IEG-Forschungsprogramm 2012–2017
Umgang mit Differenz im Europa der Neuzeit: Ergebnisse und Impulse des IEG-Forschungsprogramms 2012–2017
Umgang mit Differenz im Europa der Neuzeit: Ergebnisse und Impulse des IEG-Forschungsprogramms 2012–2017
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Umgangs mit Unterschieden und Andersartigkeit.<br />
Einmal erzielte Regulierungen, Begrenzungen<br />
oder Zulässigkeiten waren nicht zwingend<br />
dauerhaft, sondern reversibel. Manche konnten<br />
allerdings exemplarische Bedeutung erlangen<br />
oder modellbildend für andere gesellschaftliche<br />
Felder und historische Situationen wirken. Damit<br />
verbunden ging die Forschungsarbeit am <strong>IEG</strong><br />
zweitens davon aus, dass Differenz prozesshaft<br />
zu verstehen ist und immer relational zu durchaus<br />
wechselnden Anderen stand. Stets aufs Neue in<br />
der sozialen Praxis vollzogene Unterscheidungen<br />
und als bereits vorhanden oder gar »natürlich«<br />
wahrgenommene Unterschiede standen dabei in<br />
einer unauflösbaren Wechselbeziehung.<br />
Drittens bestätigten die Forschungen die<br />
leitende Vorannahme, dass in der europäischen<br />
Geschichte der Neuzeit keine Leitdifferenz vorherrschte.<br />
Der Umgang mit Differenz war vielmehr<br />
von Intersektionalität bzw. multipler Zugehörigkeit<br />
geprägt, das heißt von der Überlappung<br />
verschiedener Kategorien der Differenzierung<br />
(Religion, gesellschaftliche Stellung, politische<br />
Macht, Ideologie, Geschlecht, Alter etc.). Dass<br />
Differenzkategorien in der historischen Praxis<br />
immer wieder hierarchisiert wurden, ist daher<br />
nicht als gegeben, sondern als kontingent zu<br />
verstehen – als Ergebnis bestimmter Machtkonstellationen<br />
und religiöser, geistiger, politischer<br />
oder sozialer Auseinandersetzungen. Die historischen<br />
Forschungen am <strong>IEG</strong> haben damit die<br />
vor allem in den Sozialwissenschaften verfolgte<br />
Frage, wie Differenzen in der sozialen Praxis hergestellt<br />
und abgebaut wurden, durch die Frage<br />
ergänzt, wie sich Differenzierungen in Differenzen<br />
unterschiedlicher Art (religiös, konfessionell, politisch,<br />
nach Gender, sozial etc.) verfestigten und<br />
als solche institutionalisierten und langfristig<br />
wirkten, aber auch in langwierigen Auseinandersetzungen<br />
bekämpft und wieder verflüssigt<br />
wurden. Gerade die Beschäftigung mit Religion,<br />
Politik und Gesellschaft in ihren wechselseitigen<br />
Beziehungen zeigt, dass Differenzierungen, wenn<br />
sie sich verfestigten, historisch immer wieder<br />
selbst Verhandlungen darüber anstießen, wie mit<br />
Differenz umzugehen und wie sie zu überwinden<br />
sei. Diese Bestrebungen festigten oft Pluralität<br />
und riefen neue Differenzen hervor.