-Windel-<br />

Abo aus Deutschland.<br />

BEIM AUTO HÖRT SICH’S<br />

ABER AUF<br />

Bis vor acht Monaten noch fand ich mein<br />

Viertel ziemlich cool, weil urban, multikulturell<br />

und lebendig. Jetzt machen sich<br />

konservative Werte in mir breit, die mich<br />

aus dem Zwanzigsten an den Stadtrand<br />

ziehen lassen, weit weg vom Verkehr<br />

und „all den komischen Leuten“.<br />

Statt der aktuellen Instyle stapeln<br />

sich Ratgeber über mehrsprachige<br />

Erziehung auf dem Wohnzimmertisch.<br />

Ich bin auf Schafmilchprodukte umgestiegen,<br />

‚glutenfrei’ gehört nun auch<br />

zu meinem Wortschatz. Palmölhaltige<br />

Nahrungsmittel verschwanden aus der<br />

Vorratskammer. Ja, selbst mein geliebter<br />

Plazma-Keks, den alle Jugobabys bereits<br />

mit der Flasche genießen durften, steht<br />

auf Na-das-essen-wir-jetzt-aber-nichtmehr-Liste.<br />

Persönliche Opfer bringt so ein Kind<br />

als erstes mit sich. Ich musste - und das<br />

tat echt am meisten weh - die Tatsache<br />

akzeptieren, dass ein Kinderwagen<br />

nicht in den Kofferraum einer Mercedes<br />

C-Klasse passte. Mein Auto musste<br />

schweren Herzens einer neuen Familienkutsche<br />

weichen. Diese sollte aber<br />

bitte stilvoll und schnittig daherkommen.<br />

Die Argumentationskönigin waltete ihres<br />

Amtes. Der Finanzierungsvertrag für den<br />

brandneuen, familienfreundlichen SUV<br />

war schnell unterschrieben. In einen<br />

gebrauchten, schirchen, aber ‚total<br />

praktischen‘ Kombi hätte ich mich nie<br />

gesetzt. So sehr Bobo werd’ ich niemals<br />

sein. ●<br />

40 / RAMBAZAMBA /


Kurz nach dem Schnappschuss brachen die drei Models zusammen und konnten nur mit Babygeschrei geweckt werden.<br />

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TECHNIK & MOBIL<br />

Alt+F4 und der Tag gehört dir.<br />

Von Adam Bezeczky<br />

MEINUNG<br />

Der Wettkampf<br />

ums All<br />

Mitte Oktober musste eine russische<br />

Sojus-Raumkapsel notlanden.<br />

Der Wettkampf um das All<br />

geht nach dem Wettrüsten in der<br />

Vergangenheit offenbar wieder<br />

in eine heiße Phase: diesmal sind<br />

die Player aber nicht nur Staaten<br />

und Ideologien, sondern auch<br />

private Unternehmer wie Space X<br />

– die mit ihrer Innovationskraft<br />

die alten Player überstrahlen.<br />

Das Tempo wird sich<br />

noch weiter steigern – und<br />

leider damit auch die Zwischenfälle.<br />

Roskosmos, die<br />

russische Weltraumbehörde,<br />

scheint einer der ersten<br />

Verlierer dieses Wettbewerbs<br />

zu werden. Man<br />

sollte jedoch die Erfinder<br />

von Sputnik und Sojuz und<br />

Mir nicht abschreiben: trotz<br />

Notlandung gehört die Sojuz<br />

zu den verlässlichsten Weltraumfahrzeugen<br />

überhaupt<br />

mit insgesamt mehr als 850<br />

Flügen. Davon kann Space X<br />

nur träumen.<br />

bezeczky@dasbiber.at<br />

Die Assassine<br />

schleichen wieder<br />

SOLAR-<br />

STRASSEN<br />

KOMMEN<br />

WOHL DOCH<br />

NICHT<br />

Solar Roadways wollte<br />

den Energiehunger<br />

der westlichen Welt<br />

mit Solar-Straßen<br />

stillen. Leider erweist<br />

sich das Projekt nicht<br />

genug ausgereift: erste<br />

Versuche aus den USA<br />

zeigen, dass der Gummiabrieb<br />

und Staub die<br />

Stromerzeugung stark<br />

einschränken. Schade!<br />

Müssen die Klimakrise<br />

wohl anderswie lösen...<br />

Einen mörderisch guten<br />

Urlaub verspricht Ubisoft<br />

mit „Assassin‘s Creed:<br />

Odyssey“. Im alten Griechenland<br />

schleichen und<br />

meucheln wir uns durch<br />

den historischen Bürgerkrieg<br />

zwischen Sparta und<br />

Athen - schließlich geht<br />

es um die Vormachtstellung<br />

in der Ägäis. Ganz<br />

nebenbei entdecken wir<br />

als toughe Spartanerin<br />

Kassandra oder als Spartaner<br />

Alexios unsere Familiengeschichte.<br />

Und zu<br />

lernen gibt‘s auch etwas:<br />

in kommenden Museumsmodus<br />

können wir die riesige Spielwelt<br />

erkunden und über das Antike<br />

Griechenland etwas dazulernen.<br />

Pädagogisch wertvoll!<br />

Auto-Tipp<br />

Schon gewusst? Auch mit einem<br />

Neuwagen könnt ihr euer Service<br />

bei einer freien Werkstatt<br />

durchführen lassen. Eure Garantie<br />

bleibt trotzdem erhalten. So spart<br />

ihr Geld und bleibt flexibel.<br />

Google<br />

ist 20<br />

1998 sah die Welt anders aus:<br />

die Gründer von Google tüftelten<br />

in einer Garage an jener<br />

Firma, die heute das Internet<br />

beherrscht. Der Such-, Mail-,<br />

Landkarten- und Mobiltelefongigant<br />

ist inzwischen einer der<br />

Innovationsmotoren der Wirtschaft<br />

und aus dem Leben von<br />

Milliarden von Menschen nicht<br />

wegzudenken. Gratulation!<br />

Marko Mestrović, Ubisoft, Google, bereitgestellt<br />

42 / TECHNIK /


Als verantwortungsvolles Unternehmen erachten wir es als selbstverständlich, einen wichtigen Beitrag<br />

zum Erreichen der Klimaschutzziele zu leisten. Deshalb setzen wir schon heute verstärkt auf CNG<br />

(Compressed Natural Gas) als Kraftstoff. CNG ist derzeit der kostengünstigste Weg, den Schadstoffausstoß<br />

im Straßenverkehr langfristig zu reduzieren. Denn mit Erdgas als Kraftstoff werden bis zu 80 %<br />

weniger Ozon bildende Schadstoffe produziert – und das bei einer Ersparnis von bis zu 50 % pro<br />

Tankfüllung. Grund genug, unser bereits flächendeckendes CNG­Tankstellennetz weiter auszubauen.<br />

Mehr OMV erleben auf: www.omv.com<br />

Die Energie für ein besseres Leben.<br />

/ MIT SCHARF / 43


KARRIERE & KOHLE<br />

Studieren statt Saunieren<br />

Von Andrea Grman<br />

MEINUNG<br />

Eins nach<br />

dem anderen<br />

Multitasking: dieses Gerücht, dass du<br />

gleichzeitig telefonieren, kochen, zwei Mails<br />

schreiben, drei Bücher lesen und nebenbei<br />

noch mit zehn rohen Eiern jonglieren kannst<br />

und dabei super effizient bist.<br />

Ich verrate dir jetzt etwas: Multitasking gibt<br />

es nicht. Und es ist weder effizient noch<br />

erstrebenswert. Dein Gehirn ist nämlich<br />

kein Computer und du kannst nicht einfach<br />

20 Tabs gleichzeitig öffnen wie im Internet<br />

Explorer. Wenn du denkst, dass du vier<br />

Dinge gleichzeitig erledigst, machst du sie<br />

in Wirklichkeit hintereinander und zwingst<br />

dabei dein Gehirn ständig, zwischen den<br />

einzelnen Aufgaben zu switchen. So wechselst<br />

du deine Tätigkeit im Durchschnitt<br />

alle 45 Sekunden. Das erfordert sehr viel<br />

Energie von deinen Gehirnzellen und hält<br />

sie davon ab, sich auf die eigentlichen<br />

Aufgaben zu konzentrieren. Dies wiederum<br />

führt zu mangelnder Konzentration, Fehlern<br />

und Frustration. Und wie gesagt: schneller<br />

bist du dadurch definitiv nicht.<br />

Stattdessen solltest du dir die wichtigsten<br />

Punkte aufschreiben und dazwischen<br />

bewusst Pausen einplanen, in denen du<br />

dich auch mal langweilen kannst. Das<br />

macht dich nämlich nicht nur kreativer,<br />

sondern gibt neue Energie. Also gönn‘ dir<br />

erstmal ein bisschen Langeweile und dann:<br />

Eins nach dem anderen.<br />

grman@dasbiber.at<br />

Veranstaltungstipp<br />

DEINE<br />

KARRIERE<br />

RUFT<br />

Am 24. Oktober findet die Career<br />

Calling, Österreichs größte Karrieremesse,<br />

in der Messe Wien<br />

statt. Zahlreiche Aussteller, Workshops<br />

und Netzwerk-Events öffnen<br />

dir neue Türen und vielleicht<br />

ergibt sich die eine oder andere<br />

Job- Möglichkeit. Alle Infos unter<br />

www.careercalling.at<br />

Gewinnspiel<br />

Wer sich gut fühlen will, muss auch<br />

gut denken. Und das kann man mit<br />

diesem Tagebuch trainieren. Sechs<br />

Minuten am Tag fokussierst du dich<br />

auf den Fortschritt und das Positive<br />

in deinem Leben und schon geht es<br />

dir langfristig besser. Wir verlosen<br />

je ein 6-Minuten-Tagebuch in den<br />

Farben aquarellblau, orchidee und<br />

pfefferbraun. Schreib einfach ein<br />

Mail an grman@dasbiber.at und mit<br />

etwas Glück kannst du es bald selbst<br />

ausprobieren.<br />

3<br />

FRAGEN AN:<br />

ADA-Geschäftsführer<br />

Martin Ledolter<br />

Geschäftsführer der Österr. Entwicklungszusammenarbeit<br />

(ADA)<br />

Was ist das JPO-<br />

Programm??<br />

Mit dem Junior Professional<br />

Officer-Programm<br />

ermöglichen<br />

wir JungakademikerInnen,<br />

einen 6- bis<br />

12-monatigen Einblick<br />

in der Österreichischen<br />

Entwicklungszusammenarbeit<br />

zu gewinnen.<br />

Wir bieten diese<br />

Möglichkeit sowohl<br />

in Wien als auch in<br />

den meisten unserer<br />

Schwerpunktländer an,<br />

sei es in Afrika, Asien<br />

oder Südost- und Osteuropa.<br />

Unsere JPOs<br />

sind dabei aktiv in die<br />

Abwicklung der von<br />

uns geförderten Projekte<br />

und Programme eingebunden.<br />

Was sind die Voraussetzungen?<br />

Das JPO-Programm richtet sich<br />

gezielt an angehende ExpertInnen<br />

für unsere zentralen Arbeitsbereiche<br />

Wasser und<br />

Siedlungshygiene,<br />

ländliche Entwicklung,<br />

Energie, Privatsektorentwicklung,<br />

Bildung<br />

sowie Governance,<br />

Menschenrechte und<br />

Friedensförderung.<br />

Ein abgeschlossenes<br />

Hochschulstudium ist<br />

deshalb Voraussetzung,<br />

um sich für eine<br />

JPO-Stelle zu bewerben.<br />

Hinzu kommt eine<br />

große Leidenschaft<br />

und viel Idealismus für<br />

unsere Sache.<br />

Wann und wo kann ich<br />

mich bewerben??<br />

Die Ausschreibung der<br />

konkret zu besetzenden<br />

Stellen erfolgt<br />

nach Bedarf. Mein Tipp: Unter www.<br />

entwicklung.at kann man sich laufend<br />

über offene Stellen informieren und<br />

auch ein Bild über unsere Tätigkeiten<br />

machen.<br />

Marko Mestrović, ADA/Wilke<br />

44 / KARRIERE /


Entgeltliche Einschaltung des Innenministeriums<br />

Profifußballerin Nina Burger<br />

Bei ihr gehen nicht nur<br />

Verbrecher ins Netz.<br />

Nina Burger ist nicht nur Profifußballerin, sondern auch Polizistin. Interessiert an einem<br />

abwechslungsreichen Job mit Kollegen wie ihr? Bewirb dich. Jetzt.<br />

www.polizeikarriere.com


Selbermacher<br />

Falsche Farbe, zu<br />

krumm, zu klein,<br />

oder einfach zu<br />

viel? Die Geschwister<br />

Diesenreiter<br />

von „Unverschwendet“<br />

retten Obst und<br />

Gemüse, das sonst im<br />

Mist landen würde.<br />

Text: Nada El-Azar, Fotos: Susanne Einzenberger<br />

Wer Geschwister hat, weiß,<br />

dass es mit Brüderchen oder<br />

Schwesterlein nicht immer einfach<br />

ist. Gerade wenn man gemeinsam ein<br />

Unternehmen führt. Aber Cornelia (31) und<br />

Andreas (33) aus Steyr sind ein Herz und<br />

eine Seele: Sie ist gelernte Köchin, Juristin<br />

und Nachhaltigkeitsexpertin, und er hat<br />

das Know-How in Design und Marketing.<br />

Gemeinsam sind sie „Unverschwendet“ und<br />

sorgen seit 2016 dafür, dass tonnenweise<br />

Obst und Gemüse in Chutneys, Marmeladen,<br />

Aufstriche und mehr verarbeitet wird.<br />

Das Geschäft<br />

mit krummen<br />

Dingern<br />

760.000.000 KILO MIST IM JAHR<br />

Ein ausschlaggebendes Ereignis für die<br />

Gründung von „Unverschwendet“ fand<br />

während Cornelias Studiums des nachhaltigen<br />

Produktdesigns in London statt. Im<br />

Praktikum musste sie eine Restmüllanalyse<br />

durchführen. „Vor uns wurde ein Truck mit<br />

1,5 Tonnen Müll ausgeleert. Davon waren<br />

400 Kilo Lebensmittel, die teilweise noch<br />

originalverpackt waren.“ Eine Studie des<br />

WWF ergab, dass in Österreich jährlich<br />

760.000 Tonnen Lebensmittel weggeworfen<br />

werden, 53 Prozent davon in Privathaushalten.<br />

„Es gibt die Diskussion, wer daran<br />

denn schuld ist. Nachhaltigkeit muss aber<br />

weg von dieser Zeigefingermentalität“, weiß<br />

Cornelia. „Stecken die Menschen einmal<br />

in diesem Schuldzyklus drin, machen sie<br />

genervt schnell die Ohren zu.“<br />

„MAN KANN NICHT ALLES RETTEN.“<br />

Ein gutes Netzwerk mit Bäuerinnen und<br />

Bauern sorgt dafür, dass „Unverschwendet“<br />

an die Rohstoffe für die Rettungsprodukte<br />

kommt. „Das sind oft nicht einmal das<br />

46 / KARRIERE /


krumme oder kleine Gemüse, sondern die<br />

beste und frischeste Ware, die einfach<br />

nicht vom Supermarkt gekauft wird“,<br />

erklärt Andreas. Der Markt ist extrem<br />

kundenorientiert und preisaggressiv.<br />

Letztes Jahr gab es 32, heuer nur noch<br />

zehn verschiedene Produkte zum Kauf bei<br />

„Unverschwendet.“ „Wir dachten anfangs,<br />

wir müssen alles retten und möglichst viele<br />

Produkte entwickeln, aber leider wird es<br />

immer Überschüsse geben“, so Cornelia.<br />

Früher haben die Geschwister und<br />

ihr Team alles in der kleinen Küche des<br />

Marktstandes am Schwendermarkt selber<br />

eingekocht. „Mittlerweile haben wir für<br />

jedes hochwertige Produkt einen Produzenten,<br />

der die Herstellung übernimmt.“<br />

Jedenfalls schmeckt’s.<br />

Mehr Informationen unter:<br />

www.unverschwendet.at<br />

oder persönlich:<br />

Schwendermarkt Stand <strong>18</strong><br />

Mariahilfer Straße 196<br />

1150 Wien<br />

Für diese hübschen<br />

Gläschen<br />

muss Andreas die<br />

eine oder andere<br />

Nachtschicht<br />

schieben.<br />

WKO-WIEN HILFT<br />

Im Gründerservice der WKO-<br />

Wien kann man bei einem<br />

Beratungsgespräch alle Fragen<br />

stellen, die die Gründung eines<br />

Unternehmens betreffen. Im<br />

Vorhinein kann man sich auch<br />

schon eigenständig online<br />

informieren. Ob generelle<br />

Tipps zur Selbstständigkeit,<br />

rechtliche Voraussetzungen,<br />

Amtswege oder Finanzierungsund<br />

Förderungsmöglichkeiten:<br />

Auf der Website kommt man<br />

mit wenigen Klicks zu allen<br />

wichtigen Informationen.<br />

wko.at/wien<br />

www.gruenderservice.at<br />

Die Selbermacherw-Serie ist eine<br />

redaktionelle Kooperation von das<br />

biber mit der Wirtschaftskammer<br />

Wien.<br />

ZEIGEN SIE<br />

WAS SIE<br />

KÖNNEN<br />

» WKO FIRMEN A–Z –<br />

IHRE INDIVIDUELLE VISITENKARTE IM WEB<br />

Sie wollen Ihre Produkte und<br />

Dienstleistungen online präsentieren?<br />

Mit wenigen Klicks und ohne Kosten?<br />

Das WKO Firmen A–Z macht's<br />

möglich und bietet zusätzlich<br />

wertvolle Services.<br />

W wko.at/firmen T +43 1 514 50-3900


MEIN BESTER RAT<br />

SCHLECHTE RATSCHLÄGE GIBT ES GENUG. FÜR <strong>BIBER</strong> VERRATEN DAHER TOP-MANAGER, SPITZENPOLITIKER<br />

UND SPITZENSPORTLER JENE ERFAHRUNGEN, DIE SIE IM LEBEN WEITER GEBRACHT HABEN.<br />

DIESMAL: DER WIENER WIRTSCHAFTSKAMMER-PRÄSIDENT<br />

WALTER RUCK<br />

Text: Emira Abidi, Fotos: Daniel Novotny<br />

„Energieräuber meiden“<br />

<strong>BIBER</strong>: Haben Sie einmal einen guten<br />

Rat bekommen, der Ihnen im Leben<br />

geholfen hat?<br />

WALTER RUCK: Ich glaube, wahrscheinlich<br />

nicht nur einen. Aber es gab keinen,<br />

von dem ich sagen würde, dass gerade<br />

dieser mein Leben entscheidend verändert<br />

hat. Ich denke, Rat bekommt man<br />

permanent, sehr viel gefragt und auch<br />

viel ungefragt.<br />

Sie haben bloß 4 Jahre nach Ihrem<br />

Studienabschluss an der TU die<br />

Geschäftsführung der Baufirma Ihres<br />

Vaters übernommen. Welchen großen<br />

Herausforderungen waren Sie anfangs<br />

ausgesetzt?<br />

Ich habe bereits studienbegleitend gearbeitet<br />

– das würde ich jedem raten und<br />

das machen auch meine Söhne so – und<br />

war relativ rasch mit 24 mit dem Studium<br />

fertig. So jung wird man in einer Leitungsposition<br />

nicht restlos ernst genommen<br />

– zumindest war das zu meiner Zeit<br />

so. Das war die erste große Herausforderung.<br />

Dann kamen die Erwartungen an<br />

mich, den Sohn des Geschäftsführers,<br />

aus dem Unternehmen selbst oder auch<br />

von Kundenseite hinzu. Und diesen muss<br />

man dann schon gerecht werden. Meine<br />

Söhne erleben das jetzt genauso. Die<br />

Messlatte liegt bei ihnen einfach höher<br />

als bei anderen.<br />

Waren Sie sich sicher, dass Sie das<br />

wollen?<br />

Ja, soweit man sich am Beginn eines<br />

Weges sicher sein kann. Zurückerinnernd<br />

war ich mir sicher, dass das mein Weg<br />

ist. Ich bin Techniker mit Leib und Seele,<br />

also hat es mir durchaus Spaß gemacht.<br />

Noch dazu habe ich mich immer mit<br />

meiner Familie gut verstanden, so hat es<br />

noch besser gepasst.<br />

Bereuen Sie gewisse Entscheidungen im<br />

Leben?<br />

Aus meiner Sicht ist es so mit Entscheidungen:<br />

das Schlechte ist, sie nicht zu<br />

treffen. Und dann gibt es natürlich auch<br />

Entscheidungen, die falsch sind. Am<br />

48 / KARRIERE /


Ende des Tages zählt bloß, dass man<br />

mehr gute als schlechte Entscheidungen<br />

getroffen hat. Das Einzige ist vielleicht,<br />

dass ich früh mit meinem Studium fertig<br />

geworden bin und gerne ins Ausland<br />

gegangen wäre, um eine Techniker-<br />

Vision zu realisieren – z.B. eine Staumauer<br />

zu bauen. Ich bin aber grundsätzlich<br />

kein Mensch, der bereut, und ich habe ja<br />

noch Zeit, so etwas nachzuholen. Einer<br />

meiner besten Freunde war drei Monate<br />

in Südamerika und ist auf dem Dach<br />

eines Zuges quer durch den Kontinent<br />

gefahren. Vielleicht werde ich in der<br />

Pension den einen oder anderen Traum<br />

verwirklichen. Die Fahrt auf dem Zugdach<br />

wird es aber wohl nicht.<br />

Wie viel soll man arbeiten? Wo ist die<br />

„gesunde“ Grenze?<br />

Die Grenze ist, was man persönlich aushält<br />

und wie sehr es einem Spaß macht.<br />

Ich habe es für mich einmal getestet und<br />

es war ganz lustig. Damals habe ich mir<br />

eingebildet, ich hätte Kräfte ohne Ende,<br />

habe gegen halb 7 morgens zu arbeiten<br />

begonnen und bis zum nächsten Tag um<br />

3 in der Früh durchgemacht. Nach ein<br />

paar Stunden Schlaf war ich wieder von<br />

9 Uhr morgens bis 2 Uhr am nächsten<br />

Morgen in der Arbeit. Nach zwei Tagen<br />

habe ich mir mein Arbeitsergebnis und<br />

meinen Zigarettenkonsum angesehen<br />

– damals habe ich noch geraucht.<br />

Der Zigarettenkonsum war groß und<br />

der Outcome meiner Leistung eher<br />

gering. Deswegen erscheint es mir total<br />

schwachsinnig, für etwas 3 Stunden aufzuwenden,<br />

wenn ich es im ausgeschlafenen<br />

Zustand in einer halben schaffe.<br />

Fazit: Es ist bei jeder und bei jedem<br />

anders. Aber alle Menschen brauchen<br />

Schlaf, Erholung und Ausgleich.<br />

Wie sollte man mit Personen umgehen,<br />

die einem alles schlechtreden und einen<br />

runterziehen möchten?<br />

Ganz einfach: Energieräuber meiden.<br />

Das betrifft nicht bloß Personen, sondern<br />

auch Situationen. Wenn mir jemand nicht<br />

guttut, dann meide ich ihn/sie.<br />

Welchen Rat würden Sie jungen Menschen<br />

geben, die gerade auf Karrierefindungssuche<br />

sind?<br />

Ich knüpfe nochmal an meiner vorigen<br />

Aussage an: Die schlechteste<br />

Entscheidung ist keine Entscheidung.<br />

Wenn ich mehrere Optionen habe, die<br />

gleich attraktiv sind, und ich verschiebe<br />

die Entscheidung auf morgen, dann<br />

ändert sich der Zustand nicht. Wenn ich<br />

unentschlossen bin, unterhalte ich mich<br />

mit Freunden, denen ich vertraue. Ich<br />

verknüpfe ihre Überlegungen mit meinen<br />

eigenen und gehe dann meinen Weg.<br />

Aus meiner Lebenserfahrung ist somit<br />

die Nicht-Entscheidung schlechter als die<br />

falsche Entscheidung. ●<br />

Wer ist er?<br />

Name: Walter Ruck<br />

Alter: 55<br />

Beruf: Wiener Wirtschaftskammer-<br />

Präsident, Bauunternehmer und<br />

Interessenvertreter<br />

Besonders: Nach seinem Studium des<br />

Bauingenieurwesens übernahm er als<br />

24-Jähriger die Leitung der Baufirma<br />

W. Ruck, die sein Vater gegründet<br />

hat und in der nun auch seine Söhne<br />

mitarbeiten.<br />

/ KARRIERE / 49


HIER<br />

GIBT ES<br />

JOBS MIT<br />

ZUKUNFT<br />

Wo treffen Top-Unternehmen<br />

wie T-Mobile,<br />

Hofer, BMW und Ströck<br />

auf über 7.000 interessierte<br />

Schülerinnen und<br />

Schüler? Beim größten<br />

Lehrlingsevent Österreichs.<br />

Das war der Tag der<br />

Lehre+ 20<strong>18</strong>.<br />

Mit Spaß an der Sache geht die Lehrausbildung gleich viel leichter von der Hand.<br />

Knapp 17.000 Lehrlinge machen<br />

derzeit eine Ausbildung in Wiener<br />

Betrieben. Und es werden<br />

mehr. Dementsprechend überwältigend<br />

war der Andrang auf den Tag der Lehre+<br />

am 17. Und <strong>18</strong>. Oktober. Knapp 50<br />

ausstellende Lehrbetriebe punkteten mit<br />

umfassender Beratung, ausführlichem<br />

Infomaterial und interaktiven Messeständen.<br />

Diese luden die MessebesucherInnen<br />

ein, selbst anzupacken und<br />

handwerkliche Tätigkeiten wie Maurerarbeiten,<br />

Frisurstyling oder Kosmetik<br />

auszuprobieren.<br />

QUAL DER WAHL<br />

In Wien können junge Menschen derzeit<br />

aus <strong>18</strong>0 Lehrberufen wählen, rund 80<br />

davon waren beim TdL+ vertreten. Bei<br />

solch einer großen Auswahl an Lehrstellen<br />

kann man schon mal den Überblick<br />

verlieren. Bürokauffrau oder doch<br />

lieber KFZ-Technikerin, Konditor oder<br />

Betriebslogistiker? Hier zählt vor allem<br />

der Kontakt mit den Unternehmen. „Wir<br />

wollen verstehen, wie Lehrlinge ticken<br />

und was sie in Bezug auf die Berufswahl<br />

Hier kommt jeder auf seinen Geschmack.<br />

beschäftigt. Ein Event wie der Tag der<br />

Lehre gibt uns die Möglichkeit, mit den<br />

Jugendlichen darüber zu sprechen“, so<br />

Alexandra Pattermann, Lehrlingsbeauftragte<br />

bei T-Mobile. Oft stehen Fragen<br />

im Vordergrund wie „wo finde ich eine<br />

geeignete Lehrstelle?“ oder „hat mein<br />

Traumberuf überhaupt gute Zukunftsaussichten?“<br />

Expertinnen und Experten der<br />

Wirtschaftskammer Wien und des AMS<br />

konnten vor Ort genau auf diese Fragen<br />

eingehen und eine umfassende Beratung<br />

für SchülerInnen, LehrerInnen und Eltern<br />

bieten.<br />

Präzision und handwerkliches<br />

Können sind gefragt.<br />

GO GLOBAL<br />

Dass es die Möglichkeit gibt, während<br />

der Lehrausbildung ein Auslandspraktikum<br />

zu absolvieren, war für viele<br />

BesucherInnen neu. Dabei waren mehr<br />

als 90% der jungen Menschen mit ihrem<br />

Auslandspraktikum sehr zufrieden, so<br />

Alexandra Enzi von OEAD / Erasmus+.<br />

Mit dem Europass kann man die im<br />

Ausland erworbenen Kompetenzen dann<br />

international verständlich dokumentieren.<br />

Mehr Einblicke vom heurigen TdL+ und<br />

alle Infos zu zukünftigen Veranstaltungen<br />

findet ihr auf www.tag-der-lehre.at ●<br />

Klaus Mitterhauser, Johannes Brunnbauer, bereitgestellt<br />

50 / KARRIERE /


SCHULE &<br />

BERUF<br />

WOHIN MIT 14?<br />

L14<br />

AK BILDUNGS- &<br />

BERUFSINFOMESSE<br />

IM BILDUNGSZENTRUM<br />

DER AK WIEN<br />

Theresianumgasse 16-<strong>18</strong>, <strong>10</strong>40 Wien<br />

7. BIS <strong>10</strong>.<br />

NOV. 20<strong>18</strong><br />

EINE VERANSTALTUNG DER AK WIEN IN ZUSAMMENARBEIT MIT DEM STADTSCHULRAT FÜR WIEN<br />

MESSE UND FAMILIENPROGRAMM FÜR KINDER UND ELTERN MIT ZAHLREICHEN VORTRÄGEN UND WORKSHOPS<br />

FREITAG, 9.11.20<strong>18</strong> 14.00 -17.00 UHR & SAMSTAG, <strong>10</strong>.11.20<strong>18</strong> 09.00 -17.00 UHR<br />

www.L14.at<br />

/ MIT SCHARF / 51


LIFE & STYLE<br />

Mache mir die Welt, wie sie<br />

mir gefällt<br />

Aleksandra Tulej<br />

MEINUNG<br />

#metoo<br />

in die Fresse<br />

In der Öffentlichkeit sind sie alle Feministen,<br />

Anti-Rassisten und Weltverbesserer.<br />

Über Kavanaugh auf Twitter<br />

empören, bei der #metoo-Debatte<br />

eifrig nicken, beim Sigi-Maurer-Urteil<br />

den Kopf schütteln, über die Frauenquote<br />

diskutieren. Aber wenn ihr<br />

dann Geschichten über konkrete Situationen<br />

hört, in denen wir – Frauen<br />

aus eurem Umfeld – begrapscht,<br />

eingeschüchtert und einfach grindigst<br />

angemacht wurden, heißt es: „Geh,<br />

du bist doch sonst auch nicht so,<br />

jetzt führ dich nicht so auf.“ Außer,<br />

eine Frau wurde per definitionem<br />

vergewaltigt, weil erst dann ist es<br />

plötzlich der große Aufschrei. Bitte,<br />

nehmt uns verdammt noch mal ernst.<br />

Da hilft der Internet-Aktivismus und<br />

das große Gelaber genau gar nichts.<br />

Viele Männer fragen mich nach der<br />

#metoo-Debatte dann noch deppert,<br />

was man jetzt darf und soll: Das, was<br />

wir Frauen aus eurem unmittelbaren<br />

Umfeld euch nahelegen. Und zuhören.<br />

Ich denke, jetzt habe ich es sogar<br />

für die Weltverbesserer in der letzten<br />

Reihe deutlich genug buchstabiert.<br />

tulej@dasbiber.at<br />

Kräuter-Tipp<br />

AM CBD-HYPE<br />

IST WAS DRAN<br />

Ich war nie der große Kiffer. Meine spärlichen<br />

Erfahrungen mit Marihuana hörten<br />

irgendwo mit dem Ende der Pubertät<br />

auf, aber zehn Jahre später habe ich<br />

doch etwas aus dieser Schiene für mich<br />

entdeckt: Cannabidiol, kurz CBD. CBD ist<br />

ebenso wie THC ein Wirkstoff der Cannabispflanze,<br />

also dem Weed, das wir<br />

alle kennen – aber mit einem entscheidenden<br />

Vorteil: Es wirkt nicht berauschend,<br />

fällt daher nicht unter das Suchtmittelgesetz und wird in Österreich legal<br />

verkauft. Sprich: Es entspannt deinen Körper, berauscht deinen Kopf aber<br />

nicht. Man kriegt es in Form von Tropfen, Sprays und Blüten. Offiziell wird<br />

es als Riechkraut verkauft, wenn es sich aber zufällig in einen – legalen –<br />

Joint verirrt, dürfte es auch ziemlich gut wirken. Habe ich gehört. Im Ernst<br />

jetzt: CBD hilft Epilepsieerkrankten, bei Chemos und chronischen Schmerzen.<br />

Gegen Regelschmerzen hilft es übrigens auch, obwohl ich davor<br />

immer auf oldschool Ibuprofen geschworen habe. Ich kann euch sagen:<br />

Das Kraut kann echt was.<br />

Ich durfte die CBD-Produkte von Magu in <strong>10</strong>70 Wien probieren, und mein<br />

favourite sind auf jeden Fall die „Flora“-Blüten. Aber probiert es doch<br />

selbst: www.magu-cbd.com<br />

Was war bis jetzt das<br />

coolste Erlebnis in<br />

deiner DJ-Laufbahn?<br />

Ein besonderes Highlight<br />

war sicher, als<br />

ich ganz am Anfang<br />

meiner Laufbahn<br />

das Warm-Up vor<br />

Fritz Kalkbrenner in<br />

Innsbruck vor mehreren<br />

Tausend Leuten<br />

spielen durfte. Der<br />

Manager von Fritz<br />

Kalkbrenner hat sich<br />

danach sogar noch für<br />

das coole Set bedankt,<br />

das hat mich schon<br />

sehr gepusht.<br />

Findest du, dass Frauen<br />

in der Österreichischen<br />

3<br />

FRAGEN AN:<br />

Anna Ullrich<br />

Wiener DJ-ane<br />

DJ-Szene immer noch<br />

unterrepräsentiert sind?<br />

Es hat sich schon<br />

einiges getan in den<br />

letzten Jahren und<br />

mit unserer Veranstaltungsreihe<br />

Puppenhouse<br />

sprechen<br />

wir auch genau dieses<br />

Thema an. Aber grundsätzlich<br />

kann man<br />

schon sagen, dass es<br />

immer noch weniger<br />

Frauen als Männer gibt.<br />

Wo kann man dich das<br />

nächste Mal auflegen<br />

sehen/hören?<br />

Am 25.<strong>10</strong>.20<strong>18</strong> bei<br />

Andhim in der Pratersauna.<br />

Marko Mestrović, magu, bereitgestellt<br />

52 / LIFESTYLE /


WAS FRAU BEWEGT<br />

Clash of<br />

Generations<br />

Von Delna Antia-Tatić und Julie Brass (Fotos)<br />

Zeig mir dein Insta-Profil und ich sag dir, wer du bist. Und wie alt!<br />

Stimmt diese Logik? Hängt unsere Posting-Persönlichkeit von unserer<br />

Generation ab? 1 Tag, 1 Auto, 1 Thema – und 4 Frauen, die losfahren, den<br />

Kopf freikriegen, ordentlich PS genießen und sich austauschen darüber,<br />

was Frau bewegt. Diesmal: Mutter vs. Tochter auf Social Media.<br />

/ LIFESTYLE / 53


Kein Strandfoto, kein Filter, kein Selfie - die Kriterien stimmen.<br />

Ob es dieses Foto wohl in Carmens exklusiven Insta-Feed schafft?<br />

#qualitätvorlikes #amgleichtmetallräder<br />

Wir Alten checken es langsam. Wer erfolgreich<br />

sein will, im Beruf oder sonst wo, der sollte<br />

sich auf Social Media zum Besten geben.<br />

Bescheidenheit bringt nämlich keine Follower.<br />

Da kann man sich auf den Kopf stellen und an die Stirn greifen,<br />

man kann sich die Haare raufen und die Augen verdrehen,<br />

selbst wegschauen und belächeln, es hilft ja letztlich alles<br />

nichts – irgendwann holt uns die Matrix ein. Seufz.<br />

Außer, man hat 435 PS. Da kann man dem Blödsinn einfach<br />

davonfahren. In 4,4 Sekunden von 0 auf <strong>10</strong>0. Follower kriegt<br />

man automatisch, nämlich alle, die hinterherschauen. Wir<br />

sitzen zu viert in unserem diamantweißen E-Coupe 53 4MATIC<br />

AMG und reißen die Augen auf. Dieses Auto ist leider geil.<br />

Von Bescheidenheit kann keine Rede sein. Hier hat Luxus die<br />

Gestalt eines Sportwagens – mit Sinn für schönes Herbstwetter.<br />

Das Panoramaglasdach über unseren Köpfen ist so riesig<br />

wie himmlisch. Und das ist unser Ziel auch: Wir fahren los, zum<br />

„Himmel“ von Wien und lassen die Sonne rein.<br />

Auf dem Gürtel holt uns die Realität ein. Stau. Die Mittdreißigerin<br />

im Auto – das bin ich – scrollt resigniert über ihren<br />

Instafeed. „Ich bin jetzt offiziell dabei“, verkünde ich. Das<br />

bedeutet, ich schäme mich nicht mehr vor meinem Mann und<br />

meinen Freundinnen, wenn ich etwas poste, womöglich sogar<br />

ein (schönes) Foto von mir. Diese Hemmung – ich blicke in den<br />

Rückspiegel - liegt sie am Alter, der Generation, dem Charakter<br />

oder daran, dass ich Protestantin bin?<br />

DIE PEINLICHKEIT<br />

Niely lacht. „Vielleicht. Ich bin auch Protestantin und mir ist<br />

es in der Tat peinlich.“ Die 47-Jährige Designerin von Brautkleidern<br />

und Kopfschmuck hat sich letztes Jahr intensiv mit<br />

der Bloggerszene auseinandergesetzt, aus beruflichen Gründen.<br />

Danach war ihr schlecht. Die erfolgreiche Unternehmerin<br />

spürte, dass sie die Präsenz auf Social Media braucht, weil<br />

klassische PR und Magazinwerbung längst nicht mehr so wirkungsvoll<br />

sind. Aber auf Instagram plötzlich einen auf Bloggerin<br />

zu machen, funktionierte auch nicht. „Ich habe Schwierigkeiten,<br />

mich persönlich einzubringen, auch wenn ich glaube,<br />

dass es nützlich wäre. Und ein schönes Produktfoto allein<br />

reicht nicht.“ Also suchte sie Expertenrat, flog nach Portugal<br />

und traf eine ihr über Ecken bekannte Star-Bloggerin. Sie wollte<br />

nicht nur das Medium als Businesstool begreifen, sondern<br />

auch die Mentalität dahinter. „Ich musste eine Bloggerin vor<br />

mir haben, ich musste verstehen, wie sie tickt und ich musste<br />

fragen, ob ihr das nicht peinlich ist.“ Damit meint sie die bloggertypische<br />

Dokumentation von banalen Alltagssituationen:<br />

Kühlschrank öffnen und OMG, sich fragen, was man kochen<br />

soll. Niely schüttelt entgeistert den Kopf. „Nachdem ich mit ihr<br />

gesessen bin, war ich wirklich deprimiert. Ich bin dafür zu alt!“<br />

Ist das Insta-Gen also eine Generationenfrage?<br />

Ich blicke zu Nielys Tochter. Carmen ist 17 Jahre alt. Doch<br />

sie zuckt die Achseln. „Das letzte Foto habe ich vor zwei Monaten<br />

gepostet.“ Carmen betont, dass sie nicht stellvertretend für<br />

eine Generation sprechen kann und dass es ja auch wirklich<br />

tollen „Content“ gibt, aber wie ihre Mutter findet sie Bloggertypisches<br />

oft peinlich. Selfies und Strandfotos – „die womöglich<br />

auch noch bearbeitet sind!“ – oder den Hinweis „Check out<br />

my new post“. Das bewirkt bei ihr das Gegenteil: Sie schaut es<br />

Mehr „Ich“ bitte! Auf ihrem Business-Insta-Channel fällt es Niely<br />

schwer, sich selbst einzubringen. Auf dem Fahrersitz samt AMG-<br />

Lenkrad hingegen gar nicht. Es gibt eben Unterschiede im Leben.<br />

#amgisallaroundme<br />

54 / LIFESTYLE /


Der EQ-Booster<br />

Unser Testwagen:<br />

Mercedes-AMG E 53 4Matic+<br />

Coupe<br />

Da geht noch was: Der EQ Boost<br />

Startergenerator liefert kurzzeitig<br />

zusätzliche 16 kW Leistung sowie<br />

250 Nm Drehmoment und macht<br />

das E-Coupe quasi Rennstrecken<br />

tauglich. Durch die Adern des 53er<br />

Modells pocht AMG-Performance im<br />

Luxusformat:<br />

AMG SPEEDSHIFT TCT<br />

9G-Sportgetriebe / Allradantrieb AMG<br />

Performance 4MATIC+ / AMG RIDE<br />

CONTROL+ Luftfahrwerk /AMG-<br />

Lenkrad in Nappaleder<br />

Leistung: 320 kw / 435 PS, 520 Nm /<br />

Beschleunigung 4,4 s von 0-<strong>10</strong>0 km/h<br />

Sie clashen gar nicht. Im Gegenteil: Ein Herz und eine Seele die beiden. Ego-Blogging finden<br />

Mutter und Tochter meist peinlich, Luxus-Sportwagen dagegen sehr praktisch.<br />

#mutterliebe #automassage #435ps<br />

Dieses Auto wurde im Rahmen<br />

einer Kooperation mit Mercedes zur<br />

Verfügung gestellt.<br />

sich nicht an. Die Schülerin der Graphischen ist sehr selektiv,<br />

wem sie folgt, und sehr exklusiv, wer ihr folgen darf. „Ich poste<br />

fast gar nichts und schon gar nichts Privates.“ Die junge Frau<br />

möchte nicht, dass jemand jetzt oder in Zukunft ihren Namen<br />

eingibt und alles über sie erfährt. Aber das sei nicht unbedingt<br />

typisch für ihre Generation. Sie hat auch Freundinnen, die die<br />

Bestätigung von Männern in den Kanälen suchen.<br />

Bestätigung suchen wir gerade nicht, sondern eine Allee.<br />

Wir sind nämlich da und wollen shooten. Die Männer kommen<br />

von allein, inzwischen der dritte Wagen, der anhält. Hach,<br />

nerv, typisch. Frauen und AMG-Leichtmetallräder, ein ewiges<br />

Klischee. Dabei ist es ein Familienshooting. „Wollt ihr keinen<br />

Mama-Tochter-Blog gründen!?“ Das Potenzial der beiden ist<br />

offensichtlich, geradezu ein Flash of Generations! Die brasilianische<br />

Muttereleganz mit der austro-brasilianischen Matrixtochter,<br />

ich sehe den Kanal schon vor mir. „Nein, zu peinlich“,<br />

Carmen schüttelt den Kopf. Ach ja, die Peinlichkeit. Trotzdem<br />

hat sie zwei Kanäle. Einen privaten für Freunde (und leider nicht<br />

die Mama!) und einen offiziellen als eine Art Portfolio: „Wenn<br />

jemand fragt, was ich so mache, schicke ich mein Insta-Profil.“<br />

DAS ICH AUF INSTA<br />

Die Mama nickt. „Es ist keine Generationenfrage, es ist eine<br />

Frage der Zeit.“ So könnten selbst ihre Bekannten und Freunde,<br />

also Leute in ihrem Alter, nichts mehr tun, ohne es zu posten.<br />

Das nervt Niely ebenso wie die „Egoblogger und ihre Allüren“.<br />

Durch das Braut-Business ist Niely mit vielen in Kontakt und<br />

diagnostiziert ab <strong>10</strong>.000 Followern eine Art „Machtgefühl“.<br />

Apropos Allüren und Machtgefühl: Jede Bloggerin hätte eine<br />

wahre Freude an unserem Auto. Man kann nicht nur die Farben<br />

der Interieurbeleuchtung individuell einstellen, sondern auch<br />

die Beduftung (!), man kann sich nach einem anstrengenden<br />

Selfie-Shooting massieren lassen und in Sachen Machtgefühl<br />

muss man bei dem EQ Boost Motor wohl nicht lang reden.<br />

Wir wollen reden, daher setzen wir uns zu Apfelkuchen<br />

mit Kakao hin. „Eigentlich liebe ich Social Media“, gesteht<br />

Mama Niely dabei. „Ich bin eine Ausländerin von der anderen<br />

Seite des Ozeans und noch weiter – es ist meine Brücke zur<br />

Heimat.“ Als Privatperson postet und kommentiert sie leidenschaftlich<br />

gern. Tochter Carmen grinst. „Ich bin ihr Gegenteil!<br />

Die Kommentarfunktion habe ich sogar abgestellt.“ So ist das<br />

eben: Irgendwo ist es auch eine Charaktersache. Die Mama ist<br />

halt der Typ Mensch, der die Pferde im Vorbeigehen begrüßt.<br />

(Brasilianisches Sprichwort)<br />

Wie läuft denn das Geschäft nun durch Social Media? „Ich<br />

verkaufe in der Tat besser, seitdem ich auf Instagram bin.“<br />

Niely hat nach dem ersten Schock drei junge Frauen engagiert,<br />

die ihr bei ihrem Kanal helfen. „Sie pushen mich, dass ich mein<br />

„Ich“ mehr einbringe.“ Aber leicht fällt es ihr nicht. Wie das<br />

Kommentieren auf anderen Kanälen, das sogenannte „Engagement“,<br />

das für die Reichweite eines Insta-Channels so wichtig<br />

ist. „Ich muss vier Wörter schreiben – aber es gibt manchmal<br />

einfach keine vier Wörter, um diesen Blödsinn zu loben!“ Wir<br />

lachen. Dafür fallen uns sofort vier Wörter ein, um unser Engagement<br />

mit dem E-Coupe auszudrücken: Ja, wir wollen ihn.<br />

„Es ist nicht nur Blödsinn!“ Carmen bricht nochmal eine<br />

Lanze für den Zeitgeist: Es hat auch viel Gutes. Trends für ein<br />

bewussteres Leben oder etwa der einst verstaubte Feminismus<br />

erfuhren plötzlich eine ungeahnte Breitenwirkung. Das ist in<br />

der Tat gut.<br />

Wir Alten nicken einsichtig. Die Jugend hat recht. Wollen<br />

wir uns mal nicht wie grantige Wiener Omis geben. Also Massagefunktion<br />

an, Sonnenbrillen rauf und im Sportmodus wieder<br />

runter auf die Erde.●<br />

/ LIFESTYLE / 55


KULTURA NEWS<br />

Verstaubte Museen sind<br />

Schnee von gestern.<br />

Von Jelena Pantić-Panić<br />

Verhüllt, enthüllt<br />

MEINUNG<br />

Schau, schau<br />

Sag mir, was du schaust und ich<br />

sag dir, wer du bist. Aufgewachsen<br />

bin ich wie jedes Neunziger-<br />

Kind mit Disneys Meisterwerken.<br />

Dann sind in meiner Familie Klassiker<br />

wie Mafia-Filme und Rocky<br />

sehr gerne gesehen. Für mich<br />

waren gute Filme immer ernst.<br />

Die Devise lautete: Dramen<br />

sind gute Filme, alles andere ist<br />

Unterhaltung. Und dann kam das<br />

Internet. Mein Medienkonsum<br />

hat sich in den letzten Jahren<br />

wahnsinnig verändert. Er ist<br />

irgendwie seichter geworden.<br />

Der Platz in meinem Kopf, in<br />

dem ich früher über Dokus und<br />

Dramen sinniert habe, ist dank<br />

Social Media nun von Memes<br />

und Beauty-Anleitungen besetzt.<br />

Ich glaube, ich muss mich wieder<br />

meiner Wurzeln besinnen<br />

- es ist wieder Zeit für König der<br />

Löwen und der Pate.<br />

pantic@dasbiber.at<br />

AUF DEN<br />

SPUREN<br />

DER FLUCHT<br />

Flucht auf Europäisch: Seit<br />

Jahrhunderten verbindet Europa<br />

gemeinsame Fluchterfahrungen,<br />

15 Objekte aus fünf mittel- und<br />

südosteuropäischen Museen<br />

geben Einblick. Europas Menschen<br />

teilen Erfahrungen zu Krieg,<br />

Genozid, religiöser und politischer<br />

Verfolgung, existenzieller Not<br />

und ethnischen Konflikten auf<br />

unterschiedliche Art und Weise.<br />

Manche waren gezwungen, ihre<br />

Heimat zu verlassen und anderswo<br />

Schutz zu suchen, manche<br />

finden sich in der Position, diesen<br />

Schutz zu gewähren oder zu verweigern.<br />

“Fluchtspuren” könnt ihr<br />

euch im Wien Museum noch bis<br />

zum 13. Jänner 2019 ansehen.<br />

Wien Museum, Karlsplatz 8, <strong>10</strong>40<br />

Wien, Dienstag bis Sonntag &<br />

Feiertag, <strong>10</strong> bis <strong>18</strong> Uhr,<br />

wienmuseum.at<br />

Für die einen ein Stück Stoff, für die anderen<br />

ein Ausdruck religiöser Freiheit oder aber<br />

auch Symbol der Unterdrückung. Kaum ein<br />

Kleidungsstück vermag es die Gemüter so zu<br />

erhitzen wie das Kopftuch. Auch wenn das<br />

Verhüllen der Haare heute hauptsächlich mit<br />

dem Islam in Verbindung gebracht wird, hat<br />

es auch in der christlichen Kultur historisch<br />

gesehen einen Platz. Das Sinnbild des Verschleierns<br />

ist gleich: Ehrbarkeit, Schamhaftigkeit<br />

und Jungfräulichkeit. Die Ausstellung<br />

“Verhüllt, enthüllt” im Weltmuseum zeigt<br />

neue Blicke auf das Kopftuch. Das Kopftuch<br />

bietet buchstäblich viel Stoff für eine intensive<br />

Auseinandersetzung - während Iranerinnen<br />

gegen Kleiderverordnungen lautstark<br />

protestieren, erobert “Modest Fashion” die<br />

westlichen Laufstege. Das Weltmuseum<br />

zeigt 17 eigenständige Positionen<br />

zum Thema Kopftuch, die den Blick<br />

darauf um neue und unerwartete<br />

Aspekte erweitern sollen.<br />

Weltmuseum Wien, Heldenplatz,<br />

<strong>10</strong><strong>10</strong> Wien, <strong>18</strong>. Oktober 20<strong>18</strong> bis 26.<br />

Februar 2019, täglich außer Mittwoch<br />

<strong>10</strong>-<strong>18</strong> Uhr, Freitag bis 21 Uhr,<br />

weltmuseumwien.at<br />

Weltmuseum Wien; DIE WURZELN VRŠAC - Robert Hammerstiel © Muzej Vojvodine, Novi Sad; Filmladen Filmverleih<br />

56 / KULTURA /


FILMNEWS<br />

Ein Stück Kolonialgeschichte<br />

Ein westafrikanischer Junge<br />

wird als Kindersklave verkauft<br />

und Angelo getauft<br />

- er wird zum Sinnbild der<br />

christlichen Unterwerfung<br />

mit dem Ziel “Wilde zu Menschen<br />

zu machen”. Angelo<br />

Soliman (gespielt von Makita Samba) geht als berühmter<br />

“Hofmohr” und mythologische Figur im <strong>18</strong>. Jahrhundert in<br />

die Wiener Stadtgeschichte ein. Er wird zum Kammerdiener,<br />

als Exponat unter den Reichen herumgereicht, dann Freimaurer<br />

und schließlich nach seinem Ende präpariertes Ausstellungsobjekt.<br />

Nach einer wahren Begebenheit erzählt der<br />

Film ANGELO Kolonialgeschichte sowie geistige und körperliche<br />

Vereinnahmung. Ein Film darüber, wer die Geschichte<br />

schreibt und wen der Schreiber zu Wort kommen und wen<br />

verstummen lässt. Angelo von Markus Schleinzer ist ab 9.11.<br />

in den österreichischen Kinos zu sehen.<br />

Was würdest du<br />

tun?<br />

Stell dir vor, du hast ein<br />

Segelboot. Und du segelst<br />

in deinen Urlaub, um dich<br />

zu erholen. Und jetzt stell<br />

dir vor, du gerätst in einen<br />

Sturm und triffst plötzlich<br />

auf ein überladenes<br />

Flüchtlingsboot. Was tust du? Die Ärztin Rike gerät statt in<br />

den Urlaub in ein moralisches Dilemma - nachdem sich die<br />

Rettung durch Dritte als unwahrscheinlich herausstellt, wird<br />

Rike gezwungen zu handeln. Der Film Styx wird nahezu ohne<br />

Dialoge, dafür bildgewaltig und berührend erzählt. Ab 23.11.<br />

in den Kinos.<br />

Beleidigend<br />

Kann die Streitigkeit über<br />

ein illegal montiertes<br />

Abflussrohr ein ganzes<br />

Land spalten? Toni, Mechaniker,<br />

Christ und gebürtiger<br />

Libanese und Yasser,<br />

Vorarbeiter am Bau und<br />

palästinensischer Flüchtling<br />

geraten wegen einer Nichtigkeit aneinander - schnell<br />

schaukeln sich die Beleidigungen hoch und die Auseinandersetzung<br />

landet vor Gericht. Verletzte Ehre, religiöser Eifer und<br />

Medien mischen sich dazu und ehe man sich versieht, wird<br />

auf den Straßen randaliert. “Der Affront” ist ein Film über die<br />

Traumata eines Landes und seiner Bewohner, die aus der<br />

Vergangenheit heraus bis in die Gegenwart wirken. Ab 19.<strong>10</strong>.<br />

in den Kinos.


Take a<br />

seat!<br />

12 Euro-<br />

Restkarten für<br />

U27 im Wiener<br />

Konzerthaus<br />

Was ist der häufigste Grund nicht in ein<br />

Konzert zu gehen? Keine Zeit, zu träge<br />

oder, seien wir mal ganz ehrlich, das<br />

Geld? Oft weiß man ja vorher gar nicht,<br />

ob es einem wirklich so richtig gut<br />

gefällt. Und dafür dann viel ausgeben?<br />

Und, jetzt denken wir an die großen<br />

Häuser - die halbwegs bezahlbaren<br />

Karten sind dann auch noch ziemlich<br />

weit weg von der Bühne. Aus all diesen<br />

Gründen hat das Wiener Konzerthaus<br />

letztes Jahr eine Kampagne gestartet:<br />

„Take a seat!“ Für alle nicht ausverkauften<br />

Konzerte vergibt es für alle unter<br />

27-Jährigen Restkarten um 12 Euro an<br />

der Abendkassa. Und die Plätze liegen<br />

immer in den bestmöglichen Kategorien.<br />

Da kann man also schon mal auf<br />

Plätzen ganz vorn landen, die regulär<br />

locker das fünf- bis sechsfache gekostet<br />

hätten.<br />

Cécile McLorin<br />

Salvant wird am<br />

<strong>10</strong>. November<br />

mit dem Clayton<br />

Hamilton Jazz<br />

Orchestra<br />

auftreten<br />

Das Angebot mit den 12 Euro-Restkarten<br />

gilt für alle Veranstaltungen der<br />

Wiener Konzerthausgesellschaft, bei<br />

denen keine speziellen Kinder- und<br />

Jugendpreise angeführt sind. Die Karten<br />

gibt es ab 30 Minuten vor Veranstaltungsbeginn<br />

an der Abendkassa.<br />

Der israelischen<br />

Pianist Idan<br />

Raichel ist am<br />

28. November mit<br />

dem MoZuluArt<br />

Ensemble zu<br />

sehen.<br />

Igor Ripak, Mark Fitton, Lukas Beck<br />

Dieser Artikel ist eine entgeltliche Schaltung in Form einer Kulturkooperation mit dem Konzerthaus. Die redaktionelle Verantwortung liegt allein bei biber.<br />

58 / KULTURA /


Naturally 7 gastieren am 25. November im Konzerthaus<br />

In den nächsten Wochen könntet ihr euch zum<br />

Beispiel anschauen:<br />

● Ladysmith Black Mambazo am 2. November. Der<br />

berühmteste Chor Afrikas hat schon vor dem Papst,<br />

der englischen Queen und Nelson Mandela bei der<br />

Verleihung des Friedensnobelpreises gesungen;<br />

● Ein „hochromantisches“ Konzert mit den Wiener<br />

Symphonikern mit Chefdirigent Philippe Jordan<br />

und Bariton Thomas Hampson am 6. November;<br />

● Die amerikanische Bluegrass-Band Punch<br />

Brothers am 7. November. Was einst in einem<br />

kleinen Club begann, ist nun auf den Bühnen der<br />

Weltmetropolen zu hören – unbändige Spielfreude<br />

und unglaubliche Virtuosität;<br />

● Die Big-Band Clayton Hamilton Jazz Orchestra mit<br />

der großartigen Sängerin Cécile McLorin Salvant<br />

am <strong>10</strong>. November.;<br />

● Die Stimmakrobaten aus New York: Naturally 7 am<br />

25. November. „Die Band ohne Band“ schafft es,<br />

Gitarre, Bass, Schlagzeug und sogar Didgeridoo<br />

so überzeugend nur vokal zu reproduzieren, dass<br />

der Eindruck entsteht, eine Band mit Instrumenten<br />

stehe auf der Bühne. Bestenfalls wird ein wenig<br />

Hall dazu gemischt, auch eine Loopmaschine muss<br />

sein, weil die Sänger oft und gern mit Hip Hop<br />

und House flirten und manch clever arrangierter<br />

Popsong schnell zur Rap-Nummer mutiert;<br />

● Den Weltenbummler und israelischen Pianisten<br />

Idan Raichel am 28. November. Mit MoZuluArt,<br />

einem aus Simbabwe und Oberösterreich<br />

stammenden Ensemble, macht er sich für ein<br />

Miteinander der Kulturen stark.<br />

Alle Konzerte finden sich natürlich auch im Internet:<br />

www.konzerthaus.at<br />

The Art of Song<br />

»A cappella«<br />

02/11/<strong>18</strong><br />

Ladysmith Black<br />

Mambazo<br />

25/11/<strong>18</strong><br />

Naturally 7<br />

13/12/<strong>18</strong><br />

Take 6<br />

Foto: Michiel Hendryckx


WIE KANN<br />

MAN NUR<br />

FÜR DIE<br />

„KRONE“<br />

ARBEITEN?<br />

60 / MIT SCHARF /<br />

Zur Person<br />

Maida Dedagic<br />

absolvierte 2011<br />

die biber-Akademie.<br />

Danach arbeitete sie<br />

als Online-Journalistin<br />

für msn.at, bevor<br />

sie wieder zu biber<br />

zurückkehrte. Seit 2015<br />

ist Maida Redakteurin<br />

der Kronen Zeitung im<br />

Wien-Ressort.<br />

Soza Almohammad


Maida Dedagic ist ehemalige biber-<br />

Journalistin, die seit drei Jahren bei<br />

der „Krone“ arbeitet. Noch heute<br />

wird sie in „linken und progressiven“<br />

Kreisen gefragt, wie sie das nur tun<br />

konnte. Hier schreibt die Journalistin,<br />

warum ihr diese Scheinheiligkeit auf<br />

die Nerven geht.<br />

Ich kann nicht mehr zählen, wie oft mir diese Frage<br />

gestellt wurde. „Du warst doch mal bei Biber. Wie kannst<br />

du jetzt nur für die Krone arbeiten? Du könntest etwas<br />

Sinnvolles machen. Fühlst du dich da nicht dreckig? Wie<br />

hältst du es da nur aus?“. Ich habe nichts gegen die Fragerei.<br />

Aber die Scheinheiligkeit der Fragensteller fasziniert mich<br />

dann doch. Da stehen Menschen vor mir, die sich politisch<br />

dem linken, progressiven, toleranten Lager zuordnen. Sie kritisieren<br />

bei jeder Gelegenheit, dass die Medienlandschaft von<br />

Männern dominiert ist und fordern mehr Frauen und mehr<br />

Migranten in den Leitmedien.<br />

Das Problem ist nur, sie meinen es offenbar überhaupt<br />

nicht so. Ich wäre ja jetzt da. Jung, weiblich, migrantisch,<br />

„Krone“-Redakteurin. Ich schreibe für einen nicht ganz unerheblichen<br />

Teil der Österreicher. Ausgerechnet jene, die das<br />

tagtäglich fordern, finden das aber ganz schlimm. In ihren<br />

Köpfen ist die „Krone“ Mordor und sie selbst freilich Gandalf,<br />

der Weiße. Ich frage jetzt einmal zurück: Wie hält man es<br />

eigentlich mit der Scheinheiligkeit aus?<br />

Die „Krone“ braucht meine Verteidigung gewiss nicht.<br />

Sie ist die meistgelesene Zeitung. Sie schreibt Geschichten,<br />

an denen keiner vorbeikommt. Hier haben einzelne Journalisten<br />

bessere Kontakte als ganze Redaktionen. Auch wenn<br />

man nicht selber jede Meinung vertritt, hat die Meinung ihren<br />

Platz. Wie das in den besten Familien halt so ist. Ich habe<br />

in meinen ersten drei Jahren „Krone“ schon sagenhaft viel<br />

lernen dürfen. Wie ich da arbeiten kann? Ganz wunderbar.<br />

Und sehr gerne.<br />

Die Wahrheit ist: Sachlich macht es überhaupt keinen<br />

Sinn, warum ich oder irgendjemand anderes nicht bei der<br />

„Krone“ arbeiten sollen dürfte. Aber um die Sache geht es<br />

heute den wenigsten. Hauptsache, man findet irgendwo<br />

einen Schnipsel, der die eigene Ideologie unterstützt. Und<br />

man findet schnell etwas, um gegen Rechte oder Linke zu<br />

schreien, um gegen Ausländer oder den Islam zu wettern<br />

oder über die Regierung und die FPÖ-Wähler zu schimpfen.<br />

Jede Ideologie ist schnell bedient, wenn man will. Nur Ideologie<br />

löst keine Probleme. Im Gegenteil. Man macht es sich zu<br />

einfach. Als ich vom Biber zur „Krone“ geholt wurde, sagte<br />

ich, dass ich wahrscheinlich kaum der größte Fan der Zeitung<br />

bin. „Machen Sie es doch besser!“, kam als Antwort zurück.<br />

Vielleicht könnten alle mal wieder ihre Scheuklappen ablegen<br />

und dazu übergehen, es sich zumindest nicht zu einfach zu<br />

machen. ●<br />

/ MIT SCHARF / 61


„Die Leiden des jungen Todor“<br />

Von Todor Ovtcharov<br />

Die Bettelmafia<br />

Bitte Brüderchen, wir sind doch Landsmänner!<br />

Du kannst keinen anderen<br />

Bulgaren im Stich lassen! Gib mir 2-3<br />

Euro, damit ich mir ein Kebabchen kaufen kann,<br />

ich sterbe vor Hunger!”. Dieser Landsmann hat<br />

mich in die Ecke gedrängt. Er spricht mich in<br />

meiner Muttersprache an – und das gibt mir ein<br />

unangenehmes Gefühl. Ich kann doch keinen<br />

Landsmann ohne 2-3 Euro und somit auch ohne<br />

ein “Kebabchen” lassen. Er hat mich erwischt<br />

und ich muss solidarisch sein. Ich weiß, dass er<br />

von mir, falls ich ihn noch einmal treffe, nichts<br />

bekommen wird. Erstens werde ich nicht mehr<br />

so unvorbereitet sein und zweitens sagt Berthold<br />

Brecht in der „Dreigroschenoper“, dass Bettler<br />

höchstens dreimal Mitleid erzeugen können. Und<br />

die Klassiker haben immer recht. Ein Bekannter<br />

von mir meint, dass er immer in guter Gesundheit<br />

ist, weil er jedem Bettler was gibt und sie ihm<br />

immer ein gutes Leben und Gesundheit wünschen.<br />

Ich weiß nicht, ob er recht hat, aber ich<br />

mache es ähnlich wie er. Einer meiner Lieblingsbettler<br />

in Wien ist einer, der immer Heavy Metal<br />

hört und sich mit dem Erbettelten Konzertkarten<br />

für seine Lieblingsbands kauft. Ich habe auch mal<br />

einen Bettler gesehen, der mit einem Schild “Ich<br />

sammle Geld für einen neuen BMW” in der Fußgängerzone<br />

saß. Wo er wohl den alten geparkt<br />

hatte? Ich kenne persönlich einige Bettler, die<br />

sich als Zeitungsverkäufer ausgeben. Sie verdienen<br />

ungefähr 20 Euro am Tag und sind sicherlich<br />

kein Teil von einer organisierten Gruppe. Sie<br />

betrachten sich eher als Kämpfer für die freie<br />

Presse. Ich habe auch einen Bettler gesehen,<br />

der mit dem entwaffnenden Schild “Ich bin eine<br />

dreckige Sau und bin zu faul um zu arbeiten!”<br />

dastand. Das ist so ehrlich, dass man nicht mal<br />

böse auf ihn sein darf. Trotzdem sprechen vor<br />

allem die rechten Parteien immer wieder von der<br />

Bettelmafia, die echte Mafiacapos von Osteuropa<br />

nach Wien bringt. So wie im Kusturica-Film<br />

“The Time of the Gypsies” - nur ganz ohne<br />

Romantik. Ich frage mich, ob Wiener eher Geld<br />

an einen Bettler geben würden, wenn er sie im<br />

Wiener Dialekt anspricht, so wie ich meinem<br />

Landsmann? Eigentlich habe ich auch mal als<br />

Bettler gearbeitet. In einem großen Geschäft für<br />

Baumaterialien habe ich Spenden für die Clown-<br />

Doktoren gesammelt. Als Spendensammler, oder<br />

besser gesagt professioneller Bettler, hatte ich<br />

eine rote Nase an und bettelte die Leute an, ihr<br />

Restgeld an der Kasse in meine Spendendose zu<br />

werfen. Ich lächelte die ganze Zeit und war ganz<br />

sympathisch in meinem Bettlerjob. Viele gaben<br />

mir ein bisschen Geld. Trotzdem wurde ich nach<br />

drei Tagen gefeuert. Von allen Bettlerkollegen<br />

hatte ich am wenigsten erbettelt. Um im Zeitgeist<br />

zu bleiben, muss ich wohl auch aufhören, Bettlern<br />

Geld zu geben. Sogar denjenigen, die mich<br />

auf Bulgarisch ansprechen. Trotzdem mache ich<br />

weiter, denn Politiker haben im Gegensatz zu den<br />

Klassikern nicht immer recht. ●<br />

62 / MIT SCHARF /


DER KURIER DES<br />

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FINDEN IMMER EINE LÖSUNG.<br />

Melina ist Querdenkerin. Das muss sie auch sein. Denn als Logistikerin bei der ÖBB Rail Cargo Group<br />

hat sie es täglich mit komplexen Transportaufträgen zu tun. Geht es doch darum, ganz Europa mit<br />

Asien zu vernetzen. Den Überblick verliert sie zusammen mit ihren Kollegen und Kolleginnen dabei nie.<br />

IMMER IN BEWEGUNG. ÖBB.

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