Noerr, Hering Schuppener und Prof. Dr. Axel v. Werder legen erste interdisziplinäre Studie vor. Die Ergebnisse basieren auf persönlichen Gesprächen mit ausgewählten Aufsichtsratsvorsitzenden von insgesamt 15 DAX-, MDAX- und SDAX-Unternehmen.
Die Rolle des Aufsichtsrats
in der Krisenkommunikation
Interdisziplinäre Studie
Executive Summary
In Kooperation mit:
Prof. Dr. Axel v. Werder
Technische Universität Berlin
EXECUTIVE SUMMARY
Die Rolle des Aufsichtsrats
in der Krisenkommunikation
Der Dialog zwischen kapitalmarktorientierten
Gesellschaften und ihren Stakeholdern, einschließlich
der Öffentlichkeit, gehört seit Jahrzehnten zur
„best practice“ guter Unternehmensführung. Einigkeit
besteht, dass der Vorstand Partner dieses Dialogs
ist. Kontrovers wird in Wissenschaft und Praxis
hingegen die Frage diskutiert, ob und gegebenenfalls
wie der Aufsichtsrat sich in diese Kommunikation
einbringen darf und sollte.
So haben Investoren ein verstärktes Interesse,
aufsichtsratsspezifische Fragen mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden
selbst zu diskutieren. Dazu zählen
z. B. die Zusammensetzung von Vorstand und Aufsichtsrat,
die Vergütung von Vorstand und Aufsichtsrat
oder auch die Überwachung des Vorstands. Für
diese Angelegenheiten ist nach deutschem Aktienrecht
ausschließlich der Aufsichtsrat zuständig.
In der Debatte bislang noch wenig beachtet sind
Sondersituationen, allen voran die für das Wohl des
Unternehmens besonders bedeutsamen Krisensituationen.
Die Studie von Noerr, Hering Schupener und
Prof. Dr. Axel v. Werder geht deshalb spezifisch der
Kommunikation des Aufsichtsrats in der Krise nach –
mit einem interdisziplinären Ansatz, der die kommunikative
Sicht ebenso beleuchtet wie die rechtlichen
und die Corporate Governance-spezifischen Aspekte
des Themas.
Neben der Analyse des rechtlichen und kommunikativen
Rahmens stützen sich die Erkenntnisse auf
persönliche Gespräche mit zwölf Aufsichtsratsvorsitzenden
von DAX, M-DAX und S-DAX-Unternehmen
sowie die Auswertung von Presseinterviews, die Aufsichtsratsvorsitzende
in den Jahren 2016 und 2017
deutschen Medien gegeben haben.
Die wesentlichen Ergebnisse der Studie lassen
sich wie folgt zusammenfassen:
Analyse des kommunikativen und
rechtlichen Rahmens
1. Stakeholder erwarten Bereitschaft zur Kommunikation,
insbesondere in Krisenzeiten. Der Aufsichtsratsvorsitzende
kann sich bereits angesichts
des breiten Meinungsspektrums nicht mehr darauf
zurückziehen, dass das Aktienrecht ihm verbiete, zu
kommunizieren.
2. Die Anforderungen an die persönliche Kommunikationsfähigkeit
des Managements und des Aufsichtsrats
sind gestiegen. Dies zeigen zwei Phänomene:
Zum einen werden Manager persönlich zur
Zielscheibe und sehen sich oft anonymen Angreifern
gegenüber. Zum anderen ist die Macht eines Einzelnen
durch die sozialen Medien gestiegen. Wäre dessen
Kritik vor Jahrzehnten ggf. unerhört verhallt,
kann sie heutzutage über Follower und deren Follower
schnell hunderttausende Menschen erreichen.
3. Die Reputation des Unternehmens wirkt in der
Krise wie ein Schutzwall. Strategische Kommunikation
trägt dazu bei, Reputation aufzubauen – gerade
in „ruhigen Zeiten“ – und sie in stürmischen Zeiten zu
schützen. Auch wenn dies grundsätzlich Aufgabe des
Vorstands ist, kann sie allerdings in bestimmten Fällen
auch dem Aufsichtsrat und dessen Vorsitzenden
obliegen. Versäumt es der Aufsichtsratsvorsitzende,
sich auf diese Herausforderung in guten Zeiten sorgfältig
vorzubereiten, besteht die Gefahr, dass er in
Krisenzeiten bei den Medien nicht über hinreichende
Kontakte und persönliches Vertrauen verfügt.
Aufsichtsräte, insbesondere an der Börse gelisteter
Unternehmen, sollten sich deshalb mit ihrer Rolle in
der Unternehmenskommunikation allgemein und in
Krisen aktiv und frühzeitig auseinandersetzen.
4. Diese Herausforderungen treffen auf einen
rechtlich nicht abschließend geklärten Rahmen:
Sich immer dann zu äußern, wenn er es im Unternehmensinteresse
für geboten hält, birgt für den
Aufsichtsrat bzw. seinen Vorsitzenden Risiken. Er
sollte deshalb stets sorgfältig prüfen, ob die Themen,
zu denen er sich äußern möchte, auch in seine Sachkompetenz
fallen. Denn deutlich überwiegende Argumente
sprechen jedenfalls dafür, dass der Aufsichtsrat
die Kompetenz hat, sich zu Themen aus seinem
Zuständigkeitsbereich zu äußern („communication
follows competence“). Nur wenn der Aufsichtsrat
sich im Rahmen seiner Kompetenzen äußert, kommen
ihm die Grundsätze der Business Judgment
Rule zugute.
Die Kommunikationsbefugnis und die Entscheidung
über das „Ob“ und „Wie“ einer Kommunikation
stehen im Ausgangspunkt dem Aufsichtsrat als Kollegialorgan
zu. Deshalb zu verlangen, dass das kommunizierende
Aufsichtsratsmitglied – in aller Regel
also der Aufsichtsratsvorsitzende – in jedem Kommunikationsfall
durch Gremiumsbeschluss ermächtigt
werden muss, wäre in der Praxis jedoch schwerlich
praktikabel. Für ein Mehr an Rechtssicherheit
empfiehlt es sich jedenfalls, möglichst klare Regelungen
der organinternen Kommunikationskompetenzen
in der Geschäftsordnung des Aufsichtsrats
oder einer gesonderten Kommunikationsordnung zu
etablieren.
Wesentliche Ergebnisse aus der
empirischen Untersuchung der
Krisenkommunikation in der Praxis
1. Die Aufsichtsratsvorsitzenden lassen sich nach
den geführten Gesprächen mit Blick auf ihre Einstellung
zur Krisenkommunikation zwei verschiedenen
Gruppen zuordnen: Während die eine Gruppe der
Kommunikation auch außerhalb einer Krise ausgesprochen
zurückhaltend gegenüberstand, zeigte
sich die Mehrheit der Gesprächspartner sowohl allgemein
als auch in Krisenfällen gegenüber einer
Kommunikation des Aufsichtsrats aufgeschlossener.
Dieses Ergebnis deckt sich auch mit der steigenden
medialen Präsenz von Aufsichtsratsvorsitzenden.
2. Die Kommunikation des Aufsichtsrats wird wesentlich
durch die Ausprägung der Krise bestimmt: In
einer Konsens-Krise (in der Vorstand und Aufsichtsrat
an einem Strang ziehen), halten einige Aufsichtsratsvorsitzende
es für sinnvoll, in die Öffentlichkeit
zu treten und durch mediale Botschaften oder Gespräche
mit Investoren die Situation zu beruhigen. In
einer Dissens-Krise (in der Aufsichtsrat und Vorstand
unterschiedlicher Auffassung über Ursache bzw. Bewältigung
der Krise sind), solle sich der Aufsichtsratsvorsitzende
dagegen mit öffentlicher Kommunikation
zunächst zurückhalten. In einer solch heiklen
Situation, die sich auch nicht verbessern lasse, bliebe
nur die Ablösung des Vorstands(-vorsitzenden), die
aber zunächst intern vorzubereiten und mitzuteilen
sei, bevor sie dann extern berichtet und gegebenenfalls
erklärt werde.
3. Die Aufsichtsratsvorsitzenden fühlten sich im
Grundsatz komfortabel mit dem geltenden Rechtsrahmen.
Dieser Befund steht im Gegensatz zur streitigen
Diskussion in der Rechtswissenschaft.
4. Die Aufsichtsratsvorsitzenden, die grundsätzlich
bereit sind, in der Krise zu kommunizieren, halten es
für unabdingbar, sowohl hinsichtlich des Gesprächsthemas
als auch kommunikativ hinreichend vorbereitet
zu sein. Dazu zähle auch eine unternehmensinterne
Koordination der Kommunikation, die sowohl
Prozesse als auch Kommunikationsinhalte klar festlege.
5. Eine organinterne Abstimmung hingegen hielten
nicht alle Gesprächspartner für relevant. Entscheidend
sei vielmehr das Vertrauensverhältnis
zwischen dem Vorsitzenden und den Mitgliedern des
Aufsichtsrats. Solange sie dieses Vertrauen spüren,
fühlen sie sich in ihren Kommunikationsaktivitäten
vergleichsweise frei. Einzelfallbezogene nachträgliche
Unterrichtungen des Plenums erfolgen jedoch
schon.
© Noerr LLP, 10/2018
Herausgeber
Noerr LLP
Brienner Straße 28
80333 München
T +49 89 28628-0
www.noerr.com
Hering Schuppener Consulting
Strategieberatung für
Kommunikation GmbH
Berliner Allee 44
40212 Düsseldorf
T +49 211 43079-0
www.heringschuppener.com
Prof. Dr. Axel v. Werder
Technische Universität Berlin
Straße des 17. Juni 135
10623 Berlin
T +49 30 314-22583
www.organisation.tu-berlin.de
Autoren
Dr. Ralph Schilha
Partner (Noerr)
T +49 89 28628-167
E-Mail: ralph.schilha@noerr.com
Dirk von Manikowsky
Partner (Hering Schuppener)
T +49 211 43079-265
E-Mail: dvonmanikowsky@heringschuppener.com
Prof. Dr. Axel v. Werder
Technische Universität Berlin
T +49 30 314-22583
Dr. Ingo Theusinger
Partner (Noerr)
T +49 211 49986-109
E-Mail: ingo.theusinger@noerr.com