Mensch und Landschaftsarchitektur
ISBN 978-3-86859-405-8 https://www.jovis.de/en/books/product/mensch-und-landschaftsarchitektur.html
ISBN 978-3-86859-405-8
https://www.jovis.de/en/books/product/mensch-und-landschaftsarchitektur.html
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Mensch und Landschaftsarchitektur
Hochschule Osnabrück
Studienbereich Landschaftsarchitektur
Studiengang Freiraumplanung
Herausgegeben von
Juliane Feldhusen und Sebastian Feldhusen
Abb. 1 und 2 Proportionszeichnungen von Leonardo da Vinci (um 1490)
Abb. 3 Proportionszeichnung von Albrecht Dürer (1528)
Juliane Feldhusen und Sebastian Feldhusen Mensch und Landschaftsarchitektur.
Einleitung 17
Profession, Haltung, Vermittlung
Jürgen Milchert Herrschaft, Integration und Dialog. Gärten und Parks 31
Verone Stillger Bürgerbeteiligung in der Landschaftsarchitektur.
Inhalt
Nur eine Frage der richtigen Methode ? 51
Cornelie Stoll Landschaftsarchitektur vom Menschen. Entwurfsidee und
Ausführung 77
Herbert Zucchi Lebenslandschaften. Mosaik aus Raum und Zeit 89
Gespräche
Cornelia Müller Landschaftsarchitektur ist ein weites Feld. Beobachtungen
und Eindrücke 105
Klaus Thierer Wir brauchen Orte, wo Menschen wohnen, einkaufen,
feiern und leiden können 119
Bedürfnis, Interesse, Absicht
Norbert Müggenburg Der öffentliche Raum – und wenn der Mensch
mal muss ? Konzepte zu einer WC-Anlage in Osnabrück 139
Dirk Manzke Brunnen und Wasserstellen. Für eine Kultur des frei
fließenden Trinkwassers in Sarajevo 153
Ole Oßenbrink und Cord Petermann Landschaftsarchitektur und Gesundheit.
Aufforderungscharakter und Motivation in therapeutischen Außenräumen 179
Sebastian Feldhusen Ordnungen des Raumes. Zur Bedeutung von
Landschaftsarchitektur für das Erleben von Freiräumen 197
Gespräche
Hubertus von Dressler Keine Landschaft ohne Menschen 215
Dirk Junker Menschen haben eine grundlegende Beziehung zum Freiraum,
eine Art Urempfindung 233
Inhalt
Entwerfen, Probieren, Sensibilisieren
Jürgen Bouillon und Dorothee Rehr Wahrnehmung von Bäumen im
Entwurfsprozess. Ein Experiment mit der räumlichen Darstellung 249
Rüdiger Weddige Formal, ökologisch, sozial. Konjunkturen in der
Landschaftsarchitektur seit den 1950 er-Jahren 263
Rüdiger Wormuth Der Mensch als Bestandteil einer Bildidee. Caspar David
Friedrichs Landschaften im Kontext der Malerei seiner Zeit 273
Juliane Feldhusen Kritik der Hegemonie des Sehens. Über Juhani Pallasmaas
Die Augen der Haut 291
Anhang
Veranstaltungen 309
Autoren 313
Sach- und Personenregister 315
Abbildungsnachweis 323
Impressum 334
Mensch und Landschaftsarchitektur.
Einleitung
Juliane Feldhusen und Sebastian Feldhusen
Wozu überhaupt Landschaftsarchitektur? In der Fachwelt lautet die Antwort
einhellig : für den Menschen. Doch wer ist damit gemeint? Die Gesellschaft,
die Bewohner 1 einer Stadt, eines Quartiers, eines Hauses? Ist ein durchschnittlicher,
idealer oder ein individueller Mensch gemeint, wenn Freiräume wie
Gärten, Plätze, Parks und Promenaden entworfen, realisiert, vermittelt oder
kritisiert werden ? Und welche Rolle spielt der Landschaftsarchitekt selbst dabei
als Mensch ? Wir berühren Landschaftsarchitektur und werden zugleich
von ihr berührt. Die Art und Intensität dieser Berührung wird unterschiedlich
gedeutet und bewertet. Wie sehen diese Deutungen und Bewertungen
aus? Die Beiträge des vorliegenden Buches gehen diesen und weiteren Fragen
zum Verhältnis von Mensch und Landschaftsarchitektur nach – experimentell,
beschreibend, theoretisch.
17 Feldhusen und Feldhusen
Der Mensch als Ursprung und Ziel des Entwerfens
»Alles fängt im Menschen an. Alles liegt am Menschen. Durch Mensch wird
Symbol lebendig.« Das schrieb Hans Scharoun Ende der 1920er-Jahre in einem
Brief an die Mitglieder der Gläsernen Kette, eine von Bruno Taut initiierte
Korrespondenz mit Architektenkollegen. Scharoun weiter: »Erzwingen
wir reinstes Schaffen, durch Ueberlegung, durch Erkenntnis? – – nein – – der
Mensch sei Mittelpunkt, Erstrebtes um uns sich wölbend gleich dem Firmament.
Erkenntnis, auf schmalen Weg uns führend, erfüllt uns nicht.« 2 Heute
1 Wenn nicht ausdrücklich formuliert, sind immer alle Menschen gemeint, unabhängig ihrer geschlechtlichen
Identität. Eine weitere Vorbemerkung: In einigen Zitaten gibt es Wörter, die in
eckigen Klammern stehen. Hierbei handelt es sich um Ergänzungen der Autoren.
2 Scharoun 1996 [1919/1920] : 39.
Profession, Haltung, Vermittlung
»Aktuell könnte der Stadtpark im Sinn
eines sichtbaren, grün gewordenen
Toleranzediktes in der heutigen dramatischen
Bevölkerungsentwicklung einen
neuen Weg der Integration aufzeigen.
Selbstverständlich brauchen die nach
Mitteleuropa kommenden Flüchtlinge
und Asylanten zunächst Essen und Unterkunft.
Aber es muss auch Räume geben,
in denen ein friedliches und freundliches
Nebeneinander der Kulturen ein gelebtes
und sichtbares Programm ist. Leider vermitteln
unsere neuen Parks noch kaum
diese Botschaft.«
31 Milchert Herrschaft, Integration und Dialog
Herrschaft, Integration und Dialog.
Gärten und Parks
Jürgen Milchert
Ein wesentliches Motiv, Gärten und Parks anzulegen, lag und liegt darin, Herrschaft
zu inszenieren und Macht und Prestige auszudrücken. Der machtpolitische
Hintergrund des Parks ist mit seiner Programmatik und Gestaltung
verbunden. Diese Funktion wartet aber immer noch auf eine gartengeschichtliche
Würdigung. So war die Anlage von Parks bis ins 18. Jahrhundert hinein
ein Adelsprivileg, zwar nicht, wie die Jagd, rechtlich ausdrücklich sanktioniert,
doch faktisch blieb der Lustgarten den herrschenden Feudalschichten
vorbehalten. Das Parkprivileg ist die kultivierte Seite des feudalistischen Jagdprivilegs,
gesellschaftlich also bedeutsam.
Wie wichtig der Park als Schauseite von Herrschaft ist, mag man daran ermessen,
dass Ludwig der XIV. seinen Finanzminister Nicolas Fouquet ins Gefängnis
brachte, als er feststellen musste, dass dieser mit seinem Park des Schlosses
Vaux-le-Vicomte die königlichen Gärten in den Schatten stellte. Daraufhin
wurden sein Parkarchitekt André Le Nôtre, einige im Park tätige Künstler und
Kunstwerke nach Versailles gebracht, um hier eine nie gekannte Herrschaftslandschaft
zu errichten, die einem selbst ernannten »Sonnenkönig« und seinen
Repräsentationspflichten entsprach. Die Gärten des Schlosses Versailles entwickelten
sich zum machtpolitischen Alpharaum des Absolutismus und wurden
von vielen Provinzdespoten eifrig nachgeahmt. Absolutistische Parks waren
machtpolitische Ritualräume, in denen sich das Zeremoniell kultivierter Unterdrückung
nach mechanistischen Gesetzmäßigkeiten abspulte. Das Gartentor
wurde zum Triumphbogen. Der Rausch der Ordnung bleibt aber eingezwängt
in das selbst verordnete höfische Korsett. Im absurden Uhrwerk seiner Theaterrolle
war hier jeder als Schauspieler gefangen, vom König bis zum Lakaien.
Mit der Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft gewann die Bourgeoisie
nicht nur wirtschaftlich, sondern auch machtpolitisch an Einfluss. Ausdruck
33 Milchert
54
Stillger
Warum, was, wann, wer, welche … Bürgerbeteiligung ?
Warum beschäftigt das Thema Bürgerbeteiligung Fachleute und Laien ? Die
Planung von großen Infrastrukturprojekten wird nicht erst seit Stuttgart 21
von Protesten und Widerstand begleitet. Bürger möchten mitreden, mitgestalten
und mitentscheiden. Dies gilt nicht nur für die großen und bekannten
Projekte wie die Entwicklung des Tempelhofer Feldes in Berlin oder die Revitalisierung
der Isar in München. Benjamin Häger und Matthias Wiesrecker
schreiben : »Sie [die Bürger] wollen sich vor allem bei Entwicklungen ihres
unmittelbaren Lebensumfeldes sowie bei gesellschaftsrelevanten Infrastrukturprojekten
umfassend und möglichst verbindlich beteiligen.« 2 Max Frisch,
der oft politisch Stellung bezog, formulierte es so : »Demokratie heißt, sich in
die eigenen Angelegenheiten einzumischen.« In einem Positionspapier der
Akademie für Raumforschung und Landesplanung wird im Zusammenhang mit der
Planung von Infrastrukturprojekten festgestellt :
»Doch auch unabhängig vom möglichen Nutzen einer verstärkten Öffentlichkeitsbeteiligung
müssen sich Vorhabenträger wie Genehmigungsbehörden
dem Anspruch nach mehr Partizipation stellen. Eine aufgeklärte,
gut gebildete Bürgerschaft, die dank neuer Kommunikationstechnologien
vernetzungsfähig und reaktionsstark ist, fordert ihre Einbindung in Entscheidungs-
und Planungsprozesse ein und wird durch Funk, Fernsehen,
Presse und Internet in ihren Anliegen unterstützt.« 3
Nach einer Umfrage der Forsa 4 im Rahmen des Wissenschaftsjahres 2015 – Zukunftsstadt
vom Juni 2015 sind 58 Prozent der Bürger in Deutschland dafür, die kommunale
Bürgerbeteiligung auszubauen. 5 Die Befragten, die sich mehr Einfluss
auf Entscheidungen in ihrer Kommune wünschen, nennen als wichtige Themen
Verkehrsplanung (71 Prozent) und Bauprojekte (65 Prozent). 6
Im Arbeitsfeld der Landschaftsarchitektur gibt es vielfältige Aufgaben mit
Beteiligung in formellen und informellen Zusammenhängen. Ein Unterschied
bei Beteiligungsverfahren sind die Art und der Umfang der rechtlichen Vorgaben.
In der Bauleitplanung gibt es die Verpflichtung zu einer Bürgerbeteiligung
durch die förmliche Auslegung von Bauleitplänen nach Baugesetzbuch:
2 Häger und Wiesrecker 2014 : 1.
3 Akademie für Raumforschung und Landesplanung 2014 a : 2.
4 Gesellschaft für Sozialforschung und statistische Analysen.
5 Forsa 2015 : 5.
6 A. a. O. : 6
»Die Entwürfe der Bauleitpläne sind mit der Begründung und den nach
Einschätzung der Kommune wesentlichen, bereits vorliegenden umweltbezogenen
Stellungnahmen für die Dauer eines Monats öffentlich auszulegen.
[…] Die fristgemäß abgegebenen Stellungnahmen sind zu prüfen;
das Ergebnis ist mitzuteilen.« 7
In diesem Beitrag geht es nicht um solche rechtlich vorgeschriebenen Beteiligungen,
wie sie bei Umweltverträglichkeitsprüfungen, Planfeststellungsverfahren
oder Strategischen Umweltprüfungen vorgegeben sind. Die Rahmenbedingungen
und notwendigen Schritte sind in diesen Fällen vorgegeben
und erprobt, in der Wahrnehmung vieler Beteiligter aber auch weit weg von
den Bürgern.
Informelle Beteiligungsverfahren sind inhaltlich und methodisch meist
offen, da sie nicht auf einer konkreten gesetzlichen Grundlage basieren. Der
Begriff »informell« wird in der Umgangssprache anders verwendet : ohne Auftrag,
Formalitäten und Vorgaben. Im Fachkontext sind Regelungen und Verabredungen
notwendig. Sie sind nur nicht von außen vorgegeben und damit
je nach Situation und Anlass gestaltbar. Dabei wird Bürgerbeteiligung aktuell
unterschiedlich gesehen. Carlo W. Becker bewertet sie 2015 als eingeführt,
aber noch ausbaufähig : »Auch Partizipation wird nun integraler Bestandteil
jeder Planung, obwohl auch hier noch Luft nach oben ist.« 8 Dagegen konstatiert
Markus Miessen bereits 2012 in einer kritischen Darstellung unter dem
Titel Albtraum Partizipation »die jüngste Übersättigung und Verwendung des
Wortes Partizipation in der Welt der Architektur und Planung.« 9
55 Stillger
Bürgerbeteiligung – was ist das und seit wann wird beteiligt ?
Ist Beteiligung das Gleiche wie Partizipation ? Das Digitale Wörterbuch der deutschen
Sprache nennt als Synonymgruppe eine Vielzahl von Begriffen: Anteilnahme,
Beteiligtsein, Beteiligung, Einbindung, Einschluss, Mitwirkung, Partizipation,
Teilhabe, Teilnahme, aber auch Verstrickung, Verwicklung.10 Partizipation
oder Bürgerbeteiligung wird hier als jede Form der aktiven Teilnahme
an gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen verstanden.
7 Baugesetzbuch 2014 : Paragraph 3, Absatz 2, ohne Seitenangabe.
8 Becker 2015 : 4.
9 Miessen 2012 : 31.
10 Vgl. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften 2015: Stichwort »Beteiligung«.
Abb. 3 Rahmenbedingungen und Interessen dargestellt als »Flussregeln«
»Im Spannungsfeld wachsender Ansprüche und Konkurrenzen – Stichworte
sind hier zum Beispiel Hochwasserschutz, Gewässerökologie, Städtebau,
Naherholung oder Landwirtschaft – geht es vor allem darum, im
Verbund der Flussanrainer klug kombinierte Maßnahmen zu entwickeln,
die Synergien zwischen den verschiedenen Interessen schaffen. Dies erfordert
kooperative Verfahren und neue, kreative Wege der Umsetzung.
Rund ein Jahr haben deshalb viele Vertreter der Kommunen, Fachbehörden,
Wasserverbände, Landwirte und weitere Akteure sich […] intensiv
mit den Perspektiven für die Gewässerlandschaft zwischen Lippe und
Vechte, Stever und Issel beschäftigt.«33
So formuliert es Uta Schneider in einer Veröffentlichung von 2012 der Regionale
2016 Agentur . Charakteristisch sind eine Vielzahl von Wahrnehmungen
und Interessen, zum Beispiel : der Wasserwerker sieht die Trinkwasserqualität,
die Landwirtin ihren Ertrag beim Mais- und Getreideanbau, der Angler
den Fischreichtum, der Limnologe die Gewässergüteklasse, die Mitarbeiterin
der Wasserbehörde die Europäische Wasserrahmenrichtlinie, der Naturschützer
den Artenreichtum bei Flora und Fauna, die Anwohnerin das drohende
Hochwasser nach Starkregen, der Heimatforscher die Spuren der Landschaftsgeschichte,
die Erholungssuchenden das Radwegenetz in Sichtweite der Gewässer.
Mit verschiedenen Beteiligungsformaten wie Flussreisen, Flussdiskussionen,
Pläneschmieden und Workshops zur Gesamtperspektive gelang mit
insgesamt etwa 150 Beteiligten eine Hinwendung zu gemeinsamen Interessen
und dahinter liegenden Bedürfnissen. Abbildung 3 zeigt die als »Flussregeln«
formulierten Rahmenbedingungen und Interessen. Daraus entstanden
vier planerisch-gestalterische Flussraumtypen als Visionen. Aus Einzelansichten
wurde in diesem Beteiligungsverfahren eine verbindende Flussgeschichte
entwickelt. 34
69 Stillger
Was eine Beteiligungskultur braucht
Eine Schlussfolgerung über dieses vorgestellte Projekt hinaus lautet: Es ist notwendig,
verschiedene Disziplinen und Interessen zusammenzubringen, zu
analysieren, nicht über Probleme, sondern über fachliche Rahmenbedingun-
33 Vgl. Regionale 2016: ohne Seitenangabe.
34 Vgl. a. a. O. : 28 ff. und 53 ff.
»Also wie ist das mit der Landschaft ? – Ist
sie ein Teil der Erdoberfläche, der durch
Faktoren wie Relief, Boden, Klima, Vegetation
und Tierwelt in einheitlicher und
charakteristischer Weise geprägt ist ? Ja,
schon, aber meine Kinderzeitlandschaft,
die sich aus Bergland und Tiefebene,
Wald und Heide, Marsch und Küste,
Meer und Insel zusammensetzt, ist nur
komplett mit den Eltern, den Großeltern,
dem Volksschullehrer Niemeyer, dem
Bauern Onkel Gustav, dem Wolken- und
Sternenhimmel, dem Vogelgesang, dem
Meeresrauschen, dem Geschmack der
Pfifferlinge mit Rührei, Vaters und Opas
Mundharmonikaspiel, den vom Pflug ausgehenden
Geräuschen beim Umbrechen
des kalksteinreichen Bodens, dem Geruch
des Herbstes in Nordhessen. Die Landschaft
ist anders als von jedem anderen
Menschen.«
Profession, Haltung, Vermittlung
89 Zucchi Lebenslandschaften
Zucchi
94
Abb. 2 Karte der Umgebung des Großeltern-Elternhauses des Autors: »Wir«, unten Mitte (1960)
Abb. 3 Beobachtungsheft des Autors ( Auszug, 1960)
er Niemeyer, der immer propagierte, dass man jeden Bissen 32 mal kauen
müsse und der dies mit uns Kindern in den vier Grundschuljahren trainiert
hat. Mit ihm haben wir erste Versuche gemacht, die heimatliche Landschaft
beziehungsweise kleine Ausschnitte davon als Landkarte darzustellen, was
ich dann privat weitergeführt habe ( Abb. 2). ( 3.) Die zahllosen Tage, an denen
ich mit meinem Bauern Onkel Gustav unterwegs war. Sicher bin ich mit
ihm viele hundert Kilometer hinter dem Pflug, der Egge, der Walze, der Sämaschine,
dem Kartoffelroder, alle von den Pferden Bella und Flora gezogen,
hergestapft und habe dabei steinreiche Böden auf Kalk, rote Erde auf Buntsandstein
und Lehmböden in der Niederung kennengelernt. Auch das ist eine
Dimension von Landschaft. ( 4.) Ferienaufenthalte in der Lüneburger Heide
bei den Großeltern mütterlicherseits, Flüchtlinge aus Ostpreußen. Auf der
Fahrt mit dem Eilzug von Kassel nach Winsen an der Luhe wurden die Berge
immer kleiner, die Landschaft immer flacher, und der lange Weg durch diese
Landschaft bekam beim Halt des Zuges so wundersame Namen wie »Salzderhelden«,
»Unterlüss« und »Celle«. In Lübberstedt in der Nordheide angekommen,
stand dann der tief in der Land- und Forstwirtschaft sowie der
Jagd verwurzelte Ostpreußenopa im Mittelpunkt. Bei den Wanderungen mit
ihm in die Moränenlandschaft um das 300-Seelen-Dorf wuchs das Wissen
um Pflanzen, Tiere und die Landschaft stetig, wenn auch nicht immer verstanden,
zum Beispiel die Aussage, dass die zu findenden Feuersteine vom Eis
aus dem hohen Norden mitgebracht worden sind. Wie kann Eis Steine mitbringen
? Wie hoch war dieser Norden und wo lag er ? Man konnte die Landschaft
der Lüneburger Heide bei den Großeltern schmecken: Im Bickbeerkuchen,
in Pfifferlingen mit Rührei, im Heidehonig. ( 5.) Im Jahr 1959 – mit
neun Jahren – die erste Begegnung mit der Marschenlandschaft Ostfrieslands,
mit der Küste, dem Meer und der Insel Borkum mit ihrer grandiosen Dünenlandschaft
und dem weiten Ostland. Und wie anders, wie wunderbar roch
und klang diese Landschaft, »[w]o de Nordseewellen trecken an de Strand« !
Also wie ist das mit der Landschaft ? Ist sie ein Teil der Erdoberfläche, der
durch Faktoren wie Relief, Boden, Klima, Vegetation und Tierwelt in einheitlicher
und charakteristischer Weise geprägt ist ? Ja, schon, aber meine Kinderzeitlandschaft,
die sich aus Bergland und Tiefebene, Wald und Heide, Marsch
und Küste, Meer und Insel zusammensetzt, ist nur komplett mit den Eltern, den
Großeltern, dem Volksschullehrer Niemeyer, dem Bauern Onkel Gustav, dem
Wolken- und Sternenhimmel, dem Vogelgesang, dem Meeresrauschen, dem
95 Zucchi
Landschaftsarchitektur ist ein weites Feld.
Beobachtungen und Eindrücke
Cornelia Müller im Gespräch mit Juliane Feldhusen
Feldhusen Was fällt dir zu diesen Bildern ein (Seite 110 und 114 )?
107 Müller
Müller Wenn ich mir die Bilder angucke, sehe ich eine Vielfalt, die Teil eines
Konzeptes ist. Ich verstehe das Konzept als Versuch zu sagen, dass man nicht
nur Freiräume für Menschen entwirft, die man oberflächlich als »normal«
oder »extravagant« bezeichnet, sondern dass man Freiräume für die Spezies
Mensch entwickelt, der sehr unterschiedliche Charaktere angehören. Ich
empfinde das als Bereicherung. Aber nach meinem Gusto könnte es in diesen
Bildern noch etwas wilder zugehen.
Feldhusen Aber schaut man sich Perspektiven in Wettbewerben an, sieht man
häufig Menschen, die schlank sind und gut aussehen. Kinder sind nie am Weinen
und haben immer Luftballons in der Hand.
Müller Ja, das stimmt. Diese Tatsache ist anstrengend. Die Perspektiven werden
häufig zu einem Zeitpunkt gemacht, wenn noch nicht einmal das Konzept
steht. Das führt dazu, dass viele Darstellungen beliebig und deshalb wenig
hilfreich sind, um die Qualität von Entwürfen in Wettbewerben zu beurteilen.
Besonders problematisch ist das Thema aber, da die Perspektiven eine
Welt suggerieren, die nur in der Werbebranche vorkommt. Die Realität hingegen
kennt auch subsidiäre Nutzer. Abgesehen davon, verstehe ich auch nicht
die Notwendigkeit von Hochglanzperspektiven, da zur Vermittlung der Idee
auch andere Herangehensweisen möglich sind, als Bilder zu entwickeln, bei
denen man nicht genau weiß, was Planung oder Realität ist. Ich möchte jetzt
nicht zu allgemein werden, aber ich denke, dass es auch damit zusammenhängt,
dass wir uns als Landschaftsarchitekten möglichst politisch korrekt und
Ebenso gibt es mehrheitlich Orte, die aufgeräumt wirken. Dieses Nebeneinander
macht doch den Reiz der Stadt aus. Ich finde es aber besonders spannend,
wenn die Grenze zwischen formal und informal thematisiert wird, also
eine anhaltende Spannung von beiden erzeugt und hergestellt wird.
Feldhusen Wir haben gerade über die Beteiligung von Menschen an der Planung
für den Freiraum gesprochen. Davon losgelöst wurde in den letzten Jahren
deutlich, dass sich Menschen auch abseits von Planungen stärker für den
Freiraum engagieren. Das äußert sich zum Beispiel in Phänomen wie Urban
Gardening. Macht es die Landschaftsarchitektur überflüssig?
Müller Erst einmal finde ich Urban Gardening wichtig, weil es lebensbejahend
ist. Es ist schön, wenn Menschen auf Dächern und anderswo Gemüse ziehen
und dieses zur Selbstversorgung nutzen. Urban Gardening ersetzt aber keinesfalls
Landschaftsarchitektur. Ich finde auch, dass Urban Gardening keine
Landschaftsarchitektur ist, sondern etwas Prozesshaftes, was dann am interessantesten
ist, wenn man es nicht plant, es nicht zu durchdacht wirkt und es
nicht in Tabellen und Nutzungssatzungen gepresst wird. Das Tempelhofer Feld
in Berlin ist eines dieser Beispiele, wo jetzt Verordnungen eingeführt wurden.
Ich sehe Urban Gardening als temporäre, wenig reglementierte sowie längerfristige
Intervention, also keinen dauerhaft urbanen Freiraum. Andernfalls
entspricht es dem traditionellen Kleingarten, der klar durch Satzungen definiert
ist. Dieser hat zurzeit auch ein Revival bei jungen Familien.
115 Müller
Feldhusen Neben dem zunehmenden Interesse an Urban Gardening und Kleingärten
kann auch beobachtet werden, dass der Freiraum immer stärker als Ort
für sportliche Aktivitäten genutzt wird. Wie reagiert ihr darauf?
Müller Ein Freiraum sollte stets Angebote für Bewegung bieten, damit die
Menschen nicht in Fitnessstudios rennen müssen. Für mich ist das ein relevantes
Thema, aber auch ein selbstverständliches. Im Stadtteilpark Rabet in
Leipzig zum Beispiel haben wir eine einen Kilometer lange Amöbe als Laufweg
durch den Park entworfen. »Rabet« bedeutet im Slavischen Brombeere.
Deshalb wurde der Laufweg aus brombeerrotem Tartan hergestellt, rotblättrige
Baumcluster und fünf verschiedene Sorten von Brombeeren als ruderaler
Akzent gepflanzt. Das ist ein Beispiel dafür, wenn ich davon rede, dass
Thierer
124
Abb. 3 Schweben ist ein Balanceakt
Abb. 4 Man muss sich auch auf das Nachempfinden des Schwebens einlassen
Feldhusen Das war ausführlich. Die Arbeit untersucht, wie man mit Mitteln der
Landschaftsarchitektur ein Gefühl von Schweben realisieren könnte.
Thierer Ich gestehe, das habe ich so nicht gesehen. Die Materialität beziehungsweise
die Grundausstattung der verschiedenen Modelle bilden derart
eindrückliche Situationen, dass die darin befindlichen Menschen für mich
erst an zweiter Stelle wahrgenommen wurden. Vielleicht könnte man auch
sagen, dass mir zuerst das Flächenhafte und erst anschließend das Punktuelle
ins Auge gefallen ist. Erst nachdem der Ort erfasst wurde, beschäftigt
man sich mit dem Detail.
Feldhusen Ausgehend von dieser Arbeit möchten wir dann fragen: Muss sich
Gestaltung auch mal gegen die Bedürfnisse des Menschen stellen, um im Umkehrschluss
neue Sichtweisen zu eröffnen, sich zu spüren, neue Handlungsmöglichkeiten
zu eröffnen oder sozialen Kontakt zu knüpfen? Kann das auch
ein Motiv einer Gestaltung sein?
125 Thierer
Thierer Ja, vielleicht. Zu dieser Herangehensweise fällt mir etwas von Theodor
W. Adorno ein, der sich in dem Sinne äußerte, dass es die Aufgabe von Kunst ist,
Chaos in die Ordnung zu bringen und Willkür im Unwillkürlichen herzustellen.
Vielleicht gibt es in Deutschland ein paar Landschaftsarchitekten, denen
ich diese Herausforderung zutrauen würde. Wir als Profession sind dazu aber
nicht in der Lage, diesem Motiv qualitativ Rechnung zu tragen. Wir sollten
die Finger davon lassen, denn diese Art des Gestaltens bedarf eines ungeheuren
Könnens, damit es seine Wirkung nicht verfehlt. Dieses sollte man Menschen
überlassen, die etwas davon verstehen, die sich im Metier der Provokation
bewegen und durch intensive Auseinandersetzung mit dem Sein oder
mit der Gesellschaft auch ausloten können, was zumutbar ist. Nichts spricht
dagegen, Künstler in Projekte mit einzubinden. Aber möchte ich im Freiraum
ständig provoziert oder zum Nachdenken angeregt werden? Hält das Leben
nicht schon genügend Herausforderungen für die Menschen bereit?
Wohnungsnahe Freiräume sollten liebenswert und alltagstauglich sein sowie
die grundsätzlichen Bedürfnisse der Menschen befriedigen. Dort möchten
sie zur Ruhe kommen, sich entspannen, die Seele baumeln lassen. Überfrachtete
Freiräume führen zu Unzufriedenheit, zu mangelnder Identifikation, zu
Ablehnung und möglicherweise zu Zerstörung. So liegt die Kunst in der Ge-
in der Landwirtschaft, ist Phosphor nicht zu ersetzen. Dabei gehen die weltweiten
und verfügbaren Reserven dem Ende entgegen. Vielleicht werden die
öffentlichen Toilettenanlagen für die Weltbevölkerung zukünftig zu Orten der
Rohstoffrückgewinnung. 18 Bislang ist das Recycling im Kosten-Nutzen-Vergleich
noch nicht wirtschaftlich. Dennoch dürfte es nicht mehr sehr lange
dauern, bis die Recyclingverfahren effizient sind und der Mangel an vorrätigen
Phosphaten durch aufbereiteten Urin und Kot ausgeglichen werden muss. 19
148
Müggenburg
Werkstattprojekt
Im Rahmen des Moduls Werkstattprojekt im Bachelorstudiengang Freiraumplanung
der Hochschule Osnabrück, das sich über einen Zeitraum von vier
Wochen spannt, wurde das Thema der öffentlichen Toiletten von Studenten
für die Stadt Osnabrück untersucht. Die entwurfliche Methode des Modellbaus
sollte dabei helfen, komplexe Lösungsansätze zu finden sowie Standort
und Charakter der Anlagen anschaulich zu durchdenken und herauszuarbeiten.
Für die Entwürfe waren schließlich zwei Kriterien maßgebend: die Lage
der Toilettenanlage sowie Gestalt und Funktion der Anlage, auch hinsichtlich
ihres Ortsbezuges. Insgesamt wurden folgende Standorte gewählt: Bürgerpark,
Schlossgarten, Hasefriedhof, Domplatz beziehungsweise Theaterplatz, Neumarkt,
Platz am Kamp und am Haarmannsbrunnen. 20
Beispielhaft werden hier zwei Projektarbeiten beschrieben, die zu den Fragestellungen
von Standort und Qualität der Anlage schlüssige und eindeutige
Antworten entwickelt und bis ins notwendige Detail am Modell erläutert haben.
Bedürfnisanstalt im Hasepark ( Hasefriedhof ) Osnabrück
von Paul Deventer und Leo Soeteber
Nördlich der Osnabrücker Altstadt und in unmittelbarer Nähe des Bürgerparks
liegt der Hasefriedhof. Mit einer Fläche von etwa zehn Hektar soll er zum Ende
des Jahres in einen Park umgewidmet werden. Die gesamte Anlage steht unter
Denkmalschutz. Bereits heute ist dort eine vielfältige Parknutzung zu erleben,
da schon seit Längerem keine Beisetzungen mehr stattfinden. Die tenden-
18 Die Hälfte der Weltbevölkerung lebt bereits in Städten.
19 In diesem Zusammenhang ein nochmaliges Danke an den Kollegen Dimo Daum, der sich bereit
erklärt hatte, einen kleinen Vortrag im Rahmen des Werkstattprojektes zum Thema des Düngemitteleinsatzes
und der Rohstoffrückgewinnung zu halten.
20 Die Suche nach dem Standort war Teil der Aufgabenstellung.
Wickeltisch und
barrierefreie Toilette
Stehtoiletten
Veranda
Kiosk
Spiegel- und
Waschraum
149
Müggenburg
Kammer
Unisextoiletten
Abb. 1 Grundriss für die WC- Anlage Bedürfnisanstalt im Hasepark ( Hasefriedhof ) Osnabrück von
Paul Deventer und Leo Soeteber
Abb. 2 Eingang in die WC- Anlage Bedürfnisanstalt im Hasepark (Hasefriedhof) Osnabrück
Manzke
172
Abb. 11 Wasserstelle unter einer schattigen Birke
Abb. 12 Spontanes Engagement an einer Wasserstelle durch Osnabrücker
Studenten auf einer Exkursion
Abb. 13 Nach dem Pflanzen gemeinsames Grillen
173
Abb. 14 Wasser entnehmen
Manzke
Abb. 15 Wasser trinken
Abb. 16 Trockene Wasserstelle in der Peripherie
Treppenkopf
Piazza della Trinità dei Monti
Piazza di Spagna
Treppenfuß
Fontana della Barcaccia
Abb. 2 Lageplan der Spanischen Treppe, rot markiert sind die hier betrachteten »Blöcke«
← Norden
Welche Bedeutung 1 hat die Landschaftsarchitektur für das Erleben von Freiräumen?
Über dieses Erleben zu sprechen, hat zwei Besonderheiten, auf die
zuerst kurz eingegangen wird.
Erstens ist das Erleben vorsprachlich. Die Besonderheit besteht also darin,
über etwas zu reden, das nicht sprachlich vorliegt, sondern erst zur Sprache
gebracht werden muss. Zweitens führt das Nachdenken über das Erleben
von Landschaftsarchitektur unweigerlich zu Konzepten, die in anderen Diskursen
auf Begriffe gebracht wurden, etwa in kunstwissenschaftlichen, philosophischen,
psychologischen oder soziologischen. Die Diskurse wurden
besonders in der Anthropologie, Architektur-, Gestalt- und Umweltpsychologie,
Architektursoziologie, Ethnologie, Kunstgeschichte und -theorie, Phänomenologie
und der sozialwissenschaftlichen Freiraumplanung geführt. Auf
ihre Konzepte gehe ich in diesem Text nur an wenigen Stellen ein, zumeist in
Fußnoten. Stattdessen nähere ich mich dem Thema primär durch die Auseinandersetzung
mit dem eigenen Erleben der Spanischen Treppe. 2
201 Feldhusen
Beispiel Spanische Treppe in Rom
Ich konzentriere mich auf den unteren Bereich der Treppe. In Abbildung 2
sind zwei segmentierte Doppellinien zu erkennen, die in Längsausrichtung
der Treppe verlaufen (rot markiert). In Abbildung 1 und 3 wird deutlich, dass
die Doppellinien dreidimensionale Objekte aus Stein sind, die an ein diagonal
durchgeschnittenes Rechteck erinnern. Ich bezeichne diese Objekte oder
Rechtecke als »Blöcke«. Sie sind so breit wie die Brüstungen, etwa 80 Zentimeter.
Ich hebe nun zehn Aspekte der Blöcke und in dessen Umfeld hervor,
um herauszustellen, welche Bedeutung die Landschaftsarchitektur für das
Erleben des Freiraumes hat. Wenn beim Lesen die Abbildungen 1 bis 3 angeschaut
werden, erleichtert dies das Verständnis des Textes.
Erstens gliedern die Blöcke die Treppe in drei Bereiche. Die seitlichen Bereiche
links und rechts sind gleich groß, der mittlere Bereich ist etwa ein-
1 Den Begriff »Bedeutung« verwende ich in diesem Text alltagssprachlich.
2 Roland Günter, Adriaan Wessel Reinink und Janne Günter haben 1978 eine Untersuchung mit dem
Titel Rom – Spanische Treppe veröffentlicht. Diese Untersuchung hat diesem Text Stichworte gegeben.
Ich habe die Untersuchung der drei Autoren als Position gelesen, die kunstgeschichtliche Interpretation
von Architektur durch sozialwissenschaftliche Aspekte der Nutzung zu ergänzen. Mir
geht es in diesem Text darum, exemplarisch zu zeigen, welche Bedeutung die Landschaftsarchitektur
für das Erleben des Freiraumes hat (vgl. dieselben 1978 ).
Abb. 2 Mensch und Landschaft I von Maren Lioba Lutz, Holzschnitt 21 × 30 Zentimeter
anderen diese dann möglichst so platziert, dass entweder Akzente in der Landschaft
gesetzt oder bestehende landschaftliche Strukturen unterstützt werden.
Eine Verständigung über die Frage, in welcher Landschaft wollen wir leben,
muss früher und unabhängig von den Einzelvorhaben in den Regionen
geführt werden. Ergänzend dazu, aber das liegt außerhalb unserer Kompetenz
als Landschaftsplaner, sollte man Anwohner an dem Betrieb von Anlagen
in ihrem Umfeld beteiligen. Dann wird erfahrungsgemäß die Akzeptanz
höher. Energieeinsparung und eine dezentrale Gestaltung der Energiewende
sind übrigens weitere wichtige, aber heute weitgehend in den Hintergrund
gedrängte Ziele der Energiewende. Wobei ich auch hinzufügen möchte, dass
die Akzeptanz von Windkraftanlagen auch altersabhängig ist: Jüngere Menschen
haben da häufig weniger Probleme mit Anlagen als ältere Menschen.
223 von Dressler
Feldhusen Bei diesem Thema möchten wir grundsätzlicher fragen: Wie würdest
du das Verhältnis von menschlichen Bedürfnissen und den sogenannten
Belangen des Naturschutzes bezeichnen?
von Dressler Ich sehe das Verhältnis nicht als Gegensatz. Es geht um die Frage,
welchen Stellenwert wir dem Erhalt von Lebewesen und dem unserer natürlichen
Lebensgrundlagen geben. Und das ist eine menschliche Setzung, über
die man sich verständigen muss. Die Zieldimensionen des Naturschutzes sind
nicht separat zu sehen, sondern sie beziehen sich immer aufeinander. So gehört
es für mich zu einem guten Leben dazu, dass wir eine Tier- oder Pflanzenart
auch einfach mal als Glück empfinden können und nicht nur als ein
Teil eines ökologischen Gleichgewichtes und als notwendige Lebensgrundlage
schützen. Viele Arten schützen wir weniger aus existenziellen, sondern
aus emotionalen Bindungen. Der Schutz dieser Arten ist uns wichtig, da wir
sie als schön empfinden, weil wir gerne ihren Gesang hören oder uns an ihren
Flugbewegungen erfreuen. Wie beim Thema Landschaftsbild sollten wir
uns auch beim Artenschutz zu unserer eigentlichen Motivation bekennen.
Feldhusen Aus vielen ländlichen Regionen Deutschlands wandern Menschen
ab. In Großstädten wie Berlin, München und Hamburg werden es immer
mehr Menschen. Flapsig gefragt: Was bedeutet es, wenn es zum Beispiel in
Brandenburg bald mehr Wölfe als Menschen gibt? Und was heißt das für die
Landschaftsarchitektur?
keitsentwicklung wichtig, dass Kinder auf dem Spielplatz zum Beispiel einen
Kuchen aus Sand backen. Ausgehend von diesem Kuchen entwickeln sich Kinder
eine Geschichte. Die Kinder spielen Kochen oder Verkaufen, sie entwickeln
Spielszenen, der Sandkuchen wird fiktiv getestet und für lecker befunden.
Damit sie die Geschichte entwickeln können, lassen sie ihrer Fantasie
freien Lauf. Im Gegensatz dazu ist bei Videospielen meistens alles vorgedacht.
Du musst nichts in eine fantastische Welt übertragen, was letztlich Fantasie bedeutet.
Alles ist schon da oder kann im Videospielladen als perfekter Kuchen
beschafft werden. Und genau das empfinde ich als eine Verarmung, keine Bereicherung.
Ich sehe in dieser digitalen Entwicklung die Notwendigkeit, sich
damit kritisch auseinanderzusetzen und die analoge Welt nicht zu vergessen.
Hierbei spielt der Freiraum eine wichtige Rolle. Er ist das Umfeld für die reale
Interaktion und sollte den Raum für fantasievolle Kommunikation zwischen
realen Menschen bieten, in der Sandkiste oder auf der Wiese im Park.
243 Junker
Feldhusen Wir möchten mit den folgenden Fragen Themen aufgreifen, die in
diesem Buch behandelt werden, zuerst ein Thema, das Herbert Zucchi aufwirft:
Er beschreibt, dass sein Beruf eine professionelle Beschäftigung mit dem
ist, was ihn als Kind schon interessiert hat. Wie war das bei dir ?
Junker Das ist eine schwierige Frage, weil mein Weg in die Landschaftsarchitektur
eher ein zufälliger war. Obwohl ich als Kind auch viel im Wald gespielt habe,
hatte ich nie einen so intensiven Bezug zu Tieren und Pflanzen. Ich bin eher
ein Stadtkind. Dennoch fesselt mich die Landschaftsarchitektur, da sie so
vielfältig ist. Es geht um Fragen der Wahrnehmung, des Gestaltens, der Interkulturalität
und um Emotionen von Menschen. Das finde ich faszinierend.
Die Kehrseite dieses Berufes in all seiner Vielfalt ist aber, dass man nie wieder
losgelassen wird: Immer und überall auf dieser Welt gibt es etwas Wunderbares
oder Bemerkenswertes zu entdecken, das einen packt. Diese Entdeckungen
werden dann häufig in Beziehung zur eigenen Tätigkeit gebracht.
Feldhusen Cord Petermann beschäftigt sich in einem Forschungsprojekt mit
Therapiegärten. In seinem Beitrag, den er mit Ole Oßenbrink verfasst hat,
wird herausgestellt, dass Therapiegärten Menschen dazu motivieren sollen,
etwas zu tun. Aber gilt das nicht für alle Freiräume ?
256
Bouillon und Rehr
fließenden sowie den ruhenden Verkehr in einen Stadtplatz einzubetten und
dem Straßenraum somit einen neuen Charakter zu verleihen. Hierfür wurde
der gesamte Bodenbelag, in Anspielung auf den Namen des Platzes, mit rotgrauem
Ortbeton eingefärbt. 18 Als Bepflanzung wurden feinlaubige Gleditsia
triacanthos f. inermis (Gleditschie) und Rosa rugosa (Kartoffelrose) als Unterpflanzung
unregelmäßig auf der Platzfläche verteilt (Abb. 3). Die Anordnung
der Bäume und ihr lockerer Habitus sollen eine Offenheit und Richtungslosigkeit
innerhalb des Platzes generieren. 19 In Richtung Sutthauser Straße verdichten
sich die Gleditschien zu einem Hain, in dessen Mitte sich ein kleiner
Brunnen befindet. Auf einen klassischen Straßenbaumcharakter – wie auch
immer dieser definiert sein mag – versuchten die Gestalter zu verzichten. 20
An alle Seiten des Platzes grenzen drei- bis vierstöckige Gebäude mit weitgehend
homogenen Fassaden (Abb. 4). Neben Wohnungen sind auch Arztpraxen,
eine Schule, eine Kita sowie weitere Nutzungsformen in den Gebäuden
untergebracht. Die einzelnen Gebäude stehen dicht aneinander, ohne Versatz,
und bilden eine optisch geschlossene, durchgehende Fläche.
Im zeichnerischen Versuch werden folgende Aspekte gegenübergestellt: (1.)
Die bestehenden Gleditschien werden im aktuellen Entwicklungsstand (etwa
15 Standjahre) sowie in einer höheren Altersklasse (etwa 25 bis 30 Jahre) gezeigt
(Abb. 5 und 6). Ziel ist es, eine Tendenz bezogen auf die räumliche Wirkung
der Gleditschien zu visualisieren und sich an zukünftige Stärken oder
Schwächen heranzuarbeiten. (2.) Außerdem wird eine Auswahl an Gehölzarten
(Ginkgo biloba, Koelreuteria paniculata, Tilia tomentosa und Zelkova serrata) am
Rosenplatz visuell überprüft und mit den Gleditschien verglichen.
Die weiteren Arten werden im Alter von etwa 15 bis 20 Jahren eingezeichnet
(Abb. 7 – 10). Sie sind an städtische Standortbedingungen angepasst, bringen
einen eigenen Charakter und Habitus mit. Für die Zeichnungen wird ein
Blickpunkt ausgewählt, von dem aus der gepflanzte Hain sowie die Bäume
entlang der Durchgangstraße einsehbar sind. Dieser Punkt liegt auf der angrenzenden
Sutthauser Straße, in den Platz hineinblickend. Die Standorte
und die Anzahl der Bäume werden nicht verändert.
18 Vgl. Diekmann 2015.
19 Vgl. PSA Publishers 2015.
20 Vgl. Competitionline 2015.
Diskussion
Bei diesem Beitrag handelt es sich um einen experimentellen Ansatz zur Auseinandersetzung
mit Gehölzen als lebende Objekte und dem sie umgebenden
Raum (Abb. 5 – 10). Es wird daher keine Empfehlung ausgesprochen, nach wie
vielen Zeichnungen ein Ergebnis in Bezug auf die Artenauswahl zu erwarten
ist. Auch die Wahl der Baumarten, die in dieser Arbeit betrachtet wurden, ist
nicht abschließend. Rückwirkend betrachtet, war es interessant, mehrere Arten
zwar abstrahiert, jedoch fokussiert auf ihren Habitus, an einem gezielten
257 Bouillon und Rehr
Abb. 3 Lageplan zur Neugestaltung des Rosenplatzes
Abb. 4 Blick zur Durchgangsstraße, gewählter Ausschnitt für die Abbildungen 5 – 10
Weddige
266
Abb. 1 Fünfzigerjahre: Außenanlagen der Liebfrauenschule in Köln von Herta Hammerbacher
Abb. 2 Sechzigerjahre: Außenanlage in Amsterdam von Mien Ruys
267 Weddige
Abb. 3 Siebzigerjahre: Außenanlage am Architekturgebäude der Technischen Universität Berlin von Herta
Hammerbacher
Abb. 4 Achtzigerjahre: Ökokathedrale im niederländischen Mildam von Louis le Roy
Weddige
268
Abb. 5 Neunzigerjahre: Einfluss des Parc de la Villette in Paris von Bernard Tschumi auf die
Landschaftsarchitektur, bereits 1983 fertigestellt
Abb. 6 Anfang des 21. Jahrhunderts: Visualisierung Hans Tavsens Park in Kopenhagen von SLA
Aber dann endlich auch Pflanzen und Entwerfen. In der sogenannten Hochbauübung
wurde ein damals aktueller Flachdachwinkelbungalow entworfen
und dazu in – ich glaube das hieß damals so – »Grünplanung« ein passender
Garten. Es gab bei unserem Professor nur rechte Winkel. Wege, Beete, Rasenflächen
und auch das obligate Schwimmbecken, alles gerade und rechtwinkelig.
Die Gartenbilder, die ich aus den 1950 er-Jahren im Kopf hatte, mit geschwungenen
Wegen, Polygonplatten auf den Terrassen, Natursteinmäuerchen,
Birken, Wachholder und Heidekraut waren nicht mehr aktuell.
Siebzigerjahre
Die 68er-Bewegung erreichte Hannover mit leichter Verspätung. Die Verstrickungen
des Berufsstandes in der Nazizeit wurden bekannt, und es stellte sich
heraus, dass auch einige unserer Professoren und ihre Mentoren die Eroberungen
der Wehrmacht im Osten Europas mit rassistischen Veröffentlichungen
und menschenverachtenden Planungen unterstützt hatten. Die Folge war,
dass sich ein Großteil der Studenten nicht nur gegen die Professoren, sondern
auch gegen Inhalte und Methoden wandte. Das Meister-Schüler-Verhältnis
hatte ausgedient. Die politische Arbeit in den Gremien wurde enorm wichtig
und zum Teil auch als Studienleistung anerkannt. Das führte zu einer Vernachlässigung
von Fachwissen und Entwurfsfähigkeiten. Ästhetische Fragen
spielten keine Rolle, das Interesse an Pflanzen war suspekt und Gärten entwerfen
– vielleicht auch noch für Reiche – verwerflich. Ich selbst brauchte
einige Jahre, bis ich die Ereignisse einordnen konnte und den unschätzbaren
Gewinn für die Entwicklung der bundesrepublikanischen Gesellschaft und
auch für meine Haltung zu meinem Beruf sehen konnte.
In den 1970 er-Jahren ist meines Erachtens mehr an positiver, wenn auch
schmerzhafter Veränderung geschehen als in den Jahrzehnten danach bis
heute. Kritisches Hinterfragen des eigenen Tuns (was mache ich da eigentlich,
muss das so sein und wem nutzt das? ) führte in diesen Jahren zu einem
Perspektivenwechsel – fort vom künstlerischen Entwurf hin zum Nutzer. In
den 1970 er-Jahren sollten die Ansprüche der Bevölkerung an Grün- und Freiflächen
mit sozialwissenschaftlichen Methoden erforscht und definiert werden.
Und das alles möglichst wissenschaftlich und in Tabellen und Kurven
festgehalten. Damals wurde aber schnell klar: Wenn man die Daten alle hat,
ist noch kein Park oder Spielplatz entworfen. Nutzerbedürfnisse und technische
sowie ästhetische Ansprüche müssen zusammengeführt werden, um
269 Weddige
Wormuth
284
Abb. 7 Mann und Frau in Betrachtung des Mondes (um 1824) von Caspar David Friedrich
Abb. 8 Blick auf die Kathedrale von Durham (1829) von Felix Mendelssohn Bartholdy (stark beschnitten)
285 Wormuth
Abb. 9 Zwei Männer in Betrachtung des Mondes (um 1820) von Caspar David Friedrich
Abb. 10 Heidelberger Schloss mit der schönen Ferne (1817) von Carl Philipp Fohr
Abb. 7 Eindrücke von den Veranstaltungen am Hochschulstandort Osnabrück-Haste
lich, dass bei Skript keine hochglänzende Auswahl von studentischen Arbeiten
präsentiert wird. Vielmehr wird mit der Ausstellung auf vernachlässigte Themen,
drängende Probleme und spannende Methoden hingewiesen. Der Name
»Skript« spielt auf das Vorlesungsskript an: Material wird gesammelt, gegliedert
und in Form gebracht. Die Ausstellung wird durch einen Gastvortrag eines
externen Referenten eröffnet.
Planer-Leben
Seit 2006 folgen einmal jährlich Landschaftsarchitekten, Unternehmer des Garten-
und Landschaftsbaus, Autoren, Mitarbeiter von Institutionen im Bereich der
Architektur und Hochschullehrer der Einladung der Freiraumplanung für das öffentliche
Podiumsgespräch Planer-Leben. Die Themen des Gespräches fokussieren
auf das Berufsfeld praktizierender Landschaftsarchitekten. Ein Anliegen der
Veranstaltung ist es, den Studenten Ein- und Ausblicke in die Berufspraxis zu
eröffnen. Zudem bekommen die Studenten die Gelegenheit, Kontakte mit den
anwesenden Gästen zu knüpfen. Auswahl von Themen: Wettbewerbe; Großprojekte;
Arbeiten im Ausland. Das Planer-Leben wurde von Dirk Junker initiiert und
wird seitdem maßgeblich von ihm kuratiert.
311 Veranstaltungen
Werkstattgespräche
Getragen von dem Wunsch nach einer Auseinandersetzung mit Themen aus der
Landschaftsarchitektur, dem Städtebau, der Architektur, dem Design und der
Kunst, werden seit 2006 die Werkstattgespräche in der Modellbauwerkstatt des
Studienbereiches Landschaftsarchitektur veranstaltet. Zur Anregung des Gespräches
findet anfangs eine Erörterung des Themas durch Studenten statt. Danach
besteht insbesondere für alle anderen anwesenden Studenten die Möglichkeit,
ihre eigenen Zugänge, Meinungen und Positionen zum Thema zur Diskussion
zu stellen. Hierbei ist es wichtig, Gedanken so zu verbalisieren, dass sie auch
von anderen verstanden wird. Das Gespräch ist also auch eine Übung an der
eigenen Sprache. Auswahl von Themen: Mobile Kommunikation im Freiraum; Im
Freiraum spielen; Videokunst im öffentlichen Raum. Die Veranstaltung wird fachlich
maßgeblich von Norbert Müggenburg begleitet.
AFA. Architekturfilmabend
Beim AFA. Architekturfilmabend werden Filme gezeigt, die sich mit Landschaftsarchitektur,
Städtebau, Architektur, Design und Kunst auseinandersetzen. Nach
Autoren
Alle Autoren waren oder sind Professoren, wissenschaftliche Mitarbeiter
oder Studenten im Studienbereich Landschaftsarchitektur der Hochschule
Osnabrück.
313 Autoren
Jürgen Bouillon Professor für Gehölzverwendung und Vegetationstechnik
Hubertus von Dressler Professor für Landschaftsplanung
Juliane Feldhusen ehemalige wissenschaftliche Mitarbeiterin
Sebastian Feldhusen ehemaliger wissenschaftlicher Mitarbeiter
Maike Jungvogel ehemalige Studentin der Freiraumplanung
Dirk Junker Professor für Freiraumplanung
Maren Lioba Lutz ehemalige Studentin der Freiraumplanung
Dirk Manzke Professor für Städtebau und Freiraumplanung
Jürgen Milchert Professor für Freiraumplanung
Norbert Müggenburg Professor für Zeichnen und Modellieren
Cornelia Müller Professorin für Gehölzverwendung und Gestaltung
Ole Oßenbrink wissenschaftlicher Mitarbeiter
Cord Petermann Professor für Sozioökonomie der räumlichen Entwicklung
Dorothee Rehr ehemalige Studentin der Freiraumplanung
Verone Stillger Professorin für Landschaftsplanung und Regionalentwicklung
(im Ruhestand)
314
Autoren
Cornelie Stoll Professorin für Landschaftsbau (im Ruhestand)
Klaus Thierer wissenschaftlicher Mitarbeiter
Rüdiger Weddige Professor für Freilandpflanzenkunde und Bepflanzungsplanung
(im Ruhestand)
Rüdiger Wormuth Professor für Freiraumplanung, Kunstgeschichte,
Städtebau (im Ruhestand)
Herbert Zucchi Professor für Zoologie und Tierökologie (im Ruhestand)
Abb. 11 Park am Gleisdreieck in Berlin