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LGBB_012014_fritsch

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LATEIN<br />

UND<br />

GRIECHISCH<br />

in Berlin und Brandenburg<br />

ISSN 0945-2257 JAHRGANG LVIII / HEFT 1-2014<br />

©Musée du Louvre, Paris<br />

Säulen des Apollontempel in Side<br />

Mitteilungsblatt des Landesverbandes Berlin<br />

und Brandenburg im Deutschen<br />

Altphilologenverband (DAV) http://davbb.de<br />

Herausgeber:<br />

Der Vorstand des Landesverbandes<br />

1. Vorsitzender:<br />

Dr. Josef Rabl<br />

josef.rabl@t-online.de<br />

2. Vorsitzende:<br />

Prof. Dr. Stefan Kipf<br />

(Schriftführung)<br />

stefan.kipf@staff.hu-berlin.de<br />

Prof. Dr. Ursula Gärtner<br />

ugaert@rz.uni-potsdam.de<br />

Redaktion: Maya Brandl · maya.brandl@gmx.de<br />

Kassenwart: Peggy Wittich · R.P.Wittich@t-online.de<br />

Verbandskonto:<br />

Konto-Nr. 35 22 00 69 75 · BLZ 160 500 00<br />

Mittelbrandenburgische Sparkasse<br />

Namentlich gekennzeichnete Artikel müssen nicht unbedingt mit<br />

der Meinung des Vorstandes übereinstimmen. Anfragen bitte nur<br />

an die Schriftführung des Landesverbandes. – Nichtmitgliedern<br />

des Landesverbandes bietet der Verlag ein Jahresabonnement und<br />

Einzelhefte an.<br />

www.ccbuchner.de<br />

INHALT<br />

Feier anlässlich der Verleihung<br />

des Bundesverdienstkreuzes<br />

an Prof. Andreas Fritsch<br />

am 2. Dezember 2013<br />

in den Räumen des Instituts<br />

für Klassische Philologie der<br />

Humboldt-Universität zu Berlin<br />

■ Begrüßung durch<br />

Prof. Dr. Ulrich Schmitzer 3<br />

■ Laudatio des Staatssekretärs<br />

für Wissenschaft,<br />

Dr. Knut Nevermann 5<br />

■ Rede von<br />

Prof. Dr. Stefan Kipf 9<br />

■ Rede von Dr. Jürgen Seiffert 13<br />

■ Dankesworte von<br />

Prof. Andreas Fritsch 15<br />

■ Impressum 18<br />

C. C. BUCHNERS VERLAG · BAMBERG


Feier anlässlich der Verleihung<br />

des Bundesverdienstkreuzes<br />

an Prof. Andreas Fritsch<br />

am 2. Dezember 2013<br />

in den Räumen des Instituts für<br />

Klassische Philologie der<br />

Humboldt-Universität zu Berlin<br />

1. Begrüßung durch<br />

Prof. Dr. Ulrich Schmitzer<br />

Sehr geehrter Herr Staatssekretär<br />

Dr. Nevermann,<br />

liebe Kolleginnen und Kollegen aus Schule<br />

und Universität,<br />

liebe Gäste,<br />

liebe Irene –<br />

und vor allem: Lieber Andreas Fritsch!<br />

Die Klassische Philologie der Berliner Universität<br />

hat in ihren Räumen schon vieles erlebt,<br />

aber eine Ordensverleihung dürfte es hier noch<br />

nicht gegeben haben – und für die Verleihung<br />

eines Bundesverdienstkreuzes kann ich das sogar<br />

definitiv ausschließen.<br />

Umso mehr freuen wir uns, dass das Institut für<br />

Klassische Philologie an diesem Nachmittag<br />

Gastgeber sein darf – doch eigentlich stimmt<br />

das auch nicht ganz: Denn Herr Fritsch ist hier<br />

kein Gast, sondern hat hier gewissermaßen<br />

seine akademische Drittheimat – nach der Pädagogischen<br />

Hochschule und der Freien Universität.<br />

Von 2001 bis 2007 hat er ja die Didaktik<br />

der Alten Sprachen an FU und HU in Personalunion<br />

vertreten – eine große Zahl von HU-<br />

Studierenden ist so bestens auf die künftige<br />

Berufspraxis vorbereitet worden -,<br />

und unverändert ist er nach seiner Pensionierung<br />

häufig bei uns, nicht nur als Besucher von<br />

Vorträgen, sondern vor allem auch als spiritus<br />

rector eines Kreises von aktiv die lateinische<br />

Sprache Pflegenden.<br />

Insofern ist es dann doch – wenn schon keine<br />

zwangsläufige – so doch eine keineswegs<br />

überraschende Entscheidung gewesen,<br />

<strong>LGBB</strong> 01 / 2014<br />

3


Andere und Berufenere werden heute<br />

Nachmittag de vita et de moribus sprechen,<br />

das Leben und Werk würdigen – wie es<br />

schon die antike Biographie und Enkomiastik<br />

als regelgerecht fordert – und es muss ja auch<br />

nicht immer alles von allen gesagt werden,<br />

um einmal abzuwandeln, wie Andreas Fritsch<br />

gerne die Debatten in Gremien wie denen des<br />

Deutschen Altphilologenverbandes ironisiert.<br />

Stattdessen möchte ich dir, lieber Andreas – im<br />

Namen von uns allen, im Namen des Instituts<br />

für Klassische Philologie und seiner Mitglieder,<br />

aber auch ganz persönlich – zur Verleihung<br />

des Bundesverdienstkreuzes gratulieren. Sie<br />

wird einem Universitätslehrer zuteil, der – neben<br />

Comenius – sich Phaedrus als Forschungsschwerpunkt<br />

gewählt hat, jenen Vertreter einer<br />

scheinbar kleinen, in Wahrheit großen<br />

Gattung – der Fabel. Bei Phaedrus, wie auch<br />

bei seinen Nachfolgern, gibt es die Geschichte<br />

vom Frosch, der einmal so groß sein wollte<br />

wie ein Ochse und sich deshalb so sehr aufblies,<br />

wie er konnte. Und als er sich schon dem<br />

Ochsen ebenbürtig sah, da zerplatzte er: rana<br />

rupta et bos. Dieser Frosch ist das Gegenteil<br />

zu Matthäus 23:12 in den Worten der Vulgata<br />

qui autem se exaltaverit humiliabitur et qui se<br />

humiliaverit exaltabitur.<br />

den heutigen Spätnachmittag in den Räumen<br />

der Klassischen Philologie an der HU zu<br />

begehen. Nichtsdestoweniger ist das für uns<br />

eine große Ehre. Und ich sehe darin auch<br />

eine Anerkennung dafür, dass für die Klassische<br />

Philologe an der HU die Ausbildung von<br />

Lehramtsstudierenden immer zum essentiellen<br />

Kerngeschäft zählte und zählt, dass wir<br />

das niemals als lästiges Additum betrachtet<br />

haben – mögen auch die Donnerworte des<br />

Ulrich von Wilamowitz gegen die Schulamtskandidaten<br />

und deren Überflüssigkeit für die<br />

Philologie immer noch widerhallen. Nein, die<br />

Philologie hängt in unserem Verständnis sehr<br />

wohl an der Schule, Alte Sprachen an Schule<br />

und Hochschule gehören aufs engste und untrennbar<br />

zusammen.<br />

Du, lieber Andreas, schwebst gewiss nicht<br />

in einer solchen metaphorischen Gefahr, du<br />

brauchst dieses fabula docet nicht. Deine Sache<br />

ist die des gut preußischen Mottos »Mehr<br />

sein als scheinen«, was in Wahrheit auf die<br />

Charakteristik des Cato bei Sallust zurückgeht:<br />

Cato esse quam videri bonus malebat.<br />

Esse quam videri – »sein statt scheinen«: Dafür,<br />

neben vielem anderen, schätzen wir dich, lieber<br />

Andreas, und freuen uns mit dir. Und wünschen<br />

allen in diesen neuen alten Räumen,<br />

dem Sitz des Philologischen Seminars, begründet<br />

von August Boeckh, und des Instituts für<br />

Klassische Philologie, einen wahrhaft gelungenen<br />

Abend.<br />

4 <strong>LGBB</strong> 01 / 2014


2. Laudatio des Staatssekretärs für<br />

Wissenschaft, Dr. Knut Nevermann,<br />

anlässlich der Überreichung des<br />

Verdienstkreuzes 1. Klasse des<br />

Verdienstordens der Bundesrepublik<br />

Deutschland an Herrn Professor<br />

Andreas Fritsch am 2. Dezember 2013<br />

Sehr geehrter Herr Professor Andreas Fritsch,<br />

sehr geehrte Frau Irene Fritsch,<br />

sehr geehrte Familienmitglieder,<br />

sehr geehrte Damen und Herren,<br />

der Bundespräsident hat Ihnen, Herr Fritsch,<br />

das Verdienstkreuz 1. Klasse des Verdienstordens<br />

der Bundesrepublik Deutschland verliehen.<br />

Er würdigt damit Ihre außerordentlichen<br />

Verdienste um die Lateinische Sprache und Literatur<br />

und ihre Didaktik. Darüber hinaus würdigt<br />

er Ihr ehrenamtliches Engagement, insbesondere<br />

jenes für die Comenius-Gesellschaft.<br />

Bevor ich Ihnen diese ehrenvolle Auszeichnung<br />

überreiche, lassen Sie uns gemeinsam auf Ihr<br />

Lebenswerk schauen, das weit mehr beinhaltet<br />

als Ihren zweifellos beruflichen Erfolg.<br />

Sie wurden am 2. September 1941 in Guhrau/<br />

Schlesien geboren. Ihre Familie befand sich<br />

wegen des Krieges dort: Ihr Vater (geboren<br />

1898, gestorben 1960) war Journalist in Berlin,<br />

Ihre Mutter (geboren 1911, gestorben<br />

2004) arbeitete als kaufmännische Angestellte<br />

in einem Verlag, später in einem Reisebüro.<br />

Ab 1946 war die Familie wieder in Berlin und<br />

wohnte von 1946–1961 in Friedenau.<br />

Insgesamt waren es zuhause fünf Kinder, Sie<br />

sind der mittlere der Geschwister. Sie haben<br />

einen drei Jahre älteren Bruder, der in Brasilien<br />

lebt, eine um ein Jahr ältere Schwester,<br />

die in Israel lebt und dort auch jetzt noch als<br />

staatlich anerkannte Reiseführerin arbeitet -<br />

und die ich heute sehr herzlich begrüße –,<br />

eine um ein Jahr jüngere Schwester, die in<br />

Frankfurt am Main lebt, und einen um elf Jahre<br />

jüngeren Bruder (Dipl.-Ing.) – auch ihn begrüße<br />

ich sehr herzlich, ebenso seine Frau Gemahlin.<br />

Seit 1965 sind Sie mit Irene Fritsch, geb. Thater,<br />

verheiratet – einer ehemaligen Lehrerin<br />

für Latein und Leiterin der Theater-AG an der<br />

Wald-Oberschule (Gymnasium). Gemeinsam<br />

haben Sie zwei erwachsene Kinder und mehrere<br />

Enkelkinder, die ich, sofern sie anwesend<br />

sind, ebenfalls begrüße.<br />

Sehr geehrter Herr Fritsch, Sie besuchten die<br />

Grundschule und das Gymnasium – das über<br />

Berlin hinaus bekannte Canisius-Kolleg – bis<br />

zum Abitur 1960 in Berlin. Bereits zu Schulzeiten<br />

zeichnete sich Ihre spätere Profession ab:<br />

Ihr Lateinlehrer in der Oberstufe war Johannes<br />

Götte, ein bedeutender Vergilforscher, der den<br />

gesamten Vergil übersetzt hat.<br />

Nach dem Studium in Berlin und Münster<br />

folgte ein Ergänzungsstudium Er-<br />

<strong>LGBB</strong> 01 / 2014<br />

5


ziehungswissenschaft an der Freien Universität.<br />

Ab 1964 waren Sie dann Lehrer an einer<br />

Grundschule in Berlin-Spandau. Sie spezialisierten<br />

sich sehr früh auf Ihr Lieblingsfach<br />

Latein. 1969 wurden Sie Lehrer im Hochschuldienst<br />

an der Pädagogischen Hochschule.<br />

1972 wurden Sie dort zum Professor für Lateinische<br />

Sprache und Literatur und ihre Didaktik<br />

ernannt – und das ohne Promotion und<br />

Habilitation, allein wegen »gleichwertiger Leistungen«<br />

– und lehrten zunächst an der Pädagogischen<br />

Hochschule, seit 1980 an der Freien<br />

Universität Berlin. Von 2001 bis 2006 lehrten<br />

Sie bis zu Ihrer Emeritierung im Rahmen einer<br />

Kooperation beider Universitäten auch an der<br />

Humboldt-Universität zu Berlin.<br />

Neben Ihrer beruflichen Tätigkeit an den Universitäten<br />

unterrichteten Sie auch als Professor<br />

stundenweise Latein an verschiedenen<br />

Grundschulen und Gymnasien in Schöneberg,<br />

Steglitz und Zehlendorf. Hier entwickelten Sie<br />

eine enge Verbindung zwischen Studium und<br />

Unterrichtspraxis, es kam zu zahlreichen Kontakten<br />

mit Schulen in den meisten Berliner<br />

Bezirken. Auch hier haben Sie sich intensiv für<br />

den aktiven Gebrauch des Lateinischen innerhalb<br />

und außerhalb der Schule eingesetzt.<br />

Sehr geehrter Herr Fritsch,<br />

Sie haben mehrere Generationen von Berliner<br />

Lehrerinnen und Lehrern geprägt, Sie haben<br />

mit Ihrer inhaltlich ungemein vielfältigen und<br />

nunmehr schier unüberschaubaren wissenschaftlichen<br />

Publikationstätigkeit dauerhaft<br />

Spuren in Ihrer Fachdisziplin hinterlassen. Und<br />

Sie haben hiermit und mit Ihrem bewundernswerten<br />

ehrenamtlichen Engagement auch weit<br />

über das Fach hinaus erkennbare Wirkungen<br />

in das deutsche Bildungssystem entfaltet.<br />

Hierzu zählen Ihre Arbeiten zur Geschichte<br />

des Lateinunterrichts, die nach wie vor unersetzliche<br />

Grundlagenforschung darstellen<br />

und jenseits aller didaktischen Moden von<br />

bleibendem Wert sind. Darunter befinden insbesondere<br />

jene, mit denen Sie nicht nur einen<br />

wissenschaftlichen, sondern vor allem einen<br />

darüber hinaus gesellschaftlich bedeutsamen<br />

Beitrag zur Aufarbeitung des Nationalsozialismus<br />

leisteten.<br />

Insgesamt haben Sie in mustergültiger Weise<br />

unter Beweis gestellt, dass eine moderne Fachdidaktik<br />

nur dann nachhaltige Leistungen erbringen<br />

kann, wenn sie auf der Basis ausführlicher<br />

historischer Reflexion agiert. Ein derartig<br />

geschärftes Bewusstsein für die wechselhafte<br />

Geschichte des Lateinunterrichts führt nicht<br />

nur zu größerer Gelassenheit gegenüber didaktischen<br />

Modeströmungen, sondern verschafft<br />

auch eine verlässliche Grundlage für<br />

die Entwicklung von nachhaltigen Zukunftskonzepten.<br />

Dieses historisch fundierte Interesse an Bildung<br />

zeigt sich auch in Ihrem großen ehrenamtlichen<br />

Engagement für die Erforschung<br />

und zeitgemäße Rezeption des Didaktikers<br />

Johann Amos Comenius. Dessen Motto »Omnia<br />

sponte fluant, absit violentia rebus« (Alles<br />

fließt aus eigenem Antrieb, Gewalt sei fern den<br />

Dingen) hat Sie in Ihrem didaktischen und pädagogischen<br />

Denken nachhaltig beeinflusst.<br />

Sie genießen auch auf diesem Gebiet den Ruf<br />

eines national wie international anerkannten<br />

Spezialisten. Seit 2005 leiten Sie mit großem<br />

Erfolg die Deutsche Comenius-Gesellschaft.<br />

Auch hier zeigt sich Ihr ausgeprägter Wille zu<br />

aktivem gesellschaftlichem Engagement, da<br />

sich die Comenius-Gesellschaft nicht nur als<br />

Forum wissenschaftlichen Austausches versteht,<br />

sondern insbesondere auch zur Förderung<br />

der Toleranz, des Friedens und der Völkerverständigung<br />

im Sinne von J.A. Comenius<br />

beitragen will.<br />

Ein weiterer zentraler Schwerpunkt in<br />

Ihrer Vita ist natürlich das gesprochene<br />

6 <strong>LGBB</strong> 01 / 2014


Latein, zu dessen profiliertesten internationalen<br />

Vertretern Sie ohne jeden Zweifel gehören.<br />

Ihr Einsatz erschöpft sich dabei nicht auf das<br />

Verfassen wissenschaftlicher Beiträge – darunter<br />

zentrale Grundlagenwerke –, sondern<br />

zeigt sich vor allem in Ihrer höchst erfolgreichen<br />

praktischen Betätigung, deren Ziel nicht<br />

zuletzt die Popularisierung der lateinischen<br />

Sprache in einer breiten Öffentlichkeit ist. Ein<br />

Kongress des Deutschen Altphilologenverbandes<br />

ohne die von Ihnen gestaltete Officina Latina<br />

ist schlichtweg nicht vorstellbar.<br />

Immer wieder leiteten Sie in Berlin lateinische<br />

Gesprächskreise und pflegen bis heute den nationalen<br />

wie internationalen Austausch, etwa<br />

als aktives Mitglied der deutschen Societas<br />

Latina sowie der Academia Latinitati Fovendae<br />

in Rom oder als Teilnehmer des Conventiculum<br />

Latinum in Lexington/USA. Des Weiteren<br />

gelten Sie als ein exzellenter Kenner des Fabeldichters<br />

Phaedrus. Sie sind Mitautor der<br />

überaus erfolgreichen Unterrichtswerke Cursus<br />

Continuus und Cursus und haben zahlreiche<br />

Artikel verfasst, die auch in Zukunft zum<br />

unverzichtbaren Grundbestand altsprachlicher<br />

Fachdidaktik gehören werden - beispielsweise<br />

zur Sachkunde im lateinischen Anfangsunterricht.<br />

Darüber hinaus haben Sie die universitäre<br />

Lehre stets als grundlegenden Teil der Lehrerbildung<br />

begriffen und aktiv gestaltet. Es<br />

war Ihnen besonders wichtig, dass bereits<br />

den Studierenden auf theoretisch fundierter<br />

Grundlage eine bewusst reflektierte und auch<br />

eigenständig gestaltete Begegnung mit der<br />

Schulpraxis ermöglicht wird.<br />

Dies dokumentierten Sie am überzeugendsten<br />

dadurch, dass Sie in der vorlesungsfreien Zeit<br />

stets unermüdlich in Berlin unterwegs waren,<br />

um die Studierenden im Rahmen des Unterrichtspraktikums<br />

zu besuchen. Sie sahen<br />

sich stets als Bindeglied zwischen Universität<br />

und Schule und haben nicht zuletzt in<br />

einem weiteren Ehrenamt von 1980 bis 2006<br />

als langjähriger Schriftführer des Landesverbandes<br />

Berlin und Brandenburg im Deutschen<br />

Altphilologenverband ganz entscheidend dazu<br />

beigetragen, dass sich in Berlin auf dem Gebiet<br />

der alten Sprachen eine wohl bundesweit<br />

einmalige Kooperation zwischen Universität,<br />

Schule und Fachverband etablieren konnte. So<br />

planten, koordinierten und gestalteten Sie seit<br />

1980 in enger Zusammenarbeit mit dem Deutschen<br />

Altphilologenverband und der Senatsverwaltung<br />

für Schule bzw. Bildung zahllose<br />

Fortbildungsveranstaltungen mit mehreren<br />

tausend Teilnehmerinnen und Teilnehmern.<br />

Zugleich engagierten Sie sich über Ihr Fachgebiet<br />

hinaus stets für eine wissenschaftlich<br />

fundierte Lehrerbildung, ob<br />

• als Mitglied im Akademischen Senat der Pädagogischen<br />

Hochschule,<br />

• als Direktor des Zentralinstituts für Fachdidaktiken<br />

an der Freien Universität Berlin und<br />

nicht zuletzt<br />

• seit 1991 als ehrenamtlicher Schriftleiter des<br />

Mitteilungsblattes des Deutschen Altphilologenverbandes<br />

(seit 1997 Forum Classicum).<br />

Mit dieser zeitaufwändigen Tätigkeit, die Sie<br />

bis auf den heutigen Tag mit besonderem Erfolg<br />

versehen, haben Sie sich bleibende Verdienste<br />

um den altsprachlichen Unterricht in<br />

Deutschland, seine lebendige Verankerung in<br />

der Gesellschaft und um die Lehrerbildung<br />

insgesamt erworben. Mit vollem Recht dürfen<br />

Sie daher als überzeugter und begeisternder<br />

Lehrerbildner bezeichnet werden.<br />

Dabei mussten Sie jedoch allzu oft miterleben,<br />

mit welcher Geringschätzung Iehrerbildende<br />

Universitätsstudien von nicht wenigen Verantwortungsträgern<br />

in Hochschule und<br />

Politik behandelt wurden. Gegen derarti-<br />

<strong>LGBB</strong> 01 / 2014<br />

7


ge Ignoranz kämpften Sie stets mit der Ihnen<br />

eigenen Beharrlichkeit, unerschütterlichem<br />

Optimismus und großem taktischem Geschick.<br />

Herr Professor Fritsch, Menschen, die mit Ihnen<br />

lange zusammen gearbeitet haben und die<br />

Sie gut kennen, beschreiben Sie als einen<br />

sehr sozial eingestellen Mitbürger, Kollegen<br />

und Freund. Sie waren und sind beliebt bei<br />

Ihren Schülerinnen und Schülern, bei Kolleginnen<br />

und Kollegen. Es zeichnet Sie aus, dass<br />

Sie sehr umgänglich in Konfliktsituationen<br />

reagieren und sehr hilfsbereit gegenüber Studierenden<br />

waren, gerade in der Examensphase.<br />

Zusätzlich zeigen Sie bürgerschaftliches Engagement<br />

nicht nur in den oben beschriebenen<br />

Kontexten, sondern auch lokal vor Ort gemeinsam<br />

mit Ihrer Ehefrau Irene im Verein »Bürger<br />

für den Lietzensee e.V.«.<br />

Sie sind ein echter Lateinliebhaber durch und<br />

durch, der Latein nicht als Spezialfach verstanden<br />

wissen will, sondern als »Schlüsselfach der<br />

europäischen Tradition« - von der Antike bis<br />

in die Gegenwart, so auch in den Werken des<br />

Comenius im 17. Jahrhundert. Sie machen sich<br />

stark für Latein auch im heutigen internationalen<br />

Verkehr, in der Korrespondenz und auf<br />

Seminaren. Latein lässt Sie auch als Emeritus<br />

nicht los, Sie halten auch jetzt noch lateinische<br />

Colloquien mit interessierten Studierenden an<br />

der Humboldt-Universität zu Berlin sowie regionale<br />

und überregionale Vorträge zur Lehrerfortbildung.<br />

Sehr geehrter Professor Andreas Fritsch, Sie<br />

verkörpern berlinerische Unaufgeregtheit, gepaart<br />

mit vorausschauender Umsicht, hohe<br />

Fachkompetenz mit echtem pädagogischem<br />

Ethos. Sie sind ein Vorbild für vielfältiges gesellschaftliches<br />

Engagement im Ehrenamt<br />

und zeigen immer wieder die sympathische<br />

Menschlichkeit eines zutiefst liberalen Geistes.<br />

Ihnen als herausragendem Altphilologen mit<br />

großer nationaler und internationaler Reputation<br />

und verdienstvollem bürgerschaftlichen<br />

Engagement hat der Bundespräsident der Bundesrepublik<br />

Deutschland das Verdienstkreuz<br />

1. Klasse des Verdienstordens der Bundesrepublik<br />

Deutschland verliehen. Ich freue mich, Ihnen<br />

nun diese hohe Auszeichnung überreichen<br />

zu dürfen.<br />

8 <strong>LGBB</strong> 04 / 2013


3. Rede von Prof. Dr. Stefan Kipf<br />

Sehr geehrter Herr Staatssekretär<br />

Dr. Nevermann,<br />

sehr geehrte Damen und Herren,<br />

liebe Irene,<br />

lieber Andreas,<br />

Andreas Fritsch vertrat in seiner langen beruflichen<br />

Tätigkeit als Hochschullehrer eine auch<br />

heute immer noch junge Disziplin, für die es<br />

vielerorts auch am Ende des Jahres 2013 noch<br />

keine dauerhafte akademische Tradition gibt.<br />

Erst die Herausforderungen der Curriculumrevision<br />

seit den späten 60er Jahren führten<br />

zur Ausbildung einer Fachdidaktik, die sich<br />

als anwendungsorientierte wissenschaftliche<br />

Disziplin versteht, angesiedelt zwischen Erziehungs-<br />

und Fachwissenschaft. Aus dieser<br />

Epoche einer grundsätzlichen programmatischen<br />

Neuorientierung, genauer aus dem<br />

Jahr 1985, stammt die wohl beste Definition<br />

der Altsprachlichen Fachdidaktik, die wir übrigens<br />

Andreas Fritsch zu verdanken haben: »Die<br />

Fachdidaktik Latein und Griechisch … ist eine<br />

wissenschaftliche Disziplin, deren Forschungsgegenstand<br />

prinzipiell jeder Unterricht in den<br />

Fächern Latein und Griechisch im gesamten<br />

Schul- und Bildungswesen ist, sowohl im<br />

deutschen Sprachraum als auch in anderen<br />

Ländern, in Geschichte und Gegenwart. Ihre<br />

Hauptaufgabe liegt darin, diesen Unterricht im<br />

Interesse der Lernenden wissenschaftlich zu<br />

begründen und – auf der Grundlage der gewonnenen<br />

Erkenntnisse – zu verbessern. Hierzu<br />

gehört auch, Perspektiven und Konzepte für<br />

die künftige Entwicklung des altsprachlichen<br />

Unterrichts auszuarbeiten.«<br />

Trotz dieser klaren Perspektive hat sich die altsprachliche<br />

Fachdidaktik auf universitärer<br />

Ebene nicht so reibungslos entwickelt, wie<br />

man vielleicht in den achtziger Jahren erhofft<br />

hatte. So ist die aktuelle Lage der altsprachlichen<br />

Didaktik an den deutschen Universitäten<br />

nicht besonders komfortabel: Sie ist<br />

zumeist strukturell und personell unterausgestattet<br />

und kann daher oft mit den z.T. sehr<br />

forschungsstarken Didaktiken anderer Fächer<br />

nicht konkurrieren. Die drei vorhandenen<br />

Lehrstühle in Berlin, Göttingen und<br />

<strong>LGBB</strong> 01 / 2014<br />

9


München unterstreichen diesen Mangel ganz<br />

deutlich. Ich empfinde es daher immer wieder<br />

als großes Ärgernis, dass nicht einmal der Lateinunterricht<br />

als drittstärkste Fremdsprache<br />

im deutschen Bildungswesen fachdidaktisch<br />

angemessen auf Hochschullehrerebene verankert<br />

ist. Dies liegt übrigens zumeist nicht<br />

allein an den gern beschworenen Gegnern des<br />

altsprachlichen Unterrichts, auch mancher<br />

Klassische Philologe muss immer wieder aufs<br />

Neue davon überzeugt werden, dass nicht zuletzt<br />

sein Fach vom Vorhandensein einer wissenschaftlichen<br />

Fachdidaktik profitiert, da die<br />

Lehrerbildung ein wesentliches Standbein seiner<br />

universitären Existenz darstellt.<br />

In Berlin sah dies jedoch schon immer deutlich<br />

besser aus: Hier existiert seit den siebziger Jahren<br />

des 20. Jh. eine Tradition für Professuren<br />

im Bereich altsprachlicher Didaktik: Zunächst<br />

im lateinischen Seminar an der Pädagogischen<br />

Hochschule Berlin (PH) mit Klaus Geleng (seit<br />

1971) und Andreas Fritsch (seit 1972), dann<br />

nach der Integration der PH an der Freien<br />

Universität (Klaus Geleng bis 1987; Andreas<br />

Fritsch bis 2006) sowie an der Humboldt-<br />

Universität mit Friedrich Maier (1993-2000),<br />

Andreas Fritsch (2000-2006, im Rahmen einer<br />

Kooperation von FU und HU) und Stefan Kipf<br />

(seit 2006, ebenfalls verantwortlich für die FU).<br />

Andreas Fritsch hat in seiner Disziplin bleibende<br />

Spuren hinterlassen, nicht nur in Berlin,<br />

sondern auch weit darüber hinaus: Ich verweise<br />

nur auf seine grundlegenden Forschungen<br />

zur Geschichte des Lateinunterrichts, mit denen<br />

er seiner Disziplin zu einem historischen<br />

Bewusstsein verhalf. Ich verweise weiter auf<br />

das gesprochene Latein, zu dessen international<br />

renommiertesten Vertretern er gehört. Wer<br />

einen lateinischen native speaker sucht, findet<br />

ihn in dem Ur-Berliner Andreas Fritsch. Und<br />

schließlich verweise ich auf den überzeugten<br />

Lehrerbildner Andreas Fritsch, der sich<br />

stets als aktives Bindeglied zwischen Universität<br />

und Schule betrachtete. Nicht zuletzt<br />

ihm ist es zu verdanken, dass in Berlin eine so<br />

dauerhafte und belastbare Kooperation zwischen<br />

Universität, Schule und Fachverband<br />

etablieren konnte. Dass im Laufe der Jahre<br />

Fortbildungsveranstaltungen mit mehreren<br />

tausend Teilnehmern durchgeführt werden<br />

konnten, ist auch sein Verdienst.<br />

Nun möchte ich anlässlich dieser Feier nicht<br />

nur in die Vergangenheit zurückblicken, sondern<br />

auch einen Blick in die Gegenwart und<br />

die Zukunft riskieren. Worin bestehen die aktuellen<br />

und zukünftigen Aufgaben der altsprachlichen<br />

Fachdidaktik?<br />

1.<br />

Eine neue Didaktik des altsprachlichen<br />

Unterrichts, die den veränderten schulischen<br />

Rahmenbedingungen Rechnung<br />

trägt und auf wissenschaftlich fundierter<br />

Grundlage Impulse für die weitere Unterrichtsentwicklung<br />

liefert, stellt ein dringendes Desiderat<br />

dar. Ein solches Werk wird freilich nicht<br />

schnell zu erarbeiten sein, jedenfalls nicht so<br />

schnell, wie es unter Umständen die Öffentlichkeit<br />

erwarten dürfte, eine Öffentlichkeit,<br />

die Fachdidaktik zunehmend praktizistisch<br />

versteht, d.h. als serviceorientierten Lieferanten<br />

für kurzfristig und am besten universell<br />

einsetzbare Unterrichtsmaterialien. Gegen<br />

diese überall spürbare Tendenz zur Ökonomisierung<br />

wissenschaftlicher Arbeit muss sich<br />

jede ernstzunehmende Fachdidaktik zur Wehr<br />

setzen, ansonsten wird sie zum Büttel immer<br />

kurzfristigerer Ansprüche Dritter. Unser größtes<br />

Kapital an der Universität ist die Freiheit in<br />

Lehre und Forschung, die beste Versicherung<br />

für unabhängiges Denken und Handeln in der<br />

Lehrerbildung.<br />

2.<br />

Es ist notwendig, sich auf zentrale Themen<br />

des Unterrichts zu konzentrieren:<br />

Dementsprechend wird in unserem Arbeitsbereich<br />

ein deutlicher Schwerpunkt<br />

auf die Spracherwerbsphase gelegt. Ange-<br />

10 <strong>LGBB</strong> 01 / 2014


sichts der durch die Schulzeitverkürzung eingetretenen<br />

Verschärfung in der Stundentafel<br />

– in Berlin ist der effektive Verlust eines Schuljahres<br />

zu beklagen – ist dies auch unbedingt<br />

nötig. Der altsprachliche Unterricht wird nur<br />

dann gute Zukunftsaussichten haben, wenn<br />

es ihm gelingt, sich auch weiterhin als reflexionsbasiertes<br />

Sprachfach zu profilieren, freilich<br />

mit neuen Akzentuierungen. Hierzu werden<br />

tragfähige Konzepte für eine Spracherwerbsphase<br />

benötigt, die der Sprachbildung von<br />

Mutter- wie gerade auch von Zweitsprachlern<br />

dient, die kulturelle Grundorientierungen in einer<br />

multikulturellen Schülerschaft bietet und<br />

eine effektive Vorbereitung auf den Lektüreunterricht<br />

ermöglicht. Die maßgeblichen Projekte<br />

zur Verzahnung des Latein- und Englischunterrichts,<br />

zur Förderung von Schülern nichtdeutscher<br />

Herkunftssprache im Lateinunterricht, zur<br />

Texterschließung sowie zur Entwicklung eines<br />

modernen Unterrichtskonzepts für die Erwachsenenbildung<br />

tragen diesem Schwerpunkt<br />

Rechnung. Der Griechischunterricht ist<br />

in diese Aktivitäten ebenfalls einbezogen:<br />

Seit dem Sommer 2013 existiert eine an der<br />

Humboldt-Universität angesiedelte Arbeitsgemeinschaft,<br />

in der Lehrkräfte und Fachdidaktiker<br />

über mögliche Zukunftskonzepte des<br />

Griechischunterrichts diskutieren.<br />

3.<br />

Im Gegensatz zu den anderen Sprach-<br />

Didaktiken gibt es im Bereich des altsprachlichen<br />

Unterrichts bisher keine<br />

nennenswerte empirisch abgesicherte Forschung.<br />

Insbesondere in zentralen Bereichen<br />

des Unterrichts stoßen wir auf große Lücken:<br />

Wir wissen beispielsweise viel zu wenig über<br />

die tatsächliche Wirksamkeit in der Praxis weit<br />

verbreiteter Texterschließungsmethoden und<br />

das Übersetzen selber. Empirische Unterrichtsforschung<br />

ist daher ein zentrales Entwicklungsgebiet<br />

– angesichts der beschränkten<br />

personellen Ressourcen darf man sich<br />

jedoch keine Illusionen darüber machen,<br />

dass dies nur punktuell und langsam geleistet<br />

werden kann. Daher muss altsprachliche<br />

Fachdidaktik, wie es Andreas Fritsch immer in<br />

vorbildlicher Weise getan hat, den Kontakt zu<br />

anderen Disziplinen suchen. Wenn das Fach<br />

Latein z. B. einen konstruktiven Beitrag zur<br />

Entwicklung der Mehrsprachigkeit leisten soll,<br />

dann benötigen wir hierfür den Dialog mit den<br />

anderen Schulfremdsprachen, um Anschluss<br />

an dieses komplexe Forschungsfeld zu gewinnen.<br />

Dies ist ein anstrengender und zugleich<br />

eminent fruchtbarer Lernprozess, da z. B. die<br />

methodischen Probleme bei der Erarbeitung<br />

eines wissenschaftlich validen Designs empirischer<br />

Studien nicht zu unterschätzen sind.<br />

4.<br />

Eine vertrauensvolle und enge Zusammenarbeit<br />

mit Schulen ist für die altsprachliche<br />

Fachdidaktik unverzichtbar.<br />

Dies gilt nicht nur für die erfolgreiche Durchführung<br />

der Unterrichtspraktika bzw. des bevorstehenden<br />

Praxissemesters oder die direkte<br />

Praxisanbindung von Lehrveranstaltungen.<br />

Vielmehr bilden intensive Schulkontakte eine<br />

unerschöpfliche Inspirationsquelle für fachdidaktische<br />

Forschung, wovon nicht zuletzt die<br />

beteiligten Schulen direkt profitieren sollen,<br />

etwa durch die Entwicklung und Erprobung<br />

von Unterrichtsmaterialien, durch die Gestaltung<br />

passgenauer Fortbildungen oder universitärer<br />

Unterrichtsangebote für Schüler. Denn<br />

das muss immer klar sein: In einer solchen<br />

Partnerschaft müssen beide Seiten profitieren.<br />

Mit unseren Partnerschulen sind wir hier auf<br />

einem guten Weg.<br />

Lieber Andreas, diese kurzen Andeutungen sollen<br />

heute genügen. Bei fast allen Kernaufgaben,<br />

die ich knapp skizziert habe, hast du hier<br />

in Berlin entscheidende Grundlagen gelegt. Ich<br />

gratuliere dir zu dieser großartigen Auszeichnung,<br />

die uns natürlich auch mit großem Stolz<br />

erfüllt, schließlich habe ich die Ehre, mich<br />

deinen Schüler nennen zu dürfen.<br />

<strong>LGBB</strong> 01 / 2014<br />

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12 <strong>LGBB</strong> 04 / 2013


4. Rede von Dr. Jürgen Seiffert<br />

Sehr geehrter Herr Dr. Nevermann,<br />

liebe Festgesellschaft, lieber Andreas,<br />

seit vorgestern, der Vesper zum 1. Adventssonntag,<br />

befinden wir uns wieder in der Zeit des<br />

Adventus domini, das heißt der Zeit der Rückbesinnung<br />

und der Vorfreude. Der Advent ist eine<br />

Umwidmung des Begriffs der Erscheinung von<br />

etwas Herrlichem aus der vorchristlichen Ära<br />

(der Epiphanie).<br />

In der heutigen Feierstunde kommen uns gewiss<br />

Gedanken aus unserer Erinnerung an‚ das gab’s<br />

also schon Vorgestern: also seit der Antike, dem<br />

Mittelalter, der Renaissance und zu Großelterns<br />

Zeiten. Schon die Vitae der 2. Generation vor<br />

uns sind unserer Generation meist nicht mehr<br />

authentisch vermittelbar, da die meisten von<br />

uns zu diesen Vorfahren keinen lebendigen<br />

Kontakt hatten oder haben. Der Bundespräsident<br />

Theodor Heuss hat gegen das Vergessen<br />

von außerordentlichen Leistungen der Mitbürger<br />

unseres Landes den Verdienstorden im Jahre<br />

1951 zur jährlichen Vergabe gestiftet.<br />

»Der Verdienstorden ist die höchste Auszeichnung,<br />

die die Bundesrepublik für Verdienste<br />

um das Gemeinwohl ausspricht und soll eine<br />

Auszeichnung all derer bedeuten, deren Wirken<br />

zum friedlichen Aufstieg der Bundesrepublik<br />

Deutschland beiträgt.«<br />

Fürwahr, eine Feierstunde wäre nur ein passageres<br />

Ereignis, wenn sie nicht für etwas oder für<br />

jemanden bestimmt ist, das bzw. der den Mittelpunkt<br />

einer uns allen dienlichen Angelegenheit<br />

darstellt.<br />

Insignien und Symbole rufen eine Faszination<br />

hervor, die nicht nur die Werbe- und Informationsbranche<br />

euphorisiert, sondern sie schließt<br />

auch deren Träger mit ein, der mit solcher Gewandung<br />

für sein Bemühen um ein hochgeschätztes<br />

Kulturgut ausgezeichnet wird.<br />

Wir haben Grund zur Freude, denn der Abglanz<br />

davon strahlt auf alle, die sich für die Sache<br />

der alten Sprachen in Unterricht, Bildung und<br />

Wissenschaft sowie zur eigenen Enkulturation<br />

engagieren.<br />

Das erste gleichsam adventliche Licht zeigt auf<br />

das heutige Ereignis übertragen an, dass wir unter<br />

dem ‚redivivum‘ des Latein nicht vom Bildnis<br />

eines ‚wiederbelebten Corpus‘, einer ‚Neugeburt‘<br />

und auch nicht vom ‚Auferstehen‘ eines<br />

bewährten Kulturträgers berauscht sein sollten,<br />

sondern dass wir uns (‚confisi sumus‘) an Fackelträger<br />

wie Andreas Fritsch und Friedrich Maier<br />

halten müssen, die uns leiten und uns nicht in<br />

das Dunkel des Unwisssens tappen lassen.<br />

Mit den Worten Senecas ausgedrückt heißt das:<br />

»Was wir empfinden, wollen wir aussprechen,<br />

was wir aussprechen, wollen wir empfinden –<br />

die Rede stimme überein mit den Lehren. Der<br />

hat sein Versprechen erfüllt, von dem du sagen<br />

kannst, wenn du ihn siehst, ist es genauso als ob<br />

du ihn hörst« … et cum videas illum et cum audias,<br />

idem est … (Epistulae morales, Brief 75, 4)<br />

Gaudete, amici mei!<br />

<strong>LGBB</strong> 04 / 2013<br />

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14 <strong>LGBB</strong> 01 / 2014


5. Dankesworte von Prof. Andreas Fritsch<br />

Berlin, den 2.12.2013<br />

Sehr geehrter Herr Staatssekretär<br />

Dr. Nevermann,<br />

sehr geehrter Herr Vizepräsident,<br />

meine sehr verehrten Damen und Herren,<br />

liebe Familie, liebe Freunde und Kollegen,<br />

zunächst möchte ich Ihnen, Herr Staatssekretär,<br />

und den Professoren Ulrich Schmitzer und<br />

Stefan Kipf für die freundlichen und anerkennenden<br />

Worte ganz herzlich danken. Zugleich<br />

muss ich gestehen, dass ich ein bisschen beschämt<br />

bin. Denn wenn man so geehrt wird,<br />

fallen einem viele Menschen ein, die es eigentlich<br />

noch viel eher verdient hätten, geehrt zu<br />

werden: Menschen aus dem Familien-, Freundes-<br />

und Berufskreis. Ich kann sie jetzt nicht<br />

alle aufzählen, aber sie sind teils hier anwesend,<br />

teils in meinem Gedächtnis verankert.<br />

Bei einer solchen Gelegenheit, die für mich einmalig<br />

ist, denke ich auch dankbar an die vielen<br />

Personen, die mir in meinem curriculum vitae<br />

beigestanden und geholfen haben, meine Eltern<br />

und Geschwister, meine Frau, meine Kinder und<br />

Enkelkinder, meine Lehrer und Mitschüler, meine<br />

Kollegen, meine Schüler und Studenten. Von ihnen<br />

allen habe ich viel gelernt. Ihnen allen habe<br />

ich zu danken. Wenn das, was ich innerhalb und<br />

außerhalb der Hochschule geleistet habe, nun<br />

auch öffentliche, ja staatliche Anerkennung findet,<br />

so habe ich das nicht zuletzt auch denen<br />

zu verdanken, die den Antrag gestellt haben,<br />

mir das Verdienstkreuz zu verleihen. Auch hier<br />

will ich jetzt keine Namen nennen. Das würde<br />

unweigerlich dazu führen, dass ich möglicherweise<br />

wichtige Personen unerwähnt lassen und<br />

deshalb undankbar erscheinen müsste. Ich danke<br />

also allen herzlich, die heute hier sind,<br />

und allen, die mir geschrieben haben.<br />

In dieser Stunde fragt sich vielleicht mancher<br />

von Ihnen: Was ist eigentlich die Leitlinie dieses<br />

Menschen, der hier für seine »Verdienste<br />

um die Lateinische Sprache und Literatur und<br />

ihre Didaktik« geehrt wird. Gibt es ein Motto,<br />

einen Wahlspruch, in dem man das Wichtigste<br />

zusammenfassen kann? – Und da fiel mir als<br />

erstes, so banal das klingen mag, ein Gedicht<br />

von Arthur Schnitzler (1862-1931) ein: 1<br />

Ein Wahlspruch? Lange sinn’ ich hin und her.<br />

Ja, Kinder, wenn die Welt so einfach wär’!<br />

Ich brauche, wie ich mich beschränken mag,<br />

Doch ungefähr ein Dutzend jeden Tag.<br />

Und wollt’ ich je für morgen einen sparen,<br />

Daß er verjährt war, mußt’ ich stets erfahren.<br />

So schrieb am besten ich »von Fall zu Fall«; –<br />

Doch leider gilt auch der nicht überall.<br />

Aber es gibt doch einige Leitgedanken, zu denen<br />

ich mich gerne bekenne. Mein Leben in-<br />

1 Arthur Schnitzler, Aphorismen und Betrachtungen.<br />

Bd. 1, Frankfurt am Main: S. Fischer Verlag 1967, S. 9.<br />

<strong>LGBB</strong> 01 / 2014<br />

15


nerhalb und außerhalb des Berufes diente den<br />

sog. studia humaniora; es sind die seit der Renaissance<br />

so bezeichneten Bemühungen um<br />

ein »menschlicheres Leben«, das wiederum nur<br />

möglich wird durch die Beschäftigung mit<br />

der Literatur. 2 Wir können nicht alles lesen,<br />

heutzutage schon gar nicht. Es empfiehlt<br />

sich daher, wie der römische Philosoph und<br />

Staatsmann Seneca im 2. Brief an Lucilius<br />

sagt, immer wieder zu den »anerkannten Autoren«<br />

zurückzukehren. Er schreibt dort: »Auch<br />

wenn du Lust hat, einen Abstecher zu anderen<br />

zu machen, kehre doch immer wieder zu den<br />

bewährten Autoren zurück: Probatos itaque<br />

semper lege, … ad priores redi« (Sen. epist. 2,4).<br />

Einer von diesen »bewährten Autoren« ist für<br />

uns der deutsche Philosoph, Pädagoge und<br />

Dichter Johann Gottfried Herder (1744–<br />

1803), zunächst übrigens ein ausgesprochener<br />

Römer- und Lateinfeind, später räumte er den<br />

2 Cf. Seneca, epist. 82,3: Otium sine litteris mors est et<br />

hominis vivi sepultura.<br />

3 Vgl. Wilfried Stroh, Latein ist tot! Es lebe Latein! Berlin<br />

2007, S. 257-259.<br />

4 Herder, Von der Notwendigkeit der Schulzucht zum<br />

Flor einer Schule (1779). Schulreden von J. G. Herder,<br />

hg. von Hermann Michaelis. Leipzig: Reclam o. J.<br />

(nach 1901), S.16. (In der Herder-Ausgabe von Hermann<br />

Nohl, Bd. 6, Anhang, S. 19. SWS XXX 45.)<br />

5 Kritik an Herder bei Nietzsche: „Menschliches, Allzumenschliches“,<br />

2. Bd., 2. Abt., Kap. 118 (Ausgabe von<br />

Karl Schlechta, F. Nietzsche, Werke I, S. 924 f.) Siehe<br />

unten Anm. 7.<br />

6 Sen. nat. 1, praef. 5; vgl. Heinrich Weinstock (1889–<br />

1960). Die Tragödie des Humanismus. Heidelberg, 4.<br />

Aufl. 1960, S. 198.<br />

7 Titel einer Schrift von F. Nietzsche (1886). In der<br />

Ausg. von K. Schlechta, F. Nietzsche, Werke I, S. 435-<br />

1008.<br />

8 Carl Schurz (1829-1906), zit. nach Klaus Franken,<br />

Spruchbrevier für junge Menschen. Kevelaer 1957, S.<br />

95. – Albert Schweitzer: „Die Macht des Ideals ist<br />

unberechenbar“ […]; „das weiche Eisen des Jugendidealismus“<br />

soll sich „zum Stahl des unverlierbaren<br />

Lebensidealismus“ härten (Aus meiner Kindheit und<br />

Jugendzeit, Berlin 1953, S. 61). – Seneca: „Proponamus<br />

oportet finem summi boni, ad quem nitamur,<br />

ad quem omne factum nostrum dictumque respiciat:<br />

veluti navigantibus ad aliquod sidus derigendus est.<br />

Vita sine proposito vaga est.” (epist. 95,45 f.)<br />

9 Herder: Briefe zur Beförderung der Humanität, 57.<br />

Brief. In: Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche<br />

Literatur, S. 396ff.<br />

studia humanitatis und auch dem Lateinischen<br />

doch einen angemessenen Platz in der Jugendbildung<br />

ein. 3 In einer seiner Schulreden sagt er<br />

(und das ist einer meiner Leitgedanken): »Was<br />

soll all der Kram der Wissenschaften und des<br />

Gedächtnislernens, wenn unsere Seele dadurch<br />

nicht zu guten Gesinnungen gebildet,<br />

wenn unser Herz und Leben nicht durch gute<br />

Übungen genährt wird.« 4 Es kommt also auf<br />

die Verwirklichung – oder wie man heute meist<br />

sagt – auf die Umsetzung des Gelesenen und<br />

als richtig Erkannten ins praktische Leben an,<br />

und das gilt erst recht für das pädagogische<br />

Handeln. 5<br />

In der Renaissance sprach man im Sinne Ciceros<br />

von den studia humanitatis. Möglicherweise<br />

geht der später geprägte, auch von Herder<br />

und Immanuel Kant verwendete Ausdruck<br />

(studia) humaniora, also mit der Steigerungsform<br />

humaniora, zumindest inhaltlich auf eine<br />

Stelle bei Seneca zurück: »O quam contempta<br />

res est homo, nisi supra humana se erexerit.<br />

Was für ein verächtliches Ding ist doch der<br />

Mensch, wenn er sich nicht über das Menschliche<br />

hinaus erhebt.« 6<br />

Das ermuntert uns, nicht beim »Menschlich-<br />

Allzumenschlichen« 7 stehen zu bleiben, sondern<br />

uns auch an überzeitlichen Idealen zu<br />

orientieren. Von dem Deutsch-Amerikaner<br />

Carl Schurz stammt das schöne Wort: »Ideale<br />

sind wie Sterne – wir erreichen sie niemals,<br />

aber wie die Seeleute richten wir unseren Kurs<br />

danach.« 8<br />

Herder hat in seinen »Briefen zur Beförderung<br />

der Humanität« den großen Pädagogen des<br />

17. Jahrhunderts, Johann Amos Comenius,<br />

wieder in das kollektive Gedächtnis der Pädagogik<br />

eingeführt. 9 Der Comenius-Rezeption<br />

waren und sind auch jetzt noch viele meiner<br />

Aktivitäten gewidmet. Comenius, aus seiner<br />

böhmischen Heimat vertrieben, hielt sich notgedrungen<br />

viele Jahre in Polen, England, Schweden<br />

und Ungarn auf und verbrachte die<br />

letzten 14 Jahre seines Lebens als Asy-<br />

16 <strong>LGBB</strong> 01 / 2014


lant in Amsterdam. In vielen seiner Schriften<br />

forderte er, dass die Schulen officinae humanitatis,<br />

Werkstätten der Menschlichkeit, sein<br />

sollten. Und das war bei ihm keineswegs<br />

»Festredengeschwätz«! 10 Sein Wahlspruch, den<br />

ich mir als Pädagoge zu eigen gemacht habe,<br />

war seit etwa 1648 »Omnia sponte fluant,<br />

absit violentia rebus. Alles fließe von selbst;<br />

Gewalt sei ferne den Dingen.« Ein Motto, das<br />

über vier Jahrhunderte, bis auf den heutigen<br />

Tag, ganz ohne Zweifel seine Gültigkeit behalten<br />

hat. Es ist ein von ihm selbst komponierter<br />

lateinischer Hexameter.<br />

So hat sich auch mein Werdegang entwickelt:<br />

Zwar floss nicht alles von selbst, aber es hat<br />

sich doch vieles von selbst ergeben. Von meiner<br />

Schulzeit angefangen, in der Latein meine<br />

erste Fremdsprache war und ich mich schon<br />

als Schüler wunderte, dass meine Lehrer diese<br />

Sprache im Unterricht gar nicht sprachen.<br />

Über mein Studium an der Pädagogischen<br />

Hochschule und an der Freien Universität, als<br />

Lehrer an der Grundschule, als Lateinlehrer, als<br />

Hochschullehrer. Innerhalb und außerhalb der<br />

Schule und Universität habe ich das Lateinische<br />

– auch in internationalen Begegnungen –<br />

nach Kräften aktiv gepflegt und gefördert und<br />

sehe bis heute im Lateinunterricht – ganz im<br />

Sinne des von mir hochgeschätzten Manfred<br />

Fuhrmann (1925–2005) – das »Schlüsselfach<br />

der europäischen Tradition«, das übrigens in<br />

Deutschland heute erfreulicherweise besser<br />

dasteht als wohl in jedem anderen Land Europas.<br />

Ich freue mich und bin sehr dankbar,<br />

dass dieses Fach hier im Institut für Klassische<br />

Philologie der Humboldt-Universität zu Berlin<br />

so kompetente und engagierte Vertreter und<br />

Vertreterinnen hat, sowohl in der Fachwissenschaft<br />

als auch in der Fachdidaktik, die in der<br />

schulpolitischen Szene heute von besonderer<br />

Bedeutung ist.<br />

Es kam mir stets darauf an, dass die Kinder<br />

und Jugendlichen an dieser großartigen,<br />

Jahrhunderte und Völker umspannenden<br />

Tradition mit Freude und Interesse und zu<br />

ihrem eigenen geistigen Nutzen teilnehmen<br />

können, indem sie – natürlich exemplarisch –<br />

Zugang zu einigen Originalwerken haben, ad<br />

fontes!, nicht etwa um überholte Bildungsgüter<br />

fortzuschleppen, sondern um selbstständige<br />

Teilhabe an der von Griechen und Römern<br />

geprägten Weltkultur zu gewinnen. Ob Philosophie,<br />

wissenschaftliche Terminologie, Literatur,<br />

Mythologie, Kunstgeschichte oder die<br />

Schrift auf unserer Computertastatur, all das<br />

verbindet uns mit Griechen und Römern und<br />

ihren Nachfolgern in Mittelalter, Neuzeit und<br />

Gegenwart.<br />

Meine Damen und Herren, Sie werden sich<br />

vielleicht wundern, dass ich jetzt hier an der<br />

Humboldt-Universität in Berlin-Mitte ausgerechnet<br />

einen Mitbegründer der kommunistischen<br />

Partei zitiere: Karl Liebknecht (1871-<br />

1919). Aber sie werden gleich verstehen warum.<br />

Liebknecht schrieb im Jahr 1917 aus der<br />

politischen Haft im Zuchthaus Luckau einen<br />

Brief an seinen 16-jährigen Sohn Helmi (Wilhelm),<br />

der Probleme mit der Schule hatte. Ich<br />

zitiere einen Abschnitt daraus: 11<br />

»Und dann Griechisch und Latein. Ist das langweilig?<br />

Sprachen sind die interessantesten<br />

menschlichen Geistesprodukte. Ihre Erkenntnis,<br />

ihre Anatomie, ihre Zergliederung nach<br />

ihrer Struktur, das ist ihre Grammatik und<br />

Syntax; dasselbe was die Anatomie beim Tierkörper.<br />

Hast Du keine Ahnung von der Wunderwelt,<br />

die die vergleichende Sprachwissenschaft<br />

auftut? Ich hatte stets ein so lebendiges<br />

Interesse dafür, daß ich nicht verstand, wie<br />

10 Hildegard Cancik-Lindemaier (Hg.): Vorwort zu Hubert<br />

Cancik: Europa – Antike – Humanismus. Humanistische<br />

Versuche und Vorarbeiten. Bielefeld 2011,<br />

S. 7.<br />

11 Zit. nach Karl Liebknecht: Lebt wohl, ihr lieben Kerlchen!<br />

Briefe an seine Kinder. Hg. von Annelies Laschitza<br />

und Elke Keller. Berlin: Aufbau Taschenbuch<br />

Verlag 1992, S. 101f. [Bespr. v. A. Fritsch in: Mitteilungsblatt<br />

des Deutschen Altphilologenverbandes<br />

36,2 (1993), S. 77-78.]<br />

<strong>LGBB</strong> 01 / 2014<br />

17


von langweilig geredet werden konnte. Aber<br />

vor allem: Herodot, Xenophon, Thukydides,<br />

Demosthenes und der göttliche Plato! Homer,<br />

Hesiod, Äschylus, Sophokles, Sappho usw. –<br />

das waren die Griechen, die wir lasen. – Und<br />

Cornelius Nepos, Cäsar, Livius, Sallust, Tacitus,<br />

Ovid, Vergil, Catull, Horaz – das waren die Römer,<br />

die wir lasen.«<br />

Weiter schreibt Karl Liebknecht in diesem Brief<br />

an seinen Sohn:<br />

»Nimm eine Geschichte der Kultur, der Wissenschaft,<br />

der Kunst, der Literatur zur Hand – diese<br />

Namen leuchten darin. Seit Jahrtausenden<br />

leuchten sie. Und sie werden nach Jahrtausenden<br />

leuchten. […] Lernst Du sie jetzt nicht kennen,<br />

Du wirst sie nie kennenlernen. Verpasse<br />

die Gelegenheit nicht. Sie kommt nicht wieder!<br />

Du verlierst Unendliches fürs ganze Leben. […]<br />

Wie gern hätte ich jetzt meinen Vergil, Horaz,<br />

Homer, Sophokles, Plato hier – wie lebendig<br />

sind mir viele horazische Oden wieder geworden,<br />

sie kommen nachts – in den langen, langen<br />

Nächten und leisten mir Gesellschaft […].<br />

Wie glücklich wäre ich, wäre mein Schatz an<br />

solcher Kenntnis zehnmal größer, lessingisch<br />

groß!«<br />

Soweit also Karl Liebknecht, nach dem in der<br />

DDR zahllose Straßen und Einrichtungen benannt<br />

waren. 12 Und die Fortsetzung der Straße<br />

»Unter den Linden« heißt heute noch »Karl-<br />

Liebknecht-Straße«. Aber diese Worte wurden,<br />

soviel ich weiß, selten oder gar nicht zitiert.<br />

Ich komme zum Schluss und versuche, alles in<br />

einem Wort zusammenzufassen: Ich habe meine<br />

Tätigkeit im weitesten Sinne als »Dienst am<br />

Wort« verstanden, wie es der Evangelist Lukas<br />

für die Verkündigung der Frohen Botschaft formuliert<br />

hat: diakonía tou lógou oder lateinisch<br />

ministerium verbi. 13 Wenn das Verdienstkreuz<br />

auch in diesem Sinne als Anerkennung dieses<br />

meines Dienstes verstanden wird, dann nehme<br />

ich es gern und dankbar an.<br />

12 So auch die Pädagogische Hochschule „Karl Liebknecht“<br />

in Potsdam, der dieser Name am 4. September<br />

1971 verliehen wurde. Sie wurde nach der Wende<br />

(15.7.1991) zur „Universität Potsdam“ umgestaltet.<br />

13 Vgl. Apostelgeschichte 6,4 und Lukas 1,2 (Diener des<br />

Wortes).<br />

Impressum ISSN 0945-2257<br />

Latein und Griechisch in Berlin und Brandenburg erscheint vierteljährlich und wird herausgegeben vom Vorstand<br />

des Landesverbandes Berlin und Brandenburg im Deutschen Altphilologenverband (DAV) www.peirene.de<br />

1. Vorsitzender: StD Dr. Josef Rabl Wald-Oberschule,<br />

Waldschulallee 95 · 14055 Berlin · josef.rabl@t-online.de<br />

2. Vorsitzende: Prof. Dr. Ursula Gärtner Universität Potsdam, Klassische Philologie<br />

Am Neuen Palais 10 · Haus 11 · 14469 Potsdam · ugaert@rz.uni-potsdam.de<br />

2. Vorsitzender Prof. Dr. Stefan Kipf Humboldt Universität zu Berlin,<br />

und Schriftführer: Didaktik Griechisch und Latein · Unter den Linden 6 · 10099 Berlin<br />

stefan.kipf@staff.hu-berlin.de<br />

Schriftleitung des StR Maya Brandl<br />

Mitteilungsblattes: Zehntwerderweg 171 a · 13469 Berlin · maya.brandl@gmx.de<br />

Kassenwartin: StR Peggy Wittich<br />

R.P.Wittich@t-online.de<br />

Grafik / Layout: Fabian Ehlers Karlsruher Straße 12 · 10711 Berlin · fabian.ehlers@web.de<br />

18 <strong>LGBB</strong> 01 / 2014

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