VestivalPlus2019
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Leben. Ich komme regelmäßig nach Hause, gerade<br />
erst, um 25-Jahre-Abi zu feiern.<br />
Im Ruhrgebiet braucht man nicht lange, bis man<br />
dazugehört, schreiben Sie. Man müsse sich nur für<br />
dieselben Sachen begeistern, am besten für Fußball.<br />
Sie selbst tragen nach eigenem Bekunden seit<br />
41 Jahren die Raute im Herzen – dahinter steckt<br />
eine Anekdote aus Kindertagen?<br />
Ich war sehr jung, gerade mal drei Jahre – und sehr<br />
verliebt in Uwe, den Sohn unserer guten Seele,<br />
unserer Haushälterin. Uwe war Gladbach-Fan. Und<br />
ich dachte, Liebe geht nicht nur durch den Magen,<br />
sondern auch über den Fußball. Irgendwann ist er<br />
Dortmund-Fan geworden, da war es dann vorbei mit<br />
der Liebe – zu ihm, aber nicht zur Borussia. Die hält<br />
jetzt seit 41 Jahren...<br />
Nicht nur Fußball, Sport generell habe eine<br />
integrative Wirkung, sagten Sie kürzlich beim<br />
Heldenfest in Herten, bei dem die Ruhrpotthelden<br />
von Ingo Anderbrügges Fußballfabrik Sie mit dem<br />
Helden-Award für Respekt ausgezeichnet haben.<br />
Was können wir alle tun, um Fremdenfeindlichkeit<br />
nicht nur 90 Minuten lang auf dem Rasen zu<br />
vergessen?<br />
Einfach jeden so behandeln, wie man selbst auch<br />
gerne behandelt werden möchte. Das wäre schon<br />
mal ein Anfang. Und: Menschen nicht nach Herkunft,<br />
Hautfarbe, Religion, sexueller Orientierung oder sonst<br />
etwas beurteilen, sondern nach Worten und Taten.<br />
Beim Heldenfest haben Sie das Ruhrgebiet mit<br />
Ihrer Fürsprache für die Bergleute gewürdigt.<br />
Was machte die Kumpel unter Tage in Ihren Augen<br />
so besonders?<br />
Sie haben das gelebt, was ich gerade formuliert<br />
habe. Unter Tage war es egal, wo du herkamst,<br />
hauptsache du packst mit an. Unter Tage waren halt<br />
alle gleich. Gleich schwarz, gleich dreckig, gleich<br />
Mensch. Deshalb auch die Initiative „Mach meinen<br />
Kumpel nicht an!“.<br />
von Intendant Olaf Kröck? Eine Moderation bei<br />
den Lesungen ist sonst ja eher ungewöhnlich.<br />
Nein, das ist nicht ungewöhnlich. Ungewöhnlich ist<br />
höchstens, dass ich lese, erzähle, lese, erzähle – und<br />
am Ende die Zuschauer‘innen alles fragen dürfen,<br />
was sie interessiert. Das kann dann schon mal drei<br />
Stunden dauern. Ich freu mich jedenfalls auf das<br />
Heimspiel, schließlich habe ich diverse 1.-Mai-<br />
Feiertage auf dem Hügel verbracht.<br />
„Kampflesbe, Türken-Hure, Eselvickerin, Muselfotze“<br />
– die Liste der Anfeindungen, die Sie seit<br />
geraumer Zeit erreicht, ist lang und ekelerregend<br />
diffamierend. Obwohl Sie eine preisgekrönte<br />
Moderatorin und ausgezeichnete Journalistin<br />
sowie auch ein Aushängeschild des ZDF sind,<br />
werden Sie vor allem von rechts so heftig angefeindet<br />
wie keine zweite Frau im deutschen Fernsehen.<br />
Was, glauben Sie, ist dafür der Grund?<br />
Fragen Sie bitte die, die all das von sich geben...<br />
Werden Sie auf die Beschimpfungen bei Ihrer<br />
Lesung eingehen oder ist dieses Kapitel zu sehr<br />
Sensationshascherei und damit an dem Abend<br />
tabu?<br />
Wieso sollte das Sensationshascherei sein? Das ist<br />
Realität. Meine tägliche Realität, die leider viele<br />
Menschen in unserem Land erleben, ertragen und<br />
erdulden.<br />
Unter den Hate-Speaches in den sozialen Medien<br />
sind auch offene Drohungen – wie gehen Sie damit<br />
tief im Inneren um? Sachlich zu antworten und<br />
den Wind aus den Segeln nehmen, indem Sie die<br />
fehlerhafte Grammatik und Rechtschreibung<br />
korrigieren, nimmt doch nicht die Wut, Traurigkeit<br />
oder die Angst aus dem Bauch?<br />
Schön ist anders. Ich hab mir einen Werkzeugkasten<br />
angelegt. Der besteht aus Humor, Sarkasmus, Fakten,<br />
Argumente und viel atmen<br />
In Ihrem Buch geben Sie Gefühlsausbrüche wie „es<br />
kotzt mich an“ offen zu. Das ist nur allzu verständlich,<br />
aber machen Sie sich nicht genau mit diesem<br />
Jargon angreifbar?<br />
Warum? Ich greife damit doch niemanden direkt an,<br />
sondern drücke an dieser Stelle sehr deutlich meine<br />
Gefühle aus. Und dieser Hass, die Hetze, die Beleidigung,<br />
die hier viele erleben, all das kotzt mich nun<br />
mal an.<br />
Kritische Stimmen werfen Ihnen außerdem vor,<br />
das Buch sei eine Rechtfertigung. Für Heimat sollte<br />
man sich aber nicht rechtfertigen müssen?<br />
Für mich ist es eine Liebeserklärung und kleine<br />
Warnung. Demokratie ist nämlich keine Selbstverständlichkeit<br />
Was können wir alle und jeder einzelne also tun,<br />
um es besser zu machen?<br />
Wie gesagt: Mitmenschen so behandeln, wie man<br />
selbst behandelt werden möchte. Aber auch für<br />
unsere Werte und Rechte eintreten. Und mal ein<br />
„danke, bitte, entschuldigung“ kann nicht schaden.<br />
<br />
ifi<br />
Moderierte gerade noch frech, eloquent, charmant<br />
und sehr unterhaltsam den Marler Grimme-Preis<br />
– hier auf der Bühne mit Preisträger Jan Böhmermann –,<br />
jetzt liest sie bei den Ruhrfestspielen: Dunja Hayali.<br />
Bergbau ist gelebte Solidarität, das zeigt auch das<br />
Motto „Kunst für Kohle“, aus dem die Ruhrfestspiele<br />
ja einst entstanden sind, als Theaterleute aus<br />
Hamburg nach dem Krieg in den Pott kamen, um<br />
für Kohle zum Heizen kostenlos zu spielen.<br />
Diese Solidarität gerät gerade vor dem Hintergrund<br />
zunehmender Migration in Gefahr.<br />
Deshalb haben Sie ja auch Haymatland geschrieben.<br />
Und nun lesen Sie daraus bei den Ruhrfestspielen.<br />
Schließt sich da der Kreis für Sie?<br />
Ich hab das Buch geschrieben, weil ich zeigen möchte,<br />
dass jeder von uns einen Unterschied machen<br />
kann. Wer sich bewegt, kann etwas bewegen. Ich zeige<br />
zudem anhand der Geschichte meiner Familie auf,<br />
wie Integration gelingen kann. Desweiteren beleuchte<br />
ich den Zustand unsere Gesellschaft anhand der<br />
Erfahrungen, die ich in den letzten Jahren sammeln<br />
durfte. (Wir alle sind Teil des Ganzen. Wir sind die, die<br />
Zusammenhalt und Teilhabe leben und gestalten.)<br />
Wie ist es überhaupt für Sie, erstmals bei den<br />
Ruhrfestspielen mitzuwirken? Oder, um sprachlich<br />
beim Thema zu bleiben: Wie empfinden Sie dieses<br />
Haym-Spiel und warum bedarf es der Moderation<br />
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