Berliner Kurier 28.12.2018
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POLITIK<br />
MEINE<br />
Tausende Kinder für<br />
MEINUNG<br />
Von<br />
Rasmus<br />
Buchsteiner<br />
Eine gute Nachricht<br />
mit Fragezeichen<br />
Das Kindergeld ist eine<br />
staatliche Leistung, die<br />
Familien das Leben leichter<br />
machen soll. Und ja,auch<br />
Ausländer haben Anspruch<br />
darauf. Dann nämlich, wenn<br />
sie hierzulandearbeiten. Dass<br />
Deutschland auf einen neuen<br />
Kindergeldrekord zusteuert,<br />
ist zunächst einmal eine gute<br />
Nachricht. Erklärt sie sich<br />
doch durch steigende Geburtenzahlen.<br />
Und andererseits<br />
dadurch, dass die Bundesrepublik<br />
weiterhin bei Arbeitsmigranten<br />
aus anderen Staaten<br />
Europas beliebt ist.<br />
Viele Polen, Bulgaren, Rumänen<br />
arbeiten in Deutschland,<br />
zahlen Steuern und Sozialabgaben,<br />
leisten ihrenBeitrag<br />
für das Gemeinwesen. Es gibt<br />
keinen Grund, ihnen das Kindergeld<br />
zu verwehren. Doch<br />
es gibt auch Fälle von Missbrauch<br />
und Betrug. Das organisierte<br />
Verbrechen nutzt solche<br />
Schlupflöcher, lockt Bulgaren<br />
und Rumänen in großem<br />
Stil nach Deutschland,<br />
bringt sie in Schrottimmobilien<br />
unter. Wenn dagegen<br />
nicht mit aller Härte des Gesetzes<br />
vorgegangen wird,<br />
droht die Akzeptanz des Kindergeldes<br />
allmählich zu<br />
schwinden. Zudem entsteht<br />
ein diskriminierender Generalverdacht<br />
gegen all jene, die<br />
nicht betrügen.<br />
MANN DESTAGES<br />
Christoph Heusgen<br />
Ab 1. Januar sitzt Deutschland<br />
nach sechs Jahren erstmals<br />
wieder im wichtigsten<br />
UN-Gremium, dem Sicherheitsrat.<br />
Auf<br />
ihn kommt<br />
es an: Christoph<br />
Heusgen,<br />
der als<br />
außenpolitischer<br />
Berater<br />
jahrelang<br />
mit<br />
Merkel<br />
durch die<br />
Welt reiste<br />
und nun Deutschlands UN-<br />
Botschafter ist. Erfahrung<br />
und Ausdauer wird der 63-<br />
Jährige im Gremium mit fünf<br />
ständigen und zehn wechselnden<br />
Mitgliedern gut gebrauchen<br />
können.<br />
Foto: TimBrakemeier/dpa<br />
Foto: Foto: Felix Kästle/dpa<br />
Sexund Krieg versklavt<br />
WieKindersoldaten und Zwangsprostituierte in Uganda eine Chance auf ein neues Leben erhalten<br />
Köln – Etwa 250 000 Kindersoldaten<br />
sind weltweit im Einsatz.<br />
Überleben sie und gelingt<br />
ihnen die Rückkehr in<br />
ihre Heimatregionen, haben<br />
sie mit Ablehnung zu kämpfen.<br />
Im ostafrikanischen<br />
Uganda geben Eingliederungsprojekte<br />
Hoffnung –<br />
mithilfe einer Kölner Musikerlegende.<br />
Berlin –Neuer Rekord beim<br />
Kindergeld: 15,35 Millionen<br />
Jungen und Mädchen erhielten<br />
Ende November Geld<br />
vom deutschen Staat – die<br />
Zahl der ausländischen Kinder<br />
liegt inzwischen bei mehr<br />
als drei Millionen. Die zuständige<br />
Familienkasse rüstet<br />
nun auf, um Betrugsfälle besser<br />
zu erkennen. Um systematischen<br />
Missbrauch von<br />
Kindergeld vor allem aus<br />
Südosteuropa einen Riegel<br />
vorzuschieben, will Karsten<br />
Bunk, Chef der Familienkas-<br />
Foto: Thoralf Cleven<br />
Filda wurde als Kind verschleppt<br />
und als Zwangsprostituierte missbraucht.<br />
Die Mittagssonne brennt gewaltig.<br />
Für die Farmer von Lalogi im<br />
Norden Ugandas ist es Zeit, Pause<br />
zu machen. Rund 30 Frauen<br />
und Männer, manche in Flipflops,<br />
finden Schutz im Schatten<br />
der Bäume. Die 32-jährige Filda<br />
nimmt ihrer Nachbarin das<br />
Kind ab, damit die mal durchschnaufen<br />
kann. Ihre vier hat sie<br />
im Dorf gelassen. Drei sind in<br />
der Schule. Die Jüngste betreut<br />
eine Nachbarin.<br />
Filda hat vom Hacken auf<br />
dem Feld ganz schwielige Hände.<br />
Etwas müde lehnt sie jetzt<br />
mit dem kleinen Jungen auf dem<br />
Schoß an einem Baum. Narben<br />
an Armen und Schulter erzählen<br />
vom Ende ihrer Kindheit. Filda<br />
ist als 13-Jährige nicht weit von<br />
Lalogi entfernt von Milizen gekidnappt<br />
worden. Vier Jahre<br />
des Grauens lagen vor ihr –sie<br />
musste einem Kommandanten<br />
als Sexsklavin dienen. Samuel<br />
war sogar erst elf, als er entführt<br />
und zum Soldaten gedrillt wurde.<br />
Er gehörte 2014 zu den<br />
Gründern der Farmergruppe, in<br />
der inzwischen 54 ehemalige<br />
Kindersoldaten und Zwangsprostituierte<br />
zusammen mit<br />
Bauern den Weg in eine zivile<br />
Zukunft gehen. Die Hilfsorganisation<br />
World Vision unterstützt<br />
sie.<br />
Die jüngere Geschichte<br />
Ugandas ist nach dem Schreckensregime<br />
von Idi Amin in<br />
den 1970er-Jahren auch untrennbar<br />
mit dem als Kriegsverbrecher<br />
gesuchten Joseph Kony<br />
verbunden. Konys „Widerstandsarmee<br />
des Herrn“ (Lord’s<br />
Resistance Army, LRA) überzog<br />
se, eine „Task Force“ installieren.<br />
Für 5,2 Millionen Euro<br />
sollen Spezialisten angeheuert<br />
werden, die Betrugsmaschen<br />
besser erkennen, als<br />
bisher. „Zuviel gezahltes<br />
Geld wird<br />
zurückgefordert“,<br />
so Bunk. Zudem<br />
soll der Zoll künftig<br />
zusätzliche Befugnisse<br />
erhalten<br />
und beispielsweise bei<br />
Schwarzarbeit-Kontrollen<br />
auch den Kindergeldbezugüberprüfen.<br />
Foto: Thoralf Cleven<br />
Afrika lässt ihn nicht mehr los, bekennt<br />
die BAP-Legende Wolfgang<br />
Niedecken (M.).<br />
seit den 1980er-Jahren den Norden<br />
Ugandas mit unbeschreiblicher<br />
Gewalt. Zehntausende<br />
wurden gequält und getötet.<br />
Hunderttausende flüchteten in<br />
den angrenzenden Südsudan.<br />
Kony entführte rund 30 000<br />
Jungen und Mädchen, die als<br />
Soldaten oder Sklaven dienen<br />
mussten.<br />
Die zierliche Filda hat überlebt.<br />
Nachdem Konys Miliz das<br />
Mädchen 1999 aus der Hütte<br />
ihrer Mutter zerrte, sah sie ihre<br />
Eltern nie wieder. Der einbeinige<br />
Milizenchef quälte sie mit<br />
glühenden Messern, vergewaltigte<br />
sie oder überließ sie seinen<br />
Die Zahl der Kindergeld-Bezieher<br />
im Ausland<br />
war in Jahresfrist um<br />
Männern zur Belohnung. Zwei<br />
Jahre später gelang ihr die<br />
Flucht.<br />
Es schüttet wie aus Eimern,<br />
und ein bekanntes Gesicht steht<br />
im Regen. Der Kölner Wolfgang<br />
Niedecken, 67-jähriger Frontmann<br />
von BAP. Niedecken war<br />
das erste Mal 2007 in Kalongo.<br />
2009 startete er mit World Vision<br />
das Projekt „Rebound“<br />
(KURIER berichtete). Im Basketball<br />
bedeutet es das Fangen<br />
des Balls nach einem missglückten<br />
Korbwurf für einen zweiten<br />
Versuch. „Wer einmal in Afrika<br />
war, das Mühen der Menschen<br />
dort sieht und ihre Hoffnungen<br />
spürt, den lässt dieser Kontinent<br />
nie wieder los“, so Niedecken<br />
über seine Motive. Das Resozialisierungsprojekt<br />
ist ein Erfolg:<br />
800 frühere Kindersoldaten und<br />
Zwangsprostituierte fanden<br />
ihren Weg in ein neues Leben.<br />
Filda will ihre Kinder allein<br />
durchbringen, auch wenn der<br />
eine oder andere Mann ein Auge<br />
auf sie geworfen hätte, erzählt<br />
sie lachend. Und Samuel kümmert<br />
sich darum, dass die Kinder<br />
täglich in die Schule gehen.<br />
Wenn sie mehr wissen als die<br />
Alten, werden sie deren Fehler<br />
nicht wiederholen, glaubt er.<br />
„Wir haben Zukunft“, so Samuel,<br />
„weil wir uns vertrauen.<br />
Wir haben auch keine andere<br />
Wahl, wenn wir nicht weglaufen<br />
wollen.“<br />
Taskforce gegen Kindergeld-Missbrauch<br />
200000 auf drei<br />
Millionen gestiegen.<br />
Gründe sind<br />
u.a. mehr Arbeitskräfte<br />
aus dem EU-<br />
Ausland und eine<br />
steigende Zahl anerkannter<br />
Flüchtlinge.<br />
Bunk: „Es gibt<br />
zweifellos Betrugsfälle.<br />
Nach allem was<br />
wir wissen, betrifft<br />
das immer<br />
noch eine<br />
sehr kleine<br />
Gruppe.“