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Der Nabel der Welt<br />

Der Nabel der Welt<br />

in der Grabeskirche<br />

bringt zum Ausdruck,<br />

dass Jerusalem seit<br />

der Antike als Mittelpunkt<br />

der Erde verstanden<br />

wurde. Angekettet<br />

ist er übrigens an den<br />

Opferstock!<br />

dem „Felsen“, der nicht nur Ort der „Bindung<br />

Isaaks“ ist, sondern nach islamischer Überlieferung<br />

auch der Ort der Himmelfahrt Muḥammads.<br />

So z. B. in einem Hadith (Überlieferung von Aussprüchen<br />

und Handlungen Muhammads u. a.),<br />

das an Sure 17,1 anknüpft. Nicht ohne Grund<br />

haben über diesem „Felsen“ daher die Muslime<br />

später den sogenannten „Felsendom“ errichtet.<br />

Der „Schwarze Stein“ in Mekka, die Ka’ba, deren<br />

Verehrung nach muslimischer Überlieferung<br />

bis auf Adam und Eva zurückreicht und von den<br />

vorislamischen Arabern bereits als ein „Nabel der<br />

Welt“ betrachtet worden ist, stellt insofern keine<br />

Konkurrenz zu Jerusalem als „Nabel der Welt“<br />

dar, als die Ka’ba in Mekka als ein Stück des Jerusalemer<br />

Felsens angesehen wurde, das auf wunderbare<br />

Weise nach Mekka gelangt ist, am Ende<br />

der Zeiten aber wieder nach Jerusalem zurückgebracht<br />

und mit dem dortigen Felsen vereinigt<br />

werden wird, wie der Jerusalemer Geograf Šams<br />

ad-Dīn Muḥammad b. Ahmad al-Muqaddasī<br />

schrieb.<br />

Der christliche Mittelpunkt<br />

Anders als Juden und Muslime haben Christen<br />

den „Grundstein der Welt“ nicht in jenem Felsen<br />

auf dem Tempelberg gesehen, sondern in<br />

dem Felsen, der von ihnen als<br />

Golgota identifiziert worden ist<br />

und sich in der Grabeskirche<br />

in Jerusalem befindet. Zusätzliches<br />

Gewicht erhält dieser Felsen<br />

dadurch, dass auf ihm das<br />

Kreuz Christi, die axis mundi,<br />

die Verbindung zwischen Erde<br />

und Himmel, stand. So sind im<br />

„Nabel der Welt“ deren „Grundstein“<br />

und die „Weltachse“<br />

miteinander verbunden. Und<br />

christliche Jerusalempilger und<br />

Reisende haben in ihren diesbezüglichen<br />

Berichten durch<br />

die Jahrhunderte hindurch<br />

keinen Zweifel daran gelassen<br />

und immer wieder neu bekräftigt<br />

und bestätigt, dass „dieser<br />

Felsen der Mittelpunkt der Welt<br />

ist“, wie Jean de Mandevilles<br />

in seiner im Original in anglonormannischem<br />

Französisch<br />

verfassten, zwischen 1357 und<br />

1371 veröffentlichten fiktiven<br />

Beschreibung seiner „Reise<br />

vom Heiligen Land bis ins ferne<br />

Asien 1322–1356“ ausdrücklich<br />

festhält. Derselben Meinung waren auch die russischen<br />

Pilger und Reisenden, wie der Abt Daniil<br />

(s. S. 51) und der Diakon Zosima, der in den Jahren<br />

14<strong>19</strong>–1422 auf Pilgerfahrt nach Jerusalem gegangen<br />

ist. Ebenso sahen es auch der Kaufmann<br />

Vasilij, der 1465/66 eine Reise nach Jerusalem unternommen<br />

hat, und der Kaufmann Trifon Korobejnikov<br />

(16./17. Jh.), der gleich zweimal nach Jerusalem<br />

gereist ist; zum einen 1582 (im Anschluss<br />

an seine Pilgerreise auf den Athos 1581/82) und<br />

zum anderen 1593 (von dieser Reise brachte er<br />

übrigens eine Nachbildung des Heiligen Grabes<br />

nach Moskau mit). Trifon fügte in seinem Bericht<br />

noch hinzu, dass dies „der Nabel der ganzen Welt<br />

ist, aus Stein gehauen, dem Nabel eines Menschen<br />

ähnlich, aber nicht von Menschenhand gemacht,<br />

sondern durch göttliche Fügung“.<br />

Entsprechend haben auch die Schöpfer christlicher<br />

mappae mundi genannter Weltkarten Jerusalem<br />

(und das Heilige Grab) als Mittelpunkt<br />

der Welt betrachtet und es stets in die Mitte ihrer<br />

Karten gesetzt. Sind doch Bestimmung und Festlegung<br />

des Mittelpunkts der Welt nicht allein<br />

Abbild ihrer Weltsicht, ihres – im wahrsten Sinne<br />

des Wortes – Weltbildes, sondern, wie eine<br />

jede Landkarte, zugleich auch Ausdruck eines<br />

Macht-, Geltungs- und Herrschaftsanspruchs:<br />

Wie auf chinesischen Weltkarten China das<br />

„Reich der Mitte“ und die jeweilige Kaiserstadt<br />

der Mittelpunkt der Welt sind – ein schönes Beispiel<br />

dafür liefert die Weltkarte des chinesischen<br />

Muslims Admiral Zheng He alias Ḥaǧǧī Maḥmūd<br />

Šams (1371–1433/1435), der zwischen 1405 und<br />

1433 sieben Reisen in den Nahen Osten unternommen<br />

hat – sind auf arabisch-muslimischen<br />

Karten Mekka und Jerusalem an diese Stelle getreten.<br />

Ebenso ist in die Mitte christlicher Karten<br />

allenthalben Jerusalem (mit dem Heiligen Grab<br />

als Mitte Jerusalems) gesetzt, auch dann, wenn<br />

die christlichen Kartografen in der Gestaltung<br />

ihrer Karten arabisch-muslimischen Vorbildern<br />

folgten. Arabisch-muslimische Weltkarten zeichnen<br />

sich dadurch aus, dass sie in aller Regel „gesüdet“<br />

sind, das heißt: Vom Betrachter aus gesehen,<br />

befindet sich der Süden oben auf dem Blatt,<br />

dementsprechend sind der Osten links, der Westen<br />

rechts und der Norden unten. Eine Weltkarte<br />

wie die des aus Granada stammenden Ibn Sa‘id<br />

al-Maghribī (13. Jh.) sowie die Darstellung der<br />

„türkischen Welt“ im „Diwan der Turk-Dialekte“<br />

des türkischen Gelehrten Maḥmūd b. al-Ḥusain<br />

b. Muḥammad al-Kāšġarī (1008–1105), die beide<br />

„geostet“ sind, sind demgegenüber Ausnahmen.<br />

Einen Höhepunkt erreicht diese arabischmuslimische<br />

Kartographie im Werk von Abū ‘Abd<br />

Allāh Muḥammad b. Muḥammad b. ‘Abd Allāh<br />

© public domain, wikimedia CC BY 3.0, Sergey Serous - Eigenes Werk<br />

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welt und umwelt der bibel 1/20<strong>19</strong>

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