Dompfarrbrief 3/2018
Pfarrbrief der Dompfarre Linz
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<strong>2018</strong> - Gedenkjahr, Bedenkjahr ...<br />
Liebe Leserin, lieber Leser!<br />
Vor kurzem hörte ich einen Seufzer<br />
„Wenn sie doch aufhörten mit dem<br />
Gedenkjahr!“ Ich habe Verständnis für<br />
diesen Seufzer, zugleich denke ich,<br />
dass es gut ist, dass wir Menschen gewisse<br />
Ereignisse, die bis heute unser<br />
Leben bestimmen, nicht vergessen.<br />
Wir sind weit in der zweiten Hälfte<br />
des Gedenkjahrs <strong>2018</strong>, einige Tage<br />
des Gedenkens stehen uns noch bevor.<br />
Am 12. November werden wir uns erinnern,<br />
dass vor hundert Jahren die<br />
Republik ausgerufen wurde. Das Ende<br />
der Ersten Weltkriegs und der Österreichisch-Ungarischen<br />
Monarchie sind<br />
wohl Ereignisse von großer Tragweite<br />
gewesen. Es darf in diesem Zusammenhang<br />
auch daran erinnert werden,<br />
was wir bis heute aus der Zeit der<br />
Monarchie mitnehmen. Die Diözese<br />
1918<br />
Linz wurde auf Initiative Kaiser Josefs<br />
II. errichtet, viele Pfarren in unserem<br />
Land wurden ebenfalls in der Zeit Josefs<br />
II. gegründet, das Schienennetz<br />
der Bundesbahn stammt aus der Zeit<br />
der Monarchie, das Allgemeine Bürgerliche<br />
Gesetzbuch gilt seit 1812, es<br />
ist in wichtigen Teilen novelliert und<br />
erweitert worden, aber immer noch ein<br />
wesentlicher Bestandteil des Österreichischen<br />
Zivilrechts.<br />
Es gibt mir zu denken, dass die Erste<br />
Republik Österreich nur etwas mehr<br />
als 19 Jahre Bestand hatte und 1938<br />
für etwa sieben Jahre als „Ostmark“<br />
Teil des „Dritten Reiches“ wurde. Die<br />
Zeit der NS-Herrschaft muss – glaube<br />
ich – im Gedächtnis behalten werden,<br />
1938<br />
<strong>Dompfarrbrief</strong> 3/<strong>2018</strong><br />
1948<br />
weil der Rückblick auf diese Zeit<br />
zeigt, wie schnell Menschen verführt<br />
sind, wie unter einer gezielten Propaganda<br />
Menschen manipuliert werden,<br />
wie die politische Macht in alle Lebensbereiche<br />
eingreift, wie Bespitzelung<br />
das Vertrauen unter den<br />
Menschen zerstört. Es darf nicht vergessen<br />
werden, dass die Zugehörigkeit<br />
zu einem bestimmten Volk die Vernichtung<br />
zur Folge hatte, ebenso bestimmte<br />
körperliche und psychische<br />
Krankheiten. Mit sog. lebensunwertem<br />
Leben wurden medizinische Experimente<br />
durchgeführt, die für die<br />
Betroffenen nur eine Quälerei waren<br />
und fast immer zum Tod führten. Ein<br />
Besuch des ehemaligen Lagers Mauthausen<br />
oder von Schloss Hartheim<br />
bzw. anderer Gedenkstätten kann beitragen,<br />
dass jene grundlegenden Menschenrechte<br />
geachtet werden, die von<br />
den Vereinten Nationen am 10. Dezember<br />
1948 feierlich erklärt wurden.<br />
Die Erklärung der Menschenrechte<br />
vor 70 Jahren ist eine ganz wesentliche<br />
Antwort auf die Unmenschlichkeit<br />
in der Mitte des 20. Jahrhunderts gewesen.<br />
So sehr die Erklärung der<br />
Menschenrechte einen großen Fortschritt<br />
der Menschlichkeit darstellt,<br />
darf nicht übersehen werden, dass in<br />
vielen Staaten trotz der Zustimmung<br />
zur UNO-Erklärung diese Menschenrechte<br />
missachtet wurden und bis heute<br />
wenig Geltung haben.<br />
Das Jahr 1968 kenne ich nicht nur aus<br />
Büchern und von Erzählungen. Wenn<br />
ich dazu etwas sage, bringe ich mich<br />
als „Zeitzeuge“ ein. Der „Prager Frühling“<br />
kommt mir als erstes bemerkenswertes<br />
Ereignis in den Sinn. In der<br />
damaligen CSSR (Tschechoslowakischen<br />
Sozialistischen Republik) übernahm<br />
Alexander Dubcek die Führung<br />
der Kommunistischen Partei. Zusammen<br />
mit Staatspräsident Svoboda<br />
wollte er innerhalb der kommunistischen<br />
Partei Reformen durchführen,<br />
die den Menschen mehr Freiheit, Mitbestimmung<br />
und Eigenverantwortung<br />
zutrauten. Man sprach von einem<br />
„Kommunismus mit menschlichem<br />
Gesicht“. Am 21. August besetzten<br />
Truppen der Sowjetunion und anderer<br />
Ostblockstaaten Prag und andere<br />
wichtige Städte und beendeten so dieses<br />
„Experiment“.<br />
In der Kirche<br />
waren die Reformen<br />
des II. Vatikanischen<br />
Konzils, vor allem die<br />
Liturgiereform, in eine entscheidende<br />
Phase der Umsetzung gekommen.<br />
Große Teile der Messe wurden bereits<br />
in der Muttersprache gefeiert. Eine<br />
Reformstimmung war in der Kirche zu<br />
spüren, die – das soll nicht übersehen<br />
werden – auch manchmal „über das<br />
Ziel geschossen“ hat.<br />
Vor 50 Jahren veröffentliche Papst<br />
Paul VI. die Enzyklika „Humanae<br />
1968<br />
vitae“ (über die Weitergabe des<br />
menschlichen Lebens). Es war eine<br />
Stellungnahme des Papstes zur Empfängnisregelung<br />
erwartet worden. Weil<br />
Paul VI. sich gegen „künstliche Methoden“<br />
der Empfängnisregelung ausgesprochen<br />
hat, wurde gar nicht mehr<br />
wahrgenommen, dass er ein grundsätzliches<br />
„Ja“ zur Empfängnisregelung<br />
im Rahmen verantworteter Elternschaft<br />
gesagt und in einer sehr positiven<br />
Sprache die eheliche Liebe und<br />
die Bedeutung der Sexualität dargelegt<br />
hat.<br />
Gedenkjahr <strong>2018</strong>. Was werden unsere<br />
Nachfahren in 25, 50 oder mehr Jahren<br />
über unsere Zeit sagen oder schreiben?<br />
Wenn ein Gedenkjahr dazu führt, an<br />
die Zukunft zu denken und die langfristigen<br />
Folgen unseres Tuns abzuschätzen,<br />
wäre ein wichtiger Zweck des<br />
Blicks in die Vergangenheit erfüllt.<br />
Für das eben begonnene Schul- und<br />
Arbeitsjahr wünsche ich uns allen diesen<br />
Blick der Verantwortung für die<br />
Zukunft, der getragen ist von der Hoffnung,<br />
die uns Christen geschenkt ist.<br />
Ihr Pfarrer<br />
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