Berliner Zeitung 08.12.2018
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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 287 · 8 ./9. Dezember 2018 – S eite 26 *<br />
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Sport<br />
Landstrich der Launen<br />
Im Revierderby gilt Borussia Dortmund als Favorit. Dabei hat der FC Schalke 04 ideale<br />
Voraussetzungen, einenMachtwechsel im Ruhrpott zu schaffen. Die Geschichte eines Fußballrätsels<br />
VonDaniel Theweleit<br />
Im falschen Film? Im falschen Fanblock steht dieser schwarz-gelbe Anhänger von Borussia Dortmund auf jeden Fall, im Fanblock des FC Schalke04nämlich.<br />
IMAGO<br />
Der Schock aus dem vergangenen<br />
Jahr sitzt noch<br />
tief bei Michael Zorc,der<br />
seit mehr als vierzig Jahren<br />
Borussia Dortmund angehört.<br />
1978 kam er als Jugendspieler voneinem<br />
kleinen Klub aus dem Norden<br />
der Stadt zur großen Borussia, wurde<br />
Profi und Sportdirektor,zahllose Duelle<br />
mit dem Erzfeind aus Gelsenkirchen<br />
hat er seither erlebt. Überstrahlt<br />
werden sie alle von diesem<br />
Trauma aus dem Vorjahr.<br />
Jenseits vieler schöner und einiger<br />
weniger erfreulicher Erinnerungen<br />
sei nun vorallem das 4:4 nach einer<br />
4:0-Führung aus dem Herbst<br />
2017 „sehr präsent“, sagt Michael<br />
Zorc. Denn diese Begegnung wurde<br />
zur Allegorie der Dortmunder Problemsaison,<br />
zum strahlenden Sinnbild<br />
des Schalker Erfolges, sogar zu<br />
einem möglichen Szenario für die<br />
Zukunft. Für einige Monate war es<br />
danach durchaus vorstellbar, dass<br />
der in den vergangenen Jahren so<br />
deutlich gewachsene Vorsprung der<br />
Dortmunder vor dem großen Rivalen<br />
aus der Nachbarstadt merklich<br />
schrumpfen könnte.<br />
Siesprechen sich Mutzu<br />
Nunsteht das insgesamt 173. Pflichtspielderby<br />
zwischen den Ruhrgebietsrivalen<br />
bevor, und die Situation<br />
hat sich gewandelt. Die Schalker<br />
kämpfen wieder einmal gegen das<br />
Gefühl an, auf einen übermächtigen<br />
Gegner zu treffen.<br />
„Wir sind gut drauf“, versichert<br />
Trainer Domenico Tedesco.„Wir haben<br />
das Achtelfinale der Champions<br />
DERBYGESCHICHTE IN ZAHLEN<br />
1925<br />
In diesem Jahr fand das erste Derbystatt, Ruhrgaumeisterschaft der Kreisligen.<br />
Schalkegewann4:2. Ernst Kuzorra, damals 19 Jahre alt, traf doppelt.<br />
173<br />
Mal gabesdieses Spiel bereits. Am klarsten ging es 1940 aus, GauligaWestfalen.<br />
Vier Tore durch Kuzorra in der ersten Halbzeit. Schalkegewann10:0.<br />
14<br />
Minuten brauchte Schalkeimersten Bundesligaderby1963 für drei Tore, Endstand 3:1.<br />
Das erste Derbytor gelang immerhin dem Dortmunder Reinhold Wosab.<br />
44<br />
Minuten waren gespielt, als Dortmund im Mai 2007 die Führung gelang.Esfolgte das 2:0 und<br />
das Ausaller Schalker Titelträume. Motto der Partyverderber:„Nur gucken, nicht anfassen!“<br />
1966<br />
fand das Nebelderbystatt. Lothar Emmerich: „Wenn wir etwas gesehen hätten, hätten wir<br />
noch höher gewonnen.“ Dortmund gewann 6:2. Und Emmerich? Sah und schoss drei Tore.<br />
0:4<br />
lag SchalkeimNovember 2017 in Dortmund zurück, zur Halbzeit.<br />
Es folgte das größte Comeback der Derbygeschichte. Naldo traf in der Nachspielzeit zum 4:4.<br />
League erreicht, sind noch im DFB-<br />
Pokal vertreten und haben vorige<br />
Woche in Hoffenheim gut gespielt.<br />
Das sind Erfolgserlebnisse, die uns<br />
pushen, die uns Selbstvertrauen geben.“<br />
Sie müssen sich Mut zusprechen,<br />
denn die Kräfteverhältnisse<br />
des vergangenen Jahrzehnts sind<br />
wiederhergestellt.<br />
Erstaunlich ist, wie schnell und<br />
klar sich diese Entwicklung vollzogen<br />
hat. Denn im vorigen Sommer<br />
stand der BVB vor einem Umbruch,<br />
von dem die Verantwortlichen sagten,<br />
es werdenoch„ein bis zwei Jahre<br />
dauern“, bis die gewünschtenVeränderungen<br />
tatsächlich bewirkt sein<br />
würden.<br />
Das Team sollte mehr Widerstandskraft<br />
in schwierigen Situationen<br />
entwickeln, der neue Trainer<br />
sollte Zeit bekommen, seine Ideen<br />
zu verwirklichen. Man wollte Teenagernwie<br />
Dan-Axel Zagadou, Achraf<br />
Hakimi oder Jadon Sancho Zeit zum<br />
Reifen geben, und bis kurz vor dem<br />
Ende derTransferperiode klaffte eine<br />
große Lücke im Kader:Esgab keinen<br />
Zentrumsstürmer.<br />
Die Gelsenkirchener gingen hingegen<br />
als sehr stabiles Gebilde in den<br />
Sommer, als Vorjahreszweiter immerhin,<br />
der nur den Ergänzungsspieler<br />
Max Meyer sowie den in der<br />
ausgesprochen erfolgreichen Rückrunde<br />
zwar soliden aber keinesfalls<br />
überragenden Leon Goretzka abgegeben<br />
hatte. Und die Transferarbeit<br />
vonManager Christian Heidel wirkte<br />
schlüssig.<br />
Mit Salif Sané verpflichteten die<br />
Schalker einen begehrten Verteidiger,<br />
der tatsächlich eine recht ordentliche<br />
Saison spielt. Zugang Mark<br />
Uth trug imvergangenen Jahr mit<br />
hervorragenden Leistungen und 14<br />
Toren dazu bei, dass sich 1899 Hoffenheim<br />
für die Champions League<br />
qualifizierte. Auch der Transfer von<br />
Sebastian Rudy erschien überzeugend,<br />
der ehemalige Münchner ist<br />
deutscher Nationalspieler und hat<br />
als versierter Passgeber und Aufbauspieler<br />
die Fähigkeit, das mitunter<br />
etwas dürftige fußballerische Niveau<br />
der Schalker anzuheben.<br />
Spuren im Gemüt<br />
MitSuat Serdar,Hamza Mendyl und<br />
Omar Mascarell kamen drei weitere<br />
Profis, denen nicht nur Manager<br />
Heidel zutraut, sich auf Champions-<br />
League-Niveau zu etablieren. Dass<br />
das Konstrukt trotzdem nicht so<br />
funktioniert, wie erhofft, hat etwas<br />
Unerklärliches. Fußball hat nun mal<br />
auch viel mit Spielglück zu tun, mit<br />
Zufällen, dem Spielplan oder wie zuletzt:<br />
mit den Launen der Videoschiedsrichter.<br />
Immer noch steckt den Schalkern<br />
die Serie von fünf Niederlagen zu<br />
Saisonbeginn in den Knochen. Seitdem<br />
sei die Punktausbeute okay,betonen<br />
Trainer und Manager einvernehmlich.<br />
Aber die Phase der Rückschläge<br />
hat Spuren hinterlassen.Wochenlang<br />
sei das Auftreten der<br />
Mannschaft „nicht einmal mehr im<br />
Training mutvoll“ gewesen, erinnert<br />
sich Tedesco. Das große Projekt, einen<br />
dominanteren Fußball zu entwickeln,<br />
eine Spielweise zu etablieren,<br />
die zum Selbstverständnis einer<br />
Spitzenmannschaft passt, wurde<br />
aufgeschoben.<br />
Erst mitdem 5:2-Erfolg gegen den<br />
1. FC Nürnberg und dem starken<br />
Auftritt beim 1:1 in Hoffenheim am<br />
vergangenen Wochenende spielt das<br />
Team mutiger und offensiver. Der<br />
Unterschied zu Borussia Dortmund<br />
aber bleibt, denn der BVB schwebt<br />
längst in anderen Sphären.<br />
Die Dortmunder sind nicht nur<br />
Favorit auf die Meisterschaft, Sportdirektor<br />
Michael Zorc und seine<br />
Scoutingabteilung haben zudem einen<br />
Kader zusammengestellt, der<br />
womöglich tatsächlich so stark ist<br />
wie kein anderer in der Bundesliga.<br />
Auch die Bayern schauen bewundernd<br />
auf dieses Ensemble, indem<br />
Axel Witsel die Fäden zieht wie ein<br />
moderner,weil gänzlich uneitler Stefan<br />
Effenberg.<br />
Unddann ist da noch Jadon Sancho,<br />
der die Gegner schwindelig<br />
spielt, ein junger Franck Ribéry; da<br />
ist der von Real Madrid ausgeliehenen<br />
Achraf Hakimi, der zu einem der<br />
aufregendsten Außenverteidigertalente<br />
Europas avanciert. Ganz zu<br />
schweigen vom Wunderstürmer<br />
Paco Alcacer. Warum derzeit alles,<br />
was die Dortmunder angehen, funktioniert<br />
und die Umsetzung der<br />
Schalker Pläne ständig von neuen<br />
Widrigkeiten gebremst wird, gehört<br />
zu denRätseln dieser Fußballsaison.<br />
Daniel Theweleit<br />
sieht im Ruhrpott ein großes<br />
Projekt aufgeschoben.