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Berliner Kurier 07.04.2019

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14 JOURNAL BERLINER KURIER, Sonntag, 7. April 2019<br />

Als Matthias<br />

Paul wurde Paul<br />

vanDyk 1971 in<br />

Eisenhüttenstadt<br />

geboren. Er wuchs<br />

in Ost-Berlin auf.<br />

Eine Woche vordem<br />

Mauerfall reisten er<br />

und seine Mutter<br />

nach Hamburgaus.<br />

ner Seite zu haben. Gibt es<br />

denn etwas, das Krankenhäuser<br />

tun können, um den Genesungsprozess<br />

zu verbessern?<br />

Es ist dieses Lächeln. Als ich<br />

nach mehreren Wochen hier in<br />

Berlin ankam, war ich noch immer<br />

ziemlich kaputt da oben,<br />

deshalb habe ich auch kaum eine<br />

Erinnerung daran. Woran<br />

ich mich aber erinnere, ist, dass<br />

alle Leute mich freudig begrüßt<br />

haben: He, da kommste! Haben<br />

gelächelt und waren einfach<br />

positiv. Ich hatte das Gefühl:<br />

Jetzt wird alles gut, hier wird<br />

mir geholfen. Das sind ja Kleinigkeiten,<br />

aber die machen einen<br />

Riesenunterschied, der<br />

nachwirkt. Das ist das, was dir<br />

Kraft gibt. Man schaukelt wie<br />

auf einem unendlichen Ozean,<br />

eine Welle nach der anderen<br />

bricht über einen herein. So ein<br />

kleiner Fingerzeig hilft einem,<br />

auf etwas hinzusteuern.<br />

Sie waren in der Humboldtmühle,<br />

eine Rehaklinik am<br />

Tegeler See.<br />

Ja, eigentlich sind sie dort<br />

spezialisiert auf Schlaganfälle,<br />

viele Patienten aus dem Unfallklinikum<br />

Marzahn kommen<br />

dorthin. Das ist keine abgehobene<br />

Privatklinik, klar gibt es<br />

da auch viele Privatpatienten.<br />

Aber egal, wer da war, ob das<br />

die 80-jährige Oma war, die<br />

versuchte, nach einem Schlaganfall<br />

zurück ins Leben zu finden,<br />

oder ob ich das war. Es<br />

wurde immer geschaut: Was<br />

können wir machen, um diesem<br />

Menschen jetzt zu helfen? Da<br />

habe ich größte Dankbarkeit.<br />

Warum haben Sie sich dazu<br />

entschieden, dieses Buch zu<br />

schreiben?<br />

Wir haben am Anfang gar<br />

nicht nach außen kommuniziert,<br />

ich war ja gar nicht in der<br />

Lage, einen Gedanken zu fassen.<br />

Dann kam eine große deutsche<br />

Tageszeitung, die sagte:<br />

Wir machen die Story sowieso,<br />

sag doch lieber was. Also habe<br />

ich mich dazu geäußert und<br />

war bei Markus Lanz, weil ich<br />

wusste, dass man da nicht vorgeführt<br />

wird. Dort hat mich jemand<br />

vom Verlag gesehen, der<br />

Es geht darum,<br />

eine positive<br />

Geschichte<br />

zu erzählen.<br />

hat zu mir gesagt: Wenn man in<br />

so einer Situation wie du bist<br />

und googelt, weil man versucht,<br />

Hoffnung zu finden, dann ist da<br />

nichts. Die Storys über Hirnschäden,<br />

die man im Internet<br />

findet, sind alle schlimm.<br />

Siehe Michael Schumacher.<br />

Ja. Und die Erfahrung hat<br />

auch Margarita gemacht, meine<br />

Frau. Am Anfang war das Buch<br />

eine lose Idee. Ein großes Prob-<br />

Meine<br />

Identität<br />

ist ein<br />

Mischmasch.<br />

Nach seinem Sturz<br />

lag Paul vanDyk<br />

ein paar Tage im<br />

Koma. Seine Frau<br />

Margarita(Foto<br />

unten) hielt seine<br />

Hand sang ihm<br />

Lieder vor.<br />

lem war ja, dass ich an die ersten<br />

vier Monate nur sporadische<br />

Erinnerungen habe, es war<br />

also auch notwendig zu „recherchieren“<br />

.Dawar natürlich<br />

Margarita die, die am nächsten<br />

dran war.<br />

Sie erzählt große Teile des<br />

Buches.<br />

Ja, ihre Erfahrung war wichtig.<br />

Es ging darum, eine positive<br />

Geschichte zu erzählen. Wobei<br />

ich mich immer vor diesem<br />

Wort sträube. Es ist ja keine Geschichte,<br />

es ist unser Leben.<br />

Nach einem Auftritt im Frühstücksfernsehen<br />

hat mir eine<br />

junge Frau geschrieben, die<br />

auch einen Unfall hatte: Wenn<br />

der Paul das kann, kann ich das<br />

auch. Wenn meine Geschichte<br />

nur einer Person hilft, hat sich<br />

das schon gelohnt.<br />

Was hat Ihnen Kraft gegeben?<br />

The power of love. Das klingt<br />

so platt, aber es ist unglaublich,<br />

welche Energie man selbst aufbringen<br />

kann, wenn man einen<br />

Grund hat; auch diese Stärke,<br />

mit der Margarita mich aus diesem<br />

tiefen Loch geführt hat, das<br />

ist sehr besonders. Dann die<br />

Pfleger, Krankenschwestern,<br />

Therapeuten, Ärzte, die mir nie<br />

das Gefühl gegeben haben,<br />

Spritze rein und fertig, sondern,<br />

die tun alles irgendwie Mögliche.<br />

Da war für mich klar:<br />

Wenn die sich alle so den Arsch<br />

aufreißen, bin ich jetzt nicht<br />

derjenige, der sich hängen lässt.<br />

Sie schreiben in Ihrem Buch<br />

über Ihre Kindheit in Eisenhüttenstadt<br />

und Ost-Berlin,<br />

über Ihre Anfänge als DJ.<br />

Warum war das wichtig?<br />

Die Musik, meine Ost-West-<br />

Vergangenheit, das spielt alles<br />

mit rein, beeinflusst, wer ich<br />

bin. Und erklärt, warum mir<br />

manche Sachen wichtig sind<br />

und andere nicht. Nur vier Monate<br />

nach dem Unfall stand ich<br />

wieder auf der Bühne und habe<br />

Musik gemacht. Das war enorm<br />

wichtig für mich, zu sagen: Ich<br />

will hier raus! Ich will wieder<br />

Musik machen! Das ist meine<br />

Passion! Und um das zu erklären,<br />

musste ich schreiben, wo<br />

ich herkomme, wo ich mit Musik<br />

in Berührung gekommen<br />

bin.<br />

Aus Ihrem Büro in den Treptowers<br />

gleich da drüben fällt<br />

Ihr Blick heute auf Ihre Schule,<br />

auf das Haus, in dem in den<br />

90ern das UFO war, einer<br />

dieser legendären <strong>Berliner</strong><br />

Clubs. Wie sehen Sie Ihre<br />

Herkunft heute?<br />

Ich bin niemand, der in Erinnerungen<br />

schwelgt, ich sehe<br />

eher die Veränderungen und<br />

die Möglichkeiten, die die Stadt<br />

hat. Auf der anderen Seite muss<br />

man die politischen Defizite<br />

einräumen, die wir zurzeit<br />

haben. Es wird offensichtlich<br />

nichts umgesetzt von dem, was<br />

wir <strong>Berliner</strong> bräuchten. Wenn<br />

man sich überlegt, dass es fünfzehn<br />

Jahre dauert, bis die Elsenbrücke<br />

da unten repariert<br />

ist, fasst man sich an den Kopf!<br />

Ganz zu schweigen von dem<br />

Flughafen, für den Sie schon<br />

den Klingelton für die Durchsagen<br />

komponiert hatten …<br />

Beides hat noch mal eine andere<br />

Dynamik. Beim BER geht<br />

es ja um internationale Ausschreibungen,<br />

das ist ein komplexes<br />

Ding. Aber eine Brücke<br />

zu reparieren, die einfach kaputt<br />

ist? Nicht zu vergessen,<br />

dass der Anschluss an die A100<br />

in zwei Jahren fertig ist. Das<br />

heißt, die kommen alle hier an<br />

und dann nicht weiter. Da fragt<br />

man sich: Was machen unsere<br />

Politiker hier eigentlich?<br />

Was ist denn übrig von Ihrer<br />

Ost-Identität?<br />

Ich glaube, dass sich so eine<br />

Identität aus den Erfahrungen<br />

speist, die man gemacht hat. Jemand,<br />

der sein Leben in Brandenburg<br />

verbracht hat, bekommt<br />

seine Identität eher daher.<br />

Mein Leben ist global, deshalb<br />

ist meine Identität ein<br />

Mischmasch aus allem Möglichen.<br />

Ich weiß gar nicht, ob ich<br />

so besondere Ossi-Sachen an<br />

mir habe.<br />

Sie sind Atheist.<br />

Etwas, was bestimmt mit meiner<br />

Herkunft zu tun hat, ist,<br />

dass ich eine sehr puristische<br />

Beziehung zur Musik habe. Als<br />

ich mit Musik, die mir etwas bedeutet,<br />

in Kontakt gekommen<br />

bin, da wusste ich weder, wie<br />

die Leute aussehen, noch habe<br />

ich verstanden, was die da singen.<br />

Ich war einfach nur ein<br />

Fan von dem Audiofile. Dieses<br />

Verhältnis habe ich mir bewahrt.<br />

Das ganze Brimborium,<br />

das manche heute veranstalten,<br />

ist mir total wurst. Wenn etwas<br />

gut ist, ist es gut, wenn etwas<br />

scheiße ist, ist es scheiße. So bin<br />

ich groß geworden.<br />

Verfolgen Sie die Ost-West-<br />

Debatten, die jetzt besonders<br />

im 30. Jubiläumsjahr des<br />

Mauerfalls geführt werden?<br />

Ja, ich verfolge aufmerksam,<br />

was in unserem Land passiert.<br />

Vor allem aber auch, was nicht<br />

passiert. Das Problem ist: Der<br />

Brandenburger ist anders als<br />

der Bayer, der Hesse anders als<br />

der Sachse. Das hat mit der lokalen<br />

Identität zu tun. Auf der<br />

anderen Seite ist die Welt heute<br />

so offen, dass wir alle Bürger eines<br />

Planeten sind, so sehe ich<br />

uns.<br />

Was passiert denn nicht in<br />

unserem Land?<br />

Wenn ich Politiker wäre und<br />

ich sehe, da ist eine Brücke kaputt,<br />

über die jeden Tag 55000<br />

Leute fahren, dann finde ich so<br />

schnell wie möglich einen Weg,<br />

dieses Problem gut zu lösen –<br />

und sitze da nicht ideologisch<br />

verbrämt und sage: Aber Fahrräder<br />

sind doch viel besser.<br />

Sie sehen Ihre Aufgabe als<br />

Künstler nicht nur darin,<br />

Leute zu bespaßen, sondern

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