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14 BERLIN BERLINER KURIER, Mittwoch, 10. April 2019<br />
Oben: Alexander Storch (78) ist seit<br />
Jahren Stammgast.Unten: Klawonn<br />
mit der Kündigung, die sie Ende März<br />
in ihrem Briefkasten fand.<br />
Wirtin Jacqueline<br />
Klawonn und ihreGäste<br />
sind geschockt –ihre<br />
Kneipe „Zum Biermichel“<br />
soll schließen.<br />
Und wieder schließt eine Eckkneipe<br />
Die traurige Thekevon Mitte<br />
Die Stampe „Zum Biermichel“ ist die<br />
Von<br />
FLORIAN THALMANN<br />
Mitte – Früher hieß es in Berlin:<br />
Eine Kreuzung, vier<br />
Ecken, vier Kneipen. Dass die<br />
Zeiten vorbei sind, bedauern<br />
viele –nun steht die nächste<br />
Stampe vor dem Aus. Wirtin<br />
Jacqueline Klawonn (52) flatterte<br />
nach 28 Jahren die Kündigung<br />
für ihr Lokal „Zum<br />
Biermichel“ zu. Nicht nur ihre<br />
Existenz steht auf dem<br />
Spiel –sondern auch ein geliebter<br />
Kiez-Treffpunkt.<br />
Manchmal braucht es nur wenige<br />
Worte, damit sich ein ganzer<br />
Lebenstraum in Luft auflöst.<br />
Im Fall von Jacqueline<br />
Klawonn sind es die folgenden:<br />
„Kündigung des Mietvertrages“.<br />
So steht es auf dem Schreiben,<br />
das der Wirtin Ende März<br />
ins Haus flatterte. „Ich kann das<br />
noch nicht glauben“, sagt sie<br />
dem KURIER. „Der Laden ist<br />
mein Baby –und gleichzeitig<br />
die letzte richtig alte Institution,<br />
die es hier im Kiez gibt.“<br />
Klawonn hat das Lokal mit eigenem<br />
Geld und eigener Kraft<br />
aufgebaut. Sie kam aus der Gastronomie,<br />
arbeitete vor der<br />
Wende in HO-Gaststätten am<br />
Alexanderplatz. „Aber ich wollte<br />
immer eine eigene Kneipe<br />
haben. Als ich nach der Wende<br />
den Raum bekam, griff ich zu.“<br />
150000 D-Mark steckte sie damals<br />
in die Räume, baute sich<br />
damit die eigene Existenz auf.<br />
„Wir hatten viele Feiern –und<br />
die Stammgäste kommen immer<br />
wieder. Die Alten sind gestorben,<br />
junge rücken nach. Die<br />
freuen sich, dass es noch so was<br />
gibt.“ Denn viele alte Geschäfte<br />
sind bereits verschwunden.<br />
„Natürlich geht es um meine<br />
Existenz. Aber ich bin traurig,<br />
weil den Leuten, die hier leben,<br />
letzte Alt-<strong>Berliner</strong> BastionimKiez um die Brunnenstraße–jetzt kam dieKündigung<br />
Foto: Andreas Klug, zVg/Schultheiss<br />
ihr Wohnzimmer weggenommen<br />
wird.“ Heidi Zielke (60)<br />
kommt regelmäßig her, seit ihr<br />
Mann verstarb. „Ich habe tolle<br />
Leute kennengelernt. Wo die<br />
hinsollen, wenn es die Kneipe<br />
nicht gibt, weiß ich nicht. Die<br />
anderen Läden sind so teuer,<br />
das kann sich kein Mensch leisten!“<br />
Auch Alexander Storch<br />
(78) ist seit Jahren Gast. „Dass<br />
Jacqueline Klawonn ist derzeit überall in Berlin zu sehen –als Motiv einer<br />
Plakat-Kampagne vonSchultheisszur Rettung der Kiez-Kneipen.<br />
der Laden schließen soll, ist eine<br />
Schweinerei. Das ist ’ne richtige<br />
Kneipe. Wir brauchen kein<br />
Latte-Macchiato-Trallalla.“<br />
Klawonn hat den Mietvertrag<br />
seit 1990, immer wurde er verlängert.<br />
Nun die Kündigung –<br />
wegen Sanierungsmaßnahmen,<br />
heißt es im Schreiben. „Ich habe<br />
gehört, dass das Haus zum<br />
Verkauf steht –eswird also vermutlich<br />
nicht nur mich treffen,<br />
sondern auch andere Mieter.“<br />
Sie haben versucht, Kontakt<br />
zum Eigentümer aufzunehmen,<br />
doch die Hausverwaltung sei<br />
auf die Bitte nicht eingegangen.<br />
Von dem Unternehmen heißt<br />
es auf KURIER-Nachfrage, die<br />
Eigentümer hätten das Gespräch<br />
gesucht. Man könne die<br />
Fragen des KURIER erst nach<br />
einem Gespräch beantworten.<br />
Klawonn will nun den Rechtsweg<br />
gehen, um die Kündigung<br />
zu vermeiden, damit sie ihre<br />
Kneipe nicht zum 30. September<br />
schließen muss. „Der Laden<br />
ist mein Leben“, sagt Klawonn.<br />
„Mit 53 kann ich nicht noch mal<br />
neu beginnen.“ Besonders bitter:<br />
Auch wer noch nie in ihrer<br />
Kneipe war, dürfte Jacqueline<br />
Klawonn kennen. Seit Wochen<br />
prangt ihr Gesicht auf Plakaten,<br />
die überall hängen. Für eine<br />
Kampagne von Schultheiss. Zur<br />
Rettung der Kiez-Kneipen.<br />
Sex-Gangster verurteilt und gleich wieder freigelassen<br />
Weil die Justiz Fristen versäumt hatte, war er schon einmal aus der Untersuchungshaft entlassen worden<br />
Foto: PressefotoWagner<br />
Der Angeklagte Christian M.<br />
heulte vorGericht.<br />
Moabit – Der Erzieher<br />
schlich sich in eine Familie,<br />
machte die kleinen Kinder<br />
seiner Freunde zu Opfern.<br />
Christian M. (38) heulte nun<br />
vor Gericht: Fünf Jahre Gefängnis.<br />
Doch noch ist er<br />
frei.<br />
Ein Fall, der für Aufregung<br />
sorgte: Weil die überlastete<br />
<strong>Berliner</strong> Strafjustiz es nicht<br />
schaffte, innerhalb der gesetzlichen<br />
Frist von sechs<br />
Monaten nach Inhaftierung<br />
einen Prozess zu beginnen,<br />
musste M. aus der U-Haft<br />
entlassen werden.<br />
In Freiheit, trotz erdrückender<br />
Beweise: Ermittler<br />
fanden bei M. in Schöneweide<br />
massenhaft Kinderpornografie.<br />
Mehr als 25 000<br />
Bilder sowie Videos –Dauer<br />
insgesamt 17 Tage, 12 Stunden,<br />
33 Minuten.<br />
Die Geschwister waren<br />
vier und sechs Jahre alt, als<br />
der sich so nett gebende Onkel<br />
zum Täter wurde. Er<br />
fasste die Kinder immer<br />
wieder an. Vorallem die jüngere<br />
Schwester. Acht Jahre<br />
lang. Bis sich eines der Kinder<br />
im August 2018 offenbarte.<br />
Nun bleibt M. bis zur<br />
Ladung zum Strafanritt in<br />
Freiheit.<br />
Auch im Fall einer weiteren<br />
Justiz-Panne fiel das<br />
Urteil: Sextäter Bernd R.<br />
(57), 2015 wegen Schlamperei<br />
eines Richters aus der<br />
Sicherungsverwahrung entlassen.<br />
Die regelmäßig erforderliche<br />
Prüfung auf Gefährlichkeit<br />
war versäumt<br />
worden. Ein Skandal: Akten<br />
weg, Anträge ignoriert, Termine<br />
frisiert.<br />
Drei Jahrespäter wurde R.<br />
rückfällig, missbrauchte ein<br />
Mädchen (8) von Freunden.<br />
Urteil: Sechs Jahre Haft,<br />
dann erneut Sicherungsverwahrung.<br />
KE.