EGTA-Journal 04-2019
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Carlo Domeniconi<br />
ihn mit der geistigen Welt zu verbinden.<br />
Musik hat diese Kraft, diese Möglichkeit.<br />
Wenn ich z.B. ein Mendelssohn Violinkonzert<br />
höre, dann gibt es einen Vermittler,<br />
der mir diesen Weg in die Geistigkeit<br />
zeigt. Das kann ich natürlich mit einem<br />
Moreno-Torroba oder mit einem Castelnuovo-Tedesco<br />
Stück meistens nicht erleben,<br />
weil diese hohen geistigen Werte<br />
da einfach nicht drin sind.<br />
Die Gitarre hat natürlich ein riesiges<br />
Repertoire Problem, vollgestopft mit<br />
zweit -und drittklassigen Werken, die für<br />
das Instrument noch nicht mal hundertprozentig<br />
geeignet sind, eher das Gegenteil.<br />
Damit muss sich jeder Gitarrist<br />
abfinden. Er stellt sich ein Repertoire zusammen,<br />
sehr häufig mit eigenen Transkriptionen,<br />
die mit dem Original nicht<br />
konkurrieren können und höchstens<br />
den Unwissenden befriedigen.<br />
Deswegen ist es so, dass wir ein völlig<br />
neues Gitarrenbild entwickeln müssen.<br />
Die Gitarre ist in meinen Augen nicht<br />
für das erkannt worden, was sie wirklich<br />
kann. Ein bisschen wird sie forciert,<br />
Dinge zu tun, die sie eigentlich nicht<br />
kann. Ich habe versucht, das neulich in<br />
einem Vortrag vor Kollegen darzustellen.<br />
Aber es ist schwierig, wenn Musiker<br />
schon sehr weit mit der konventionellen<br />
Idee des klassischen Gitarrenrepertoires<br />
fortgeschritten sind und man ihnen das<br />
wegnimmt, was bleibt dann übrig?<br />
Es besteht das Problem des irregulären<br />
Transfers schon länger in der<br />
Gitarre, da nämlich die Komponisten,<br />
die die Gitarre mit ihren Werken<br />
wieder bekannt gemacht haben, sehr<br />
konservativ und eher romantisch waren.<br />
Ponce und Castelnuovo-Tedesco haben<br />
eine Musik geschrieben, die für das Instrument<br />
nicht besonders adäquat war,<br />
die aber gleichzeitig Segovias Ruhm mit<br />
begründet hat. Auf der Gitarre haben wir<br />
eigentlich eine verkorkste Technik von<br />
Pianisten angenommen, die das Instrument<br />
nicht kannten.<br />
Ja. Außerdem haben sich die Dinge, die<br />
die Gitarre einzigartig machen, nicht besonders<br />
entwickelt. Kaum ein Gitarrist<br />
kennt sich mit Obertönen aus, keiner<br />
kennt sich damit, welche Töne rauskommen,<br />
wenn man links von der gegriffenen<br />
Hand spielt. Einerseits wird einfach<br />
nicht genug geforscht. Andererseits<br />
zwingen dich die zeitgenössischen Komponisten,<br />
Dinge zu tun, ohne zu wissen,<br />
ob es geht und was dabei herauskommt.<br />
Das nennt man „experimentell“, aber was<br />
das Instrument von Natur aus hergibt,<br />
wird nicht erforscht. Die Gitarre ist ein<br />
vollständiges Klanginstrumentarium,<br />
wogegen man entweder kämpfen oder<br />
mitgehen kann.<br />
Die Gitarre ist wirklich ein sehr farbenreiches<br />
Instrument, das kann man nicht<br />
anders sagen: Vom Bartok-Pizzicato bis<br />
zu anderen Pizzicato-formen, abgestuft<br />
und in -zig Farben. Es ist<br />
auch ein Unding, dass wir<br />
einfach nur e i n Pizzicato<br />
kennen, welches wir „Pizzicato“<br />
nennen, was ein schlechtes<br />
Wort ist, weil es nichts anderes<br />
bedeutet, als das, was wir die ganze<br />
Zeit tun, wir „zupfen“ die Saiten.<br />
Das französische „Étouffée“ ist da<br />
schon besser. Dieses „Pizzicato“<br />
kommt von der Geige und<br />
wenn man das auf der Geige<br />
macht, dann ist es auch „gezupft“.<br />
Aber auf der Gitarre<br />
funktioniert das nicht<br />
so. Auch das haben wir<br />
einfach blind übernommen.<br />
Geschweige denn,<br />
dass man sagen könnte:<br />
„Ich kenne mindestens drei<br />
verschiedene Formen von<br />
„Pizzicato“; eine, wo der Ton<br />
noch fast da ist, aber die Hand ein<br />
bisschen die Obertöne dämpft, dann<br />
die Mitte davon und zum Schluss die, bei<br />
der der Ton fast weg ist.“ Das wäre überhaupt<br />
kein Problem, drei Bezeichnungen<br />
zu geben. Aber keiner hat davon<br />
Ahnung, weil keiner auf den Klang des<br />
Instrumentes achtet, wenn er für Gitarre<br />
solo schreibt. Stattdessen sind die Partituren<br />
voll mit Sonderbezeichnungen,<br />
die von jedem Komponisten einzeln benutzt<br />
werden und dem Instrumentalisten<br />
nichts bedeuten.<br />
Fernando Sor op. 11, Nr. 10<br />
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