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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 87 · 1 3./14. April 2019 – S eite 24<br />
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Sport<br />
Der Fluch<br />
des schiefen<br />
Dreiecks<br />
Warum bei Hertha BSC eine Trennung von<br />
Trainer Pal Dardai spätestens zum Saisonende<br />
unumgänglich zu sein scheint<br />
VonPaul Linke<br />
Schon das Spiel in Hoffenheim könnte sein letztes als Hertha-Trainer werden: PalDardai<br />
OTTMAR WINTER<br />
Eigentlich brauchte es ja keinen<br />
weiteren Beweis mehr<br />
dafür, dass Uli Hoeneß<br />
seine Orientierung in der<br />
modernen Fußballwelt verloren hat.<br />
Doch dann saß der Präsident des FC<br />
Bayern neulich beim Fernsehstammtisch<br />
„Doppelpass“ und rechnete<br />
mit den Taktikexperten ab, die<br />
ein simples Spiel nur verkomplizieren<br />
würden mit ihrem Laptopwissen.<br />
„Wenn ich immer höre“, sagte<br />
Hoeneß und fuchtelte sich in Rage,<br />
„der spielt dann mit der Dreierkette,<br />
der spielt die Sechserraute oder die<br />
falsche Acht –vergesst das.Wenn einer<br />
nicht kicken kann, dann kann die<br />
Raute sein, wie sie mag, dann gibt es<br />
ein schiefes Dreieck.“<br />
Halt, Moment mal, schiefes Dreieck,<br />
war da nicht etwas? Undwie!Vor<br />
mehr als vier Jahren, in der ersten<br />
Hinrunde unter dem Cheftrainer Pal<br />
Dardai, überraschte Hertha BSC mit<br />
einer geometrischen Anomalie im<br />
Mittelfeld. Fabian Lustenberger, Per<br />
Skjelbred und Vladimir Darida waren<br />
wie drei Eckpunkte angeordnet.<br />
Oder wie drei Zahnrädchen in einem<br />
fein justierten Spielantriebsmotor,<br />
der lief und lief und lief –und andere<br />
laufen ließ. Selbst analoge Taktikexperten<br />
waren begeistert.<br />
Und hier kommt der Bauplan:<br />
Hatte TorwartRune Jarstein den Ball,<br />
ließ sich einer aus der zweiten Reihe<br />
zwischen die Innenverteidiger fallen<br />
und setzte automatisch die anderen<br />
beiden Rädchen in Bewegung. Eine<br />
Rotation der Rechtsfüßer war das,<br />
daher meist gegen den Uhrzeigersinn<br />
aufgezogen. Mit kurzen Pässen<br />
wurde die erste Pressinglinie überspielt,<br />
gelangte der Ball auf die Flügel,<br />
bis zur Grundlinie, Flanke –im<br />
Idealfall Tor.<br />
Diesen rotierenden Spielaufbau<br />
nannten Dardai und sein Assistent<br />
Rainer Widmayer: schiefes Dreieck.<br />
Darida beschrieb es mal so:<br />
„Schauen, denken, handeln – und<br />
das ganz schnell.“ Und Skjelbred<br />
sagte: „Da passiert etwas, ich weiß<br />
nicht warum.“Wussten die Gegner ja<br />
auch nicht immer. Erst in der Rückrunde<br />
gelang es der Konkurrenz, den<br />
Code zu knacken. Hertha stürzte<br />
vom dritten auf den siebten Tabellenplatz,<br />
aber landete immerhin<br />
noch weich in der dritten Qualifikationsrunde<br />
für die Europa League.Mit<br />
einem getunten Modell gelang ein<br />
Jahr später der Einzug in die Gruppenphase.<br />
Dieser Erfolg ist seitdem<br />
der Maßstab. Und gemessen am aktuellen<br />
Tabellenplatz elf ist die Saison<br />
2018/19 eine Enttäuschung.<br />
Personalpuzzle für Fortgeschrittene<br />
An diesem Sonntag um halb zwei (!)<br />
spielt Hertha in Hoffenheim, und<br />
noch nie war das Loch im Mittelfeld<br />
so groß. Einerseits,weil zuletzt kaum<br />
etwas in Bewegung geriet im Mittelfeld.<br />
Die Spieler schauten, dachten<br />
und handelten trotzdem falsch. Sie<br />
öffneten Räume, die zu Strafraumspaziergängen<br />
einluden. Mit jeder<br />
Niederlage stotterte der Motor mehr.<br />
Andererseits, weil Dardai die Optionen<br />
im zentralen Spielaufbau ausgehen.<br />
Die indieser Saison zuständigen<br />
Arne Maier,Marko Grujic (beide<br />
verletzt) und Ondrej Duda (gesperrt)<br />
fehlen. Nicht einsatzfähig sind auch<br />
die inzwischen zu Aushilfskräften<br />
„Als ich gekommen bin, bin ich ins<br />
tiefe Wasser geworfen worden.<br />
Jetzt haben wir den letzten Spieltag und<br />
die Krokodile sind immer noch da.<br />
Ich nehme Messer und<br />
alles mit. Und dann werden<br />
wir sehen, was passiert.“<br />
Pal Dardai am letzten Spieltag der Saison 2014/15, vor dem Spiel in Hoffenheim,<br />
Hertha ist bekanntermaßen nicht abgestiegen.<br />
„Eine Eiche hat sehr große Wurzeln,<br />
damit sie bei Sturm nicht umfällt.<br />
Wir haben jetzt diese Wurzeln,<br />
aber die Eiche ist noch klein.“<br />
Pal Dardai nach dem letzen Spieltag der Saison 2015/16, 0:0 in Mainz,<br />
Hertha landete im Endklassement auf Platz sieben.<br />
„Manchmal ist es<br />
ein wenig verhext.“<br />
Pal Dardai bei der obligatorischen Spieltagspressekonferenz<br />
vor der anstehenden Auswärtspartie in Hoffenheim.<br />
degradierten Lustenberger und Darida.<br />
Bleibt Skjelbred und ein Mister<br />
X, der Maximilian Mittelstädt heißt.<br />
Dardai steht mal wieder vor einem<br />
Personalpuzzle für Fortgeschrittene.<br />
Esist schon ein mittelgroßes<br />
Verletzungspech, das Hertha<br />
in dieser Saison vor allem in der Abwehr<br />
heimgesucht hat. Und dann<br />
hatten sie auch noch kein Spielglück.<br />
„Manchmal“, sagte Dardai am Freitag<br />
in der Spieltagspressekonferenz,<br />
„ist es ein wenig verhext.“ Doch spätestens<br />
nach der Heimniederlage gegen<br />
Düsseldorf geht es nicht mehr<br />
um höhere Mächte oder die Symptome<br />
einer Krankheit, es geht um<br />
die generelle Aussicht auf Heilung<br />
und damit um die Frage: Istder praktizierende<br />
Trainerarzt Dardai überhaupt<br />
noch der Richtige? Schon das<br />
Spiel gegen Hoffenheim könnte sein<br />
letztes als Hertha-Trainer werden.<br />
Spätestens am Saisonende scheint<br />
eine Entlassung unumgänglich zu<br />
sein. Und das hat verschiedene<br />
Gründe.<br />
Seltsamer Herrenwitz<br />
Die sportliche Entwicklung unter<br />
Dardai war schon immer ein Wellenritt.<br />
Auf grandiose bis gute Hinrunden<br />
–32, 30, 24 und noch mal 24<br />
Punkte –folgten Rückrunden mit 18,<br />
19, 19 und aktuell 11 Punkten. Das<br />
ohnehin bescheidene Saisonziel<br />
Platz neun ist kaum noch zu erreichen.<br />
Auf der nach unten offenen<br />
Enttäuschungsskala setzt nur die<br />
Unfähigkeit der anderen eine<br />
Grenze. Bis zuletzt konnte Dardai<br />
behaupten, dass seine Mannschaft<br />
zu jung sei, um konstant gute Auftritte<br />
hinzulegen. Er vertrauteauf die<br />
Zukunft, auf die Zeit, die Michael<br />
Preetz ihm geben würde, ihm, dem<br />
Talentförderer und Spielerversteher.<br />
Doch der Manager ist mit seiner<br />
Geduld am Ende,geht öffentlich immer<br />
mehr auf Abstand, widerspricht<br />
dem Trainer, wo er kann. „Ist das<br />
so?“, fragte er am Freitag. Und<br />
nannte die wichtigste Gemeinsamkeit:<br />
„Wir sind uns grundsätzlich einig,<br />
dass wir nicht zufrieden sind mit<br />
elf Punkten in der Rückrunde,das ist<br />
schon alles.“ Man müsse sich zusammensetzen,<br />
um nachzudenken,<br />
wie man da wieder rauskommt.<br />
Preetz will Fortschritte nicht erst in<br />
der kommenden Saison sehen, sondernjetzt,<br />
wo Hertha doch dabei ist,<br />
sich neuen Sponsoren zu präsentieren,<br />
die beim Stadionbau helfen<br />
könnten. Da sind Niederlagen in Serie<br />
keine gute Werbung. So wird die<br />
Zukunft nicht Berlin gehören.<br />
Dazu kommt die Außendarstellung<br />
eines Trainers,der schon immer<br />
eine selektive Wahrnehmung hatte,<br />
dazu einen seltsamen Herrenwitz<br />
und eine zunehmend bedenkliche<br />
Eigenart, die Medien zu beschuldigen,<br />
ihnen Manipulation vorzuwerfen,<br />
zuletzt sogar „geplanten Mord“.<br />
Solange Dardai erfolgreich war, gingen<br />
seine Sprüche noch als Folklore<br />
durch, als Spleen einer Klublegende.<br />
In denvergangenen Monaten kippte<br />
das Stimmungsbild in der Klubführung,<br />
bei den Fans und innerhalb der<br />
Mannschaft, die sich in Teilen unterfordertfühlt<br />
vonden immer gleichen<br />
Trainingsinhalten und nicht mehr<br />
angesprochen vonden Männersprüchen<br />
in der Kabine. „Aus schweren<br />
Zeiten kommt man nur mit Geschlossenheit“,<br />
sagt der Fußballphilosoph<br />
Salomon Kalou. Wird Hertha<br />
am Sonntag bloß als loser Verbund<br />
auftreten, werden die Zeiten noch<br />
schwerer.<br />
Paul Linke<br />
beschäftigt sich mit geometrischen<br />
Anomalien.