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Verbandsnachrichten / Tipps<br />
www.kuenstler-magazin.de<br />
Wann ist Nachbars Musik<br />
nicht mehr auszuhalten?<br />
Roland Voges<br />
Ruhe da drüben!<br />
Wann ist Nachbars Musik<br />
nicht mehr auszuhalten?<br />
Nicht jeder Musiker hat nun einmal<br />
Probenräume, die sich im<br />
Gewerbegebiet am Ortsrand<br />
befinden, oder tief im Wald oder<br />
sonstwo weitab von empfindlichen<br />
Nachbarohren. Und üben<br />
muss er dennoch, jedenfalls<br />
dann, wenn er als Profi seinen<br />
Job gern behalten will. Da sind<br />
Konflikte also vorprogrammiert.<br />
Es kann halt der Begabteste<br />
nicht in Frieden üben, wenn es<br />
dem sensiblen Nachbarn nicht<br />
gefällt.<br />
Solche Fälle landen gern bei<br />
Gericht. Nachbarstreitigkeiten<br />
sind in unserer Kolumne hier<br />
zwar eher kein Grundsatzthema,<br />
aber wenn es um Kunstausübung<br />
und Kunstunterricht<br />
geht, dann schon. Solch ein Fall<br />
ging ja vor einigen Wochen<br />
durch die Presse:<br />
Der BGH hatte sich in höchster<br />
Instanz mit einem Berufsmusiker<br />
zu befassen, einem Orchestertrompeter,<br />
der regelmäßig<br />
daheim in seinem Reihenhaus<br />
probte. Und an zwei Stunden<br />
pro Woche gab er auch seinen<br />
Musikschülern Unterricht. Die<br />
Wände des Hauses waren baualtersgemäß,<br />
also eher dünn,<br />
der Schallschutz dürftig. Seine<br />
direkten Nachbarn wollten es<br />
nicht länger ertragen, mit solcher<br />
Klangkulisse zwangsbeglückt<br />
zu werden. Erschwerend<br />
kam dort ein durch Nachtarbeit<br />
bedingtes besonderes Tagesruhebedürfnis<br />
hinzu, ferner ein erlittener<br />
Hörsturz, dessen Begründung<br />
man sich denken<br />
kann. Dessen eingedenk möge<br />
der Musikus sein Haus so dämmen,<br />
dass es nebenan leise ist,<br />
oder er solle eben selbst leise<br />
sein.<br />
Der Streit über das zumutbare<br />
Maß der Hausmusik ging also<br />
zunächst zum Amtsgericht<br />
Augsburg und dieses hatte viel<br />
Verständnis für die genervten<br />
Nachbarn. Womöglich hatte der<br />
zuständige Richter eigene traumatische<br />
Erfahrungen, wer<br />
weiß… So wurde der Trompeter<br />
zur umfänglichen Nachisolierung<br />
verdonnert, auf dass man<br />
von ihm nichts mehr höre, ungeachtet<br />
der damit verbundenen<br />
hohen Kosten. Das mochte er<br />
freilich nicht hinnehmen und so<br />
war das Augsburger Landgericht<br />
am Zuge. Es ließ sich vor<br />
Ort instruktiv beschallen, worauf<br />
es flugs von jedem Schallschutzversuch<br />
Abstand nahm,<br />
dem Musikus den häuslichen<br />
Unterricht gleich vollständig verbot<br />
und ihn für seine Proben auf<br />
den Dachboden schickte, wo allein<br />
er zehn Stunden pro Woche<br />
üben dürfe. Und ein wenig am<br />
Wochenende vor schwierigen<br />
Aufführungen. Mehr nicht.<br />
Solcherart in die Schranken gewiesen<br />
wollte der Trompeter<br />
nun klare Worte aus Karlsruhe<br />
haben. Keinesfalls lasse er sich<br />
zum Musizieren "in den Dachboden<br />
sperren", solches vertrage<br />
sich nicht mit dem Grundrecht<br />
auf freie Entfaltung seine<br />
Persönlichkeit.<br />
Der BGH wog die Für und Wider<br />
in seiner Weisheit ab und<br />
beschied, dass die Vorinstanz<br />
zu streng geurteilt habe, siehe<br />
Urteil vom 26.10.2<strong>01</strong>8 - V ZR<br />
143/17. Die Persönlichkeitsrechte<br />
beider Nachbarn, die sowohl<br />
das Musizieren als auch<br />
die ruhige Entspannung in der<br />
eigenen Wohnung umfassen,<br />
müssten fair gegeneinander abgewogen<br />
werden nach dem<br />
Maßstab des "verständigen<br />
Durchschnittsmenschen". Diese<br />
Abwägung laufe darauf hinaus,<br />
das Musizieren zeitlich zu begrenzen.<br />
Zwei bis drei Stunden<br />
Probenbetrieb an Wochentagen,<br />
auch ein bis zwei Stunden<br />
an Sonn- und Feiertagen seien<br />
angemessen und für den ruhebedürftigen<br />
Nachbarn hinnehmbar.<br />
Nicht nur auf dem Dachboden<br />
wohlgemerkt, sondern in<br />
den Wohnräumen. Die üblichen<br />
Ruhezeiten in der Mittags- und<br />
Nachtzeit müssen dabei eingehalten<br />
werden. Ein praktisch<br />
vollständiger Ausschluss des<br />
Musizierens in den Abendstunden<br />
und an den Wochenenden<br />
sei nicht zulässig. Dass der Beklagte<br />
Berufsmusiker ist, spiele<br />
bei Anwendung der allgemeinen<br />
Richtwerte keine Rolle, ein Profimusiker<br />
habe nicht mehr, aber<br />
auch nicht weniger Rechte als<br />
ein Laienspieler. Auf die Qualität<br />
der Musik kommt es auch nicht<br />
an. Schließlich seien im akzeptablen<br />
Rahmen auch Musikstunden<br />
zulässig, die ein Musiker<br />
als Musiklehrer gebe.<br />
Das Landgericht Augsburg wird<br />
sich dem Trompeter nun unter<br />
Beachtung der aufgestellten allgemeinen<br />
BGH-Grundsätze erneut<br />
zuzuwenden haben. Wir<br />
dürfen alle gespannt sein, mit<br />
welchem Ergebnis. Und ob wir<br />
über kurz oder lang von einer<br />
erneuten Revision zum BGH lesen<br />
werden, weil es immer noch<br />
keinen Frieden gibt.<br />
Der Blechbläserfall spielte sich<br />
zwischen Nachbarn ab, die jeweils<br />
Eigentümer ihrer Reihenhausscheibe<br />
sind. Freilich dürften<br />
die obigen Grundsätze entsprechend<br />
auch in Mietshäusern<br />
gelten. Hausordnungen<br />
dürfen das Musizieren nur insoweit<br />
beschränken, als es unzumutbare<br />
Störungen des Hausfriedens<br />
zu verhindern gilt. Ansonsten<br />
ist Musizieren eben<br />
"von erheblicher Bedeutung für<br />
die Lebensfreude und das Gefühlsleben",<br />
so der BGH, es<br />
muss als Ausdruck sinnstiftender<br />
Persönlichkeitsentfaltung<br />
erlaubt bleiben.<br />
Rechtsanwalt Roland Voges<br />
Präsident und Justitiar IFSU<br />
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