26.04.2019 Aufrufe

Gedenkschrift zur fünften Stolersteinverlegung in Bruchsal am 27. März 2019

Stolpersteine in Bruchsal

Stolpersteine in Bruchsal

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN
  • Keine Tags gefunden...

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

<strong>Gedenkschrift</strong><br />

<strong>zur</strong> <strong>fünften</strong><br />

Stolperste<strong>in</strong>verlegung<br />

<strong>in</strong> <strong>Bruchsal</strong><br />

<strong>am</strong> <strong>27.</strong>3.<strong>2019</strong><br />

Stolperste<strong>in</strong>e<br />

<strong>in</strong> <strong>Bruchsal</strong>


Inhaltsverzeichnis<br />

1 Grußwort der Oberbürgermeister<strong>in</strong> Cornelia Petzold-Schick<br />

2 E<strong>in</strong>führung <strong>in</strong> das Schülerprojekt Florian Jung<br />

Die Opferbiographien<br />

3 David Maier (1878-1942) Fabian Butterer, Klasse 8u<br />

4 Sophie Maier geb. Weil (1879-1963) Nicolai Will, Klasse 8u<br />

6 Lucie Maier (1905-1941) Sven Frietsch, Klasse 8u<br />

7 Hildegard Strauss geb. Maier (1910-1987) Sven Frietsch, Klasse 8u<br />

10 Übersicht F<strong>am</strong>ilie Weil/Maier Florian Jung<br />

12 D<strong>in</strong>a L<strong>in</strong>dauer geb. Löwenthal (1900-1998) Rolf Schmitt<br />

13 Hans Moritz L<strong>in</strong>dauer (1927-1945) Rolf Schmitt<br />

20 Übersicht F<strong>am</strong>ilie L<strong>in</strong>dauer Rolf Schmitt<br />

22 Adelheid Westheimer geb. Oppenh. (1858-1941) Louis Gräber, Klasse 8u<br />

24 Frieda Westheimer (1892-1942) Niklas Gerzen, Klasse 8u<br />

25 Martha Westheimer (1893-1980) Florian Jung<br />

26 Kurt „Karl“ Westheimer (1896-1942) Max Haug, Klasse 8u<br />

28 Übersicht F<strong>am</strong>ilie Westheimer Florian Jung<br />

29 David Majerowitz (1879-1942) Lena Notheisen, Klasse 8u<br />

29 Helene Majerowitz geb. Landau (1879-1942) Lena Notheisen, Klasse 8u<br />

32 Eva Erel geb. Majerowitz (1906-2002) Sarah Hagenmeier, Klasse 8u<br />

33 He<strong>in</strong>rich Majerowitz (1909-1987) Paula Matysek, Klasse 8u<br />

34 Maier Majerowitz (1914-2007) Paula Matysek, Klasse 8u<br />

36 Klara Ron geb. Majerowitz (1917-2010) Sarah Hagenmeier, Klasse 8u<br />

38 Übersicht F<strong>am</strong>ilie Majerowitz Florian Jung<br />

40 Benj<strong>am</strong><strong>in</strong> Bravmann (1875-1944) Marcel Ste<strong>in</strong>le, Klasse 8s<br />

44 Lore Kupfer geb. Bravmann (1913-1997) Luis Bergdolt, Klasse 8s<br />

45 Zur F<strong>am</strong>ilie: Max Bravmann (1906-1984) Stephan Gruhlke, Klasse 8t<br />

47 Übersicht F<strong>am</strong>ilie Bravmann Florian Jung<br />

Anhang<br />

48 Rückblick auf die vierte <strong>Bruchsal</strong>er<br />

Stolperste<strong>in</strong>verlegung <strong>am</strong> 5.7.2018<br />

Rolf Schmitt<br />

Bemerkung: Theo Fraißl und Noah Wagner (Klasse 8v) sowie<br />

Aaron K<strong>am</strong>merer (Klasse 8u) haben die Biografien von<br />

F<strong>am</strong>ilie Siegbert Kann erarbeitet. Die entsprechenden Stolperste<strong>in</strong>e<br />

können jedoch erst 2020 verlegt werden.<br />

Die Druckkosten dieser<br />

Broschüre wurden dankenswerterweise<br />

von der<br />

BürgerStiftung <strong>Bruchsal</strong><br />

übernommen.


Grußwort<br />

der Oberbürgermeister<strong>in</strong><br />

Es ist bereits das fünfte Mal, dass <strong>in</strong> unserer Stadt durch<br />

den Künstler Gunter Demnig Stolperste<strong>in</strong>e verlegt werden.<br />

Seit der ersten Aktion im Jahr der Heimattage 2015<br />

– d<strong>am</strong>als e<strong>in</strong>e ganz bewusste Entscheidung für e<strong>in</strong> solches<br />

Gedenken gerade auch vor dem H<strong>in</strong>tergrund des<br />

Heimatbegriffs – s<strong>in</strong>d mittlerweile 55 dieser kle<strong>in</strong>en<br />

Gedenkste<strong>in</strong>e <strong>in</strong> <strong>Bruchsal</strong> verlegt worden. Und nun, <strong>am</strong><br />

<strong>27.</strong> <strong>März</strong> <strong>2019</strong>, kommen weitere 18 Ste<strong>in</strong>e an fünf Verlegestellen<br />

h<strong>in</strong>zu. Möglich geworden ist all dies durch<br />

freiwillige Spenden und ehren<strong>am</strong>tlichen E<strong>in</strong>satz – e<strong>in</strong><br />

Beweis, wie groß das bürgerschaftliche Engagement bei<br />

dieser wichtigen Er<strong>in</strong>nerungsarbeit bislang war und auch<br />

weiterh<strong>in</strong> ist.<br />

Stolperste<strong>in</strong>e er<strong>in</strong>nern uns beim Vorbeigehen und kurzen Verweilen, wenn wir die<br />

knappen Informationen über das Schicksal verfolgter und ermordeter Menschen lesen,<br />

immer wieder an die verbrecherische Herrschaft des Nationalsozialismus und d<strong>am</strong>it an<br />

e<strong>in</strong> dunkles Kapitel <strong>in</strong> der Geschichte unserer Stadt, Deutschlands und Europas.<br />

Mit den kurzgefassten Inschriften auf den kle<strong>in</strong>en Ste<strong>in</strong>en kehren N<strong>am</strong>en früherer Mitbürger<strong>in</strong>nen<br />

und Mitbürger <strong>in</strong> unsere Stadt <strong>zur</strong>ück, für F<strong>am</strong>ilien wie Jordan, Sicher,<br />

Geismar, Baertig, Nathan, Bär und Grzymisch existieren nun vor den E<strong>in</strong>gängen ihrer<br />

letzten freiwillig gewählten Wohnhäuser Orte der Er<strong>in</strong>nerung. D<strong>am</strong>it kann nicht ungeschehen<br />

gemacht werden, was den Opfern angetan wurde – aber die Betroffenen und ihr<br />

schweres Los rücken wieder <strong>in</strong> unser Bewusstse<strong>in</strong>.<br />

E<strong>in</strong>mal mehr gilt me<strong>in</strong> Dank allen an der Vorbereitung dieser Aktion Beteiligten, n<strong>am</strong>entlich<br />

Herrn Florian Jung, der mit se<strong>in</strong>en Schülern <strong>am</strong> Justus-Knecht-Gymnasium<br />

wieder <strong>in</strong>tensiv die Geschichte all jener NS-Opfer recherchiert hat, für die im Rahmen<br />

der diesjährigen Stolperste<strong>in</strong>-Aktion e<strong>in</strong>e bleibende Er<strong>in</strong>nerung geschaffen wird. Ebenso<br />

Herrn Rolf Schmitt, der <strong>in</strong>tensive Kontakte zu Nachfahren der gewürdigten Personen<br />

herstellen und geme<strong>in</strong>s<strong>am</strong> mit Herrn Jung deren persönliche Teilnahme an der Stolperste<strong>in</strong>-Verlegung<br />

vermitteln konnte. E<strong>in</strong> Dank gilt allen Spendern, Organisatoren und<br />

Ideengebern, n<strong>am</strong>entlich der BürgerStiftung <strong>Bruchsal</strong> und der <strong>Bruchsal</strong>er Friedens<strong>in</strong>itiative.<br />

Die Stolperste<strong>in</strong>-Initiative <strong>in</strong> <strong>Bruchsal</strong> ist das Ergebnis e<strong>in</strong>es engen, fruchtbaren<br />

und erfolgreichen Zus<strong>am</strong>menwirkens und e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>tensiven Form der Ause<strong>in</strong>andersetzung<br />

mit unserer Geschichte.<br />

Cornelia Petzold-Schick<br />

1


E<strong>in</strong>führung <strong>in</strong> das Schülerprojekt<br />

von Florian Jung, OStR <strong>am</strong> Justus-Knecht-Gymnasium <strong>Bruchsal</strong><br />

Es bedarf e<strong>in</strong>es langen Atems, bis für alle <strong>Bruchsal</strong>er Opfer der nationalsozialistischen<br />

Gewaltherrschaft Stolperste<strong>in</strong>e gelegt se<strong>in</strong> werden. Nach der Verlegung <strong>2019</strong> kann<br />

man 73 dieser kle<strong>in</strong>en Mahnmale an 25 Stellen <strong>in</strong> <strong>Bruchsal</strong>s Kernstadt zählen – und<br />

man kann davon ausgehen, dass es <strong>in</strong> <strong>Bruchsal</strong> nochmal so viele „gedenkwürdige“<br />

Personen gibt. Als Kern der Gedenkarbeit bilden sich jährlich Gruppen von etwa 15<br />

Schülern des Justus-Knecht-Gymnasiums, die den G9-Zug der Schule besuchen und<br />

<strong>in</strong> Klasse 8 die Gelegenheit ergreifen, das Jahresprojekt „Stolperste<strong>in</strong>e für <strong>Bruchsal</strong>“ zu<br />

wählen. Neben der Beschäftigung mit der jüdischen Geschichte im Allgeme<strong>in</strong>en und <strong>in</strong><br />

<strong>Bruchsal</strong> gilt es vor allem, die Schicksale e<strong>in</strong>zelner F<strong>am</strong>ilien zu erforschen. Dabei spielt<br />

die <strong>in</strong> Kle<strong>in</strong>gruppen durchgeführte Recherche im Generallandesarchiv Karlsruhe,<br />

wo für nahezu alle ehemaligen <strong>Bruchsal</strong>er Juden Entschädigungsakten liegen, e<strong>in</strong>e<br />

zentrale Rolle. Vom Kontakt zu den Verwandten, die überall auf der Welt verstreut<br />

leben, geht e<strong>in</strong> ganz besonderer Reiz für die 14-jährigen aus.<br />

Unverzichtbar für das Gel<strong>in</strong>gen ist die eng verzahnte Mitarbeit von Rolf Schmitt, der<br />

se<strong>in</strong>e langjährige Expertise unermüdlich e<strong>in</strong>fließen lässt, und Thomas Ad<strong>am</strong>, der als<br />

Leiter der Kulturabteilung <strong>Bruchsal</strong>s vielfältige städtische Unterstützung zuteil werden<br />

lässt. E<strong>in</strong>en wichtigen Beitrag leistet auch Gilbert Bürk, der mit Hilfe der Bürgerstiftung<br />

<strong>Bruchsal</strong> die Spendene<strong>in</strong>gänge der <strong>Bruchsal</strong>er Bürger verbucht und den Stolperste<strong>in</strong>en<br />

zuordnet. Und so s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> diesem Zus<strong>am</strong>menhang auch hunderte Mitbürger<br />

zu nennen, die sich bei Stolperste<strong>in</strong>verlegungen oder anderen Veranstaltungen, etwa<br />

beim ökumenischen Gottesdienst oder e<strong>in</strong>er jüdischen Stadtführung anlässlich des<br />

80-jährigen Jahrestags der Synagogenzerstörung, <strong>in</strong>teressiert und bee<strong>in</strong>druckt zeigen<br />

– und mit kle<strong>in</strong>eren oder größeren Spenden dazu beitragen, dass das Schülerprojekt<br />

weiter laufen kann.<br />

Projektgruppe „Stolperste<strong>in</strong>e“ der 8. Klassen <strong>am</strong> Justus-Knecht-Gymnasium. H<strong>in</strong>ten, von l<strong>in</strong>ks: Stephan,<br />

Marcel, Niklas, Fabian, Sven, Aaron, Max, Theo, Noah. Vorne, von l<strong>in</strong>ks: Luis, Paula, Lena, Sarah, Louis.<br />

2


Biografie von David Maier (1878-1942)<br />

von Fabian Butterer, Klasse 8u<br />

David Maier wurde <strong>am</strong> 31. Dezember 1878 <strong>in</strong> Malsch geboren. Er war Sohn von Jakob<br />

Maier, der Handelsmann <strong>in</strong> Malsch war, und Babette Kaufmann. Salomon, Rosa, Leopold<br />

und Albert waren se<strong>in</strong>e vier älteren Geschwister. Salomon (16.08.1870-24.09.1870) und<br />

Leopold (20.08.1873-08.09.1889) starben jung. Rosa war <strong>am</strong> 05.09.1871 und Albert <strong>am</strong><br />

16.02.1875 geboren. Die weiteren Lebenswege und Sterbedaten s<strong>in</strong>d nicht bekannt. David<br />

machte e<strong>in</strong>e Lehre zum Schneider und fertigte Herrenkleidung nach Maß. Am 02.07.1903<br />

heiratete David Maier Sophie Weil. Sie bek<strong>am</strong>en zwei K<strong>in</strong>der, Luzie und Hildegard. Zuerst<br />

lebte die F<strong>am</strong>ilie <strong>in</strong> der Friedrichstr. 8 <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er 4-Zimmer-Wohnung, ab 1907/10 <strong>in</strong> der<br />

Schwimmbadstr. 6 und seit 1910/13 <strong>in</strong> der Bismarckstr. 8. Dort betrieb er se<strong>in</strong>e Schneiderwerkstatt<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em hofseitigen Raum der 4-Zimmer-Wohnung. Dann war er im ersten<br />

Weltkrieg. Mit 38 Jahren zog er 1916 als Infanterist <strong>in</strong> den Krieg. Diesen Krieg überlebte<br />

er und wohnte ab 1922 <strong>in</strong> der Bismarckstr. 3 <strong>in</strong> <strong>Bruchsal</strong>. Das Haus wurde von se<strong>in</strong>em<br />

Schwiegervater Isidor Weil für se<strong>in</strong>e beiden ältesten Töchter gekauft. Mit ihm im Haus<br />

wohnten Otto Leh (Mechaniker), Paul Heise (Eisenbahn<strong>in</strong>spektor) sowie se<strong>in</strong> Schwager<br />

Julius Maier. Dieser war Kaufmann und hatte sogar e<strong>in</strong>e Telefonnummer (669) sowie e<strong>in</strong><br />

Konto (17195).<br />

Im Rahmen des Wiedergutmachungsverfahrens <strong>in</strong> den 1950ern wurde der Versuch unternommen,<br />

David Maiers Verdiensthöhe zu ermitteln, da sich daran die Rentenhöhe der<br />

Witwe bemaß. Mangels Unterlagen musste man sich auf Zeitzeugenaussagen verlassen,<br />

und diese s<strong>in</strong>d widersprüchlich. Se<strong>in</strong>e Frau Sophie erklärte, dass ihr Mann als selbständiger<br />

Schneidermeister mit eigenem Geschäft ständig e<strong>in</strong>en Gehilfen und zeitweilig auch<br />

e<strong>in</strong>en Lehrl<strong>in</strong>g beschäftigte. Die D<strong>am</strong>enschneider<strong>in</strong> Maria L<strong>am</strong>pert bestätigte dies, da ihre<br />

beiden Brüder 1910 bis 1912 bei David Maier <strong>in</strong> die Lehre g<strong>in</strong>gen und zusätzlich e<strong>in</strong> Geselle<br />

beschäftigt war. Nach anderer Aussage ließ der Turnerbund 1907 e. V. um 1908/10<br />

sämtliche Jacken bei ihm fertigen. Des Weiteren verkaufte er nebenher noch Kleiderstoffe<br />

und Zubehör. Dazu wurde e<strong>in</strong> Raum der 5-Zimmer-Wohnung <strong>in</strong> der Bismarckstr. 3 als<br />

Arbeitsraum verwendet (2 Nähmasch<strong>in</strong>en, ältere Regale mit Stoffballen usw.), während<br />

Anproben im Wohnzimmer stattfanden. Karl Häusler, e<strong>in</strong> alten Bekannter, gab zu Protokoll:<br />

„Herr Maier war mir seit 1910 bekannt als fleißiger, spars<strong>am</strong>er und solider Mann und<br />

tüchtiger Schneidermeister.“ Für se<strong>in</strong>e gute Arbeit als Schneidermeister wurde er dennoch<br />

nicht gut entlohnt. Die meisten Kunden waren Nichtjuden und blieben 1937 bis 1940 aus<br />

oder bezahlten ihre Schulden nicht. Es gibt aber auch Zeugenaussagen, dass Maier schon<br />

lange vor 1933 ohne Hilfskräfte gearbeitet hatte. Schneidermeister Franz Klumpp etwa<br />

konnte sich er<strong>in</strong>nern, dass Maiers Geschäft seit etwa 1928 <strong>zur</strong>ückg<strong>in</strong>g, weil es neue Betriebe<br />

gab, mit denen er nicht konkurrieren konnte: „Bereits im Jahr 1932 wurde ihm der monatliche<br />

Beitrag <strong>zur</strong> Schneider<strong>in</strong>nung <strong>in</strong> Höhe von 1,50 RM wegen schlechten Geschäftsgangs<br />

erlassen. Er war e<strong>in</strong> ehrlicher und redlicher Arbeiter, lebte aber <strong>in</strong> ärmlichen Verhältnissen. In<br />

den letzten drei Jahren <strong>in</strong> <strong>Bruchsal</strong> war Maier auch gesundheitlich nicht mehr auf der Höhe<br />

3


und beschäftigte sich vielfach mit Gartenarbeit.“ Ebenso gab es e<strong>in</strong>en Polizeibericht der<br />

<strong>Bruchsal</strong>er Polizei aus dem Jahre 1961, der zus<strong>am</strong>menfassend feststellte, dass David Maiers<br />

Kundenkreis nur sehr kle<strong>in</strong> war, dass er hauptsächlich Arbeitshosen, Bubenhöschen<br />

und Herrenhosen fertigte und d<strong>am</strong>it aufs Land, hauptsächlich nach Forst, zog, um sie zu<br />

verkaufen. „In der Hauptsache soll er e<strong>in</strong> sogenannter Flickschneider gewesen se<strong>in</strong>. Infolge<br />

der wenigen Arbeitsaufträge hatte Maier sehr viel Zeit zum Spazierengehen.“ Trotz gut und<br />

teuer e<strong>in</strong>gerichteter Wohnung machten die Maiers selbst e<strong>in</strong>en eher ärmlichen E<strong>in</strong>druck.<br />

Vom 11.11.1938 bis zum 22.11.1938 war David Maier <strong>in</strong> Dachau <strong>in</strong>haftiert. Danach durfte<br />

er se<strong>in</strong> Geschäft nicht mehr wiedereröffnen. Etwa zwei Jahre später, <strong>am</strong> 22.10.1940, wurde<br />

das Ehepaar mit Tochter Lucie nach Gurs <strong>in</strong> Südfrankreich deportiert. Am 14.08.1942<br />

wurde er weiter von Drancy (bei Paris) nach Auschwitz verschleppt. Zum Monatsende<br />

wurde David Maier für tot erklärt.<br />

Biografie von Sophie Maier geb. Weil (1879-1963)<br />

von Nicolai Will, Klasse 8u<br />

Sophie Weil wurde <strong>am</strong> 03.09.1879 <strong>in</strong> <strong>Bruchsal</strong> geboren. Sie war die älteste Tochter des<br />

Kaufmanns und Fabrikanten Isidor Weil und se<strong>in</strong>er Frau Emma. Sie hatte 11 Geschwister,<br />

vier von ihnen starben bereits <strong>in</strong> jungen Jahren. Sophies jüngster Bruder war 20 Jahre<br />

jünger als sie und so kümmerte sie sich sicher <strong>in</strong> ihren jungen Jahren um die kle<strong>in</strong>en<br />

Geschwister. Am 02.07.1903 heiratete die Tochter aus reichem Hause den armen Schneidermeister<br />

David Maier <strong>in</strong> der <strong>Bruchsal</strong>er Synagoge. Man kann es <strong>am</strong> Ehevertrag sehen,<br />

der <strong>am</strong> Hochzeitstag im Beise<strong>in</strong> von Sophies Vater geschlossen wurde. Während Davids<br />

Besitz lediglich aus Bett, Nähmasch<strong>in</strong>e, Handwerkszeug und Kleidern bestand, bek<strong>am</strong> Sophie<br />

von ihrem Vater e<strong>in</strong>e komplette, teure Wohnungse<strong>in</strong>richtung, reichhaltige Aussteuer<br />

und e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>es Barvermögen geschenkt. Von diesem Geld kaufte Sophie 1906 Ladene<strong>in</strong>richtungsgegenstände<br />

für die Schneiderei. Daher wurde 1909 e<strong>in</strong> zweiter Ehevertrag geschlossen,<br />

der die Zugew<strong>in</strong>ngeme<strong>in</strong>schaft <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Gütertrennung verwandelte. Überhaupt<br />

schien die f<strong>in</strong>anzielle Unterstützung durch die reiche F<strong>am</strong>ilie Weil groß gewesen zu se<strong>in</strong>:<br />

Isidor Weil vererbte 1921 das Mehrf<strong>am</strong>ilienhaus Bismarckstr. 3 an se<strong>in</strong>e beiden ältesten<br />

Töchter, Sophie und Betty. Beide Schwestern lebten fortan <strong>in</strong> dem Haus zus<strong>am</strong>men mit<br />

ihren F<strong>am</strong>ilien: Sophie hatte zwei Töchter, Lucie (geb. 1905) und Hilde (geb. 1910), Betty<br />

e<strong>in</strong>e Tochter, Ilse (geb. 1906). Sophies Brüder, die Fabrikbesitzer Julius und Otto Weil,<br />

wohnten zus<strong>am</strong>men mit der Mutter Emma und der unverheirateten Schwester Fanny um<br />

die Ecke (Pr<strong>in</strong>z-Wilhelm-Str. 7) und unterstützten F<strong>am</strong>ilie Maier auch <strong>in</strong> den Folgejahren<br />

f<strong>in</strong>anziell und auch dadurch, dass Tochter Hilde <strong>in</strong> den Firmen ihrer Onkel ihre Ausbildung<br />

machen und dort arbeiten durfte.<br />

Die ges<strong>am</strong>te Weil-Sippe wanderte rechtzeitig aus: Der ältere Bruder Julius Weil emigrierte<br />

1939 mit Frau Gertrude <strong>in</strong> die USA und nahm auch die alte, über 85-jährige Mutter<br />

und die ledige Schwester Fanny mit. Der jüngere Bruder Otto g<strong>in</strong>g mit Frau und Tochter<br />

4


ebenfalls 1939 <strong>in</strong> die USA. Die im Haus wohnende Schwester Betty Maier g<strong>in</strong>g mit ihrem<br />

Ehemann 1939 nach England, deren Tochter Ilse mit F<strong>am</strong>ilie <strong>in</strong> die USA. Auch die drei<br />

jüngsten Weil-Schwestern, die seit ca. 1920 nicht mehr <strong>in</strong> <strong>Bruchsal</strong> wohnten, wanderten<br />

mit ihren F<strong>am</strong>ilien <strong>in</strong> die USA aus. Warum blieben Sophie, ihr Mann David, die Tochter<br />

Luzie <strong>in</strong> <strong>Bruchsal</strong>? Wollten sie nicht auswandern? Wahrsche<strong>in</strong>lich hatten sie die f<strong>in</strong>anziellen<br />

Mittel nicht – sie waren wohl der ärmste Zweig der Weil-Sippe. Wahrsche<strong>in</strong>lich war<br />

e<strong>in</strong>e Unterstützung durch die <strong>in</strong>zwischen verarmten Weils nicht mehr möglich. Immerh<strong>in</strong><br />

hatte Sophie Maier im Zeitraum vom 16.12.1938 bis 16.11.1939 noch die f<strong>in</strong>anziellen<br />

Mittel, um 3250 RM Judenvermögensabgabe zu bezahlen. Als Hausbesitzer<strong>in</strong> musste sie<br />

zudem 1939/40 nicht zwangsweise ausziehen sondern blieb dort bis <strong>zur</strong> Deportation wohnen.<br />

Das war eher die Ausnahme, da christliche Hausbesitzer seit Juni 1939 das Recht<br />

hatten, Juden die Wohnung zu kündigen. So musste Sophie Maier zahlreiche andere jüdische<br />

<strong>Bruchsal</strong>er <strong>in</strong> ihr Haus aufnehmen. Am 22.10.1940 erfolgte die Deportation der drei<br />

<strong>zur</strong>ückgebliebenen Maiers nach Gurs. Zu diesem Zeitpunkt wurden aus demselben Haus<br />

deportiert: Alfred und Rosa Bär, Jettchen Bär, Siegfried Ritter, Ida Tuteur, Aron und Sofie<br />

Kahn sowie Leo Barth. Bis auf Leo Barth waren alle Mitbewohner zwischen 65 und 80<br />

Jahren alt. Ke<strong>in</strong>er dieser acht Mitbewohner wohnte schon im Mai 1939 im Haus.<br />

Im Lager Gurs starb Sophies Tochter Luzie nach e<strong>in</strong>em Jahr und Ehemann David Maier<br />

wurde im Sommer 1942 nach Auschwitz deportiert. Warum Sophie Maier bis 31.05.1943<br />

<strong>in</strong> Gurs blieb und der Deportation entk<strong>am</strong>, ist völlig unklar. Dann k<strong>am</strong> sie <strong>in</strong>s Lager Duadic<br />

und <strong>am</strong> 08.12.1943 bzw. 06.07.1944 <strong>in</strong>s Centre de Chateau-le-Roc. Von Januar 1945<br />

bzw. September 1945 bis September 1949 wohnte sie im Chateau-Le-Coudeau bei Basillac<br />

(Dordogne). Erst vier Jahre nach Kriegsende k<strong>am</strong> sie <strong>zur</strong>ück nach <strong>Bruchsal</strong>, weil sie die<br />

ganzen Jahre „auf den Abtransport nach Amerika zu me<strong>in</strong>er verheirateten Tochter wartete.<br />

Völlig mittellos kehrte ich im September 1949 aus Frankreich <strong>zur</strong>ück. B<strong>in</strong> auf Wohltätigkeit<br />

angewiesen.“ In e<strong>in</strong>er ärztlichen Untersuchung wurde der 149 cm und 50 kg schweren,<br />

70-jährigen Frau e<strong>in</strong> reduzierter Allgeme<strong>in</strong>- und Ernährungszustand besche<strong>in</strong>igt, durch<br />

die harten Haftbed<strong>in</strong>gungen (jahrelanges Nachtlager auf dem Bretterboden) hatte sich Sophie<br />

Maier zudem e<strong>in</strong> chronisches Nierenleiden zugezogen, an deren Folge sie fast erbl<strong>in</strong>dete.<br />

Außerdem hatte sie im<br />

Lager fast alle Zähne verloren<br />

und klagte über Atemnot<br />

und geschwollene Füße.<br />

Ihr Haus war im Bombenangriff<br />

1945 zerstört worden.<br />

Sie bek<strong>am</strong> zwar ihren Teil<br />

des Trümmergrundstücks<br />

<strong>zur</strong>ückerstattet, konnte es<br />

aber nicht nutzen und ver-<br />

An das Amt f. Wiedergutmachung.<br />

F.: GLA Karlsruhe 480 Nr. 5701-1.<br />

5


kaufte es. Bis 1953 wohnte sie <strong>in</strong> der Schönbornstr. 17 bei Frau Bausch <strong>zur</strong> Untermiete,<br />

seit diesem Jahr musste sie sich wegen ihrer Gebrechlichkeit und ihres Augenleidens<br />

e<strong>in</strong>e Putzfrau nehmen. 1954 bis 1957 wohnte sie <strong>in</strong> der Kasernenstr. 12, bis Sommer 1959<br />

im Speyerer Weg 33. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie Besuch von ihrer Tochter Hilde und<br />

Schwiegersohn Bruno aus New York. Leider lag sie <strong>in</strong> dieser Zeit wegen e<strong>in</strong>es Oberschenkelhalsbruchs<br />

im <strong>Bruchsal</strong>er Krankenhaus. Sie war d<strong>am</strong>als kaum noch <strong>in</strong> der Lage, ihre<br />

Unterschrift leserlich zu Papier zu br<strong>in</strong>gen und musste <strong>in</strong> der Folge nach Heidelsheim <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong> Pflegeheim für alte D<strong>am</strong>en ziehen (Volkner, <strong>Bruchsal</strong>er Str. 54). Wegen zunehmender<br />

Demenz bek<strong>am</strong> sie 1961 mit Frau Herta Nachmann, Karlsruhe, e<strong>in</strong>en Vormund. Am<br />

21.01.1963 verstarb sie <strong>in</strong> Heidelsheim und wurde auf dem <strong>Bruchsal</strong>er Jüdischen Friedhof<br />

an der Seite ihres Vaters beigesetzt.<br />

Biografie von Lucie Maier (1905-1941)<br />

von Sven Frietsch, Klasse 8u<br />

Gretchen Lucie Maier ist <strong>am</strong> 14.11.1905 <strong>in</strong> <strong>Bruchsal</strong>, <strong>in</strong> der Wohnung ihrer Eltern <strong>in</strong> der<br />

Friedrichstr. 8, geboren, ihr Rufn<strong>am</strong>e war Luzie. Sie war die Tochter von Sofie Weil und<br />

vom Schneidermeister David Maier. Sie hatte e<strong>in</strong> fünf Jahre jüngere Schwester n<strong>am</strong>ens<br />

Hildegard Zilla. Die F<strong>am</strong>ilie lebte bis etwa 1910 <strong>in</strong> der Schwimmbadstr. 6, danach zogen<br />

sie <strong>in</strong> die Bismarckstr. 8. 1911 wurde sie <strong>in</strong> der Volkschule e<strong>in</strong>geschult, fünf Jahre später<br />

wechselte sie auf die Höhere Mädchenschule. Dort k<strong>am</strong> sie <strong>in</strong> die E<strong>in</strong>gangsklasse VII und<br />

war <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Klasse mit 40 Schüler<strong>in</strong>nen, darunter auch Eva Majerowitz (vgl. S. 32), die<br />

wie die meisten nach der 4. Klasse der Volksschule <strong>in</strong> die Höhere Schule gewechselt war.<br />

In derselben Klasse waren auch zwei Schwestern, die <strong>in</strong> demselben Haus wie Luzie Maier<br />

wohnten: Elsa und Hedwig Hoch, Töchter des evangelischen Kaufmanns Richard Hoch.<br />

Ob die drei K<strong>in</strong>der geme<strong>in</strong>s<strong>am</strong> <strong>zur</strong> Schule g<strong>in</strong>gen? Luzie hatte eher schwache Leistungen<br />

schon im ersten Jahr. Am Ende des dritten Jahres wurde sie wegen ihrer schlechten Leis-<br />

6


tungen <strong>in</strong> Deutsch, Französisch und Geschichte nicht versetzt und verließ deswegen die<br />

Schule <strong>am</strong> Ende des darauffolgenden Schuljahrs, <strong>am</strong> 24. Juli 1920.<br />

1922 zog F<strong>am</strong>ilie Maier <strong>in</strong> die Bismarckstr. 3. Dort wohnten neben ihren Eltern und ihrer<br />

Schwester Hilde auch Tante Betty Maier geb. Weil, Onkel Julius Maier und Cous<strong>in</strong>e Ilse,<br />

die e<strong>in</strong> Jahr jünger als Luzie war. Was Luzie nach dem Schulbesuch von 1920 bis 1940 gemacht<br />

hat ist völlig unklar, vielleicht e<strong>in</strong>e Ausbildung? Warum gab es ke<strong>in</strong>e Hochzeit oder<br />

Auswanderung wie bei ihrer Schwester und Cous<strong>in</strong>e? Welche Talente, welche Charaktereigenschaften<br />

hatte sie? Aus den Wiedergutmachungsakten ihrer Schwester Hilde erfahren<br />

wir lediglich, dass beide Schwestern Klavierunterricht erhielten. E<strong>in</strong>zig klar ist, dass sie bis<br />

<strong>zur</strong> Deportation <strong>am</strong> 22.10.1940 nach Gurs noch <strong>in</strong> der Wohnung ihrer Eltern wohnte. Am<br />

2. Oktober 1941 starb Lucie dann <strong>in</strong> Gurs.<br />

Biografie von Hildegard Strauss geb. Maier<br />

(1910-1987)<br />

von Sven Frietsch, Klasse 8u<br />

Hildegard Zilla, die von ihrer F<strong>am</strong>ilie Hilde genannt wurde, war <strong>am</strong> 23.02.1910 <strong>in</strong> <strong>Bruchsal</strong><br />

geboren. Sie war die zweite Tochter von David Maier und Sophie Weil, ihre Schwester<br />

war Luzie Maier. Sie wurde <strong>in</strong> der Wohnung der F<strong>am</strong>ilie, die <strong>in</strong> der Schwimmbadstr. 6<br />

war, geboren. Ab 1916 war Hilde schulpflichtig; sie g<strong>in</strong>g <strong>in</strong> der 4. Klasse <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Privatschule,<br />

von der sie dann <strong>am</strong> 14.09.1920 <strong>in</strong> die E<strong>in</strong>gangsklasse der Höheren Töchterschule<br />

wechselte. Ihre Klassenlehrer<strong>in</strong> war die Lehr<strong>am</strong>tspraktikant<strong>in</strong> Eleonore von Müller, <strong>in</strong> ihre<br />

Klasse g<strong>in</strong>gen 30 andere Schüler<strong>in</strong>nen - auch das Nachbarsmädchen Trude Marx (vgl. 3.<br />

<strong>Gedenkschrift</strong> 2017, S. 30). Leider wurde sie aufgrund ihrer Schwächen <strong>in</strong> Deutsch und<br />

Französisch nach dem Ende des 2. Jahres nicht versetzt. In der neuen Klasse, die Professor<strong>in</strong><br />

Erika Gauckler unterrichtete, waren 40 Schüler<strong>in</strong>nen. Nach drei weiteren Jahren und<br />

Klassenliste der<br />

Höheren Mädchenschule<br />

<strong>Bruchsal</strong>,<br />

Klasse VII, 1917-1918.<br />

Nr. 23 Luzie Maier<br />

Nr. 24 Eva Majerowitz<br />

Foto: Justus-Knecht-<br />

Gymnasium <strong>Bruchsal</strong>.<br />

7


<strong>am</strong> Ende der Klasse IV verließ Hilde Maier im Februar 1925 die Schule und besuchte bis<br />

1927 die Handelsschule <strong>Bruchsal</strong>. Nach ihrer Schule machte sie e<strong>in</strong>e dreijährige kaufmännische<br />

Lehre bei der Papierwarenfabrik Isidor Weil, die ihrem Onkel gehörte, und blieb<br />

dort auch nach Beendigung ihrer Lehrzeit bis 1932. Dann g<strong>in</strong>g sie zum Wellpappenwerk<br />

<strong>Bruchsal</strong>. Der Chef dieser Firma war Otto Weil, der Onkel von Hilde. Sie hatte dort e<strong>in</strong>e<br />

sehr gute Stellung und verdiente 145 RM pro Monat. Am 5. November 1935 wanderte sie<br />

dann über Triest mit der SS „Israel“ nach Haifa aus und war glücklicherweise <strong>in</strong> der Lage,<br />

ihre komplette Aussteuer <strong>in</strong> mehreren großen Koffern mitzunehmen.<br />

Am 28.01.1937 heiratete Hildegard dann Bruno Strauss, der <strong>am</strong> 21.01.1911 <strong>in</strong> Limburg/<br />

Lahn geboren war. Am 15.03.1939 ließen sich die beiden <strong>in</strong> Paläst<strong>in</strong>a e<strong>in</strong>bürgern. Hilde<br />

machte alle möglichen Arbeiten im Haushalt für 3 Paläst<strong>in</strong>a-Pfund monatlich, da sie<br />

kaum Sprachkenntnisse hatte. Bruno arbeitete als Chauffeur, doch was er konkret machte,<br />

ist unklar. Jedenfalls war er von 1945 bis 1948 ohne Verdienst. Sie wohnten die ganze Zeit<br />

<strong>in</strong> Haifa/Israel, wo auch Brunos Bruder Gustav lebte, bis sie 1948 <strong>in</strong> die USA auswanderten.<br />

Hilde und Bruno wurden mit braunen Haaren und braunen Augen beschrieben, er<br />

war 175 cm groß, und sie war 162 cm groß. Ihre erste Anlaufstelle war Hildes Onkel Julius<br />

Weil <strong>in</strong> New York. Zunächst musste sie jede Arbeit annehmen und arbeitete <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Wäschefabrik.<br />

Bruno hat recht bald e<strong>in</strong>en gutbezahlten Job gefunden mit solidem, über Jahre<br />

konstantem E<strong>in</strong>kommen.<br />

Ihr Wohnort Ende der 1950er und auch noch 1972 war: 4300 Broadway, New York 33.<br />

Ihren letzten Besuch <strong>in</strong> <strong>Bruchsal</strong> und bei der alten Mutter hatten sie im September 1959<br />

und wohnten <strong>in</strong> der Zeit im Hotel Friedrichshof. Im Alter zogen sie dann nach Florida<br />

und starben beide 1987.<br />

Hildegard Strauss geb. Maier und Bruno Strauss, 1939. F.: E<strong>in</strong>wanderungsbehörde Paläst<strong>in</strong>a, www.archives.gov.il.<br />

8


Fotos <strong>zur</strong> F<strong>am</strong>ilie Isidor (Israel) und Emma Weil<br />

Von l<strong>in</strong>ks: Julius Maier, Ilse Gold<strong>in</strong>g geb. Maier, Manfred Gold<strong>in</strong>g.<br />

Foto 1: Juden-Karteikarte, Yad Vashem;<br />

Foto 2 und 3: E<strong>in</strong>wanderungsbehörde USA, www.f<strong>am</strong>ilysearch.org.<br />

Von l<strong>in</strong>ks: Julius Weil, Anna Kern geb. Weil, Arthur Kern.<br />

Foto 1: Geschichte der Juden im Landkreis Karlsruhe, S. 259;<br />

Foto 2 und 3: E<strong>in</strong>wanderungsbehörde USA, www.f<strong>am</strong>ilysearch.org.<br />

Bismarckstraße 3, <strong>Bruchsal</strong>.<br />

Foto: Habermann, Hochwasser.<br />

Grabanlage für F<strong>am</strong>ilie Weil auf dem Friedhof <strong>Bruchsal</strong>. Isidor Weil, Mitte, plante e<strong>in</strong> F<strong>am</strong>iliengrab für<br />

se<strong>in</strong>e große F<strong>am</strong>ilie, die aber ausgewandert ist bzw. ermordet wurde. Außer ihm wurde nur se<strong>in</strong>e nach<br />

<strong>Bruchsal</strong> <strong>zur</strong>ückgekehrte Tochter Sophie Maier geb. Weil hier 1963 beigesetzt. F.: Staatsarchiv Ludwigsburg.<br />

9


F<strong>am</strong>ilie Isidor (Israel) und Emma Weil<br />

(Eltern von Sophie Maier geb. Weil)<br />

Isidor (Israel) Weil<br />

* <strong>27.</strong>10.1853 Ste<strong>in</strong>sfurt bei S<strong>in</strong>sheim † 18.04.1921 <strong>Bruchsal</strong><br />

(Sohn von Seligmann Weil († vor 1878), Metzger, und Zibora Kahn)<br />

1878 Kaufmann <strong>in</strong> <strong>Bruchsal</strong>; Fabrikant Papierverarbeitung; wohnhaft Durlacher Str. 35 (1898), Pr<strong>in</strong>z-<br />

Wilhelm-Str. 7 (1922), <strong>Bruchsal</strong><br />

vh. 12.03.1878 <strong>Bruchsal</strong><br />

Emma Rosenthal<br />

* 23.10.1852 Liedolsheim † 22.08.1939 New York/USA<br />

(Tochter v. Josef Rosenthal (1823-1905), Metzgermeister <strong>in</strong> Liedolsheim, u. Babette Kahn (1828-1905))<br />

wohnhaft Pr<strong>in</strong>z-Wilhelm-Str. 7, <strong>Bruchsal</strong>, Auswanderung 03.1939 <strong>in</strong> USA<br />

12 K<strong>in</strong>der:<br />

1. Sophie Weil * 03.09.1879 <strong>Bruchsal</strong> † 21.01.1963 Heidelsheim<br />

1922-1940 Bismarckstr. 3, <strong>Bruchsal</strong>; 22.10.1940 nach Gurs deportiert; 1949 <strong>zur</strong>ück nach <strong>Bruchsal</strong><br />

vh. 02.07.1903 <strong>Bruchsal</strong><br />

David Maier<br />

* 31.12.1878 Malsch/KA † 14.08.1942 Auschwitz<br />

(Sohn von Jakob Maier, Handelsmann <strong>in</strong> Malsch, und Babette Kaufmann)<br />

1903 Schneidermeister <strong>in</strong> <strong>Bruchsal</strong>; 22.10.1940 nach Gurs deportiert, 1942 nach Auschwitz<br />

2 K<strong>in</strong>der:<br />

a) Gretchen Luzia Maier * 14.11.1905 <strong>Bruchsal</strong> † 02.10.1941 Gurs<br />

22.10.1940 Deportation nach Gurs<br />

b) Hildegard Zilla Maier * 23.02.1910 <strong>Bruchsal</strong> † 01.06.1987 Golden Beach/Mi<strong>am</strong>i/USA<br />

kaufm. Angestellte Papierfabrik Weil, 11.1935 nach Paläst<strong>in</strong>a ausgewandert, 1948 <strong>in</strong> USA<br />

vh. 28.01.1937 Haifa/Israel<br />

Bruno Strauss<br />

* 21.01.1911 Limburg/Lahn † 01.08.1987 Golden Beach/USA<br />

(Sohn v. Isaak u. Rosa Strauss); 1937 Chauffeur; Ehepaar wohnt 1950er bis m<strong>in</strong>d. 1972 <strong>in</strong> NY, k<strong>in</strong>derlos<br />

2. Betty Weil * 05.04.1880 <strong>Bruchsal</strong> † USA<br />

Bismarckstr. 3, <strong>Bruchsal</strong>; 08.1940 <strong>in</strong> USA ausgewandert<br />

vh. 14.09.1905 <strong>Bruchsal</strong><br />

Julius (Jesaias) Maier * 14.04.1879 Malsch/KA † USA<br />

(Sohn von Leopold Maier, Handelsmann († vor 1905) und Ida Lion († vor 1905), Malsch)<br />

1905 Kaufmann <strong>in</strong> <strong>Bruchsal</strong>; 08.1940 von Liverpool nach USA ausgewandert<br />

1 K<strong>in</strong>d:<br />

a) Ilse Elsa Ida Maier *18.09.1906 <strong>Bruchsal</strong> † 01.10.1973 Bronx/NY/USA<br />

03.1938 über H<strong>am</strong>burg nach New York ausgewandert, lebt 1940 und später <strong>in</strong> New York<br />

vh. 21.12.1931 Br. Manfred Goldste<strong>in</strong> (Gold<strong>in</strong>g) * 13.12.1896 Obbach † 07.1979 Long Island City<br />

1 K<strong>in</strong>d: Luther Norman Gold<strong>in</strong>g (1934 Ka. – 2012 NY); vh. Ruth Selig (1937 – 2005), 1 Tochter<br />

3. Fanny Weil * 17.05.1881 <strong>Bruchsal</strong> † ??.06.1966 Short Hills/NJ/USA<br />

Modist<strong>in</strong>, Pr<strong>in</strong>z-Wilhelm-Str. 7, Br.; 03.1939 <strong>in</strong> USA, 04.1940 <strong>in</strong> NY bei Bruder Otto Weil, unverh.<br />

4. Seligmann Weil * 28.06.1882 <strong>Bruchsal</strong> † 06.06.1883 <strong>Bruchsal</strong><br />

5. Bertha Weil * 07.03.1884 <strong>Bruchsal</strong> † 26.12.1884 <strong>Bruchsal</strong><br />

10


6. Julius Weil * 15.07.1885 <strong>Bruchsal</strong> † 03.06.1956 Elizabeth/NJ/USA<br />

1921 Fabrikant Wellpappenwerk <strong>in</strong> <strong>Bruchsal</strong>; Pr<strong>in</strong>z-Wilhelm-Str. 7, Br.; 04.1937 und 03.1939 <strong>in</strong> USA;<br />

1942 Angestellter <strong>in</strong> Queens/NY/USA; 1956 Teilhaber der General Gummed Products Inc., L<strong>in</strong>den/NJ<br />

vh. 21.10.1937 <strong>Bruchsal</strong><br />

Gertrude Kahn<br />

* 30.08.1905 Rhe<strong>in</strong>bischofsheim † 09.04.1996 L<strong>in</strong>den/NJ/USA<br />

7. Natalie Weil * 05.11.1886 <strong>Bruchsal</strong> † 15.02.1952 New York/USA<br />

vh. 11.07.1919 <strong>Bruchsal</strong><br />

Jakob Goldschmidt (Albert Goldsmith) * 23.04.1886 Bad Hersfeld † 19.10.1963 NY/USA<br />

1919 Kaufmann <strong>in</strong> Düsseldorf-Wupperthal, 03.1937 mit F<strong>am</strong>ilie nach New York emigriert<br />

2 K<strong>in</strong>der:<br />

a) Fritz (Fred) Goldsmith * 09.06.1920 Düsseldorf † 23.08.2016 Highland Beach, FL<br />

1949-2000 Besitzer Superior Tape Corporation, 1963 West Englewood, NJ; vh. Edith Lehmann, 2 K<strong>in</strong>der<br />

b) Hans (Harry) Goldsmith * ~ 1923 Düsseldorf † 05.03.2011<br />

1963 <strong>in</strong> Woodmere, NY; vh. Myra, 2 K<strong>in</strong>der<br />

8. Karol<strong>in</strong>e Weil * 07.03.1889 <strong>Bruchsal</strong> †<br />

F<strong>am</strong>ilie 11.1938 nach Straßburg geflohen; Lyon; 11.1941 über Lissabon nach New York emigriert<br />

vh. 04.07.1921 <strong>Bruchsal</strong><br />

Leo Kahn * 07.09.1883 Freistett-Neufreistett †<br />

1921 Kaufmann <strong>in</strong> Freistett-Neufreistett, 11.1941 über Lissabon nach New York emigriert<br />

2 K<strong>in</strong>der:<br />

a) George J. Kahn * 21.04.1922 † 31.03.2018<br />

über 50 Jahre wohnhaft <strong>in</strong> Moorestown NJ; vh. Ruth Manheimer † vor 2016, 2 K<strong>in</strong>der<br />

b) Franz (Frank Jay) Kahn * 23.02.1929 Baden-Baden<br />

11.1941 über Lissabon nach New York emigriert; <strong>2019</strong> Raritan, NJ; vh. Marilyn Penton, 1 K<strong>in</strong>d<br />

9. Rosa Weil * 26.05.1890 <strong>Bruchsal</strong> † 16.01.1891 <strong>Bruchsal</strong><br />

10. Ida Weil * 12.10.1891 <strong>Bruchsal</strong> † 16.10.1892 <strong>Bruchsal</strong><br />

11. Anna Weil * 17.02.1893 <strong>Bruchsal</strong> † 01.02.1984 New York/USA<br />

04.1939 über Le Havre nach New York; 1940 <strong>in</strong> New York wohnhaft<br />

vh. 15.05.1922 <strong>Bruchsal</strong><br />

Arthur Kern<br />

* 09.07.1882 Böch<strong>in</strong>gen † USA<br />

1922 Kaufmann <strong>in</strong> Böch<strong>in</strong>gen; 1930-1938 <strong>in</strong> Landau; 1938-1939 <strong>Bruchsal</strong>, 04.1939 <strong>in</strong> USA<br />

1 K<strong>in</strong>d:<br />

a) Arm<strong>in</strong> Kern * 05.02.1923 Landau † 08.04.2002 Lex<strong>in</strong>gton/MA<br />

04.1939 nach New York; Ingenieur; 1996 <strong>in</strong> Lex<strong>in</strong>gton; vh. 1953 Lore Jean Anderson (1930-2013); 3 Ki.<br />

12. Otto Nathan Weil * 24.10.1898 <strong>Bruchsal</strong> † 02.05.1986 West Palm Beach/USA<br />

1920 Kaufmann, 1926 Fabrikant, 4.1939 <strong>in</strong> USA emigriert, 1980er <strong>in</strong> Florida wohnhaft<br />

vh. 04.11.1926 <strong>Bruchsal</strong><br />

Anneliese Kaufmann * 28.09.1908 <strong>Bruchsal</strong> † 06.10.2004 West Palm Beach/USA<br />

(T. v. Simon Kaufmann und Helene Tuw<strong>in</strong>er)<br />

1 K<strong>in</strong>d:<br />

a) Inge Beate (Beatrice) Weil * ~ 1932<br />

04.1939 USA; lebte <strong>in</strong> Palm Beach, FL; 2017 <strong>in</strong> Rancho Santa Fe, CA; vh. 1952 Gilbert Bloch; 1 Sohn<br />

11


Biografien von D<strong>in</strong>a L<strong>in</strong>dauer<br />

geb. Löwenthal (1900-1998) und<br />

Hans Moritz L<strong>in</strong>dauer (1927-1945)<br />

Wie der N<strong>am</strong>e L<strong>in</strong>dauer nach Menz<strong>in</strong>gen k<strong>am</strong><br />

von Rolf Schmitt<br />

Schon vor der Kirchenreformation Anfang des 16. Jahrhunderts waren <strong>in</strong> Menz<strong>in</strong>gen Juden<br />

ansässig. Doch während des 30-jährigen Krieges (1618 – 1648) haben diese größtenteils<br />

den Ort wieder verlassen, soweit sie <strong>in</strong> den Kriegswirren nicht umgekommen s<strong>in</strong>d. In dem<br />

ausgestorbenen und verarmten Dorf waren<br />

ke<strong>in</strong>e Handelsgeschäfte mehr zu machen.<br />

Erst nach 1650 k<strong>am</strong>en erneut e<strong>in</strong>ige jüdische<br />

F<strong>am</strong>ilien nach Menz<strong>in</strong>gen. Um 1700 bestand<br />

<strong>in</strong> Menz<strong>in</strong>gen wieder e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e jüdische Geme<strong>in</strong>de,<br />

wie e<strong>in</strong>er „herrschaftlichen Resolution“<br />

aus dem Jahre 1693 zu entnehmen ist. E<strong>in</strong><br />

Dokument von 1807 erwähnt den Judenvorsänger<br />

Meier, geboren 1752 <strong>in</strong> Gemm<strong>in</strong>gen<br />

und 1811 <strong>in</strong> Menz<strong>in</strong>gen verstorben.<br />

Dessen <strong>am</strong> 11. <strong>März</strong> 1780 <strong>in</strong> Menz<strong>in</strong>gen geborene<br />

Sohn Sassel Meier bat im April 1807<br />

se<strong>in</strong>e Herrschaft, ihm Schutz als Schutzjude<br />

zu gewähren. Dies brachte ihm gewisse Privilegien,<br />

er musste aber auch besondere Abgaben<br />

leisten. Mit e<strong>in</strong>em Schutzbrief wurde<br />

se<strong>in</strong>er Bitte entsprochen: „Menz<strong>in</strong>gen im<br />

Creichgau. Durch e<strong>in</strong> durch die Freiherrlich<br />

von Menz<strong>in</strong>genschen hohen Vormundtschaft<br />

ergangenes Decret, vom 7. April 1807 ist dem e<strong>in</strong>zig-ledig- und Majorenen [volljährigen]<br />

Sohn des dahier gewesenen Judenvorsängers Meier, n<strong>am</strong>ens Sassel Meier auf se<strong>in</strong> unterthänigs<br />

Gesuch der hiesige Schutz gnädig ertheilt worden, wogegen er jährlich Zehen Acht [18] Gulden<br />

Requisitionsgeld <strong>zur</strong> ortsherrrlichen Kasse zu bezahlen hat. Dies wird demselben <strong>in</strong> Kraft<br />

Schutzbriefs andurch beurkundet. Menz<strong>in</strong>gen, d. 19. April 1807 <strong>in</strong> Vormundschafts Nahmens<br />

Freiherrl. v. Menz<strong>in</strong>genscher Amtmann Schreiber.“<br />

Am 13. Januar 1809 erließ der Großherzog von Baden das Badische Judenedikt, das hauptsächlich<br />

die kirchenrechtlichen Verhältnisse der badischen Juden im Großherzogtum regelte.<br />

Nun bestand auch für jüdische K<strong>in</strong>der Schulpflicht. Die Wehrpflicht wurde e<strong>in</strong>geführt<br />

und erbliche F<strong>am</strong>ilienn<strong>am</strong>en im Unterschied zu den traditionellen F<strong>am</strong>ilienn<strong>am</strong>en wurden<br />

vorgeschrieben, ebenso die Ausübung e<strong>in</strong>es bürgerlichen Berufs. Heiratserlaubnis galt jetzt<br />

12<br />

Bestätigung über die Annahme des erblichen<br />

Zun<strong>am</strong>ens „L<strong>in</strong>dauer“. Foto: privat.


für alle Bürger.<br />

Der gerade erst Schutzjude gewordene Sassel Meier nahm den erblichen Zun<strong>am</strong>en L<strong>in</strong>dauer<br />

an: „Menz<strong>in</strong>gen. Der hiesige SchutzJude Sassel Meier, 28. Jahr alt, ledig hat nach dem Protocoll<br />

vom heutigen für sich und se<strong>in</strong>ige künftige F<strong>am</strong>ilie mit Beibehaltung se<strong>in</strong>er bisherigen<br />

N<strong>am</strong>en als Vorn<strong>am</strong>en den erblichen Zun<strong>am</strong>en L<strong>in</strong>dauer angenommen, worüber demselben<br />

<strong>zur</strong> Beurkundung se<strong>in</strong>es bürgerlichen Standes gegenwärtiger Sche<strong>in</strong> erteilt wird. d. 9. Mai 1809<br />

Freiherr von Menz<strong>in</strong>gensches Amt Schreiber“. Wenig später heirateten Sassel und die <strong>am</strong> 13.<br />

November 1782 <strong>in</strong> Kusterd<strong>in</strong>gen geborene Esther Elise Neumann. Es ist nicht bekannt, warum<br />

Sassel Maier den Nachn<strong>am</strong>en L<strong>in</strong>dauer wählte. Er wurde aber St<strong>am</strong>mvater der großen<br />

Menz<strong>in</strong>ger L<strong>in</strong>dauer-Dynastie.<br />

Im Mai 1921 wanderte der letzte Jude aus Menz<strong>in</strong>gen aus, zuvor schon die große Nachkommenschaft<br />

von Sissel L<strong>in</strong>dauer. E<strong>in</strong>ige L<strong>in</strong>dauers suchten ihr Glück <strong>in</strong> Amerika, viele ließen<br />

sich <strong>in</strong> <strong>Bruchsal</strong> nieder, wo sie ihre Lebensumstände bedeutend verbessern konnten.<br />

E<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e <strong>Bruchsal</strong>er F<strong>am</strong>ilie: Leopold, D<strong>in</strong>a und Hans L<strong>in</strong>dauer<br />

von Rolf Schmitt<br />

Bismarckstraße 12<br />

Man weiß nicht, wie der Tabakkaufmann Leopold L<strong>in</strong>dauer, Sohn von Moritz und Elise L<strong>in</strong>dauer,<br />

und die aus Regensburg st<strong>am</strong>mende D<strong>in</strong>a Löwenthal zus<strong>am</strong>men k<strong>am</strong>en. Vielleicht<br />

war es, wie d<strong>am</strong>als üblich, e<strong>in</strong>e arrangierte Hochzeit. Die beiden heirateten <strong>am</strong> 21. Mai 1924<br />

<strong>in</strong> Regensburg und drei Jahre später, <strong>am</strong> 9. Juni 1927, k<strong>am</strong> Hans Moritz <strong>zur</strong> Welt. Er sollte<br />

das e<strong>in</strong>zige K<strong>in</strong>d der F<strong>am</strong>ilie bleiben. Den zweiten Vorn<strong>am</strong>en<br />

erhielt Hans Moritz <strong>in</strong> Er<strong>in</strong>nerung an se<strong>in</strong>en Großvater, der<br />

nur wenige Wochen vor der Geburt von Hans verstorben war.<br />

Sie dürften e<strong>in</strong> glückliches Leben <strong>in</strong> der <strong>Bruchsal</strong>er<br />

Bismarckstraße 12 geführt haben – bis zum überra-<br />

D<strong>in</strong>a L<strong>in</strong>dauer um 1940.<br />

Foto: privat.<br />

Leopold L<strong>in</strong>dauer <strong>in</strong> Uniform<br />

des Deutschen Heeres um<br />

1915. Foto: privat.<br />

13<br />

Hans L<strong>in</strong>dauer bei der E<strong>in</strong>schulung<br />

1934. Foto: privat.


schenden Tod von Vater Leopold <strong>am</strong> 14. Dezember<br />

1936. Peter Strauss 1 , der <strong>in</strong> New York lebte und e<strong>in</strong><br />

Neffe von D<strong>in</strong>a L<strong>in</strong>dauer war, schrieb hierzu der<br />

<strong>Bruchsal</strong>er Stolperste<strong>in</strong><strong>in</strong>itiative, er sei als K<strong>in</strong>d bei<br />

den L<strong>in</strong>dauers <strong>in</strong> <strong>Bruchsal</strong> zu Besuch gewesen und<br />

habe dort Hans Moritz noch persönlich getroffen.<br />

Dessen Vater sei recht früh an Krebs verstorben. Sicher<br />

war es nach dem Tode des erst 45 Jahre alten<br />

F<strong>am</strong>ilienvaters für dessen Witwe und den 9-jährigen<br />

Sohn nicht e<strong>in</strong>fach. Es lebten 1936 nur noch wenige<br />

L<strong>in</strong>dauers <strong>in</strong> <strong>Bruchsal</strong>. Nachdem Fanny L<strong>in</strong>dauer<br />

1938 nach Karlsruhe gezogen war, befanden sich<br />

von der vormals großen L<strong>in</strong>dauer-Sippe nur noch<br />

D<strong>in</strong>a und Hans hier.<br />

Flucht aus <strong>Bruchsal</strong><br />

Als jüdischen Mitbürgern drohten D<strong>in</strong>a und Hans<br />

der Verlust der Wohnung und die E<strong>in</strong>weisung <strong>in</strong> e<strong>in</strong><br />

sog. Judenhaus, ebenso wie antisemitische Übergriffe<br />

durch Nazi-Parteigänger oder aus der Bevölkerung.<br />

Der Mutter wurde klar, dass auch sie und ihr Sohn emigrieren<br />

mussten. So zogen sie im August 1938 nach<br />

Schülermonatskarte von Hans <strong>in</strong><br />

Frankfurt. Foto: R. Schmitt.<br />

Frankfurt, um <strong>in</strong> der Anonymität der Großstadt unterzutauchen.<br />

Dort wohnten sie <strong>in</strong> der Joseph-Haydn-Str. 45 2 .<br />

Noch im gleichen Monat fuhr D<strong>in</strong>a nach Stuttgart zum<br />

Amerikanischen Konsulat, um Visa für die USA zu beantragen.<br />

Diese erhielt sie nicht. Mit der sehr hohen Nummer<br />

14602 wurde sie auf die Warteliste gesetzt.<br />

Um Hans <strong>in</strong> Sicherheit zu br<strong>in</strong>gen, schickte D<strong>in</strong>a den<br />

11-Jährigen im Januar 1939 mit e<strong>in</strong>em K<strong>in</strong>dertransport<br />

zus<strong>am</strong>men mit 200 anderen K<strong>in</strong>dern <strong>in</strong> die Niederlande.<br />

Nach e<strong>in</strong>em Aufenthalt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em jüdischen K<strong>in</strong>derheim<br />

k<strong>am</strong> Hans im Juni 1939 zu se<strong>in</strong>en jüdischen Pflegeeltern<br />

Herman und Judith van Meekren. Im gleichen Haushalt<br />

lebten deren K<strong>in</strong>der Sophie (Fietje) und Jacob Herman<br />

(Jaap) van Meekren 3 , sowie die bekannte jüdische Journalist<strong>in</strong><br />

und K<strong>in</strong>derbuchautor<strong>in</strong> Helene (Leni) van Meekren.<br />

1<br />

Peter Strauss verstarb <strong>am</strong> 2. <strong>März</strong> <strong>2019</strong> <strong>in</strong> New York.<br />

2<br />

Heute heißt die Joseph-Haydn-Straße wieder wie vor der Zeit des Nationalsozialismus, nämlich Mendelssohnstraße,<br />

benannt nach Dr. phil. h.c. Felix Mendelssohn-Bartholdy (1809 – 1847), Komponist, Pianist<br />

und Dirigent jüdischer Herkunft. Se<strong>in</strong> Vater, der Bankier Abrah<strong>am</strong> Mendelssohn, trat zum evangelischen<br />

Glauben über.<br />

3<br />

Jacob Herman (Jaap) van Meekren war nach dem Krieg e<strong>in</strong> bekannter niederländischer Fernsehjournalist<br />

und Moderator.<br />

14<br />

Von l<strong>in</strong>ks: D<strong>in</strong>a, Hans und Oma Elise<br />

L<strong>in</strong>dauer, um 1934. Foto: privat.


Die geme<strong>in</strong>s<strong>am</strong>e Ausreise scheitert<br />

Mittlerweile hatte D<strong>in</strong>a Ausreisepapiere für England, sie wollte Hans mitnehmen und<br />

plante, ihn Anfang September <strong>in</strong> Holland abzuholen. Der deutsche Überfall auf Polen <strong>am</strong><br />

1. September 1939 machte jedoch e<strong>in</strong>e Reise nach Holland unmöglich. D<strong>in</strong>a L<strong>in</strong>dauer musste<br />

alle<strong>in</strong>e nach England fliehen. Im August 1940 emigrierte sie <strong>in</strong> die USA. Dort zog sie<br />

zu ihrer verwitweten Schwester<br />

Adolf<strong>in</strong>e (F<strong>in</strong>e), die mit Jonas<br />

Just<strong>in</strong> Strauss verheiratet war<br />

und im New Yorker Stadtteil J<strong>am</strong>aica<br />

lebte. F<strong>in</strong>e war, ebenfalls<br />

von London kommend, im Juni<br />

1940 <strong>in</strong> die USA e<strong>in</strong>gewandert.<br />

F<strong>in</strong>es Sohn Peter berichtete, D<strong>in</strong>a<br />

habe viele Jahre bei se<strong>in</strong>er Mutter<br />

gelebt. Gleich nach ihrer Ankunft<br />

habe D<strong>in</strong>a e<strong>in</strong>e Ausbildung <strong>zur</strong><br />

Masseur<strong>in</strong> im Catskill Resort<br />

Dieses Bild (im Orig<strong>in</strong>al <strong>in</strong> Farbe) hat Hans se<strong>in</strong>er Mutter <strong>in</strong> die<br />

USA geschickt, um 1940. Foto: R. Schmitt.<br />

Gross<strong>in</strong>ger 4 absolviert. Hans und<br />

se<strong>in</strong>e Mutter standen immer im<br />

Briefkontakt, meist über Verwandte,<br />

Freunde oder Bekannte, größtenteils über die neutrale Schweiz. Doch viele Briefe<br />

wurden nicht zugestellt. Sie k<strong>am</strong>en <strong>zur</strong>ück mit dem Vermerk „Return to Sender, No Service<br />

available“. Weil er lange nichts von se<strong>in</strong>er Mutter hörte, schrieb Hans im Mai 1940 besorgt<br />

an se<strong>in</strong>en New Yorker Onkel Sigmund Orbach: „Lieber Onkel Sigmund, glücklich dürfen wir<br />

wieder nach Amerika Briefe schicken. Und nun kann ich Dir schreiben dass wir alle gesund s<strong>in</strong>d<br />

und dass es uns gut geht. Leider weiß die liebe Mutti das nicht. Vielleicht willst Du so freundlich<br />

se<strong>in</strong> und es ihr schreiben.“ 5<br />

Die deutsche Wehrmacht überfällt die Niederlande<br />

Der Überfall der deutschen Wehrmacht <strong>am</strong> 10. Mai 1940 auf die neutralen Niederlande zog<br />

diese <strong>in</strong> das Kriegsgeschehen e<strong>in</strong>. Entgegen zuvor gemachter Zusagen der Besatzer, die holländischen<br />

Gesetze zu beachten, wurde später von deutscher Seite ausgeführt, dass dies für<br />

Juden nicht gelte. Diese seien aus deutscher Sicht ke<strong>in</strong>e Niederländer, sondern schlicht Fe<strong>in</strong>de.<br />

Den Schutz, den D<strong>in</strong>a für Hans erhoffte, gab es nicht mehr. Die graus<strong>am</strong>e Masch<strong>in</strong>erie <strong>zur</strong><br />

Vernichtung der nicht <strong>in</strong> das Weltbild der Nationalsozialisten passenden Menschen begann.<br />

Es gelang der Mutter, für Hans e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>reiseerlaubnis nach Kuba zu bekommen und sie g<strong>in</strong>g<br />

4<br />

Das Catskill Resort Hotel von Gross<strong>in</strong>ger befand sich <strong>in</strong> der Nähe von New York im sogenannten „Borscht<br />

Belt“ (Borschtsch-Gürtel, „Jüdische Alpen“) mit Feriensiedlungen New Yorker Juden. Es war e<strong>in</strong>e der größten<br />

koscheren Ferienanlagen dort. Der fiktive Ort „Kellerman‘s“ des Films „Dirty Danc<strong>in</strong>g“ von 1987 basiert<br />

auf dem Catskill Resort Hotel.<br />

5<br />

Die nicht zugestellten und retournierten Briefe hat D<strong>in</strong>a L<strong>in</strong>dauer zus<strong>am</strong>men mit denen ihres Sohnes<br />

sorgfältig aufbewahrt. Heute bef<strong>in</strong>den sich diese im Leo-Baeck-Institut <strong>in</strong> New York (www.lbi.<br />

org).<br />

15


davon aus, dass vom kubanischen Konsulat nun e<strong>in</strong> Visum erteilt würde. Am 17. <strong>März</strong> 1941<br />

überwies D<strong>in</strong>a L<strong>in</strong>dauer 435 US$ 6 , um Hans die Ausreise zu ermöglichen. Viel Geld, das<br />

D<strong>in</strong>a <strong>in</strong> der kurzen Zeit, die sie <strong>in</strong> den USA war, nie hat verdienen können. Sicher haben<br />

Verwandte und Freunde D<strong>in</strong>a f<strong>in</strong>anziell unterstützt, d<strong>am</strong>it Hans <strong>in</strong> die USA zu se<strong>in</strong>er Mutter<br />

kommen konnte. Doch die Lage <strong>in</strong> den Niederlanden wurde immer bedrohlicher. Seit <strong>März</strong><br />

1941 wurden dort die Juden immer mehr isoliert und <strong>in</strong> die Enge getrieben.<br />

Am 22. November 1941 schrieb die Mutter an ihren Sohn: „Geliebtes Hansile<strong>in</strong>, ich werde Dir<br />

natürlich diesen Kosen<strong>am</strong>en nicht <strong>in</strong> der Öffentlichkeit geben, denn ich weiß, dass es zu e<strong>in</strong>em<br />

angehenden jungen Mann nicht passt, ihn mit k<strong>in</strong>dlichen N<strong>am</strong>en zu nennen. Auf me<strong>in</strong>e diversen<br />

Telegr<strong>am</strong>me habe ich noch ke<strong>in</strong>erlei Antwort bekommen. Ich erhielt vom Comité [Judenrat<br />

Amsterd<strong>am</strong>] 7 e<strong>in</strong>en Brief vom 11. Oktober [1941] adressiert, dass e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>reise nach der<br />

Schweiz nicht möglich und dass nur e<strong>in</strong>e Cubareise mit dortigem Empfang des <strong>am</strong>erikanischen<br />

Visums möglich ist. […] Es liegt nun der Schwerpunkt dar<strong>in</strong>, dass Du reisen [...] kannst. Wir<br />

machen schon wieder Pläne und weiß ich gar nicht, was ich Dir [<strong>in</strong> New York] zuerst zeigen<br />

soll.“ Doch e<strong>in</strong>e Auswanderung war so gut wie nicht mehr möglich, wie Sophie Willner 8 aus<br />

Küsnacht kurz darauf berichtete: „Seit 1. Dezember [1941] haben diese Halsabschneider die<br />

Auswanderung gesperrt, alle mussten ihre Pässe <strong>zur</strong>ückgeben, ob e<strong>in</strong> Überseevisum dar<strong>in</strong> war<br />

oder nicht.“ Am 7. Januar 1942 schrieb Hans über das Rote Kreuz an se<strong>in</strong>e Mutter: „Liebe<br />

Mutti, wie geht es Dir? Mach Dir ke<strong>in</strong>e Sorgen. Hier genau wie es war. Hatte sehr gutes Zeugnis.<br />

Grüße an F<strong>am</strong>ilie. Gratuliere Geburtstag“.<br />

Deportation <strong>in</strong>s Durchgangslager Westerbork<br />

Im Juli 1942 begannen auch <strong>in</strong> den Niederlanden die Deportationen jüdischer Menschen,<br />

getarnt als Aufruf zum „Arbeitse<strong>in</strong>satz im Osten“. In Razzien wurde die jüdische Bevölkerung<br />

zus<strong>am</strong>men getrieben und nach Westerbork 9 verbracht. Die Mutter ließ dennoch<br />

weiterh<strong>in</strong> nichts unversucht. E<strong>in</strong>e Ausreise von Hans über die Schweiz sche<strong>in</strong>t möglich.<br />

Am <strong>27.</strong> Juli 1942 telegrafierte sie an ihre Schwester Elsa Fleissig <strong>in</strong> Argent<strong>in</strong>ien: „Bitte<br />

arrangiere sofort die Immigration von Hans nach Argent<strong>in</strong>ien. Ausreise über die Schweiz<br />

möglich.“ Am 11. Dezember 1942 musste sie dann aber an Sophie Willner schreiben: „Wegen<br />

der E<strong>in</strong>reise nach Argent<strong>in</strong>ien habe ich me<strong>in</strong>er Schwester telegraphiert, doch g<strong>in</strong>g das<br />

Telegr<strong>am</strong>m nicht durch, so verzögert sich eben alles.“ Doch auch dieser Brief k<strong>am</strong> wie so<br />

viele nie beim Adressaten an.<br />

6<br />

Dies entspricht etwa 4.000 bis 5.000 Euro.<br />

7<br />

Der „Judenrat Amsterd<strong>am</strong>“ (Joodsche Raad voor Amsterd<strong>am</strong>) war e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>richtung der deutschen Besatzungsmacht.<br />

Gezwungenermaßen war der Judenrat Kooperationspartner und zentraler Ansprechpartner<br />

der Zentralstelle für jüdische Auswanderung <strong>in</strong> Amsterd<strong>am</strong>. Die Aufgaben der Zentralstelle umfassten zunächst<br />

die Beschleunigung der zwangsweisen Emigration von jüdischen Menschen aus den Niederlanden.<br />

Später fungierte die Zentralstelle auch als Exekutivorgan für „jüdische Angelegenheiten“ bis h<strong>in</strong> <strong>zur</strong> Organisation<br />

von Deportationen <strong>in</strong> die Vernichtungslager.<br />

8<br />

Es ist nicht bekannt, um wen es sich bei Sophie Willner <strong>in</strong> Küsnacht handelte. Die Geme<strong>in</strong>de Küsnacht<br />

führte ke<strong>in</strong>e Person mit diesem N<strong>am</strong>en im E<strong>in</strong>wohnerverzeichnis.<br />

9<br />

Das Polizeiliche Judendurchgangslager Westerbork war e<strong>in</strong> von den nationalsozialistischen Besatzern <strong>in</strong><br />

den Niederlanden e<strong>in</strong>gerichtetes KZ-S<strong>am</strong>mellager für die Deportation niederländischer und sich <strong>in</strong> den<br />

Niederlanden aufhaltender deutscher Juden <strong>in</strong> andere Konzentrations- und Vernichtungslager.<br />

16


In ihrem Schreiben vom 6. <strong>März</strong> 1943 g<strong>in</strong>g D<strong>in</strong>a auf e<strong>in</strong>en Brief von Hans e<strong>in</strong>, <strong>in</strong> dem er ihr<br />

bereits vor e<strong>in</strong>iger Zeit schrieb: „Liebe Mutti, wie geht es Dir? Hier ist alles <strong>in</strong> Ordnung. Von<br />

Dir hörte ich schon lange nichts. Wenn ich zu Dir komme, darfst Du wohl e<strong>in</strong> Spezialbett für<br />

mich machen lassen. Zur Zeit b<strong>in</strong> ich 1,70 cm groß.“ Die Mutter antwortete: „Me<strong>in</strong> geliebtes<br />

K<strong>in</strong>d, <strong>in</strong> zwei Tagen habe ich me<strong>in</strong>en Geburtstag und es ist bitter für mich von Dir getrennt zu<br />

se<strong>in</strong> […] wie schön wäre es, wenn Du dabei wärst. Alles was ich tue mache ich für die Zukunft,<br />

die ich Dir schön gestalten will. Ich kaufte e<strong>in</strong>e Couch mit guter Matratze und sie ist auch lang<br />

genug, dass Du Dich gemütlich ausstrecken kannst. […] Me<strong>in</strong> e<strong>in</strong>zig geliebtes K<strong>in</strong>d, sei wenn<br />

möglich vergnügt, bleibe gesund und bald werden wir wieder zus<strong>am</strong>men se<strong>in</strong>.“<br />

Dreie<strong>in</strong>halb Monate später, <strong>am</strong> 20. Juni 1943, wurde Hans wie die anderen Juden auch <strong>in</strong>s<br />

Durchgangslager Westerbork deportiert. Es erreichten ihn ke<strong>in</strong>e Briefe von se<strong>in</strong>er Mutter<br />

mehr. Diese k<strong>am</strong>en alle als unzustellbar <strong>zur</strong>ück. D<strong>in</strong>a L<strong>in</strong>dauer bangte um ihren Sohn. Auf<br />

ihre Anfrage an den Jüdischen Weltkongress zum Aufenthaltsort ihres Sohnes erhielt sie<br />

Ende 1943 die Auskunft, er sei <strong>in</strong> der Liste der nach Theresienstadt Deportierten nicht aufgeführt.<br />

Ob diese Auskunft ihr Hoffnung machen konnte?<br />

Deportation von Westerbork nach Bergen-Belsen<br />

Am 11. Januar 1944 wurde Hans vom Durchgangslager<br />

Westerbork <strong>in</strong> das Konzentrationslager Bergen-Belsen deportiert.<br />

10 Den vielleicht letzten Hilferuf von Hans bek<strong>am</strong><br />

die Mutter im Frühjahr 1944 über das Rote Kreuz: „Liebe<br />

Mutter, bitte sende e<strong>in</strong>en Nachweis, dass Du die <strong>am</strong>erikanische<br />

Staatsbürgerschaft hast und telegrafiere das bitte sofort,<br />

De<strong>in</strong> Hans.“<br />

Erst im Dezember 1944 gab es wieder e<strong>in</strong> Lebenszeichen<br />

von Hans. Er schrieb an Fietje, die Tochter se<strong>in</strong>er Pflegeeltern:<br />

„Liebe Fietje, B<strong>in</strong> gesund. Hoffe mit euch das Selbe. Wir<br />

dürfen Pakete empfangen. Vom Bruder zwei Stück empfangen.<br />

Viele Grüße und Küsse De<strong>in</strong> Hans“. 11<br />

Die Mutter wusste nicht, wo sich Ende 1944 Hans befand.<br />

Sie war aber weiter bemüht, ihren Sohn aus den Klauen<br />

der Nazis zu befreien und konnte tatsächlich für Hans<br />

e<strong>in</strong> Visum für Paläst<strong>in</strong>a bekommen. So schrieb sie <strong>am</strong> 25.<br />

Oktober 1944 über die „Apostolic Delegation“, <strong>in</strong>s Lager<br />

10<br />

Als Aufenthaltslager wurde seit Frühjahr 1943 der Lagerteil des KZ Bergen-Belsen bezeichnet, <strong>in</strong> dem ausgewählte<br />

jüdische Häftl<strong>in</strong>ge als Geiseln gefangen gehalten wurden, wenn sie die Staatsangehörigkeit neutraler<br />

oder gegnerischer Staaten besaßen oder besondere Verb<strong>in</strong>dungen dorth<strong>in</strong> hatten. Als <strong>in</strong>ternierte „Austauschjuden“<br />

sollten sie gegen deutsche Zivil<strong>in</strong>ternierte oder durch Devisenzahlung ausgelöst werden und<br />

das Wohlverhalten neutraler Staaten bewirken.<br />

11<br />

Für die Briefe und Karten galten strikte formale und <strong>in</strong>haltliche Regeln, die jeder Häftl<strong>in</strong>g beachten musste,<br />

wenn er nicht die Vernichtung des Geschriebenen riskieren wollte. Die Texte mussten auf Deutsch geschrieben<br />

se<strong>in</strong> und durchliefen e<strong>in</strong>e Zensur. Sie durften nur Grüße, Dank für erhaltene Post oder Pakete, Erklärungen<br />

über den - guten - Gesundheitszustand und Fragen nach Verwandten enthalten. Bei dem erwähnten<br />

Bruder handelt es sich um Jaap van Meekren.<br />

17<br />

Mitteilung vom 2. Juni 1945 auf die<br />

Suchanfrage von D<strong>in</strong>a L<strong>in</strong>dauer vom<br />

20. September 1944. Foto: R. Schmitt.


Westerbork: „Dearest Hans, hope you are well and you received Palest<strong>in</strong>e certificate which was<br />

sent to you. I th<strong>in</strong>k and pray see<strong>in</strong>g you soon healthy. Love mother“ 12 .<br />

Der Verlorene Zug<br />

In der Nacht zum 11. April 1945 verließ dieser Todeszug mit etwa 2.500 Menschen, darunter<br />

auch Hans, das KZ Bergen-Belsen 13 - nur fünf Tage vor dessen Befreiung durch die Rote Armee.<br />

Se<strong>in</strong> Ziel war das KZ Theresienstadt, doch e<strong>in</strong>e Irrfahrt begann. Der Zug sollte se<strong>in</strong> Ziel<br />

nie erreichen. Während se<strong>in</strong>er Fahrt wurde er durch tieffliegende Flugzeuge mit Masch<strong>in</strong>engewehrfeuer<br />

und Bomben angegriffen, Wasser und Nahrung fehlten, die sanitären und<br />

hygienischen Verhältnisse waren katastrophal. Schon aus Bergen-Belsen waren Typhus<br />

und Ruhr mitgeschleppt worden, die <strong>in</strong><br />

den 45 engen, schmutzigen Waggons<br />

unter den geschwächten und teils schwerkranken<br />

Häftl<strong>in</strong>gen voll zum Ausbruch k<strong>am</strong>en.<br />

M<strong>in</strong>destens 133 Gefangene starben<br />

bereits während der dreizehntägigen Fahrt<br />

an Krankheit oder Hunger. Mitgefangene<br />

verscharrten sie neben den Bahngleisen.<br />

Der durch die Niederlausitz h<strong>in</strong> und her irrende<br />

Zug k<strong>am</strong> <strong>am</strong> 20. April 1945 zum Halt,<br />

da e<strong>in</strong>e Brücke gesprengt war. Nachdem die<br />

SS-Bewacher mit der Lokomotive die Flucht<br />

ergriffen hatten, wurde der Zug <strong>am</strong> Abend<br />

des 22. April <strong>in</strong> den Ort Tröbitz <strong>zur</strong>ückgezogen.<br />

Im Morgengrauen des 23. April 1945 fanden<br />

die vorrückenden Truppen der Roten Armee<br />

den Zug. Den russischen Soldaten bot<br />

Das letzte bekannte Foto von Hans L<strong>in</strong>dauer,<br />

um 1940. Foto: privat.<br />

sich e<strong>in</strong> schreckliches Bild. In vielen Waggons<br />

lagen Tote <strong>in</strong>mitten von Überlebenden.<br />

Am Ende waren 198 Menschen während<br />

der Fahrt gestorben. Die Schwerkranken blieben zunächst im Zug. Die Bewohner von<br />

Tröbitz wurden von der Roten Armee aufgefordert, den Befreiten Unterkunft und Essen zu<br />

geben und sie zu pflegen. Überlebende des Transports bildeten e<strong>in</strong> Komitee, das die von der<br />

Roten Armee gelieferten Lebensmittel verteilte, sich um die Beerdigung der Verstorbenen<br />

12<br />

Liebster Hans, ich hoffe es geht Dir gut und Du hast das Visum für Paläst<strong>in</strong>a erhalten, das an Dich geschickt<br />

wurde. Ich denke [an Dich] und bete, dass ich Dich bald gesund wiedersehe. In Liebe, Mutter.<br />

13<br />

Vermutlich war der aus Tiefenbach st<strong>am</strong>mende SS-Angehörige und KZ-Aufseher Wilhelm Emmerich <strong>in</strong><br />

Bergen-Belsen e<strong>in</strong>gesetzt. Er war wohl an der Evakuierung des KZ Auschwitz beteiligt und ist dann mit<br />

Häftl<strong>in</strong>gen nach Bergen-Belsen aufgebrochen. Dort erlebte er im April 1945 die Befreiung des Lagers. Er<br />

musste sich an der Beseitigung der Leichenberge beteiligen, <strong>in</strong>fizierte sich mit Fleckfieber und starb im Lazarett.<br />

Im Entnazifizierungsverfahren wurde der Tiefenbacher als Hauptschuldiger klassifiziert (<strong>Bruchsal</strong>er<br />

Rundschau, 09. Januar <strong>2019</strong>).<br />

18


kümmerte und den Überlebenden Dokumente ausstellte. Für die Typhuskranken wurde<br />

e<strong>in</strong> Notlazarett e<strong>in</strong>gerichtet und Tröbitz unter Quarantäne gestellt. Erst nach acht Wochen<br />

k<strong>am</strong> die Typhus-Epidemie zum Stillstand. Trotz Versorgung durch jüdische Ärzte - bis dah<strong>in</strong><br />

selbst Gefangene - und örtliche Pflegekräfte starben noch mehr als 320 Männer, Frauen<br />

und K<strong>in</strong>der, darunter 26 Tröbitzer. Bis Ende August hatten die letzten befreiten Juden des<br />

Verlorenen Zuges Tröbitz verlassen.<br />

Mittlerweile hatte D<strong>in</strong>a L<strong>in</strong>dauer erfahren, dass ihr Sohn Hans nach Bergen-Belsen deportiert<br />

worden war. Ihr Entsetzen muss groß gewesen se<strong>in</strong> als sie <strong>am</strong> 24. April 1945 <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>er Zeitung 14 lesen musste, dass 24 Gefangene mit Angehörigen <strong>in</strong> den USA aus dem<br />

„Horror C<strong>am</strong>p“ Bergen-Belsen befreit wurden – aber ihr Sohn Hans nicht auf dieser N<strong>am</strong>ensliste<br />

mit den Geretteten aufgeführt war.<br />

Telegr<strong>am</strong>m vom 3. August 1945 mit der Todesnachricht.<br />

Foto: R. Schmitt.<br />

Gewissheit<br />

Am 3. August wurden die Befürchtungen<br />

für die Mutter <strong>zur</strong> Gewissheit. E<strong>in</strong><br />

Telegr<strong>am</strong>m bestätigte den Tod ihres Sohnes:<br />

„Hans L<strong>in</strong>dauer died on the 30-04-45<br />

<strong>in</strong> Troebitz, Germany“.<br />

Wenig später schrieb Dr. M. Schweizer<br />

vom Judenrat Amsterd<strong>am</strong> an die Mutter, er<br />

habe Hans sehr gut gekannt. „Ich habe ihn<br />

auch begraben <strong>in</strong> Tröbitz, se<strong>in</strong>e Leiche selbst<br />

geholt“. Er schreibt weiter, beim Ableben von<br />

Hans sei auch e<strong>in</strong>e Krankenschwester dabei<br />

gewesen, die „letzte Grüße für Sie von Hans<br />

angenommen hat“.<br />

D<strong>in</strong>a L<strong>in</strong>dauer überlebte<br />

ihren Sohn Hans<br />

um 53 Jahre. Sie verstarb<br />

<strong>am</strong> 5. Dezember<br />

1998 im Alter von 98<br />

Jahren im New Yorker<br />

Stadtteil Queens.<br />

Todesanzeige <strong>am</strong> 17. August 1945 <strong>in</strong> der deutschjüdischen<br />

Wochenzeitung Aufbau. Foto: R. Schmitt.<br />

D<strong>in</strong>a L<strong>in</strong>dauer, 1958.<br />

Foto: privat.<br />

14<br />

24 IN HORROR CAMP HAVE KINFOLD HERE. Belsen, Germany, April 23 (Delayed) (A.P.) - Twentyfour<br />

prisoners with relatives <strong>in</strong> the United States have been liberated from this concentration c<strong>am</strong>p of horrors.<br />

Among those liberated, and their identification of relatives, were: [hier schließt die N<strong>am</strong>ensliste an]<br />

19


F<strong>am</strong>ilie Moritz und Elise L<strong>in</strong>dauer<br />

(Großeltern von Hans Moritz L<strong>in</strong>dauer)<br />

Moritz L<strong>in</strong>dauer<br />

* <strong>27.</strong>12.1854 Menz<strong>in</strong>gen † 20.03.1927 <strong>Bruchsal</strong><br />

(Sohn v. S<strong>am</strong>son L<strong>in</strong>dauer (1810-1881), Handelsmann <strong>in</strong> Menz<strong>in</strong>gen, u. Ernest<strong>in</strong>a Wormser (1824-1898))<br />

Kaufmann und Tabakhändler <strong>in</strong> <strong>Bruchsal</strong>; 1906, 1925: Württemberger Straße 13, <strong>Bruchsal</strong><br />

vh. 07.05.1882 <strong>Bruchsal</strong><br />

Elise Flegenheimer<br />

* 03.12.1859 Odenheim † 30.12.1935 <strong>Bruchsal</strong><br />

(Tochter v. Gerson Flegenheimer (1826-1895), Handelsmann <strong>in</strong> Odenheim, u. Babette Dreyfuß (1831-1894))<br />

8 K<strong>in</strong>der:<br />

1. Auguste L<strong>in</strong>dauer * 06.02.1883 Menz<strong>in</strong>gen † 1942 Ghetto Izbica/Polen<br />

wohnhaft <strong>in</strong> Ludwigsburg, Stuttgart u. Bais<strong>in</strong>gen; Deportation 26.04.1942 von Stuttgart nach Izbica<br />

vh. 24.04.1906 <strong>Bruchsal</strong><br />

He<strong>in</strong>rich Stern<br />

* 31.08.1879 Heddesheim † 1941 Ghetto Riga<br />

Kaufmann <strong>in</strong> Ludwigsburg; Kaufhausbesitzer <strong>in</strong> Essl<strong>in</strong>gen; <strong>am</strong> 01.12.1941 von Stuttgart nach Riga<br />

2 K<strong>in</strong>der:<br />

a) Margot Stern * 07.07.1910 Ludwigsburg † 10.02.1986 Buenos Aires, Arg.<br />

vh. 23.08.1932 Essl<strong>in</strong>gen Leo David * 18.05.1903 Düsseldorf † 04.01.1988 Buenos Aires, Arg.<br />

Viehhändler <strong>in</strong> Düsseldorf; 1938 nach Buenos Aires<br />

1 K<strong>in</strong>d: Susana David vh. Collado (*1943), Buenos Aires<br />

b) Edith Stern * 09.04.1913 Stuttgart † 1942 KZ Sobibor<br />

Deportation <strong>am</strong> 15.06.1942 ab Koblenz-Köln-Düsseldorf<br />

2. Sigmund L<strong>in</strong>dauer * 08.02.1884 Menz<strong>in</strong>gen † 06.12.1931 <strong>Bruchsal</strong><br />

1931 Tabakhändler <strong>in</strong> <strong>Bruchsal</strong>, wohnhaft Zollhallenstraße 2, <strong>Bruchsal</strong><br />

vh. 18.05.1920 Düsseldorf<br />

Irma Rosenbusch<br />

* 16.10.1895 Düsseldorf † 31.07.1962 Kapstadt/Südafrika<br />

1936 über Amsterd<strong>am</strong> nach Südafrika; vh. 1943 Walter Hoffmann (1891-1954), Südafrika<br />

1 K<strong>in</strong>d:<br />

a) Hannelore (Lore) L<strong>in</strong>dauer * 01.10.1921 Heidelberg † 13.01.2009 Frankfurt <strong>am</strong> Ma<strong>in</strong><br />

1936 über Amsterd<strong>am</strong> nach Johannesburg/Südafrika; 1977 Rückkehr nach Frankfurt <strong>am</strong> Ma<strong>in</strong><br />

vh. 20.05.1940 Johannesburg Klaus Arnold K<strong>am</strong><strong>in</strong>sky * 05.05.1915 Berl<strong>in</strong> † 11.05.2002 Ffm.<br />

3 K<strong>in</strong>der: Paul K<strong>am</strong><strong>in</strong>sky (*1945), Fred K<strong>am</strong><strong>in</strong>sky (1950-2015), Robert K<strong>am</strong><strong>in</strong>sky (*1957)<br />

3. Max L<strong>in</strong>dauer * 25.10.1885 <strong>Bruchsal</strong> † 14.01.1923 Wiesloch<br />

1911 Kaufmann <strong>in</strong> <strong>Bruchsal</strong>, beerdigt <strong>in</strong> Wiesloch<br />

4. Frieda (Frida) L<strong>in</strong>dauer * 30.04.1887 Menz<strong>in</strong>gen † 03.1942 Ghetto Riga<br />

wohnhaft <strong>in</strong> Heilbronn, Deportation <strong>am</strong> 01.12.1941 von Stuttgart nach Riga, Zwangsarbeit<br />

vh. 30.03.1911 <strong>Bruchsal</strong><br />

Felix Ledermann<br />

* 25.09.1879 Menz<strong>in</strong>gen † 06.07.1918 Frankreich (gefallen)<br />

1911 Kaufmann <strong>in</strong> Heilbronn<br />

2 K<strong>in</strong>der:<br />

20


a) Lotte Ledermann * 07.01.1912 Heilbronn † 23.02.1994 Stuttgart<br />

wegen „privilegierter Mischehe“ bis Feb. 1945 vor Deportation geschützt; <strong>in</strong>haftiert <strong>in</strong> Theresienstadt<br />

vh. 04.02.1933 Stuttgart Hubert Lorch * 03.02.1896 Zürich † 1948 Stuttgart<br />

3 K<strong>in</strong>der: He<strong>in</strong>z Lorch (1935-2003), Helga Lorch (*1938), Gerhard Lorch (*1946)<br />

b) Erna Ledermann * 20.07.1914 Neckarste<strong>in</strong>ach † 12.05.1963 New York/USA<br />

Abitur u. Pädagogikstudium; Lehrer<strong>in</strong>; 04.1939 Emigration USA; Psychiatrie <strong>in</strong>folge Traumatisierung<br />

vh. 09.06.1945 New York Charles A. Waller † nach 1963; k<strong>in</strong>derlos<br />

5. Dora L<strong>in</strong>dauer * 16.07.1889 Menz<strong>in</strong>gen † 09.1942 KZ Auschwitz/Polen<br />

wohnhaft <strong>in</strong> Stuttgart, Wittlich und Trier, 1939 nach Belgien und Frankreich emigriert, Deportation<br />

<strong>am</strong> 07.09.1942 von Drancy nach Auschwitz<br />

vh. 05.01.1920 <strong>Bruchsal</strong><br />

Adolf Ermann<br />

* 04.09.1885 Wittlich † 1942 Ghetto Izbica/Polen<br />

1920 Pferdehändler <strong>in</strong> Wittlich, Trier; Emigration nach Luxemburg; Deportation 23.04.1942 nach Izbica<br />

1 K<strong>in</strong>d:<br />

a) Manfred Ermann * 21.04.1923 Wittlich † 1942<br />

6. Leopold L<strong>in</strong>dauer * 20.12.1891 Menz<strong>in</strong>gen † 14.12.1936 <strong>Bruchsal</strong><br />

1920 Kaufmann <strong>in</strong> <strong>Bruchsal</strong>, Rohtabakhandlung<br />

vh. 21.05.1924 Regensburg<br />

D<strong>in</strong>a Löwenthal<br />

* 07.03.1900 Regensburg † 05.12.1998 Forest Hills/NY<br />

1935 Bismarckstr. 12, <strong>Bruchsal</strong>, dann Frankfurt/M.; 1940 <strong>in</strong> USA ausgewandert, wohnhaft New York<br />

1 K<strong>in</strong>d:<br />

a) Hans Moritz L<strong>in</strong>dauer * 09.06.1927 Karlsruhe † 30.05.1945 Tröbitz<br />

7. Bertha L<strong>in</strong>dauer * 16.12.1894 Menz<strong>in</strong>gen † 1941 Ghetto Riga<br />

wohnhaft <strong>in</strong> Stuttgart-Bad Cannstatt, Deportation <strong>am</strong> 01.12.1941 von Stuttgart nach Riga<br />

vh. 05.01.1920 <strong>Bruchsal</strong><br />

Jakob Ermann<br />

* 30.08.1887 Wittlich † 21.12.1924 Stuttgart<br />

1920 Kaufmann <strong>in</strong> Stuttgart-Bad Cannstatt<br />

8. Anna L<strong>in</strong>dauer * 17.10.1906 <strong>Bruchsal</strong> † 29.11.1906 <strong>Bruchsal</strong><br />

Elise und Moritz L<strong>in</strong>dauer, 1911. Foto: G. Lorch. Württemberger Straße 13, <strong>2019</strong>. Foto: F. Jung.<br />

21


Biografie von Adelheid „Elise“ Westheimer<br />

geb. Oppenheimer (1858-1941)<br />

Adelheid Westheimer wurde <strong>am</strong><br />

3. August 1858 als Adelheid Oppenheimer<br />

<strong>in</strong> Reil<strong>in</strong>gen im Kreis Mannheim<br />

geboren. Sie war Tochter des<br />

Kaufmanns Salomon Oppenheimer<br />

und se<strong>in</strong>er Frau Sofie Rothschild und<br />

hatte den Rufn<strong>am</strong>en Elise.<br />

Ihr Ehemann Hermann Westheimer<br />

wurde 1857 <strong>in</strong> Menz<strong>in</strong>gen geboren.<br />

Er war der zweite Sohn der alte<strong>in</strong>gesessenen<br />

F<strong>am</strong>ilie Westheimer und<br />

von Beruf Viehhändler. Sie heirateten<br />

von Louis Gräber, Klasse 8u<br />

Grabste<strong>in</strong> von Hermann Westheimer auf dem jüdischen<br />

Friedhof <strong>Bruchsal</strong>. Foto: Florian Jung.<br />

<strong>am</strong> 20.6.1883 <strong>in</strong> <strong>Bruchsal</strong> <strong>in</strong> der d<strong>am</strong>als neuen jüdischen Synagoge und wohnten zunächst<br />

<strong>in</strong> Menz<strong>in</strong>gen. Sie bek<strong>am</strong>en anschließend (m<strong>in</strong>destens) sechs K<strong>in</strong>der: Julius 1884, Isidor<br />

1886, Sigmund 1889, Frieda 1892, Marta 1893 und Karl-Kurt 1896. Zwischen 1901 und<br />

1907 zogen sie nach <strong>Bruchsal</strong>, da sie dort wahrsche<strong>in</strong>lich bessere Verdienstmöglichkeiten<br />

hatten. Seit m<strong>in</strong>destens 1912 wohnten sie mit ihren K<strong>in</strong>dern <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er großen, geräumigen<br />

4-Zimmer-Wohnung <strong>in</strong> der Schwimmbadstraße 27 <strong>zur</strong> Miete bei Bäckermeister<br />

Gr<strong>am</strong>lich. Mit im Haus wohnte auch der jüngere Bruder von Hermann, Aron Westheimer.<br />

Aron blieb unverheiratet, war auch Handelsmann und starb im Alter von 71 Jahren <strong>am</strong><br />

22.04.1932 <strong>in</strong> <strong>Bruchsal</strong>, wo er auch begraben ist. Drei Jahre nach ihrer Goldenen Hochzeit<br />

1933 starb Hermann Westheimer <strong>am</strong> <strong>27.</strong> Januar 1936. Er wurde ebenfalls <strong>in</strong> <strong>Bruchsal</strong><br />

begraben.<br />

Die Söhne von Adelheid und Hermann Westheimer hatten zwischenzeitlich <strong>Bruchsal</strong><br />

und die Eltern verlassen. Der Älteste, Julius, g<strong>in</strong>g <strong>in</strong> den 1920ern als Prokurist e<strong>in</strong>er jüdischen<br />

Strickwarenfabrik nach Mühlhausen <strong>in</strong> Thür<strong>in</strong>gen. Dort lernte er das evangelische<br />

Lehrmädchen Klara Wakob kennen, die 17 Jahre jünger war. Als Klara 22 war, heirateten<br />

die beiden und bek<strong>am</strong>en zwischen 1926 und 1931 drei K<strong>in</strong>der. Glücklicherweise folgten<br />

sie dem Rat, die drei K<strong>in</strong>der 1933 evangelisch taufen zu lassen. D<strong>am</strong>it entg<strong>in</strong>gen sie der<br />

Deportation, nicht aber den Repressalien. Julius Westheimer k<strong>am</strong> 1938 <strong>in</strong>s KZ Buchenwald<br />

und 1945, kurz vor Kriegsende, nach Theresienstadt. Er konnte aber heimkehren<br />

und starb 1953 <strong>in</strong> Mühlhausen. Die K<strong>in</strong>der wurden verteilt: Der ältere Sohn lebte bis<br />

1945 bei den Großeltern <strong>in</strong> Bielefeld, die Tochter war auf e<strong>in</strong>em Gut <strong>in</strong> Pommern untergebracht<br />

und flüchtete im W<strong>in</strong>ter 1944/45 zus<strong>am</strong>men mit der Gutstochter nach Thür<strong>in</strong>gen.<br />

Der jüngere Sohn blieb bei den Eltern, konnte aber ke<strong>in</strong> Gymnasium besuchen.<br />

Trotzdem gelang es ihm 1950, mit 19 Jahren, das Abitur abzulegen und e<strong>in</strong>e Laufbahn<br />

22


im F<strong>in</strong>anzm<strong>in</strong>isterium Wiesbaden e<strong>in</strong>zuschlagen.<br />

Sohn Isidor wurde Kaufmann <strong>in</strong> Stuttgart und lebte<br />

dort seit 1920 zus<strong>am</strong>men mit se<strong>in</strong>er Frau Erna und<br />

dem 1926 geborenen Sohn He<strong>in</strong>z. Die drei konnten<br />

1940 über Liverpool <strong>in</strong> die USA auswandern. Sie<br />

nannten sich <strong>in</strong> den USA „West“. Sohn Sigmund lebte<br />

seit 1904 <strong>in</strong> München, war Textilkaufmann und starb<br />

1940 im Israelitischen Krankenheim <strong>in</strong> München.<br />

Die Lebensläufe der K<strong>in</strong>der Frieda, Marta und Kurt<br />

folgen im Anschluss. Zum Zeitpunkt von Hitlers<br />

Machtergreifung 1933 lebten nur die beiden Töchter<br />

bei den Eltern. Sie führten <strong>in</strong> der Wohnung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

de†r Zimmer e<strong>in</strong> Bekleidungsgeschäft. F<strong>in</strong>anziell<br />

sche<strong>in</strong>t es den Westheimers ganz gut gegangen zu<br />

se<strong>in</strong>. Wie die Vermieter<strong>in</strong> Frieda Gr<strong>am</strong>lich, mit der man e<strong>in</strong> gutes Verhältnis hatte, später<br />

berichtete, gehörten beispielsweise Gemälde, e<strong>in</strong> Radio, e<strong>in</strong> Gasherd, e<strong>in</strong>e neue Schranknähmasch<strong>in</strong>e<br />

und e<strong>in</strong> Staubsauger zum Inventar der auch sonst gut e<strong>in</strong>gerichteten Wohnung.<br />

Rosa Spohrer war von 1926 bis 1940 die Putzfrau im Haushalt Westheimer. Außerdem<br />

gab es etliche Rücklagen auf der Städtischen Sparkasse.<br />

Ab 1938 wurde F<strong>am</strong>ilie Westheimer hart von antisemitischen Maßnahmen getroffen.<br />

Ende 1938 musste Tochter Frieda ihr Geschäft schließen. Wie alle Juden musste auch<br />

Adelheid ihre Gold- und Silbergegenstände abliefern, darunter die alte, goldene Uhr des<br />

verstorbenen Ehemanns (e<strong>in</strong> F<strong>am</strong>ilienerbstück) und jene goldene D<strong>am</strong>enuhr, die sie als<br />

Verlobungsgeschenk von ihm bekommen hatte. 1939 k<strong>am</strong> der <strong>in</strong>zwischen mittellose Sohn<br />

Karl aus Wiesbaden <strong>zur</strong>ück <strong>zur</strong> Mutter. Ende 1939 oder Anfang 1940 musste Adelheid<br />

zus<strong>am</strong>men mit ihren K<strong>in</strong>dern gezwungenermaßen <strong>in</strong> den Bahnhofplatz 7 umziehen und<br />

bewohnte dort im Haus des Ehepaars S<strong>am</strong>uel und Marie Katzauer ebenfalls e<strong>in</strong>e 4-Zimmer-Wohnung.<br />

Lediglich die Küche wurde geme<strong>in</strong>s<strong>am</strong> mit Katzauers genutzt. Adelheid<br />

wurde <strong>am</strong> 22. Oktober 1940 zus<strong>am</strong>men mit ihren K<strong>in</strong>dern Frieda und Karl nach Gurs<br />

deportiert. Sie war mit 82 Jahren die älteste der 79 Deportierten aus <strong>Bruchsal</strong>. Schließlich<br />

starb sie dann <strong>am</strong> 19. April 1941 <strong>in</strong> Gurs. Rosa Spohrer, die langjährige<br />

Putzfrau, hatte auch beim Umzug geholfen und berichtete 1954 vom<br />

Tag der „plötzlichen Abholung“. Sie eilte <strong>zur</strong> Wohnung der Westheimers,<br />

um sich zu verabschieden: „Sie waren aber bereits nach dem Bürgerhof<br />

<strong>in</strong> <strong>Bruchsal</strong> verbracht und die Wohnung von e<strong>in</strong>em <strong>in</strong>zwischen verstorbenen<br />

Polizeibe<strong>am</strong>ten, Kohl, besetzt. Herr Kohl bestätigte mir, dass die<br />

Sachen noch alle vorhanden seien, jedoch er mich nicht mehr <strong>in</strong> die Wohnung<br />

gehen lassen dürfe. Was mit dem Eigentum der F<strong>am</strong>ilie Westheimer<br />

geschehen ist, kann ich nicht sagen, jedoch wurde me<strong>in</strong>es Wissens das<br />

ganze Judenvermögen versteigert. […] Westheimers waren gute, ehrliche,<br />

hilfsbereite Leute.“<br />

23<br />

Grabste<strong>in</strong> <strong>in</strong> Gurs. Foto: www.geneanet.org.<br />

Rosa Spohrer geb.<br />

Kropp (1901-1970).<br />

F.: Medy Seiler (†).


Biografie von Frieda Westheimer (1892-1942)<br />

von Niklas Gerzen, Klasse 8u<br />

Frieda Westheimer wurde <strong>am</strong> 2.2.1892 <strong>in</strong><br />

Menz<strong>in</strong>gen geboren als Tochter von Hermann<br />

Westheimer und Adelheid Elise geb.<br />

Oppenheimer. Zuerst besuchte sie von 1898<br />

an die Volksschule <strong>in</strong> Menz<strong>in</strong>gen, dann g<strong>in</strong>g<br />

sie seit 1902 für sechs Jahre <strong>in</strong> die Schule <strong>in</strong><br />

<strong>Bruchsal</strong> und danach <strong>in</strong> die Handelsschule <strong>in</strong><br />

Karlsruhe und e<strong>in</strong>e Modeschule. Von 1910 bis<br />

1916 machte sie e<strong>in</strong>e Lehre im Hüte- und Modefach<br />

bei der Firma He<strong>in</strong>rich Rothschild <strong>in</strong><br />

München (Färbergraben/Sendl<strong>in</strong>gerstr.) und Adressbuch <strong>Bruchsal</strong>, 1925. Foto: Florian Jung.<br />

arbeitete danach noch bis 1918 <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em anderen Modewarengeschäft <strong>in</strong> München. Eventuell<br />

war sie <strong>in</strong> München, weil dort auch mehrere Verwandte lebten - ihr Bruder Sigmund<br />

und ihre Tante Mathilde Rehbock geb. Westheimer mit F<strong>am</strong>ilie.<br />

Frieda Westheimer wohnte wohl seit Beg<strong>in</strong>n der 1920er Jahre wieder mit ihren Eltern <strong>in</strong><br />

der elterlichen Vier-Zimmerwohnung <strong>in</strong> der Schwimmbadstraße 27 <strong>in</strong> <strong>Bruchsal</strong> im Obergeschoss.<br />

Da die Eltern 1923 e<strong>in</strong> Test<strong>am</strong>ent verfassten, das besagte, dass die beiden ledigen<br />

Töchter Frieda und Martha alles erben sollten, sche<strong>in</strong>en die beiden Töchter zu diesem<br />

Zeitpunkt bereits wieder bei ihnen <strong>in</strong> <strong>Bruchsal</strong> gewohnt zu haben. Dort gründete Frieda<br />

auch um 1924/26 ihr eigenes Trikotagen-Geschäft, <strong>in</strong> dem sie Textilien wie Herren- und<br />

D<strong>am</strong>enwäsche <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em der Zimmer der Privatwohnung anbot, man nannte so e<strong>in</strong>en kle<strong>in</strong>en<br />

Laden „Etagengeschäft“. Unten <strong>am</strong> Hause<strong>in</strong>gang waren lediglich e<strong>in</strong> Schild und e<strong>in</strong><br />

Schaukasten angebracht. Sie verkaufte Herrenkrägen, Unterröcke, Unterhosen, Pullover,<br />

Socken, Strümpfe, Taschentücher, Strickwesten, Herrenhemden, Hüftgürtel und Unterwäsche<br />

für D<strong>am</strong>en und Herren. Sie führte ihr Geschäft ca. 12 bis 14 Jahre lang, und es<br />

gab e<strong>in</strong>e richtige Ladene<strong>in</strong>richtung mit Regalen an der Wand und Schubfächern unter<br />

Glas. Ihre Waren bek<strong>am</strong> sie von der Fabrik Louis Hirsch <strong>in</strong> Mühlhausen/Thür<strong>in</strong>gen, zwei<br />

verschiedenen Firmen aus Karlsruhe, die Bachmann hießen und anderen unbekannten<br />

Firmen. Es gibt e<strong>in</strong>ige Zeugenaussagen, dass das Geschäft gut geführt war, gern besucht<br />

wurde und qualitativ gute Waren führte. Friedas Schwester Martha war <strong>in</strong> dem Geschäft<br />

als Aushilfe tätig gewesen, wofür sie schon <strong>in</strong> vorherigen Stellungen gut ausgebildet worden<br />

war. Im November 1938, nach dem Synagogenbrand, k<strong>am</strong> die Polizei und räumte<br />

das ges<strong>am</strong>te Zimmer und alle gelagerten Waren aus. Die Polizei war mehrere Stunden,<br />

von morgens 9 Uhr bis nachmittags 4 Uhr, d<strong>am</strong>it beschäftigt, alles <strong>in</strong> den Lastwagen zu<br />

br<strong>in</strong>gen. Für ihre Waren bek<strong>am</strong> sie ke<strong>in</strong>e echte Entschädigung sondern nur 400.- Mark<br />

Guthaben auf ihr Konto bei der städtischen Sparkasse gut geschrieben. Der eigentliche<br />

Wert der Waren soll ca. 5000.- Mark betragen haben.<br />

Etwa e<strong>in</strong> Jahr später musste die F<strong>am</strong>ilie Westheimer zum Ehepaar Katzauer <strong>in</strong> den Bahn-<br />

24


hofsplatz 7 ziehen. 1940 wurde Frieda mit ihren Angehörigen und den anderen <strong>Bruchsal</strong>er<br />

Juden nach Gurs deportiert. Dort konnte sie nicht verh<strong>in</strong>dern, dass ihre Mutter nach<br />

e<strong>in</strong>em halben Jahr im Lager starb. Im Jahr darauf k<strong>am</strong> sie <strong>in</strong> das S<strong>am</strong>mellager <strong>in</strong> Drancy<br />

und e<strong>in</strong>ige Tage später, <strong>am</strong> 12. August 1942, <strong>in</strong> das Konzentrationslager <strong>in</strong> Auschwitz, wo<br />

sie auch ermordet wurde.<br />

Biografie von Martha Westheimer (1893-1980)<br />

von Florian Jung<br />

Martha Westheimer wurde <strong>am</strong> 3. August 1893<br />

<strong>in</strong> Menz<strong>in</strong>gen als Tochter von Hermann und<br />

Adelheid Westheimer geboren und besuchte<br />

von 1900 an und bis zum Umzug die Volksschule<br />

<strong>in</strong> Menz<strong>in</strong>gen, danach <strong>in</strong> <strong>Bruchsal</strong>. Von<br />

1907 bis 1910 war sie Schüler<strong>in</strong> der Städtischen<br />

Handelsschule <strong>in</strong> <strong>Bruchsal</strong>, danach g<strong>in</strong>g sie für<br />

zwei Jahre auf die Städtische Handelsschule <strong>in</strong><br />

Karlsruhe. Martha Westheimer wies <strong>in</strong> ihrem<br />

Lebenslauf extra darauf h<strong>in</strong>, dass es sich um e<strong>in</strong>e<br />

ganztägige Handelsfachschule und nicht etwa<br />

um e<strong>in</strong> bis zwei Mal wöchentlich stattf<strong>in</strong>dende<br />

Kurse handelte. Von 1913 bis 1917 übte sie e<strong>in</strong>e Foto: E<strong>in</strong>wanderungsbehörde USA.<br />

nicht näher bezeichnete „Angestelltentätigkeit“ aus, <strong>in</strong> den Jahren 1918 bis 1925 war sie<br />

<strong>in</strong> „verschiedenen Stellungen“ tätig. Seit 1926 war sie Angestellte im Etagengeschäft ihrer<br />

Schwester Frieda Westheimer, das sich <strong>in</strong> der elterlichen Wohnung <strong>in</strong> der Schwimmbadstraße<br />

27 <strong>in</strong> <strong>Bruchsal</strong> befand. Martha dazu wörtlich: „Die Tätigkeit bestand im Verkauf von<br />

Wäsche, Textil- und Strickwaren und Trikotagen. Ich muss hierzu sagen, wir hatten zufriedenstellend<br />

zu tun, ich habe dort gearbeitet und nirgends anders seit dem E<strong>in</strong>tritt und habe<br />

dort e<strong>in</strong>e Arbeitskraft ersetzt, und ich war für diese kaufmännische Tätigkeit gut vorgebildet.“<br />

Nach der erzwungenen Geschäftsauflösung im November 1938 war Martha Westheimer<br />

ohne E<strong>in</strong>kommen.<br />

1940 gelang es Martha Westheimer, <strong>in</strong> die USA auszuwandern. Warum ausgerechnet sie<br />

gehen konnte, ihre Schwester Frieda, ihr Bruder Kurt und ihre Mutter aber <strong>in</strong> <strong>Bruchsal</strong> <strong>zur</strong>ückblieben,<br />

ist ungeklärt. Jedenfalls stellten sich die aus <strong>Bruchsal</strong> st<strong>am</strong>mende Klavierlehrer<strong>in</strong><br />

Bertha Kahn sowie Erna Heymann, beide 1940 <strong>in</strong> New York lebend, als Bürgen <strong>zur</strong><br />

Verfügung. Ihr wurde lediglich gestattet, drei Koffer mitzunehmen. Ihre Nähmasch<strong>in</strong>e,<br />

ihre Aussteuerwäsche, verschiedene Kle<strong>in</strong>möbel, Geschirre und persönliche Gegenstände<br />

blieben <strong>in</strong> <strong>Bruchsal</strong>: „Mir wurde e<strong>in</strong>fach nicht erlaubt, diese zu nehmen, man sagte mir es<br />

gebe dafür ke<strong>in</strong>e Erlaubnis mehr. […] So habe ich die Sachen kurzerhand verschleudert und<br />

im Stich gelassen, so notwendig ich sie hier [<strong>in</strong> New York] auch gebraucht hätte. Im Jahre 1940<br />

25


machte man ke<strong>in</strong>e großen Entgegenkommen mehr gegen Juden.“ Martha reiste über Genua<br />

nach New York, was zu diesem Zeitpunkt nur noch unter erschwerten Reisebed<strong>in</strong>gungen<br />

und nur noch mit Hilfe e<strong>in</strong>es „Auswanderungsberaters“ möglich war. Der D<strong>am</strong>pfer „SS<br />

Conte di Savoia“ legte <strong>am</strong> 5. Mai 1940 ab und erreichte se<strong>in</strong> Ziel <strong>am</strong> 23. Mai.<br />

In New York zog sie zu ihrem Bruder Isidor, der zwei Monate zuvor zus<strong>am</strong>men mit se<strong>in</strong>er<br />

Frau und se<strong>in</strong>em 14-jährigen Sohn dort angekommen war. Bereits im Oktober 1940<br />

beantragte sie die US-<strong>am</strong>erikanische Staatsbürgerschaft, die sie <strong>am</strong> 5. Januar 1946 auch<br />

erhielt. In diesen Dokumenten wurde auch festgehalten, dass Martha 157 cm groß war, 58<br />

kg wog, grau-blaue Augen und braunes Haar hatte. Ihren N<strong>am</strong>en verkürzten Martha sowie<br />

Isidor, Erna und He<strong>in</strong>z „Henry“ Westheimer bei dieser Gelegenheit <strong>in</strong> „West“. Während<br />

der 1950er Jahre wohnte Martha, die sich jetzt auch „Marta“ nannte, bei ihrem Bruder <strong>in</strong><br />

New York, 558 West, 164th Street. In den 1960ern hatte sie e<strong>in</strong>e eigene Wohnung <strong>in</strong> New<br />

York: 319 West, 94th Street. Zu ihrer beruflichen Tätigkeit <strong>in</strong> New York schrieb sie 1957:<br />

„Ich war <strong>in</strong> USA niemals mehr <strong>in</strong> der [Textil-]Branche tätig gewesen. Ich b<strong>in</strong> hier größtenteils<br />

bei e<strong>in</strong>em Arzt <strong>in</strong> der Aufwartung und derlei Tätigkeiten. Ich habe hier sehr schwer<br />

arbeiten müssen, während ich zu Hause es viel angenehmer gehabt habe und gehabt hätte.“<br />

Bei diesem Arzt, Dr. A. S. Weissmann <strong>in</strong> New York, war sie seit 1943 als Hausangestellte<br />

tätig, zunächst für 20 Dollar pro Woche. Bis zu ihrer Pensionierung im Januar 1959 stieg<br />

das Gehalt auf 48 Dollar pro Woche. Im Frühjahr 1980 starb Marta West <strong>in</strong> New York im<br />

Alter von 86 Jahren.<br />

Biografie von Kurt „Karl“ Westheimer (1896-1942)<br />

von Max Haug, Klasse 8u<br />

Kurt Westheimer, der jüngste Sohn von Herrmann Westheimer und Adelheid Westheimer<br />

geborene Oppenheimer, wurde <strong>am</strong> 17.06.1896 <strong>in</strong> Menz<strong>in</strong>gen geboren. Se<strong>in</strong> Geburtsn<strong>am</strong>e<br />

war eigentlich Kurt, aber se<strong>in</strong>e ganze F<strong>am</strong>ilie hat ihn immer „Karl“ gerufen.<br />

Karl hatte drei ältere Brüder, und zwei ältere Schwestern: Frieda Westheimer, geboren<br />

im Jahre 1892 und Martha Westheimer geboren 1893. Karl zog im K<strong>in</strong>desalter mit se<strong>in</strong>en<br />

Eltern und Geschwistern nach <strong>Bruchsal</strong> und wohnte <strong>in</strong> der Schwimmbadstraße 27<br />

<strong>in</strong> <strong>Bruchsal</strong>.<br />

Kurt „Karl“ Westheimer g<strong>in</strong>g von 1902 bis 1908 auf die Volksschule <strong>in</strong> <strong>Bruchsal</strong> und danach<br />

bis 1912 auf die Höhere Kaufmannsschule <strong>in</strong> Karlsruhe. Er soll e<strong>in</strong> guter Schüler<br />

gewesen se<strong>in</strong>. Se<strong>in</strong>e Lehre machte er im Anschluss bei der jüdischen <strong>Bruchsal</strong>er Firma<br />

Lehmann Bär & Sohn. Nach dem Abschluss der Lehre arbeitete er von 1915 bis 1918<br />

als Büroangestellter bei der Heidelsheimer Firma He<strong>in</strong>rich Durst. Norbert Munck, der<br />

engste Freund von Karl Westheimer seit 1920, gab 1957 zu Protokoll, dass Karl wegen<br />

„se<strong>in</strong>es Körperfehlers“, der nicht näher bezeichnet wurde, nicht heiratete. Wahrsche<strong>in</strong>lich<br />

war er deswegen auch nicht als Soldat im 1. Weltkrieg. Nach Muncks Verheiratung<br />

im Jahre 1926 wohnte Kurt „Karl“ beim Ehepaar Munck <strong>in</strong> Wiesbaden, Adelheidstra-<br />

26


Mahnmal für die Opfer des Lagers Noé, Frankreich. 3. v. unten Kurt Westheimer. F.: www.geneanet.org.<br />

ße 84, <strong>zur</strong> Untermiete. Bei Herrn Munck hatte er außerdem se<strong>in</strong> Büro. Karl war als<br />

selbstständiger Vertreter der Beleuchtungs<strong>in</strong>dustrie tätig. Von 1929 bis Ende des Jahres<br />

1938 vertrat er hauptsächlich die Firma Gebrüder Eibenste<strong>in</strong> GmbH, Glashüttenwerk<br />

Bischofswerda, für den ges<strong>am</strong>ten Bereich Süddeutschland. Außerdem vertrat er noch<br />

e<strong>in</strong>ige westdeutsche L<strong>am</strong>penfabriken. Er besaß e<strong>in</strong> Auto, mit dem er weite Strecken<br />

bereiste, und „hatte e<strong>in</strong>en anständigen geschäftlichen Erfolg zu verzeichnen“, wie Bruder<br />

Isidor Westheimer später formulierte.<br />

Aufgrund se<strong>in</strong>er jüdischen Religion wurde Karl Westheimer Ende 1935 gezwungen bei<br />

Norbert Munck auszuziehen, da Munck erhebliche Probleme von der NSDAP gemacht<br />

bek<strong>am</strong>. Karl musste bei anderen Juden <strong>in</strong> Wiesbaden wohnen. Drei Jahre später wurde<br />

er außerdem gezwungen se<strong>in</strong>e Tätigkeit als Vertreter der Beleuchtungs<strong>in</strong>dustrie und<br />

Kaufmann aufzugeben. Nach der erzwungenen Geschäftsauflösung im Jahre 1938 war<br />

Karl ohne jegliches E<strong>in</strong>kommen.<br />

Daher zog Karl wieder zu se<strong>in</strong>er Mutter und se<strong>in</strong>en Schwestern nach <strong>Bruchsal</strong> – vermutlich<br />

Anfang 1939. Mit diesen musste er die angest<strong>am</strong>mte F<strong>am</strong>ilien-Wohnung <strong>in</strong><br />

der Schwimmbadstraße 27 räumen und <strong>in</strong> den Bahnhofsplatz 7 ziehen. Am 22.10.1940<br />

wurde Karl mit se<strong>in</strong>er Mutter Adelheid Westheimer und se<strong>in</strong>er Schwester Frieda von<br />

<strong>Bruchsal</strong> nach Gurs <strong>in</strong>s Konzentrationslager transportiert. Am <strong>27.</strong>02.1941 wurde er<br />

von Gurs nach Noé transportiert und im Lager Noé <strong>in</strong>terniert. Se<strong>in</strong> letztes Lebenszeichen<br />

von dort war e<strong>in</strong>e Postkarte an se<strong>in</strong>en Bruder Julius, <strong>in</strong> der er den Tod der Mutter<br />

mitteilte. Kurt „Karl“ Westheimer verstarb <strong>am</strong> 29.06.1942 <strong>in</strong> Noé.<br />

Bilder <strong>zur</strong> Seite 26:<br />

27<br />

V. li.: Isidor Westheimer,<br />

se<strong>in</strong> Sohn Harry West,<br />

Sigmund Westheimer,<br />

Tante Mathilde Rehbock<br />

geb. Westheimer (1872-<br />

1942). Foto 1: E<strong>in</strong>wanderungsbehörde<br />

USA, F. 2:<br />

www.dignitymemorial.com,<br />

F. 3 + 4: www.muenchen.de.


F<strong>am</strong>ilie Hermann und Adelheid Westheimer<br />

Hermann Westheimer * 02.02.1857 Menz<strong>in</strong>gen † <strong>27.</strong>01.1936 <strong>Bruchsal</strong><br />

(S. v. Kaufmann Westheimer (1827-1892), Handelsmann <strong>in</strong> Menz<strong>in</strong>gen, u. Klara Münzesheimer (1832-?))<br />

1883 Handelsmann <strong>in</strong> Menz<strong>in</strong>gen, Umzug 1901/07 nach <strong>Bruchsal</strong>, Viehhändler <strong>in</strong> <strong>Bruchsal</strong><br />

vh. 20.06.1883 <strong>Bruchsal</strong><br />

Adelheid (genannt Elise) Oppenheimer * 03.08.1858 Reil<strong>in</strong>gen † 19.04.1941 Gurs/Frankreich<br />

(T. v. Salomon Oppenheimer (1812-1887), Handelsmann <strong>in</strong> Reil<strong>in</strong>gen, und Sofie Rothschild (1833-1860))<br />

wohnhaft Schwimmbadstr. 27, <strong>Bruchsal</strong>; 22.10.1940 nach Gurs deportiert<br />

6 K<strong>in</strong>der:<br />

1. Julius Westheimer * 22.05.1884 Menz<strong>in</strong>gen † 08. oder 16.02.1953 Mühlhausen/Thür<strong>in</strong>gen<br />

1925 <strong>in</strong> <strong>Bruchsal</strong>; Prokurist <strong>in</strong> Strickwarenfabrik <strong>in</strong> Mühlhausen; Göpp<strong>in</strong>gen; Mühlhausen<br />

vh. Anna Klara Marie Wakob * 12.04.1901 Schildesche-Bielefeld † nach 1962<br />

lebte 1953/1961 <strong>in</strong> Mühlhausen; 1962 <strong>in</strong> Wiesbaden, Niederwaldstr. 28<br />

3 K<strong>in</strong>der:<br />

a) (Sohn) Westheimer * ca. 1926 † als junger Erwachsener, 1 Tochter<br />

b) (Tochter) Westheimer * 1929 † 2012 Schwäbisch Gmünd, k<strong>in</strong>derlos<br />

c) Hans Westheimer * 1931 Mühlhausen<br />

lebt <strong>2019</strong> <strong>in</strong> Wiesbaden, 2 Söhne<br />

2. Isidor Westheimer (später West) * 29.08.1886 Menz<strong>in</strong>gen † 04.11.1973 USA<br />

Kaufmann <strong>in</strong> Stuttgart; 03.1940 von Liverpool nach New York, lebte <strong>in</strong> New York<br />

vh. 02.09.1920 Menz<strong>in</strong>gen Erna Lange * 29.11.1895 Me<strong>in</strong><strong>in</strong>gen † USA<br />

1 K<strong>in</strong>d:<br />

a) He<strong>in</strong>z (später Harry) West * 11.06.1926 Stuttgart † 25.01.2014 Statesville/NC/USA<br />

1940 nach USA; Inhaber e<strong>in</strong>es Musikgeschäfts <strong>in</strong> Statesville<br />

vh. 31.07.1951 Barbara Jean „Jeanie“ * ~1933, lebt 2018 <strong>in</strong> Statesville/NC/USA<br />

4 K<strong>in</strong>der: Everett West (1955-1981), Scott West, J<strong>am</strong>es West, Kathy West vh. Berard<br />

3. Sigmund Westheimer * 26.09.1889 Menz<strong>in</strong>gen † 13.11.1940 München<br />

1904 nach München, Textilkaufmann, zuletzt (seit 30.09.1939) IKG Krankenhaus, unverheiratet<br />

4. Frieda Westheimer * 02.02.1892 Menz<strong>in</strong>gen † 1942/45 Auschwitz<br />

wohnhaft Schwimmbadstr. 27, <strong>Bruchsal</strong>; ~1925-1938 Strickwaren/Trikotagengeschäft <strong>in</strong> Schwimmbadstr.<br />

27, <strong>Bruchsal</strong> (1 Zimmer); 22.10.1940 nach Gurs, 12.08.1942 Auschwitz; unverheiratet<br />

5. Martha Westheimer (später West) * 03.08.1893 Menz<strong>in</strong>gen † 1980 New York USA<br />

wohnhaft Schwimmbadstr. 27, Br.; 05.1940 über Genua nach New York, lebte <strong>in</strong> New York; unverheiratet<br />

6. Kurt (genannt Karl) Westheimer * 17.06.1896 Menz<strong>in</strong>gen † 29.06.1942 Noé/Frankreich<br />

Vertreter <strong>in</strong> Wiesbaden; 1938/39 nach <strong>Bruchsal</strong>; 22.10.1940 Gurs, <strong>27.</strong>02.1941 Lager Noé; unverheiratet<br />

28


Biografie von David Majerowitz (1879-1942)<br />

und Helene Majerowitz geb. Landau (1879-1942)<br />

David Bär Majerowitz wurde <strong>am</strong><br />

16.06.1879 <strong>in</strong> Bukowska/Sanok<br />

<strong>in</strong> Galizien (d<strong>am</strong>als Kaiserreich<br />

Österreich, heute Polen) als Sohn<br />

von Mosche Abrah<strong>am</strong> Majerowitz<br />

und Feige Rosa Feldmann<br />

geboren. Er besuchte <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em<br />

Heimatort die Talmud-Thora-<br />

Schule und g<strong>in</strong>g danach zum<br />

österreichischen Militär. Um das<br />

Jahr 1905 heiratete er se<strong>in</strong>e Frau<br />

Helene Majerowitz geb. Landau<br />

<strong>in</strong> Bekovs. Helene (auch Huma,<br />

Chuma, Chenna oder Nech<strong>am</strong>a<br />

genannt) Landau wurde <strong>am</strong><br />

von Lena Notheisen, Klasse 8u<br />

David und Helene Majerowitz, um 1910 <strong>in</strong> <strong>Bruchsal</strong>.<br />

Foto: Carl Ohler.<br />

16.07.1879 <strong>in</strong> Dukla/Krosno, ebenfalls <strong>in</strong> Galizien, als Tochter des Lehrers Baruch Landau<br />

und Keila Templer geboren. Über ihre schulische Ausbildung ist nichts bekannt, jedoch<br />

wissen wir, dass e<strong>in</strong>ige ihrer Vorfahren, die bis <strong>in</strong>s Mittelalter <strong>zur</strong>ückreichen, zu den berühmtesten<br />

Rabb<strong>in</strong>ern Polens gehört haben. Im Dezember 1904, wahrsche<strong>in</strong>lich noch vor<br />

der Hochzeit, k<strong>am</strong> ihre erste Tochter Rosa <strong>in</strong> Biecz oder Bukowsko oder Sanok, Polen <strong>zur</strong><br />

Welt. E<strong>in</strong>e<strong>in</strong>halb Jahre später k<strong>am</strong> ihre zweite Tochter Eva Majerowitz <strong>in</strong> Karlsruhe auf die<br />

Welt, die junge F<strong>am</strong>ilie wohnte<br />

<strong>in</strong> den Jahren 1906/1907<br />

<strong>in</strong> Karlsruhe, Zähr<strong>in</strong>gerstr.<br />

30. Vielleicht 1907, vielleicht<br />

auch erst nach 1910, ließ sich<br />

David Majerowitz <strong>in</strong> <strong>Bruchsal</strong><br />

nieder. Die F<strong>am</strong>ilie lebte zunächst<br />

<strong>in</strong> der Pfeilergasse und<br />

David betrieb dort für etwa<br />

10 Jahre e<strong>in</strong>e Sackhandlung.<br />

1909 wurde das dritte K<strong>in</strong>d<br />

von Helene und David <strong>in</strong><br />

Straßburg, das d<strong>am</strong>als noch<br />

zu Deutschland gehörte, geboren.<br />

Wieso sich die F<strong>am</strong>ilie<br />

Helene und David Majerowitz, 1936 <strong>in</strong> <strong>Bruchsal</strong>. Foto: Carl Ohler.<br />

29


zw. Helene Majerowitz zu der Zeit<br />

<strong>in</strong> Straßburg aufgehalten hat, ist uns<br />

nicht bekannt. Allerd<strong>in</strong>gs wissen wir,<br />

dass die Eltern von Helene <strong>in</strong> Karlsruhe<br />

wohnten und dass Helenes<br />

Schwester Leah-Bluma Abusch <strong>in</strong><br />

Straßburg lebte. Der zweite Sohn n<strong>am</strong>ens<br />

Maier Majerowitz wurde dann<br />

1914 <strong>in</strong> <strong>Bruchsal</strong> geboren. F<strong>am</strong>ilie<br />

Majerowitz gehörte der orthodoxen<br />

Richtung des Judentums an, sodass<br />

sie sich <strong>in</strong> der liberalen <strong>Bruchsal</strong>er<br />

Synagoge, <strong>in</strong> der es sogar – wie <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>er Kirche - e<strong>in</strong>e Orgel gab, nicht<br />

gut vertreten fühlte. Daher g<strong>in</strong>g die<br />

F<strong>am</strong>ilie zweimal jährlich, an Rosh<br />

Vier Generationen: Baruch Landau (Mitte), Helene Majerowitz<br />

geb. Landau (rechts), Rosa Goldberg geb. Majerowitz<br />

(l<strong>in</strong>ks), Sigrid Goldberg (vorne rechts), 1932. Foto: privat.<br />

Hashanah und an Yom Kippur, (zu Fuß!) zu e<strong>in</strong>er orthodoxen Synagoge <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em benachbarten<br />

Dorf. Auch Helenes Eltern <strong>in</strong> Karlsruhe lebten diesen orthodoxen Glauben.<br />

Sie waren 1918 aus Galizien nach Karlsruhe gezogen und wurden 1919 bzw. 1937 auf dem<br />

orthodoxen jüdischen Karlsruher Friedhof bestattet. Beide Grabste<strong>in</strong>e tragen ausschließlich<br />

hebräische Schriftzeichen.<br />

Um das Jahr 1917 ist F<strong>am</strong>ilie Majerowitz <strong>in</strong> der Kaiserstraße 78 <strong>in</strong> <strong>Bruchsal</strong> gemeldet.<br />

David arbeitete weiterh<strong>in</strong> als Händler beziehungsweise als Kaufmann, se<strong>in</strong>e Frau Helene<br />

hatte ke<strong>in</strong>en Beruf, sie hat sich vermutlich um die K<strong>in</strong>der gekümmert. Im Jahr 1917 k<strong>am</strong><br />

ihr fünftes und letztes K<strong>in</strong>d auf die Welt. Sechs Jahre später eröffnete David e<strong>in</strong> Möbelgeschäft,<br />

welches allerd<strong>in</strong>gs nicht sehr gut lief und gegen 1926 wieder geschlossen wurde.<br />

Ab diesem Jahr betrieb er dann e<strong>in</strong> Etagengeschäft für Konfektion und Manufakturwaren.<br />

Se<strong>in</strong> älterer Sohn He<strong>in</strong>rich ist diesem, nach Abschluss der Handelsschule und e<strong>in</strong>er Lehre<br />

bei e<strong>in</strong>er Firma <strong>in</strong> Neckarbischofsheim, 1927 beigetreten. Dieses Geschäft betrieb David<br />

bis ungefähr 1938. Für die Jahre 1919 bis 1923 konnte festgestellt werden, dass F<strong>am</strong>ilie Majerowitz<br />

<strong>in</strong> der Wilderichstraße 3 wohnte. Erstaunlich ist, dass im Adressbuch 1920/21 e<strong>in</strong><br />

Händler n<strong>am</strong>ens Maier Majerowitz an derselben Adresse gemeldet ist. E<strong>in</strong> Bruder von David?<br />

Fest steht jedenfalls, dass von 1916 bis 1930 die Schwester von David Majerowitz, Erna<br />

Rosner, zus<strong>am</strong>men mit ihrem Mann und ihren (wahrsche<strong>in</strong>lich 5) K<strong>in</strong>dern ebenfalls <strong>in</strong><br />

<strong>Bruchsal</strong> wohnte. Im Jahr 1925 war F<strong>am</strong>ilie Majerowitz dann <strong>in</strong> der Orb<strong>in</strong>straße 7 gemeldet,<br />

dort befand sich auch das Geschäft. Davids E<strong>in</strong>kommen betrug, laut e<strong>in</strong>em Schreiben<br />

se<strong>in</strong>es Sohnes, 600-700 RM im Monat. Dieser Betrag reichte aus, um die 7-köpfige F<strong>am</strong>ilie<br />

und die 5-Zimmer-Wohnung zu unterhalten und auch, um den K<strong>in</strong>dern e<strong>in</strong>e ordentliche<br />

Erziehung und Ausbildung zu ermöglichen, so zum Beispiel besuchten zwei der Töchter<br />

die Höhere Mädchenschule <strong>in</strong> <strong>Bruchsal</strong>, manche der K<strong>in</strong>der die Handelsschule oder bek<strong>am</strong>en<br />

Klavier- oder Geigenunterricht. E<strong>in</strong>igen Quellen zufolge soll die F<strong>am</strong>ilie zu diesen<br />

30


Zeiten e<strong>in</strong>e Haushaltsgehilf<strong>in</strong> beschäftigt haben. Was Helene zu diesem Zeitpunkt gemacht<br />

hat, ist nicht genau bekannt, jedoch wissen wir, dass sie <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>em eigenen Beruf tätig war.<br />

Es gibt jedenfalls auch die Zeugenaussage des Hausbesitzers, der erklärte: „Nach me<strong>in</strong>em<br />

Dafürhalten ist das Geschäft mehr als e<strong>in</strong> Hausierhandel anzusprechen gewesen. [David Majerowitz]<br />

wie auch se<strong>in</strong>e Frau haben die Wohnung <strong>in</strong> nahezu regelmäßiger Weise, mit Koffern<br />

bepackt und manchmal auch mit Stoffen, beispielsweise über der Schulter liegend, verlassen.<br />

Ich habe auch beobachtet, dass manchmal Glaubensgenossen gekommen s<strong>in</strong>d und beim Erblasser<br />

Waren abgeholt haben. Ich weiß nicht, ob sie Vertreter oder Kunden waren.“ Während<br />

Tochter Eva wohl Büroarbeiten erledigte, war Sohn He<strong>in</strong>rich wie se<strong>in</strong> Vater <strong>in</strong> der ländlichen<br />

Umgebung <strong>Bruchsal</strong>s als Reisender tätig und vertrieb dort die Textilwaren und half<br />

auch beim Versand. Dabei gab es verschiedentlich auch Kunden, die ihre Ware „auf Pump“<br />

bek<strong>am</strong>en, sodass Vater oder Sohn Majerowitz ihrem Geld h<strong>in</strong>terherlaufen mussten.<br />

Bis zum Jahr 1934 blieb Davids E<strong>in</strong>kommen konstant, jedoch sank es bis 1938 auf e<strong>in</strong> Drittel.<br />

Dies lässt sich auf die Boykottbewegung gegen die Juden <strong>zur</strong>ückzuführen. In dieser Zeit<br />

war Sparen angesagt, und schließlich wurde David 1938 für e<strong>in</strong>ige Wochen <strong>in</strong> Dachau <strong>in</strong>haftiert,<br />

vom 11. November bis zum 28. Dezember. Nach se<strong>in</strong>er Rückkehr aus Dachau war<br />

die Wiederaufnahme se<strong>in</strong>er Tätigkeit als Händler nicht mehr möglich. Schon vor oder auch<br />

erst nach se<strong>in</strong>er Rückkehr 1938 wohnte die F<strong>am</strong>ilie für e<strong>in</strong>en unbekannten Zeitraum <strong>in</strong> der<br />

Durlacher Straße 18, Davids Beruf wird im Adressbuch jetzt mit „Altwarenhändler“ angegeben.<br />

Der letzte gemeldete Wohnsitz von<br />

Helena und David war die Pfarrstraße 3, von<br />

dort aus wurde das Ehepaar <strong>am</strong> 22.10.1940<br />

geme<strong>in</strong>s<strong>am</strong> mit vielen anderen <strong>Bruchsal</strong>er<br />

Juden <strong>in</strong> das „C<strong>am</strong>p de Gurs“ <strong>in</strong> Südfrankreich<br />

deportiert. Am 01.04.1941 wurde David<br />

nach Les Milles gebracht und von dort ist er<br />

<strong>am</strong> 13.08.1942 <strong>in</strong>s S<strong>am</strong>mellager Drancy gekommen.<br />

Fünf Tage später, <strong>am</strong> 19.08.1942, ist<br />

er nach Auschwitz deportiert worden. Se<strong>in</strong>e<br />

Frau Helene k<strong>am</strong> direkt von Gurs nach Drancy,<br />

das genaue Datum ist nicht bekannt. Jedoch<br />

wird vermutet, dass es wenige Tage vor<br />

ihrer Deportation nach Auschwitz war. Diese<br />

fand <strong>am</strong> 12.08.1942 statt, was heißt, dass das<br />

Ehepaar getrennt vone<strong>in</strong>ander <strong>in</strong> Auschwitz<br />

ank<strong>am</strong>. Das Todesdatum der beiden ist nicht<br />

bekannt, es wird aber davon ausgegangen,<br />

dass Helene und David direkt nach ihrer Ankunft<br />

<strong>in</strong> die Gask<strong>am</strong>mer gekommen s<strong>in</strong>d und<br />

dort ihr Leben gelassen haben, da beide bei<br />

ihrer Ankunft bereits 63 Jahre alt waren.<br />

31<br />

Letzter Brief von Helene Majerowitz aus dem<br />

Lager Gurs. Foto: GLA Karlsruhe, 480 Nr. 24234.


Biografie von Eva Erel geb. Majerowitz (1906-2002)<br />

von Sarah Hagenmeier, Klasse 8u<br />

Eva Erel wurde <strong>am</strong> 09.08.1906 <strong>in</strong> Karlsruhe als zweite Tochter<br />

von David und Helene Majerowitz geboren. 1912 wurde<br />

sie <strong>in</strong> die Volksschule e<strong>in</strong>geschult. Seit dem 14. September<br />

1917 besuchte sie die Höhere Mädchenschule <strong>in</strong> <strong>Bruchsal</strong><br />

<strong>am</strong> Friedrichsplatz, von der Volksschule Klasse V kommend.<br />

Im Schuljahr 1917/18 <strong>in</strong> Klasse VII war die erfahrene<br />

Hauptlehrer<strong>in</strong> Mathilde Dusberger Klassenlehrer<strong>in</strong><br />

von 39 Schüler<strong>in</strong>nen. Luzia Maier (vgl. S. 6) war d<strong>am</strong>als <strong>in</strong><br />

derselben Klasse!<br />

Evas Leistungen waren meist gut, jedoch vermerkte Frau<br />

Dusberger: „Flüchtige Hausarbeiten!“ Evas Leistungen verbesserten<br />

sich zusehends. Nach dem dritten Lernjahr (<strong>in</strong><br />

Klasse V) verließ Frau Dusberger die Klasse. Dar<strong>in</strong> waren<br />

40 Mädchen, 16 katholisch, 17 evangelisch und 7 israelitisch.<br />

In der Klasse IV, vom September 1920 bis <strong>März</strong> 1921,<br />

waren es 33 Schüler<strong>in</strong>nen, unter anderem war Eva mit dabei<br />

und ihre Leistungen waren gut. In der Klasse III, Schuljahr 1921/22, hieß Evas Klassenlehrer<br />

Prof. Dr. Müller. Sie waren nur noch 30 Schüler<strong>in</strong>nen <strong>in</strong> der Klasse. Eva hatte sehr<br />

gute Leistungen, nur E<strong>in</strong>ser und Zweier. Dennoch merkte man bei ihr an, dass sie unruhig<br />

war und den Unterricht störte. In Klasse II, Schuljahr 1922/23, war ihr Klassenlehrer immer<br />

noch Prof. Müller mit jetzt nur noch 20 Schüler<strong>in</strong>nen. Mit Eva! Sie hatte <strong>in</strong> allen wichtigen<br />

Fächern E<strong>in</strong>ser und wurde „versetzt und belobt!“<br />

Eva besuchte die Klasse I, die Abschlussklasse, im Schuljahr 1923/24. Der Klassenlehrer<br />

war der Direktor Rett<strong>in</strong>ger. In ihrer Klasse waren 20 Schüler<strong>in</strong>nen. Am Ende wurde Eva<br />

„belobt“ und ihr Schlusszeugnis mit der Ges<strong>am</strong>tnote<br />

„sehr gut“ bewertet. Sie war die beste Schüler<strong>in</strong> der<br />

Klasse!!! Ihre Schulzeit endete <strong>am</strong> 01.03.1924.<br />

Danach besuchte sie die Hohe Handelsschule und<br />

arbeitete <strong>in</strong> den 1920ern und frühen 1930ern als<br />

Schreibkraft im Geschäft ihres Vaters. Nach Hitlers<br />

Machtergreifung arbeitete Eva im Haushalt e<strong>in</strong>er<br />

deutschen Frau, was als Vorbereitung für e<strong>in</strong>e Emigration<br />

nach Paläst<strong>in</strong>a anerkannt wurde und 1935<br />

die E<strong>in</strong>reise dort ermöglichte. Ihr Bruder He<strong>in</strong>rich<br />

war kurz zuvor dort angekommen, ihr jüngerer Bruder<br />

Maier im Jahr darauf. 1939 k<strong>am</strong> auch die jüngste<br />

Eva und Natan Erel, 1937. F.: Yael Oron.<br />

Schwester Klara, die dann ganz <strong>in</strong> Evas Nähe wohnte.<br />

In Israel nannte sie sich Eva dann „Chava“. Ihre erste<br />

32<br />

Eva Majerowitz, 1935. F.: Yael Oron.


Stelle fand sie im Zoo <strong>in</strong> Tel Aviv als Tierpfleger<strong>in</strong> und war als „Eva from the zoo“ bekannt.<br />

Am 29.04.1937 heiratete sie <strong>in</strong> Tel Aviv Norbert Erlich, der sich <strong>in</strong> Israel „Natan Erel“ nannte.<br />

Nach dem 2. Weltkrieg waren Eva und ihr Mann Natan im September 1952 Teil der<br />

israelischen Delegation für das Deutsch-Israelische Wiedergutmachungsabkommen, auch<br />

Luxemburger Abkommen genannt. Sie lebten für mehrere Jahre <strong>in</strong> Deutschland. Natan<br />

und Eva hatten ke<strong>in</strong>e K<strong>in</strong>der, aber e<strong>in</strong> reiches und glückliches Leben. Sie lebten <strong>in</strong> Jerusalem<br />

<strong>in</strong> der Nähe von Evas Nichte, Klaras Tochter und deren F<strong>am</strong>ilie. Eva Erel starb <strong>am</strong> 12.<br />

Juli 2002 im Alter von 96 Jahren.<br />

Biografie von He<strong>in</strong>rich Majerowitz (1909-1987)<br />

von Paula Matysek, Klasse 8u<br />

He<strong>in</strong>rich Max Majerowitz wurde <strong>am</strong> 14.12.1909 <strong>in</strong> Straßburg<br />

geboren, das d<strong>am</strong>als zu Deutschland gehörte. Er war<br />

der ältere Sohn von Helene und David Majerowitz und<br />

wurde auch „He<strong>in</strong>i“ genannt. Er wuchs <strong>in</strong> <strong>Bruchsal</strong> auf und<br />

besuchte dort die Volksschule bis 1923 und e<strong>in</strong> Jahr die Handelsschule.<br />

1924 machte He<strong>in</strong>rich e<strong>in</strong>e kaufmännische Lehre<br />

bei e<strong>in</strong>er Firma für Landesprodukte, Max Jesselsohn <strong>in</strong> Neckarbischofsheim<br />

bei Heidelberg. Seit 1927 wohnte He<strong>in</strong>rich<br />

wieder bei se<strong>in</strong>en Eltern und ist <strong>in</strong> das Textilgeschäft von se<strong>in</strong>em<br />

Vater, David Majerowitz, e<strong>in</strong>getreten. Dieses wurde von<br />

der Stadtverwaltung als Hausierhandel bezeichnet, He<strong>in</strong>rich<br />

übernahm die Reisetätigkeit. Er schrieb später: „Nach Hitlers<br />

Machtergreifung wollten die Kunden bei mir als Juden ke<strong>in</strong>e<br />

Bestellungen mehr aufgeben, sodass me<strong>in</strong>e Umsätze stark<br />

<strong>zur</strong>ückg<strong>in</strong>gen. Da ich beim Inkasso auch wiederholt bedroht<br />

wurde, fühlte ich mich me<strong>in</strong>es Lebens nicht mehr sicher und<br />

beschloss me<strong>in</strong>e Auswanderung nach Paläst<strong>in</strong>a.“ Privat g<strong>in</strong>g<br />

He<strong>in</strong>rich Majerowitz seit se<strong>in</strong>er Rückkehr nach <strong>Bruchsal</strong> 1927 regelmäßig zu Veranstaltungen<br />

des jüdischen Jugendbundes, der Tanzveranstaltungen, Heimabende und Ausflüge für<br />

se<strong>in</strong>e Mitglieder im ganzen <strong>Bruchsal</strong>er Bezirk organisierte (Er<strong>in</strong>nerungen von Irma Bravmann,<br />

d<strong>am</strong>als Bretten, vgl. S. 46).<br />

Um das Zertifikat <strong>zur</strong> Auswanderung nach Paläst<strong>in</strong>a zu erhalten, entschloss sich He<strong>in</strong>rich,<br />

e<strong>in</strong>e landwirtschaftliche Ausbildung beim Karlsruher Landwirt Brillmann durchzuführen.<br />

1933 hatte He<strong>in</strong>rich allerd<strong>in</strong>gs e<strong>in</strong>en komplizierten Unterschenkelbruch, der durch die<br />

schwere Arbeit im Bauwesen oder bei der Landwirtschaft verursacht wurde. Der Bruch<br />

trug zu e<strong>in</strong>er lebenslangen Versteifung des l<strong>in</strong>ken Sprunggelenkes bei. Durch die ständigen<br />

antisemitischen Angriffe wurde er 1934 <strong>am</strong> Magen operiert, da er unter anderem Blut erbrochen<br />

hatte. Der Verdacht lag auf e<strong>in</strong>em durchbrochenen Magengeschwür. Im selben Jahr<br />

wurde er wegen e<strong>in</strong>er Bl<strong>in</strong>ddarmentzündung operiert. Diese Operationen wurden <strong>in</strong> Metz<br />

33<br />

Zvi und Elka Majerowitz mit<br />

Nitza (li.) und Nech<strong>am</strong>a <strong>in</strong> Atarot,<br />

1946. Foto: Nitza Perlman.


H<strong>in</strong>ten v. li.: Nech<strong>am</strong>a, David u. Nitza Majerowitz;<br />

vorne: He<strong>in</strong>rich „Zvi“ u. Elka, 1961. F.: David Maor.<br />

34<br />

durchgeführt, da He<strong>in</strong>rich <strong>in</strong> Deutschland<br />

<strong>in</strong> ke<strong>in</strong> Krankenhaus gehen wollte.<br />

Anfang 1935 wanderte er nach Paläst<strong>in</strong>a<br />

aus und nannte sich „Zvi“. Dort lebte er <strong>in</strong><br />

dem Kibbuz Givat Hashlosha bei Petach-<br />

Tikwa und musste harte landwirtschaftliche<br />

Arbeit ohne Entlohnung leisten. 1937<br />

musste man He<strong>in</strong>rich wegen e<strong>in</strong>em Leistenbruch<br />

operieren. Er verließ den Givat<br />

Hashlosha nach drei Jahren, wurde für<br />

sechs Monate Melker auf dem Gut Kalmania<br />

bei Kfor und zog 1940 nach Atarot<br />

nördlich von Jerusalem. Dort arbeitete er<br />

als Ste<strong>in</strong>metz und als Landarbeiter. 1940 lernte er Elka F<strong>in</strong>kelman kennen, die ebenfalls<br />

aus Nazi-Deutschland ausgewandert war und e<strong>in</strong>e Ausbildung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Jerusalemer Krankenhaus<br />

machte. Sie heirateten und bauten zus<strong>am</strong>men e<strong>in</strong>e Farm <strong>in</strong> Atarot auf, züchteten<br />

R<strong>in</strong>der und Hühner und hatten e<strong>in</strong>en We<strong>in</strong>berg und e<strong>in</strong>en Obstgarten. Während des Unabhängigkeitskriegs<br />

wurde Atarot im Mai 1948 von der jordanischen Armee erobert und<br />

zerstört. Zvi und se<strong>in</strong>e Frau Elka, die mit ihrem dritten K<strong>in</strong>d schwanger war, und ihre ersten<br />

beiden K<strong>in</strong>der, Nitza und Nech<strong>am</strong>a, blieben für e<strong>in</strong>ige Monate <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Haus e<strong>in</strong>es Freundes<br />

<strong>in</strong> West-Jerusalem. Zvi musste <strong>in</strong> Jerusalem kriegsbed<strong>in</strong>gte Notstandsarbeiten verrichten<br />

und bek<strong>am</strong> dafür Essensrationen für se<strong>in</strong>e F<strong>am</strong>ilie. Nach dem Unabhängigkeitskrieg<br />

wurde die F<strong>am</strong>ilie nach Tel Aviv geschickt, wo dann Sohn David <strong>zur</strong> Welt k<strong>am</strong>. In Risphon,<br />

<strong>in</strong> der Nähe von Tel Aviv, ließen sie sich nieder und bauten ihren eigenen Bauernhof auf.<br />

Der Anbau von Gemüse wurde ihr Hauptzweig. Dort arbeitete He<strong>in</strong>rich bis er <strong>in</strong> den Rollstuhl<br />

k<strong>am</strong>. Er ist <strong>am</strong> 07.12.1986 gestorben. Se<strong>in</strong>en K<strong>in</strong>dern ist er als <strong>in</strong>telligent, sensibel und<br />

humorvoll <strong>in</strong> Er<strong>in</strong>nerung geblieben, mit Engagement für soziale Gerechtigkeit, Liebe <strong>zur</strong><br />

Natur, kompromisslose Ehrlichkeit und H<strong>in</strong>gabe für se<strong>in</strong>e F<strong>am</strong>ilie. Se<strong>in</strong>e Frau Elka arbeitete<br />

<strong>in</strong> späteren Jahren wieder im Krankenhaus von Tel Aviv und erreichte das Alter von 98<br />

Jahren. Die beiden h<strong>in</strong>terließen drei K<strong>in</strong>der, neun Enkel und 25 Urenkel.<br />

Biografie von Maier Majerowitz (1914-2007)<br />

von Paula Matysek, Klasse 8u<br />

Maier Majerowitz wurde <strong>am</strong> 18.01.1914 <strong>in</strong><br />

<strong>Bruchsal</strong> geboren. Er war der zweite Sohn von<br />

David Majerowitz und Helene Majerowitz. Er besuchte<br />

von 1920 bis 1928 <strong>in</strong> <strong>Bruchsal</strong> die Volksschule<br />

und die Oberrealschule bis <strong>zur</strong> 8. Klasse,<br />

danach die höhere Handelsschule von 1928 bis<br />

1930 – diese schloss er als bester des Lehrgangs ab<br />

Henni u. Maier Majerowitz. F.: Neora Eden.


und erhielt Buchpreise. Se<strong>in</strong>e Eltern ermöglichten ihm, Geige spielen zu lernen. Maier trat<br />

<strong>in</strong> die kaufmännische Lehre bei der Firma Hugo und Jakob Veis, Polstermaterialien en gros,<br />

<strong>in</strong> Bretten e<strong>in</strong>, wohnte aber weiter bei se<strong>in</strong>en Eltern <strong>in</strong> <strong>Bruchsal</strong>. Im Jahre 1932 beendete er<br />

se<strong>in</strong>e Lehre, arbeitete noch vier Monate dort weiter und war dann kurze Zeit arbeitslos. Bei<br />

der Stadtverwaltung <strong>Bruchsal</strong> fand er aushilfsweise e<strong>in</strong>en Büroposten.<br />

Als vielleicht der erste Jude <strong>Bruchsal</strong>s wurde der 19-jährige Maier Majerowitz <strong>am</strong> 08.04.1933<br />

von SS-Leuten überfallen und lebensgefährlich verletzt (siehe Zeitzeugenbericht).<br />

<strong>Bruchsal</strong>er Nazitrupp prügelt jüdischen Jungen halbtot - Maier Majerowitz berichtete:<br />

„Bis zum Jahr 1933, der Machtergreifung Hitlers, war ich <strong>in</strong> jeder H<strong>in</strong>sicht immer vollkommen<br />

gesund. […] Zum Überfall vom April 33 habe ich folgendes auszusagen: Ich k<strong>am</strong> an<br />

dem fraglichen Tage gegen ca. 22.30 Uhr nachts aus dem Palast-K<strong>in</strong>o <strong>in</strong> <strong>Bruchsal</strong> heraus<br />

und trat den Nachhauseweg <strong>in</strong> die elterliche Wohnung, <strong>in</strong> der ich auch lebte, Orb<strong>in</strong>straße 7,<br />

an. Ich bemerkte, dass ich verfolgt wurde. Ich gelangte aber unbelästigt <strong>in</strong> unsere im Parterre<br />

gelegene Wohnung. Nach e<strong>in</strong>igen M<strong>in</strong>uten klopfte es an unserer Wohnungstür. Ich<br />

löschte im Korridor das Licht aus und durch unsere Glastür <strong>in</strong>s Treppenhaus h<strong>in</strong>aussehend<br />

sah ich Taschenl<strong>am</strong>penlicht aufblitzen. Ich öffnete die Entrétür und war im gleichen<br />

Moment von ca. 15 bis 16 Mann umr<strong>in</strong>gt, die mich aus der Wohnung herauszerrten, mit<br />

Knüppeln und Totschlägern auf mich e<strong>in</strong>schlugen und me<strong>in</strong>en Kopf und den ganzen Körper<br />

trafen. Danach stießen sie mich mit Fußtritten die Treppe bis zum Keller h<strong>in</strong>unter, wo<br />

ich an der offenen Kellertür liegen blieb. Ich hörte, wie e<strong>in</strong>er der Nazis zu den anderen sagte:<br />

„Geht <strong>zur</strong> Seite, ich will den Juden totschießen.“ In diesem Augenblick ertönte die Stimme<br />

unserer Nachbar<strong>in</strong> Frau Groß (Angehörige der NSDAP): „Ihr Lauser, lasst den Juden <strong>in</strong><br />

Ruh‘“, worauf sie von e<strong>in</strong>em der Nazis die Antwort erhielt: „Du alte Sau, mach das Fenster<br />

zu, oder ich schieße rauf.“ Die Zeit dieser Unterhaltung benutzte ich, mich mit letzter Kraft<br />

die Kellertreppe herunterrollen zu lassen. Im Keller blieb ich schwerverletzt liegen. Inzwischen<br />

waren die Nachbarn zus<strong>am</strong>mengelaufen, und die Nazis suchten das Weite. Unter<br />

den SS-Leuten, die mich überfallen hatten, erkannte ich folgende Personen: Stuhlmüller,<br />

dessen Eltern <strong>in</strong> der Kaiserstraße <strong>in</strong> <strong>Bruchsal</strong> e<strong>in</strong>en Fleischerladen hatten, und Kap, dessen<br />

Eltern e<strong>in</strong>en Limonadenstand <strong>in</strong> der Bahnhofstraße betrieben. E<strong>in</strong>ige Nachbarn trugen<br />

mich nach Abzug der Nazis aus dem Keller heraus, und der Sohn unserer Nachbar<strong>in</strong> Groß,<br />

Herbert Groß, holte den jüdischen Arzt, Dr. Fritz Sulzberger, der mich behandelte und<br />

außer zahlreichen anderen Wunden e<strong>in</strong>e schwere Kopfwunde feststellte. Letztere musste<br />

von ihm an Ort und Stelle gekl<strong>am</strong>mert werden. Ich musste drei Wochen fest im Bett liegen<br />

und wurde von Dr. Sulzberger ständig behandelt. Der große Blutverlust, den ich <strong>in</strong>folge der<br />

Kopfwunde hatte, erzeugte dauernde Kopfschmerzen, Schw<strong>in</strong>delanfälle und Gedächtnisschwäche.<br />

Die Narbe <strong>am</strong> Kopf ist noch heute stark sichtbar. Nachdem ich e<strong>in</strong>igermaßen<br />

wiederhergestellt war, flüchtete ich aus Angst vor weiteren Verfolgungen nach Frankreich<br />

und hielt mich sieben Monate bei me<strong>in</strong>er Cous<strong>in</strong>e Eva Grün geb. Rosner <strong>in</strong> Vorbach auf.<br />

Auch dort war ich noch bettlägerig und musste ständig <strong>in</strong> ärztlicher Behandlung stehen.“<br />

(Quelle: GLA Karlsruhe, 243 Zugang 2004-125 Nr. 7663, S. 105f.)<br />

35


Um nach Paläst<strong>in</strong>a auswandern zu können,<br />

wurde er <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em landwirtschaftlichen Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>gscenter<br />

(sog. Hakhshara) <strong>in</strong> Elsass-Lothr<strong>in</strong>gen<br />

<strong>in</strong> verschiedenen Dörfern, z. B. Wiliwsheim<br />

ausgebildet, sowie <strong>in</strong> Ingenheim und<br />

Tours. 1934 lernt er die aus Paris kommende<br />

Henni Birnbaum kennen, die er 1935 <strong>in</strong> Tours<br />

<strong>in</strong> Frankreich heiratete. Nachdem sie auch Hebräisch<br />

gelernt hatten, wanderten sie von dort im<br />

Februar 1936 von Marseille aus mit dem Schiff<br />

„Ch<strong>am</strong>pollion“ <strong>in</strong> das ehemalige Paläst<strong>in</strong>a aus.<br />

Meir u. Hanna (vorne) u. F<strong>am</strong>., li. E. Erel. F.: N. Eden. Sie nannten sich jetzt Hannah und Meir und<br />

lebten für kurze Zeit bei se<strong>in</strong>em Bruder He<strong>in</strong>rich Zvi Majerowitz im Kibbuz Givat HaShlosha.<br />

Dort wohnten sie <strong>in</strong> Zelten und arbeiteten als Farmer. Sie zogen nach Kfar Hasidim, wo<br />

Hannah K<strong>in</strong>der unterrichtete und Meir <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Straßenbauunternehmen arbeitete. E<strong>in</strong><br />

Jahr später, 1937, mieteten sie e<strong>in</strong>en kle<strong>in</strong>en Raum <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Wohnung <strong>in</strong> Kiryat Bialik, nahe<br />

Haifa. Dort hatten sie wieder e<strong>in</strong>en neuen Job. Meir arbeitete im Hafen von Haifa und Hannah<br />

säuberte Wohnungen. Die Arbeit als Lastenträger im Hafen zählte zu den härtesten,<br />

sodass Meir diese 1940 wegen wiederholten Anfällen von Hexenschuss aufgeben musste.<br />

1942/43 war er dann Hilfspolizist, und von 1943 bis 1948 arbeitete er <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Ker<strong>am</strong>ikfabrik.<br />

1950 kaufte er se<strong>in</strong>en ersten Lastwagen und machte sich als Chauffeur selbständig.<br />

Bis 1995 lebten Hannah und Meir <strong>in</strong> ihrem eigenen Haus <strong>in</strong> Kiryat Bialik, welches Meir <strong>in</strong><br />

den 1950ern mit eigenen Händen gebaut hatte. Seit 1995 wurden sie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Wohnheim<br />

betreut. Hannah starb 2005 im Alter von 90 Jahren und Meir starb zwei Jahre später mit<br />

93 Jahren. Sie wurden nebene<strong>in</strong>ander <strong>in</strong> Kiryat Bialik auf dem Friedhof begraben. Hannah<br />

und Meir hatten drei K<strong>in</strong>der: Ruti, Miki und Neora, sowie acht Enkel und sieben Urenkel.<br />

Biografie von Klara Ron geb. Majerowitz (1917-2010)<br />

von Sarah Hagenmeier, Klasse 8u<br />

Klara Majerowitz, später <strong>in</strong> Israel auch Haya Ron genannt, wurde <strong>am</strong> <strong>27.</strong>08.1917 <strong>in</strong> <strong>Bruchsal</strong><br />

geboren. Sie besuchte von 1924 bis 1928 die Volksschule <strong>in</strong> <strong>Bruchsal</strong> und g<strong>in</strong>g anschließend<br />

auf die Höhere Mädchenschule. Unter den 36 Schüler<strong>in</strong>nen fand sich noch e<strong>in</strong> weiteres<br />

jüdisches Mädchen, Gertrud Bas<strong>in</strong>ger. Trotz guter Noten verließ Klara die Schule nach der<br />

Untersekunda <strong>am</strong> 18.03.1932. Später gab sie als Grund an, dass sie und die zweite jüdische<br />

Schüler<strong>in</strong> von den arischen Mitschüler<strong>in</strong>nen belästigt und beschimpft wurden. Es war ihr<br />

Wunsch und auch der ihres Vaters, nach dem E<strong>in</strong>jährigen e<strong>in</strong>e Spezialschule für Sozialfürsorge<br />

zu besuchen. 1933 aber k<strong>am</strong> Hitler an die Macht und die Atmosphäre dafür war sehr<br />

schlecht. Mit 16 Jahren zog sie weg aus ihrer Heimatstadt, um mit ihrer älteren Schwester<br />

Rosa zu leben. Diese wohnte <strong>in</strong> Kassel. Dort schloss sie sich der zionistischen Jugendorganisation<br />

„Kadima“ an, die später zu „Habonim“ wurde. Die Führer von Kadima erweckten<br />

36


Haya und Zeev mit den Töchtern Yael<br />

(li.) u. Ruthi, 1947. Foto: Yael Oron.<br />

<strong>in</strong> ihren jungen Mitgliedern Hoffnung, sie würden e<strong>in</strong><br />

Zertifikat erhalten, das e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>reiseerlaubnis nach Paläst<strong>in</strong>a<br />

garantiert. E<strong>in</strong> Jahr später wartete Klara immer<br />

noch auf das Zertifikat. So hat sie sich <strong>am</strong> 01.08.1936<br />

<strong>in</strong> Kassel abgemeldet und g<strong>in</strong>g zunächst <strong>zur</strong>ück nach<br />

<strong>Bruchsal</strong>. Im gleichen Jahr zog Klara nach Mannheim.<br />

Dort arbeitete sie dann für e<strong>in</strong>ige Monate <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Restaurant,<br />

das sie auf ihre E<strong>in</strong>wanderung nach Paläst<strong>in</strong>a<br />

vorbereiten sollte. Anschließend g<strong>in</strong>g sie nach Gruesen<br />

bei Frankenberg an der Eder <strong>zur</strong> Vorbereitung für Paläst<strong>in</strong>a.<br />

Danach wieder Mannheim: Beth Chaluz/jüdisches<br />

Auswandererheim (Adresse: B 6, 20). 1939 k<strong>am</strong><br />

dann endlich das langerwartete Zertifikat.<br />

Am 06.03.1939 wurde Klara von ihren Eltern an den Bahnhof <strong>in</strong> <strong>Bruchsal</strong> gebracht. Sie<br />

waren fest davon überzeugt, dass alle <strong>am</strong> Ende des Krieges <strong>in</strong> Israel wieder vere<strong>in</strong>t se<strong>in</strong><br />

würden. Klara schloss sich e<strong>in</strong>er Gruppe von „Ma´apilim“ an (= heimliche jüdische Auswanderung).<br />

Am 07.03.1939 war die E<strong>in</strong>schiffung <strong>in</strong> die „Colorado“ im Hafen von Sushak<br />

<strong>in</strong> Jugoslawien mit 378 anderen „Ma´apilim“. In Paläst<strong>in</strong>a wurde Klara, die sich jetzt „Haya“<br />

nannte, mit ihren beiden Brüdern He<strong>in</strong>rich „Zvi“ und Maier „Meir“ und ihrer Schwester<br />

Eva „Chava“ wieder vere<strong>in</strong>t. Nach e<strong>in</strong>er kurzen Periode, <strong>in</strong> der sie an verschiedenen Orten<br />

arbeitete, hat sie sich <strong>in</strong> Jerusalem niedergelassen, bei ihrer Schwester Eva. Dank ihrer Ausbildung<br />

<strong>in</strong> Mannheim gelang es ihr, Arbeit <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er „Arbeiterküche“ zu f<strong>in</strong>den.<br />

Ende 1941 wurde Haya e<strong>in</strong>er Arbeiterküche <strong>in</strong> der Nähe von Jericho zugeteilt. Dort traf sie<br />

ihren zukünftigen Ehemann, den Ingenieur Ze´ev Z<strong>in</strong>germann. Haya und Ze´ev heirateten<br />

<strong>am</strong> 18.08.1942 <strong>in</strong> Bnei Brak. Das Telegr<strong>am</strong>m mit der glücklichen Nachricht an ihre Eltern<br />

k<strong>am</strong> aus dem Lager Gurs mit dem Vermerk „unzustellbar“ <strong>zur</strong>ück. Beide Eltern wurden <strong>in</strong><br />

der Woche der Hochzeit nach Auschwitz verbracht und wahrsche<strong>in</strong>lich sofort ermordet.<br />

Haya und Ze‘ev hatten zwei Töchter: Yael, 1944 geboren, und Ruthi, 1945. 1952 zogen sie<br />

nach Tel Aviv, wo Haya bis zu ihrem Tod <strong>am</strong> <strong>27.</strong>01.2010 lebte. Sie widmete ihr Leben der<br />

ehren<strong>am</strong>tlichen Arbeit. Zunächst unterstützte sie e<strong>in</strong>e Frauenorganisation, die sich um bedürftige<br />

F<strong>am</strong>ilien von Soldaten bzw. deren H<strong>in</strong>terbliebene kümmerte. Später tat sie dies im<br />

Auftrag des Verteidigungsm<strong>in</strong>isteriums. In den 70er Jahren wurde sie vom M<strong>in</strong>isterium für<br />

Tourismus aufgefordert, an e<strong>in</strong>em Progr<strong>am</strong>m n<strong>am</strong>ens „Treffe Israelis<br />

zu Hause“ teilzunehmen. Dadurch beherbergte Haya <strong>in</strong> den 70er<br />

und 80er Jahren unzählige Touristen aus Amerika und Deutschland<br />

– e<strong>in</strong>e für sie erfüllende Tätigkeit. Ihre umfangreichen und freiwilligen<br />

Aktivitäten wurden breit anerkannt und sie erhielt viele Ehrungen.<br />

Haya hatte <strong>Bruchsal</strong> 1939 endgültig verlassen. 1986 kehrte sie<br />

mit ihrer Schwester Eva und den beiden Ehemännern noch e<strong>in</strong>mal<br />

<strong>zur</strong>ück nach <strong>Bruchsal</strong>, auf E<strong>in</strong>ladung der Stadtverwaltung. Für beide<br />

Schwestern war dies e<strong>in</strong> berührendes Erlebnis.<br />

37<br />

Haya Oron. F.: Yael Oron.


F<strong>am</strong>ilie David und Helene Majerowitz<br />

David Bär Majerowitz * 16.06.1879 Bukova bzw. Bukowska/Sanok/Galizien/PL<br />

† Aug. 1942 Auschwitz<br />

(Sohn von Mosche Abrah<strong>am</strong> Majerowitz und Feige Rosa Feldmann)<br />

Kaufmann <strong>in</strong> <strong>Bruchsal</strong>; wohnhaft Orb<strong>in</strong>str. 7, <strong>Bruchsal</strong>; 11.11.-28.12.1938 Dachau; 22.10.1940 von<br />

Pfarrstr. 3, <strong>Bruchsal</strong> nach Gurs; 01.04.1941 nach Les Milles; 19.08.1942 von Drancy nach Auschwitz<br />

vh. um 1905 <strong>in</strong> Bekovs<br />

Helene Landau<br />

* 16.07.1879 Bitz bzw. Tarnow bzw. Dukla/Krosno/Galizien/PL<br />

† Aug. 1942 Auschwitz<br />

(Tochter von Baruch Landau (1848-1937), Karlsruhe, und She<strong>in</strong>del „Selma“ Templer (1844-1919))<br />

wohnhaft <strong>in</strong> <strong>Bruchsal</strong>; Deportation 22.10.1940 Gurs; 12.08.1942 von Drancy nach Auschwitz<br />

5 K<strong>in</strong>der:<br />

1. Rosa Majerowitz * 05.12.1904 Biecz/Polen † 1941/42 Ghetto Riga<br />

1926-1941 wohnhaft <strong>in</strong> Kassel, Königstor 12; Moltkestraße 10; 09.12.1941 nach Riga deportiert<br />

vh. 1926 Isaak (Izzy) Goldberg * 20.11.1897 <strong>in</strong> Jedlowka, Galizien † 1993 (?) Australien<br />

Kaufmann <strong>in</strong> Kassel; 17.07.1939 Flucht nach England; versucht vergeblich, F<strong>am</strong>ilie nachzuholen<br />

2 K<strong>in</strong>der:<br />

a) Sigrid (Sigi) Goldberg * 28.09.1928 Kassel, deportiert 09.12.1941 Riga, verschollen<br />

b) Manfred Goldberg * 29.12.1935 Kassel, deportiert 09.12.1941 Riga, verschollen<br />

2. Eva (Chava) Majerowitz * 09.08.1906 Karlsruhe † 12.07.2002 Jerusalem/Israel<br />

Ende 1935 nach Jerusalem/Paläst<strong>in</strong>a. 1955 Hausfrau <strong>in</strong> Jerusalem<br />

vh. 29.04.1937 Norbert Erlich (Natan Erel) * 20.04.1913 Deutschland † 17.10.1987 Jerusalem<br />

k<strong>in</strong>derlos<br />

3. He<strong>in</strong>rich „He<strong>in</strong>i“ Max (Zvi) Majerowitz * 25.12.1909 Straßburg/Elsass † 07.12.1986 Israel<br />

1935 nach Eretz/Paläst<strong>in</strong>a; 1955/1972 Landwirt <strong>in</strong> Rishpon-Herzlia/Israel<br />

vh. 23.02.1940 Israel Elka F<strong>in</strong>kelmann * 19.07.1914 Berl<strong>in</strong> † 03.11.2012 Israel<br />

Emigration aus Deutschland 1930er; Landwirt<strong>in</strong> <strong>in</strong> Rishpon; Krankenschwester <strong>in</strong> Tel Aviv<br />

3 K<strong>in</strong>der:<br />

a) Nitza Bracha Majerowitz * 11.02.1942 Jerusalem; Psychologie-Professor<strong>in</strong><br />

vh. Dr. Max Perlman, Prof. für K<strong>in</strong>dermediz<strong>in</strong>; wohnhaft <strong>in</strong> Toronto/Kanada; 2 K<strong>in</strong>der, 4 Enkel<br />

b) Nech<strong>am</strong>a Majerowitz * 16.04.1946 Jerusalem; Übernahme der elterl. Landwirtschaft<br />

vh. Yor<strong>am</strong> Oron, wohnhaft <strong>in</strong> Rishpon/Israel; 3 Söhne, 11 Enkel<br />

c) David Majerowitz (Maor) * 07.10.1948 Rishpon Herzlia; Farmer für exotisches Obst<br />

vh. Daphne Shakhar, wohnhaft <strong>in</strong> R<strong>am</strong>at Hagolan <strong>am</strong> See Genezareth; 4 Söhne, 10 Enkel<br />

4. Maier (Meir) Majerowitz * 18.01.1914 <strong>Bruchsal</strong> † 09.10.2007 Israel<br />

1933-1936 Kaufmann; 1936 nach Paläst<strong>in</strong>a; seit 1950 Fuhrunternehmer <strong>in</strong> Kirjat Bialik/Israel<br />

vh. 1935 Tours Henni (Hannah) Birnbaum * 02.06.1914 H<strong>am</strong>burg † 25.01.2005 Israel<br />

02.1936 von Paris nach Paläst<strong>in</strong>a<br />

38


3 K<strong>in</strong>der:<br />

a) Ruth Majerowitz * 28.04.1942<br />

vh. Avion<strong>am</strong> Almog, wohnhaft <strong>in</strong> Kiriat Bialik/Israel; 2 K<strong>in</strong>der, 7 Enkel<br />

b) Michael Majerowitz * 19.11.1947<br />

vh.; 3 K<strong>in</strong>der, 4 Enkel<br />

c) Neora Majerowitz * 07.06.1955<br />

vh. Itzchak Eden, wohnhaft <strong>in</strong> Haifa/Israel; 3 K<strong>in</strong>der, 1 Enkel<br />

5. Klara (Haya) Majerowitz * <strong>27.</strong>08.1917 <strong>Bruchsal</strong> † 28.01.2010 Tel Aviv/Israel<br />

03.1939 Emigration von <strong>Bruchsal</strong> nach Jerusalem/Paläst<strong>in</strong>a; 1952 Umzug nach Tel Aviv/Israel<br />

vh. 18.08.1942 Bnei Brak Ze´ev Z<strong>in</strong>germann (Ron) * 03.03.1905 Sarny/Ukr. † 15.02.1988 Isr.<br />

Ingenieur<br />

2 K<strong>in</strong>der:<br />

a) Yael Ron * 12.02.1944<br />

vh. Yor<strong>am</strong> Oren, wohnhaft <strong>in</strong> R<strong>am</strong>at HaSharon/Israel; 2 K<strong>in</strong>der, 5 Enkel<br />

b) Ruthi Ron * 19.09.1945<br />

vh. Yair Barcol; 2 K<strong>in</strong>der, 2 Enkel<br />

V. li.: Sigrid Goldberg, Rosa Goldberg geb. Majerowitz,<br />

Manfred Goldberg, 1939 <strong>in</strong> Kassel. F.: privat.<br />

Geschw. Majerowitz <strong>in</strong> Israel, v. li.: He<strong>in</strong>rich „Zvi“,<br />

Eva „Chava“, Maier „Meir“, Klara „Haya“. F.: N. Eden.<br />

Rosa Majerowitz, die älteste Schwester, wurde 1906 <strong>in</strong> Galizien geboren und verbrachte ihre Jugendjahre<br />

<strong>in</strong> <strong>Bruchsal</strong>. Über ihre Schulausbildung wissen wir nichts, ihre Geschwister er<strong>in</strong>nerten<br />

sich aber, dass Rosa Klavierunterricht bek<strong>am</strong>. Sie verheiratete sich 1926 nach Kassel mit dem<br />

Kaufmann Issak Goldberg und lebte seit 21.08.1926 <strong>in</strong> der Blücherstr. 32. Das junge Paar zog <strong>am</strong><br />

15.08.1928 <strong>in</strong>s Königstor 12. Beide K<strong>in</strong>der verbrachten hier ihre ersten Jahre, Sigrid wurde 1929<br />

und Manfred 1935 geboren. Nach der Reichspogromnacht wurde Isaak verhaftet. Rosa erreichte<br />

se<strong>in</strong>e Freilassung und konnte für ihn e<strong>in</strong> Visum für England besorgen. Von dort schickte er<br />

Visen und Tickets für se<strong>in</strong>e F<strong>am</strong>ilie, die aber nicht ank<strong>am</strong>en. Vermutlich wurden sie von e<strong>in</strong>em<br />

Botschaftsangehörigen <strong>in</strong> Stuttgart weiterverkauft. Am <strong>27.</strong>02.1941 mussten sie <strong>in</strong> die Moltkestraße<br />

10 umziehen, und <strong>am</strong> 09.12.1941 wurden Rosa, Sigrid und Manfred mit 1000 weiteren<br />

Kasseler Juden <strong>in</strong>s Ghetto Riga deportiert und ermordet. Da der „letzte freiwillig gewählte Wohnort“<br />

der F<strong>am</strong>ilie Goldberg Kassel war, wird von der dortigen Stolperste<strong>in</strong><strong>in</strong>itiative überlegt, dort<br />

2020 Stolperste<strong>in</strong>e zu verlegen.<br />

39


Biografie von Benj<strong>am</strong><strong>in</strong> Bravmann (1875-1944)<br />

von Marcel Ste<strong>in</strong>le, Klasse 8s<br />

Benj<strong>am</strong><strong>in</strong> Bravmann wurde <strong>am</strong> 16. Mai 1875<br />

<strong>in</strong> Unteraltertheim bei Würzburg geboren. Er<br />

war der Sohn von Schlomo Bravmann und<br />

dessen Ehefrau Ana und hatte noch etwa<br />

neun Geschwister. Im Jahr 1903/04 heiratete<br />

er se<strong>in</strong>e Frau Mathilde Fleischmann, geb. <strong>am</strong><br />

31.10.1878 <strong>in</strong> Krautheim/Jagst. Sie st<strong>am</strong>mte<br />

wohl aus guten Verhältnissen, denn sie brachte<br />

13.000 Reichsmark als Mitgift <strong>in</strong> die Ehe<br />

e<strong>in</strong>. Im Jahr 1906 wirkte Benj<strong>am</strong><strong>in</strong> Bravmann<br />

als Religionslehrer <strong>in</strong> Neidenste<strong>in</strong> bei Heidelberg,<br />

dort wurde auch der Sohn Max geboren.<br />

Von Neidenste<strong>in</strong> zog er wahrsche<strong>in</strong>lich<br />

im April 1911 mit se<strong>in</strong>er Frau und se<strong>in</strong>em<br />

Sohn Max <strong>in</strong> die Friedrichstraße 76 nach<br />

<strong>Bruchsal</strong>. Das Gebäude gehörte d<strong>am</strong>als der<br />

Israelitischen Geme<strong>in</strong>de <strong>Bruchsal</strong> und diente<br />

als Dienstsitz der Kantoren und der Synagogendiener.<br />

F<strong>am</strong>ilie Bravmann hatte e<strong>in</strong>e gut<br />

e<strong>in</strong>gerichtete 4-Zimmer-Wohnung <strong>in</strong>clusive Benj<strong>am</strong><strong>in</strong> Bravmann, um 1935. F.: M. Chitman.<br />

Klavier. Die meisten Möbel st<strong>am</strong>mten aus der<br />

Zeit der Eheschließung, das Herrenzimmer wurde um 1930 neu angeschafft. Die F<strong>am</strong>ilie<br />

wurde 1913 durch die Geburt der Tochter Lore komplettiert. Benj<strong>am</strong><strong>in</strong> war nicht als Soldat<br />

im Ersten Weltkrieg beteiligt, es gibt hierzu ke<strong>in</strong>erlei E<strong>in</strong>tragungen oder H<strong>in</strong>weise <strong>in</strong><br />

den entsprechenden Schul- und Wiedergutmachungsakten.<br />

Benj<strong>am</strong><strong>in</strong> Bravmann war von 1911 bis 1940 Kantor der Jüdischen Geme<strong>in</strong>de <strong>Bruchsal</strong>.<br />

E<strong>in</strong>e Stellenausschreibung im Jahr 1920 für e<strong>in</strong>e Kantorenstelle <strong>in</strong> <strong>Bruchsal</strong> verlangte „musikalisch<br />

gebildet, stimmbegabt und zum S<strong>in</strong>gen mit Chor und Orchester befähigt zu se<strong>in</strong>“.<br />

E<strong>in</strong> Anfangsgehalt von 3000 Mark mit freier Wohnung als Entlohnung war geboten. Zu<br />

dieser Zeit beschäftigte die Geme<strong>in</strong>de <strong>Bruchsal</strong> zwei Kantoren. E<strong>in</strong>e Anstellung als Kantor<br />

<strong>in</strong> <strong>Bruchsal</strong> galt zu der Zeit als e<strong>in</strong>e der bestbezahlten Stellen Badens. Zu den Aufgaben im<br />

Gottesdienst gehörte es, die Wochenabschnitte der Thora gesanglich vorzutragen. Ebenso<br />

übernahm er von April 1911 bis <strong>März</strong> 1935 Sonderaufgaben an der Höheren Mädchenschule<br />

<strong>am</strong> Friedrichsplatz <strong>in</strong> <strong>Bruchsal</strong>, der Vorgängerschule des heutigen Justus-Knecht-<br />

Gymnasiums. Er unterrichtete dort das Fach „Israelitischer Religionsunterricht“. Nachdem<br />

er dort se<strong>in</strong>e Lehrtätigkeit aufgeben musste, war er teilweise <strong>in</strong> der Jüdischen Sonderklasse<br />

e<strong>in</strong>gesetzt, die <strong>in</strong> <strong>Bruchsal</strong> von Oktober 1935 bis Mitte 1939 exisiterte.<br />

Für e<strong>in</strong>en Vertreter der Israelitischen Geme<strong>in</strong>de wie Bravmann änderte sich besonders<br />

40


viel mit Hitlers Machtergreifung im Jahr 1933. Viele se<strong>in</strong>er<br />

Geme<strong>in</strong>demitglieder und se<strong>in</strong>er Schüler<strong>in</strong>nen verließen<br />

Deutschland. Se<strong>in</strong> Gehalt als Lehrer und Kantor wurde, auf<br />

Anordnung der Nationalsozialistischen Regierung <strong>zur</strong> Gehaltkürzungsbestimmung<br />

mit Wirkung vom 26.09.1936, auf<br />

320 Reichsmark reduziert. Zusätzlich hatte Benj<strong>am</strong><strong>in</strong> Bravmann<br />

immerh<strong>in</strong> Nebenverdienste als Geme<strong>in</strong>desekretär<br />

und Geme<strong>in</strong>derechner. Er besaß Konten und Wertpapierdepots<br />

bei mehreren Banken, wie bei der Badischen Bank<br />

Karlsruhe, der Deutschen Bank <strong>Bruchsal</strong>, der Sparkasse<br />

<strong>Bruchsal</strong> und e<strong>in</strong> Postscheckkonto. Den Großteil se<strong>in</strong>es Vermögens,<br />

etwa 10.000 Reichsmark, musste er als „Sühneabgabe“<br />

im Jahr 1939 abgeben. Sogar persönliche Wertsachen<br />

wie z. B. se<strong>in</strong>e goldene Uhr mit Kette wurden e<strong>in</strong>gefordert.<br />

Trotzdem war er <strong>in</strong> der f<strong>in</strong>anziellen Lage, die notwendigen<br />

2000 Paläst<strong>in</strong>a-Pfund für die Auswanderung se<strong>in</strong>er beiden<br />

K<strong>in</strong>der aufzubr<strong>in</strong>gen.<br />

Das Jahr 1938 wurde von Benj<strong>am</strong><strong>in</strong> Bravmann sicher als<br />

Schicksalsjahr empfunden. Am <strong>27.</strong> Januar 1938 starb se<strong>in</strong>e<br />

Ehefrau Mathilde im Krankenhaus der Israelitischen Geme<strong>in</strong>de<br />

<strong>in</strong> Frankfurt <strong>am</strong> Ma<strong>in</strong> an Lungentuberkulose und<br />

Zuckerharnruhr. Der Sohn Max hatte bereits 1936 nach<br />

Bretten geheiratet und wanderte im April 1938 nach Paläst<strong>in</strong>a aus. Dessen Frau Irma folgte<br />

mit dem im Februar geborenen Säugl<strong>in</strong>g im August 1938. Bravmanns Tochter Lore emigrierte<br />

im Juni 1938 ebenfalls nach Paläst<strong>in</strong>a. Den Brand der benachbarten Synagoge erlebte<br />

Benj<strong>am</strong><strong>in</strong> Bravmann hautnah und sicher sehr e<strong>in</strong>drücklich. In diesen Jahren wurde se<strong>in</strong><br />

Wohnhaus, das noch immer der Israelitischen Geme<strong>in</strong>de gehörte, <strong>zur</strong> zeitweiligen Wohnung<br />

mehrerer Geme<strong>in</strong>demitglieder. E<strong>in</strong>ige Zeit später, Ende 1939 oder Anfang 1940, erfolgte<br />

se<strong>in</strong>e Zwangse<strong>in</strong>weisung <strong>in</strong> das Haus <strong>in</strong> der Bismarckstraße 18 <strong>in</strong> <strong>Bruchsal</strong>. In diesen<br />

Jahren hätte Benj<strong>am</strong><strong>in</strong> Bravmann auch selbst die Möglichkeit gehabt, auszuwandern, aber<br />

als e<strong>in</strong>er der beiden Seelsorger der jüdischen Geme<strong>in</strong>de <strong>Bruchsal</strong>s (neben Rabb<strong>in</strong>er Dr.<br />

Siegfried Grzymisch) fühlte er sich verpflichtet, auszuharren. Se<strong>in</strong>en K<strong>in</strong>dern erklärte er:<br />

„Der Kapitän verlässt nicht das s<strong>in</strong>kende Schiff “ (aus e<strong>in</strong>em Brief se<strong>in</strong>er Tochter Lore an<br />

den <strong>Bruchsal</strong>er Oberbürgermeister).<br />

Am 22. Oktober 1940 wurde er mit dem Rest se<strong>in</strong>er Geme<strong>in</strong>de zum 1.300 km entfernten<br />

Internierungslager Gurs, <strong>in</strong> den französischen Pyrenäen, deportiert. Etwa acht Monate<br />

später, <strong>am</strong> 02.06.1941, wurde er nach Marseille <strong>in</strong> Südfrankreich entlassen, wo er auf se<strong>in</strong>e<br />

E<strong>in</strong>wanderungspapiere <strong>in</strong> die USA wartete. Von dort aus sendete er <strong>am</strong> 1. Mai 1942 e<strong>in</strong>en<br />

Brief an se<strong>in</strong>e Tochter Lore Kupfer <strong>in</strong> Paläst<strong>in</strong>a, <strong>in</strong> welchem er se<strong>in</strong>e Lebenssituation und<br />

se<strong>in</strong> Ausharren auf die Ausreise beschrieb. E<strong>in</strong>erseits war ihm bekannt, dass zu dieser Zeit<br />

schon be<strong>in</strong>ahe ke<strong>in</strong>e Aussicht auf Ausreise bestand – denn bereits vor dem Auswande-<br />

41<br />

Mathilde Bravmann geb.<br />

Fleischmann, um 1935.<br />

Foto: Mirj<strong>am</strong> Chitman.


ungsverbot vom Februar 1942 wurden ke<strong>in</strong>e Visen<br />

mehr an deutsche Juden erteilt – andererseits hatte er<br />

noch immer die Hoffnung, dass die Bürgschaft e<strong>in</strong>es<br />

entfernten Verwandten <strong>in</strong> den USA se<strong>in</strong>e Auswanderung<br />

ermöglichen könnte. Se<strong>in</strong> Glaube stärkte ihn<br />

<strong>in</strong> dieser Zeit, denn er besuchte oft die Synagoge und<br />

wünschte sich zum nächsten Pessach, dem höchsten<br />

Fest des Judentums, wieder mit se<strong>in</strong>er F<strong>am</strong>ilie vere<strong>in</strong>t<br />

zu se<strong>in</strong>.<br />

In e<strong>in</strong>em weiteren Brief <strong>am</strong> 7. April 1943 an se<strong>in</strong>e<br />

Tochter bat er darum, alle Hebel dafür <strong>in</strong> Bewegung<br />

zu setzen, f<strong>in</strong>anzielle Mittel für se<strong>in</strong>e Ausreise<br />

aufzutreiben und dass (s)e<strong>in</strong>e Cous<strong>in</strong>e Rut an den<br />

zuständigen Stellen alles aufbiete, se<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>reise zu<br />

erreichen. Se<strong>in</strong>e Lebenssituation beschrieb er als sehr<br />

schwierig, denn die Lebensmittel, die nur mit zugeteilten<br />

Tickets erworben werden konnten, waren oft<br />

nicht ausreichend. Se<strong>in</strong> Körpergewicht betrug zu dieser<br />

Zeit nur noch 55kg, obwohl er sich nach eigenen<br />

Angaben gesund fühlte.<br />

Grab <strong>in</strong> Frankfurt mit Gedenkplatte für<br />

Benj<strong>am</strong><strong>in</strong> Bravmann.<br />

Foto: Jüdische Geme<strong>in</strong>de Frankfurt/M.<br />

Se<strong>in</strong>e letzte bekannte Adresse war <strong>in</strong> Alboussiere/Ardeche, <strong>in</strong> diesem Haus war er mit<br />

etwa 60, meist ebenfalls älteren deutschen Juden untergebracht. Unter ihnen war auch der<br />

<strong>Bruchsal</strong>er Rabb<strong>in</strong>er Dr. Siegfried Grzymisch mit Ehefrau Karola (vgl. 3. <strong>Gedenkschrift</strong><br />

2017, S. 5 ff.). Am 18. Februar 1944 wurde er schließlich verhaftet und zwei Tage später,<br />

<strong>am</strong> 20. Februar, <strong>in</strong>s S<strong>am</strong>mellager Drancy deportiert. Schließlich musste er sich <strong>am</strong> 7. <strong>März</strong><br />

1944 e<strong>in</strong>em Transport zum Konzentrations- und Vernichtungslager Ausschwitz anschließen.<br />

Da Männer über 50 Jahren <strong>in</strong> aller Regel <strong>in</strong> Auschwitz noch <strong>am</strong> Ankunftstag ermordet<br />

wurden, kann man davon ausgehen, dass Benj<strong>am</strong><strong>in</strong> Bravmann, d<strong>am</strong>als 68 Jahre alt,<br />

auch sofort den Weg <strong>in</strong> die Gask<strong>am</strong>mern antreten musste. In demselben Convoi (Nr. 69)<br />

befanden sich auch Rabb<strong>in</strong>er Dr. Grzymisch und se<strong>in</strong>e Frau. Somit s<strong>in</strong>d die beiden Männer,<br />

die die <strong>Bruchsal</strong>er Geme<strong>in</strong>de über 30 Jahre bis zu ihrer Auflösung 1940 geme<strong>in</strong>s<strong>am</strong><br />

führten, diesen Weg wahrsche<strong>in</strong>lich geme<strong>in</strong>s<strong>am</strong> gegangen.<br />

rechts: Brief von Benj<strong>am</strong><strong>in</strong> Bravmann an se<strong>in</strong>e K<strong>in</strong>der, 10.07.1938:<br />

„Liebe K<strong>in</strong>der! Am Freitag nachmittag trafen sowohl von Max als auch von Lore mit der gleichen Post<br />

Eure beiden Briefe e<strong>in</strong>. Es freut mich, dass Ihr gesund seit und Efraim auf dem Wege der Besserung<br />

sich bef<strong>in</strong>det. Mit Gottes Hilfe wird auch der Keuchhusten wieder vorüber gehen. Mir selbst geht es<br />

gut, ich b<strong>in</strong> zufrieden und braucht Euch ke<strong>in</strong>e Sorgen zu machen. Ich habe diese Woche nach Berl<strong>in</strong><br />

an das Paläst<strong>in</strong>a-Amt wegen Auswanderung geschrieben und warte noch auf Antwort. Dass Max <strong>in</strong><br />

Rishpon Boden erworben hat, habe ich <strong>zur</strong> Kenntnis genommen; und das Du Lore e<strong>in</strong>e Halbtagsstelle<br />

gefunden hast, befriedigt mich. [...] Seid herzlich gegrüßt und geküsst von Eurem Vater Benj<strong>am</strong><strong>in</strong>.“<br />

(Foto: GLA Karlsruhe, 480 Nr. 26481.)<br />

42


43


Biografie von Lore Kupfer geb. Bravmann<br />

(1913-1997)<br />

von Luis Bergdolt, Klasse 8s<br />

Lore Bravmann wurde <strong>am</strong> 13.02.1913 <strong>in</strong> <strong>Bruchsal</strong><br />

geboren. Ihre Eltern waren Benj<strong>am</strong><strong>in</strong> Bravmann,<br />

welcher <strong>in</strong> Bruchal als Religionslehrer und Vorbeter<br />

arbeitete, und Mathilde Bravmann geb. Fleischmann.<br />

Lore hatte e<strong>in</strong>en älteren Bruder n<strong>am</strong>ens Max Bravmann,<br />

welcher <strong>am</strong> 18.04.1906 <strong>in</strong> Neidenste<strong>in</strong> geboren<br />

wurde. F<strong>am</strong>ilie Bravmann wohnte von 1911 bis<br />

1939/40 <strong>in</strong> der Friedrichstraße 76 <strong>in</strong> <strong>Bruchsal</strong>, direkt<br />

neben der Synagoge.<br />

Lore besuchte vier Jahre die Volksschule und ab 1923<br />

die Höhere Mädchenschule <strong>in</strong> <strong>Bruchsal</strong>. Von Juni<br />

1927 bis <strong>März</strong> 1929 g<strong>in</strong>g sie auf die höhere Handelsschule<br />

<strong>in</strong> <strong>Bruchsal</strong> und erwarb die mittlere Reife. Danach<br />

trat sie e<strong>in</strong>e Lehrstelle <strong>zur</strong> kaufmännischen Angestellten<br />

und Stenotypist<strong>in</strong> <strong>in</strong> der Hopfenhandlung<br />

Staadecker und Strauss <strong>in</strong> <strong>Bruchsal</strong> an. Diese endete<br />

<strong>am</strong> 01.05.1931. Später war sie zwei Jahre lang an der<br />

Frauenarbeitsschule <strong>am</strong> <strong>Bruchsal</strong>er Schloss, um alle<br />

Haushaltsarbeiten, Zuschneiden und Nähen von Wäsche und Kleidern zu erlernen. Im<br />

Jahre 1933 machte Lore e<strong>in</strong>en Kochkurs im Haushaltungs<strong>in</strong>stitut St. Maria <strong>in</strong> <strong>Bruchsal</strong>.<br />

Inzwischen war aber Hitler an die Macht gekommen, weshalb es ihr im Herbst 1933 nicht<br />

mehr möglich war, als Jüd<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Anstellung als kaufmännische Angestellte oder Stenotypist<strong>in</strong><br />

zu bekommen. Zwei Jahre lang suchte sie vergeblich e<strong>in</strong>e Arbeitsstelle <strong>in</strong> ihrem<br />

Beruf. Erst im Oktober 1935 ist sie dann bei der Jüdischen Geme<strong>in</strong>de <strong>in</strong> <strong>Bruchsal</strong> untergekommen,<br />

ohne dort aber ihrer Ausbildung und ihrem Wissen entsprechend beschäftigt<br />

werden zu können, was sich auch <strong>in</strong> ihrem niedrigen Lohn bemerkbar machte (130 RM).<br />

Zunächst hat sie als Angestellte <strong>in</strong> der Abteilung „Jüdisches W<strong>in</strong>terhilfswerk“ gearbeitet.<br />

In den Sommermonaten arbeitete sie im Geme<strong>in</strong>desekretariat und auch <strong>in</strong> der Abteilung<br />

des Ausschusses für Kulturangelegenheiten. Die Verteilung von Paketen an bedürftige jüdische<br />

F<strong>am</strong>ilien gehörte ebenfalls zu ihren Aufgaben. Durch die immer kle<strong>in</strong>er werdende<br />

jüdische Geme<strong>in</strong>de <strong>Bruchsal</strong>s verr<strong>in</strong>gerte sich auch der Aufgabenkreis von Lore. Im Januar<br />

1938 verstarb ihre Mutter Mathilde Bravmann <strong>in</strong> Frankfurt im Krankenhaus an Diabetis<br />

und Tuberkulose. Nachdem ihr Bruder Max Bravmann wenige Monate zuvor nach<br />

Paläst<strong>in</strong>a ausgereist war, entschied sich auch Lore wegen ihrer jüdischen Abst<strong>am</strong>mung<br />

Deutschland zu verlassen. Sie reiste <strong>am</strong> 11.06.1938 <strong>in</strong> <strong>Bruchsal</strong> mit der Eisenbahn ab und<br />

wanderte über Basel und Triest nach Paläst<strong>in</strong>a aus. E<strong>in</strong>ige Koffer mit Habseligkeiten konn-<br />

44<br />

Lore Kupfer mit Tochter Mirj<strong>am</strong>,<br />

1943 <strong>in</strong> Israel. Foto: Gadi Hitmann.


te sie sich nachschicken lassen.<br />

In Tel Aviv heiratete sie <strong>am</strong> 23. Februar 1939 David<br />

Kupfer, der 1912 geboren wurde. Weil sie die Landessprache<br />

aber nicht beherrschte, konnte sie ihren<br />

erlernten Beruf nicht ausüben, sodass sie bis 1942<br />

als Hausangestellte und Bügler<strong>in</strong> arbeitete. In Israel<br />

nannte sie sich auch Lea.<br />

Lore erfuhr, dass ihr Vater Benj<strong>am</strong><strong>in</strong> Bravmann <strong>am</strong><br />

22.10.1940 nach Südfrankreich deportiert und im<br />

<strong>März</strong> 1944 <strong>in</strong> das KZ Auschwitz gebracht wurde. Beide<br />

standen <strong>in</strong> all den Jahren <strong>in</strong> Briefkontakt.<br />

Von 1942 bis 1956 war sie Hausfrau. In dieser Zeit<br />

bek<strong>am</strong> sie zwei K<strong>in</strong>der, n<strong>am</strong>ens Miri<strong>am</strong> Kupfer<br />

(11.01.1943) und Benj<strong>am</strong><strong>in</strong> Kupfer (11.02.1947).<br />

Lores Ehemann David arbeitete <strong>in</strong> den 1950ern als<br />

Chauffeur, und die F<strong>am</strong>ilie lebte <strong>in</strong> Tel Aviv. Vom<br />

Lore Kupfer, um 1990. F.: M. Chitman.<br />

01.09.1956 bis zum 01.09.1957 arbeitete sie als Stenotypist<strong>in</strong><br />

bei der URO (United Restitution Organization) <strong>in</strong> Tel-Aviv, Israel. Danach arbeitete<br />

sie krankheitsbed<strong>in</strong>gt nicht mehr. Lore starb zwei Wochen vor ihrem 84. Geburtstag<br />

<strong>am</strong> 29.01.1997 <strong>in</strong> Raanana (Israel).<br />

Zur F<strong>am</strong>ilie: Max Bravmann (1906-1984)<br />

von Stephan Gruhlke, Klasse 8t<br />

Max Bravmann wurde <strong>am</strong> 18.04.1906<br />

<strong>in</strong> Neidenste<strong>in</strong> geboren und wuchs<br />

mit se<strong>in</strong>er Schwester Lore Bravmann<br />

<strong>in</strong> <strong>Bruchsal</strong> auf. Se<strong>in</strong> Vater Benj<strong>am</strong><strong>in</strong><br />

Bravmann war seit 1911 Kantor der Jüdischen<br />

Geme<strong>in</strong>de <strong>Bruchsal</strong>s und unterrichtete<br />

auch Jüdische Religion. Max<br />

besuchte die Volksschule und danach<br />

die Oberrealschule <strong>Bruchsal</strong> für fünf<br />

Jahre. Danach machte er e<strong>in</strong>e Lehre und<br />

arbeitete dann weiter bei der jüdischen<br />

Firma W. Katz & Co., e<strong>in</strong>er Tabakgroßhandlung<br />

<strong>in</strong> <strong>Bruchsal</strong>, als Buchhalter derungsbehörde Paläst<strong>in</strong>a, www.archives.gov.il.<br />

Irma und Max Bravmann, 1942 <strong>in</strong> Israel. Foto: E<strong>in</strong>wan-<br />

und Korrespondent vom 15.10.1920 bis<br />

31.03.1938. Dann musste ihn die Firma Katz wegen Geschäftsrückgang entlassen.<br />

Am 18.12.1936 heiratete er Irma Bodenheimer aus Bretten und zog zu ihr <strong>in</strong> die Melanchthonstraße<br />

106 <strong>in</strong> Bretten und fuhr täglich <strong>zur</strong> Arbeit nach <strong>Bruchsal</strong>. Irma Bodenheimer<br />

45


Briefkopf von Irma Bravmanns D<strong>am</strong>enschneiderei, 1937.<br />

Foto: GLA Karlsruhe, 480 Nr. 21931-1.<br />

hatte nach dem Abschluss der<br />

Höheren Mädchenschule <strong>in</strong> Bretten<br />

e<strong>in</strong>e Ausbildung <strong>zur</strong> D<strong>am</strong>enschneider<strong>in</strong><br />

gemacht, sodass sie<br />

nach Bestehen der Meisterprüfung<br />

von 1930 bis Mai 1938 e<strong>in</strong>en<br />

eigenen „D<strong>am</strong>ensalon“ <strong>in</strong> Bretten<br />

<strong>in</strong> ihrem Haus führte. Ihre Eltern<br />

waren bereits 1931 und 1935 gestorben, aber es lebten noch ihre Großmutter und zwei<br />

Schwestern, Bertl und Else, mit im Haus. Ende Januar 1938 starb die Mutter von Max, Anfang<br />

Februar 1938 k<strong>am</strong> der geme<strong>in</strong>s<strong>am</strong>e, älteste Sohn Ephraim <strong>zur</strong> Welt, und <strong>am</strong> 12.03.1938<br />

meldete sich Max <strong>in</strong> Bretten ab, um nach Paläst<strong>in</strong>a auszuwandern. Se<strong>in</strong>e Frau und der kle<strong>in</strong>e<br />

Sohn k<strong>am</strong>en im Juni 1936 nach.<br />

In Israel übernahm er zus<strong>am</strong>men mit se<strong>in</strong>er Frau e<strong>in</strong>e Siedlerstelle <strong>in</strong> Rishpon-Herzlia,<br />

und musste schwere körperlicher Arbeit verrichten und das Brachland <strong>in</strong> tragenden Boden<br />

umwandeln. Das Siedlungshäuschen mit zwei kle<strong>in</strong>en Räumen haben sie selbst errichtet.<br />

Die Gemüsezucht war nicht besonders ertragreich, sodass sie <strong>in</strong> den 1950ern wieder e<strong>in</strong>gestellt<br />

werden musste. Gleichzeitig wurde<br />

die Hühnerzucht weiter ausgebaut, sodass<br />

ca. 350 Hühner täglich etwa 250 Eier lieferten.<br />

1946 wurde der zweite Sohn geboren,<br />

der nach dem Vater „Benj<strong>am</strong><strong>in</strong> Bravmann“<br />

genannt wurde. Durch die schlechten Lebensbed<strong>in</strong>gungen<br />

und die Umstellung<br />

vom Buchhalter zum Landwirt erkrankte<br />

Max 1954 körperlich und seelisch und<br />

musste <strong>in</strong> den Folgejahren mehrmals <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

Nervenkl<strong>in</strong>ik behandelt werden. Max<br />

Bravmann, der sich <strong>in</strong> Israel auch „Mosche“<br />

nannte, starb <strong>am</strong> 21.12.1984. Se<strong>in</strong>e<br />

Frau Irma, jetzt „Jaffa“, war bereits zwei<br />

Jahre zuvor <strong>in</strong> Tel Aviv verstorben.<br />

Max und Irma Bravmann, um 1960 <strong>in</strong> Israel.<br />

Foto: Heidemarie Le<strong>in</strong>s.<br />

Da Max Bravmann se<strong>in</strong>en letzten freiwillig<br />

gewählten Wohnsitz <strong>in</strong> Bretten und nicht <strong>in</strong><br />

<strong>Bruchsal</strong> hatte, kann für ihn gemäß den Bestimmungen<br />

des Künstlers Gunther Demnig<br />

ke<strong>in</strong> Stolperste<strong>in</strong> <strong>in</strong> <strong>Bruchsal</strong> verlegt werden.<br />

Melanchthonstraße 106, Bretten, 1912. F<strong>am</strong>ilie Bodenheimer<br />

besaß das Haus von 1906 bis Juni 1937.<br />

Foto: Heidemarie Le<strong>in</strong>s.<br />

46


F<strong>am</strong>ilie Benj<strong>am</strong><strong>in</strong> und Mathilde Bravmann<br />

Benj<strong>am</strong><strong>in</strong> Bravmann * 16.05.1875 Unteraltertheim/Würzburg † 1944 Auschwitz<br />

(Sohn von Schlomo Bravmann und Ana (??))<br />

um 1906 Religionslehrer <strong>in</strong> Neidenste<strong>in</strong>; 1911-1940 Kantor und Religionslehrer <strong>in</strong> <strong>Bruchsal</strong>,<br />

Friedrichstraße 76; 22.10.1940 Gurs; 02.06.1941 Marseille; Alboussiere oder Gurs oder Grenoble;<br />

18.02.1944 verhaftet; 20.02.1944 Drancy; 07.03.1944 nach Auschwitz<br />

vh. 1903/1904<br />

Mathilde Fleischmann<br />

(Tochter von ?)<br />

* 31.10.1879 Krautheim/Jagst † <strong>27.</strong>01.1938 Frankfurt/M.<br />

2 K<strong>in</strong>der:<br />

1. Max (Mosche) Bravmann * 18.04.1906 Neidenste<strong>in</strong> † 21.12.1984 Israel<br />

1920-1938 kaufmänn. Angestellter bei W. Katz <strong>in</strong> <strong>Bruchsal</strong>; wohnte 12.1936-03.1938 <strong>in</strong> Bretten; 03.1938<br />

nach Paläst<strong>in</strong>a; Landwirt (Hühnerzucht) <strong>in</strong> Rishpun bei Herzliah/Israel; 1980 <strong>in</strong> R<strong>am</strong>at Chen wohnhaft<br />

vh. 18.12.1936 Bretten<br />

Irma Jeanette (Jaffa) Bodenheimer * 04.04.1908 Bretten † 13.07.1982 Tel Aviv/Israel<br />

(Tochter von Emil Bodenheimer (1873-1931) und Fanny Ascher (1883-1935), Bretten)<br />

1930-1938 Schneidermeister<strong>in</strong> <strong>in</strong> Bretten, Melanchtonstr. 106; 08.1938 nach Paläst<strong>in</strong>a, Landwirt<strong>in</strong><br />

2 K<strong>in</strong>der:<br />

a) Ephraim Ernst Bravmann * 04.02.1938 Karlsruhe; wohnhaft <strong>in</strong> Rishpon/Israel<br />

vh. Yael Weisler, 3 K<strong>in</strong>der: Dana vh. Reichlyn, Orly Bravmann und Sharon vh. Adler<br />

b) Benj<strong>am</strong><strong>in</strong> Bravmann * 17.12.1946 Petach Tikva<br />

vh. Varda, 1 K<strong>in</strong>d: Tali Bravmann<br />

2. Lore (Lea) Bravmann * 13.02.1913 <strong>Bruchsal</strong> † <strong>27.</strong>01.1997 Raanana bei Tel Aviv/Israel<br />

Friedrichstr. 76, <strong>Bruchsal</strong>; 06.1938 nach Paläst<strong>in</strong>a ausgewandert; lebte <strong>in</strong> Shikun Dan/Tel Aviv<br />

vh. 23.02.1939 Tel Aviv<br />

David (He<strong>in</strong>rich?) Kupfer * ca. 1912 † Israel<br />

(Sohn von Schmuel Kupfer, Bürobe<strong>am</strong>ter, und Rachel)<br />

1939 Nachttanker, 1953 Chauffeur <strong>in</strong> Tel Aviv<br />

2 K<strong>in</strong>der:<br />

a) Mirj<strong>am</strong> Kupfer * 11.01.1943 Israel; wohnhaft <strong>in</strong> Modi‘<strong>in</strong>/Israel<br />

vh. Chitman, 3 K<strong>in</strong>der: Orit vh. Bittner, Sharon Chitman, Dr. Gadi Hitman<br />

b) Benj<strong>am</strong><strong>in</strong> Kupfer * 11.02.1947 Israel<br />

47


Rückblick auf die vierte <strong>Bruchsal</strong>er<br />

Stolperste<strong>in</strong>verlegung <strong>am</strong> 5. Juli 2018<br />

Es war e<strong>in</strong> sonniger Nachmittag, an<br />

dem sich die F<strong>am</strong>ilienangehörigen<br />

derer, für die <strong>am</strong> nächsten Tag Stolperste<strong>in</strong>e<br />

verlegt werden sollten, <strong>am</strong><br />

Otto-Oppenheimer-Platz trafen. Aus<br />

den USA waren Anita Geismar und<br />

ihr Ehemann John angereist sowie<br />

Reva Schless<strong>in</strong>ger W<strong>in</strong>ston mit Ehemann<br />

Peter und deren Cous<strong>in</strong> J<strong>am</strong>es<br />

Ross mit Frau Pol<strong>in</strong>a und der kle<strong>in</strong>en<br />

Tochter Maya. Aus der Schweiz k<strong>am</strong><br />

Eva Davi, e<strong>in</strong>e Cous<strong>in</strong>e von Anita<br />

Geismar. Erst durch die Recherchen<br />

der <strong>Bruchsal</strong>er Stolperste<strong>in</strong><strong>in</strong>itiative<br />

erfuhren Anita und Eva vone<strong>in</strong>ander.<br />

Beide waren zuvor noch nie <strong>in</strong><br />

<strong>Bruchsal</strong>.<br />

von Rolf Schmitt<br />

Von l<strong>in</strong>ks: John J. Deigh<strong>am</strong>, Anita Geismar, Eva Davi<br />

geb. Geissmar <strong>am</strong> Grab von Ernst Geismar. Foto: F. Jung.<br />

Unten: Zeremonie im Rathaussaal. Foto: Walter Jung.<br />

48


Vom Otto-Oppenheimer-Platz aus g<strong>in</strong>g die Gruppe über die Friedhofstraße an der<br />

Peterskirche vorbei hoch zum jüdischen Friedhof, zu den Gräbern der Vorfahren und<br />

F<strong>am</strong>ilienangehörigen. Mit dabei waren auch die aus <strong>Bruchsal</strong> st<strong>am</strong>mende, seit über 20<br />

Jahren <strong>in</strong> New York lebende Buch- und Filmautor<strong>in</strong> Erika Jakubassa, der Archivar des<br />

New Yorker Leo-Baeck-Institutes, Michael Simonson, der bereits 2011 zus<strong>am</strong>men mit den<br />

Nachfahren von Otto Oppenheimer <strong>in</strong> <strong>Bruchsal</strong> war, sowie der <strong>in</strong> Queens lebende Ahnenforscher<br />

Alexander Calzareth, Nachfahre der großen Bär-F<strong>am</strong>ilie aus Untergrombach.<br />

Stolperste<strong>in</strong>verlegung auf dem Otto-Oppenheimer-Platz.<br />

Im Rollstuhl Anita Geismar mit Ehemann John J. Deigh<strong>am</strong>,<br />

ganz rechts Eva Davi, geb. Geissmar. Foto: R. Schmitt.<br />

49<br />

Die Auftaktveranstaltung <strong>am</strong> Folgetag<br />

im Rathaussaal war wieder sehr bewegend.<br />

Mit Klezmer-Klängen umrahmten<br />

Heike und Tobias Scheuer zus<strong>am</strong>men<br />

mit Christoph Lübbe und Felix<br />

Reichert die Feierstunde.<br />

Die Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler des<br />

Justus-Knecht-Gymnasiums stimmten<br />

mit ihren Vorträgen zu den e<strong>in</strong>zelnen<br />

F<strong>am</strong>ilien sowie Vorstellung der Opferbiografien<br />

die geladenen Gäste auf die<br />

anstehenden Stolperste<strong>in</strong>verlegungen<br />

e<strong>in</strong>. Auch die Angehörigen ergriffen das<br />

Wort, schilderten ihre persönlichen Gefühle und Er<strong>in</strong>nerungen an ihre F<strong>am</strong>ilienmitglieder<br />

und dankten der Stadtverwaltung, den Bewohnern der Stadt sowie den Organisatoren,<br />

die ihnen diese Möglichkeit des Er<strong>in</strong>nerns erst möglich gemacht hatten.<br />

Zum Abschluss der Veranstaltung sang Heike Scheuer zu Ehren des sozialdemokratischen<br />

Nazi-Opfers Josef Heid, für den später auch e<strong>in</strong> Stolperste<strong>in</strong> verlegt wurde, im<br />

ehrwürdigen früheren Sitzungssaal des <strong>Bruchsal</strong>er Geme<strong>in</strong>derates „Die Internationale“,<br />

das wichtigste Lied der <strong>in</strong>ternationalen Arbeiterbewegung - die Gäste der Feierstunde<br />

zeigten sich darüber überrascht,<br />

teilweise aber auch gerührt. Wohl<br />

erstmals wurde <strong>in</strong> dem Sitzungssaal<br />

„Die Internationale“ <strong>in</strong>toniert, vielleicht<br />

auch letztmals.<br />

Die ersten vier Stolperste<strong>in</strong>e wurden<br />

<strong>am</strong> Otto-Oppenheimer-Platz für<br />

Angehörige der Geismar-F<strong>am</strong>ilie<br />

verlegt. Die nächste Verlegestelle<br />

war vor dem Haus Friedrichstraße<br />

40, wo Stolperste<strong>in</strong>e für Else und<br />

Selma Mayer gesetzt wurden. Klezmer-Musik <strong>in</strong> der Friedrichstraße 40. Foto: R. Schmitt.


Die F<strong>am</strong>ilien Schless<strong>in</strong>ger-W<strong>in</strong>ston<br />

und Ross waren sehr bewegt,<br />

als vor dem Anwesen Kaiserstraße<br />

24 sechs dieser Gedenktafeln<br />

aus Mess<strong>in</strong>g für die <strong>Bruchsal</strong>er<br />

Holocaust-Opfer aus der Baertig-F<strong>am</strong>ilie<br />

<strong>in</strong> das Pflaster e<strong>in</strong>gelassen<br />

wurden. Danach verlegte<br />

Gunter Demnig <strong>in</strong> der Franz-Bläsi-Straße<br />

17 vier von Hubert Bläsi<br />

gespendete Stolperste<strong>in</strong>e für<br />

die Nathan-F<strong>am</strong>ilie. E<strong>in</strong> weiterer<br />

Ste<strong>in</strong> für das KunstDenkmal Stolperste<strong>in</strong>e<br />

wurde vor dem Haus<br />

Franz-Bläsi-Straße 10 für Jettchen<br />

Bär gesetzt.<br />

Von l<strong>in</strong>ks: Pol<strong>in</strong>a und Jay Ross mit Maya, die Schüler<strong>in</strong>nen<br />

L<strong>in</strong>a Kölbach, Mia Smale, Charlotte Völler, Ellen Lumpp,<br />

sowie Reva und Peter W<strong>in</strong>ston vor dem Haus Kaiserstraße 24.<br />

Foto: Florian Jung.<br />

Die letzte Verlegezeremonie fand vor dem Haus Gartenweg 37 statt. Dort wurde der<br />

Stolperste<strong>in</strong> für Josef Heid verlegt. Musikalisch wurde die Feierlichkeit von Stadträt<strong>in</strong><br />

Alexandra Nohl begleitet, die auf der Gitarre Lieder aus der Arbeiterbewegung der<br />

1930er Jahre spielte und dazu sang.<br />

Angehörige der F<strong>am</strong>ilie Bläsi, darunter die Tochter von Hubert<br />

Bläsi, Dorothea Bauer geb. Bläsi (zweite von rechts), sowie Hausbesitzer<br />

Hermann Debat<strong>in</strong> (rechts). Foto: Florian Jung.<br />

Zum Abschluss des Tages<br />

trafen sich die auswärtigen<br />

Gäste der Stadt sowie Freunde<br />

und Unterstützer der<br />

<strong>Bruchsal</strong>er Stolperste<strong>in</strong><strong>in</strong>itiative<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Gaststätte auf<br />

dem Untergrombacher Michaelsberg.<br />

Dort lernte man<br />

sich näher kennen, tauschte<br />

Adressen aus oder sprach<br />

über das Schicksal der Vorfahren<br />

und der F<strong>am</strong>ilien. E<strong>in</strong><br />

kle<strong>in</strong> wenig im Mittelpunkt<br />

stand aber vielleicht auch die<br />

kle<strong>in</strong>e Maya, die allerd<strong>in</strong>gs<br />

bald e<strong>in</strong>geschlummert war.<br />

Den nächsten Tag nutzte Anita Geismar zu e<strong>in</strong>er Fahrt nach Breisach. Sie war e<strong>in</strong>geladen,<br />

das Blaue Haus zu besuchen, e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Gedenk- und Bildungsstätte für die Ge-<br />

50


schichte der Juden <strong>am</strong> Oberrhe<strong>in</strong>, wo sie viel über die Herkunft ihrer F<strong>am</strong>ilie erfuhr.<br />

Auf E<strong>in</strong>ladung des Heimatforschers Wolfgang Schönfeld aus Zaberfeld besuchten Reva<br />

W<strong>in</strong>ston und ihre F<strong>am</strong>ilie <strong>am</strong> Folgetag Fleh<strong>in</strong>gen. Recha Theka Schless<strong>in</strong>ger, die Ehefrau<br />

von Ludwig Baertig, war gebürtige Fleh<strong>in</strong>ger<strong>in</strong>; Reva W<strong>in</strong>ston ist e<strong>in</strong>e direkte Nachfahr<strong>in</strong><br />

der Fleh<strong>in</strong>ger Schless<strong>in</strong>ger-F<strong>am</strong>ilie.<br />

Wie die Brettener Nachrichten berichteten, sorgte bei diesem Besuch von Fleh<strong>in</strong>gen e<strong>in</strong>e<br />

Hausbesitzer<strong>in</strong> für entsetzte Blicke der Besucher aus den USA. Sie schrie den Gästen<br />

entgegen: „Ich habe genug von diesem Schuldkult!“. Glücklicherweise war diese unschöne<br />

Szene bald wieder vergessen. Besonders ergreifend war für die Nachfahren der anschließende<br />

Besuch auf dem jüdischen Friedhof <strong>in</strong> Fleh<strong>in</strong>gen, mit stillem Gedenken der<br />

Nachfahren vor den Gräbern der Schless<strong>in</strong>ger-F<strong>am</strong>ilie.<br />

Frau Margarete Lautenschläger geb. Höpf<strong>in</strong>ger (Bildmitte), Nichte von Josef Heid, und weitere F<strong>am</strong>ilienangehörige,<br />

zwei Historiker aus Vill<strong>in</strong>gen (l<strong>in</strong>ks) sowie Stadträt<strong>in</strong>nen und e<strong>in</strong>e große Anzahl von<br />

SPD-Mitgliedern nahmen an der Verlegung des Stolperste<strong>in</strong>es für Josef Heid teil. Foto: Florian Jung.<br />

Für die Stolperste<strong>in</strong>broschüre des letzten Jahres trug Hubert Bläsi, Oberstudiendirektor<br />

i. R., Geschichtsforscher und Träger des Verdienstkreuzes <strong>am</strong> Bande der Bundesrepublik<br />

Deutschland, e<strong>in</strong>en bewegenden Bericht bei, war doch Hubert Bläsi bis<br />

zu deren Flucht bzw. Ermordung e<strong>in</strong> direkter Hausnachbar der F<strong>am</strong>ilie Nathan <strong>in</strong><br />

der d<strong>am</strong>aligen Schillerstraße. Im Dezember 2018 verstarb Hubert Bläsi, drei Tage<br />

vor se<strong>in</strong>em 90. Geburtstag. <strong>Bruchsal</strong> verlor, ebenso wie se<strong>in</strong>e Wahlheimat Heilbronn,<br />

e<strong>in</strong>e große Persönlichkeit. Immer wieder beschäftigte er sich mit den Luftangriffen<br />

auf <strong>Bruchsal</strong> und die Besetzung se<strong>in</strong>er Geburtsstadt und schrieb e<strong>in</strong>ige Bücher über<br />

se<strong>in</strong>e Forschungsergebnisse.<br />

51


Stimmen <strong>zur</strong> Stolperste<strong>in</strong>verlegung 2018<br />

Die Stolperste<strong>in</strong>verlegung war e<strong>in</strong> unvergesslicher Höhepunkt <strong>in</strong> me<strong>in</strong>em Leben. Durch<br />

diese Ehrung me<strong>in</strong>er Vorfahren wurden diese dem Vergessen entrissen. Ich danke den<br />

Menschen von <strong>Bruchsal</strong> für deren Engagement und Weitsicht, wobei e<strong>in</strong>e Er<strong>in</strong>nerung an<br />

die Synagoge <strong>in</strong> die Zukunftspläne dieser Stadt aufgenommen werden muss.<br />

Anita Geismar, Florida, USA<br />

Inzwischen habe ich alle me<strong>in</strong>e <strong>in</strong>teressierten Leute über me<strong>in</strong>en Aufenthalt <strong>in</strong> <strong>Bruchsal</strong><br />

<strong>in</strong>formiert. Ausnahmslos alle fanden es spannend, e<strong>in</strong>ige haben den Wunsch geäussert<br />

mit mir e<strong>in</strong>mal dorth<strong>in</strong> zu fahren. […] Ihr habt Euch ja alle für das wunderbare Projekt<br />

sooo e<strong>in</strong>gesetzt; es wird mir unvergesslich bleiben.<br />

Eva Davi, Zürich, Schweiz<br />

Von l<strong>in</strong>ks: Erika Jakubassa, Peter W<strong>in</strong>ston, Michael Simonson, Alex<br />

Calzareth und Ursula Schott auf dem Michaelsberg. Foto: Reva W<strong>in</strong>ston.<br />

Die Stolperste<strong>in</strong>verlegungszeremonie<br />

<strong>in</strong><br />

<strong>Bruchsal</strong> war sehr bewegend.<br />

Solche Veranstaltungen<br />

machen die<br />

Tragödie des Holocaust<br />

auf e<strong>in</strong>er persönlichen,<br />

menschlichen Ebene<br />

greifbar.<br />

Michael Simonson,<br />

New York, USA<br />

Es war großartig neue Freunde zu treffen und Zeit mit denen zu verbr<strong>in</strong>gen, die wir bereits<br />

kannten. Diese mit Gleichges<strong>in</strong>nten <strong>in</strong> Deutschland verbrachten Tage waren wie e<strong>in</strong><br />

Wirbelw<strong>in</strong>d voll Emotionen. Für John und mich war es e<strong>in</strong>e angenehme Zeit. Unsere Er<strong>in</strong>nerungen<br />

an diese Reise werden lebendig bleiben. Wir haben unsere Erfahrungen mit<br />

vielen Freunden und der F<strong>am</strong>ilie geteilt. Reva W<strong>in</strong>ston, Massachusetts, USA<br />

Es ist e<strong>in</strong> schöner Gedanke, dass der Stolperste<strong>in</strong> e<strong>in</strong>en daran er<strong>in</strong>nert, kurz <strong>in</strong>ne zu halten<br />

und darüber nachzudenken, was der Grund für dessen Verlegung war. D<strong>am</strong>it wird<br />

verh<strong>in</strong>dert, dass die Vorgänge <strong>in</strong> Zus<strong>am</strong>menhang mit der Ermordung von Josef Heid <strong>in</strong><br />

Vergessenheit geraten. Hermann Lautenschläger, Großneffe von Josef Heid<br />

Ich b<strong>in</strong> stolz darauf, dass me<strong>in</strong>e Heimatstadt mit den Stolperste<strong>in</strong>en ihren Beitrag leistet<br />

und danke den Menschen, die sich dafür e<strong>in</strong>gesetzt haben und noch e<strong>in</strong>setzen. E<strong>in</strong> Zentrum<br />

jüdischer Geschichte <strong>in</strong> Baden auf dem Gelände der 1938 zerstörten Synagoge wäre<br />

e<strong>in</strong> weiterer und bedeutender Schritt <strong>in</strong> die richtige Richtung, der auch weit über <strong>Bruchsal</strong>s<br />

Grenzen h<strong>in</strong>aus Beachtung f<strong>in</strong>den sollte. Erika Jakubassa, New York, USA<br />

52


Die <strong>am</strong> <strong>27.</strong>3.<strong>2019</strong> verlegten Stolperste<strong>in</strong>e wurden gespendet<br />

von: für: Ort:<br />

Tobias und Heike Scheuer, <strong>Bruchsal</strong> David Maier Bismarckstr. 3<br />

Klezmer Ensemble Shtetl Tov und C. Yim Sophie Maier<br />

Klezmer Ensemble Shtetl Tov und C. Yim Lucie Maier<br />

Reka Sonnet, Karlsruhe, u. T. u. H. Scheuer Hildegard Strauss<br />

Spenden für Broschüren <strong>in</strong> Buchhandlungen D<strong>in</strong>a L<strong>in</strong>dauer Bismarckstr. 12<br />

Dieter Schauss, München, u. Broschürenspenden Hans Moritz L<strong>in</strong>dauer<br />

Bürgerstiftung <strong>Bruchsal</strong> Adelheid Westheimer Schwimmbadstr. 27<br />

Jens u. Angela Dänner, Ubstadt-Weiher Frieda Westheimer<br />

Hans Hesse und Spenden aus Veranstaltungen Martha Westheimer<br />

Ursula Mildenberger, Hubert Bläsi, Andreas Kurt „Karl“ Westheimer<br />

Lacroix und Broschürenspenden<br />

Dr. Rüdiger u. Monika Czolk, <strong>Bruchsal</strong> David Majerowitz Orb<strong>in</strong>str. 7<br />

Dr. Rüdiger u. Monika Czolk, <strong>Bruchsal</strong> Helene Majerowitz<br />

Dr. Rüdiger u. Monika Czolk, <strong>Bruchsal</strong> Eva Erel<br />

Margarethe Ohler-Grabenste<strong>in</strong>, <strong>Bruchsal</strong> He<strong>in</strong>rich Majerowitz<br />

Margarethe Ohler-Grabenste<strong>in</strong>, <strong>Bruchsal</strong> Maier Majerowitz<br />

M. Ohler-Grabenste<strong>in</strong> u. H.-J. Rettig, Kraichtal Klara Ron<br />

Hans-Christian Meier, Schweiz Benj<strong>am</strong><strong>in</strong> Bravmann Friedrichstr. 76<br />

Anonymer Spender<br />

Lore Kupfer<br />

Die BürgerStiftung <strong>Bruchsal</strong> hat die wichtige Aufgabe übernommen,<br />

auch künftig Mittel für weitere Stolperste<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>zuwerben.<br />

Jeder Ste<strong>in</strong> kostet 120 Euro – dieser Betrag kann<br />

jederzeit zweckgebunden an die BürgerStiftung <strong>Bruchsal</strong> gespendet<br />

werden und wird <strong>in</strong> vollem Umfang für dieses Projekt<br />

e<strong>in</strong>gesetzt. Jeder Spender erhält e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>ladung <strong>zur</strong> nächsten<br />

Stolperste<strong>in</strong>verlegung, daher bitte auch die postalische Adresse<br />

beim Verwendungszweck vermerken.<br />

Sparkasse Kraichgau, IBAN DE 7566 3500 3600 0777 7777<br />

Volksbank <strong>Bruchsal</strong>-Bretten, IBAN DE 5666 3912 0000 0080 0600<br />

Impressum<br />

Herausgeber: Stadtverwaltung <strong>Bruchsal</strong><br />

Auflage: 500 Stück, 1. Auflage <strong>März</strong> <strong>2019</strong><br />

Redaktion: Florian Jung und Rolf Schmitt, <strong>Bruchsal</strong><br />

Layout & Druck: KAROLUS Media, <strong>Bruchsal</strong><br />

Die Rechte für die Beiträge liegen bei den jeweiligen Autoren.


J<strong>am</strong>es Ross und Reva W<strong>in</strong>ston<br />

geb. Schless<strong>in</strong>ger vor den Stolperste<strong>in</strong>en<br />

für ihre Verwandten Ludwig, Recha,<br />

Beate, Max, M<strong>in</strong>na und Hannelore Baertig.<br />

Die Verlegung fand <strong>am</strong> 05.07.2018 <strong>in</strong> der<br />

Kaiserstraße 24 statt. Foto: Peter W<strong>in</strong>ston.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!