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TRAVELLER’S
März - Mai 2019
D 8,- € / A 9,- € / I 10,- € / L 9,50 € / E 10,- € / CH 15,50 SFR
IN GOOD WE TRUST
hamburger de luxe
Die besten Newcomer an der Elbe
They Reign in Spain
Madrid für Fortgeschrittene
Post aus Salina
Der Geheimtipp, um den Ihre
Freunde Sie beneiden werden
Inseln
im Grünen
Seychellen,
Langkawi,
Malediven
Travel
Lob auf Langkawi
Als die „Söhne und Töchter der Erde“
sesshaft wurden, wählten sie diese Insel.
Wählen wir auch, zumindest auf Zeit
Maximal Madrid
Glauben Sie uns: Dies sind die besten
Adressen in der spanischen Hauptstadt
Der Weltbeobachter
Interview mit Paul Theroux, dem vielleicht
besten Reiseschriftsteller der Gegenwart
Foto: Frank Lübke
Einmal Salina, immEr Salina
die individuellste der Äolischen Inseln hat ihre treuen Fans.
die treuesten sind die salinesi selbst. Seite 64
Madrid
real
Obwohl stolze Kapitale, bewegt
sich Madrid seit Jahrzehnten im
Schatten von Barcelona. Aber
seitdem sich die Katalanen mit
ihren politischen Kapriolen selbst
ein wenig ins Abseits gekickt
haben, wird die Hauptstadt
neu entdeckt. Und siehe da:
Sie ist prächtig wie Paris oder
Wien, aber entspannter und
freundlicher. Und sehr viel
sonniger!
Texte paTricia engelhorn
Traveller‘s World
35
36 Traveller‘s World
madrid
KulturmEilE
Im Hof des Museo reina
sofía hat Pop-art-Künstler
roy lichtenstein einen
monumentalen Pinselstrich
hinterlassen. Ungleich
bedeutender ist Picassos
„Guernica” im selben von
stararchitekt Jean Nouvel
errichteten Museum.
seine schweizer Kollegen
Jacques Herzog und Pierre
de Meuron haben ein
altes elektrizitätswerk am
Paseo del Prado in das
CaixaForum verwandelt
KUNST Der Paseo del Prado dürfte als Museumsmeile weltweit
einzigartig sein. Wie Perlen an der Schnur reihen sich drei großartige
Museen aneinander, ein viertes steht gleich um die Ecke.
2006 sorgte eine Aktion von Baronin Carmen Thyssen-Bornemisza für Schlagzeilen. Die Witwe
des Kunstsammlers Baron Hans Heinrich Thyssen-Bornemisza und Besitzerin einer privaten
Kunstsammlung, die nur von jener der Queen übertroffen wird, kettete sich an einen der Bäume
des Paseo del Prado. Sie protestierte damit gegen eine Umgestaltung der Promenade, die zugunsten
breiterer Gehwege Hunderte der alten Bäume geopfert hätte. Dank dieser Protestaktion kann man
am Paseo bis heute unter schattigem Grün von einem Museum zum nächsten spazieren.
Ihr Museum zählt zu den drei wichtigen auf der Kunstmeile. An den pfirsichfarbenen Wänden
des Villahermosa Palace lässt sich die Geschichte der europäischen Malerei vom späten
Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert nachvollziehen. Als Highlight gelten die Werke der italienischen
Renaissance, die Klassiker der Moderne sowie die avantgardistischen Strömungen des 20. Jahrhunderts
– Fauvismus, Expressionismus, Surrealismus, abstrakte Kunst und Pop Art. Schräg gegenüber
steht der Prado – seit 1819. „Las Meninas“ von Velázquez und die „Schwarze Malerei“
von Goya gelten als Höhepunkte, doch in den endlosen Galerien und Sälen hängen noch viele
weitere Gemälde spanischer, italienischer, flämischer und deutscher Meister. El Greco oder Dürer,
Bosch oder Rubens – die wertvolle Sammlung des Prado ist mit über 8600 Gemälden und 700
Skulpturen so umfangreich, dass man einen Museumsbesuch genauestens planen sollte.
Überschaubarer präsentiert sich das CaixaForum Madrid, ein ehemaliges Elektrizitätswerk,
an dessen Fassade ein vertikaler Garten wächst. Das Gebäude selbst wurde vom Schweizer Architekturstudio
Herzog & de Meuron spektakulär in einen Schwebezustand versetzt. Auf über
2000 Quadratmetern Ausstellungsfläche ist unter anderem noch bis zum 19. Mai eine Toulouse-
Lautrec-Ausstellung zu sehen. Nicht direkt am Paseo, aber nur einen Katzensprung entfernt und
für Liebhaber zeitgenössischer Kunst ein Must ist das Museo Reina Sofía, das sich in einem ehemaligen
Krankenhaus aus dem 18. Jahrhundert befindet und mit einem von Jean Nouvel gestalteten
Anbau punktet. Pablo Picassos Meisterwerk „Guernica“ life in diesem weitläufigen und
modernen Kunstmuseum zu sehen, ist ein einmaliges Erlebnis.
Museo NacioNal ThysseN-BorNeMisza Paseo del Prado 8, T. +34.91.791 13 70, museothyssen.org
Museo del Prado Paseo del Prado, T. 330 28 00, museodelprado.es
caixaForuM Madrid Paseo del Prado, 36, T. 330 73 00, caixaforum.es/es/madrid
Museo reiNa soFÍa Calle Santa Isabel 52, T. 774 10 00, museoreinasofia.es/en
Traveller‘s World
37
38 Traveller‘s World
madrid
KatzEnhammEr
das dekor der Bar „los
Gatos” (links) scheint die
Flaneure im stadtviertel
las letras nicht abzuschrecken.
Manch einer
hat zuvor vielleicht mit
einem der handbemalten
schals von lola Fonseca
geliebäugelt. Und steigt
zu späterer stunde
dem Hotel Me Madrid
reina victoria aufs dach,
wo die It-Bar „radio”
residiert
QUarTiEr Das Barrio de las Letras war früher das Viertel der
Schriftsteller und Dichter. Heute drängen sich an den schmalen Gassen
tolle Vintage- und Design-Läden, schräge Bodegas und coole Bars.
Auf manchen Straßen sind Zitate im Pflaster zu lesen, etwa von Miguel de Cervantes oder José
Echegaray, die im Barrio de las Letras gelebt haben. Sie erinnern an die literarische Vergangenheit eines
Viertels, das trotz seines nostalgischen Charmes zum Hot Spot der Hipster avancierte.
Tagsüber ist es hier still und friedlich, man kann ungestört ein paar Läden abklappern. Etwa das
winzige Altstadtgeschäft, in dem Lola Fonseca und ihr Sohn große weiße Seidentücher, jedes ein Unikat,
eines schöner als das andere, freihändig bemalen. Wer keine 2000 Euro dafür übrig hat, kauft einen
handbemalten Seidenfächer, der ist günstiger und auch dekorativ. Um die Ecke bei Tesla gibt es Vintage-
Möbel und Accessoires aus dem vergangenen Jahrhundert: schön geschwungene Loungesessel aus den
50er- und 60er-Jahren, französische Art-déco- oder facettierte Glaslampen von Orrefors und Kerzenhalter
im Empire-Stil. Ein ähnlich ausgesuchtes Angebot ist auch bei Modernario zu finden oder bei Bakelita,
wo dänisches, italienisches und französisches Mobiliar aus den vergangenen 100 Jahren verkauft wird.
Ab dem späten Nachmittag tobt im Barrio der Bär. Das liegt an den vielen Bodegas des Viertels. Zu
den Lieblingsadressen der Locals zählen die skurrile Bar „Los Gatos” und die „Cervecería Cervantes“, die
für ihre Fisch- und Meeresfrüchte-Tapas bekannt ist. In der 1930 eröffneten und schon von Hemingway
frequentierten Bar „La Venencia” dagegen gibt es neben Wasser nur ein Getränk: Sherry. Kenner testen
stundenlang die unterschiedlichen Geschmacksnuancen und knabbern dabei trockene Nüsschen.
Was noch? Das „Café Central“ an der Plaza del Angel ist seit über 30 Jahren eine Institution
für Jazz-Liebhaber. Fast jeden Abend gibt es Live-Konzerte, oft von international bekannten Musikern.
Schräg gegenüber, auf der obersten Etage des Hotels Me Madrid Reina Victoria, thront „Radio“, die
glamouröseste unter Madrids Dachterrassenbars. Hauptstadt-VIPs und ihr Gefolge entspannen bei gut
gemixten Drinks, DJ-Sound und Cinemascope-Blick. Am Wochenende ist die Schlange der Wartenden
vor dem Lift oft länger als die ziemlich umfangreiche Cocktails-Liste.
lola FoNseca Calle de Cervantes 20, T. +34.91.369 15 43
Tesla aNTiguedades Calle de Santa Maria 17, T. 115 31 48, teslaantiguedades.com
ModerNario Calle de Santa Maria 20, T. 369 76 78, modernario.es
BakeliTa Calle de Cervantes 26, T. 429 23 87, bakelita.com
los gaTos Calle Jesus 2, T. 429 30 67
cervecerÍa cervaNTes Plaza Jesus 7, T. 429 60 93
la veNeNcia Calle de Echegaray 7, T. 429 73 13
caFé ceNTral Plaza Angel 10, T. 369 41 43, cafecentralmadrid.com
radio Hotel ME Madrid Reina Victoria, Plaza Santa Ana 14, T. 701 60 00
Traveller‘s World
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40 Traveller‘s World
madrid
SChliCht iSt niCht
Wenn die madrileñas
shoppen gehen (oben:
im Barrio de salamanca),
steht klassische Zurückhaltung
nicht eben hoch im
Kurs. Im Gegenteil, ginge
es nach Ágatha ruiz de
la Prada (keine verwandschaft
mit der italienischen
Modemarke), ist ein
bisschen Mut angesagt.
Trends für die neuen looks
in spanien setzt jedes
Jahr die Fashion Week
(rechts oben)
MODE Zugegeben: Mit Paris, London oder Mailand kann
Spaniens Kapitale nicht mithalten. Dafür gibt es ein paar coole
Designer, die im ausland nicht ihresgleichen haben. Madrids
unübertroffene Mode-ikone heißt Ágatha ruiz de la Prada
und ist eine echte Marquise. Zwar sind ihre knallbunten Laufsteg-Kreationen kaum alltagstauglich, doch
in ihrem Laden an der eleganten Shopping-Meile Calle Serrano hängen auch halbwegs tragbare Modelle.
Sie sind zwar immer noch überaus farbenfroh und extravagant, aber auch weiblich, verspielt und fröhlich
– nichts fürs Büro, doch ein großer Auftritt ist in Ágatha Ruiz de la Pradas gewagten Ballonkleidern
und Blockstreifenhosen garantiert. Leuchtende Farben und markante Muster kennzeichnen auch die Designs
von Marta Ferrao, allerdings sind ihre körperbetonten Kleider und Jumpsuits auch für Frauen mit
einem weniger ausgeprägten Geltungsbedürfnis geeignet. Dagegen wirkt die fließende Haute-Couture-
Linie des ehemaligen Loewe-Designers Jorge Vázquez geradezu schüchtern: Die naturfarbenen, dezent
geschnittenen, edlen Materialien sind in der eigenen, puristisch gestalteten, schneeweißen Boutique an
der Calle Orellana im Stadtteil Salamanca zu sehen und zu kaufen.
In diesem Viertel sind auch so gut wie alle anderen Trendlabels der spanischen Modewelt vertreten,
von Adolfo Domínguez über Roberto Verino bis zu Delpozo und Pedro del Hierro. Ihre Namen prangen
auf großen Einkaufstaschen, die an sonnigen Tagen die schmalen Durchgänge zwischen den Terrassentischen
des „Serrano 80“ versperren. Das schicke Café gilt als Lieblingsadresse der Fashionistas und als
1-a-Loge für interessierte Beobachter.
Wer über die neuen Trends der Madrilener und spanischen Modeszene auf dem Laufenden bleiben
möchte, sollte sich die alljährlich stattfindende Mercedes-Benz Fashion Week im Terminkalender vormerken.
Und gleich dazu einen Besuch des schönen Museo del Traje (Kostüm-Museum) mit rund 160 000
Ausstellungsstücken vom Mittelalter bis hin zu den Entwürfen von jungen, zeitgenössischen Designern.
ÁgaTha ruiz de la Prada Calle Serrano 2, T. +34.91.319 05 01, agatharuizdelaprada.com
MarTa Ferrao Calle de Villanueva 31, T. +34.633.83 20 14, marta-ferrao.com
Jorge vÁzquez Calle Orellana 12, T. +34.91.702 44 31, jvporjorgevazquez.com
adolFo doMÍNguez Calle Serrano 5, T. 436 26 00, adolfodominguez.com
roBerTo veriNo Calle Serrano 33, T. 426 04 75, robertoverino.com
delPozo Calle de Lagasca 19, T. 219 40 38, delpozo.com
Pedro del hierro Calle Serrano 40, T. 431 33 42, pedrodelhierro.com
Mercedes-BeNz FashioN Week Madrid mbfwmadrid.ifema.es
Museo del TraJe Av. Juan de Herrera 2, T. 550 47 00, museomadrid.com/museo-del-traje/
serraNo 80 Calle Serrano 80, T. 575 50 68, serrano80.com
Traveller‘s World
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42 Traveller‘s World
madrid
SChwEin gEhabt
agent provocateur der
Gourmetszene in der
Hauptstadt ist david (oder
dabiz) Muñoz. Mit seinen
drei Michelin-sternen kann
er es sich erlauben, im
auftritt, bei der einrichtung
seiner beiden restaurants
(links: das „diverXo”) und
in der Präsentation seiner
speisen, vorsichtig gesagt,
eigene Wege zu gehen
GOUrMET David Muñoz gilt als Spaniens Superchef und als
Enfant terrible der kulinarischen Szene. Sein restaurant „DiverXO“
glänzt, seit 2003, mit drei Michelin-Sternen.
Natürlich ist er der Star der spanischen Spitzenküche. Seine Restaurants „DiverXO“ und „Street-
XO“ gelten als kulinarische Hot Spots: „StreetXO“ bietet Spitzenküche zu erschwinglichen Preisen,
„DiverXO“ das Nonplusultra der Gastronomie. Der exzentrische Koch mit der markanten Irokesen-
Frisur beschreibt seine Küche als den „Cirque du Soleil der Gastronomie“. Genauso bunt und experimentierfreudig
sind die Gerichte. Einzige Regel: Sie müssen schmecken. Das tun sie auch, ganz gleich,
ob Sardinen mit Kokos, Kimchi und Bohnen serviert werden oder Hähnchenflügel in Mojito-Brühe. „Ich
bin gerne kreativ, und ich mag es, avantgardistische Konzepte auszuarbeiten“, sagt der Küchenchef,
„aber der glücklichste Moment ist jener, in dem man etwas Köstliches in den Mund steckt.“ Natürlich
weiß David Muñoz, dass so gut wie alles schon erfunden wurde. Also setzt er auf die Inszenierung.
Seine über 20-gängigen Degustationsmenüs sind Kunstwerke auf Keramiktafeln. Schicht um Schicht
werden die Zutaten gestapelt, die Gerichte mehr gemalt als gekocht – der Aufwand bei der Zubereitung
ist riesig, und selbst bei 250 Euro pro Menü kann „DiverXO“ kein Geld verdienen. Also musste eine
andere Einnahmequelle her: „StreetXO“ bringt mehr Gäste und mehr Umsatz bei geringeren Kosten.
Muñoz‘ Zweitrestaurant residiert im Dachgeschoss des Edel-Kaufhauses El Corte Inglés in der Calle
Serrano. An jedem x-beliebigen Abend reicht die Warteschlange auf der Treppe bis ins Untergeschoss.
Eine Stunde steht man mindestens an, oft sind es auch zwei. Doch die Warterei ist Teil des Rituals, eine
Reservierung nicht möglich. Im Inneren schart sich alles um die offene Küche, im Mittelpunkt steht
der Holzkohlegrill. Die Gerichte werden an einem Tresen serviert, sie kommen im Tapas-Stil, inspiriert
von asiatischen Straßenküchen: frittierte Krabbe, gedämpftes Bao-Club-Sandwich, koreanische Wonton-
Lasagne und Ähnliches.
2016 hat David Muñoz sein „StreetXO“ nach London exportiert, geplant ist auch eine Eröffnung in
New York. Ob er das schafft? Der Drei-Sterne-Koch gilt als Workaholic, sein Lebensmotto lautet: „vanguardia
o morir“ – an der Spitze stehen oder sterben. So gesehen, hat er keine Wahl.
diverxo NH Eurobuilding, Calle de Padre Damián 23, T. +34.91.570 07 66, diverxo.com
sTreeTxo El Corte Inglés, Calle Serrano 52, T. 531 98 84, streetxo.com
Traveller‘s World
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44 Traveller‘s World
madrid
groSSE bühnEn
Madrids bessere Hotels
mögen sich nach außen
hin klassisch ritzy zeigen,
ihre Interieurs haben
sie als spielwiesen für
spaniens aufregende
designszene angelegt. Im
Barceló Torre de Madrid
(links) ging Jaime Hayón
auf eine „visual journey
through spain’s past”, im
Principal (oben) orientierte
sich Pilar García-Nieto
an der „modern masculinity
of a Manhattan loft”
HOTELS Wer heute auf booking.com oder anderswo nach einer
durchgestylten/luxuriösen/coolen Herberge in der spanischen
Hauptstadt sucht, wird problemlos fündig.
Das Barceló Torre de Madrid empfängt mit zeitgeistorientiertem Design, das The Principal mit
lässigem Grand-Palais-Chic, das Tótem mit Privathaus-Flair und Vintage-Look. Trotzdem: Die internationale
Luxushotellerie glänzte bislang durch Abwesenheit. Doch das ändert sich gerade. Schon im
Februar letzten Jahres schlossen sich die mit goldenen „R“s geschmückten Eingangstore des Ritz, das die
Mandarin-Oriental-Gruppe aus Hongkong kurz zuvor für rund 130 Millionen Euro übernommen hatte.
Auf knapp zwei Jahre und 100 Millionen Euro wird die Renovierung des opulenten Prachtpalasts von
1908 kalkuliert, nach deren Abschluss, so heißt es, wie früher ein Glasdach den zentralen Loungebereich
des Belle-Époque-Palais überdecken soll. Die 106 Zimmer und 47 Suiten allerdings erhalten einen
komplett neuen Look. Mit dem Interior Design wurde das Pariser Duo Gilles & Boissier beauftragt, das
bereits den Wüsten-Schick des Mandarin Oriental, Marrakech kreierte. Man darf eine inspirierte Hommage
an die Hotelhistorie erwarten sowie stilvollen Luxus und höchste Eleganz.
Weit weniger ist bislang über die zweite wichtige Eröffnung dieses Jahres bekannt. Im Centro Canalejas,
einem weitläufigen Komplex aus historischen Prachtpalästen, entsteht das Four Seasons Hotel
Madrid. Ende 2019 soll das 200-Zimmer-und-Suiten-Hotel fertig sein. Mit Dani García wurde schon
mal ein Küchenchef engagiert – der Zwei-Sterne-Koch soll die Gastronomie des eleganten Terrassenrestaurants
leiten.
Im Canalejas-Komplex wird auch ein trendigeres Publikum eine Bleibe im Fünf-Sterne-Bereich finden:
das W Hotel mit 141 durchgestylten Zimmern und Suiten und einer spektakulären „WOW Suite“.
Damit das W mit Madrids wachsender Dachterrassen-Szene konkurrieren kann, bekommt das Hotel
eine Rooftop-Bar, die auch für externe Gästen geöffnet sein wird.
Barceló Torre de Madrid Plaza de España 18, T. +34.91.524 23 99, barcelo.com
The PriNciPal Marqués de Valdeiglesias 1, T. 521 87 43, theprincipalmadridhotel.com
TóTeM Madrid Calle de Hermosilla 23, T. 426 00 35, totem-madrid.com
hoTel riTz Madrid Plaza de la Lealtad 5, T. 701 67 67, mandarinoriental.com
Four seasoNs hoTel Madrid Calle de Alcalá 14, fourseasons.com
W Madrid Carrera de S. Jerónimo 9, w-hotels.marriott.com
Traveller‘s World
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Blindtext
EDEN
FOREVER
Text MaThias ForsTer
Die Inseln der Seligen sind kein Traum. Es gibt sie wirklich, und man kann sie genau verorten: 4° 40´ Süd, 55° 29´ Ost.
Dort liegt Mahé, die Hauptinsel der Seychellen: ein tropischer Garten Eden im kristallklaren Ozean, bewohnt von
freundlichen Menschen und gutartigen Tieren, quittegrünen Baumfröschen, rabenschwarzen Papageien, weiß-blauen
Turteltauben und blond-braunen Seychellen-Flughunden. Landraubtiere gibt es nicht, auch keine giftigen Schlangen
oder Insekten. Wirbelstürme, Erdbeben, vulkanische oder extremistische Aktivitäten halten sich vornehm zurück.
Auch die Temperaturen sind, nun ja, paradiesisch: Sie liegen konstant zwischen 24 bis 30 Grad, das Meerwasser ganzjährig bei 26 Grad.
Und dann gibt es auch noch Paradiese im Paradies:
Immerhin 200 Meter erreicht die Anhöhe, auf die sich die rund 100 Residenzen des Four Seasons an der Petite Anse Bay verteilen.
Für deren innere Schönheit hat ein kalifornisches Designbüro gesorgt, das Granit von Mahé mit heimischen Hölzern wie Seychellenpalmen
oder Banyan Trees in stilvolle Harmonie brachte. Doch nichts toppt die Terrasse mit ihrem integrierten Außenpool: So
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Traveller‘s World
50 Traveller‘s World
seychellen
Versuch’s mal
mit unendlichkeit
den Blick vom Infinity-
Pool einer Hilltop-villa
des Four seasons resort
seychelles begleitet
das Konzert der vögel
im regenwald. dort
standen auch einige der
heimischen Hölzer, die
– nachhaltig! – für die
Gestaltung der lobby
verwendet wurden
Blindtext
wundervoll ist der Blick von dort, dass sich der Gast erst mal in Ruhe sattsehen muss, bevor er ans Essen denken kann. Zum
Augenschmaus kommt noch die Duft-Dusche, verströmt vom Harz der Tropenbäume, von Bananen, Mangos und Papayas,
gemischt mit den Aromen von Zimt und Vanille.
Wer dann die sieben Minuten nicht hinabwandern mag zur Schlaraffenland-Ebene auf halber Höhe des Resorts, ruft
einen Shuttle zum „Zez“. Zu bestellen braucht man nichts in dem multikulinarischen Restaurant, nur zuzugreifen aus
Dutzenden Töpfen und Pfannen, angefüllt mit Kreationen aus mediterraner, asiatischer und kreolischer Küche. Deren
Grundlagen sind „Pwason ek diri“, also Fisch und Reis, garniert mit Produkten aus eigenem Anbau wie Ananas, Kokos und
Sternfrucht. Dazu passt ein feiner Zitronengras-Tee. Wenn dann die Sonne im Indischen Ozean versinkt und im Dschungel
das Abendkonzert beginnt, empfiehlt sich ein Früchte-Cocktail mit Rum aus heimischem Zuckerrohr. Der Tag endet mit
einem Bad im privaten Pool unter funkelnden Sternen. Plötzlich flattert ein „Fruit Bat“ heran, wie die Seychellois ihre Flughunde
nennen. Der Früchte fressende Batman schaut den Gast aus schwarzen Knopfaugen kurz neugierig an, trinkt dann aus
dem Pool und schwirrt wieder ab. Der Gast schaut wieder zum Himmel und dankt ihm, hier zu sein.
Die Historie der Seychellen liest sich wie eine Reisegeschichte. Vasco da Gama entdeckte die damals
unbesiedelten Inseln auf seinem Seeweg nach Indien. Nach ihm kamen die Piraten, die hier das ideale
Material zum Ausbessern ihrer lädierten Schiffe vorfanden: den wasserfesten Hartholzbaum Takamaka.
Dann reisten die ersten Siedler an, Franzosen und Briten, um Kokosnussplantagen anzulegen.
Kopra war viel wert damals, so wurde der Garten Eden im Indik zu einem Zankapfel, dessen Besitz zwischen den beiden
Mächten hin und her wechselte. Legendär wurde der französische Gouverneur de Quinssey, der stets die französische wie
Traveller‘s World
51
die englische Fahne bereithielt – je nachdem, welche Schiffe sich näherten. Ein Friedensheld! Später taufte die französische
Ostindien-Kompanie den Archipel auf den Namen von Jean Moreau de Séchelles, dem Finanzminister König Ludwigs XV.
In den 1970er-Jahren wurden die Seychellen unabhängig, bekamen eine eigene Fahne und ihren Airport. Nun reisten
auch die ersten Touristen an. Sieben der über 100 Inseln gelten als Sehnsuchtsziele. Außer Mahé noch dabei: North Island,
Praslin, Frégate und La Digue, deren Strände zu den schönsten der Welt zählen – den Anse Source d’Argent auf La Digue
kennt man als Location der Bacardi-Werbung. Eine neue Luxus-Adresse ist Desroches Island in den südlich von Mahé
gelegenen Amiranten. Nur der Natur vorbehalten ist Aldabra mit seiner Population von 150000 Riesenschildkröten. Das
Atoll gehört zum UNESCO-Naturerbe, Landgänge sind nur in Ausnahmefällen möglich.
Heute steht eine Schnorcheltour auf dem Programm. Als Guide hat das Marine Conservation Center am
Strand von Petite Anse Meeresschützerin Hannah ausgewählt. Ihre Herzenssache ist der Schutz der
Korallenriffe rund um Mahé, die 2015 von der „El Niño“ genannten Strömungsstörung heimgesucht
wurden. Zwar gibt es in der Petite Anse noch ein intaktes Korallenwäldchen, aber es bedarf der Restauration.
Mittel dafür fließen von Sponsoren wie der Leonardo DiCaprio Foundation – aber auch von der Regierung, freut sich
Hannah: „Wir sind das erste Land der Erde, in dem der Naturschutz Verfassungsrang hat.“ Wie weise diese Politik ist, zeigt
ein Blick auf die Wirtschaftsdaten: 70 Prozent des Volkseinkommens der Seychellois werden vom Tourismus erwirtschaftet.
„Wir wissen, was wir an der Natur haben“, sagt Hannah, „unser nationales Motto lautet ja auch: Eden forever!“, taucht
ab und führt die Gäste durch die ganze Pracht und Vielfalt der Welt, die es zu erhalten gilt: Schwärme von exotischen
Fischen in allen Farben quer durch den Tuschkasten. Außerdem macht die Gruppe Bekanntschaft mit Rochen, Oktopussen
52 Traveller‘s World
inselschönheiten
Ganzheitliche Wellness
beginnt mit dem auge
– jedenfalls im traumschönen
Hilltop-spa des
Four seasons resort
seychelles (links oben) –
und setzt sich in den drei
restaurants der anlage
fort. dass die schildkröten
so gern in die Petite anse
Bay zurückkehren, ist kein
Wunder. der Uhrenturm
„little Ben” in der Hauptstadt
victoria hat sein
vorbild in london
seychellen
Traveller‘s World
53
Paul wien theroux
Die berückend schöne, von
sanften Hügeln geprägte
Halbinsel Cape Cod er -
innert mit ihren Leuchttürmen
und maritimen
Bilderbuchdörfern an die Küstenlandschaften
von Sussex oder Sylt. Schmucke,
weiße Neuengland-Villen begleiten
meinen Weg, dann erreiche ich
mein hinter hohen Hecken und mächtigen
Bäumen verborgenes Ziel. Genau
wie in seinem Winter-Wohnsitz auf
Hawaii verteilt Paul Theroux auch in
Sandwich sein Leben auf zwei Ge bäude:
Das Haupthaus mit einer großen
Ve randa bewohnt er mit seiner zweiten
Frau Sheila, das ebenfalls mit den
für Neuengland typischen Holzschindeln
gedeckte Haus auf der anderen
Seite des Swimmingpools ist sein
Arbeitshaus.
„Ich könnte keine Zeile schreiben,
wenn eine andere Person in meiner
Nähe wäre“, lacht der vielleicht beste
Reiseschriftsteller weltweit, als er mir
durchtrainiert, braun gebrannt, barfuß,
in beigen Shorts und weißem Polohemd
entgegenkommt; auf der linken Hand
zeigt ein winziges Tattoo einen Fregattvogel.
Er führt mich in sein Arbeitszimmer,
eine wahre Schatzkiste: jede
Menge Bücher natürlich, dazwischen
eine geschnitzte Tür aus Tibet, dunkle
Holzfiguren aus Indonesien und der
Südsee, Gefäße und Skulpturen aus
Afrika, moderne Kunst an den Wänden
und ein großer, frei stehender Schreibtisch,
auf dem sich neben dem Laptop
nochmals Bücher stapeln, „Romane
und Reiseführer über Mexiko. Sie
helfen mir bei der Recherche für mein
neues Buch.“
Theroux ist erst kürzlich von dort
zurückgekehrt. „Mich interessierten
vor allem die Menschen, denen Trump
die Einreise verweigert.“ Ob er Fotos
macht oder Notizen? „Nein, und ich
„Nein,
und ich
besitze
auch
keinen
Taperecorder.
Ich
schaue
den
Menschen
in die
Augen
und
stelle
ihnen
Fragen.
Da
würden
elektronische
Geräte
nur
stören.“
besitze auch keinen Tape Recorder. Ich schaue den Menschen in die Augen
und stelle ihnen Fragen. Da würden elektronische Geräte nur stören.“ Was
er auf seiner Reise durch Mexiko anschließend auf seinem Notebook festgehalten
hat und in diesem Herbst, zunächst nur auf Englisch, als Buch
erscheint, hat er in Sandwich formuliert. „Hier verändert sich so gut wie
nichts“, schwärmt er, „wir haben kein Taco Bell, kein McDonald’s, nur
herkömmliche Lokale in einer heilen Edward-Hopper-Welt.“ Er liebt seine
täglichen Rituale, trinkt zum Frühstück am liebsten Tee, beginnt um 9.30
Uhr mit dem Schreiben, auch gerne mal am Strand, samstags und sonntags
macht er Pause, geht schwimmen oder paddeln oder Motorrad fahren.
Doch spätestens nach der Lektüre von „Mutterland“, einer
vergangenes Jahr veröffentlichten 650-Seiten-Abrechnung mit der tyrannischen
Mutter und den sechs Geschwistern in der Saubermann-Hölle von
Cape Cod, wird einem klar, weshalb Theroux als 23-Jähriger, nach kurzen
Stippvisiten an den Universitäten von Maine und Massachusetts, aus
seiner Heimat flüchtete. Nach dem Motto „möglichst weit weg“ landet er
als Mitarbeiter des US-Friedenskorps im damaligen Nyasaland, heute Ma -
lawi, wo er in einem gottverlassenen Dorf Englisch unterrichtet. Es gibt
dort weder TV noch Telefon, kein Auto und kaum menschlichen Kontakt.
Nichts als ein Fahrrad, um in der Freizeit die Umgebung zu erkunden. Eine
Art Generalprobe für seine zukünftige Rolle als Einzelgänger, Menschenfreund
und scharfer Beobachter.
Er übt sich im Umgang mit Farben und Gerüchen, beobachtet seine
Umwelt im wechselnden Licht der Tageszeiten. Und er liest sich quer
durch die Weltliteratur. Seine frühen Helden sind Henry Morton Stanley,
der als Erster den afrikanischen Kontinent überquerte, und Wilfred
Thesiger, der auf dem Rücken eines Kamels durch die arabische Wüste
reiste. Und natürlich D. H. Lawrence und Henry Miller. Nach fünf Jahren
in Malawi und Uganda, wo er mit dem bereits erfolgreichen Schriftsteller
V. S. Naipaul eine lebenslänglich schwierige Freundschaft beginnt, folgt er
einem Ruf an die Universität von Singapur. Von ’68 bis ’71 gibt er auch hier
Englischunterricht. In dieser Zeit lernt er seine erste Frau kennen, die
Engländerin Anne Castle.
Seinen großen literarischen Durchbruch feiert er 1975 mit „Great
Railway Bazaar“, dem Resultat einer viermonatigen Bahnreise
durch Asien. Er lebt inzwischen mit Frau und zwei Söhnen in
London, wo er sich mit Schriftstellern wie Graham Greene oder
Elias Canetti anfreundet und sich regelmäßig mit Naipaul trifft.
Und dennoch fühlt er sich hier nie wirklich angekommen. „Ganz egal, ob
man die gleiche Sprache spricht und sich äußerlich durch nichts unterscheidet“,
blickt er zurück, „man bleibt immer ein Fremder, über den die
Leute schlecht reden, sobald er den Pub verlassen hat.“ 1979 reist er für das
Buch „Der alte Patagonien-Express“ wie gewohnt mit öffentlichen Ver -
kehrsmitteln von Boston bis zur Südspitze Südamerikas.
Die schmerzhafte Trennung von seiner Frau Anne treibt ihn immer
wieder weit hinaus. Bald verlässt Theroux auch London für immer – „nach
58 Traveller‘s World
In seinem Büro auf der Hawaii-Insel Oahu, April 2010
Umgeben von afrikanischen Schnitzereien an seinem
Schreibtisch in Sandwich, Massachusetts, Juli 2008
Traveller‘s World 59
taste
Paul Theroux in Madrid, 2002
Auf den Marquesas-Inseln, Französisch-Polynesien, 1991
60 Traveller‘s World
Paul theroux
Fotos: Kent Nishimura, Susan Seubert, Elise Amendola/dpa, Francis Tsang, Christopher Pillitz/beide Getty Images
„Ich würde jederzeit lieber in Badehose und T-Shirt auf
einer Südseeinsel spazieren gehen als im Nadelstreifenanzug
auf den Champs-Élysées.“
18 Jahren unter dem Regenschirm hatte ich mir das verdient“ – und macht
sich mit Zelt, Schlafsack und seinem geliebten – übrigens aus Rosenheim
stammenden – Klepperboot auf den Weg ans andere Ende der Welt. Auf den
Spuren von Melville, Michener, Maugham und Stevenson paddelt er durch
smaragdfarbene Lagunen, campt unter Palmen, reist an Bord der „Aranui“
von Tahiti bis zu den Marquesas. Sein Buch „Die glücklichen Kinder Ozeaniens“
wird einer seiner größten Erfolge.
Und die wilde Schönheit Hawaiis seine größte Sehnsucht. „Die Inseln
haben mich verhext, ich wusste, ich würde nie wieder wegkönnen.“ Es
dauert nicht lange, und er bezieht mit seiner zweiten Frau Sheila, einer
Inselschönheit mit chinesischen und hawaiianischen Wurzeln, sein zweites
Zuhause in zwei Stelzenhäusern und zwei Pavillons in der Nähe von
Haleiwa, an der Nordküste von Oahu. Und bricht doch immer wieder auf.
„Bei der unendlichen Weite des Pazifiks gibt es immer noch Inseln, die
kaum erreichbar sind. Ich bin der gebürtige Beachcomber. Würde jederzeit
lieber in Badehose und T-Shirt auf einer Südseeinsel spazieren gehen als im
Nadelstreifenanzug auf den Champs-Élysées.“
Theroux’ lebenslange Liebe zu Afrika bekommt den ersten Dämpfer,
als er 2002, in einem Anflug von Nostalgie, auf alten Trampelpfaden von
Kairo nach Kapstadt reist. Sein Gepäck? „Ist immer das Gleiche. Ein Trolley
der Marke Patagonia MLC – Maximum Legal Carry-on –, eine lederne
Aktentasche von Glaser Designs aus San Francisco und ein Kurzwellenradio.
Ich checke niemals Gepäck ein, auch nicht auf Langstreckenflügen.“
Zehn Jahre nach dem Erscheinen von „Dark Star Safari“ macht er einen
letzten Anlauf. Wie gehabt, ist er mit Bus und Bahn unterwegs, wie immer
nach dem Prinzip der Langsamkeit. Von Kapstadt an der westafrikanischen
Küste entlang, mit dem Endziel Timbuktu. Die Verhältnisse in Südafrika
und Namibia kann er gerade noch akzeptieren, auf dem weiteren Weg nach
Norden wird er jedoch von Not und Elend, Gewalt und Bürgerkriegen
derart überwältigt, dass er zum ersten Mal eine Reise abbricht. „Die Kluft
zwischen Arm und Reich ist noch größer geworden. In Ländern wie Nigeria,
das reich an Bodenschätzen ist, kommt bei der Bevölkerung nach wie
vor nichts an. Jeder, mit dem ich gesprochen habe, träumt von einer
Zukunft in Europa. Ein ganzer Kontinent voller Flüchtlinge!“
Nun lenkt Theroux seinen Blick erstmals auf sein eigenes Land.
Und tut etwas Ungewöhnliches: Er setzt sich in Cape Cod ans
Steuer seines SUVs und fährt Richtung Süden. Nach Georgia,
Alabama, South Carolina, Arkansas und ins Mississippi-
Delta. Er schaut seinen eigenen Landsleuten über den Zaun,
spricht mit Rassisten, Waffenhändlern, Bürgermeistern und Gottesdienern.
„Ich habe diese Reise geliebt und gelitten, als sie zu Ende ging. Insgesamt
7000 Kilometer in allen vier Jahreszeiten, ohne Passkontrolle, ohne Straßensperre,
ohne Metalldetektor. Mit einer Kiste Wein im Kofferraum. Roadtrips
sind etwas typisch Amerikanisches. Ich konnte mich treiben lassen, bin
herumgeschlendert, habe Leute befragt, bin in Kirchen gegangen, zum
Baseball und zu Gun Shows.“ Außerhalb der Städte findet er Lebensbedingungen,
die ihn an die Dritte Welt erinnern. „Viele Menschen leben in diesen
Gegenden unter der Armutsgrenze, in
einer Weise, die jeden Westeuropäer
schockieren würde. Die Menschen
finden keine Arbeit, weil Großkonzerne
wie Nike, Apple oder Microsoft billige
Arbeitskräfte in China vorziehen. Der
einzige größere Arbeitgeber ist übrigens
Mercedes mit einem Werk in Tus -
caloosa, Alabama.“ Alles nachzulesen
in seinem Buch „Tief im Süden“, das
2015 auf Deutsch erschienen ist.
Der Travel Bug hat ihn weiterhin
voll im Griff. „Meine Eltern waren in
meinem Alter Fossilien. Ich habe mich
entschlossen, niemals ein Fossil zu
werden.“ Als Reporter der „New York
Times“ ihn nach seiner „Wishlist“
fragten, sprudelte es nur so aus ihm
heraus: „Ich war in Patagonien und im
Kongo, aber noch nie in Montana oder
Idaho. Ich war noch nie in Skandinavien,
weil ich mich vor der Kälte
gefürchtet habe. Ich möchte nach
Kanada, in das Land meiner Vorfahren.
Nach Grönland und nach Lappland,
um das Polarlicht zu sehen. Ich möchte
einen Kochkurs in Italien machen und
mit dem Fahrrad durch Australien
radeln. Außerdem so vielversprechende
Länder sehen wie Marokko, Madagaskar
und Tasmanien.“
Vor der Rückkehr nach Boston
schlendere ich ein wenig durch Sandwich.
Links und rechts der Main Street
gibt es absolut nichts, was das Auge
stört. Ich entscheide mich gegen den
Besuch des Glas-Museums und geselle
mich stattdessen zu den gutbürgerlichen
Gästen im verträumten Garten
von „The Brown Jug“. Bei Bier und
Pizza Margherita aus dem Holzofen
denke ich an Paul Theroux und das
Vorwort zu seinem stark autobiografischen
Buch „Mein anderes Leben“, in
dem er schreibt „Dies ist die Geschichte
eines Lebens, das ich gelebt haben
könnte, wenn einiges anders gewesen
wäre …“ Beneidenswert.
tw
leuchtturm das zwischen reben und Bougainvilleen errichtete
stayHotel Capofaro gilt als komfortabelstes Hotel der Äolischen Inseln. es gehört
einer aristokratischen Winzerfamilie aus sizilien
zieren geht? Und das romantische rosafarbene Haus, in
dem der (von Philippe Noiret gespielte) Dichter wohnt,
gibt es das wirklich? Immerhin: Bis heute, also im Jahr
25 nach dem Filmerfolg, gibt es im 300-Einwohner-Kaff
Pollara nur die kleine Bar „L’Oasi“ und eine Gaststätte
mit ein paar Zimmern – kein Hotel, keinen Souvenirladen,
nicht einmal einen Sonnenschirm-Vermieter.
An der Kirchenfassade hängt ein Basketballkorb, damit
die Dorfkinder einen Ort zum Spielen haben. Gleich
daneben sind überlebensgroße Portraits von Philippe
Noiret und Massimo Troisi auf eine Wand gepinselt –
als perfekter Selfie-Ort für die selbst im Hochsommer
nur spärlich auftauchenden Filmfans und Touristen.
P
ippo Cafarella, der Künstler, dem
das Neruda-Filmhaus gehört, hätte
seinen Besitz allerdings mehrfach
für gutes Geld verkaufen können:
Schauspieler, Industriekapitäne, Immobilienhändler,
öffentliche Ämter und sogar das belgische Königspaar,
das mit schöner Regelmäßigkeit auf Salina urlaubt,
interessierten sich dafür. Doch er denkt nicht daran
beziehungsweise verlangt den Fantasiepreis von zwei
Milliarden Euro für die Villa seiner Großeltern mit
verwildertem Garten.
„No“, sagte auch Patrizia Lopes, als der ehemalige
Ferrari-Chef Luca di Montezemolo vier Millionen Euro
für ihre verwitterte Liberty-Villa hoch über dem Bootsanleger
von Rinella bot. „Die Villa L’Ariana war das
Ferienhaus meiner Großeltern, meine Eltern haben zeitweise
darin gewohnt, ich lebe hier“, erklärt sie, „warum
sollte ich verkaufen? Ich möchte nicht, dass dieses Haus
und unsere Insel zum Tummelplatz für Reiche werden.“
Auch dieses Anwesen hat Filmgeschichte: Während
der Dreharbeiten zu „Vulkan“ (1950) mit Anna
Magnani in der Hauptrolle bewohnte das Filmteam die
Villa. Ein paar Jahre später wurde das pfirsichfarbene
Anwesen mit seinen Aussichtsterrassen und dem auffälligen
Büs ten-Spalier auf dem Dach in ein schlichtes
15-Zimmer-Hotel verwandelt, seitdem ist es nahezu
unverändert. „Manche unserer Gäste kommen seit 30
Jahren hierher. Soll ich sie etwa vor die Tür setzen?“,
fragt Patrizia Lopes. Und überhaupt: Was will ein VIP
wie Luca di Montezemolo in Rinella?
Tatsächlich bietet der Ort nicht gerade viel: einen
kleinen Supermarkt, eine Eisdiele, eine Pizzeria, eine
Kirche und einen kleinen Strand, der, wie die meisten
auf der Insel, aus dunkelgrauem Lavasand besteht.
Doch mit dem Motorboot ist man schnell in einer karibikblauen
Bucht, und mit der Vespa kann man bis zu
den verborgensten Osterien fahren. Zum Beispiel zur
„Villa Carla“ in Leni oberhalb von Rinella. Carla Rando
und ihr Mann Carmelo Princiotta empfangen dort
68 Traveller‘s World
sizilien stay
kleine freuden Wenn die Insulaner sich nach santa Marina aufmachen, heißt
es, sie fahren „in die stadt”. die Bar „da alfredo” in lingua serviert köstliche Granite
sizilien
auf ihrer privaten Kiesterrasse mit Blick aufs Meer. Zwischen blühenden Rosensträuchern
stehen eine Handvoll hübsch gedeckter Tische, aus der Küche
kommen unverfälschte Insel-Spezialitäten wie Ravioli mit Kapern-Füllung
und einheimischer spatola-Fisch in einer Kruste aus Semmelbröseln, Minze
und Orangenschale. Oder ins „Il Delfino“, eine nette Trattoria an der Uferpromenade
von Lingua, wo es butterzarten Oktopus-Salat, Schwertfisch-
Rouladen oder ein fantastisches Fritto misto gibt. Dazu passt ein gut gekühlter
Didyme, der in einer Flasche mit himmelblauem Etikett daherkommt.
Der strohgelbe Malvasia stammt vom Weingut Capofaro bei
Malfa, das hoch über dem Meer thront und freie Sicht auf die
Inseln Panarea und Stromboli gewährt. Es gehört der aristokratischen
Winzerfamilie Tasca d’Almerita aus Sizilien, die
hier nicht nur diesen wunderbar trockenen Weißwein anbaut, sondern auch
ein Luxushotel unterhält, das auf Salina und ihren Schwesterinseln konkurrenzlos
sein dürfte. Die Zimmer und Suiten sind in üppig mit Bougainvilleen
bewachsenen Häusern untergebracht, die hier und dort zwischen Weinreben
stehen. Die neuesten Gästezimmer wurden im vergangenen Sommer im noch
aktiven, 1884 errichteten Leuchtturm eingerichtet und punkten durch ihren
reduzierten, unaufgeregten, angenehm kühlen Insel-Look.
„Wir ermutigen unsere Gäste, Salina zu erkunden“,
erzählt Hoteldirektorin Margherita Vitale, „doch
viele bleiben lieber den ganzen Tag am Pool und ruhen
sich aus.“ Verständlich: Der Pool ist groß, der
Garten gepflegt, die Stille nur von Wind und Vogelgezwitscher
unterbrochen. Zur Aperitivo-Stunde gilt
die große Barterrasse als „the place to be“, auch Einheimische
kommen gerne auf einen Cocktail vorbei.
Im Gourmetrestaurant wird eine innovative, sonnige
Insel-Küche zelebriert. Auf der Menükarte stehen
ungewöhnliche Gerichte wie mit Fisch und Fenchel
gefüllte Kapernblätter oder Fischrisotto mit Mandelcreme,
aber auch vermeintlich schlichte Spaghetti mit
einer Sauce aus geschmacksintensiven Insel-Tomaten,
die schon nach ein paar Gabeln süchtig machen.
Doch so schön das alles auch sein mag: Es lohnt
sich, die Idylle von Capofaro zu verlassen, und sei es
nur, um ins nächste Dorf zu fahren. Malfa gilt als das
Herz von Salina, mit Sicherheit ist es ein Ort, der alle
Italien-Klischees bedient: schmale Gassen, fotogen
Traveller‘s World
71
Das Mehr
der Sieben Meere
Die Zukunft ist für Kreuzfahrer ein Traum:
Denn im nächsten Frühjahr debütieren auf den
Weltmeeren neue, ultrakomfortable Yachten:
Und was macht der Branchenprimus unter den
Luxus-Cruisern? Hat die Nase bereits vorn
Text CLaUDia BeTTe-WeNNGaTZ
76 Traveller‘s World
cruise
noch eins rauf Wenn die regent seven seas splendor (links im
Bild) im kommenden Jahr in see sticht, wird sie noch verschwenderischer
ausgestattet sein als ihre vorgängerin. dabei spielt man schon auf der
explorer nicht nur auf dem Putting Green ganz vorn mit
cruise
sPlendor on the seVen seas auch wenn die Bordrestaurants mit
Gourmettempeln auf dem Festland wetteifern – der dresscode ist selbst für
die Gäste der über 400 Quadratmeter großen „regent suite” smart casual
kaviarfrühstück mit Meerblick oder doch lieber ein gesundes Müsli? Zum Abendessen
Hummer, asiatische Fusionküche, Sushi, das argentinische Steak oder zur Abwechslung
ein klassisch französisches Filet de Canard? Im Canyon Ranch Spa die
Aromatherapie-Massage buchen und vom Infinity-Pool aufs Meer schauen? Nach
der Ankunft im Hafen Monte Carlo erobern, in Nizza shoppen oder im Künstlerstädtchen Saint-
Paul-de-Vence flanieren? Zum Dinner-Auftakt ein Glas Champagner auf dem eigenen Balkon
und danach in der „Observation Lounge“ beim Cocktail in die Sterne schauen?
Das sind keine Sofa-Träume. So lauten die Alternativen auf dem „most luxurious ship ever
built“. Seit ihrer Jungfernfahrt vor zwei Jahren behauptet die 377 Suiten große (oder sollte man
sagen: kleine) Regent Seven Seas Explorer ihren Ruf als exklusivster Cruiseliner der Welt. Unter
anderem in der Waagschale: die größten Balkone auf den Meeren und mehr Platz pro Passagier
als auf jedem anderen kommerziellen Schiff der Welt. Zum sogenannten Sechs-Sterne-Standard
gehören zudem kostenlose Flüge zum Zielort, Airporttransfers, eine seitenlange Auswahl von
Gratis-Landausflügen, ein abwechslungsreiches Bordprogramm, der Besuch exklusiver Gourmet-
Restaurants sowie Getränke an Bord, vom raffinierten Cocktail über den Jahrgangswein bis zum
Champagner. Und Trinkgelder sind auch bereits inkludiert. Wer die Preise für all diese Extras
auf vergleichbaren Luxusschiffen kennt, wird dieses Rundum-sorglos-Paket zu schätzen wissen.
Der Champagner wartet bei der Ankunft an Bord der Explorer bereits gekühlt in der Kabine
– gelungener Auftakt zum „Suite life on board“. Das definiert sich über erstklassigen Service
ebenso wie über die elegante, luxuriöse Suiten-Ausstattung mit dem bereits erwähnten Balkon,
großzügiger Raumaufteilung, elegantem Marmorbad mit Dusche und Badewanne sowie begehbarem
Kleiderschrank und nicht
zuletzt dem persönlichen Butler.
Damit das Wohlfühl-Erlebnis
von der Suite auch auf den Gaumen
übergreift, bekommt er zum Auftakt
den Auftrag, einen Platz in einem
der Gourmetrestaurants an Bord zu
buchen. Smoking und Abendkleid
brauchen dazu nicht aufgebügelt zu
werden. Der mit 412 Millionen Dollar
bis dato teuerste Luxusliner kennt
keine klassisch-konservative Society
mit Garderobeanforderungen im
Schrankkofferformat und strengen
Dinner-Regeln. „Smart casual“ ist
der Dresscode, eine gute Nachricht,
wenn man etwa im Mittelmeer an
den oft ganztägigen All-inclusive-
Traveller‘s World
79
Eine im Kongo
geborene Designerin
aus Paris gestaltet
ein Barockpalais
zur vielleicht großartigsten
Herberge in
Palmas Altstadt um?
Das interessiert uns.
Ein Treffen mit
ALINE MATSIKA im
Palacio Can Marqués
COME
ON,
Text BeTTiNa WiNTerFeLD
ALINE
eine enge Gasse im Herzen der Altstadt
von Palma de Mallorca. Schmal und
unprätentiös schlängelt sich die Carrer
dels Apuntadors durch das La Lonja-
Quartier. Der mondäne Yachthafen
glitzert gleich um die Ecke, bis zur gotischen
Kathedrale sind es nur ein paar
Minuten Fußweg. Wer von hier aus den Himmel sehen will,
muss seinen Kopf tief in den Nacken legen, so nah stehen
sich die hohen Altstadthäuser gegenüber. Auf ihren handtuchbreiten
Balkonen könnten die Bewohner an besonders
engen Stellen locker von einer Straßenseite zur anderen den
neuesten Klatsch austauschen, ohne dabei die Stimme erheben
zu müssen.
Ab und zu erhaschen die Besucher den Blick in eine
Tapas-Bar. Meistens bleibt verborgen, was sich hinter den
verschlossenen Türen verbirgt. Unsichtbar wie die Einflüsterinnen
im Theater, die der „Gasse der Souffleusen“ ihren
Namen geben. Diese Abschirmung nach außen ist typisch ist
für die mallorquinische Architektur, die ihre Schätze gerne
hinter hohen Mauern versteckt.
86 Traveller‘s World
style stay
wanderin
zwischen
den welten
aline Matsika
in einem Haus,
das sie für
einen Hamburger
Unternehmer
gestaltet hat
stay
2
Die Kreative aus Paris ist eine
leidenschaftliche Jägerin und
Sammlerin von erlesenen Artefakten
und exotischen Unikaten
1
3
88 Traveller‘s World
style stay
Diese Doppelseite:
Palacio Can Marqués
Carrer dels Apuntadors 15,
Palma de Mallorca,
T. +34.871.52 02 90,
ab 390 Euro,
palaciocanmarques.com
4
alines angaben
1
„die suite ,renaissance’
ist eine der
spektakulärsten
im Palacio, ein 80
Quadratmeter großer
raum mit einer sechs
Meter hohen decke.
sofas des belgischen
Herstellers JNl kontrastieren
mit dem
antiken Kamin und
spiegel. die leinwand
ist eine szene aus
einem Godard-Film
des mallorquinischen
Malers Pep Girbent.”
2
„In der suite ,diva’
vermitteln Kunstwerke
wie die große
Keramikfigur einer
Frau, die aus den
Wäldern zu kommen
scheint, eine sehr
feminine Präsenz.”
3
„ein großes Bild
des marrokanischchilenischen
Maler-
Fotografenpaares
alaoui-Guerra dominiert
den loungebereich
der suite ,eden’.
den Marmortisch
und das sideboard,
in dem sich der Tv
versteckt, habe ich
selbst entworfen.”
4
„den Bronzespiegel
und den Mahagonischminktisch
in der
suite ,rose’ entdeckte
ich auf einem
Pariser Flohmarkt. die
Messinglampe ist ein
vintage-stück.”
Wer gerade in die falsche Richtung schaut oder in sein
Handy vertieft ist, könnte daher gut und gerne am Palacio
Can Marqués vorbeilaufen. Umso größer dann die Überraschung:
Als öffne sich ein Vorhang, gibt ein mächtiger Torbogen
unvermittelt den Blick in einen großzügigen, zweistöckigen
Patio frei. Fein ziselierte Alabastersäulen stützen die
elf Meter hohe Decke, funkelnde Kronleuchter und meterlange
Sofas laden zum stilvollen Chillen ein. Die Lobby des
1760 gebauten Palacio ist ein echter Hingucker und ein vielversprechendes
Entree in das erste öffentliche Œuvre einer
französischen Designerin.
die Kreative aus Paris ist eine leidenschaftliche
Jägerin und Sammlerin von geschichtsträchtigen
Orten, erlesenen Artefakten
und exotischen Unikaten. Eine stilsichere
Gestalterin, die nonchalant aus
dem Vollen schöpft, wenn sie auf den Hamptons, in Hamburg
oder an der Cote d’Azur die Wohnungen und Häuser
der Reichen und Schönen einrichtet. An der Alster hat Aline
Matsika vor einigen Jahren nicht nur einer weißen Villa aus
den 20er-Jahren zu zeitgenössischem Chic verholfen, sondern
die futuristische Yacht des Eigentümers gleich mitgestylt.
Seither ist die begeisterte Seglerin auch auf den Weltmeeren
unterwegs.
Ihr jüngstes, bisher umfangreichstes Projekt ist der Umbau
des mallorquinischen Barockpalasts in ein luxuriöses
Boutique-Hotel. Mit dem im Herbst 2018 eröffneten Palacio
Can Marqués tritt Aline Matsika zum ersten Mal den Beweis
an, dass sie auch als Hoteldesignerin reüssieren kann.
Wenn es das wunderbare Wort Weltbürgerin nicht
längst gäbe, für Aline Matsika müsste man es glatt erfinden.
Sie ist eine Kosmopolitin par excellence. Geboren im Kongo,
aufgewachsen in Paris, Hauptwohnsitz in New York.
Seit Jahrzehnten pendelt sie zwischen den Kontinenten hin
und her. London, Rom, Venedig, Mosambik, Madagaskar
und Mallorca markieren nur einige Destinationen ihrer globalen
Agenda.
Eine große Frau mit langen, offenen Haaren und einem
gewinnenden Lächeln federt eine der beiden Freitreppen des
Palacio herunter. Aline Matsikas Stimme ist voll und warm,
ihr Englisch mit einem Hauch Französisch unterlegt. Was
ebenso charmant klingt wie die herzliche Begrüßung: „Welcome
to Palacio Can Marqués. Lust auf eine Palastführung?“
Bien sûr! In der nächsten Stunde werden die Wadenmuskeln
der Besucherin nachhaltig aus ihrem Winterschlaf gekitzelt.
Die 13 Suiten verteilen sich weitläufig auf 2800 Quadratmeter
Grundfläche und gefühlt fast ebenso viele Stufen.
Leichtfüßig sprintet die Designerin voran. Jede der 33 bis
380 Quadratmeter großen Suiten ist mit hochwertigen Naturmaterialien,
exotischen Fundstücken und Antiquitäten individuell
eingerichtet. Um ihnen eine einheitliche Handschrift
mitzugeben, einen „Flow“, wie sie es nennt, hat Aline die
Traveller‘s World
89
Teppiche selbst entworfen und in verschiedenen Farben in
Nepal fertigen lassen. Überall das gleiche fließenden Muster,
aber in einem anderen Farbton.
Die vielgestaltigen Kronleuchter verleihen dem Haus das
Flair eines funkelnden Schatzhauses. „Ich habe eine Schwäche
für Chandeliers und jeden einzelnen in Murano handblasen
lassen“, gesteht die Innenarchitektin. Alte Kamine aus Santanyi-Sandstein,
Bibliotheken und Bilder aus Alines Kunstsammlung
vermitteln „die Intimität eines Privathauses“. Für
die Boutique des Palacio Can Marqués hat die modebegeisterte
Französin eine exklusive Kollektion zusammengestellt.
Das Highlight ist das Turmzimmer der 380 Quadratmeter
großen, mehrstöckigen Präsidentensuite „The Riad“ mit
umlaufender Terrasse und überwältigendem Rundblick. Das
dort installierte Fernglas fordert zum Heranzoomen von Altstadt
und Meer heraus. Und es verweist auf die Hochseeambitionen
von Alines Auftraggeber, dem deutschen Eigentümer
Kim Schindelhauer. Der Hamburger Unternehmer erwarb
das Barockpalais 1999 von einer mallorquinischen Adelsfamilie
und bietet seinen Hotelgästen nicht nur ein fürstliches
Dach über dem Kopf an, sondern auch Segelturns auf seiner
mit Design- und Regattapreisen geadelten Superyacht.
wo hat die sportliche Designerin ihr Handwerk
gelernt? Auch in dieser Hinsicht
passt Alines Lebensweg in keine Schublade.
Innenarchitektur? Macht sie zwar
schon lange, hat sie aber nie studiert.
Marketing? Hat sie zwar mit Bachelor abgeschlossen, aber
nie als Beruf ausgeübt. Modedesign? Oui, Volltreffer – fast.
Denn das war einst ihr Traumberuf, doch den hat ihr Politiker-Papa
nicht erlaubt.
Aline Matsika wird Mitte der 60er-Jahre in der Republik
Kongo geboren. Ihr Vater, der Gewerkschaftler und Aktivist
Aimé Matsika, hat bereits vor ihrer Geburt von Paris aus für
die Unabhängigkeit seiner zentralafrikanischen Heimat gekämpft.
Als Aline zur Welt kommt, ist die französische Kolonie
endlich unabhängig. Und Aimé Matsika kämpft jetzt
als Wirtschaftsminister im Kabinett der jungen Regierung
für Demokratie. Nach dem Wirtschaftsstudium in Paris kann
die Tochter endlich ihre Leidenschaft für Fashion ausleben.
Als Model führt Aline französische Haute Couture über die
Laufstege von Mailand bis New York. Unterwegs streift sie
durch Museen und Galerien, durchstöbert Flohmärkte und
Antiquitätenshops. „Ich bin eine alte Seele und könnte gut in
einem Museum leben.“
Nach sieben Jahren hat sie genug von der Welt gesehen
und macht sich mit einer neuen Geschäftsidee selbstständig.
Inspiriert von ihren Reisen durch Afrika, eröffnet sie 1996 im
Pariser Künstlerviertel Marais einen der ersten ethnischen
Concept Stores.
„Ich wollte Afrika und Europa zusammenbringen, etwas,
was für mich persönlich schon lange selbstverständlich
alines angaben
1
„In diesem majestätischen
living room in
New Yorks Tribecaviertel
habe ich
chinesische antiquitäten
mit klassischen
französischen Möbeln
kombiniert. die lüster
wurden in Murano
nach meinen entwürfen
angefertigt.”
2
„Für den eingangsbereich
eines
400-Quadratmeterapartments
an der
Park avenue fand ich
dieses stahlrelief von
rana Begum, einer
in london lebenden
Künstlerin aus Bangladesch.
den schwarzweiß
gehaltenen
essbereich möblierte
ich mit einem schlichten
ensemble der
Texanerin Holly Hunt.”
3
„der entertainment
room eines Privathauses
in Hamburg
verwendet Möbel von
Poltrona Frau und
B&B Italia. das Bild
des australischen
straßenkünstlers rone
im Hintergrund verleiht
dem raum etwas
Mystisches.”
4
„2011 stellte ich im
Holiday House auf
der Upper east side
aus. Mein Thema
hieß ,winter solstice’,
Wintersonnenwende,
transportiert über
massive Holzmöbel,
organische Formen
und kühle Farben.”
3
1
90 Traveller‘s World
2
style
Sie bezieht französische Stilmöbel
mit afrikanischen Stoffen, Kenté-
Motiven oder geometrischem
„Kasai-Samt” aus Palmfasern
4
style
koPf-geburten
Fratzen, schädel, Wortfetzen und wilde Farben: Was
als Graffiti-Performance begann, begehren heute liquide
sammler. diese seite: „ohne Titel (skull)“, 1981, acryl und
Ölkreide auf leinwand, 207 x 175,5 cm, Courtesy The eli
and edythe l. Broad Collection; rechte seite: Basquiat
1983 in seinem atelier in der Crosby street
96 Traveller‘s World
Malen
wie
iM
rausch
* Die ausstellung
„Jean-Michel Basquiat“,
Brant Foundation
421 East 6th Street, New York
6. März bis 15. Mai 2019
brantfoundation.org
1985 produziert das „New York Times Magazine“ eine Titelstory
über Jean-Michel Basquiat. Das Shooting zum Cover-Foto erfolgt in der
Galerie von Mary Boone. Die Fotografin empört sich bei der Galeristin: „Er
ist ja barfuß! Können Sie ihn überreden, Schuhe anzuziehen?“ Darauf
Boone: „Kann ich nicht.“ Und: „Lasst Jean-Michel bitte, wie er ist.“
Ein ebenso tragischer wie weitsichtiger Rat: Denn wenige Jahre
später verreckt der Über-Maler an einer Überdosis Heroin. Doch vor
zwei Jahren wird eine große Leinwand des Unangepassten für 110,5
Millionen Dollar versteigert – das teuerste Werk eines amerikanischen
Künstlers und bis heute das sechsthöchste Ergebnis für ein Gemälde auf
dem internationalen Kunstmarkt. 2018 widmet der Taschen Verlag „Jean-
Michel Basquiat and the Art of Storytelling“ einen 500 Seiten starken (und
mehrere Kilo schweren) Kunstband. Und jetzt eröffnet – nach einer viel
beachteten Retrospektive in der Pariser Fondation Louis Vuitton – die
Kunststiftung des Papiermagnaten Peter Brant ihre neuen Museumsräume
im East Village mit einer großen Solo-Ausstellung *. Ein Must-see.
Aber gehen wir zurück ins Jahr 1977. Der Big Apple fault vor sich hin.
Besonders in der Lower East Side sieht es aus wie nach einem Krieg. Ein
Teenager, bewaffnet mit Farbspraydosen, streift durch verfallene Straßenzüge.
Er zaubert mit Chiffren und Botschaften gespickte Bilder an die
Mauern und signiert sie mit „Samo“, der Ghetto-Slang auf die Frage „Wie
geht’s?“: „same old shit“. Dann geschieht ein Wunder: Der Kunsthändler
Jeffrey Deitch wird auf die Graffitis des Unbekannten aufmerksam und
deklamiert in einem Artikel: „Hallo, New York: In deinen Ruinen ist ein
Genie am Werk!“ Später wird man über Basquiat schreiben, er sei aus
dem Nichts zu einem Superstar geworden. Aber das stimmt nicht: Seine
Mutter war eine Kunstnärrin. Um den hochbegabten Jungen von der
Straße fernzuhalten, pilgerte sie mit ihm durch Museen und Galerien –
und er fing Feuer. Seine Helden wurden Jackson Pollock, der Vater des
Action Painting, und Caravaggio. Weil der stets ein Schwert bei sich
trug, identifizierte ihn Basquiat als „ Gangsta des Frühbarocks – so wie
heute die wütenden Leute bei uns mit Messern rumlaufen“.
Die Wut der Afroamerikaner, gespeist vom kollektiven Trauma von
400 Jahren Rassismus, steckte auch Basquiat in der Seele. Insofern sind
seine Arbeiten politisch. Aber sie sind viel mehr, denn sie weiten den
Blick auf die existenziellen Ängste aller Menschen. Seine Ausdrucksmittel
sind schreiende Farben, wilde Formen, dazu die Energie der Kalligrafie:
ekstatisch, heroisch – und rätselhaft.
1979 verkündet ein Graffito im New Yorker Galerienviertel: „Samo is
dead“. Basquiat outet sich, um, befreit vom Sprayer-Image, die heiligen
Hallen der Kunstwelt zu erobern. Zum Geldverdienen tourt er nachts mit
der Noise-Band Gray durch Underground-Clubs. Aber das reicht nur
für Farben; Leinwände sind teuer, also entwirft er tagsüber Kunstpostkarten.
Dann, 1980, zieht er mit neuen Arbeiten durch die Straßen,
Traveller‘s World
97
Blindtext stay
Only you,
Kudadoo
106 Traveller‘s World
Blindtext
das wollen wir erst mal zen
der japanische stararchitekt Yuji
Yamasaki entwarf ein resort, mit
15 Wasservillen wie Perlen an einer
Kette, erfrischend anders. Und auch
das Hausriff von Kudadoo zählt zu den
schönsten im Indischen ozean
Eine Privatinsel für 30 Gäste, ein Butler, der alles organisiert,
ein Design, das Japan in den Indischen Ozean verlegt, und
ein kompromissloser All-inclusive-Ansatz – ist Kudadoo die
aufregendste Neueröffnung der Malediven?
Text ReinhaRd ModRiTz
Traveller‘s World
107
108 Traveller‘s World
stay wien
stay
U
nd das ist wirklich alles inklusive? Wir staunen angesichts
einer Getränkeauswahl, die besseren Bars in den
Metropolen der Welt kaum nachsteht. Wir zählen vier
Sorten Champagner im Kühlschrank, sehen Weinflaschen,
die wir, wenn überhaupt, beim heimischen Händler
jenseits der Hundert-Euro-Marke in Erinnerung haben, und freuen uns, teuerster Inhalt
einer Minibar, über ein halbes Dutzend exklusiver Nuss-Mixes. „Aber ja“, bekräftigt Boos,
ein junger Mann in tadellos gestärkter Uniform, der, wie sich später herausstellt, eigentlich
Mohamed heißt und unser Butler ist. Boos wird in den nächsten Tagen die täglichen Spa-
Treatments – „gerne auch zwei, wenn gewünscht“ – arrangieren, die Yacht für den Törn zu
den Delfinen bestellen, unsere Tauchgänge koordinieren und Champagner zum Picknick am
Strand servieren.
Und tatsächlich: Das alles kostet auf Kudadoo keinen einzigen Cent extra. „Unser Mantra
ist: anything, anytime, anywhere“, erläutert anderntags Brad Calder bei einem – selbstverständlich
kostenfreien – Drink an der Hotelbar. Der General Manager der Privatinsel (und
der in Sichtweite liegenden Nachbarinsel Hurawalhi) sorgt dafür, „dass es für die Gäste
unserer 15 Villen keine Limits gibt. Alles, aber auch wirklich alles ist inklusive. Weil wir glauben,
dass der wahre Luxus bei einem Aufenthalt auf Kudadoo darin liegt, sich keinerlei
Gedanken um Essenszeiten, Termine oder Kosten machen zu müssen.“
Der Service hat schon lange davor begonnen, bei der Buchung. Welches sind unsere
Lieblingsweine? Womit soll die Bar in unserer Villa bestückt werden? Allergien und Vor -
lieben? Besitzen wir eine Tauchlizenz oder wollen wir nur relaxen? So kann Boos schon mal
alles für unseren Aufenthalt vorbereiten und unsere Wünsche erfüllen, bevor wir sie ausgesprochen
haben.
45 Minuten hat der Flug in
der company-eigenen Twin Otter
gedauert, und schon beim An -
flug wird deutlich: Kudadoo ist
anders. Erfrischend anders als
das gute Dutzend von austauschbaren
Hotelinseln „Maldivian
Style“, die in den vergangenen
Jahren wie Seerosen aus dem
Wasser gesprossen sind. Das
Inselchen im Lhaviyani-Atoll ist
nicht mehr als ein kleiner grüner
Klecks im tiefblauen Indischen
Ozean, gesäumt von schneeweißem,
puderzuckerfeinem Sandstrand,
in gerade mal zehn Mi -
nuten ist man einmal rum. Im
dichten Grün verstecken sich nur
die Häuser fürs Personal und die
Miniaturausgabe einer Moschee,
für entsprechend gläubige Gäste und Mitarbeiter, das einzige Bauwerk aus Stein, das dafür in
Marmor mit einer goldenen Kuppel glänzt. Alles andere hat der japanische Architekt Yuji
Yamasaki vom gleichnamigen New Yorker Architekturbüro aus nachhaltigem Holz ins weite
Blau hinaus geplant: Die 15 Ocean Residences ebenso wie das Retreat, Herzstück der Privatinsel,
zwei Stege noch für das Anlegen von Booten und dem Wasserflugzeug, mehr ist nicht.
15 Villen, davon zwei mit zwei Schlafzimmern. Das heißt, wir teilen unsere Insel mit maximal
32 anderen Privilegierten. Der Anspruch ist so erwachsen, dass die Verantwortlichen die
Altersgrenze diesseits der 15 gesetzt haben. Man will ja auch mal unter sich sein.
Bald nach unserer Ankunft chauffiert uns Boos mit dem Elektro-Buggy zum Retreat.
„Die Malediven, das ist für mich der Inbegriff an Licht, Luft und Weite“, hören wir dort von
meine Villa, mein
sPa, meine insel
Wem die schier end -
lose Weite des Indischen
ozeans nicht
ausreicht, der findet
auf dem retreat
einen ebenso endlos
scheinenden Infinity-
Pool. Und vor der
eigenen Wasservilla
nochmals einen, mit
44 Quadratmetern
Traveller‘s World 109
110 Traveller‘s World
niPPon ist nah
Natürliche Materialien,
minimalistisches Interieur
und raffinierte
Trennwände wie in
traditionellen japanischen
Häusern –
schöner kann man auf
den Malediven zurzeit
nicht urlauben
stay
››Die
Malediven
sind für mich
der Inbegriff
an Licht, Luft
und Weite.
So habe
ich auch
das Retreat
entworfen.‹‹
Yuji Yamasaki, Architekt
Traveller‘s World 111
stay
die neue offenheit
stilvoll lebt es sich auf
und mit dem ozean.
speisen kann man im
restaurant, auf der
Terrasse der eigenen
villa mit Glasboden zum
Fischebeobachten oder,
zum Beispiel auf der
hoteleigenen Yacht
Yuji Yamasaki. „So habe ich auch das Retreat entworfen, damit es trotz seiner Größe luftig
und leicht wirkt.“ Anspruch erfüllt: Das zentrale, zweigeschossige Hauptgebäude ist nach
allen Seiten offen, allenthalben plätschert das Meer an die Pfähle, auf denen das luftige
Konstrukt ruht.
Ein paar Meter über Wasser beherbergt das Retreat den riesigen Infinity-Pool, Indoorund
Outdoor-Dining, die Bar, einen Käse-Raum mit beeindruckender Auswahl, in dem die
besten Tropfen aus dem benachbarten Weinkeller zu Degustationen gereicht werden, das
State-of-the-Art-Gym und eine Boutique
mit internationalen Labels. Das Obergeschoss
ist dem Spa vorbehalten und
einer weitläufigen Terrasse unter dem
spitzen Vordach. „Dort zu stehen, erinnert
mich stets an die ‚Ich fliege‘-Szene aus
,Titanic‘“, schmunzelt Architekt Yamasaki.
Der wah re Clou aber ist für die Gäste
unsichtbar. Das riesige Dach bedecken
Hunderte Solarpanels, die mehr Energie
liefern, als für die ganze Insel nötig wäre.
Das vermittelt die beruhigende Gewissheit,
zu den Guten in Sachen ökologischer
Fußabdruck zu gehören.
Mehr noch als das Retreat erinnern
mich die Wasservillen an die traditionellen
Häuser Japans, gleichsam ein Hauch von
Kyoto im Indischen Ozean. Die strenge
Linienführung der Fassaden aus unbehandeltem
Zedernholz, die raffinierten Sichtschutz-Trennwände,
die trotz der Nähe
zum Nachbarn optimale Privatsphäre gewähren. Und nicht zuletzt die gläsernen Schiebetüren,
die das Meer über die weitläufige Terrasse in die Villa holen oder umgekehrt. Das
Innere der 300 Quadratmeter ist ebenso unprätentiös wie zeitlos, aber aus feinsten Materialien,
vom überdimensionierten Four-Poster-Bett blickt man morgens auf das glitzernde
Blau und abends ins glitzernde Sternenmeer.
Für den nächsten Morgen hat Boos einen ganz speziellen
Tauchgang vorgeschlagen. Denn das Lhaviyani-Atoll ist
berühmt für seine Haie. Dazu muss ich mir nicht mit
anderen Tauchern ein Boot teilen, auch feste Zeiten gibt es
nicht, wenn wir fertig sind, geht’s los. Als privilegierter
Gast auf Kudadoo werde ich von meinem privaten Guide in meinem eigenen Tauchboot
abgeholt. Und dann darf ich mich einmal wie Bond, James Bond fühlen: Gegen die starke
Strömung lassen wir uns von Unterwasser-Scootern ziehen, wie aufregend. Und dann
kommen sie uns schon entgegen, fünf, zehn, zwanzig Haie, Schwarz- und Weißspitzen-,
Graue Riffhaie, sogar ein seltener Tigerhai schwimmt in Armlänge an mir vorbei, ohne mich
eines Blickes zu würdigen. Ein einzigartiges Erlebnis!
Am letzten Abend serviert Boos unser Wunschmenü, das wir tagsüber mit dem Chefkoch
besprochen haben, rechtzeitig zum Sonnenuntergang auf der Terrasse der Villa. Dazu
ein, zwei Gläschen Champagner. Darf’s dem Anlass entsprechend ein Ruinart aus unserer
Bar sein? Unser Fazit steht jedenfalls fest: Anytime again.
Und der Preis für den Eintritt ins Paradies? Nichts im Leben ist umsonst, schon gar nicht
auf den Malediven. Über die Sommermonate kostet eine One Bedroom Villa 2800 US-Dollar,
in der Hauptsaison klettert der Tagessatz auf 4500 US. Oder doch lieber die ganze Insel? Für
schlappe 80000 US-Dollar ist man dabei. kudadoo.com
tw
112 Traveller‘s World
Fotos: Diego De Pol
Traveller‘s World 113
stay
Was haben wir
Falls Sie sich
überhaupt vom
Danai Beach
Resort & Villas
lösen können, tun
Sie es auf dem
frisch renovierten
Sanlorenzo-Boot des
nordgriechischen
Hideaways
Text ChRiSTine Von PahLen
geyacht
114 Traveller‘s World
Griechischer Grossmut
Wenn „The Bird” noch ein bisschen größer wäre (immerhin verfügt sie über vier Kabinen),
könnte man fürchten, die Besitzerfamilie wolle doch lieber allein sein in ihrem verführerisch
schönen resort. aber sie sieht die italienische Yacht nur als spielzeug für ihre Gäste
Zwischen großen Pinien
und blühendem
Rhododendron öffnet
sich langsam das weiße Einfahrtstor
mit dem Seepferdchen-Logo. Dahinter
eine Welt für sich, eine Art „Elysische
Gefilde“, bekanntlich jener Ort, wohin
jene Helden entrückten, die von den
griechischen Göttern besonders geliebt
wurden. Entrückt und geliebt mag sich
heute auch der privilegierte Gast des
Danai Beach Resort & Villas fühlen,
angesichts dieses Refugiums an der
Westküste der Halbinsel Chalkidiki.
Dabei war die Geburtsstunde
dieses Elysiums nicht hier, sondern
weit nördlich in Berlin: Der Maschinenbauingenieur
Otto von Riefenstahl (aus
der berühmten Dynastie) verliebt sich
in die Griechin Danai, Philosophiestudentin
und Tochter einer Hoteliersfamilie.
Platz für ein eigenes kleines
Hotel fanden die Jungvermählten
zwischen Metamorfosi und Nikiti im
Norden von Sithonia, eine Autostunde
südlich von Thessaloniki – 20 000
Quadratmeter direkt am Meer,
idyllisch, aber auch einsam gelegen
zwischen Pinienwäldern und Olivenplantagen.
Damals war die griechische
Traveller‘s World 115
stay wien
Halbinsel mit ihren drei markanten
Fingern ins Meer noch Sehnsuchtsziel
von Backpackern und Aussteigern, die
in den malerischen, verschwiegenen
Buchten das leichte Leben suchten.
Mutig daher der Plan der Riefenstahls,
gerade hier ein kleines, feines Luxushotel
für betuchte, anspruchsvolle
Griechenlandreisende zu eröffnen.
Ähnlich unberührt ist dieser Teil
Chalkidikis, gut dreißig Jahre später,
noch immer. Wer von Danai Beach auf
der Luxus-Motoryacht „The Bird“ aus
eine Bootstour entlang der Küste
startet, kann den ganzen Tag unterwegs
sein, ohne einen einzigen
Menschen zu treffen. Die von Danai
Riefenstahls Sohn Kimon aufwendig
renovierte Yacht der italienischen
Werft Sanlorenzo aus dem Jahr 2004
bedient aber noch einen höheren
Hedonismus: Bei Törns entlang der
Küste der Halbinsel oder zur Mönchsrepublik
auf dem Berg Athos erfreuen
sich die Gäste nicht nur an der blitz -
blau en Ägäis, sondern auch an der
eleganten Ausstattung der Yacht,
Poseidon hätte seine Freude
mit ihr. Helles Holz und
edles Leder bieten den standesgemäßen
Rahmen an Deck, die vier
Kabinen (inklusive Master Bedroom)
schaffen Privatsphäre auf dieser 25
Meter langen italienischen Schönheit.
Und die Crew auf der „Bird“ tut ein
Übriges. Neben feiner Bordküche und
entsprechender Weinbegleitung wird
der Gast auch angehalten, sich
körperlich zu ertüchtigen, auf Standup-Paddles,
auf Wasserskiern oder,
wie einst James Bond, mit dem
Unterwasser-Scooter – Spaßfaktor
garantiert. Der jüngste Zuwachs des
Resorts ist auch für Mehrtagestouren
buchbar – sollte man sich dem Charme
des Danai für ein paar Tage entziehen
können, was zugegebenermaßen nicht
ganz leichtfällt.
Denn über die Jahre ist hinter den
Mauern ein kleines, elegantes Villendorf
entstanden, mit einer Piazza,
einer Dorfstraße mit Boutiquen und
natürlich den 57 Suiten und sechs
Villen, die alle die Handschrift der
Namensgeberin tragen. Allesamt
glamourös, mit viel Liebe zu Marmor
und Grandezza, aber jede Suite, jede
Villa ist in einem anderen Stil gebaut
und eingerichtet. Was auf den ersten
Blick wie eine beliebige Ansammlung
höchst unterschiedlicher Stilvorlieben
anmutet, macht für die zahlreichen
Stammgäste, darunter nicht wenige
VIPs aus Showbiz, Industrie und
Politik, gerade den eigenwilligen
Charme des Danai aus. Und natürlich
die inzwischen fünf Restaurants,
darunter das kleinste Gourmetrestaurant
Griechenlands, mit nur fünf
Tischen auf den Klippen über der
Ägäis. Mit dem „Squirrel“ heimst
116 Traveller‘s World
Kimon Riefenstahl, selbst begnadeter
Hobbykoch und Kochbuch-Autor,
nicht nur laufend Auszeichnungen für
seine Küche ein, sondern auch für
seinen Weinkeller. Über die 1700
Etiketten hat Chefsommelier Apostolos
Plahouras das Sagen: Neben traditionellen
griechischen Weinen und
internationalen Klassikern führt das
„Squirrel“ auch seltene und charakterstarke
Jahrgänge, die nicht einmal die
Hersteller selbst mehr in ihren Kellern
vorrätig haben. Abgesehen von der
vorzüglichen Qualität der Speisen: Wer
je über einen Heiratsantrag nachdenkt,
sollte hier reservieren – viel romantischer
geht’s nicht. Allen anderen sei
der Besuch der „Seaside Bar“ empfohlen,
der zweifellos stylischste Ort für
einen Drink. Und bei den Dry Martinis
von Mixologe Christo würde sogar dem
Philosophen Aristoteles die logische
Argumentation ausgehen, nicht einen
zweiten zu bestellen.
Ab 450 Euro, danairesort.com.
Packages, auch mit der Sanlorenzo-
Yacht, bietet der Münchener Premium-
Reiseveranstalter Berner Travel,
berner-travel.de
die Götter müssen Verrückt sein,
dass sie auf dem kargen olymp verharren und ihren sitz nicht in das danai Beach resort & villas
verlegen, die die eigentümerin individuell ausgestattet hat. auch der lange sandstrand mit den schicken
Cabanas wäre ein lockmittel. Und wer wollte einem Törn mit „The Bird“ entsagen?
Traveller‘s World 117
136 Traveller‘s World
Blindtext taste
Die Gipfelstürmer
Spitzenköche aus
Österreich und
Oberbayern, Südtirol
und der Schweiz locken
Gourmets in einsame
Bergtäler und an die
Baumgrenze. Stiehlt die
Alpenküche der Nordic
Cuisine die Schau?
Text PaTRiCia bRöhM
JäGer und sammler
Heimat ist für andreas
döllerer (diese seite) aus
dem salzburger land
kein geografischer Begriff,
sondern pure emotion, die
er in seiner „Cuisine alpine”
auslebt. auch Heinrich
schneider (links) aus dem
südtiroler sarntal kann sich
keine schönere Inspiration
vorstellen, als durch die
Wälder rund um sein restaurant
„Terra” zu streifen
Traveller‘s World 137
Blindtext
Wenn Andreas Döllerer nach Inspiration hungert, steuert er sein Auto Richtung
Bluntautal, um die Saiblinge zu besuchen. Er hält dann an einem Wanderweg nur
ein paar Kilometer von seinem Herd und läuft durch grüne Wälder, entlang der Torrener Ache und der Steilwände des Hohen Gölls, bis zu
den Seen, die dem Tal ihren Namen geben und an schönen Frühlingstagen smaragdgrün in der Sonne schimmern. Döllerers Ziel ist die über
400 Jahre alte Lerchenmühle, Produktionsstätte seines Mehls und Heimat der Saiblinge. Weil sie ihr Leben damit verbringen, im kalten,
klaren Wasser gegen die Strömung anzuschwimmen, wird ihr Fleisch straff und delikat.
Kaum ist der Koch angekommen, holt Sigi Schatteiner mit dem Köcher ein paar zappelnde Alpensaiblinge, Forellen und Huchen aus
den Wellen. Den Koch und den Züchter verbindet eine langjährige Freundschaft: „Mit Sigi und seinen Saiblingen hat alles begonnen“,
erinnert sich Döllerer. Schon 2008 hatte er sich entschieden, in seinem Restaurant ganz auf Meeresfische und -früchte zu verzichten, damals
ein radikaler Ansatz. „Steinbutt, Loup de Mer und Seezunge servierten alle Spitzenrestaurants“, weiß er noch. „Aber den Saibling aus dem
Bluntautal gab es nur bei uns.“ Die Qualität der Fische, die nur wenige Stunden, nachdem sie ihr quellfrisches, sauerstoffreiches Wasser
verlassen haben, bei seinen Gästen auf dem Teller liegen, hatte den Gastronomen überzeugt – Döllerers „Cuisine Alpine“ war geboren.
Abends serviert er seinen Gästen den Bluntautal-Saibling als echten Hingucker: Das rohe Filet liegt auf einem heißen Salzstein aus dem
ältesten Salzbergwerk Österreichs. Dort gart es ein paar Minuten und nimmt die Mineralien in sich auf, um schließlich mit roh marinierten
und geschmorten Chioggia-Rüben, Erdnusscreme und Erdnuss-Sesam-Crumble genossen zu werden. Und wer braucht Ceviche, wenn er
einen Bluntaulachs bekommen kann, der mit der Säure von Radieschensaft gebeizt wurde und mit eingelegten Gurken und Rettichen sowie
schwarzer Sesamcreme einen bildschönen Teller abgibt?
Dank solcher Kreationen gilt das „Döllerer“ als Vorposten der neo-alpinen Küche, die seit ein paar Jahren nicht nur in Österreich,
sondern auch in Südtirol und der Schweiz für Furore sorgt. Dabei geht es nicht etwa um Schnitzel, Käsespätzle und Knödel. Sondern um die
Idee einer gehobenen Alpenküche, die – ähnlich wie die nordische Küche – auf regionale Grundprodukte setzt und alte Küchentraditionen
neu interpretiert. Manchmal durchaus mit Augenzwinkern, wie Döllerers „Alpine Jakobsmuschel“ beweist. Was auf dem Teller aussieht
wie die Meeresfrucht, ist in Wirklichkeit eine Scheibe Ochsenmark vom Angusrind, im Ofen gegart und mit Dashi, Eigelbcreme und
Markmayonnaise als überraschendes Trompe-l’Œil in einer echten Muschelschale angerichtet. Mindestens ebenso verblüfft sein „Fenchel
Boden, ständiG
„Cook the mountain” lautet
das Motto von Norbert
Niederkofler (Zweiter von
rechts), der im südtiroler
Gadertal mit den Produkten
der alpinen Natur drei
sterne erkochte
138
Traveller‘s World
Blindtext taste
im Gletscherschliff“: Das Gemüse wird im Ofen in einem Salzteig gegart, der feinen Sand vom
Groß glockner enthält. Der Fenchel nimmt die mineralischen Aromen des Gesteins an, das der
Druck des Eises im Laufe der Jahrmillionen zu feinstem Mehl zermahlen hat.
Dass auch Wild eine tragende Rolle in Döllerers „Cuisine Alpine“ spielt – ob als Gamsbutterschnitzel
mit Steinpilzen und Ofenzwiebeln, als Rehherz mit Getreide und Eierschwammerln
oder als Hirschkalbsrücken mit geschmorten Schwarzwurzeln, Roter Zwiebelcreme und
Rouennaiser Sauce –, wundert nicht. Überraschender ist, dass im direkten Umkreis seines
Restaurants, zwischen schroffen Felshängen, grünen Wäldern und saftigen Wiesen, Kaviar
gedeiht. Aus der nahen Stadt pilgern die Salzburger zu Walter Grülls Fischhandlung mit
angeschlossenem Bistro im Dörfchen Grödig, um mit Blick auf den Untersberg zu einem Glas
Dom Pérignon eine noble, schwarzkörnige Jause einzunehmen. Grüll ist ein gut gelaunter
Besessener, die Störe sind sein Leben. Im Gebirgswasser seiner Zuchtteiche haben sie perfekte
Wachstumsbedingungen. Mindestens zehn Jahre, oft noch viel länger, brauchen die archaisch
wirkenden Fische bis zur Geschlechtsreife und damit zur Kandidatur als Lieferant für einen
Kaviar, um den sich Spitzenköche aus Österreich und Deutschland reißen.
Radikal regional: Der Prophet
der neuen Alpenküche verbannte
Meeresfische, Olivenöl und
Zitronen von seiner Speisekarte
Traveller‘s World 139
taste
„Ich bringe es eigentlich nur schwer übers Herz, einen meiner Störe zu schlachten“, sagt Grüll, als er mit einem gezielten Schnitt den
Bauch des eben dem Teich entnommenen Störweibchens öffnet und mit behandschuhten Händen die schwarze Pracht entnimmt. Grüll
salzt nur wenig, Borax oder andere Konservierungsmittel kommen ihm nicht ins Haus, sein Kaviar ist so naturbelassen wie möglich. Nach
drei Tagen, wenn das Salz in den Fischrogen eingebunden ist, erreicht er jene Höchststufe an Delikatesse, jenen buttrig-nussigen Schmelz,
nach dem Gourmets süchtig sind. Dann kommt er im Hause „Döllerer“ zum Einsatz, auf regionale Art, wie sonst? Zum Beispiel ganz
puristisch mit gestocktem Eigelb, Zwiebel und Crème fraîche, dazu gibt es statt Blinis österreichische Blattlkrapfen. „Das Rezept kommt
von der Oma“, sagt Döllerer, „und das ist kein Witz.“
Die kulinarischen Schätze vom Schweizer Wallis bis in die Steiermark und vom
bayrischen Chiemgau bis in die Südtiroler Dolomiten sind auch für den Schweizer
Foodscout, Autor und Filmemacher Dominik Flammer eine Herzensangelegenheit. Immer wieder entdeckte er fast vergessene Lebensmittel
für die Küche neu. Zum Beispiel Alpenrosen-Honig, eine Rarität, die auf Höhen von 1700 bis etwa 2000 Metern entsteht. Oder Parli, die
schon im 18. Jahrhundert in Graubünden angebaute älteste Schweizer Kartoffelsorte. Auch den Castelmagno findet man heute wieder auf
den Käsewägen ambitionierter Restaurants, einen bereits im 13. Jahrhundert nachgewiesenen blauschimmligen Rohmilchkäse aus dem
alpinen Hinterland der Provinz Cuneo im Piemont. Und oberbayerische Restaurants tischen heute wieder Fleisch der uralten Rasse
Murnau-Werdenfelser-Rind auf. Solche charakterstarken Lebensmittel inspirieren Köche im gesamten Alpenraum – Chefs wie Thorsten
Probost von der „Griggeler Stuba“ in Lech am Arlberg, Richard Rauch vom „Steirawirt“ in Trautmannsdorf, Hansjörg Ladurner von
„Scalottas Terroir“ in Lenzerheide oder Andreas Caminada im Bündner „Schloss Schauenstein“. Ihr Ziel: eine Hochküche der Alpen zu
definieren und ein Netzwerk von Bauern, Produzenten und Köchen im alpinen Raum zu weben.
Star der neo-alpinen Küche in der Schweiz ist der Caminada-Schüler Sven Wassmer, der bis vergangenen Sommer für sein Restaurant
„Silver“ im abgeschiedenen Graubündner Bergort Vals zwei Michelin-Sterne und 18 Gault & Millau-Punkte hielt. Mit seinen Köchen baute
er Wildkräuter von Almwiesen bis auf 1800 Metern Höhe, Valser Alp-Butter, Bergkäse und selbst Waldameisen in seine Menüs ein. Im Dorf
gezüchtete Pommernente servierte er mit Brennnesseln und Gutem Heinrich, einem wohlschmeckenden Kraut, das einst als Spinat der
steilVorlaGen
sven Wassmer kraxelt
schon mal auf 1800 Metern
herum, um seltene
alpenkräuter zu pflücken.
andreas döllerer fängt
den Geschmack des
Großglockners mit seinem
in mineralreichem
Gletschersand gebackenen
Fenchel ein (rechts)
140 Traveller‘s World
Ist das die
neue Route
auf den
Gipfel?
Moore
Einer der bekanntesten Food-Blogger an
in Paris
der Seine verrät neue Favoriten
Eigentlich hat er einen seriösen Job: Als Assistent des Chef-
Concierges im luxuriösen Mandarin Oriental Paris bekommt
Adrian Moore zwar jede Menge ausgefallene Gästewünsche
vorgetragen, aber reden darf er darüber nicht. Dafür betreibt
der eloquente Kanadier schon seit über zehn Jahren einen
höchst erfolgreichen Food-Blog (adrianmoore.blogspot.com),
in dem er sowohl seine gastronomische Neugierde befriedigen
als auch sein journalistisches Talent ausleben kann –
schließlich hat er mal Literatur studiert und wollte mit einem
großen Roman berühmt werden. Das klappte nicht, doch als
Blogger kommentiert er kenntnisreich und geschliffen die
Pariser Food-Szene, die großen Restaurants wie die kleinen
Eck-Bistros der französischen Kapitale. Hier sind seine aktuellen
Lieblingsadressen.
Girafe
Der Name ist ein bisschen merkwürdig für ein trendiges neues Fisch- und Muschelrestaurant. Aber das von Stardesigner Joseph
Dirand eingerichtete Esszimmer, eine schicke Interpretation des Designs der 1930er-Jahre, hat sich rasch zu einer der gefragtesten
Adressen der Saison gemausert. Auch, weil es von seiner winzigen Terrasse einen hochgereckten Blick auf den Eiffelturm erhascht.
1, place du Trocadéro, 16. Arr., +33.1.40 62 70 61, girafeparis.com
144 Traveller‘s World
Fotos: Dominique Maitre, adrien Dirand, Sebastien veronese, valerio Geraci, Pierre Monetta, Hervé Goluza
taste
Soen 1738
Paris’ bestes neues japanisches Teezimmer ist wohl auch sein diskretestes. Der
bescheidene Rückzugsraum neben dem Schwesterrestaurant, dem mit einem
Michelin-Stern bewerteten „Jin“, in einer winzigen Seitenstraße der Rue Saint-
Honoré bietet außergewöhnliche Sensha- und Matcha-Tees sowie eines der
bestgehüteten gastronomischen Geheimnisse der Stadt: eine kleine Auswahl
von Tagesgerichten, die ab 13 Uhr nur eine Handvoll Kenner erfreuen.
6, rue de la Sourdière, 1. Arr., T. 40 26 41 97, facebook.com/soenfrance/
l’Abysse
Der 225 Jahre alte Gourmettempel „Ledoyen“ mag ein überraschender
Ort für ein herausragendes, neues japanisches Restaurant sein. Aber genau
hierher hat Sternesammler Yannick Alléno seinen Kollegen Yasunari
Okazaki gelockt, einen gesuchten Sushi-Meister aus Tokio. Unter einer
atemberaubenden Installation des japanischen Künstlers Tadashi Kawamata
inszeniert der nun ebenso kunstvoll ultrafrische Nigiri-Sushi.
Pavillon Ledoyen, Carré des Champs-Élysées, 8, avenue Dutuit, 8. Arr.,
T. 53 05 10 00, yannick-alleno.com/en/abysse-sushi-bar.html
double dragon
Tatiana und Katia Levha vom „Le Servan“, einem umschwärmten New-
Wave-Bistro an der Seine, besinnen sich in ihrem Zweitlokal ihrer asiatischen
Wurzeln (auf den Philippinen geboren, in Thailand und Frankreich
aufgewachsen). Und siehe da: Tout Paris schwärmt von ihrer köstlich würzigen
Auswahl panasiatischer Komfortnahrung. Und der beeindruckenden
Auswahl seltener Naturweine.
52, rue Saint-Maur, 11. Arr., T. 71 32 41 95
ducasse sur Seine
Flussfahrten in Paris haben wir wegen der Touristenmassen mit Selfiestangen
immer gemieden. Bis jetzt. Bis der meistbesternte Koch der Welt,
Alain Ducasse, das erste vollelektrische Boot auf der Seine bauen ließ,
auf dem er nun täglich Mittag- und Abendessen sowie Snacks am Kai
serviert. Die Kombination aus dem vom Meister kreierten Menü und der
leisesten Kreuzfahrt, die man sich vorstellen kann, sorgt für ein unvergessliches
Erlebnis.
Porte Debilly, 16. Arr., T. 58 00 22 08, ducasse-seine.com
la Poule au Pot
Zwei-Sterne-Koch Jean-François Piege hat das ehrwürdige Luxus-Bistro –
Mick Jagger oder Johnny Hallyday waren Stammgäste – unweit des Louvre
übernommen. Die gute Nachricht: Er hat das seit den 70er-Jahren unangetastete
Interieur kaum verändert. Und zaubert daraus mit Klassikern wie
Hachis Parmentier und pochierter Steinbutt einen besonderen Ort für ein
stilvolles Abendessen.
9, rue Vauvilliers, 1. Arr., T. 42 36 32 96, lapouleaupot.com
taste
das Hoch im Norden
Berlin? München?
Baiersbronn? Vergessen
Sie’s. In der Bugwelle
von Elbphilharmonie
und HafenCity wurde
Hamburg zur neuen
kulinarischen Boomtown
– dank junger Talente,
radikaler Konzepte und
wegweisendem Design
Text PaTRiCia bRöhM
146 Traveller‘s World
Blindtext
aufBruchstimmunG
das dockland, ein Bürogebäude
am elbufer, steht ebenso für
das neue Hamburg wie Thomas
Imbuschs restaurant „100/200
Kitchen”, wo der Chef höchstpersönlich
vormacht, wie’s geht
Traveller‘s World
147
taste
elBGastronomie
Hier dreht sich alles um
den Herd: der maßgeschneiderte
Molteni ist
im „100/200 Kitchen”
Herzstück von Küche und
Konzept. Thomas Imbusch
verspricht „authentische
aromen und den rausch
schlichter Küche” – und
hält Wort mit Gerichten,
die zu Norddeutschland
ebenso stehen wie für das
neue Hamburg
148 Traveller‘s World
taste
andere Köche leisten sich einen Porsche, Thomas Imbusch bevorzugte
einen Molteni. Jahrelang sparte er für den Kultherd, nun
thront dieser auf einer Art Podest in der Mitte seines Restaurants
„100/200 Kitchen“. Maßgeschneidert aus massivem Messing,
jedes Stück handgeschliffen, 1100 Kilo schwer – ein Herd fürs
Leben. Die Technik hat sich nur unwesentlich geändert, seit der französische
Ofenbauer Joseph Molteni 1923 das Ur-Modell schuf. Über den Preis des
Arbeitsgeräts, das Paul Bocuse einmal den „Rolls-Royce der Küche“ nannte,
sagt der 31-Jährige nur so viel: „Viel zu teuer.“ Aber „für mich die Erfüllung
eines Kindheitstraums“, und es hat sicher etwas Meditativ-Rituelles, dass er
dessen Messingknöpfe jeden Abend höchstpersönlich poliert.
Wenn abends die ersten Gäste das großzügige Loft in einem denkmalgeschützten
Speicherhaus nahe den Elbbrücken betreten, ist die Küche im
Zentrum des Raumes erleuchtet, während sonst loungiges Halbdunkel
herrscht. Nur auf die einzelnen Tischen
fallen Lichtkegel, die Gäste sollen ja sehen,
was sie essen. Es dampft aus riesigen Töpfen,
die Köche hantieren mit Kupferpfannen,
befeuert ausschließlich mit Gas – der Molteni
ist nicht nur Schaustück, sondern auch
Konzept: Imbusch stellt das klassische
Handwerk wieder in den Mittelpunkt: „Der
gesamte gastronomische Prozess findet vor
den Augen der Gäste statt.“ Alles, was
serviert wird, ist zu 100 Prozent hausgemacht.
Gibt es zum Dessert Birnenbaiser,
dann wird eben eine Kiste Birnen gekauft
und entsaftet.
Die archaische Aura passt perfekt in die
raue, postindustrielle Landschaft an den
Elbbrücken. Durch die großen Fenster fällt
der Blick auf eine Eisenbahnbrücke und die
mondäne HafenCity, direkt gegenüber soll
ab 2021 der Elbtower entstehen, dann mit
235 Metern Höhe das höchste Gebäude der
Hansestadt, entworfen vom Londoner
Star-Architekten David Chipperfield.
Ham burg boomt. Seit der Eröffnung der lang
erwarteten Elb philharmonie erlebt es einen
Touristenstrom ohnegleichen. In der Bugwelle der jeden Abend ausgebuchten
„Elphie“ entstanden, vor allem in der HafenCity, jede Menge neue Restaurants.
„Das ist wie ein warmer Regen für die Hamburger Gastronomie“, sagt
Thomas Imbusch.
Und plötzlich sind die auch beim Restaurantbesuch traditionell eher
klassisch orientierten Hanseaten offen für kompromisslose Grenzgänger wie
Imbusch. Jakobsmuscheln? Müssen aus Schottland sein, handgetaucht,
lebend angeliefert. Wenn sie nicht eher zu haben sind, wartet er eben drei
Wochen darauf und schreibt dann spontan das Menü um. Rindfleisch?
Besteht nicht nur aus Filets, meint der Chef. Diese Philosophie duldet keine
klassische Speisekarte, deshalb wird im „100/200 Kitchen“ gegessen, was auf
den Tisch kommt. Er kauft das ganze, 1200 Kilo schwere Tier, und verarbeitet
wird alles, bis hin zu den 48 Kilo Lunge, die er als Haché mit klassischer Sauce
bordelaise serviert.
Heute Abend heißt das Motto „Wasser und Salz“: Die Regenbogenforelle
gibt es als ultrafrisches Tatar mit cremigem Molke-Sorbet und fruchtig-säuerlicher
Grapefruit-Vinaigrette sowie auf der Haut geröstet im Parmesan-Dill-
Sud, der Stör kommt mal ganz
norddeutsch mit Kartoffel, Rote Bete
und frittiertem Wirsing, mal pochiert
mit roh gehobelten Champignons und
Rauchaal-Schwarztee-Sauce. Das
passt zu Norddeutschland und damit
perfekt in das moderne Hamburg, wie
es sich drüben in Speicherstadt und
HafenCity präsentiert.
Wer sich als Gastronom hier
rechtzeitig Räume sicherte, bewies
Weitblick. Zum Beispiel Kirill Kinfelt,
der sich nach Jahren auf See in
sei nem „Trüffelschwein“ im Stadtteil
Genussmenschen
„Kinfelts Kitchen & Wine” (v. l. n. r.: Küchenchef Kirill Kinfelt,
sommelier Maximilian Wilm, designerin Katrin oeding; unten:
Blick ins lokal) bietet gehobene Bistroküche und jeden Tag
ein „dickes ding”: Glasweise gibt’s wechselnde Weine aus
der Magnumflasche
Traveller‘s World 149
taste
tischGesPräche
steife Gourmettempel?
so was
von gestern! Kevin
Fehling serviert
im „The Table” in
lockerer atmosphäre
hochelaborierte dreisterne-Kost
Winter hude schon einen Stern und 16 Gault & Millau-Punkte erkocht hatte,
bevor er im Herzen der HafenCity „Kinfelts Kitchen & Wine“ eröffnete. Oder
die Truppe vom „Bootshaus“, das sich am Kaiserkai als eine Art Wohnzimmer
für die urbane Nachbarschaft etabliert hat, die sich gerne ein Rinderfilet vom
Holzkohlegrill schmecken lässt. Zum Stadtgespräch avancierte auch die
letzten Sommer gegenüber der legendären „Oberhafenkantine“ eröffnete sehr
coole Kombi aus Restaurant und Gourmet-Markthalle des „Hobenköök“
(Plattdeutsch für Hafenküche).
Pionier im neuen It-Viertel aber war der vom Guide Michelin hochdekorierte
Kevin Fehling, der schon 2015, als die „Elphie“ noch die meistdiskutierte
Baustelle der Republik war, in der Shanghaiallee sein „The Table“ eröffnete,
Fine Dining als theatrale Inszenierung: Der gewundene Tisch, an dem pro
Abend nur 20 Gäste Platz finden (was
zu den oft zitierten monatelangen
Warteschlangen führt), bietet den
Blick in die offene Showküche, wo
Fehling und sein Team zu Beginn des
Abends kunstvolle Amuse-Bouches
anrichten: Mal dekonstruiert er einen
Labskaus, mal packt er die Aromen
einer Pizza Hawaii in ein Bun, mal
kredenzt er als „Japanisches Fischbrötchen“
Hamachi-Tatar im
Wasabi-Macaron. An Hamburgs
meistgehyptem Tisch wird pro
Abend nur ein Menü (sieben Gänge à
210 Euro) serviert, das fein austarierte
Geschmacksbilder à la
Limousin-Lamm mit Sanddorn,
exotischem Früchte-Chutney und
Tandoori-Hollandaise bietet.
Doch die Konkurrenz schläft
nicht. Neuerdings lockt die Boomtown
sogar Talente aus dem Ausland
an. Matteo Ferrantino gab seinen
sicheren Job in der renommierten
Zwei-Sterne-Küche von Dieter
Koschina an der Algarve auf, um sich
mit seinem „Bianc“ am Hamburger
Hafen in das Wagnis der Selbstständigkeit
zu stürzen. Allerdings mit
Netz und doppeltem Boden: Ein
langjähriger Stammgast in Portugal
ermöglichte ihm das eigene Restaurant.
Von außen wirkt das Gebäude,
ein Bürohaus mit schwarzer Front,
hanseatisch unterkühlt, doch innen
öffnet sich der Raum in südländischer
Leichtigkeit. Mittendrin
wächst ein Olivenbaum aus Ferrantinos
apulischem Heimatdorf, rundum
wirkt das Restaurant mit dem hellen
Steinboden und den runden Eichenholztischen
wie eine italienische
Piazza. Die Küche ist einsehbar und
in strahlendem Weiß gehalten –
„Bianc“ ist das apulische Wort für
Ferrantinos Lieblingsfarbe.
Es ist ein Fest der Mittelmeer-
Aromen, ein raffinierter Mix aus
apulischem Herzblut, portugiesischer
Sonne und spanischer
Avantgarde. Und natürlich besten
Produkten! Der butterzarte Thunfisch,
serviert mit fein abgestimmter
Avocado-Anchovis-Begleitung in
einem duftenden Basilikum-Sud,
stammt von der katalanischen
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Kultfischerei Balfegó. Der ultrafrische
Burrata kommt aus der Nähe
von Neapel, der Trüffel aus dem
Périgord und der Safran für die
seidige Creme mit Orangen, Pistazien
und Kardamom zum Dessert
aus Sizilien. Nur die innen flüssigen,
aus Kakaobutter nachgebildeten
Oliven (die Ferran Adrià im „El
Bullí“ vor über 20 Jahren erfand)
wollen nicht mehr so recht zünden.
Solche molekularen Gags hätte
Ferrantino nicht nötig, er bietet auch
so die spannendste mediterrane
Küche in ganz Norddeutschland.
hamburgs neuer Glanz als
Tourismusmagnet zeitigte
zuletzt auch spektakuläre
Hoteleröffnungen; noch in
diesem Frühjahr kommt mit den
Fraser Suites in der ehemaligen
Oberfinanzdirektion am Rödingsmarkt
ein weiteres Luxushotel dazu.
Und natürlich setzen auch die
Hoteliers auf den gastromischen
Boom. Im Tortue, einem aufwendig
restaurierten Prachtbau von 1899,
bietet die „Brasserie“ französische
Klassiker von der Bouillabaisse bis
zum Châteaubriand, ins panasiatische
„Jin Gui“ kommen die
Hamburger wegen der exzellenten
Sushi und Dim Sum.
Doch keine Neueröffnung sorgte
im vergangenen Jahr für so viel
Wirbel wie The Fontenay, das sich
nicht nur eine unbestrittene Prime
Location direkt an der Außenalster
sicherte, sondern mit seiner skulpturalen
Formgebung auch Designund
Architekturfans anlockt. Der
Grundriss besteht aus drei ineinanderfließenden
Kreisen; dank der
organischen Formen hat das Hotel
fokussiert
Mit mediterraner spitzenküche
begeistert der apulier
Matteo Ferrantino im „Bianc”
seine hanseatischen Gäste;
durch die Fenster blicken sie
auf die „elphie”
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