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Neue Szene Augsburg 2019-03

Das Stadtmagazin für Augsburg und Umgebung

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Die Frau jenseits der 50, die sich kleidet wie ein Teenager.<br />

Die Illusion, dass ein solcher Look Jugend konservieren oder zumindest<br />

vorspielen könnte, sie scheint den älteren russischen Frauen fremd<br />

zu sein. Es kann aber auch sein, dass sich hinter der eher konservativen<br />

Garderobe der Damen ein mehr konservativer Lifestyle, der zum Teil auch<br />

das gute alte bäuerliche Kopftuch beinhaltet, als die Einsicht der Würde<br />

und der Grenzen des Alters verbirgt. Wahrscheinlich ist es eine Mixtur aus<br />

beidem.<br />

Und das ist es ja auch, was Multikulti, allen konservativen Unkenrufen<br />

zum Trotz, so liebenswert macht: Der Mix. Nehmen wir zum Beispiel<br />

diesen kleinen Laden in Uni-Nähe, mit allerlei Krimskrams. Es gibt im<br />

Deutschen für solche Läden keinen Namen mehr, weil es weder die Läden<br />

noch den Bedarf dafür gibt. Es finden sich darin prunkvolle, sehr massive<br />

Kristallgläser und Vasen, Porzellanfiguren in Form von listigen Chinesen<br />

oder Revolvern, Gemälde mit röhrenden Hirschen, ein gewaltiges Angebot<br />

bunt schillernder Pralinen, Parfüm, starker Alkohol und ziemlich deftige<br />

Tiefkühlkost. Eine Ansammlung von Dingen also, die der deutsche Durchschnittsbürger<br />

möglicherweise als übelsten Kitsch verdammen würde, aber<br />

auch Kitsch hat seine Daseinsberechtigung. Er wärmt das Herzerl - wie der<br />

Philosoph Andreas Gabalier einmal sagte. Und auch in Sachen Kommunikation<br />

könnten die, na sagen wir, gewöhnlichen Deutschen, die keinen<br />

russischen Migrationshintergrund haben, durchaus was abschauen.<br />

Mein Fahrrad habe ich etwas ungünstig vor der Tür des kleinen, sympathischen<br />

Ladens abgestellt. Ein typisch schwäbischer Einzelhandelskaufmann<br />

würde jetzt vielleicht die Tür öffnen, mein Fahrrad irritiert mustern<br />

und sagen:<br />

Isch des Ihr Rad?<br />

Ja.<br />

Des darf hier aber net schtehen, des wissen Sie aber schon, gell?<br />

Äh, ja...<br />

Des isch wegen der Sicherheit, des isch a Fluchtweg!<br />

Achso, Sie meinen…<br />

Des Rad müs-sen Sie so-fort ent-fer-nen, sonscht ruf i den Ordnungsdienscht!<br />

Der russisch-stämmige Ladeninhaber, der jetzt vor die Tür tritt, äußert<br />

sich weniger Paragraphenhuberisch:<br />

Dei Rad, oder?<br />

Ja.<br />

Weg!<br />

Äh... weg?<br />

Weg!!<br />

Mein Rad muss weg?<br />

Ja!!!<br />

Achso, ja natürlich, ich stell es gleich weg.<br />

Gut.<br />

Ist das nicht schön? So wenige Worte und soviel Information. Kein<br />

wichtigtuerisches Gerede, keine Drohung mit Staat und Staatsdienern.<br />

Nein, einfach nur ein paar schlichte Worte, ein paar Blicke, zwei, drei Zigarettenzüge<br />

lang und alles ist klar. Das wäre so eine Sache, die hierzulande<br />

via Kulturtransfer gerne übernommen werden dürfte. Überhaupt so eine<br />

gewisse Gelassenheit gegenüber strengen Ordnungsregeln fände ich nachahmenswert.<br />

Nehmen wir den Straßenverkehr. Natürlich, jeder weiß, dass<br />

man als Radfahrer gewisse Fahrbahnen oder besser Fußwege zu meiden<br />

hat und dass ein Verstoß dagegen von verantwortlicher Seite oder auch nur<br />

von den üblichen Spießern, denen die StVO das Herz mehr wärmt als die<br />

Bergpredigt, streng geahndet wird.<br />

Was ich dagegen wirklich noch nie erlebt habe: Dass mich jemand mit<br />

erkennbar russischen (aber auch türkischen) Wurzeln dergestalt eifernd<br />

zur Ordnung ruft. Gleichzeitig habe ich im Univiertel nicht das Gefühl,<br />

dass die öffentliche Ordnung mangels eifriger Ordnungsbürger zusammengebrochen<br />

wäre. Das wärmt mir das Herz und, das darf in Little Moskau<br />

nicht fehlen, natürlich ein heißer Kaffee mit Schuss.<br />

„Kitsch<br />

wärmt das Herzerl“-<br />

wie der Philosoph Andreas<br />

Gabalier einmal sagte.

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