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Jakob

Eine Kurzgeschichte, wie das Leben sie schreiben kann.

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<strong>Jakob</strong><br />

Da gab es einen Nachmittag. Es war wohl so einer, an dem ihn vor 50 Jahren die Aufregung das<br />

Mittagessen nur runterwürgen ließ, er keine Ruhe finden konnte, um sich auch nur ein wenig<br />

abzulenken und schließlich seine Eltern bis zu deren Erschöpfung mit der berühmten Frage<br />

gelöchert hatte: „Wann kommt endlich das Christkind?“<br />

Die Eltern waren schon lange tot, seine Frau auch, Kinder gab es keine, die ihn hätten besuchen<br />

können, an so einem Tag, an dem niemand gerne allein war. Es störte ihn nicht mehr, dass er fast<br />

immer für sich war. <strong>Jakob</strong> ließ seinen Blick aus dem Fenster, die verschneite Wiese nach oben<br />

gleiten, wo die Baumstämme finster aus dem Weiß wuchsen. Der Himmel war nun so, wie er an<br />

einem späten Winternachmittag sein musste. Klar und glatt wie das Wasser eines Bergsees. Dieser<br />

Nachmittag versprach zu einer besonderen Nacht zu werden. Eine Nacht, die ihn bei der Fuchsjagd<br />

erfolgreich sein lassen würde. Er dachte an die uralte Fähe, die er schon lange ausgiebig beobachten<br />

hatte können. Sie war es gewesen, die vor zwei Tagen das Rehkitz gerissen hatte. Die Fähe hatte es<br />

angefressen und dann liegen gelassen. Er fand das Kitz, nicht weit weg von seinem Haus. So kam<br />

eben der Tod im Wald.<br />

Der Schnee knirschte unter seinen schweren Stiefeln, sanft und leise. Das Mondlicht zauberte<br />

winzige Diamanten auf die Sprossen der Leiter, die auf seine Kanzel führten. Endlich, nach zwei<br />

Stunden in der Kanzel, teilte sich ein Stück weiter oben ein Schatten. Langsam schob sich ein<br />

Fuchs, nach Mäusen suchend, in den Steilhang, dem Graben zu. Das Fadenkreuz mit dem<br />

Leuchtpunkt hatte ihn bereits erfasst. Es schien aber keinen sicheren Moment zu geben, in dem er<br />

waidgerecht zu erlegen war. Die Bewegungen waren die der alten Fähe, sie musste es sein. Sie<br />

suchte nach Mäusen, in allen Richtungen. Plötzlich blieb sie stehen. Sie mochte wohl über<br />

irgendetwas staunen, denn die Fähe verharrte auf drei Läufen. Er sah seinen kleinen Lichtpunkt auf<br />

der Kammer des Fuchses, hörte den peitschenden Knall, der diese heilige Nacht störte und sah die<br />

Fähe entseelt zusammensinken.<br />

Eine Stunde wartete er, bevor er aufstieg zu seiner uralten Fähe, mit dem Birnenschnaps. Er hielt ihr<br />

die Wacht. Unten im Tal schlug die Uhr Mitternacht.<br />

Am Morgen des Christtags stapfte ein Jäger mit Wildfutter beladen zur Fütterung. Da bemerkte er<br />

einen dunklen Hügel im Schnee. Er ließ den Sack zu Boden gleiten und kniete neben den beiden<br />

nieder. Verwundert betrachtete er sie, die ihre Körper zurückgelassen hatten, die alte Fähe und<br />

<strong>Jakob</strong>.

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