BLICKWECHSEL 2019
Journal für deutsche Kultur und Geschichte im östlichen Europa. Ausgabe 7 mit dem Schwerpunktthema »Grenzenlos regional. Landschaft und Identität im östlichen Europa«
Journal für deutsche Kultur und Geschichte im östlichen Europa. Ausgabe 7 mit dem Schwerpunktthema »Grenzenlos regional. Landschaft und Identität im östlichen Europa«
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Ausgabe 7 • <strong>2019</strong><br />
<strong>BLICKWECHSEL</strong><br />
MENSCHEN<br />
23<br />
regio nal<br />
grenzenlos<br />
TYPISCH SCHLESISCH!?<br />
Regionalbewusstsein und Identität in einer deutsch-polnischen Wanderausstellung<br />
Zwischen persönlich geprägten Heimatgefühlen und eher<br />
abstraktem Nationalstolz bezieht sich das Regionalbewusstsein<br />
auf ein klar begrenztes Territorium und die dort<br />
lebenden oder von dort stammenden Menschen. Als Identifikationsmerkmale<br />
können Sprache, Brauchtum, Mythen,<br />
administrative Strukturen, Landschaften oder historische<br />
Ereignisse dienen. Doch müssen nicht alle diese Faktoren für<br />
jeden eine Rolle spielen. Stellt man heute die Frage nach der<br />
regionalen Identität Schlesiens, zeigt sich dies sehr deutlich.<br />
Eine räumliche Grenze lässt sich weder anhand landschaftlicher<br />
Gegebenheiten noch aufgrund politischer und<br />
kultureller Entwicklungen eindeutig ziehen. Schlesien war<br />
Schnittpunkt mehrerer Kulturen und häufig Schauplatz kriegerischer<br />
Auseinandersetzungen. Mehrfache Grenzverschiebungen<br />
und Herrschaftswechsel haben das Verhältnis der<br />
dort lebenden Menschen zur Region stets beeinflusst. Heute<br />
ist die Region Schlesien auf vier polnische Woiwodschaften,<br />
Tschechien und Sachsen verteilt. Zudem leben, bedingt<br />
durch Flucht und Vertreibung, in Deutschland und weltweit<br />
verteilt Menschen, die sich der Region zugehörig fühlen,<br />
jedoch eine sehr heterogene Sichtweise auf sie haben.<br />
Die folgenden Zitate sind der deutsch-polnischen Wanderausstellung<br />
Typisch schlesisch!? Regionalbewusstsein und<br />
schlesische Identitäten von HAUS SCHLESIEN entnommen.<br />
Sie zeigt auf, wie vielfältig sich das Zugehörigkeitsgefühl<br />
äußern und wie unterschiedlich das persönliche Empfinden<br />
sein kann. Zu Wort kommen vor allem polnische Museumsfachleute,<br />
die sich mit der Region auseinandersetzen. Was<br />
sie alle verbindet? Sie fühlen sich als Schlesier.<br />
Silke Findeisen<br />
Silke Findeisen ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am HAUS SCHLESIEN<br />
in Königswinter-Heisterbacherrott ( S. 56–58).<br />
: Aktuelle Informationen unter www.hausschlesien.de<br />
»In Niederschlesien entstand nach dem Krieg<br />
das Bedürfnis, die kulturelle Identität neu zu<br />
definieren, was zur Bildung der vorherrschenden<br />
Haltung, die kulturellen Unterschiedlichkeiten<br />
zu akzeptieren, geführt hat. […] Um das zu erreichen,<br />
musste eine mühsame, langjährige gesellschaftliche<br />
Identifikation mit dem zu bewertenden Erbe stattfinden.«<br />
Henryk Dumin, Hirschberg/Jelenia Góra<br />
»Als ein Gebiet, das unter die Regentschaft<br />
von verschiedenen aufeinander folgenden<br />
Staaten fiel und wo sich mehrere kulturelle<br />
Einflüsse kreuzten, wurde Oberschlesien zu<br />
einem Land von Menschen, die sich vor allem mit ihrer Heimat<br />
verbunden fühlten. Die unanfechtbaren ›Stützen‹ der<br />
Identität der Oberschlesier waren und sind Familie, Arbeit,<br />
Gewissenhaftigkeit und Glaube.«<br />
Łucja Staniczek, Schwientochlowitz/Świętochłowice<br />
»Das Schlesiertum [ist] immer noch u. a. an<br />
den Architekturdenkmälern oder – ganz allgemein<br />
– am Erbe und der Kulturlandschaft<br />
sichtbar. Die Widerspiegelung der unterschiedlichen<br />
Verbundenheit der Städte und Kreise des heutigen<br />
Lebuser Landes zeigt sich in ihren Wappen. Ein offensichtliches<br />
Zeichen, das auf die Verbindung der Städte der<br />
Woiwodschaft Lebus mit Schlesien hinweist, ist der schwarze<br />
Adler […] – im Gegensatz zum roten Brandenburger Adler.«<br />
Dr. Anitta Maksymowicz, Grünberg/Zielona Góra<br />
»Es ist nicht leicht, kurz und ganzheitlich<br />
einen Schlesier zu definieren. Einen Autochthonen,<br />
einen Nachkommen der Zuwanderer<br />
und einen Emigranten mit schlesischen Wurzeln<br />
kann vieles voneinander trennen: nationale Zugehörigkeit,<br />
Traditionen oder Erfahrungen der Vorfahren, doch verbindet<br />
sie ein Lokalpatriotismus, die Bindung an die Region<br />
und die Sorge um sie, Respekt vor der Geschichte und dem<br />
Kulturerbe Schlesiens sowie Achtung für seine Bewohner.«<br />
Wojciech Dominiak, Neustadt/Prudnik<br />
»Das Teschener Schlesien war einmal Teil der<br />
Habsburger Monarchie. Neben Mundart und<br />
Volkstrachten erlaubt die Erinnerung daran<br />
den Bewohnern dieser Region, ihre Andersartigkeit<br />
den Schlesiern aus Preußisch-Schlesien gegenüber<br />
zu empfinden.«<br />
Dr. Grzegorz Studnicki, Teschen/Cieszyn<br />
»Gemeinsamkeiten, ja, so etwas wie Zusammengehörigkeit<br />
haben die Schlesier (Nieder-,<br />
Mittel- oder Ober-) erst im Exil entwickelt,<br />
also als sie sich entheimatet, im Westen<br />
wiederfanden.«<br />
Horst Bienek, geb. 1930 in Gleiwitz/Gliwice<br />
Illustrationen: Details schlesischer Trachten aus der Ausstellung<br />
Typisch schlesisch!?, im Hintergrund das Ausstellungsplakat