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BLICKWECHSEL 2019

Journal für deutsche Kultur und Geschichte im östlichen Europa. Ausgabe 7 mit dem Schwerpunktthema »Grenzenlos regional. Landschaft und Identität im östlichen Europa«

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»WO SICH IHRE SPUREN VERLIEREN ...«<br />

Zu Leben und Tod der böhmischen Jüdin Klara Beck (1904–1942)<br />

Klara Beck, genau gesagt Klara Franziska Beck, geboren<br />

am 14. November 1904 in Pilsen/Plzeň, gestorben irgendwann<br />

Anfang 1942 irgendwo bei Riga, vielleicht im Wald<br />

von Bickern/Biķernieki, wo 5 000 Granitblöcke an 20 000<br />

hier verscharrte deutsche, österreichische und tschechische<br />

Juden erinnern.<br />

Ich habe Klara Beck 73 Jahre nach ihrem Tod kennengelernt.<br />

2015 verbrachte ich, vom Deutschen Kulturforum<br />

östliches Europa zur Stadtschreiberin gekürt, fünf Monate<br />

in Pilsen, der damaligen Europäischen Kulturhauptstadt. Bei<br />

einer Sightseeing-Tour durch die von Adolf Loos modernisierten<br />

Interieurs erfuhr ich von Klaras tragischem Schicksal.<br />

Als Pilsen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts<br />

dank der Industrialisierung einen außerordentlichen wirtschaftlichen<br />

Aufschwung erlebt hatte, waren Juden aus der<br />

Provinz auf der Suche nach Wohlstand zugezogen. Sie handelten<br />

mit Holz und Kohle, Wolle und Kristallarbeiten, Wurstwaren<br />

und Getreide, produzierten Lederwaren und chemische<br />

Produkte. »Auch Maschendraht und Stacheldraht.<br />

Und gerade dieser Stacheldraht, dem sie ihren Reichtum<br />

verdankten, sollte sie einige Jahrzehnte später von der Welt<br />

ihrer Kunden trennen, sollte sie in die Welt des Todes eingittern«,<br />

schreibe ich in<br />

meinem auf Italienisch<br />

verfassten,<br />

2018 erschienenen Buch Le<br />

scarpe di Klara. Storia di una<br />

ebrea boema (»Klaras Schuhe.<br />

Geschichte einer böhmischen<br />

Jüdin«, eine deutsche Ausgabe ist<br />

in Vorbereitung).<br />

Klara Beck, eine Tochter des böhmischen Industriellen<br />

Otto Beck (1870–1936) und seiner Frau Olga, geborene Feigl<br />

(1879–1942?), verbringt Kindheit und Jugend im gesicherten<br />

Ambiente der jüdischen Upperclass. In den 1920er Jahren<br />

studiert sie Fotografie in Wien. In der Donaustadt lernt sie<br />

Adolf Loos kennen, den 34 Jahre älteren Brünner Architekten.<br />

Sie heiraten im Juli 1929. Das Leben mit dem genialen,<br />

jähzornigen Loos ist nicht leicht. Sie trennen sich zwei<br />

Jahre später.<br />

Auch nach der Scheidung behält Klara, die sich nun Claire<br />

Beck-Loos nennt, ihren gehobenen Lebensstil bei. Bis Hitler<br />

zuerst die deutschsprachigen Gebiete, wenig später den<br />

gesamten tschechischen Teil der Tschechoslowakischen<br />

Republik besetzt und 1939 das »Protektorat Böhmen und<br />

Mähren« proklamiert, wo dieselben Gesetze gelten wie im<br />

Großdeutschen Reich. Auch die Rassengesetze.<br />

Klara und Olga gehen nach Prag, und gemeinsam nehmen<br />

die beiden Jüdinnen die allmähliche Verarmung und Ausgrenzung<br />

hin. Nichts ist ihnen mehr erlaubt, sie halten sich<br />

mit Putzarbeiten, mit dem Backen und Kochen für andere<br />

Familien, mit dem Herstellen von Ledertaschen und Gürteln<br />

leidlich über Wasser. Die eleganten, von Adolf Loos gestylten<br />

Pilsener Wohnungen sind nur noch eine blasse Erinnerung.<br />

Sie leben zur Untermiete bei Fremden, teilen ein Zimmer,<br />

in Unter-Untermiete, mit anderen Personen.<br />

Während ihre Mutter Olga (vorerst) in Prag zurückbleibt,<br />

wird die 37-jährige Klara, nunmehr rechtlos, am 10. Dezember<br />

1941 als Nummer 824 von Prag nach Theresienstadt<br />

deportiert, als Nummer 785 kommt sie Mitte Januar 1942<br />

von Theresienstadt nach Riga in Lettland. »Wo sich ihre Spuren<br />

verlieren« – diese Auskunft bekam ich vom Jüdischen<br />

Museum in Prag, das ich um genauere Angaben zu Klaras<br />

Deportation und Tod gebeten hatte.<br />

Wolftraud de Concini<br />

Wolftraud de Concini (* 1940 in Trautenau/Trutnov) ist in Italien als Schriftstellerin<br />

und Fotografin tätig.<br />

Claire Beck-Loos: Selbstporträt, Ende der 1920er Jahre,<br />

Quelle: Wikipedia<br />

Otilie Šuterová-Demelová (* 1940): Pilsen, Große Synagoge, 2017<br />

(Illustration aus Le scarpe di Klara. Storia di una ebrea boema)

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