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STADTJournal Ausgabe November 2018

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<strong>STADTJournal</strong> Heimat<br />

Unsere Heimat<br />

Die ersten Schuljahre in der zweiklassigen<br />

Schule von Urmitz-Bahnhof<br />

Ostern 1936 wurde ich in die zweiklassige Volksschule<br />

in Urmitz-Bhf. eingeschult. Außer mir standen noch<br />

10 Mädchen und 14 Jungen verlegen bei ihren Müttern,<br />

bis uns unsere neuen Plätze zugewiesen worden<br />

waren. Einige meiner neuen Jahrgangsgenossen<br />

kannte ich kaum, denn sie kamen aus dem „Oberdorf“<br />

oder dem Ortsteil Depot, und bis dahin reichte<br />

der Spielradius eines Sechsjährigen in der Regel noch<br />

nicht, zumal es ja auch keinen Kindergarten gab, in<br />

dem wir uns hätten kennen lernen können.<br />

Bald aber wusste ich, wer von jetzt an zu meinem<br />

neuen Schuljahrgang gehörten.<br />

„Hände falten, Schnabel halten, Ohren spitzen, gerade sitzen!“<br />

Erster Schultag<br />

Das Schuljahr begann damals nicht im<br />

Sommer, sondern jeweils nach den Osterferien.<br />

Obwohl der neue Lebensabschnitt für<br />

uns Zwanzig persönlich eine wichtige Sache<br />

war, machten Schule und Eltern nichts<br />

Besonderes daraus. Es gab weder Geschenke<br />

noch eine Tüte mit Süßigkeiten. Auf dem<br />

Rücken trug ich den „Schullesack“, wie der<br />

Schulranzen bei uns hieß. Darin befanden<br />

sich eine Schiefertafel, eine hölzerne Griffelscheide<br />

und die „Kinderfibel“, das damals<br />

gebräuchliche Erstlesebuch.<br />

Tafel, Griffel, Tintenfass<br />

In der nächsten Zeit merkte ich, dass hinsichtlich<br />

der Schulutensilien einige Pflichten<br />

auf mich zukamen.<br />

Durch eine Bohrung im Rahmen der Schiefertafel<br />

hatte die Mutter ein Band gezogen,<br />

an dessen beiden Enden je ein Tafellappen<br />

angenäht war. Der eine Tafellappen musste<br />

jeden Morgen vor der Schule angefeuchtet<br />

werden, damit man das Geschriebene wieder<br />

ausputzen konnte, der andere diente<br />

zum Trocknen der angefeuchteten Tafel.<br />

In meiner hölzernen Griffelscheide befanden<br />

sich zwei Schiefergriffel, die jeden Tag<br />

mit dem Messer angespitzt werden mussten.<br />

Ich hatte nur eine einfache Scheide,<br />

und etwas neidisch schaute ich auf diejenige<br />

meines Nachbarn. Sie war nämlich<br />

zweistöckig. Zum Öffnen konnte er nicht<br />

nur die hölzerne Zunge herausziehen, sondern<br />

danach auch noch den ganzen oberen<br />

Teil des Kastens drehen, so dass unten<br />

ein weiterer Behälter zur Verfügung stand.<br />

Neben den Griffeln brauchten wir im dritten<br />

und vierten Schuljahr noch einen hölzernen<br />

Federhalter und eine Stahlfeder, die<br />

man aufsetzen konnte. Nun gab es auch ein<br />

Schönschreibheft. Einmal in der Woche<br />

war eine Schönschreibstunde angesetzt. Sie<br />

hatte zweierlei zum Ziel: Einmal sollten<br />

wir uns an das Schreiben mit Federhalter<br />

und Tinte gewöhnen, und zum anderen<br />

erlernten wir dabei die lateinische Schreibschrift.<br />

Sonst wurde ja nur die deutsche<br />

Schrift nach „Sütterlin“ gebraucht.<br />

Die Tinte befand sich in einem Porzellantöpfchen,<br />

das oben in der Platte der<br />

Schulbank eingelassen war und mit einem<br />

Klappdeckel verschlossen werden konnte.<br />

Von Zeit zu Zeit mussten die Tintenfässchen<br />

nachgefüllt werden. Wir nahmen sie<br />

heraus und gingen bankweise nach vorn,<br />

wo ein Mädchen des achten Schuljahres aus<br />

einem braunen Steingutkrug die Töpfchen<br />

nachfüllte. Selten ging es ohne Flecken auf<br />

Bank, Fußboden oder Kleidern ab, aber das<br />

nahm man damals nicht so genau. Insbesondere<br />

der Fußboden bestand ja nur aus<br />

groben Brettern, die zweimal im Jahr mit<br />

einem Leinöl gestrichen wurden.<br />

Der Boden musste schon einiges aushalten.<br />

Wir Schüler trugen damals nur Schuhe,<br />

deren Ledersohlen mit Nägeln beschlagen<br />

waren. Der Absatz war mit einem Eisen<br />

versehen, das einem Pferdehufeisen ähnlich<br />

war. Die Schuhspitze war durch eine „Platt“<br />

geschützt. Sie ähnelte dem flachen Eisen<br />

gleichen Namens, mit dem die Innenhufe<br />

der Kühe beschlagen waren, die als Zugtiere<br />

benutzt wurden.<br />

Mit Schulstrafen waren die Lehrer damals<br />

schnell bei der Hand. Das Übliche waren<br />

Schläge auf den Hintern. In schlimmeren<br />

Fällen gab es „Plötsche“. So nannten wir<br />

zwei oder gar vier Schläge mit einem dünnen<br />

Haselstöckchen auf die Innenfläche der<br />

Hände. Die körperliche Züchtigung war<br />

für den Lehrer immer ein Erziehungsmittel,<br />

bei dem er sich auf Jahrhunderte lange<br />

Tradition und sogar auf die Bibel berufen<br />

konnte: „…ein solcher Vater soll wissen,<br />

was der Hl. Geist sagt: Strafe dein Kind mit<br />

der Rute, so wirst du dessen Seele von der<br />

Hölle erretten“. So rechtfertigte sich mancher<br />

Lehrer, wenn er wegen übertriebener<br />

körperlicher Züchtigung eines Schülers verklagt<br />

worden war. Der Bibelspruch ist oft<br />

allzu leicht missverstanden und übertrieben<br />

worden.<br />

Unsere Schule bestand aus zwei großen<br />

Sälen und einem breiten Flur. Die Klassenzimmer<br />

waren mit Viererbänken möbliert.<br />

Nur so konnte man dort 70 bis 80 Kinder<br />

unterbringen. Vor den langen schrägen<br />

Tischplatten saß man auf Klappstühlchen,<br />

die drehbar an einem Balken befestigt<br />

waren. Jedes Mal, wenn man eine Antwort<br />

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