syndicom magazin Nr. 8 - Eure Fragen, unsere Antworten
Das syndicom-Magazin bietet Informationen aus Gewerkschaft und Politik: Die Zeitschrift beleuchtet Hintergründe, ordnet ein und hat auch Platz für Kultur und Unterhaltendes. Das Magazin pflegt den Dialog über Social Media und informiert über die wichtigsten Dienstleistungen, Veranstaltungen und Bildungsangebote der Gewerkschaft und nahestehender Organisationen.
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syndicom
Nr. 8 November–Dezember 2018
magazin
Wir machen Zukunft!
Eure
Fragen,
unsere
Antworten
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syndicom profitieren
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kpt.ch/syndicom
Inhalt
4 Wir machen Zukunft
6 Bitte nachmachen!
7 Sollen wir laut werden?
8 Das ist Christy Hoffman
12 Digitale Nomaden
13 Zehn Ziele des SGB
16 Erhöhen wir die AHV!
18 Jetzt nicht lockerlassen
22 Streik digital
25 Recht so!
26 Kulturgewerkschaft
27 1000 Worte
28 Junge bei syndicom
31 Kreuzworträtsel
32 Eine Frage noch
Liebe Leserinnen und Leser
Vor euch liegt eine Sondernummer des
syndicom-Magazins: Anstatt der üblichen
Rubriken findet ihr hier Antworten zu den
Fragen, die euch betreffen und die ihr uns
gestellt habt. Wir danken euch – den Leserinnen
und Lesern und Mitgliedern von syndicom
und ihrer IG Jugend –, dass ihr euch die Zeit
genommen habt, um am Projekt «Wir machen
Zukunft» teilzunehmen. Die Vielfalt der angesprochenen
Themen hat uns überrascht:
politische Aktion, Situation der Selbständigen
und der Temporärarbeitenden, Frauenstreik
oder Grundeinkommen. Alle diese Fragen
haben uns zum Weiterdenken gezwungen.
Bei der Formulierung unserer Antworten haben
wir einen wichtigen Beschluss gefasst. Um für
die vierte industrielle Revolution gerüstet zu
sein, muss syndicom sich weiterhin auf den
Ausbau der Gesamtarbeitsverträge und die
Verteidigung der Rechte der Arbeitenden fokussieren,
dabei aber politisch aktiver werden.
Zum Beispiel mit der Schaffung eines digitalen
Service public, wie ihn syndicom Ende November
am SGB-Kongress vorschlagen wird
(mehr dazu auf Seite 23).
Dieser Dialog mit unseren Leserinnen und
Lesern war erst der Anfang. Sagt uns, was ihr
von dieser Ausgabe und den darin ausgedrückten
Ideen haltet. Wir freuen
uns über euer Feedback an:
Redaktion@syndicom.ch.
Führen wir den Denkprozess weiter!
Sylvie Fischer, Chefredaktorin
8
12
18
Wir machen Zukunft!
4
Wir machen
Zukunft
Wenn unser starker Arm es will
Unser Kerngeschäft ist die Verteidigung
der Arbeitenden, mit GAV, Interventionen und
auch Streiks, wenn es sein muss. Im
«Kleinen» ringen wir um die grossen Dinge:
um die Emanzipation des Menschen und eine
gerechtere soziale Ordnung. Unter den
veränderten Verhältnissen muss syndicom
dafür nun stärker politisch aktiv werden.
Unter uns sind manche, die finden die Welt, wie sie gerade
brodelt und taumelt, zum Fürchten. Sie führen ein paar
gute Gründe an. Die misshandelte Ökologie. Trump und
andere Zündler. Neue Nationalisten und Rassisten. Die
nächste Finanz- und Wirtschaftskrise. Und erst die Digitalisierung
...
Finsternishändler wuchern mit dieser Lage. Ohnmacht
dient den Mächtigen, weil sie die Menschen
panisch, blind und dumm macht. Wir halten uns lieber
daran, dass Millionen Menschen täglich an besseren Verhält
nissen arbeiten. Gemeinsam und darum immer wieder
erfolgreich. Wie die indische Autorin Arundhati Roy
sagt: In den «kleinen» Dingen bewegen wir die grossen.
Genau so ist es in unseren gewerkschaftlichen Genen
eingeschrieben.
Angriff auf Löhne und Arbeitsbedingungen
Das werden wir schon am 25. November zeigen, indem wir
dazu beitragen, die sogenannte Selbstbestimmungsinitiative
der SVP abzuschmettern. Wie immer, wenn die
SVP über Europa redet, meint sie die Innenpolitik.
«Fremde Richter» sind nicht ihr Problem. Die Rechten
stossen sich daran, dass wir Arbeitenden uns auch auf
eine Reihe von internationalen Abkommen stützen
können, wenn wir für unsere Löhne und Rechte kämpfen.
Diese Verträge definieren die Grundlage der zivilisierten
Menschheit, etwa das Recht, sich zu versammeln, eine
Meinung öffentlich zu vertreten oder zu streiken. Indem
wir Nein sagen, bekräftigen wir unsere Rechte als Bürger
und Gewerkschafterinnen.
Ähnlich steht es mit den Flankierenden Massnahmen
(FlaM). Der Bankenflügel der FDP, die SVP und Konzernlobbys
wie Avenir Suisse nutzen die Diskussionen mit der
EU als Vorwand, um die Löhne und den Schutz der Arbeitenden
in der Schweiz anzugreifen. Dabei hat erst der
FDP-Bundesrat Ignazio Cassis die FlaM in den Verhandlungen
mit der EU ins Spiel gebracht. Denn die FlaM
schützen die inländischen Beschäftigten. Sie funktionieren
gut. SVP-Banker Thomas Matter hat offen gesagt, was
ihn an der Personenfreizügigkeit irritiert. Die Ausländer?
Nein. Die FlaM, die wachsende Zahl von Mindestlöhnen,
die allgemeinverbindlich erklärten Gesamtarbeitsverträge
und die vielen Kontrollen für korrekte Arbeits verhältnisse.
Das sagt alles. Wir müssen die FlaM weiter
verstärken, statt sie abzubauen.
Personenfreizügigkeit und FlaM sind Zwillinge. Das
eine ist ohne das andere nicht zu haben. Wer sie attackiert,
zerstört unseren Wohlstand. Wenn Kapital und Waren
frei zirkulieren, sollen Menschen dies genauso dürfen.
Wir lassen uns nicht auseinanderdividieren. Wir sind mit
allen Arbeitenden solidarisch, gewiss aber nicht mit
Schweizer Unternehmern, die Leute zu Hungerlöhnen
ausbeuten. Aus der Geschichte haben wir gelernt:
Grenzt man ausländische Kolleginnen und Kollegen aus,
etwa mit einem Saisonnierstatut, bezahlen wir alle die
Zeche. Nur die Aktionäre bereichern sich.
«Seid politischer!», fordern die Kolleginnen
Warum rede ich über Politik, wenn ich über die Zukunft
der Gewerkschaft nachdenke? Unser Kerngeschäft sind
(und bleiben) die Gesamtarbeitsverträge, das Engagement
für alle in den Betrieben, die Organisation unserer
Interessen als Arbeitnehmende. Doch in Versammlungen
und Mails fordern immer mehr Kolleginnen und Kollegen,
wir sollten politisch stärker auftreten. So auch in den
Zuschriften für diese Nummer des Magazins. Sie haben
recht.
Erstens, weil zum Beispiel die FlaM entscheidend für
unsere künftigen Arbeitsbedingungen sind. Andere Anliegen,
wie die Lohngleichheit und die Gleichstellung,
bekämpfen wir täglich im GAV-Vollzug, aber die Gleichstellung
braucht darüber hinaus politischen Schub. Inklusive
Druck von der Strasse. So steht es um viele
gewerkschaftliche Themen.
Zweitens haben sich die Kräfteverhältnisse in der
Schweiz seit Mitte der 1980er-Jahre verändert. Damals
galt als Regel in der Wirtschafts- und Sozialpolitik: Gut ist,
was der Volkswirtschaft nützt. Das schloss, trotz einer
klaren Präferenz für das Kapital, die Arbeitnehmenden
mit ein. Wahrscheinlich hat dies uns Gewerkschaften ein
wenig faul gemacht. Heute, nach der neoliberalen Revolution,
hat sich die Politik eine andere Grundregel gegeben:
Gut ist, was den Konzernen und ihren Aktionären dient.
Ein klarer Bruch mit dem sozialen Kompromiss. In den
Parlamenten sitzen, bei SP und Grünen, nur noch einzelne
unzweifelhafte Interessenvertreter der Arbeit nehmenden.
Also sind wir gefordert, uns zu einer politisch gestal tenden
Kraft zu wandeln. Nicht leicht, aber wir können das.
Wir sind
gefordert,
eine
politische
Kraft
zu werden.
5
Wollen wir Fortschritt in einem neuen sozialen Kompromiss,
tun wir gut daran, Gesamtarbeitsverträge und den
Aufbau von politischem Druck zusammen zu denken. Verpassen
wir diese Wende, riskieren wir unsere Zukunft.
Eklatantes Beispiel für diesen entscheidenden Wandel in
unserer Praxis ist die digitale Revolution. In wachsendem
Tempo verändert sie gerade alle Arbeits- und Lebensformen.
Digitalisierung wäre eine Chance für kürzere
Arbeitszeiten und bessere Arbeit und für die ökologische
Steuerung und für einige andere erfreuliche Ent wicklungen.
Doch der Bundesrat überlässt die Gestaltung den
Konzernen, er hat die barbarische Digitalisierung gewählt:
Zerstörung von Jobs, die Zerrüttung sicherer Arbeits verhält
nisse, Entgrenzung der Arbeitszeit, Plattformarbeit,
Arbeit auf Abruf, sinkende Löhne, Uber-Ökonömie, Abriss
an den Sozialversicherungen, Datenplünderung, Untergang
einer informierten Öffentlichkeit durch den algorith
mus gesteuerten Social-Media-Wahn. 150 Jahre soziale
Errungen schaften, so freuen sich die Digitalstrategen,
können in wenigen Jahren weggefegt werden.
In den kleinen Dingen
bewegen wir die
grossen. Das liegt in
unseren Genen.
Diese Digitalisierung nehmen wir nicht hin. In den
Betrie ben leisten wir einiges für eine sozialverträgliche
Digitalisierung, via Sicherung von Jobs, Weiterbildungsvereinbarungen,
Kampf gegen Auslagerungen, Ausgestaltung
der Arbeitsplätze. Aber die Werkzeuge von Betriebsarbeit,
GAV und Sozialpartnerschaft bleiben stumpf,
wenn wir nicht ein starkes Bündnis bauen, das die politische
Regulierung dieser industriellen Revolution
erzwingt.
Auf mindestens drei Feldern: Die Schweiz braucht
einen kräftig ausgebauten, digitalen Service public (siehe
Artikel Seite 23). Arbeit rund um die Uhr durch Plattformen
verhindern wir mit einem universellen Arbeitsvertrag,
der für jedes nicht GAV-geschützte Auftrags verhältnis
gilt. Inklusive Sozialversicherungen. Und den
digitalen Produktivitätsgewinn gilt es zu verteilen – durch
Arbeitszeitverkürzungen.
Unser Ziel: Emanzipation des Menschen
Ein ehrgeiziges Programm. Und machen wir uns keine
Illu sionen: Wir werden es politisch nur durchsetzen
können, wenn wir unsere gewerkschaftlichen Hausaufgaben
machen. Dazu gehören: Die GAV ausbauen und
ihren Geltungsbereich erweitern. Echte Gleichstellung
erringen. Unsere Mobilisierungsfähigkeit
erhöhen. Also Mitglieder gewinnen, vor allem
Frauen und Jüngere und noch mehr Qualifizierte.
Das setzt Attraktivität voraus, durch viele kleine
Siege in der Verteidigung der Arbeitenden, bei den
Löhnen, bei der Gleichstellung, gegen die Flexibilisierung
und durch Sicherung der Jobs. Und
durch bessere Dienstleistungen, etwa im Bereich
der Beratung und der Bildung (Ausbau von Movendo).
Die Gewerkschaft muss sich öffnen und
weiter demokratisieren. Wer bei uns ist oder
einsteigt, soll sich entfalten können und
wissen: syndicom arbeitet an der Zukunft.
Krisen, wie der laufende Angriff auf die sozialen
Errungenschaften, sind immer auch
offene Momente, in denen wir unser erstes
Ziel als Gewerkschaft voranbringen: Die
Emanzipation des Menschen von wirtschaftlichen
und sozialen Zwängen. Wenn unser
starker Arm es will.
Text: Daniel Münger, Präsident syndicom
Bild: Jens Friedrich
6
Empfohlen zur
Nachahmung
Hansruedi Schläppi: «Beratung zur
Frühpensionierung ist sehr gefragt»
Warum soll ich noch länger arbeiten,
wenn ich über 50 bin und im Fall einer
Entlassung sowieso kaum noch
Chancen bei der Arbeitssuche habe?
Die vorzeitige Pensionierung ist eine
Option, die man im Einzelfall überprüfen
muss. syndicom kann hier beraten
und dir helfen, eine Entscheidung zu
treffen.
Der Emmentaler Hansruedi Schläppi
(1954) hat 43 Jahre in der Informatik
gearbeitet: zuerst im elektronischen
Rechenzentrum (ERZ) der PTT, danach
bei der PTT Telecom und zuletzt bei
Swisscom. In dieser langen Zeit war er
in vielen Funktionen tätig, 25 Jahre
auch als Vorgesetzter in diversen Bereichen.
Als Gewerkschaftsvertreter
hat er während seiner gesamten Laufbahn
Kolleginnen und Kollegen in
schwierigen persönlichen Situationen
unterstützt und begleitet (alleinerziehende
Mütter, Mitarbeitende im Konflikt
mit Vorgesetzten, bei Kündigungsdrohungen
usw.). Im November 2017
hat er sich vorzeitig pensionieren lassen
und das Projekt Erfa-Gruppe 55+
ins Leben gerufen, um Swisscom-Mitarbeitende,
die diesen Schritt ebenfalls
wagen möchten, unentgeltlich zu
beraten.
Dies ist die Geschichte einer guten
Idee, die von einer Person mit rund
48 Jahren gewerkschaftlicher Aktivität
stammt. Die unentgeltlichen
Beratungs gespräche für Swisscom-
Mitarbeitende, die sich vorzeitig
pensionieren lassen wollen, sind
wichtig, denn viele wissen nicht, ob
sie es sich leisten können, bemerkt
Hansruedi Schläppi. Er stellt einen
grossen Informationsmangel fest,
von den «Grundkenntnissen der ersten
Säule, der zweiten Säule, der
dritten Säule, bis zu der Notwendigkeit,
im Falle einer vorzeitigen Pensionierung
eine Unfallversicherung
abzuschliessen».
Seit Februar 2017 haben 166 Personen
die Möglichkeit in Anspruch
genommen, ihre Situation während
einer bis vier Stunden analysieren
zu lassen. «Es ist wichtig, dass man
die Leute im vertraulichen Rahmen
treffen kann», erklärt Hansruedi
Schläppi. «Ausserdem müssen wir
ein Vertrauensverhältnis schaffen,
denn wir sprechen auch heikle, private
Fragen an, etwa ob grosse
Schulden oder Leasing-Verträge
vorhan den sind, oder auch ob ein
Scheidungsfall vorliegt. Wir sind bei
der Beratung völlig neutral, denn
wir arbeiten weder für eine Bank
noch für eine Versicherung. Nach
dem Beratungsgespräch müssen die
Kolleginnen und Kollegen selber die
notwendigen Entscheidungen treffen
und konkrete Schritte einleiten.
Selbstverständlich stehen wir jederzeit
für weitere Fragen zur Verfügung.»
Wertvoll ist, dass er den GAV der
Swisscom und das Pensionskassenreglement
von comPlan bestens
kennt: «Ich versuche auch die Mitarbeitenden
dafür zu sensibilisieren,
dass sie bei den Stiftungsratswahlen
mitmachen, damit beispielsweise
die Möglichkeit der kostenlosen
Überbrückungsrente gewahrt wird.»
Von Zeit zu Zeit verschickt syndicom
einen Newsletter, um diese
neue – für ihre Mitglieder kostenlose
– Dienstleistung bekannt zu machen.
Die Unentgeltlichkeit ist ein
klarer Vorteil, denn solche Beratungen
können auf dem Markt ins Geld
gehen. Für ein Beratungsgespräch
anmelden können sich Mitarbeitende
von Swisscom, Cablex und Localsearch,
die Mitglied bei syndicom
sind, über 55 Jahre alt und deutschsprachig.
Aufgrund der grossen
Nachfrage unterstützt eine Kollegin
aus dem Projekt, Edith Annaheim,
Hansruedi Schläppi bei dieser «einzigartigen
Dienstleistung, die nur
von syndicom angeboten wird», wie
er stolz anfügt.
«Wegen ihrer unsicheren beruflichen
Zukunft erkundigen sich die
Kolleginnen und Kollegen nach der
Möglichkeit einer Frühpensionierung.
Viele, die an uns gelangen,
haben Angst und fürchten, negativ
aufzufallen, das spürt man», sagt
Hansruedi Schläppi. «Die Berufsund
Lebenserfahrung zählt nicht
mehr und häufig sind die Leute deswegen
demotiviert.»
Hansruedi Schläppi wünscht
sich, dass diese Dienstleistung auch
in der Romandie und im Tessin sowie
später auch für syndicom-Mitglieder
angeboten werden kann, die
einer anderen Pensionskasse als
comPlan unterstehen, zum Beispiel
die KollegInnen bei der Post oder
im Buchhandel. «Ich will nicht
150 % arbeiten – sonst hätte ich
mich nicht pensionieren lassen
müssen –, daher fordere ich Interessierte
auf, ihre Zeit für diese wichtige
Tätigkeit zur Verfügung zu stellen.»
Noch zwei Projekte warten auf
Verwirklichung: Eine Erfahrungsgruppe
für Aus- und Weiterbildungen
45+ zum Thema «Wie kann ich
meinen Wert auf dem Arbeitsmarkt
erhalten?» und eine Beratungsgruppe
zu Fragen wie Erbschaft oder Eintritt
ins Altersheim – die von der
Pensioniertenvereinigung von syndicom
betreut werden könnte.
Text: Sylvie Fischer
Bild: Alexander Egger
Sollen wir laut
werden?
Nicht die Spitze bestimmt den Weg,
sondern die Basis
7
Wir haben Kundgebungen organisiert,
Motionen und Beschwerden eingereicht,
Unterschriften gesammelt
gegen den Poststellenabbau.
Und trotzdem geht der Abbau mit
Entlassungen (Post, Swisscom ...)
weiter ... Was können wir noch tun?
Ist nun der Zeitpunkt gekommen, Ernst
zu machen, die Stimme zu erheben
und auf die Strasse zu gehen? Eine
Vorstellung: Warnstreik.
Die Kampagne gegen den Kahlschlag
der Poststellen ist wohl die
grösste Kampagne von syndicom jemals,
und sie ist noch lange nicht
vorbei. Mit der von syndicom publizierten
Gefährdungskarte wurde
offen sichtlich, wie drastisch der Abbau
ist. Viele BürgerInnen-Komitees
haben sich daraufhin gebildet.
syndicom hat an vielen Orten sogenannte
«Poststellen-Läufe» mitgetragen,
bei denen Tausende von
Poststelle zu Poststelle gezogen
sind. Es gibt Hunderte Zeitungsartikel,
die über die Kampagne und
unsere Gefährdungskarte berichtet
haben, es hagelte parlamentarische
Vorstösse, und nun fordert die Kommission
des Ständerats eine Gesetzesrevision.
Die Vorschläge, die der
Bundesrat hier macht, reichen ganz
offenbar nicht aus.
Parlament muss rasch entscheiden
Allerdings läuft die Zeit gegen uns.
Die Post schert sich keinen Deut um
Doris Leuthard, die letzten Dezember
versprach, keine Poststelle würde
gegen den Willen der Gemeinde
geschlossen, bis die Politik neue
Vorgaben gemacht habe. Und auch
Leuthard kümmert sich nicht um
ihr Versprechen. Deshalb unterstützt
syndicom weiterhin Bürgerinnen
und Bürger, die Proteste organisieren,
und Gemeinden, die sich
gegen eine Schliessung wehren wollen.
Derweil geht der Abbau weiter
und es wäre dringend nötig, dass
die vom Bundesparlament geforderten
Schritte möglichst schnell getan
werden. Auch hier leistet syndicom
das Möglichste, um das Verständnis
für die Dringlichkeit von Reformen
zu erhöhen.
Niedriglohnbranche Logistik?
Dazu gehört auch die unsägliche
Auslagerung an Postagenturen. Das
Angebot wird schlechter, bei der
Kundschaft sind die Agenturen unbeliebt
und meist ist das Personal
deutlich schlechter bezahlt. So umgeht
die Post den GAV. Es ist eine
klare Forderung von syndicom, dass
alle, die Post-Leistungen erbringen,
mit Post-Löhnen bezahlt werden.
Auch die anderen privaten Erbringer
von Postdienstleistungen: seien
es die sog. PostAuto-Unternehmen,
die Transportpartner oder Firmen
wie DHL.
Wenn es nicht zu einer deutlichen
Erhöhung der Mindestlöhne
kommt, droht der Logistikmarkt zur
Niedriglohnbranche abzufallen.
Schlicht inakzeptabel ist der Vorschlag
der Postcom: Mindestlohn
von 18.27. Das ist ein Lohn, der in
der Schweiz nicht zum Leben reicht.
syndicom und der SGB haben den
Vorschlag massiv kritisiert. Es
braucht einen höheren Mindestlohn
und eine Differenzierung nach Berufsgruppen.
Die Mitglieder bestimmen die
gewerkschaftlichen Mittel
Im Gesamtarbeitsvertrag Post ist
grundsätzlich eine Friedenspflicht
festgehalten. Warnstreiks würden
daher rechtliche Fragen aufwerfen.
Die Mittel, die syndicom anwendet,
richten sich nach den Entscheiden
der Mitglieder. Diese Mittel werden
von den Milizgremien angeregt und
beschlossen. Die Aktionsgruppe zur
Poststellen-Kampagne, die sich aus
25 Post-Angestellten aus der gesamten
Schweiz zusammensetzte, hat
z. B. eine Poststellen-Blockade
durch die Belegschaft diskutiert
und deutlich verworfen.
4000 Swisscom-Mitarbeitende haben die syndicom-Petition zum Stopp des Personalabbaus bei
der Swisscom unterschrieben, die Ende September Bundesrat und Parlament übergeben wurde.
Sie fordern die Änderung der Eignerstrategie des Bundesrates, die Lockerung des Kostensenkungsdrucks
bei der Swisscom und die Ermöglichung einer nachhaltigen Personalpolitik.
Text: David Roth
Bild: Christian Capacoel
8
Christy
Hoffman
Gegen die Übermacht der globalen Multis
helfen nur internationale Aktionen
UNI Global Union ist die internationale
Gewerkschaftsföderation, die
im Jahr 2000 aus der Fusion von vier
früheren Verbänden hervorging:
Kommunikations-Internationale
(ehemalige Internationale der PTT),
Internationale Graphische Föderation,
Medien- und Unterhaltungs-
Internationale und Interna tionaler
Verband der Angestellten, Techniker
und Führungskräfte.
Die Föderation umfasst etwa 20
Millionen Mitglieder und 900 Organisationen
in 150 Ländern; auch die
Mitglieder von syndicom sind ihr
angeschlossen, und Daniel Münger,
Präsident von syndicom, gehört
dem Weltvorstand von UNI Global
an. «Das ist erst der Anfang», ergänzt
Christy Hoffman, die neue Generalsekretärin
der Föderation, denn
Wie weit soll die Flexibilität eigentlich
noch gehen, die von den Arbeitenden
verlangt wird?
Zu viel Flexibilität bei der Arbeit setzt
Menschen langfristig unter Druck und
greift die Gesundheit an. Die OECD und
sogar einige rechte Ökonomen erkennen
bereits den Missbrauch darin. Wir
müssen die Digitalisierung fruchtbar
machen, um auch das zu ändern.
90 % der Arbeitsplätze, die in den
nächsten Jahren entstehen, dürften
die von UNI Global abgedeckten
Sektoren betreffen.
In einer globalisierten und von
Multis beherrschten Welt können
einzig koordinierte Aktionen der
Arbeit nehmenden und Gewerkschaften
mehrerer Länder globale
Akteure zu Verhandlungen zwingen.
UNI Global, die ihren Sitz in Nyon
hat, da sie traditionsgemäss mit der
Internationalen Arbeitsorganisation
(ILO) eng verbunden ist, hat die Aufgabe,
die gewerkschaftlichen Aktionen
zu koordinieren, die denselben
Multi betreffen.
Streik bei Amazon: in Spanien und
Deutschland gleichzeitig
Zum Beispiel Amazon, bei dem Mitte
Juli in Deutschland und Spanien
gleichzeitig gestreikt wurde. Die Arbeitenden
protestierten gegen die
Arbeits be din gungen und forderten
eine Lohn erhöhung und einen GAV.
Kleine Programmierfehler, die Bestellungen
verhinderten, begleiteten
die Aktionen.
In Italien musste Amazon Ende
2017 nach einer Untersuchung wegen
Steuerbetrugs ein Abkommen
über eine Ausgleichszahlung von
100 Millionen Euro unterzeichnen.
«Und diese Machenschaften zur
Steueroptimierung verursachen
überall Probleme, angefangen bei
den USA», erklärt Christy Hoffman.
«Die Aufgabe der UNI Global Union
ist, die Gegen aktionen zu bündeln,
um ihre Wirkung zu verstärken.»
Schwere Zeiten für die
Gewerkschaften
Andere Riesen, wie der Callcenter-
Gigant Teleperformance, der auch
in der Schweiz tätig ist, stehen wegen
ihrer tiefen Löhne am Pranger:
«Wir vereinen die Gewerkschaften,
damit sie gemeinsam über die Strategie
entscheiden können. In der
Schweiz ist die Allgemeinverbindlich
erklärung des GAV der Callcenter
eine sehr gute Praxis, die auch in
anderen Ländern verfolgt werden
sollte. Dazu ist politische Arbeit bei
den Regierungen und bei der OECD
erforder lich.»
Und zwar zu einem historischen
Zeitpunkt, da der Internationale Gewerkschaftsbund
ein düsteres Bild
von der Lage der Arbeitnehmenden
weltweit zeichnet: Zwischen 2014
und 2018 nahm die Unterdrückung
der Gewerkschaftsfreiheit um 15 %
zu und betrifft nun 92 Länder, und
Damit Amazon, H&M und Zara oder der Callcenter-Riese Teleperformance zuhören,
müssen die Gewerkschaften mehrerer Länder koordiniert handeln. Das ist das Credo
von Christy Hoffman, die im Juni an die Spitze der UNI Global Union gewählt wurde.
Also genau der Organisation, die eine solche Koordination leisten kann.
9
zu GAV-Verletzungen kommt es
mittlerweile in 115 Staaten (+32 %).
«Wir leben in einer finsteren Zeit
für die Arbeit im Allgemeinen», sagt
Christy Hoffman, «die Ungleichheiten
sind sehr ausgeprägt. Seit mindestens
5 Jahren entwickeln sich
diese Zahlen nicht gut. Die Geschäftsmodelle
der reichsten und
mächtigsten Unternehmen, die auf
ganz schlechten Arbeitsbedingungen
beruhen, haben viel zu viel Ungleichheit
produziert, wie selbst die
OECD erkannt hat – über 90 % der
Arbeitenden der globalen Lieferkette
haben Tieflöhne und prekäre, unsichere
Arbeitsbedingungen, mehr
als 70 % verfügen über keinen angemessenen
sozialen Schutz.» Und sie
fügt an: «Sogar rechte Ökonomen
beginnen zu fordern, dass die Digitalisierung
als Gelegenheit zur Verbesserung
der Lage genutzt wird.»
Überholt? Im Gegenteil!
Hoffman wehrt sich entschieden gegen
die Ansicht, die Gewerkschaften
seien überholt: «Die Grosskonzerne
behaupten, dass die Gewerkschaften
ein Instrument der Vergangenheit
seien. Aber unsere Um fra gen
deuten auf das Gegenteil hin: Auf
der ganzen Welt würden sich die
Arbeitnehmenden gerne so einfach
organisieren können wie in der
Schweiz, aber sie scheitern an der
Haltung ihrer Regierung und der
Arbeit geber. Ich denke, wir sollten
unsere Arbeitsweise ändern und die
Formalitäten für die Jungen vereinfachen:
mithilfe von Apps rekrutieren,
präsent sein in sozialen Netzwerken
und auf IT-Plattformen.»
Ausserdem gebe es auf der Welt
noch Gewerkschafts-Wüsten, zum
Beispiel in einem Grossteil von Afrika:
«Es ist unmöglich, einen Gewerkschaftsbeitrag
zu zahlen, wenn
«Schweizer
Konzerne
halten sich
gerne aus
Abkommen
heraus.»
man nicht einmal genug zu essen
hat. Aber im Postsektor verfügen wir
mit DHL über Gewerkschaftspräsenz
in 9 Ländern Afrikas, und wir
haben ein weltweites Abkommen,
das auch die Schweiz betrifft.»
Obwohl UNI Global über 50 internationale
Abkommen, die weltweit
mehr als 10 Millionen Arbeitnehmende
abdecken, unterzeichnet
hat, betreffen nur wenige davon die
Schweiz. «UNI hat kaum Abkommen
mit Multis, die in der Schweiz präsent
sind, ausser einigen wenigen
wie ISS und DHL. In der Regel besteht
hier der Wille, Probleme auf
schweizerische Art zu lösen. Nicht
einmal Migros und Coop haben das
Abkommen über Gebäudesicherheit
in der Textilindustrie in Bangladesch
unterzeichnet.»
Auf dieses Abkommen ist Christy
Hoffman stolz, denn es geht auf ihre
Initiative zurück. Der Auslöser war
die Katastrophe, die 2013 mehr als
1000 Todesopfer forderte. «Das Abkommen
zählt inzwischen über 200
Unterzeichnende (Zara und H&M
gehör ten zu den ersten) und deckt
mehr als 2 Millionen Arbeitnehmende
ab. Wir haben dafür gesorgt, dass
es eingehalten wird, indem wir in
«Ich gewinne gern für die Arbeitnehmenden»
Christy Hoffman weist darauf hin, dass ihre männlichen Vorfahren Minen arbeiter
aus Liverpool waren, bevor sie in die USA auswanderten. Es gab jedoch keine
Gewerkschaftstradition in der Familie. Sie selbst begann ihre Laufbahn als
Arbeiterin in einer Motorenfabrik mit 2000 Beschäftigten in Connecticut. Schon in
jungen Jahren wurde sie zur Gewerkschaftsvertreterin gewählt, später arbeitete
sie Vollzeit für eine Gewerkschaft. Schliesslich wurde sie Gewerkschaftsanwältin
und war für nationale Kampagnen verantwortlich.
Als Leiterin des Sektors Wartungs- und Sicherheitsdienste trat sie 2004 bei der UNI
Global Union ein und wurde später zur Stellvertreterin des Generalsekretärs Philip
Jennings ernannt, bevor sie diesen schliesslich im Amt ablöste. Sie erklärt diese
Entwicklung kurz und bündig: «Ich gewinne gern für die Arbeitnehmenden.»
zwei Fällen Konflikte vor das
Schieds gericht brachten. Das war
eine Warnung für diejenigen, die
noch schlechte Praktiken pflegten.»
Ein Zusatzabkommen stützt seit
letztem Juni den Inspektionsprozess
und legt den Schwerpunkt auf
die Versammlungsfreiheit. «Das ist
ein Bereich, wo die Regierung nicht
möchte, dass wir zu viel Einfluss
haben. Es ist ein Übergangsabkommen,
das 2000 moderne Fabriken
abdeckt (die anderen wurden geschlossen),
denn wir verhandeln
derzeit noch über die Weiterführung
unserer Aktion.» Dieses innovative
Modell könnte in Ländern wie
Pakistan im Bekleidungssektor
übernommen werden. UNI Global
möchte auch, dass Ikea ein Textilabkommen
in Bangla desch unterzeichnet.
Belegschaften machen Druck
für ethische Produktion
Viele Diskussionen betreffen derzeit
die Frage, wie man sich vermehrt
gewerkschaftlich organisieren und
gemeinsam verhandeln kann. Eine
originelle und interessante Entwicklung,
die zu verfolgen ist, sind die
Beschäftigten in den USA, die sich
zusammen schlies sen, um ihre Firma
zu überzeugen, keine Produkte
herzustellen oder anzubieten, die
gegen ihre ethischen Werte verstossen.
So schafften es die Mitarbeitenden
von Google, dass der Konzern
auf ein Projekt für die Armee verzichtete,
das die Treffsicherheit von
Drohnenangriffen mit künstlicher
Intelligenz unterstützen wollte. Die
Belegschaft von Amazon brachte
den Vertrieb eines Produkts zum
Scheitern, das den Einwanderungsbehörden
die Gesichtserkennung
ermöglicht hätte. Die Mitarbeitenden
von IBM schlossen sich zusammen,
um die Behandlung der Frauen
zu verbessern.
«Diese Gruppierungen verlangen,
bei Entscheiden mitreden zu
können. Sie könnten die Gründung
neuer Gewerkschaften anstossen»,
prognostiziert Christy Hoffman.
Text: Sylvie Fischer
Bild: Yves Leresche
10
PostFinance
privatisieren?
Die Einheit des Postkonzerns ist
absolut zwingend
Wie will man den Auslagerungen und
Privatisierungen entgegenwirken?
Der Bundesrat will PostFinance
privati sieren. Die Post und die Swisscom
sparen weiterhin auf Kosten
der Arbeitnehmenden, indem sie
Dienstleistungen auslagern und die
Bundesbetriebe aushöhlen. Wie will
syndicom das angehen?
Der Bundesrat schlägt vor, die Post-
Finance zu privatisieren und im
gleichen Schritt das Hypothekenverbot
aufzuheben. syndicom würde
eine Erweiterung des Tätigkeitsfeldes
von PostFinance begrüssen.
Aber ist eine Privatisierung notwendig,
um der Post den Hypothekenmarkt
zugänglich zu machen? Die
Antwort ist klar: Nein. Denn die Beschränkung,
der die PostFinance
unterliegt, ist unabhängig von ihrer
Rechtsform und könnte auch ohne
Privatisierung aufgehoben werden.
Und die Gegnerschaft dieser
Idee ist riesig: Die Kantone sind dagegen,
weil das die Gewinne ihrer
Kantonalbanken gefährdet; die Banken
sind dagegen, weil PostFinance
ein mächtiger Konkurrent wäre; die
Bevölkerung riskiert deutlich höhere
Gebühren, und die Arbeitsbedingungen
aller Postangestellten kämen
wohl weiter unter Druck. Der
Bundesrats-Vorschlag ist ein Versuchsballon,
der nicht hoch steigen
dürfte.
Gefährdung der Grundversorgung
Die Einheit des Postkonzerns ist absolut
zwingend. Post und Finanz bilden
das Rückgrat unserer Volkswirtschaft.
Mit PostFinance garantiert
der Staat eine Grundversorgung mit
Finanzdienstleistungen. Gerade
während der Bankenkrise bewährte
sich PostFinance als sicherer Hafen
für die breite Bevölkerung.
Was bei einer Trennung der Finanz-
von den postalischen Diensten
geschieht, lässt sich am Beispiel
Deutschland ablesen: Die Eigenständigkeit
der Postbank konnte
längerfristig nicht gewährleistet
werden. Die Post musste sich massiv
aus der Fläche zurückziehen.
Inzwischen gibt es keine einzige
eigenbetriebene Poststelle mehr.
Die Verbindung der verschiedenen
Post- und Finanzdienstleistungen
ist aus Kundensicht attraktiv
und geradezu die Grundlage eines
eigenständigen Postkonzerns.
Widerspruch zur Wirtschaftspolitik
In der «Neuen Regionalpolitik» des
Bundes wird eine dezentrale Wirtschaftsentwicklung
angestrebt.
Absolut elementar dafür ist eine
flächendeckende Versorgung mit
Finanz- und Logistik-Diensten, die
unbedingt erhalten bleiben muss
(s. a. Seite 7). Der drohende Rückzug
aus der Fläche bei Post und Post-
Finance steht dazu im Widerspruch.
Bei einer Absplittung von PostFinance
wird die politische Einflussnahme,
etwa um die Ansprüche an
die Grundversorgung auch durchzusetzen,
zusätzlich erschwert.
Bedauerlich, dass der Bundesrat
die Aufhebung des Hypothekarverbots
nicht separat beschliessen will.
Die Chancen wären wegen der zahlreichen
Gegnerschaft zwar auch
eher klein, aber wenigstens nicht
derart klein, wie sie jetzt sind.
Text: David Roth
Bild: PostFinance AG 2017
Fairer
Wettbewerb
Berner Pioniere gegen
Subunternehmerketten
11
Wie kann den KMU geholfen werden,
dem wachsenden Druck auf die Preise
standzuhalten?
Wie können wir verhindern, dass
Arbeitnehmer gezwungen werden,
Armutslöhne zu akzeptieren?
Der Gewerkschaftsbund des Kantons Bern (GKB) bei der Übergabe der fast 16 000 Unterschriften
Anfang Oktober.
Im Oktober reichte der Gewerkschaftsbund
des Kantons Bern
(GKB) die Volksinitiative für fairen
Wettbewerb und zum Schutz von
Gewerbe und Beschäftigten im Kanton
Bern ein. Er hatte dafür 18 000
Unterschriften gesammelt, von denen
rund 15 800 gültig waren.
Mit dieser Initiative interveniert
der GKB im öffentlichen Beschaffungswesen.
Dort ist viel gutes Geld
zu verdienen. Unternehmen, die
sich um einen öffentlichen Auftrag
bewerben, müssen bereits heute
nachweisen, dass sie die orts- und
branchenüblichen Löhne und Arbeitsbedingungen
einhalten. Aber
das geht nicht weit genug.
Der GKB verlangt, dass die vom
Kanton, von den Gemeinden, den
öffentlichen Unternehmen wie BKW
oder Inselspital erhaltenen Aufträge
auch selber ausgeführt werden müssen.
Nur in begründeten Fällen darf
ein Teil des Auftrags einmalig weitervergeben
werden. Ketten von
Subunternehmen, wie sie in den
letzten Jahren immer mehr gebildet
wurden, sollen verboten werden.
Schluss mit den
Subunternehmerketten
Zudem sollen für alle öffentlichen
Aufträge zwingend die GAV-Bestimmungen
gelten. Aufträge sind für
den GKB keine handelbare Ware,
über die die Unternehmen frei verfügen
dürfen. Und die öffentliche
Hand darf nicht beitragen zu Lohndumping
und einer Verzerrung des
Wettbewerbs.
Wir kennen Fälle, in denen
Bund, Kantone, öffentliche Unternehmen
Subunternehmerketten
zuliessen – mit schweren negativen
Folgen auf die Löhne und die Arbeitsbedingungen
der Menschen,
die die Arbeiten dann ausführen
mussten: Bosnische Schweisser erhielten
nur die Hälfte des Lohns,
auf einer Postbaustelle mussten Arbeiter
direkt auf der Baustelle übernachten.
Besonders krass war ein
Fall auf einer Baustelle des Inselspitals.
Dort erhielten die Plattenleger
einen Viertel des orts- und branchenüblichen
Lohns und wurden
auf einem Campingplatz einquartiert.
Nationalrat lehnte ab
Es wäre dringend notwendig, diese
Auswüchse überall zu bekämpfen.
Leider hat es das eidgenössische
Parlament verpasst, bei der Revision
des Gesetzes über das öffentliche
Beschaffungswesen einen entsprechenden
Artikel einzufügen. Einen
Antrag von Nationalrat Corrado Pardini
lehnte es ab. Deshalb müssen
wir jetzt den Hebel eine Ebene tiefer
ansetzen.
Diese Initiative nimmt den Kanton
Bern in die Pflicht. Insgesamt
werden über das öffentliche Beschaffungswesen
im Kanton Bern
mehrere Milliarden Franken umgesetzt.
Der GKB verlangt, dass die öffentliche
Hand bei ihren Aufträgen
eine Vorreiterfunktion einzunehmen
hat. Dazu gehört nicht nur die
Beachtung orts- und branchenüblicher
Löhne, sondern auch der Umgang
mit Subunternehmerketten.
Die Initiative wird auch in Kreisen
des Gewerbes unterstützt. Lokale
Firmen geraten unter massiven
Druck, weil sie nicht mithalten können
gegen Konkurrenten, die von
vornherein mit einer Weitergabe
des Auftrags kalkulieren.
Der GKB zeigt auf, wo und wie
wirtschaftliche Prozesse Lohnabhängige
und KMU unter Druck setzen.
Wenn es gelingen soll, die Löhne
und den fairen Wettbewerb in
der Schweiz zu schützen, sind die
isolationistischen und fremdenfeindlichen
Kräfte in Schach zu halten.
Das ist wichtig für die Schweiz –
für ihre wirtschaftliche und ihre
gesellschaftliche Entwicklung.
fairerwettbewerb.ch
Text: Johannes Wartenweiler, GKB
Bild: Manu Friederich
12
Empfohlen zur
Nachahmung
Willkommen bei den
Digitalen Nomaden Schweiz
Administrative Arbeiten und kreative
Dienstleistungen werden zunehmend
von Personen erledigt, die ortsunabhängig
arbeiten. Wie will syndicom
mit dieser Entwicklung umgehen:
sie begleiten oder gar fördern?
Die 1. Konferenz der
Digitalen Nomaden
Schweiz fand soeben
statt, mit Support von
syndicom.
Digitale Nomaden? Das sind Leute,
die alle möglichen Tätigkeiten ausser
halb der üblichen Arbeitsplätze
in einem Unternehmen erledigen –
zu Hause, beim Kunden, im Park
oder im Coworking-Space.
Susanna Amin ist Mitglied von
syndicom und Mitorganisatorin
dieser Konferenz. Sie sagt, Treffen
von digitalen Nomaden haben in
Deutschland bereits eine Bedeutung.
An der ersten solchen Veranstaltung
in der Schweiz ging es darum,
praktische Informationen zum
ortsunabhängigen Arbeiten zu verbreiten,
darüber nachzudenken, wie
eine solche Arbeitsform mit einer
festen Anstellung kompatibel sein
könnte, und Erfahrungen auszutauschen.
Handfeste Informationen
Hinzu kamen Begegnungsmöglichkeiten,
bei denen sich Arbeitgeber
für Projekte mit digitalen Nomaden
vernetzen konnten. Den Verein Digitale
Nomaden Schweiz, #dnch, hat
Susanna Amin im November 2016
mitgegründet. Die Facebook-Gruppe
DNX CH Digitale Nomaden
Schweiz zählt über 600 Abonnentinnen
und Abonnenten. Das Potenzial
ist noch längst nicht ausgeschöpft:
In der Schweiz arbeiten 38 % der Erwerbstätigen
– also 1,8 Millionen
Menschen – zumindest teilweise
aus serhalb des Büros.
Internet auf dem Schiff
Nach langjähriger Tätigkeit als Direktionsassistentin,
Web-Designerin,
Texterin und Übersetzerin entschied
sich Susanne 2015 für ein
mobiles Büro. Ein Computer, eine
Internet-Verbindung und sorgfältig
ausgewählte Software ermöglichen
es ihr, bei schönem Wetter auf dem
Schiff oder in der Natur zu arbeiten.
Sie ist oft für kulturelle Produktionen
tätig und erklärt: «Ich habe gemerkt,
dass ich inspirierter bin und
mehr Ideen habe, wenn ich die Umgebung
wechseln kann. Und ich bin
auch konzentrierter: Wenn ich voll
in ein Projekt vertieft bin, vergesse
ich manchmal sogar zu essen …»
Noch bestehen viele Vorgesetzte
in Unternehmen darauf, dass ihre
Mitarbeitenden vor Ort präsent
sind. Für Susanne Amin sind digitale
Nomaden aber Pioniere: «Sie
beweisen schon heute, dass diese
Lösung funktioniert.»
digitalenomadenschweiz.ch
Text: Sylvie Fischer
Bild: Silvia Ohm
Nationale
Politik
Die zehn wichtigsten Ziele des
Schweizerischen Gewerkschaftsbunds
13
Das beginnt bei den Löhnen. In der
vergangenen Dekade ist es in einem
schwierigen Umfeld, geprägt durch
die starke Überbewertung des Frankens,
gelungen, Verschlechterungen
abzuwehren. Jetzt muss aber
wieder eine Offensive mit Lohnerhöhungen
für die tieferen und mittleren
Löhne folgen. Dafür sprechen
die starke Produktivitätsentwicklung,
die wieder einsetzende Teuerung
und auch der Nachholbedarf
der letzten Jahre. Offensive Lohnkampagnen
sind für zählbare Erfolge
eine wichtige Voraussetzung.
2. Mindestlöhne
Bei den Mindestlöhnen muss wieder
eine neue Etappe eingeleitet
werden. Eine gute Basis dafür sind
die erfolgreichen Kampagnen in verschiedenen
Kantonen. Bereits drei
Kantone haben kantonale Mindestlöhne
beschlossen. In Genf ist zudem
eine Mindestlohn-Initiative
eingereicht worden. Gleichzeitig ist
in den Gesamtarbeitsverträgen das
mit der nationalen Mindestlohn-Initiative
formulierte strategische Ziel
von 22 Franken pro Stunde (entspricht
4000 Franken pro Monat)
nicht überall realisiert. Die wirtschaftlichen
Voraussetzungen sind
günstig, hier wieder einen grossen
Schritt weiterzukommen.
Der Schweizerische Gewerkschaftsbund
wird bald von einem neuen
Präsidenten oder einer Präsidentin
geleitet. Welche Kämpfe sollte er oder
sie vorrangig führen?
Text: Paul Rechsteiner, SGB
Bild: Alexander Egger
Wenn es darum geht, die grossen
Herausforderungen für die Gewerkschaften
in den kommenden Jahren
zu skizzieren, dann stellt sich die
Verteilungsfrage wieder in neuer
Schärfe.
1. Lohnerhöhungen für die
tieferen und mittleren Löhne
3. Flankierende Massnahmen
stärken
Neue Aktualität bekommt die Lohnfrage
durch die von der EU-Kommission
geforderte und von den freisinnigen
Bundesräten mitbetriebene
Schwächung der die Löhne schützenden
flankierenden Massnahmen.
Die Gewerkschaften sind die entscheidende
Kraft bei der Verteidigung
der Löhne gegen Dumping.
Die Verteidigung und Stärkung der
flankierenden Massnahmen ist und
bleibt ein lohnpolitischer Schwerpunkt.
Wie schon in der Vergangenheit
ist ein starker Lohnschutz die
Voraussetzung für den Erfolg und
die Weiterentwicklung der bilateralen
Verträge.
4. Gesamtarbeitsverträge und
Allgemeinverbindlichkeit
verbessern
Überhaupt müssen die Gesamtarbeitsverträge
weiter gestärkt werden.
Denn die Arbeitsbedingungen
sind besser, wo es Gesamtarbeitsverträge
gibt. Erst recht dann, wenn
diese allgemeinverbindlich sind.
Die Regeln über die Allgemeinverbindlichkeit
müssen verbessert werden.
Gute Gesamtarbeitsverträge
14
«Der für alle erschwingliche Service public – also das Einstehen für einen
starken Leistungsstaat – ist das Rückgrat einer demokratischen Gesellschaft.»
helfen auch bei der Bewältigung
neuer Herausforderungen wie der
Digitalisierung.
5. Renten dank mehr AHV
verbessern
Zur Verteilungsfrage gehört der soziale
Schutz durch den Sozialstaat.
Die grösste Auseinandersetzung
über den Sozialstaat findet in den
kommenden Jahren in der Altersvorsorge
statt. Die Gewerkschaften
waren in den letzten schwierigen
Jahrzehnten bei der Verteidigung
der AHV über alles gesehen erfolgreich.
Weil die Renten der Pensionskassen
aber immer schlechter werden,
ohne dass das politisch gesteuert
werden kann, bleibt die epochale
Aufgabe, wieder eine Rentenverbesserung
über die AHV einzuleiten.
Die über 40 % Ja zur Volksinitiative
AHVplus – die ganze lateinische
Schweiz hatte zugestimmt – und die
mehr als 47 % Ja zu Altersvorsorge
2020 zeigen, dass ein Erfolg näher
liegt, als viele denken. Dies umso
mehr, als viele Rentnerinnen und
Rentner gegen Altersvorsorge 2020
gestimmt hatten, weil sie keinen
Rentenzuschlag bekommen hätten.
Entscheidend für die Ausgangslage
im Kampf für bessere Renten
dürfte sein, ob die Zusatzfinanzierung
für die AHV im Mai 2019 gelingt.
Denn mit schwarzen Zahlen
bei der AHV haben es die Feinde der
AHV schwerer, Panikszenarien bei
den AHV-Finanzen zu schüren.
Bessere
Renten
über die AHV:
eine epochale
Aufgabe für
uns
6. Krankenkassenprämien ein dämmen,
soziale Krankentaggeld-
Versicherung einführen
Zum Kapitel soziale Sicherheit gehören
auch die Krankenkassenprämien,
wo die Belastung der Haushalte
mit unteren und mittleren
Einkommen dringend eingedämmt
werden muss.
Die fehlende soziale Krankentaggeldversicherung
ist schliesslich
bis heute die grösste Lücke bei den
Sozial versicherungen. Sie müsste
dringend geschlossen werden.
7. Arbeitszeiten kürzen
statt verlängern
Zu den grossen Herausforderungen
der kommenden Jahre zählt sodann
die Arbeitszeitfrage. Aus dem Bundeshaus
heraus werden die Schutznormen
des Arbeitsgesetzes in einem
Ausmass angegriffen, wie das
überhaupt noch nie der Fall war.
Begründet wird das damit, dass
das Arbeitsgesetz mit Blick auf den
technologischen Wandel (Schlagwort
«Digitalisierung») und neue
Arbeits formen veraltet sei. In Tat
und Wahrheit ist der Schutz durch
die Mindestnormen des Arbeitsgesetzes
durch die enorme Verdichtung
und die Gefahr der Entgrenzung
der Arbeit nicht unwichtiger,
sondern wichtiger geworden.
Es geht dabei nicht nur um den
Gesundheitsschutz. Die Begrenzung
der Arbeitszeit sorgt auch dafür,
dass die Berufstätigen nicht zunehmend
Gratisarbeit leisten müssen.
Richtig verstanden, ist die Erfassung
der Arbeitszeit im digitalen
Zeitalter übrigens nicht schwieriger,
sondern einfacher geworden. Zu
den Herausforderungen für die
nächsten Jahre gehört es, die offensiven
Stossrichtungen für neue Forderungen
zu bestimmen. Kürzere
Wochenarbeitszeiten? Mehr Ferien?
Jedenfalls sind nicht nur beim
Lohn, sondern auch bei den Arbeitszeiten
wieder Fortschritte für die
grosse Mehrheit mit tieferen und
mittleren Einkommen fällig.
8. Kündigungsschutz verbessern
Im Arbeitsrecht geht es darum, das
Tabu längst fälliger Verbesserungen
im Kündigungsschutz zu brechen.
Zwar hat sich die Praxis der Gerichte
in den letzten Jahren in verschiedenen
Bereichen weiterentwickelt.
Zum Beispiel bei Kündigungen
langjähriger älterer Arbeitneh merin
nen und Arbeitnehmer. Ohne
eine Verbesserung des Gesetzes
bleiben die Fortschritte aber von
beschränkter Reichweite. Die Internationale
Arbeitsorganisation hat
wiederholt festgehalten, dass die
Schweiz hier im Rückstand ist. Dass
diese wichtige Institution mit Sitz in
der Schweiz im kommenden Jahr
den hundertsten Geburtstag feiert,
kann dazu genutzt werden, endlich
wieder einen Schritt vorwärts zu
kommen.
9. Erschwinglichen Service public
stärken
Zu den gewerkschaftspolitisch wichtigen
Forderungen gehört die Stärkung
des Service public. Das beginnt
bei der Bildung und geht über
das Gesundheitswesen bis hin zu
Bahn und Post. Der für alle erschwingliche
Service public, also
das Einstehen für einen starken
Leistungsstaat, ist das Rückgrat einer
demokratischen Gesellschaft.
10. Bildung und Kultur für alle
Bildung und Kultur müssen allen
offenstehen. Hier entscheidet sich
auch die Zukunft der Gesellschaft.
Einer Gesellschaft ohne Ausgrenzung
und mit Perspektiven für alle,
unabhängig von der sozialen Herkunft.
Zweite Säule
So kriegen wir die Pensionskassen
zum ethischen Handeln
15
Ich habe erfahren, dass meine
Pensionskasse in Unternehmen
investiert, die an der Herstellung von
Kernwaffen beteiligt sind. Was kann
eine Gewerkschaft tun, um riskante
Investitionen zu verhindern und
ethische Anlagen zu fördern?
Transfer des Anlagekapitals von der Kohle in Wind und Sonne.
Solches Engagement ist bisher vor
allem bei der Förderung von Investitionen
in saubere Energien sichtbar.
Eine Initiative, die im März
2017 ins Leben gerufen wurde,
stammt von der Communauté genevoise
d’action syndicale de Genève
(das ist der kantonale Dachverband
der Gewerkschaften): Sämtliche
Belegschafts vertreterInnen in den
Pensions kassen wurden gebeten, einen
Musterbrief (cgas.ch/SPIP/spip.
php?article3303) zu unterschreiben
und an das Büro des Stiftungsrats zu
senden. Das Schreiben fordert, eine
Expertise zu den möglichen Folgen
der Investition in die Dakota Access
Pipeline in den USA einzuholen und
das Kapital auf kurze Sicht in erneuerbare
Energien umzuwidmen.
Ein weiteres Beispiel: Der VPOD
des Kantons Genf fasste im Juni
2016 mit grosser Mehrheit einen
Beschluss, der sich an die Vorsorgekasse
der Stadt Genf richtete. Er
stützte sich darin direkt auf den Bericht
des Bundesamts für Umwelt
«Kohlenstoffrisiken für den Finanzplatz
Schweiz» (9.15), demzufolge
fossile Energien zur Risiko investition
geworden seien und Anleger,
die sich frühzeitig wieder zurückzögen,
am besten vor dem Wertabsturz
geschützt sind. Die Vorsorgekasse
wurde aufgefordert, «die
CO 2
-Bilanz und das CO 2
-Risiko im
aktuellen Portfolio abzubilden, um
schnellstmöglich eine Des investition
von Geldern einzuleiten, die in
solche Unternehmen angelegt sind,
deren Kerngeschäft die Prospektion,
Förderung und Nutzung fossiler
Energien ist, beginnend mit der
Kohlebranche, die am meisten CO 2
produziert».
SGB ist bei der KlimaAllianz dabei
Siebzig Organisationen, darunter
der Schweizerische Gewerkschaftsbund,
sind Mitglied der Schweizer
Klima-Allianz. Die Klima-Allianz
regt auf ihrer Webseite an, sich an
die eigene Pensionskasse zu wenden,
um sie aufzufordern, die Vorsorgegelder
nicht länger in fossile
Ener gien zu stecken (retraites-sansris
ques.ch).
Was die erwünschten Investitionen
angeht, fordert etwa der
Deutsch schweizer Verband PK-Netz
– mit circa 600 000 Mitgliedern das
grösste Netzwerk von Arbeitenden,
die der beruflichen Vorsorge angeschlossen
sind –, dass Anlagen,
«die auf steigende Preise von Grundnahrungsmitteln
und somit auf
den siche ren Hungertod Tausender
spekulieren», abgeschafft werden.
Weitere Informationen sind vorhanden
unter der Adresse pk-netz.ch/
hintergrund/anlagepolitik/#kosten.
Text: Sylvie Fischer
Bild: Pixabay
Raus aus der 2. Säule!
Die 2. Säule steht nackt, spätestens
seit der Krise von 2008. Was wir erblicken,
ist abstossend.
• Mit rund 900 Milliarden Franken
Kapital sind die Pensionskassen die
grössten Spekulationstreiberinnen
am Finanzmarkt. Und nicht nur da:
Die 2. Säule sorgt unter anderem für
hohe Mieten.
• Das Alterskapital der 2. und
3. Säule ist ungesichert, die nächste
Finanz krise wird grosse Teile vernichten.
• Versicherungen, Banken und eine
ganze Pensionskassen-Industrie
krallen sich über 5 Milliarden Franken
pro Jahr von dem Geld, das wir
eigentlich für ein sicheres Alter zurücklegten.
Und sie wollen noch
mehr. Darum drücken sie auf den
Umwandlungssatz und die Zinsen.
Unsere Renten sinken.
• Die zweite Säule ist ungerecht:
60 Prozent der RentnerInnen beziehen
aus den Pensionskassen weniger
als aus der AHV, die hohen
Einkommen kassieren ab.
• Die Versicherungsausweise gaukeln
uns vor, reich zu sein. Dieser
Irrtum zementiert ein zunehmend
absurdes Wirtschaftssystem.
• Die Dauerkrise zwingt die Pensions
kassen zu risikoreichen Anlagen.
Legen die Pensionskassen Geld
deshalb in aktiven Fonds an, vernichten
wir mit unserem Altersgeld
die eigenen Jobs.
Die AHV ist produktiver, billiger,
effizienter, sozial gerechter. Heute
bezahlen Gewerkschaften und
Sozial demo kratie den Preis dafür,
dass sie 1972 das Dreisäulensystem
gegen die Volkspensions-Initiative
der PdA durchsetzten.
Jetzt hilft nur noch eines: Raus
aus der 2. Säule. Wie? Mehr Lohnprozente
in die AHV, weniger in die
Pensionskassen. Und: Das Kapital
der 2. Säule in den ökologischen
Umbau und die soziale Digitalisierung
investieren.
BHR
16
Die Renten
verbessern!
Die Neubegründung der AHV
Was gedenkt syndicom gegen die
drohende Altersarmut zu unternehmen?
Seit zwei Jahren steigt die
Armutsquote in der Schweiz, und
betroffen sind mittlere und ältere
Einkommensklassen. Es darf doch
nicht sein, dass in Zukunft die Armut
der Sozialhilfe überlassen wird.
Seit Jahren reden die Bürgerlichen die
AHV schlecht. Die Neoliberalen würden
sie gerne abschaffen. Doch nur eine
deutlich verstärkte AHV sichert uns
nach der Arbeit ein würdiges Leben.
Die AHV-Renten sollen sofort um
10 Prozent erhöht werden. Das fordern
die syndicom-Kolleginnen und
-Kollegen der Sektion Jurabogen.
Jede Erhöhung des Rentenalters, ob
für Mann oder Frau, sei abzulehnen.
Und, so der Kernpunkt der Resolution
von La Chaux-de-Fonds: Die
Milliardenüberschüsse des Bundes
müssen zur Finanzierung der AHV
dienen.
Der Vorschlag aus dem Jura zeigt
die zentrale gesellschaftliche Bedeutung
der Altersvorsorge. Ohne
das Versprechen, nach lebenslanger
Arbeit nicht in Armut zu versinken,
gäbe es in der Schweiz weder Sozialpartnerschaft
noch sozialen Frieden.
Die AHV ist ein Kind des Generalstreiks
von 1918, konnte aber,
wie fast alle Sozialversicherungen in
den meisten kapitalistischen Ländern,
erst nach dem Zweiten Weltkrieg
durchgesetzt werden. Sie wirkt
sozial ausgleichend. In den 1970er-
Jahren wurde sie mit der 2. und 3.
Säule ergänzt und zugleich geschwächt
(siehe Artikel Seite 15).
Seither steht sie unter Dauerbeschuss
der Bürgerlichen. Sie möchten
die Lohnprozente der Altersvorsorge
ganz für die Spekulation
nutzen, via die beiden anderen Säulen.
Mit Referenden, Initiativen und
parlamentarischen Kämpfen konnten
die Gewerkschaften den Abriss
an der sicheren Altersvorsorge verhindern.
Zuletzt mit dem Unternehmenssteuerreform-AHV-Deal.
Er
wird in den Gewerkschaften scharf
kontrovers diskutiert.
Schluss mit der Angstmacherei von
rechts
Das Dauergerede über die angeblich
unsichere AHV ist ein wichtiger
Grund für Zukunftsängste der Bürgerinnen
und Bürger und den Aufstieg
der ultrarechten SVP. Dabei
steht diese elementare Sozialversicherung
fest und stark, auch dank
der vielen Arbeitskräfte aus dem
EU-Raum, die heute mehr einzahlen,
als sie morgen beziehen werden.
Zudem gelang es den Gewerkschaften,
der AHV die meisten
Benachtei ligungen der Frauen auszutreiben.
Gelänge heute die Lohngleichstellung,
würden der AHV
neue Milliarden zufliessen.
Wie auch immer die Abstimmung
über das Steuer-AHV-Paket
ausgehen wird, wir werden hernach
die weitere Stärkung der AHV durchsetzen
müssen. Die 2. Säule dient
vor allem den höheren Einkommen,
für 60 Prozent der Beschäftigten ist
die AHV existenziell. Es wird also
darum gehen, zumindest Teile des
Kapitals der spekulativen 2. Säule in
die sichere AHV zu transferieren.
Wahrscheinlich macht der digitale
Umbau sogar ihre Neubegründung
notwendig. Denn er vernichtet
lebendige Arbeit, führt prekäre Arbeitsverhältnisse
(Plattformarbeit,
falsche Selbständigkeit etc.) ein und
drückt auf die Löhne.
Wie diese Neubegründung
gesche hen müsste, darüber gibt es
in Gewerkschaften diverse Denkansätze.
Ein Modell sieht vor, eine
Maschinensteuer einzuführen.
Falsch, finden andere und schlagen
vor, die AHV auch über eine Finanztransaktionssteuer
zu finanzieren –
schon 0,1 Prozent würden mehr als
genügen.
Ein weiteres Modell möchte die
Debatten über die Erhöhung des
AHV-Alters beenden und mehr Gerechtigkeit
schaffen. Wie? 43 Jahre
Arbeit begründen eine volle Rente.
Aber für schwer Arbeitende würde
ein Jahr Arbeit stärker gewichtet,
zum Beispiel mit dem Faktor 1,2
(Suva-Prinzip). Hart oder gefährlich
Arbeitende mit tieferer Lebenserwartung
könnten dann früher den
Hammer hinschmeissen.
Kann sein, dass sich am Ende
eine andere Lösung durchsetzt. So
oder so muss sie einem unverrückbaren
Grundsatz genügen: Unsere
Altersvorsorge muss auf Solidarität
und Umlage statt auf schwankende
Aktienmärkte bauen.
Auch im Alter sicher vor Armut
zu sein, darf keine milde Gabe sein
– es ist ein Anspruch und ein Recht.
Erhöhung der AHV-Renten um 10 Prozent dank der Überschüsse des Bundes:
darauf fokussiert die Sektion Jurabogen von syndicom.
Text: Oliver Fahrni
Bild: Tiago Murato/Stocksnap
Unsere
grossen Ziele
Selbständige und «neue Arbeitende»
vor Ausbeutung schützen
17
Die Gewerkschaft vertritt auch die
Selbständigen. Wie entwickelt sich
das Verhältnis zwischen Angestellten
und Selbständigen in den nächsten
10 Jahren? Wie kann die Gewerkschaft
in die Regionalpolitik eingreifen,
um die Lage der Selbständigen zu
ver bes sern, welche konkreten Initiativen
dazu gibt es?
Ein Trend der Digitalisierung ist,
dass Arbeitsverhältnisse in neue Arbeits-
und Auftragsformen verlagert
werden. Der Status der Selbständigerwerbenden
ist eine Form davon,
aber auch befristete Anstellungen
auf Projektbasis oder Teilzeitarbeit
auf Abruf sind Auswirkungen dieser
Verschiebung.
Zum einen ermöglicht die Digitalisierung
diese neuen Arbeitsweisen
durch Plattformen wie Uber,
99Designs oder einfach generell dadurch,
dass im Internet Arbeit fast
jedem Bewohner des Planeten angeboten
werden kann, zum andern
sind die Zugänge zu den Berufen
einfacher geworden. Laptop und
Netzanschluss reichen heute für die
Ausübung vieler Berufe aus.
Diese Entwicklung hat darum sowohl
positive wie negative Komponenten.
Die Demokratisierung der
Berufe ist durchwegs ein begrüssenswerter
Aspekt: Bringt sie unsere
Gesellschaft doch einen Schritt näher
zu dem Punkt, wo jeder und jede
das arbeiten kann, was er oder sie
gerne will.
Die erkämpften Arbeitsrechte
müssen wieder neu erobert werden
Andererseits werden erkämpfte
Schutzmechanismen der Arbeitenden
dadurch vielfach umgangen.
Damit sich unter dem Deckmantel
von modernen Arbeitsformen kein
neues Prekariat bildet – die zeitgenössische
Variante des Elends-
Proletariats –, hat der Kongress von
syndicom das gewerkschaftliche
Engage ment für die Berufstätigen in
neuen Arbeitsformen zu einem seiner
vier grossen strategischen Ziele
ernannt.
Das heisst, dass syndicom die
«neuen Arbeitenden» erst einmal
organi sieren und untereinander
vernetzen muss. Denn die kollektive
Organisation funktioniert auch bei
Selbständig erwerbenden nur, wenn
sich möglichst viele zusammenschliessen.
Sobald das erreicht ist, können
analog der klassischen Gewerkschaftsarbeit
bei den Angestellten
die Situationen in den einzelnen Bereichen
wie Einkommen, Arbeitsschutz
etc. angegangen werden.
Dies schützt nicht zuletzt auch die
Arbeitenden in den angestammten
Arbeitsformen, da sie nicht durch
Konkurrenz mit Dumpingpreisen
bedroht werden.
Ganz konkret, um auf die Frage
zurückzukommen, laufen heute
bereits diverse Initiativen in den
Branchen. Die Branche Visuelle
Kommunikation zum Beispiel erarbeitet
derzeit eine Umfrage zu den
Tarifen und Einkommen bei ihren
selbständigen Berufsleuten, um einerseits
Transparenz zu schaffen,
aber auch die Situation bei den Einkommen
konkret zu verbessern.
Die IG Freischaffende plant, die
Dienstleistungen von syndicom für
Freischaffende zu optimieren. Bereits
heute bestehen Angebote wie
die Pensionskasse Freelance oder
spezifische Kurse. syndicom will
weitere Dienstleistungen entwickeln
und sich auch auf der politischen
Ebene dem gesetzlichen Status
der Freischaffenden widmen.
Wir wollen mehr von den Selbständigen erfahren, um ihre Situation konkret verbessern zu können.
Text: Michael Moser
Bild: Tom Kawara
Warum hat syndicom die selbst
auferlegten (Frauen-)Quoten noch
nicht umgesetzt? Was hindert
syndicom daran?
Frauen fördern
Der syndicom-Kongress legte 2013
eine angemessene Vertretung der
Frauen in den Organen und Delegationen
fest. Die Geschäftsleitung
und die Regionenleitungen sind
laut Statuten dafür verantwortlich,
für eine bessere Vertretung von
Frauen in der Gewerkschaft und bei
den politischen Angestellten zu sorgen.
Die Frage zu den Quoten kann
aktuell nicht beantwortet werden.
Wir haben vorgesehen, den Gleichstellungsbericht
im Januar dem
Zentralvorstand vorzulegen. Darin
werden die Geschlechterverhältnisse
in den syndicom-Gremien Zentralvorstand,
Delegiertenversammlung
und Kongress sowie in den
Gremien der Sektoren und Interessengruppen
untersucht. Ebenfalls
wird der Frauenanteil im Personal
angeschaut.
Neben einer Quote braucht es
Begleitmassnahmen, damit Frauen
innerhalb der Gewerkschaft gefördert
werden. Intern und extern sind
ganz gezielt Frauen anzusprechen
und zu fördern. Frauen verfügen in
der Gewerkschaftsbewegung häufig
noch nicht über die entsprechenden
Netzwerke und werden bei Stellenbesetzungen
seltener direkt angesprochen.
Bei Stellenbesetzungen
haben Frauen bei gleicher Qualifikation
Vorrang.
Patrizia Mordini, Leiterin Gleichstellung,
Mitglied der Geschäftsleitung
18
Jetzt nicht
nachlassen
20 000 Menschen auf der Strasse für
gleichen Lohn. Jetzt ziehen wir es durch.
Ich war am 22. September mit syndicom an der grossen
Demo in Bern. Wie können wir diese Dynamik fortsetzen,
zu einem Zeitpunkt, da das Parlament die Lohnkontrollen
in den Unternehmen extrem geschrumpft und die Sanktionsmöglichkeiten
ganz gestrichen hat? Machen wir noch einmal
Frauenstreik?
Mit 400 bis 500 Kolleginnen und Kollegen von syndicom
haben wir ein starkes Zeichen an Politik und Wirtschaft
gesetzt an dieser Demo für Lohngleichheit #ENOUGH18:
20 000 Frauen und Männer forderten am 22. September
2018 auf dem Bundesplatz die Lohngleichheit zwischen
den Geschlechtern ein. Die Demo war bunt und überwältigend.
Die Demo zeigte, dass dies ein Kernthema von syndicom
ist. Es ist ein Skandal, dass den Frauen jährlich insgesamt
etwa 10 Milliarden Franken vorenthalten werden,
obwohl Lohngleichheit seit 37 Jahren in der Bundesverfassung
verankert ist. Dieses Geld fehlt nicht nur im Portemonnaie
der Frauen, sondern ihrer ganzen Familie und
Lebensgemeinschaft. Es fehlt in der Altersvorsorge der
Frauen und schliesslich dem Staat in Form von Steuern.
Wir brauchen endlich zwingende Lohnkontrollen.
Nationalrat verhindert minimale Massnahmen
Doch dies wird im Parlament torpediert. Ursprünglich
wollte der Bundesrat zwingende Lohnkontrollen für alle
Unternehmen ab 50 Mitarbeitende sowie Sanktionsmöglichkeiten
einführen. Der Ständerat schwächte diese
Mass nahmen massiv ab und will nur Firmen ab 100 Mitarbeitende
kontrollieren, was etwa 45 Prozent der ArbeitnehmerInnen
umfasst – nicht einmal die Hälfte. Und
Sanktionen sind keine mehr drin.
Der Nationalrat – respektive die bürgerliche Ratsmehrheit
– hat am 25. September diese bereits minimalen
Massnahmen gar noch weiter verschlechtert! So sollen die
Lohnkontrollen nur noch für Firmen ab 100 Vollzeitstellen
gelten (ohne Lernende). Die Zahl der Firmen, die nun
eine Lohnanalyse durchführen müssen, wird also nochmals
enorm verkleinert. Da mehr Frauen Teilzeit arbeiten
als Männer, entgehen zudem viele Firmen mit hohem
Ein zweiter
Frauenstreik?
Der Entwurf des Nationalrates kennt nur noch Lohnkontrollen für
Unternehmen ab 100 Vollzeitstellen, und auch dies nur 12 Jahre lang.
Das Parlament muss das korrigieren! Wir beantragen dem Zentralvorstand
von syndicom, 2019 an einem zweiten Frauenstreik teilzunehmen.
19
Frauenanteil der Analysepflicht. Auch sollen die Lohnkontrollen
nur für 12 Jahre Laufzeit gelten. Dieses Resultat
des Nationalrats ist ein Hohn. Wir fordern eine Korrektur
in der Wintersession, wo die Bereinigung zwischen
Ständerat und Nationalrat vorgenommen wird.
«Assises» und zweiter Frauenstreik
In den letzten Monaten trafen sich in Lausanne, Bern
und Zürich verschiedenste Frauen zu offenen Sitzungen,
sogenannten «Assises», um sich gemeinsam auszutauschen
über die Möglichkeit eines zweiten Frauenstreiks in
der Schweiz. Der Schweizer Frauenstreik vom 14. Juni
1991 mobilisierte eine halbe Million Frauen und forderte
die Umsetzung der tatsächlichen Gleichstellung 10 Jahre
nach der Verankerung in der Bundesverfassung. An den
«Assises» wurde ein zweiter Frauenstreik beschlossen, mit
Datum 14. Juni 2019. Die Empörung über die minimalen
Ergebnisse des Parlaments zu den Lohnkontrollen trug
auch ihres dazu bei. Der SGB-Kongress wird über Anträge
betreffend die Durchführung des Frauenstreiks 2019
noch beschliessen.
Ein gemeinsames Manifest ist das Ziel der regionalen
Gruppen, welche die Vorbereitung des Frauenstreiks angehen.
Es soll die Diskriminierung von Frauen in den verschiedenen
Bereichen anprangern. So gehört neben
Lohn gleichheit auch die Vereinbarkeit von Beruf und Familie
sowie Teilzeitarbeit dazu. Wichtige Themen auch
für syndicom. Zu oft werden Anträge auf Reduktion des
Arbeitspensums von Frauen wie Männern, die mehr Zeit
für Familienarbeit und Kinderbetreuung haben möchten,
von Unternehmen abgelehnt.
Wir müssen weiterhin starke Position beziehen und
Druck machen – wie an der Demo. Dieses Thema ist und
bleibt ein Kernthema für syndicom. Gemeinsam mit dem
Zentralvorstand entscheiden wir, wie weiter. Wir werden
dem Zentralvorstand den Antrag stellen, dass wir am
Frauenstreik mitwirken. Denn wir haben genug.
Text: Patrizia Mordini
Bilder: František Matouš, Demir Sönmez,
Annette Boutellier
20
Eine wichtige
Aufgabe
Deutschland und Frankreich: Ideen für
mehr Frauen in der Gewerkschaft
Die meisten jungen Kolleginnen bei uns
im Betrieb sind nicht Mitglied in der
Gewerkschaft. Wie könnte man sie
dafür begeistern, sich zu engagieren?
Habt ihr Vorschläge?
«52 Prozent unserer 2 Millionen
Mitglie der sind Frauen. Aber alle
Gewerkschaften kämpfen mit der
Frage, wie man Frauen für einen
Beitritt gewinnen kann», sagt Alexa
Wolfstädter, die Referentin für
Gleichstellungspolitik bei der deutschen
ver.di.
ver.di hat für ihre Entscheidungsgremien
und Delegationen
Mindestfrauenquoten eingeführt,
die der Geschlechtervertretung der
Mitglieder in den Branchen entsprechen.
«Seit 2015/16 arbeiten wir daran,
junge Frauen unter 40 zu erreichen.
Wir befragen sie zu ihren
Interessen und bieten ihnen Inhalte
auf unserer Webseite (frauen.verdi.
de/junge-frauen).»
ver.diWebseite für jüngere Frauen
Es gibt da Web-Seminare zu Themen
wie Lohn verhandlung, Durchsetzung
vor Publikum oder faire
Arbeits teilung privat und im Job –
ein Projekt von Familienministerium
und Gewerkschaftsbund DGB –,
Artikel, die auf interessante Urteile
zur Gleichstellung aufmerksam
machen, Beratung für junge Mütter,
Ausbildungsangebote.
Es werden Info-Abende, Workshops
zur politischen Arbeit und ein
Mentoring-Programm durchgeführt.
Frauen dürfen als Gäste ohne
Stimmrecht zu Vorstandssitzungen
kommen, um sie zur Gewerkschaftsarbeit
zu ermutigen. Ihre Kinder
werden betreut oder es gibt Betreuungsspesen.
«Das funktioniert gut,
aber wir möchten noch mehr junge
Frauen erreichen», sagt Alexa Wolfstädter.
Die französische Soziologin
Cécile Guillaume, die vor Kurzem
das Buch Syndiquées. Défendre les
intérêts des femmes au travail (Gewerkschafterinnen:
Die Interessen
der arbeitenden Frauen verteidigen)
veröffentlicht hat, sagt, sie sei sich
«nicht sicher, ob die französischen
Gewerkschaften sehr innovativ dabei
sind, Frauen als Mitglieder zu
werben». Eine echte Stimme in der
Gewerkschaft haben sie erst seit den
2000er-Jahren. Nur dank gezielter
Gleichstellungsmassnahmen – so
dem Gesetz über sozialen Dialog
und Beschäftigung von 2015 – konnten
sie sich Gehör verschaffen. Das
Gesetz sieht vor, dass auf den Gewerkschaftslisten
für die Wahl von
Personalvertretungen alternierend
Männer und Frauen als Kandidierende
aufgeführt werden.
Der französische Gewerkschaftsbund
CGT brachte eine Gleichstellungs-Charta
heraus, die die
Geschlechter parität in seinen
Führungsgremien genau regelt.
Die Gewerkschaft CFDT etwa verlangt
einen Frauenanteil von 30 %
in ihrem nationalen Vorstand, der
Exekutivkommission gehören 50 %
Frauen an.
Flexibles Engagement in Frankreich
«Auf nationaler Ebene wurden Massnahmen
ergriffen. Aber regional, in
den unions départementales, bleiben
Ungleich heiten, und die lokalen
Verantwortlichen unternehmen
kaum etwas dagegen», sagt die Soziologin
Yannick Le Quentrec von
der Universität Toulouse.
Sie empfiehlt, «Tandems» zu bilden,
um sich die Gewerkschaftsarbeit
aufzuteilen und sich in Funktionen,
wo Angriffe heftig sein
können, weniger exponiert zu fühlen.
«Ich spreche von Patinnenschaften,
weil es darum geht,
Frauen mit Verantwortung einzubeziehen,
die ihr Wissen an Jüngere
weitergeben können.»
Die Möglichkeit für Gewerkschaftsfrauen,
ihr Engagement an
ein alternierendes Sorgerecht für
die Kinder anzupassen, scheint ihr
nachahmenswert. Seit fünf Jahren
unterstützt Le Quentrec auch die
Verhandlung von Aktionsplänen für
die Gleichstellung in den Betrieben,
die eine Diagnose und einen Zeitplan
zur Behebung von Ungleichheiten
gestatten. Die CGT hat eine
eigene Webseite eingerichtet, auf
der man prüfen kann, ob sich Arbeitgeber
an das Gesetz halten
(egalite-profes sion nelle.cgt.fr).
Text: Sylvie Fischer
Bild: CGT-Plakat
Der französische
Gewerkschaftsbund
CGT hat eine Charta
eingeführt, die
klare Regeln für die
Parität in seinen
Organen festlegt.
Die Fusionen
sind vorbei
syndicom bleibt eigenständig
21
Werden wir in Zukunft weiterhin
syndicom bleiben oder wird es eine
einzige gesamtschweizerische
Gewerkschaft geben?
Wenn wir einen Blick nach vorne
wagen wollen, müssen wir zuerst
zurück blicken. Eine der beiden
Vorgänger organisationen von syndicom
war die Gewerkschaft Kommunikation,
die wiederum aus mehreren
Hausverbänden der PTT
hervorging. Die Aufsplittung der
PTT in die Post und die Swisscom
ging einher mit dem Zwang der beiden
jungen Unternehmen, sich den
Herausforderungen ihrer jeweiligen
Märkte zu stellen. Die Fusion der
Hausverbände zur Gewerkschaft
Kommunikation folgte dieser Logik.
Das Ziel war, sich zu einer Branchengewerkschaft
zu entwickeln,
was allerdings nicht im gewünschten
Tempo voranging.
Bei der Fusion der Gewerkschaft
Kommunikation mit der Mediengewerkschaft
comedia dachten beide
Organisationen, sie könnten mit
der Fusion die eigenen Schwächen
überwinden. Doch zu Beginn passierte
eher das Gegenteil. Acht Jahre
später können wir sagen, dass die
Fusion nun vollzogen ist.
syndicom ist heute eine anerkannte
Branchengewerkschaft und
hat in den letzten Jahren so viele
neue Gesamtarbeitsverträge abgeschlossen
wie keine andere Gewerkschaft.
Die Prozesse von syndicom
sind ebenso schlank wie ihre Strukturen.
syndicom steht heute auf einem
stabilen Fundament und ist
offen für Organisationen, die sich
uns anschliessen wollen. Die hart
erarbeitete Eigenständigkeit aufzugeben,
wäre aus heutiger Sicht ein
Fehler.
Die ersten Jahre nach der Fusion
haben gezeigt, dass Fusionen kein
Selbstzweck sein dürfen. Sondern
Fusionen müssen sorgfältig abgewogen
und geplant werden. Denn es
geht um mehr als um das blosse
Zusammen zählen von Gesamtarbeitsverträgen,
Mitgliedern und
Vermögens werten.
Es geht in der Praxis vielmehr
um das meist unterschätzte Zusammenführen
von unterschiedlichen
Kulturen, sowohl in der Miliz als
auch bei den Angestellten. Nicht zuletzt
bedeutet es für mindestens
eine der beteiligten Organisationen,
ihre Identität aufzugeben. Umgekehrt
muss die neue Organisation
ihre Identität zuerst finden und ein
eigenständiges Image aufbauen.
Das hat syndicom heute geschafft.
Also bauen wir darauf auf.
Text: Giorgio Pardini
Die Zeitarbeiter
in die Mitte holen
Ab dem 1. Januar werden zum Beispiel
im Briefzentrum Mülligen neu auch
Temporärmitarbeitende eingesetzt.
Sollte sich syndicom in Zukunft nicht
vermehrt auf diese Beschäftigten
ausrichten?
Ja, das werden wir müssen. Das
heisst aber nicht, dass wir bisher
untätig waren. Lange konnte syndicom
verhindern, dass dieser aus der
Privatwirtschaft bekannte Trend
auch auf die bundesnahen Betriebe
übergreift. 2016/17 haben wir allein
bei der Post zwei Kampagnen für
Temporärmitarbeitende umgesetzt.
Da hat sich auch gezeigt, dass wir
sie in ihrer Muttersprache ansprechen
müssen. Als Folge haben wir
Flyer in neun Sprachen produziert.
Entscheidend sind aus Sicht von
syndicom zwei Punkte. Einerseits
sollen Temporäre nicht als billige
Manövriermasse missbraucht werden
und die Arbeitsbedingungen
der Festangestellten konkurrenzieren.
Andererseits darf ein Unternehmen
nicht mit «ständigen Temporären»
operieren. Zeitarbeitskräfte
sollen nach einer gewissen Zeit den
Anspruch auf eine Festanstellung
erhalten. Denn die wenigsten arbeiten
freiwillig temporär. Temporärarbeit
bietet weniger Sicherheit und
kaum berufliche Perspektiven.
Und wo kein Gesamtarbeitsvertrag
existiert, verrichten Temporärmitarbeitende
die gleiche Arbeit zu
deutlich schlechteren Bedingungen
und mit geringerer sozialer Absicherung.
Eine Ungerechtigkeit, die vor
allem MigrantInnen, Frauen und
vermehrt ältere Arbeitnehmende
betrifft. Dagegen werden wir uns
auch in Zukunft einsetzen.
Bei der Post hat syndicom schon zwei Kampagnen für Temporäre umgesetzt, die oftmals deutlich
schlechtere Arbeitsbedingungen haben.
Text: Christian Capacoel
Bild: Die Post
22
Roland
Kreuzer
Erfolg in den Arbeitskämpfen einer
digitalen Welt
Der Fortschritt des Arbeitskampfes
bei der SDA konnte jederzeit intern
und öffentlich über Twitter und auf
der Webseite verfolgt werden.
Sind Demos und Petitionen noch
ausreichend in der Digitalzeit oder
brauchen wir andere, neue gewerkschaftliche
Kampfwerkzeuge?
Als Gewerkschaft müssen wir uns
damit befassen, wie wir in der
digitalen Arbeitswelt erfolgreiche
Arbeitskämpfe führen werden. Ein
Arbeitskampf wird auch in Zukunft
das Ziel verfolgen, ökonomischen,
gewerkschaftlichen oder öffentlichen
Druck auf unnachgiebige
Arbeitgeber auszuüben, damit diese
die Anliegen der Arbeitenden ernst
nehmen.
Im «analogen Arbeitskampf» ist
ein Erfolg möglich, wenn die
betroffenen Arbeitnehmenden
geschlossen die Arbeit niederlegen
und wenn nötig mit Streikposten
und Betriebsblockaden Streikbrecher
am Zutritt zum Betrieb hindern
und den An- und Abtransport von
Material und Waren verhindern.
2003, beim Streik in der Akzidenz-Rollenoffsetdruckerei
(ARO)
von Tamedia, waren wir erstmals
mit «digitalen Kampfmassnahmen»
eines Unternehmens konfrontiert.
Alle Angestellten streikten, Streikposten
riegelten die Druckerei ab
und legten sie still. Ziel war die
Verhinderung einer Ausgabe des
Magazins Facts. Tamedia sabotierte
den Streik mit der elektronischen
Übertragung der Druckdaten (die an
einem andern Tamedia-Standort
produziert wurden) an ein halbes
Dutzend fremde Druckereien, bei
denen wir nicht rechtzeitig Aktionen
auslösen konnten. So konnte
mit dem Streik die Produktion zwar
verzögert, jedoch nicht vollständig
verhindert werden.
Streik kann heissen:
Den Firmenserver lahmlegen
Daraus können wir lernen, dass wir
im Streik verhindern müssen, dass
Daten an andere Produktionsstätten
im In- und Ausland übertragen
werden und dort statt im bestreikten
Betrieb die Fertigung eines
Produkts erfolgt. Es kann nicht sein,
dass Arbeitgeber durch Datentransfer
einen Streik unterlaufen können
und so das Streikrecht sinnentleeren.
Also müssen wir Methoden und
Mittel entwickeln, um im Arbeitskampf
betriebliche Server lahmzulegen
oder den bestreikten Betrieb
vom Netz abzuschneiden. Das
Bundesgericht hat 2005 im Fall des
PCL-Druckereistreiks Absperrungen
durch friedliche Streikposten
(«peaceful picketing») als verhältnismässig
und legitim anerkannt. Um
das Streikrecht fit für die Zukunft zu
machen, muss künftig auch der
«Cyberstreik» als legitimes Arbeitskampfmittel
anerkannt werden.
Der digitale Arbeitskampf hat
jedoch viele weitere Dimensionen:
Zum Beispiel die digitale Vernetzung
von FreelancerInnen, HomeworkerInnen
und ähnlich räumlich
verzettelt arbeitenden Menschen,
damit sie sich organisieren und im
Konfliktfall ihre kollektive Macht
ausspielen können. Die Bandbreite
reicht vom organisiertem «kollektiven
Lieferboykott» bis zum gemeinsamen
Cyberangriff auf ein Unternehmen.
Und zum neuen
Arbeits kampf gehört auch die
gezielte Nutzung von sozialen
Medien. Ein gutes Beispiel dafür
lieferten die KollegInnen der SDA
bei ihrem Streik Anfang Jahr.
Per Twitter und auf ihrer eigenen
Webseite war der Verlauf des
Arbeitskampfs intern und extern
jederzeit nachvollziehbar. Sehr
wichtig war zudem, dass auf diesem
Weg falsche Informationen, die im
Internet kursierten oder von den
SDA-Chefs und -Besitzern verbreitet
wurden, richtiggestellt werden
konnten. Gerade in einem Arbeitskampf
im Service public ist der
mediale Kampf um die Gunst der
Öffentlichkeit ein nicht zu unterschätzendes
Element. Der SDA-
Kampf war diesbezüglich ein
Lehrstück für die zeitgemässe
Kampagnenführung.
Unserer Gewerkschaftsinternationalen
UNI Global Union gelang
es, in mehreren multinationalen
Konzernen weltumspannende
Koordinationen aufzubauen und
globale Abkommen abzuschliessen
(s. Seiten 8–9). Um in Zukunft auch
einen weltweiten Arbeitskampf in
einem Multi wie Amazon führen zu
können, werden wir die oben
skizzierten und weitere digitale
Kampfmittel entwickeln müssen,
mit denen die globale Gewerkschaftsbewegung
die vor Ort
kämpfenden Arbeitenden vernetzen
und koordinieren, die Kunden
einbeziehen und die Unterstützung
der Öffentlichkeit durch korrekte
direkte Information gewinnen
kann. Kreative Köpfe sind gefragt,
um die künftigen Erfolge vorzubereiten!
Leitantrag am
SGB-Kongress
Service public digital!
23
Die Digitalisierung macht uns im
Service public kaputt. Die Gewerkschaft
müsste das viel härter
bekämpfen. Bevor es zu spät ist.
Text: Oliver Fahrni
Bild: Peter Mosimann
Wenn die Gewerkschaften Ende
Novem ber zum SGB-Kongress zusammentreten,
will syndicom sie
für die Forderung gewinnen, einen
digitalen Service public zu schaffen.
Warum?
syndicom-Präsident Daniel Münger
fasst es so: «Seit vielen Jahren
attackie ren Privatisierer und Deregu
lierer den Service public. Wir
Gewerkschaften verteidigen ihn. Oft
erfolgreich. Heute genügt die defensive
Haltung nicht mehr.» Der digitale
Umbau verlange die Stärkung
und eine «umfassende Neubegründung»
der öffentlichen Dienste, sagt
Münger.
Eine «erste strategische Priorität»
sieht darin auch GL-Mitglied
Giorgio Pardini: «Denn es geht um
Dinge wie Datenschutz, das Recht
auf diskriminierungsfreien Zugang
zu den Diensten und die Nutzung
von Chancen. Dabei stehen nicht
nur Jobs auf dem Spiel. Wir reden
über die Zukunft der ganzen Gesellschaft.»
Ein starker Service public garantiert
soziale Sicherheit, Schule und
Ausbildung, Gesundheitsversorgung,
physische Sicherheit, Kommunikationsmittel,
Altersversorgung,
öffentlichen Verkehr,
Wasser- und Stromversorgung, ein
niederschwelliges Rechtssystem
und eine bürgernahe Verwaltung.
Und einiges mehr.
Er ist ein Grundrecht und eine
Voraussetzung für die demokratische
Ordnung, weil er diese Dienste
auch für jene Mehrheit öffnet, die
nicht über hohe Einkommen und
Vermögen verfügt. Als Korrektiv
zur Macht des Kapitals sorgt er für
sozialen Zusammenhalt. Der Service
public ist Allmende, Gemeinbesitz.
Und ein Mass für Zivilisation.
Heute stellt die Digitalisierung
die Gesellschaft und ihren Service
public vor scharfe Herausforderungen.
Sie verändert nicht nur die
Arbeit, sondern stellt die ganzen
Lebens formen auf den Kopf.
Bund und Kantone haben bisher
nichts unternommen, um die Chancen
der Digitalisierung für alle nutzbar
zu machen (etwa die Reduktion
der Arbeitszeit) und ihre explosiven
Gefahren wie die völlige Deregulierung
der Arbeit einzudämmen. Die
öffentliche Hand überlässt die Gestaltung
allein den Banken und
Konzernen. Daniel Münger: «Das
müssen wir brechen, wenn wir eine
soziale Digitalisierung wollen. Die
öffentliche Hand muss in die digitale
Revolution durch Gesetze und die
Schaffung eines digitalen Service
public gestaltend eingreifen.»
Für eine digitale Allmend,
für kostenfreie Dienste
Wie das geht, formuliert ein
Leitantrag von syndicom für den
SGB-Kongress. In seinem Entwurf
steht unter anderem der Stopp (und
die eventuelle Rücknahme) aller Privatisierungen
und Deregulierungen
(etwa des Arbeitsrechts) und das
Prinzip, dass der Service public
gratis respektive billig sein muss.
Dann: «Es wird ein digitaler
Service public geschaffen. Der
garan tiert nicht nur die technische
Grundversorgung (Netze etc.), sondern
stellt der Allgemeinheit auch
Applikationen und Datenzugänge
zur Verfügung. Er sorgt für Datensicherheit
und Datenhoheit der
Einzel nen. Im Sinne einer digitalen
Allmende fördert und garantiert er
Dienste digitalen Allgemeinbesitzes
(öffentliche Archive, Gemeinschaftsdienste
wie Wikipedia etc.), vermittelt
Open-Source-Daten und Open
Software, Commons-Lizenzen etc.
Er bindet die Nutzenden in eine
echte Mitgestaltung des digitalen
Service public ein und gibt lizenzfrei
Einblick in Daten und Datenlösungen.
Schliesslich bekämpft er Missbräuche
und sorgt für die medienökologische
Sensibilisierung.»
sgb.ch/aktuell/kongress-2018/
24 syndicom-Info
Wichtige Information zu Reka-Bestellungen
ab 2019
Liebes Mitglied! Auch im Jahr 2019 hast du wieder die Möglichkeit, Reka-Geld mit 7 % Kollektivrabatt zu beziehen. Nachstehend
geben wir dir einige Infos weiter über Änderungen in der Abgabe von Reka-Geld.
2019 erhältst du neu eine Reka-Card ...
Nach deiner Einzahlung bekommst du innerhalb von ca. 6
Arbeitstagen kostenlos die Reka-Card zugestellt. Mit separater
Post erhältst du die dazugehörige PIN (Geheimzahl).
Hast du bereits eine Reka-Card, wird das Guthaben nach der
Einzahlung deinem Reka-Konto gutgeschrieben und ist dann
auf der Karte verfügbar.
... und ein persönliches Reka-Konto
Zu deiner Reka-Card gehört ein persönliches Reka-Konto.
Unter rekanet.ch kontrollierst du dein Guthaben und deine
Trans aktionen, du lädst das Konto auf, du kannst dort die
PIN der Reka-Card ändern, eine verlorene Karte sperren und
Rechnungen von Online-Partnern bezahlen.
Fragen zum Reka-Konto beantwortet der Kundenservice von
Reka unter +41 31 329 66 67 oder via kundenservice@reka.ch
gerne.
Möchtest du Reka-Guthaben lieber in Checks
ausgeben?
Reka-Checks kannst du nach Einzahlung auf dein Reka-Konto
online unter rekanet.ch bestellen. Pro Check-Bestellung
werden Bearbeitungs- und Versandgebühren von 10 Franken
fällig, die deinem Reka-Konto belastet werden.
Alternativ steht auf reka.ch/kundenservice ein Bestellformular
für Checks zur Verfügung. Hast du keinen Zugang zum
Internet, kontaktiere bitte den Reka-Kundenservice (s. o.).
Dein Reka-Kontingent bei syndicom
Den Einzahlungsschein bestellst du nach wie vor bei syndicom.
Dies geht ganz einfach auf my.syndicom.ch oder du
rufst uns an unter Tel. 058 817 18 18. Das maximale Kontingent
von 700 Franken pro Jahr für Reka-Geld mit 7 % Kollektivrabatt
bleibt gleich.
Freundliche Grüsse
syndicom-Sekretariatspool
Inserat
Neu: Die Reka-Card
für syndicom-Mitglieder
Ab 2019 erhalten Sie Ihr Reka-Geld nicht mehr in
Form von Reka-Checks, sondern in elektronischer
Form auf der Reka-Card resp. Ihrem Reka-Konto.
Ihr Vorteil: Die Karte können Sie zur bargeld- und
kontaktlosen Bezahlung bei Reka-Annahmestellen einsetzen
und nach wie vor erhalten Sie beim Bezug 7% Rabatt.
Neu erhalten Sie
die praktische Reka-Card.
Die Reka-Card ist die elektronische Weiterentwicklung
der bekannten Reka-Checks. Mit der
Karte bezahlen Sie schnell und unkompliziert an
den Kassen-Terminals der Reka-Annahmestellen.
Dazu erhalten Sie neben der Karte auch separat
eine PIN (persönliche Identifikationsnummer) an
Ihre Privatadresse zugestellt.
Ihr Reka-Guthaben geben Sie so ganz praktisch
mit der Reka-Card aus. Zusammen mit Ihrer Reka-
Card besitzen Sie auch ein Reka-Konto. Auf dieses
haben Sie online unter rekanet.ch jederzeit
Zugriff.
Ihr persönliches Onlinekonto finden Sie auf
rekanet.ch. Registrieren Sie sich auf rekanet.ch,
und Ihr Onlinekonto steht Ihnen unverzüglich zur
Verfügung.
Unter rekanet.ch können Sie:
PIN der Reka-Card ändern
Reka-Card im Verlustfall sperren
Reka-Card-Guthaben abfragen
Bewegungen der letzten Monate einsehen
Rechnungen von Reka-Annahmestellen
bezahlen (z. B. Reka-Ferien)
Reka-Checks bestellen
Egal ob Sie Zug fahren, Sport treiben, sich für
Kultur interessieren oder gerne auswärts essen:
Mit Ihrer Reka-Card bezahlen Sie Tickets für den
öffentlichen Verkehr, Bergbahnen und Skilifte,
Reka-Ferien, in Hotels, Restaurants, Reisebüros,
Freizeitparks, Kinos, Museen, Zoos, Zirkussen,
Autovermietungen, Mobility Carsharing, Tankstellen
(AVIA, BP und Coop Pronto) u.v.m.
Die Übersicht aller Annahmestellen
finden Sie online unter
reka-guide.ch und in der
Reka-Guide App. So finden Sie
schnell und einfach heraus,
wo Sie mit Ihrer Reka-Card
bezahlen können.
Schweizer Reisekasse (Reka)
Genossenschaft
Reka-Geld Kundenservice
Tel. +41 31 329 66 67
reka.ch
kundenservice@reka.ch
Recht so!
25
Fragen an den syndicom-Rechtsdienst:
Hallo zusammen,
ich bin aktives syndicom-Mitglied und schaffe in einer
Druckerei. Bei uns wird aus aktuellem Anlass darüber
diskutiert, inwiefern die Gewerkschaft während den
Arbeitszeiten freien Zutritt hat. Die Betriebsleitung vertritt
die Meinung, die Gewerkschaft hätte keinen Zutritt in
den Betrieb oder sogar auf das Gelände der Druckerei.
Ein Gewerkschaftskollege wies mich darauf hin, dass es
sogar einen Bundesgerichtsentscheid gibt, der sagt, dass
die in der Verfassung verankerte Koalitionsfreiheit den
Gewerkschaften das Zutritts- und Informationsrecht gibt.
Kann ich das gegenüber der Betriebsleitung vorbringen,
um bei uns das Zutrittsrecht der Gewerkschaft durchzusetzen?
Was heisst das denn nun für meine gewerkschaftlichen
Aktivitäten im Betrieb und für meine Gewerkschaft?
Antwort des syndicom-Rechtsdienstes
Das ist nicht korrekt. Die Informations-
und Zutrittsrechte von Gewerkschaften
lassen sich aus mehreren
Bestimmungen ableiten. Art. 28 der
Bundesverfassung sieht die Koalitionsfreiheit
vor. Die Verträge der
Inter nationalen Arbeitsorganisation
mit der Schweiz, die ILO-Konventionen
87, 98 und 135 und auch die
Menschenrechtskonvention (EMRK)
ermöglichen im Rahmen von Art. 11
(Recht auf Vereinigungsfreiheit) den
Arbeitnehmenden die Gewerkschaftsaktivitäten.
An erster Stelle steht hier
das Recht auf Information und Organisation
in den Betrieben.
Der Kollege bezieht sich auf den Leitentscheid
vom 6. 9. 2017 (2C499/
2015). Das Bundesgericht hob eine
Verfügung des Tessiner Staatsrats
auf, die den Gewerkschaften den
Zutritt zu kantonalen Verwaltungsgebäuden
verbot. Streng genommen
gilt das Urteil nur für den öffentlichen
Bereich. Der SGB und auch
syndicom fordern aber, dass das
Urteil per Analogie auch im privaten
Bereich angewendet wird. Das heisst,
es ist nicht direkt auf deinen Betrieb
anwendbar, ist aber richtungsweisend
und kann für die Argumentation
herangezogen werden.
Es ist klar, dass sich die Rechtsprechung
betreffend gewerkschaftliche
Zutritts- und Informationsrechte
noch ent wickeln muss. Die bestehenden
Regelungen sind aber weit auszulegen.
Es kann hier um das Anbringen
von Infos an der Pinnwand
oder das persönliche Gespräch auf
dem Betriebsareal gehen, aber auch
um das Verteilen von Flyern auf dem
Firmenparkplatz oder Auflegen von
Broschüren im Pausenraum. Wichtig
ist bezüglich dieser Aktivitäten, dass
eine vorgängige Absprache mit der
Betriebsleitung erfolgt.
syndicom.ch/recht/rechtso
26
Tessiner
Initiativen
Die Gewerkschaft wieder in die Mitte
der Debatte bringen
Nur in der Welt der Datennetze zu
leben, bedeutet, soziale Kontakte
und Möglichkeiten der Öffnung für
andere zu verlieren. Was unternimmt
syndicom, um diesem Trend entgegenzuwirken?
syndicom Tessin probiert derzeit
spannende neue Formen der Begegnung,
der Diskussion für Mitglieder
und die interes sierte Öffentlichkeit
aus. Wie die Teilnahme am Festival
Internazionale a Ferrara in Italien.
«Das Festival der Wochenzeitung
Internazionale ist eine Form des
Widerstands: Widerstand gegen das
heutige Informations-Chaos. Ein
Ort, wo der Wissensdurst in einer
Welt der Fake News und Schlag -
zeilen über lebt.» So die Definition
des RSI-Journalisten Mattia Pacella.
«Die Themen dort betreffen
wichtige gesellschaftliche Fragen
wie die Rolle der Frau, die fortschrei
tende Erosion der Arbeit nehmerrechte
durch eine vom technischen
Fortschritt verstärkte
neoliberale Logik oder auch den
Dialog zwischen Journalismus und
Politik», sagt die Freelance-Journalistin
Laura Di Corcia und fügt an:
«Ist das für syndicom von Nutzen?
Klar, denn eine Gewerkschaft wurzelt
nicht nur im Tagesgeschehen,
sondern auch in einer gesellschaftlichen
Idee, einem Modell, das immer
wieder zu überdenken ist.»
So weit die Beobachtungen
zweier syndicom-Mitglieder, die am
Internazionale-Festival teilgenommen
haben. Seit 2007 organisiert
die Wochenzeitung Internazionale
(die nach dem Vorbild des französischen
Courrierinternational «das
Beste aus den Zeitungen der Welt»
übernimmt) ein Festival, das in Italien
auf grosses Echo stösst und in
drei Tagen über 80 000 Besucherinnen
und Besucher zählt.
An den letzten drei Ausgaben hat
syndicom Tessin mit einer Delegation
aus Kommunika tionsfach leuten
teilgenommen. Ein Dutzend
Journalistinnen und Journalisten
aus TV, Radio, Web und Print, dazu
weitere Berufsleute des Sektors –
Fotogra fin nen, Grafiker, Zeichnerinnen,
Übersetzer, KorrektorInnen
– konn ten so die Veran stal tung verfolgen.
Zum Anlass wurde auch ein
Dossier mit Interviews, Rezensionen
und Reportagen erstellt und auf unserer
Webseite publiziert (erstmals
mit Beiträgen auf Deutsch und
Französisch).
Neue Formen der Begegnung in
Zeiten von Dauerstress
«Das Festival ist eine wertvolle Gelegenheit
zur Vertiefung. Ich war bei
anregenden Meetings dabei, die sogar
zu Schreibaufträgen geführt haben»,
erzählt Laura Di Corcia. «Der
Festivalbesuch», er klärt Federico
Franchini, Redaktor bei der Unia-
Zeitung Area, «stärkt die Bindung
zwischen Gewerk schafts mit gliedern
und KollegInnen (die nicht zwingend
denselben Be ruf ausüben) und
ermög licht, Probleme in einem informellen
und anregenden Um feld
zu besprechen.» Stella N’Djoku, Radio-Redaktorin
bei RSI, ergänzt: «So
bleibt die Gewerk schaft lebendig.»
Die Beteiligung von syndicom
am Festival geht auf ein Anliegen
zurück, das die Vertrauensleute, die
Vertreterinnen und Vertreter der
Gewerkschaftsmitglieder, 2016
vorgebracht haben. «Im Lauf dieser
Treffen», erklärt Nicola Morellato,
Regional sekretär Tessin, «zeigte
sich, dass die Arbeitenden beim
heutigen Arbeitstempo kaum noch
Zeit haben, sich zu engagieren, mitzuwirken
und gewerkschaftlich aktiv
zu sein. Deshalb muss man nach
neuen Formen der Begeg nung, der
Konfrontation suchen, die über die
üblichen Gremiumssitzungen hinaus
gehen. Wir dachten an informelle,
kulturelle und auch spielerische
Anlässe, die wichtig sind, um
sich kennenzulernen, sich miteinander
auseinanderzusetzen, Ideen
auszutauschen und neue Mitglieder
einzubeziehen. Es werden auch
Gewerkschafts themen behandelt,
denn auf die Inhalte kann man
nicht verzichten.»
Nachrücken in die von der Politik
aufgegebenen Räume
Das Festival von Internazionale ist
nur eine von vielen Aktivitäten in
diesem Sinne, die das Tessiner
Sekre tariat auf die Beine gestellt
hat. Weitere sind die Teilnah me am
Human Rights Film Festival Lugano
oder die von Presse und Visuelle
Kommunikation organisierten, öffentlichen
Konferenzen mit Kulturapéro
über die Grenzen der Satire,
das «Native Advertising» und den
unlauteren Wettbewerb im Journalismus.
So rücken gewerk schaftliche
Fragen wieder in den Mittel punkt
der Debatte, es entsteht eine Zusammenarbeit
mit akademischen und
solidarischen Kreisen, NGOs und einem
neuen Publikum, das unseren
Themen Beachtung schenkt. Wie
der Philosoph Oskar Negt festhielt,
ist es Zeit, dass die Gewerkschaften
in die von den grossen Volksparteien
aufgegebenen Räume (Kultur,
Sport, Begegnung) nachrücken, um
dort auf die Anliegen der Arbeitenden
in ihrem Alltag einzugehen.
internazionale.it/festival
Text: Giovanni Valerio
Bild: Andrea Tedeschi
1000 Worte
Ruedi Widmer
27
28
Junge bei
syndicom
Was wir uns für die Zukunft wünschen –
und was uns echt Angst macht
«Direkte Medienförderung,
geknüpft
an Leistungsaufträge
und klare Kriterien»
Luca Ghiselli, Redaktor,
St. Gallen
Ich wünsche mir für meinen
Beruf, dass er wertgeschätzt
bleibt. Auf der Rezipientenseite
heisst das:
Dass es in den Köpfen ankommt,
dass Qualität
auch digital kostet. Ich
wünsche mir, dass der ökonomische Druck abnimmt,
dass reine Publizistik ohne Quersubventionierung durch
Auto- und Ticketportale wieder ein lohnendes Geschäftsmodell
werden kann. Und dass die kollektiven Abgesänge
auf die Medienlandschaft, der Kulturpessimismus, der
sie durchzieht, und all die Weltuntergangsszenarien, die
in den vergangenen Jahren unermüdlich herumgereicht
wurden, langsam, aber sicher weniger werden. Mehr Zuversicht!
Damit es so weit kommt, wünsche ich mir eine direkte
Medienförderung, geknüpft an Leistungsaufträge und einen
klaren Kriterienkatalog. Eine Art Submissionsverfahren,
wonach zum Beispiel Kantone und Gemeinden den
Auftrag einer regionalen Berichterstattung öffentlich ausschreiben
können. Sonst gibt es in der Schweiz bald Regionen,
die gar nicht mehr oder nur noch spärlich mit journalistischen
Produkten aus ihrer Region versorgt werden.
Und das würde in diesem Land mit seiner politischen
Kleinräumigkeit die direkte Demokratie untergraben.
Auch private Medienhäuser leisten gerade im Lokalen einen
wichtigen Service public – oft ohne öffentliche Gelder
im Rücken. Das darf nicht sein. Das neue Mediengesetz,
das im Juni in die Vernehmlassung geschickt wurde, geht
in diesem Zusammenhang nicht ansatzweise weit genug.
Für die Gewerkschaft wünsche ich mir, dass sie sich weiter
für einen Gesamtarbeitsvertrag einsetzt. Für einen starken
Kündigungsschutz und gegen den systematischen
Abbau in Redaktionen und Druckereien. Und dass sie weiterhin
so zahlreiche Stimmen im Rücken hat, um diese
Ziele zu erreichen.
Lucas Gongora, Digitalverantwortlicher,
Kundenberater, Post CH, Petit-Lancy
«Ich muss mich
anpassen an die
Entwicklung, den
ständigen Wandel.
Das macht mir
keine Angst»
Für unsere Generation verändern sich die Dinge sehr
rasch. Ich bin fast sicher, dass Bargeld in weniger als fünf
Jahren kaum mehr eine Rolle spielen wird. Das macht mir
keine Angst. Mein Arbeitsplatz ist im ständigen Wandel
und wird immer stärker digitalisiert. Diese Entwicklung
gibt es in anderen Unternehmen, die im gleichen Bereich
wie ich tätig sind, bereits seit Jahren. Ich muss mich anpassen,
da dieser Stein schon vor langer Zeit ins Rollen gebracht
wurde.
Ich erhoffe mir auch eine Zukunft, in der meine Arbeitstage
nicht länger als vier Stunden dauern, damit alle
einen Arbeitsplatz haben. Eine Zukunft also, wo dank Automatisierung
und Digitalisierung weniger gearbeitet
wird – auch wenn mir diese Option mehr schön als realistisch
erscheint. Die Gewerkschaft sorgt dafür, dass dieser
Wandel möglichst fair und menschlich vor sich geht,
damit möglichst viele ihren Arbeitsplatz behalten können.
«Dass wir von einem
Krankenkassensystem
rüberwandern zu einem
Gesundheitssystem»
Rémy Ségur, Billing Manager
bei Swisscom, Gerlafingen
Für die nächsten Jahre wünsche
ich mir Gesundheit für
mich und alle Menschen, die
ich liebe, und die ganze Weltbevölkerung.
Damit meine ich nicht nur Gesundheit im
eigentlichen Sinn, sondern in allen Formen. So wünsche
ich mir, dass die Bevölkerung sich weiter mobilisiert und
mit einem gesunden Geist sich einsetzt für die Gleichberechtigung,
für Frieden oder für eine ökologische und respektvolle
Konsumation und noch mehr für die Umwelt.
Ich wünsche mir, dass wir von einem Krankenkassensystem
rüber zu einem Gesundheits system wandern, das
die Gesundheit endlich fördert und nicht die Krankheiten
vorübergehend lindert. Dafür muss ein Umdenken stattfinden
und die politischen Kreise müssen handeln. Es
kann nicht sein, dass wir Jahr für Jahr mehr Krankenkassenprämien
zahlen und die Versicherungen Jahr für Jahr
Millionen an Gewinnen ausschütten, anstatt diese Millionen
im Sinne der Gesundheit zu investieren. Ich wünsche
mir, dass in der Politik absolute Transparenz herrscht, die
«Weniger
arbeiten dank
Digitalisierung
und faire Jobs
für alle»
Junge bei
syndicom
«Die Bedingungen für Praktika sind gesetzlich nicht genug
geregelt und werden politisch zu wenig diskutiert.» Ciril Saner
29
Ein- und Ausgaben sollen kostenfrei für die Bevölkerung
jederzeit abrufbar sein, für eine gesunde Politik ohne Korruption
und Lobbyismus. Ich wünsche mir also ganz einfach
Gesundheit.
Was fürchte ich? Ich fürchte, dass die Menschheit
nach und nach vergisst, worum es meiner Meinung nach
geht im Leben: dass sie vergisst zu lieben und nicht zulässt,
geliebt zu werden, und dass sie vergisst, dass Geld
und Konsumgüter uns nicht glücklich machen. Ein
Spruch von Gandhi hilft mir, diese Furcht immer wieder
loszulassen: «Du musst die Veränderung sein, die du in
der Welt sehen willst. Als Menschen liegt unsere Grösse
nicht darin, die Welt zu erneuern – das ist ein Mythos des
Atomzeitalters –, sondern darin, uns selbst zu erneuern.»
Für meine berufliche Zukunft sehe ich vor mir, dass
ich möglichst viel teilen, lieben, mich austauschen, mich
nerven und mich wieder beruhigen möchte, um mich so
lebendig wie nur möglich zu fühlen. Konkret bin ich offen
für alles, was kommt, und dankbar, ein Dach über dem
Kopf zu haben.
«Eine bessere Einbindung
der Jungen in die
Entscheidungsprozesse
der Gewerkschaften»
Ciril Saner, Softwareentwickler,
Biel
Ich glaube, dass die Gewerkschaft
künftig sehr viele und
vor allem vielfältige Herausforderungen zu bewältigen
hat. Wie heute werden wir uns mit Themen beschäftigen
müssen, die sowohl die Arbeitswelt als auch die Gesellschaft
betreffen. Einige unserer Kämpfe sind leider seit
Langem bekannt, zum Beispiel die Gleichstellung von
Männern und Frauen. Wir sind auch mit Fragen konfrontiert,
die vor allem die Jungen betreffen, zum Beispiel die
Praktikumsbedingungen. Praktika sind gesetzlich nicht
genug geregelt und werden politisch nicht genug thematisiert.
Andere Themenbereiche sind erst in jüngerer Zeit aufgetaucht,
zum Beispiel die «Digitalisierung».
Ich bin auch der Meinung, dass wir wieder lernen müssen,
visionär zu sein und unseren künftigen Herausforderungen
zuvorzukommen. So können wir handeln, um die
Gesellschaft zu verändern, statt nur zu reagieren. Ohne
die aktive Mitwirkung der Jungen ist diese Entwicklung
nicht möglich. Die Gewerkschaften müssen mehr mit den
Jungen sprechen und sie stärker in die Entscheidungsprozesse
einbinden. Dies ist eine grosse Herausforderung,
die noch mehr Anstrengungen erfordert. Ich freue mich,
noch viele Jahre in der Gewerkschaftswelt tätig zu sein
und mich so auf meine Weise für die Gesellschaft engagieren
zu können.
«Mehr Jobs für junge Leute,
die etwas bringen»
Sina Chiavi
«Einen leichten Einstieg
ins Berufsleben und
mehr Möglichkeiten,
Teilzeit zu arbeiten»
Sina Chiavi, Verlagsangestellte,
Zürich
Ich studiere und arbeite Teilzeit.
Manchmal habe ich
Angst, dass es nach dem Studium
schwierig wird, eine
gute Stelle zu finden, die mich
fordert und mir Spass macht.
Diese Angst rührt daher, dass ich in meinem Umfeld beobachte,
wie schwierig sich der Einstieg ins Berufsleben
für viele gestaltet. Ich hoffe, dass sich das in den nächsten
Jahren zum Besseren entwickelt und die ArbeitgeberInnen
etwas von dem Trend abkommen, nur noch Praktika
oder befristete Stellen für BerufseinsteigerInnen anzubieten,
und das oft ohne Anschlussmöglichkeit.
Ich mache mir auch Gedanken dazu, wie ich es wohl
einmal schaffen werde, Beruf und Familie zu verbinden.
Wie viele in meinem Bekanntenkreis bin ich erst mit Ende
zwanzig mit dem Studium fertig. Das bedeutet, dass die
ersten Jahre in der Arbeitswelt mit den Jahren zusammenfallen,
in denen Familienplanung ein Thema wird. Ich
wünsche mir, dass mehr Möglichkeiten geschaffen werden,
Teilzeit zu arbeiten (zum Beispiel im Job-Sharing mit
jemand anderem in einer ähnlichen Situation) und dennoch
anspruchsvolle Aufgaben übernehmen zu dürfen,
sodass Frauen und Männer sich trotz Betreuungsaufgaben
auch im Beruf weiterentwickeln können.
Ich fürchte manchmal, dass sich die Gesellschaft immer
mehr in eine Richtung entwickelt, in der alle nur noch
für sich schauen, aus Angst, keine Arbeit zu haben. Ich
hoffe, dass wir da einen Weg finden, zusammenzuarbeiten
und gesamtheitlicher zu denken.
Zuletzt wünsche ich mir, dass generell mehr (ehrlich)
über Arbeit geredet wird. Öffentlich, aber auch privat und
über die verschiedenen Berufsfelder hinweg. Arbeit ist so
ein wichtiger Teil des Lebens, und dennoch, so scheint
mir, nimmt gerade die Arbeit vielen Menschen die Energie,
bewusst über sie nachzudenken und sich mit anderen
darüber auszutauschen.
«Dass mehr Menschen
den Wert einer Gewerkschaft
zu schätzen
wissen»
Hannah Fürstenberg, Designerin,
Swisscom, Zürich
Was ich fürchte: Wie wichtig
die Arbeit von syndicom ist,
merkt man vor allem im Vergleich
mit Ländern aus dem asiatischen Raum, wo Effizienz
und das Wachstum einer Firma über das Wohl der einzelnen
Mitarbeitenden gestellt wird. Ich würde mir
wünschen, dass mehr Menschen den Wert einer Gewerkschaft
zu schätzen wissen und verstehen, wie viel Arbeit
30
Junge bei
syndicom
«In den Regiebetrieben können viel zu viele Überstunden
nie kompensiert werden.» Bryan Kaltenrieder, PostAuto
und historische Relevanz dahintersteckt. Und dass es
jetzt, im digitalen Zeitalter, umso wichtiger ist, Gewerkschaften
zu unterstützen und die Rechte der Mitarbeitenden
zu schützen.
Im digitalen Zeitalter scheinen sowohl Produkte als
auch Berufe kurzlebig. Als Designerin muss ich informiert
bleiben und mich ständig weiterbilden, um die neusten
Methoden, Programme und Recherche-Tools beherrschen
zu können. Darum schätze ich syndicom vor allem
dafür, dass sie sich nicht nur für meine zukünftige
«Employ ability» einsetzt, sondern diese auch proaktiv
beim Arbeitgeber einfordert. Dieses Jahr konnte ich z. B.
meine – im GAV verankerten – Weiterbildungstage verwenden,
um eine Fachkonferenz mit spannenden Workshops
zu besuchen.
«Im digitalen Zeitalter
müssen wir die Gewerkschaften
umso mehr unterstützen»
Hannah Fürstenberg
Für die Zukunft wünsche ich mir, dass sich syndicom
auch weiterhin für flexible Arbeitsmodelle einsetzt, die es
allen ermöglichen, so zu arbeiten und zu leben, wie es ihnen
am besten passt. Flexible Arbeitszeiten, Vaterschaftsurlaub
und Lohngleichheit tragen dazu bei, dass man sein
Leben unabhängig von veralteten gesellschaftlichen Modellen
planen kann – das sorgt nicht nur für glückliche
Angestellte, sondern auch für effizientere Ergebnisse im
Arbeitsalltag.
«Ich würde gerne –
arbeiten»
Valentina Sinopoli,
Auszubildende bei der
Post, Bellinzona
Wie sehe ich mich in zehn
Jahren? Bei der Post, am
Arbeiten. Ich habe diese
Ausbildung vor zwei Monaten
am Postschalter in
Bellinzona begonnen, und
sie gefällt mir sehr gut, vor
allem der Kontakt zu Menschen.
Nach der Mittelstufe
schrieb ich einen Motivationsbrief an die Post, und
sie haben mich genommen. Es bedeutet mir viel, denn
mein Vater arbeitet für PostAuto. Ehrlich gesagt, ich bin
15 Jahre alt und ich weiss nicht, was die Zukunft mir bringen
wird, aber: Ich würde gerne arbeiten!
«Flexible Arbeitsmodelle und
ein bedingungsloses
Grundeinkommen für alle»
«Ein bedingungsloses
Grundeinkommen für
alle»
Céline Tapis,
Buchhändlerin, Bern
Ich wünsche mir Zufriedenheit,
Genügsamkeit,
weniger Abfall und weniger
Konsum. Ich wünsche
mir mehr Umweltschutz
und ein stärkeres ökologisches
Bewusstsein. Ich
wünsche mir faire Löhne, flexible Berufsmodelle und ein
bedingungsloses Grundeinkommen für alle. Ich wünsche
mir soziale VordenkerInnen, mutige PolitikerInnen und
Menschen, die einander freundlich begegnen. Ich wünsche
mir weniger Grenzen und mehr Mitgefühl.
Ich wünsche mir Freiräume, günstigen Wohnraum
und mehr Zwischennutzungen. Ich wünsche mir mehr
Gespräche auf Augenhöhe, mehr Verständnis, mehr Vertrauen
und weniger Kontrolle. Ich wünsche mir mehr Zuhören
und weniger Drauflosreden. Weniger Zwang, dafür
mehr Liebe. Und ich glaube an den Frieden.
«Den nächsten GAV
PostAuto verbessern»
Bryan Kaltenrieder, Mitglied
der nationalen Betriebskommission
PostAuto, Giez (VD)
Für meine Kollegen und
mich betrifft der wichtigste
Wunsch für die nähere Zukunft
wahrscheinlich den nächsten GAV PostAuto. Wir
müssen unbedingt zurückgewinnen, was wir in den letzten
Verhandlungen verloren haben. Das alte Lohnsystem
und die Treueprämien müssen zurückkommen. Auch das
System der Sechstagewochen soll überprüft werden. In
den grösseren Regiebetrieben gibt es langsam viel zu viele
Wochenenden, die nie kompensiert werden können.
Ausserhalb meiner Arbeit bei PostAuto bin ich daran,
mein kleines Videoproduktions-Unternehmen aufzubauen.
Mein Ziel ist nicht, bei PostAuto aufzuhören. Ich will
aber dieses Hobby zu einem lukrativen Nebenerwerb machen.
Aussagen zur ferneren Zukunft sind schwierig, man
weiss nicht, wie es mit der Firma weitergeht. Möglichkeiten
für eine Weiterentwicklung sind rar und unsicher,
wechseln … ist es anderswo wirklich besser …
Abgesehen von Spinnen und dem Zahnarzt liegen meine
grössten Ängste weiter in der Zukunft: Ich frage mich,
was von der AHV übrig sein wird, wenn ich ins Rentenalter
komme, und vor allem, wann ich mich pensionieren lassen
kann: mit 70? Oder 80?
Wird es meine Arbeit noch geben? Oder wird es nur
noch autonome Fahrzeuge geben? Werde ich in diesem
Alter noch in der Lage sein, zu arbeiten …?
Céline Tapis
Impressum
Redaktion: Sylvie Fischer, Giovanni Valerio,
Marc Rezzonico, Marie Chevalley
Mitarbeit: Rieke Krüger
Tel. 058 817 18 18, redaktion@syndicom.ch
Porträts, Zeichnungen: Katja Leudolph
Fotos ohne ©Copyright-Vermerk: zVg
Druck, Layout und Korrektorat: Stämpfli AG, Bern
Adressänderungen: syndicom, Adressverwaltung,
Monbijoustrasse 33, Postfach, 3001 Bern
Tel. 058 817 18 18, Fax 058 817 18 17
Inserate: priska.zuercher@syndicom.ch
Abobestellung: info@syndicom.ch
Abopreis ist im Mitgliederbeitrag inbegriffen. Für
Nichtmitglieder: Fr. 50.– (Inland), Fr. 70.– (Ausland)
Verlegerin: syndicom – Gewerkschaft
Medien und Kommunikation, Monbijoustr. 33,
Postfach, 3001 Bern
Das syndicom-Magazin erscheint sechsmal im Jahr.
Ausgabe Nr. 9 erscheint am 25. Januar 2019.
Redaktionsschluss: 17. Dezember 2018.
31
Mit Reka liegt mehr drin.
Anzeige
Das syndicom-Kreuzworträtsel
Gut für alle, die gerne verreisen:
Zu gewinnen gibt es Reka-Geld im Wert
von 50 Franken, gespendet von unserer
Dienstleistungspartnerin Reka.
Das Lösungswort wird in der nächsten
Ausgabe zusammen mit dem Namen der
Gewinnerin oder des Gewinners veröffentlicht.
Lösungswort und Absender
auf einer A6-Postkarte senden an:
syndicom-Magazin, Monbijoustrasse 33,
Postfach, 3001 Bern.
Einsendeschluss: 17. Dezember.
Der Gewinner
Die Lösung des syndicom-Kreuzworträtsels
aus dem syndicom-Magazin
Nr. 7 lautet: STREIK. Gewonnen hat
Marcel Stüssi aus Uznach. Die Hotelcard
unserer Partnerin Hotelcard ist unterwegs.
Wir gratulieren herzlich!
«Ich möchte
Vorbild sein.»
John, 20-jährig
Kiserian, Kenia
Erfahre meine Geschichte – www.comundo.org/jugend
Perspektiven ermöglichen: PC 60-394-4
32
Eine kleine
Frage noch
syndicom social
Weshalb sind die Kündigungsfristen
bei syndicom 6 Monate,
wo doch die meisten Arbeitnehmenden
einer 3monatigen
Kündigungs frist unterliegen?
Die Mitgliedschaft bei syndicom ist nicht an die Zugehörigkeit zu einem
Arbeitgeber oder einer Branche gebunden. Die Dienstleistungen, zu denen
man dank der Mitgliedschaft Zugang hat, können auch oder gerade nach
einem Stellenwechsel oder dem Verlust der Stelle nützlich sein.
Ein Grossteil der anderen Gewerkschaften in der Schweiz hat strengere Kündigungsfristen
als syndicom. Meistens wird ein Austritt nur per 31. 12. gewährt.
Bei syndicom ist der Austritt während des ganzen Jahres möglich. syndicom
kommt dem Wunsch nach grösserer Flexibilität also bereits entgegen.
Wie die meisten Vereine ist syndicom auf die Mitgliederbeiträge angewiesen.
Mit ihnen wird ein Grossteil der Ausgaben finanziert, wie etwa die Löhne und
die Mieten. Für syndicom ist es deshalb wichtig, dass bei den Finanzen eine
mittelfristige Planungssicherheit besteht. Dem trägt die sechsmonatige
Kündigungsfrist Rechnung.
Derzeit sind viele Menschen, die
nicht deutscher, französischer
oder italienischer Muttersprache
sind, in die Schweiz gekommen,
um zu arbeiten: wird syndicom
dies berücksichtigen? Werden
die Webseite und verschiedene
Dokumente ins Englische und
andere Sprachen übersetzt?
Wir haben gerade erst Texte auf Englisch verfasst, wir
haben dies bereits auf Portugiesisch, Albanisch oder
Serbisch getan, und wir werden es für die erste Kontaktaufnahme
auch weiter tun. Bei Bedarf bieten wir auch gelegentlich
andere Sprachen an.
Wie viele Stunden Überzeit sind
erlaubt bei 40 % Arbeitspensum?
Wie kann die Integration von
Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt
gewerkschaftlich organisiert und
gefördert werden?
Die Arbeitsmarktbeteiligung der anerkannten Flüchtlinge
beträgt nach fünf Jahren Aufenthalt etwa 27 %, nach
sieben Jahren liegt die der vorläufig aufgenommenen
Personen und Flüchtlinge bei 45 %. Diese unbefriedigenden
Zahlen rühren auch daher, dass nicht deutlich genug
gesagt wurde, dass Personen mit einer Bewilligung F
erleichterten Zugang zum Arbeitsmarkt haben.
Die Gewerkschaften können das Bewusstsein der Arbeitgeber
schärfen und sich aktiv einsetzen, damit die
Sozial partner Integrationsprogramme aufstellen, und sie
können diese überwachen. Flüchtlingspraktika müssen
ordentlich geregelt und in ein Studium oder eine Ausbildung
integriert werden; eine angemessene Sprachausbildung
ist unerlässlich.
Das Arbeitsrecht legt die Anzahl der zu leistenden Überstunden nicht fest,
das muss von Fall zu Fall überprüft werden. Wenn es notwendig ist, Überstunden
zu leisten, ist die oder der Beschäftigte dazu verpflichtet, soweit dies
für ihn zumutbar ist. Bei Teilzeitbeschäftigten ist zu berücksichtigen, dass sie
noch andere Verpflichtungen haben. Gerne helfen wir dir zu prüfen, ob diese
Kriterien in deinem Fall erfüllt sind (https://syndicom.ch/recht/).
Mindestens 80 Prozent der Leute arbeiten weiterhin
in ganz traditionellen Anstellungsverhältnissen.
Steht der Einsatz von syndicom in einem angemessenen
Verhältnis zu dieser Tatsache? Werden auch ihre
Interessen noch ausreichend vertreten?
Die Aktionen von syndicom für die PostAuto-FahrerInnen
haben schweizweites Aufsehen erregt. PostAuto hatte
die Chauffeure um 2 Millionen an Spesen und Zulagen
betrogen. Die FahrerInnen sind stolz, unserer Gewerkschaft
anzugehören, und haben uns zu den Aktionen
beglückwünscht. Von nationaler Bedeutung sind auch
die jüngst allgemeinverbindlich erklärten Gesamtarbeitsverträge
der Branchen Netzinfrastruktur und Callcenter.
Davon konnten viele «traditionell» Beschäftigte
profitieren.