04.04.2019 Aufrufe

Berliner Kurier 03.04.2019

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

*<br />

POLITIK<br />

MEINE<br />

MEINUNG<br />

Von<br />

Markus<br />

Decker<br />

Auch die Kanzlerin<br />

braucht „Freiraum“<br />

Die Affäre um das<br />

Schmähgedicht von Jan<br />

Böhmermann auf den türkischen<br />

Präsidenten hatte monatelang<br />

Aufsehen erregt.<br />

Dafür sorgte das „Gedicht“<br />

selbst, das unter anderem die<br />

fragwürdige Vokabel „Ziegenficker“<br />

enthielt. Dafür<br />

sorgte vor allem, dass sich<br />

zwei Fragen überschnitten:<br />

Was darf Kunst? Und wie<br />

verhält man sich gegenüber<br />

dem Herrscher eines Landes,<br />

das für Deutschland ein zentraler<br />

Partner ist? Dass Böhmermann<br />

nun dieKanzlerin<br />

verklagt, sollte juristisch haltlos<br />

sein. Auf jeden Fall wird<br />

es der komplizierten Gemengelage,<br />

in der sich Merkel befindet,<br />

nicht gerecht.<br />

Es ist gewiss nachvollziehbar,<br />

dass Böhmermann sich über<br />

Merkel ärgert. Doch sie muss<br />

schließlichmanövrieren und<br />

auch mal Fehler machen können.<br />

Zudem hatte das Landgericht<br />

Hamburg Erdogans<br />

Beleidigungsklage gegen<br />

Böhmermann teilweise stattgegeben.<br />

Wir haben hier<br />

einen Satiriker, der für sich<br />

einen maximalenFreiraum<br />

beansprucht, während er<br />

einer politisch Verantwortlichen<br />

ihren viel geringeren<br />

Freiraum weiterbeschneiden<br />

will. Das passt nichtzusammen.<br />

MANN DESTAGES<br />

Ekrem Imamaglu<br />

Der nächste Bürgermeister<br />

von Istanbul –der 49-jährige<br />

Ekrem Imamaglu –ist kein<br />

Parteiideologe, sondern ein<br />

pragmatischer<br />

Lokalpolitiker.<br />

Vor allem<br />

ist der ehemalige<br />

Bezirksbürgermeister<br />

und<br />

CHP-Politiker<br />

erfolgreich,<br />

weil er gut<br />

integrieren kann –anders als<br />

Präsident Recep Tayyip Erdogan.<br />

Imamaglu steht für<br />

eine säkulare Republik und<br />

wirkt unbestechlich und bescheiden,<br />

aber trotzdem<br />

selbstbewusst.<br />

Foto: Lefteris Pitarakis/AP<br />

Foto: Henning Kaiser/dpa<br />

Böhmermann<br />

zerrt Merkel<br />

vorGericht<br />

Hintergrund: Die Äußerung der<br />

Kanzlerinüber das Erdogan-<br />

Schmähgedicht des Satirikers<br />

Jan Böhmermann geht juristisch<br />

gegen die Kanzlerin vor.<br />

Berlin – Satiriker verklagt<br />

Politikerin: TV-Entertainer<br />

Jan Böhmermann zerrt Kanzlerin<br />

Angela Merkel (CDU)<br />

vor Gericht. Hintergrund ist<br />

das Schmähgedicht Böhmermanns<br />

auf den türkischen Präsidenten<br />

Recep Tayyip Erdogan<br />

aus dem Jahr 2016. Die Regierungschefin<br />

hatte das Gedicht<br />

damals als „bewusst ehrverletzend“<br />

bezeichnet. Diese<br />

Bewertung stand ihr nicht zu,<br />

ist Böhmermanns Anwalt<br />

überzeugt. Experten räumen<br />

der Klage Chancen ein.<br />

Die Klage, die sich formal gegen<br />

das Kanzleramt richte, sei zweistufig,<br />

erläuterte ein Sprecher<br />

des Verwaltungsgerichts Berlin.<br />

Im Hauptantrag wolle Böhmermann<br />

der Kanzlerin untersagen<br />

lassen, öffentlich zu wiederholen,<br />

dass sein Schmähgedicht<br />

„bewusst ehrverletzend“ sei.<br />

Werde dieser Hauptantrag abgewiesen,<br />

wolle Böhmermann in<br />

einem Hilfsantrag feststellen<br />

lassen, dass die von Regierungssprecher<br />

Steffen Seibert vorgetragene<br />

Einschätzung Merkels<br />

rechtswidrig gewesen sei, erklärte<br />

der Sprecher weiter.<br />

Böhmermanns Anwalt Christian<br />

Schertz argumentiert laut<br />

„Tagesspiegel“: Die Äußerungen<br />

der Kanzlerin seien rechtswidrig<br />

gewesen, da Merkel für eine<br />

solche Einordnung nicht zuständig<br />

sei. Damals sei bereits ein<br />

Hättesie sich mit einer<br />

eigenen Beurteilung<br />

zurückhalten müssen?<br />

Bundeskanzlerin Angela<br />

Merkel (CDU).<br />

strafrechtliches Ermittlungsverfahren<br />

gegen Böhmermann wegen<br />

Beleidigung gelaufen. Die<br />

Kanzlerin habe sich als„höchste<br />

Vertreterin der Exekutive“ zu<br />

dieser Rechtslage geäußert und<br />

„damit erhebliche Folgen ausgelöst“.<br />

Merkel bezeichnete ihre<br />

Äußerung später als „Fehler“,<br />

hat sie aber bis heute nicht zurückgenommen.<br />

„Diese Entschuldigung Merkels<br />

heilt die Sache aus juristischer<br />

Sicht nicht“, erklärte Ma-<br />

Foto: Christophe Gateau/dpa<br />

rian Lamprecht, Fachanwalt für<br />

Verwaltungsrecht in Berlin, dem<br />

RedaktionsNetzwerk Deutschland<br />

(RND). „Die Chancen auf<br />

eine erfolgreiche Klage stehen<br />

nicht schlecht.“ Es gebe entsprechende<br />

Präzedenzfälle. Politiker<br />

hätten ein Recht darauf, Öffentlichkeitsarbeit<br />

zu betreiben,<br />

müssten dabei aber vorsichtig<br />

sein. „Es gilt das Neutralitätsgebot“,<br />

so der Jurist. Die Aussagen<br />

Merkels könnten unter anderem<br />

als rechtswidriger Angriff in die<br />

Kunstfreiheit verstanden werden.<br />

Sollte Böhmermann recht bekommen,<br />

hätte dies keine unmittelbaren<br />

Auswirkungen. Die<br />

Kanzlerin müsste keine öffentliche<br />

Abbitte leisten. Lamprecht:<br />

„Herr Böhmermann wäre aber<br />

künstlerisch ein Stück weit rehabilitiert.“<br />

Böhmermann hatte das Gedicht<br />

am 31. März 2016 im Rahmen<br />

eines sechsminütigen Bei-

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!