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Berliner Zeitung 10.04.2019

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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 84 · M ittwoch, 10. April 2019 – S eite 20 *<br />

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Sport<br />

Schummel-Schumi &Co.<br />

In Schanghai wird am Wochenende das 1000. Formel-1-Rennen gestartet. Dieses Jubiläum der Königsklasse<br />

des Motorsports verdient zumindest eine Mini-Serie, Teil 1: die größten Skandale<br />

VonElmar Brümmer<br />

Sichere Kurvenlage: Charles Leclerc im Ferrari<br />

GETTY<br />

Neunhundertneunundneunzig<br />

mal Formel 1–<br />

und am Wochenende<br />

wird in Schanghai der<br />

1000. Grand Prix gefahren. Europäische<br />

Traditionalisten mögen das bedauern,<br />

aber die chinesische Metropole<br />

vereint Tradition und Moderne<br />

gleichermaßen in sich, das Leben<br />

dort ist rasend schnell und maßlos.<br />

Genau das sind die Attribute, die<br />

perfekt zur Königsklasse des Motorsports<br />

passen. Die Skandale, die im<br />

Mittelpunkt der ersten Folge dieser<br />

Serie stehen, belegen das auf ihre<br />

ganz eigene Art.<br />

Nebulöses, 1973: Beim Großen Preis<br />

von Kanada herrscht in Mosport<br />

dichter Nebel, der Sieger kann nicht<br />

ermittelt werden. Gleich drei Piloten<br />

behaupten, das Rennen gewonnen<br />

zu haben: Emerson Fittipaldi im Lotus,Jackie<br />

Oliver im Shadowund Peter<br />

Revson im McLaren. DieZeitnehmer<br />

haben den Überblick verloren,<br />

nach der Wahrscheinlichkeitsrechnung<br />

triumphiertRevson.<br />

Die rasende Kopie, 1978: Ende 1977<br />

desertieren drei Techniker vom Shadow-Rennstall<br />

und gründen ein<br />

neues Team: Arrows. Sie brauchen<br />

kaum mehr als 50 Tage,umeinen eigenen<br />

Rennwagen zu bauen. Schnell<br />

ist auch klar,warum: der ArrowsFA1<br />

ist eine glatte Kopie des neuen ShadowDN9.<br />

Konstrukteur Tony Southgate<br />

hat beim Firmenwechsel einfach<br />

alle Zeichnungen mitgenommen.<br />

Und die Kopie funktioniert<br />

besser als das Original, bis ein Gericht<br />

das Plagiat für immer in die Garage<br />

verbannt.<br />

Blei-Affäre, 1984: Der Tyrrell-Rennstall<br />

liefert den Beweis dafür, dass<br />

Tankmanipulationen zwar beliebt<br />

sind, aber praktisch immer auffliegen.<br />

Die Briten sehen mit ihren herkömmlichen<br />

Saugmotoren gegen<br />

die Turbos immer weniger Land,<br />

doch plötzlich kommen Stefan Bellof<br />

und Martin Brundle regelmäßig<br />

aufs Treppchen. In einem Zusatztank<br />

werden Bleikugeln gefunden,<br />

damit der Wagen beim Wiegen das<br />

erforderliche Mindestgewicht hat,<br />

nachdem zuvor mehr Benzin verbraucht<br />

wurde als erlaubt. Beide Autos<br />

werden von der Weltmeisterschaft<br />

ausgeschlossen.<br />

Hass-Duell, 1989/90: Zwei Egomanen<br />

mit einem Überschuss an Talent,<br />

das bringt der Formel 1 die<br />

größte In-Team-Feindschaft ihrer<br />

Geschichte. Ayrton Senna drängt<br />

den McLaren-Kollegen Alain Prost<br />

1988 in Portugal in die Mauer,damit<br />

geht der Stallkrieg los. 1989 in Suzuka<br />

eskaliert die Fehde. Beide Mc-<br />

Laren sind gleichauf, doch Prost lässt<br />

seinen Teamkollegen nicht vorbei. Er<br />

macht die Tür zu und schießt Senna<br />

ab. Beide landen ineinander verkeilt<br />

in der Auslaufzone.Damit wäreProst<br />

Weltmeister. Doch Senna schafft es<br />

mit Hilfe der Streckenposten, sein<br />

Auto wieder freizubekommen, wird<br />

aber später dennoch disqualifiziert.<br />

Die Revanche folgt im Jahr darauf,<br />

als Prost für Ferrari fährt und Senna<br />

ihm eiskalt absichtlich ins Auto rast.<br />

Rennfeinde: Prost und Senna 1988 Rennfreude: Schumacher 1991<br />

Skandalfunktionäre: Max Mosleyund Bernie Ecclestone 2000 IMAGO IMAGES (3)<br />

Benetton-Schummeleien, 1994: Den<br />

Schimpfnamen „Schummel-<br />

Schumi“ ist der Rekordweltmeister<br />

nach dem ersten Titelgewinn nie<br />

mehr losgeworden, dabei waren die<br />

wahren Schummler die Techniker im<br />

Benetton-Team. Vorallem die illegale<br />

Traktionskontrolle bringt dem Auto<br />

Vorteile.Aber es ist nicht nur die Startautomatik.<br />

Die Tankanlage ist manipuliert,<br />

das kommt nach einem Boxenfeuer<br />

in Hockenheim raus.Sowie<br />

der Unterboden, der Schumacher<br />

1994 den Sieg in Spakostet. Zumersten<br />

Titel reicht es trotzdem.<br />

Nackte Tatsachen, 2003:Wersich als<br />

Fußgänger auf die Rennstrecke wagt,<br />

braucht Gottes Beistand: Derfrühere<br />

Geistliche Cornelius „Neil“ Horan<br />

flitzt in Silverstone nackt auf die Piste.<br />

Er rennt, um zu missionieren: „Lest<br />

die Bibel. DieBibel hat immer recht.“<br />

Er wirdfast umgefahren. Im Jahr darauf,<br />

reißt der Verwirrte beim Olympia-Marathon<br />

den Führenden um.<br />

Geisterrennen, 2005: Lediglich sechs<br />

Autos im riesigen Nudeltopf von Indianapolis<br />

und Hunderttausende<br />

Fans toben, nachdem alle Michelinbereiften<br />

Autos nach der Einführungsrunde<br />

wieder in die Boxfahren.<br />

Im Freitagstraining war Ralf Schumacher<br />

mit seinem Toyota in der Steilkurve<br />

nach einem Reifenschaden in<br />

die Mauer eingeschlagen, die Pneus<br />

der Franzosen halten dem High<br />

Speed nicht stand. Michael Schumacher<br />

gewinnt den Geister-Grand-Prix,<br />

und wirdmit Bierdosen beworfen.<br />

Spygate, 2007: Ein liegengelassenes<br />

Dokument in einem Londoner Copy-<br />

Shop kostet McLaren-Mercedes 100<br />

Millionen Dollar –die höchste Strafe,<br />

die es je gab. Die Frau des Chefingenieurs<br />

Mike Coughlan hatte 780 Seiten<br />

Ferrari-Dokumente kopiert, die<br />

vom beleidigten Ferrari-Chefmechaniker<br />

Nigel Stepney stammten. Pikant:<br />

DerTipp war vonMcLaren-Pilot<br />

Fernando Alonso gekommen, der<br />

sich im internen Duell mit Lewis Hamilton<br />

benachteiligt sah.<br />

Crashgate, 2008: Das erste Nachtrennen<br />

der Formel-1-Geschichte,alle<br />

sind verzaubert. Bis herauskommt:<br />

Der Unfall des Renault-Werksfahrers<br />

Nelson Piquet junior in der 14. Runde<br />

ist absichtlich passiert, auf Befehl des<br />

Kommandostands. Durch die Neutralisierung<br />

wirdAlonso zum Gewinner,<br />

weil er kurz vorher zum Tanken<br />

und Reifenwechsel an der Boxgewesen<br />

ist. Kronzeuge Piquet packt erst<br />

aus, nachdem er vom Team geschasst<br />

wird. Die Sperren gegen die<br />

Drahtzieher Flavio Briatore und Pat<br />

Symonds werden später wieder aufgehoben.<br />

Der Sex-Skandal, 2008: Fia-Präsident<br />

Max Mosley haben viele Rennfahrer<br />

ihr Leben zu verdanken, er<br />

ist ein unermüdlicher Vorkämpfer<br />

für die Sicherheit. Er muss um seinen<br />

Ruf ringen, nachdem ein Boulevardblatt<br />

heimlich aufgenommene<br />

Bilder von einer sadomasochistischen<br />

Sex-Party mit Prostituierten<br />

veröffentlicht. Der damals<br />

68 Jahrealte Mosley beharrtauf seiner<br />

Privatsphäre, betont die Volljährigkeit<br />

der Beteiligten und die<br />

Freiwilligkeit der Aktionen. Er wird<br />

nach einem Misstrauensvotum mit<br />

deutlicher Mehrheit im Amt bestätigt,<br />

gibt aber den Fia-Vorsitz ein<br />

Jahr später ab –und gewinnt den<br />

Musterprozess gegen Google.<br />

Korruptionsprozess, 2014: Bernie<br />

Ecclestone, seit den Siebzigern der<br />

Zampano der Königsklasse, muss<br />

sich vordem Münchner Landgericht<br />

in einem Bestechungsprozess im Zusammenhang<br />

mit dem Verkauf von<br />

Formel-1-Anteilen verantworten.<br />

DasVerfahren wirdgegen eine Geldauflage<br />

von100 Millionen US-Dollar<br />

ohne Urteil eingestellt.<br />

LesenSie morgen im zweiten Serienteil:<br />

die 10 bestenTypen aus 1000 Formel-1-Rennen.<br />

Die Sache mit dem Geld<br />

Boxer und Trainer beklagen das Aus für den Chemiepokal in Halle an der Saale. Statt des Traditionsturniers findet ab diesem Mittwoch der Cologne Boxing World Cup in Köln statt<br />

VonKarin Bühler<br />

Esgib so viele Geschichten vom<br />

Chemiepokal in Halle. Boxtrainer<br />

Ulli Wegner zum Beispiel bekommt<br />

die vielen Sieger und Medaillengewinner,<br />

die er dort inder Ecke<br />

begleitet hat, gar nicht mehr alle zusammen:<br />

„Nach den Finalkämpfen<br />

gab es immer ein Bankett mit der<br />

Weltspitze. Es war ein besonderes<br />

Turnier.“ DieKubaner schickten ihre<br />

Staffeln, Russen, Briten, Franzosen.<br />

Henry Maske gewann den Chemiepokal<br />

fünfmal. Beiseinem ersten<br />

Auftritt 1982 war er 19 Jahre alt, besiegte<br />

seinen kubanischen Angstgegner<br />

Ángel Espinosa, obwohl er<br />

gegen den breitschultrigen Kerl drei<br />

Runden lang nur rückwärts lief. Der<br />

frühere Profi-Weltmeister im Cruisergewicht<br />

Yoan Pablo Hernández<br />

setzte sich 2005 bei dem Boxturnier<br />

in Halle vonseiner kubanischen Nationalstaffel<br />

ab.Erwar damals Junioren-Weltmeister.<br />

Er wollte mit seinem<br />

Sport Geld verdienen, um seiner<br />

Familie zu helfen.<br />

DieSache mit dem Geld ist in diesem<br />

Jahr dem Chemiepokal selbst<br />

zum Verhängnis geworden, der Etat<br />

von 230 000 Euro hatte den Deutschen<br />

Boxsportverband (DBV) überfordert,<br />

er war schon im Vorjahr auf<br />

einem Minus sitzen geblieben. DBV-<br />

Präsident Jürgen Kyas, nannte die<br />

dreißigprozentige Kürzung<br />

der benötigten finanziellen<br />

Mittel durch Lotto<br />

Sachsen-Anhalt sowie<br />

„bürokratische Hürden“<br />

und die angeblich nicht erfolgte<br />

Genehmigung des<br />

Fördermittelantrages<br />

durch das Landesverwaltungsamt<br />

als Grund, worüber<br />

das Amt wiederum<br />

überrascht war,daesoffenbar wie in<br />

den Jahren zuvor Mittel in Höhe von<br />

50 000 Euro freigegeben hatte.<br />

Fakt ist: Das Turnier in Halle an<br />

der Saale gibt es nicht mehr. Stattdessen<br />

beginnt an diesem Mittwoch<br />

der „Cologne Boxing World Cup“ in<br />

Erzürnt:<br />

Ulli Wegner<br />

IMAGO IMAGES/SPÖTTEL<br />

der Sporthalle Süd in Köln.<br />

Trainer Wegner ist erzürnt:<br />

„Das ist nicht in Ordnung,<br />

dass man so ein Weltklasse-Turnier<br />

verlegt. Damit<br />

macht man Boxen in<br />

Ostdeutschland weiter kaputt.<br />

DerChemiepokal gehört<br />

nicht nach Köln. Ich<br />

bin sehr enttäuscht, dass<br />

sich die Funktionäre da<br />

keinen Kopf drum machen.“<br />

Henry Maske beklagt ebenfalls<br />

das Ende einer Legende. Immerhin<br />

fand der Chemiepokal, der seine<br />

Wurzeln im SC Chemie Halle hatte,<br />

seit 1970 an der Saale statt. Dreimal<br />

fiel das Turnier seither aus,1975 weil<br />

die Jugend-EM stattfand, 1991 wegen<br />

des Golfkrieges, 2010 war der<br />

Etat schon mal das Problem.<br />

Zum ersten Turnier kamen 82<br />

Sportler aus zehn Ländern in die<br />

ausverkaufte Eissporthalle am Gimritzer<br />

Damm. Der Generaldirektor<br />

des VEB Chemische Werke Buna<br />

wurde Leiter des ersten Turnierkomitees.<br />

Auch die Chemiekombinate<br />

aus Schkopau, Leuna und Bitterfeld<br />

standen später Pate.Das DDR-Fernsehen<br />

zeigte die Finalkämpfe im<br />

Sonntagsprogramm. Zuletzt boxten<br />

die Athleten in der Sportarena in<br />

Halle-Neustadt.<br />

Der <strong>Berliner</strong> Bundestrainer Ralf<br />

Dickert bedauert das Aus für Halle<br />

ebenfalls. „Es war über Jahrzehnte<br />

das letzte große Traditionsturnier.Es<br />

war schon zu DDR-Zeiten ein Höhepunkt.<br />

Da schon das TSC-Turnier in<br />

Berlin nach der Wende weggefallen<br />

ist, ist das umso bedauerlicher.“<br />

Andererseits ist Dickert froh, dass<br />

Köln als Veranstalter eingesprungen<br />

ist. Er ist gerade mit den <strong>Berliner</strong> Boxern<br />

Umar Bajwa (56 kg), Hamsat<br />

Shadalov (60 kg), Murat Yildirim (63<br />

kg), Paul Wall (69 kg), AbuLubdeh (81<br />

kg) und Alexander Müller vom Berge<br />

(+91 kg) dort. Für sie geht es um<br />

Punkte für die deutsche Rangliste,um<br />

ihreFörderung, um ihreZukunft. Um<br />

etwas also, das der Chemiepokal in<br />

Halle wohl nicht mehr hat.

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