29.04.2019 Aufrufe

WIRTSCHAFT+MARKT Frühjahr 2019

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

INNOVATION GREEN-TEC-BOOM<br />

POLITIK DER OSTEN WÄHLT<br />

MACHER KREATIVE UNTERNEHMER<br />

GENUSS BESTER SEKTHERSTELLER<br />

FRÜHJAHR<br />

19<br />

R O S T O C K S C H W E R I N C O T T B U S B R A N D E N B U R G ( H A V E L )<br />

B E R L I N S A A L F E L D C H E M N I T Z M A G D E B U R G H A L L E S U H L<br />

D R E S D E N L E I P Z I G G E R A N E U B R A N D E N B U R G B I T T E R F E L D<br />

N A U E N J E N A W E R N I G E R O D E D E M M I N S C H W A R Z E N B E R G<br />

B R O T T E R O D E W A R E N ( M Ü R I T Z ) S T O R K O W R I E S A O B E R H O F<br />

R H E I N S B E R G Z I N N O W I T Z F I N S T E R W A L D E G Ö R L I T Z P O T S D A M<br />

E R F U R T W I S M A R Q U E D L I N B U R G A U E S C H M A L K A L D E N<br />

G Ü S T R O W B E E S K O W W O L F E N B A U T Z E N G R E I F S W A L D<br />

P R E N Z L A U S A L Z W E D E L P L A U E N N E U R U P P I N P A R C H I M<br />

W E I M A R W I T T S T O C K N E U S T R E L I T Z B U R G N O R D H A U S E N<br />

30. Jahrgang | <strong>Frühjahr</strong> <strong>2019</strong> | Deutschland 6,50 €<br />

S C H W E D T S T R A L S U N D H A L B E R S T A D T E I S E N A C H L Ü B B E N A U<br />

Z W I C K A U D E S S A U O R A N I E N B U R G W I T T E N B E R G D E L I T Z S C H<br />

R O S T O C K S C H W E R I N C O T T B U S B R A N D E N B U R G ( H A V E L )<br />

B E R L I N S A A L F E L D C H E M N I T Z M A G D E B U R G H A L L E S U H L<br />

D R E S D E N L E I P Z I G G E R A N E U B R A N D E N B U R G B I T T E R F E L D<br />

N A U E N J E N A W E R N I G E R O D E D E M M I N S C H W A R Z E N B E R G<br />

B R O T T E R O D E W A R E N ( M Ü R I T Z ) S T O R K O W R I E S A O B E R H O F<br />

R H E I N S B E R G Z I N N O W I T Z F I N S T E R W A L D E G Ö R L I T Z P O T S D A M<br />

E R F U R T W I S M A R Q U E D L I N B U R G A U E S C H M A L K A L D E N<br />

G Ü S T R O W B E E S K O W W O L F E N B A U T Z E N G R E I F S W A L D<br />

P R E N Z L A U S A L Z W E D E L P L A U E N N E U R U P P I N P A R C H I M<br />

W E I M A R W I T T S T O C K N E U S T R E L I T Z B U R G N O R D H A U S E N<br />

S C H W E D T S T R A L S U N D H A L B E R S T A D T E I S E N A C H L Ü B B E N A U<br />

Z W I C K A U D E S S A U O R A N I E N B U R G W I T T E N B E R G D E L I T Z S C H


Foto: © Stocksnapper / Fotolia.com<br />

Wir schließen Ihre<br />

Finanzierungslücken.<br />

Sie möchten ein Unternehmen gründen oder erweitern und suchen<br />

dafür eine Finanzierung? Mit einem passgenauen Mix aus Fördermitteln,<br />

Beteiligungen und Darlehen zu attraktiven Konditionen sorgen wir<br />

dafür, dass für Ihr Unternehmen finanziell alles rund läuft.<br />

Wir sind die Förderbank Brandenburgs.<br />

Nehmen Sie Kontakt mit uns auf.<br />

www.ilb.de


EDITORIAL<br />

<strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />

3<br />

Best er<br />

DAS GESCHENK<br />

EUROPA<br />

sekt er zeuger<br />

Deu tschlanDs<br />

Karsten Hintzmann<br />

Chefredakteur<br />

karsten.hintzmann@<br />

wirtschaft-markt.de<br />

„Ob Riesling, Traminer,<br />

Burgundersorten,<br />

Scheurebe oder Kerner,<br />

kein anderes Sektgut<br />

in Deutschland<br />

bietet eine so große<br />

Sekt-Vielfalt<br />

auf so hohem Niveau!“<br />

Foto: Torsten George, Designed by rawpixel/Freepik<br />

Wir befinden uns im ersten von zwei Jahren,<br />

die von vereinigungsbedingten Jubiläumsveranstaltungen<br />

geprägt sind. Im Herbst vor 30<br />

Jahren fiel die Mauer. Fortan steuerte alles auf<br />

das Ende der DDR und die deutsch-deutsche<br />

Wiedervereinigung zu, die ein Jahr später dann<br />

vollzogen wurde. Solcherart Jubiläen sind verknüpft<br />

mit Rückblicken, Zwischenbilanzen und<br />

Bestandsaufnahmen.<br />

Eigentlich könnten wir recht zufrieden sein mit<br />

der Entwicklung, die der Osten Deutschlands<br />

seither genommen hat. Sicher, der wirtschaftliche<br />

Rückstand im Vergleich zu den alten<br />

Bundesländern konnte nimmer noch nicht<br />

wettgemacht werden. Die Lücke in punkto Wirtschaftskraft<br />

beträgt aktuell 25 bis 30 Prozent.<br />

Auch die Löhne haben noch längst nicht das<br />

Westniveau erreicht.<br />

Aber: Vielerorts sind die vom „Kanzler der<br />

Einheit“, Helmut Kohl, einst versprochenen<br />

„blühenden Landschaften“ durchaus Realität<br />

geworden. Milliarden und Abermilliarden<br />

sind in aufstrebende Städte, Gewerbeparks,<br />

Forschungsinstitute, Universitäten und die<br />

Infrastruktur zwischen Ostsee und Erzgebirge<br />

geflossen. Um die Modernität, die im<br />

Osten Einzug hielt, beneidet uns heute manch<br />

Landkreis in Niedersachsen oder Nordrhein-<br />

Westfalen.<br />

Gerade beim Rückblick auf das in den letzten<br />

drei Jahrzehnten Erreichte sollten wir nicht<br />

vergessen, dass der Aufschwung Ost weit mehr<br />

als ein deutsch-deutscher Kraftakt war. Ohne<br />

Europa, ohne die Hilfen aus den Fördertöpfen<br />

der Europäischen Union stünden wir nicht da,<br />

wo wir heute sind.<br />

Rund um die diesjährige Europawahl sollten wir<br />

daher ein viel zu wenig beachtetes Jubiläum in<br />

unsere nationalen Feierlichkeiten mit einbinden:<br />

Seit knapp 30 Jahren profitieren die Menschen<br />

in den neuen Ländern von Europa und den als<br />

vier „Freiheiten“ der Europäischen Union bezeichneten<br />

Grundsäulen, auf denen die Staatengemeinschaft<br />

beruht – dem freien Personen-,<br />

Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr.<br />

Diese Freiheiten sind ein hohes Gut und ein großes<br />

Geschenk. Dessen sollten wir uns gerade in<br />

einer Zeit bewusst sein, in der mit Großbritannien<br />

ein wichtiges Mitgliedsland selbstgewählt<br />

aus der EU heraus stolpert, die Hilfsbereitschaft<br />

mancher EU-Mitglieder aus dem osteuropäischen<br />

Raum bei der Lösung der Flüchtlingskrise<br />

zu wünschen lässt und die über lange Jahre<br />

so verlässlich praktizierte transatlantische<br />

Partnerschaft zwischen Europa und den USA<br />

plötzlich komplett infrage gestellt ist.<br />

In unserem Titelthema (ab Seite 38) befassen<br />

wir uns ausführlich mit Europa, der EU und der<br />

Fragestellung, ob die neuen Bundesländer in<br />

den vergangenen drei Jahrzehnten nur genommen<br />

oder sich auch selbst in die Entwicklung<br />

der Europäischen Union und des europäischen<br />

Gedankens eingebracht haben.<br />

VINUM DEUTSCHER SEKT<br />

AWARD 2018<br />

VERANSTALTUNGS-<br />

HÖHEPUNKTE<br />

13.& 14. April <strong>2019</strong><br />

Osterkunstmarkt<br />

9. & 10. Juni <strong>2019</strong><br />

Pfingstausflug ins Dixieland<br />

22. Juni <strong>2019</strong><br />

Sommernachtsball<br />

5. – 7. Juli <strong>2019</strong><br />

Sekt- und Gartenträume<br />

23. & 24. August <strong>2019</strong><br />

20. Tage des offenen<br />

Weingutes<br />

7. & 8. September <strong>2019</strong><br />

Federweißerfest<br />

WWW.SCHLOSS-WACKERBARTH.DE


4<br />

<strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />

INHALTSVERZEICHNIS<br />

INNOVATION 10<br />

15 spannende Green-Tec-Firmen aus dem Osten<br />

W+M TITELTHEMA<br />

Nehmen oder geben? Die Rolle<br />

Ostdeutschlands in Europa 38<br />

W+M INNOVATION<br />

Wachstumsmotor Innovation 6<br />

Green-Tec-Boom<br />

dank Klimaschutz 10<br />

Ex Oriente Lux – MittelstandPlus<br />

in Ostdeutschland 16<br />

Maschinenbau – Rekordkurs<br />

in unsicheren Zeiten 20<br />

Berlin und Brandenburg:<br />

Mehr Innovationen durch Cluster 22<br />

SUPERWAHLJAHR<br />

IM OSTEN 24<br />

Interviews mit drei Ministerpräsidenten,<br />

die um ihr Amt kämpfen<br />

POLITISCHE 58<br />

FARBENSPIELE<br />

Die Regierungschefs Reiner Haseloff und Michael<br />

Müller sprechen über die Lust und Last, an der Spitze<br />

von Drei-Parteien-Koalitionen zu stehen<br />

W+M WAHLEN<br />

Superwahljahr im Osten 24<br />

Brandenburgs Ministerpräsident<br />

Dietmar Woidke über die Strukturentwicklung<br />

der Lausitz, Lehren aus<br />

dem Brexit und die Rentenmauer<br />

zwischen Ost und West 26<br />

Sachsens Ministerpräsident<br />

Michael Kretschmer über Millioneninvestitionen,<br />

die Lebensleistung<br />

der Ostdeutschen und seine Chancen,<br />

Regierungschef im Freistaat zu<br />

bleiben 30<br />

Thüringens Ministerpräsident<br />

Bodo Ramelow über seine Bilanz als<br />

erster linker Regierungschef, die<br />

Krise der Autobauer und seinen<br />

Umgang mit dem erkrankten<br />

CDU-Herausforderer 34<br />

Foto: Pixabay


INHALTSVERZEICHNIS <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong> 5<br />

W+M TITELTHEMA<br />

Darum braucht Ostdeutschland<br />

Europa 38<br />

Aufschwung Ost durch<br />

Brüsseler Milliarden 42<br />

Ostdeutsche Handschrift<br />

in Europa 54<br />

Anne-Marie Descôtes, Frankreichs<br />

Botschafterin in Deutschland,<br />

spricht über die Zukunft Europas<br />

und ihre Erwartungen an die<br />

Bundesregierung 56<br />

TITELTHEMA 38<br />

Darum braucht Ostdeutschland Europa<br />

W+M POLITIK<br />

Politische Farbenspiele –<br />

von „Kenia“ bis Rot-Rot-Grün 58<br />

Sachsen-Anhalts Ministerpräsident<br />

Reiner Haseloff über den Sinn der<br />

Zweckehe von Christdemokraten,<br />

Grünen und Sozialdemokraten<br />

in seinem Land 60<br />

Berlins Regierender<br />

Bürgermeister Michael Müller<br />

über wirtschaftliche Impulse<br />

durch Rot-Rot-Grün und Gefahren,<br />

die in politischen Dreierbündnissen<br />

lauern 64<br />

W+M GESELLSCHAFT<br />

Deutschlands bester Sekterzeuger<br />

kommt aus Radebeul 68<br />

Das breite Netzwerk des Berlin<br />

Capital Clubs 72<br />

Herrenmode-Trends:<br />

Der Gentleman kehrt zurück 74<br />

Uhren: Hybrid – das Beste<br />

aus zwei Welten 76<br />

GESELLSCHAFT 68<br />

Deutschlands bester Sekthersteller kommt aus Radebeul<br />

Foto: Designed by rawpixel.com/Freepik, Schloss Wackerbarth<br />

W+M MACHER<br />

Matthias Ludwig:<br />

Mister Beach-Polo 78<br />

Mario Koss: Erfinder, Komponist,<br />

Gründer und Kreateur des Berliner<br />

Presseballs 80<br />

W+M WEITERE BEITRÄGE<br />

Editorial 3<br />

Impressum 5<br />

IMPRESSUM<br />

<strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />

Das Ostdeutsche Unternehmermagazin<br />

Ausgabe: <strong>Frühjahr</strong> <strong>2019</strong><br />

Redaktionsschluss: 10.04.<strong>2019</strong><br />

Verlag: W+M Wirtschaft und Markt GmbH<br />

Charlottenstraße 65, 10117 Berlin<br />

Tel.: 030 505638-00<br />

info@wirtschaft-markt.de<br />

redaktion@wirtschaft-markt.de<br />

www.wirtschaft-markt.de<br />

Herausgeber/Geschäftsführer:<br />

Frank Nehring, frank.nehring@wirtschaft-markt.de<br />

Chefredakteur:<br />

Karsten Hintzmann, karsten.hintzmann@wirtschaft-markt.de<br />

Autoren: Beate Lecloux, Joachim Ragnitz, Jörg K. Ritter,<br />

René Sadowski, Matthias Salm, Ron Uhden<br />

Hinweis: Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in<br />

diesem Magazin auf eine durchgehende, geschlechtsneutrale<br />

Differenzierung (z. B. Teilnehmer/Teilnehmerinnen) verzichtet.<br />

Entsprechende Begriffe gelten im Sinne der Gleichbehandlung<br />

grundsätzlich für alle Geschlechter. Die verkürzte Sprachform<br />

hat nur redaktionelle Gründe und beinhaltet keine Wertung.<br />

Service: Abo- und Anzeigenverwaltung sowie Marketing und<br />

Vertrieb, info@wirtschaft-markt.de<br />

Layout & Design:<br />

Möller Medienagentur GmbH, www.moeller-mediengruppe.de<br />

Druck: Silber Druck oHG, ISSN 0863-5323<br />

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck und Kopien nur<br />

mit vorheriger schriftlicher Genehmigung des Verlages.<br />

Namentlich gekennzeichnete Beiträge müssen nicht<br />

mit der Meinung der Redaktion übereinstimmen.<br />

Für unverlangt eingesandte Manuskripte und Fotos<br />

übernehmen wir keine Haftung.


6 <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />

INNOVATION<br />

Wachstumsmotor<br />

Innovation


INNOVATION<br />

<strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />

7<br />

Künstliche Intelligenz, nachhaltige Mobilität, Energiewende – in der Wirtschaft<br />

vollzieht sich derzeit ein radikaler technologischer Wandel. Auch in Ostdeutschland<br />

zählen viele Unternehmen zu den Pionieren der neuen Technologien. Sie könnten<br />

künftig das Rückgrat des Mittelstands bilden.<br />

VON MATTHIAS SALM<br />

Leuchttürme – Die 150 innovativsten Unternehmen<br />

im Osten. So lautete die Titelzeile der<br />

Januarausgabe von <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong>. Ein<br />

bewusst gewählter Themenschwerpunkt, der<br />

bei unseren Lesern wie auch Experten auf große<br />

Resonanz stieß. Rückte er doch viele sogenannte<br />

„Hidden Champions“ des ostdeutschen Mittelstands<br />

ins verdiente Scheinwerferlicht, die sonst<br />

eher im Stillen an zukunftsweisenden Lösungen<br />

für die technologischen Herausforderungen<br />

arbeiten, denen sich Unternehmen in vielen Branchen<br />

gegenwärtig stellen müssen.<br />

Auch die hervorragende Forschungsinfrastruktur<br />

in den neuen Bundesländern haben wir mit ausgewählten<br />

Beispielen der Spitzenforschung wie<br />

etwa das Potsdamer Hasso-Plattner-Institut,<br />

Deutschlands universitäres Exzellenzzentrum<br />

für Digital Engineering, gewürdigt. Denn viele<br />

innovative Produkte und Verfahren entstehen<br />

in enger Kooperation zwischen Mittelstand und<br />

Forschungseinrichtungen. Auch große Konzerne<br />

suchen in Ostdeutschland mittlerweile nach<br />

jungen Ideen: So die Volkswagen AG in ihrem<br />

Dresdner „Future Mobility Incubator“. In der<br />

Gläsernen Manufaktur unterstützt der Wolfsburger<br />

Autokonzern Start-ups, die ihre innovativen<br />

Geschäftsideen rund um das Thema Nachhaltige<br />

Mobilität weiter vorantreiben wollen.<br />

Die Auswahl der 150 Unternehmen in der Januarausgabe<br />

von W+M bildete nahezu die gesamte<br />

Vielfalt des Erfindergeists zwischen Ostsee und<br />

Erzgebirge ab. Darunter fanden sich Start-ups wie<br />

die Dresdner CLOUD&HEAT Technologies GmbH,<br />

die IT-Infrastrukturen in Form maßgeschneiderter<br />

Cloud-Lösungen anbietet. Sie verbindet dabei<br />

Digitalisierung und Energiewende, indem die<br />

Serverwärme als Heizquelle genutzt wird. Oder<br />

die Greifswalder COLDPLASMATECH GmbH, die<br />

mit kaltem Plasma chronische Wunden bekämpft<br />

und damit die Erkenntnisse der Greifswalder<br />

Foto: Photo by Alex Knight on Unsplash, Volkswagen AG<br />

Starthilfe für Innovationen: Der „Future Mobility Incubator“ der Volkswagen AG in Dresden.


8<br />

<strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />

INNOVATION<br />

Gründungsveranstaltung des Fraunhofer-Zentrums für Kognitive Produktionssysteme in Anwesenheit<br />

des sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (Bildmitte) und der Bundesforschungsministerin<br />

Anja Karliczek (3. v. r.).<br />

Das Potsdamer Hasso-Plattner-Institut zählt<br />

zu den führenden Forschungseinrichtungen in<br />

Deutschland.<br />

Plasmaforschung in ein erfolgversprechendes<br />

medizintechnisches Produkt überführt hat. Aber<br />

auch Schwergewichte des Mittelstands wie<br />

beispielsweise die Chemnitzer Maschinenbauer<br />

der NILES-SIMMONS-HEGENSCHEIDT Group oder<br />

der brandenburgische Energiekonzern E.DIS AG<br />

treiben den technologischen Fortschritt.<br />

Politik setzt auf Innovationen<br />

Und das Thema bleibt aktuell. So sieht das<br />

Anfang des Jahres veröffentlichte Strategiepapier<br />

der CDU für Ostdeutschland vor, Innovationen<br />

als Motor für den Wandel in strukturschwachen<br />

Regionen noch stärker zu fördern. Als erster<br />

Prüfstein hierfür dürfte sich schon in naher<br />

Zukunft die Lausitz erweisen. Nach Ende des<br />

Braunkohleabbaus soll beispielsweise als eines<br />

von vier Lausitz-Clustern eine Modellregion für<br />

klimafreundliche, moderne Mobilität entstehen,<br />

etwa mit der Entwicklung und Produktion von<br />

Leichtbaumaterialien für Straße und Schiene.<br />

Auch bei der Energiewende hofft die Lausitz,<br />

als Innovationsstandort punkten zu können.<br />

So wird das Bundesumweltministerium noch in<br />

diesem Jahr in Cottbus ein Kompetenzzentrum<br />

Klimaschutz in energieintensiven Industrien (KEI)<br />

eröffnen. Es richtet sich an Branchen mit hohem<br />

Energieeinsatz wie Stahl, Zement oder Teile der<br />

chemischen Industrie. Die Fraunhofer-Gesellschaft<br />

will mit einem „Institut für Geothermie und<br />

Energieinfrastruktur“ ebenfalls einen neuen Forschungsschwerpunkt<br />

in der Lausitz etablieren.<br />

Neue Institute für Sachsen<br />

Während einige Pläne für die ehemaligen Bergbauregionen<br />

noch Zukunftsmusik sind, wird andernorts<br />

schon konkret der Innovationsstandort<br />

Ostdeutschland ausgebaut. So sollen in Sachsen<br />

Kompetenzen in der Forschung zur Künstlichen<br />

Intelligenz (KI) gebündelt werden. Die Fraunhofer-<br />

Gesellschaft plant den Aufbau eines Zentrums<br />

für Kognitive Produktionssysteme (CPS), an<br />

dem in Dresden und Chemnitz zur Anwendung<br />

Künstlicher Intelligenz in der Industrie geforscht<br />

wird. Zudem haben Fraunhofer und die TU Dresden<br />

die Gründung eines Centers für Künstliche<br />

Intelligenz (CEE AI) in Dresden vereinbart. Beide<br />

Einrichtungen sollen die in Dresden und Chemnitz<br />

heimischen Branchen wie den Maschinenbau und<br />

die Mikroelektronik stärken.<br />

Auch die Hauptstadtregion gehört zu den Vorreitern<br />

bei der Entwicklung der Künstlichen Intelligenz.<br />

Fast die Hälfte der deutschen KI-Gründungen<br />

erfolgt hier. Mittlerweile tüfteln mehr als 200<br />

Unternehmen an Innovationen in diesem Bereich.<br />

Berliner KI-Unternehmen arbeiten vor allem im<br />

Bereich Business Intelligence/Prozessmanagement,<br />

in der Gesundheitswirtschaft sowie in der<br />

Mobilität.<br />

Die Dynamik ist beeindruckend: Von den Berlin-<br />

Brandenburger KI-Unternehmen wurde fast die<br />

Hälfte erst 2014 und später gegründet. Auch<br />

an den Berliner Hochschulen beschäftigen sich<br />

mittlerweile mehr als hundert Professorinnen<br />

und Professoren mit dem Thema.<br />

Der Umbau der Verkehrsbranche eröffnet ostdeutschen<br />

Unternehmen ebenfalls neue Chancen.<br />

Das vom sächsischen Wirtschaftsministerium<br />

geförderte Innovationscluster „HZwo – Antrieb<br />

für Sachsen“, das gemeinsam von Entwicklern<br />

der TU Chemnitz, dem Fraunhofer-Institut für<br />

Werkzeugmaschinen und Umformtechnik (IWU)<br />

sowie regionalen Unternehmen und dem Cluster<br />

Energy Saxony getragen wird, soll eine vollständige<br />

Wertschöpfungskette für Brennstoffzellenfahrzeuge<br />

made in Sachsen erschließen.<br />

Das Cluster HZwo entwickelt dabei konkrete<br />

Antriebslösungen für eine umweltfreundliche<br />

Wasserstoffmobilität. Das Innovationscluster<br />

SET4FUTURE will der sächsischen Bahnbranche<br />

mit ihren 240 Unternehmen und 13.000 Beschäftigten<br />

helfen, innovative Komponenten und<br />

Dienstleistungen im Bereich Infrastruktur und<br />

Fahrzeuge zu entwickeln.<br />

Zu den Hoffnungsträgern zählen auch die<br />

mittelständischen Unternehmen der Umwelttechnologie.<br />

Sie arbeiten an neuen Entwicklungen<br />

in der Energieeffizienz, der Kreislaufwirtschaft,<br />

der Materialeffizienz, der nachhaltigen Mobilität<br />

und bei den Erneuerbaren Energien. Auf den folgenden<br />

Seiten wollen wir deshalb den in unserer<br />

letzten Ausgabe begonnenen redaktionellen<br />

Schwerpunkt fortsetzen und 15 Unternehmen<br />

und Forschungseinrichtungen vorstellen, die gegenwärtig<br />

mit neuartigen Green-Tec-Produkten<br />

und Verfahren auf sich aufmerksam machen. Sie<br />

stehen stellvertretend für die Innovationskraft<br />

des ostdeutschen Mittelstands.<br />

Foto: Fraunhofer IWU/Ines Escherich, HPI/Lutz Hannemann


Netze für<br />

neue Energie<br />

E.DIS investiert seit vielen Jahren in moderne<br />

und leistungsstarke Energienetze in Brandenburg<br />

und Mecklenburg-Vorpommern. So sichern wir<br />

eine zuverlässige und umweltfreundliche<br />

Energieversorgung in der Region. 2018 ist viel<br />

mehr Grünstrom ins E.DIS-Netz aufgenommen<br />

worden, als hier insgesamt verbraucht wurde.


10 <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />

INNOVATION<br />

Green-Tec-<br />

Boom dank<br />

Klimaschutz<br />

Effizienter Energieeinsatz, emissionsarmer<br />

Verkehr und ressourcenschonende<br />

Materialien – grüne Umwelttechnologien<br />

sind auf dem Vormarsch.<br />

Denn die weltweiten Anstrengungen<br />

für mehr Klimaschutz sind ohne technische<br />

Innovationen nicht denkbar.<br />

Und eröffnen so auch dem ostdeutschen<br />

Mittelstand neue Chancen auf<br />

globalen Märkten.<br />

VON MATTHIAS SALM<br />

Die Green-Tec-Branche blüht: Das Bundesumweltministerium<br />

prophezeit den grünen Umwelttechnologien<br />

bis zum Jahr 2025 ein jährliches<br />

Wachstum von 6,9 Prozent. Eine überdurchschnittliche<br />

Dynamik erwarten die Experten vor<br />

allem im Bereich der nachhaltigen Mobilität, bei<br />

der Rohstoff- und Materialeffizienz und in der<br />

Kreislaufwirtschaft. Und deutsche Umwelttechnik<br />

ist gefragt: 2016 hielten heimische Firmen bereits<br />

einen Anteil von 14 Prozent am Weltmarkt.<br />

Noch stärker wächst gegenwärtig hierzulande<br />

dank der propagierten Energie- und Verkehrswende<br />

die Nachfrage nach sauberer Umwelttechnik.<br />

Davon profitiert vor allem der Mittelstand,<br />

denn rund drei Viertel der deutschen Green-Tec-<br />

Unternehmen beschäftigten laut Umwelttechnik-<br />

Atlas des Bundesumweltministeriums weniger<br />

als 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Zu den<br />

Vorreitern der Branche zählen daher kleine und<br />

mittelständische ostdeutsche Unternehmen<br />

ebenso wie hier ansässige renommierte Forschungseinrichtungen.<br />

Auf den folgenden Seiten<br />

stellen wir 15 spannende Green-Tec-Innovationen<br />

und -forschungen made in Ostdeutschland vor –<br />

vom Solar-Radweg bis zur WASTX-Technologie<br />

zur Aufbereitung von Altölen.<br />

Bombardier Transportation GmbH<br />

Bombardier Transportation mit Sitz in Berlin<br />

zählt zu den weltweit führenden Herstellern<br />

in der Bahnbranche. Mit dem BOMBARDIER<br />

TALENT 3-Batterietriebzug setzt der Konzern auf<br />

saubere Mobilität. Seine besonderen Kennzeichen:<br />

Er fährt emissionsfrei, energieeffizient und<br />

geräuscharm. Die Batterien werden während<br />

der Fahrt beziehungsweise an Haltestellen unter<br />

Foto: Pixabay


INNOVATION<br />

<strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong> 11<br />

Umweltfreundlich: Bombardiers TALENT 3-Batteriezug.<br />

Für den TALENT 3-Batteriezug erhielt Bombardier Transportation den<br />

Innovationspreis Berlin-Brandenburg.<br />

Foto: Bombardier Transportation GmbH<br />

der Oberleitung oder mittels zurückgewonnener<br />

Bremsenergie geladen. Mit dem BOMBARDIER<br />

TALENT 3 können Bahnbetreiber nicht-elektrifizierte<br />

Strecken überbrücken und ihre Dieselfahrzeuge<br />

durch einen sauberen Batteriebetrieb<br />

ersetzen.<br />

Das Einsatzgebiet ist weitreichend, denn immerhin<br />

sind 40 Prozent des hiesigen Schienennetzes<br />

nicht elektrifiziert. Mit seinen ultraschnell<br />

ladenden BOMBARDIER MITRAC Lithium-Ionen-<br />

Hochleistungsbatterien könnte der BOMBARDIER<br />

TALENT 3-Batterietriebzug bereits heute über<br />

30 Prozent der nicht-elektrifizierten Strecken in<br />

Deutschland elektrisch befahren. Durch die kostengünstige<br />

Elektrifizierung der Endpunkte wären<br />

sogar 75 Prozent aller Dieselstrecken in Deutschland<br />

sauber und umsteigefrei zu betreiben.<br />

„Unser Ziel war es, einen leisen und umweltfreundlichen<br />

Zug für die Fahrgäste zu entwickeln<br />

und den Betreibern weltweit die beste Alternative<br />

zu emissionsreichen Dieselzügen unter<br />

Kosten- und Sicherheitsaspekten anzubieten“,<br />

fasst Pierre-Yves Cohen, Präsident für Produkte<br />

und Entwicklung bei Bombardier Transportation,<br />

die Vorzüge des BOMBARDIER TALENT 3<br />

zusammen. Entwicklung und Testbetrieb sind im<br />

brandenburgischen Hennigsdorf angesiedelt. An<br />

der Konzeption war auch die TU Berlin beteiligt.<br />

Solmove GmbH<br />

Radfahren auf einem Solarkraftwerk – mit<br />

dieser Idee sorgt das Potsdamer Unternehmen<br />

Solmove GmbH für Aufsehen. Die Technologie<br />

aus der brandenburgischen Landeshauptstadt<br />

kombiniert Photovoltaik mit umweltfreundlicher<br />

Mobilität. Das Ergebnis nennen die Potsdamer<br />

eine „intelligente Solarstraße“. Dazu wird die<br />

Solartechnik auf eine stabile Glasoberfläche<br />

aufgebracht. Diese kann auf horizontale Flächen<br />

verklebt werden. Eine spezielle Noppenstruktur<br />

des Belags sorgt zudem dafür, dass Regenwasser<br />

gut abgeleitet wird.<br />

In Erftstadt nahe Köln wurde durch Solmove<br />

Ende letzten Jahres der erste Solar-Radweg<br />

Deutschlands installiert. Die 90 Meter lange<br />

Teststrecke soll jährlich bis zu 16 Megawattstunden<br />

Solarstrom erzeugen. Die bei der Einweihung<br />

anwesende Bundesumweltministerin Svenja<br />

Schulze testete den Solar-Radweg allerdings im<br />

Regen. Ihr Fazit: „Bei dem Regen können wir auf<br />

jeden Fall schon jetzt feststellen, dass dieser<br />

Belag rutschfest ist.“<br />

Gegründet hat die Solmove GmbH der Ingenieur<br />

Donald Müller-Judex im Jahr 2014 in Bayern.<br />

Weil in Brandenburg die Wirtschaftsförderer<br />

allerdings mehr Begeisterung für die Idee zeigten<br />

als in der bayerischen Heimat, zog Müller-Judex<br />

2016 mit seinem Start-up in die Hauptstadtregion.<br />

Hier hofft er nun auf den Durchbruch der<br />

Solar-Radwege.<br />

Skeleton Technologies GmbH<br />

Skeleton Technologies ist Europas führender<br />

Hersteller von Ultrakondensatoren mit hoher<br />

Leistungs- und Energiedichte. Ultrakondensatoren<br />

sind Schnellspeichermedien und speichern<br />

Energie in einem elektrischen Feld. Sie kommen<br />

als langlebige Energiespeicherlösungen in der Industrie<br />

zum Einsatz. Ultrakondensatoren können<br />

als Batterieersatz oder auch als Ergänzung zu<br />

Batterien genutzt werden.<br />

Im Gegensatz zu Batterien lassen sich Ultrakondensatoren<br />

in kürzester Zeit be- und entladen. In<br />

Kombination mit Batterien verlängern sie deren<br />

Lebenszeit und reduzieren den Verbrauch von<br />

Kraftstoff bei hybriden Fahrzeugen.<br />

Zur Weiterentwicklung der Technologie betreiben<br />

die Sachsen umfassende Forschungsarbeiten,<br />

etwa gemeinsam mit der Hochschule für<br />

Wirtschaft und Technik Dresden (HTW Dresden).<br />

Das Ziel: Die Zukunftstechnologie für die<br />

Elektromobilität oder für smarte Stromnetzapplikationen<br />

auf Graphen-Basis nutzbar zu machen.


12<br />

<strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />

INNOVATION<br />

Forschen gemeinsam an<br />

der Zukunftstechnologie<br />

Ultrakondensatoren: Prof.<br />

Dr. Ralf Rogler und Prof.<br />

Jörg Feller von der HTW<br />

Dresden und Thomas<br />

Hucke, CTO der Skeleton<br />

Technologies GmbH.<br />

betrieben werden, wo der Müll anfällt – in Industrieanlagen<br />

oder Häfen beispielsweise überall auf<br />

der Welt. Gründer Oliver Riedel hat deshalb nicht<br />

nur den Heimatmarkt als Absatzgebiet im Visier:<br />

„Unsere Zielmärkte für die kompakten WASTX<br />

Oil-Anlagen sehen wir deshalb in Regionen ohne<br />

geordnete und überwachte Entsorgungsstrukturen,<br />

also in Schwellen- und Entwicklungsländer.“<br />

Kiwigrid GmbH<br />

Die Softwarelösungen von Kiwigrid treiben die<br />

Energiewende. Das Unternehmen steht für<br />

intelligentes Energiemanagement. Die Dresdner<br />

helfen Energieversorgern, Automobilherstellern<br />

oder Telekommunikationsunternehmen, das<br />

Potenzial dezentraler Energieressourcen und<br />

digitaler Technologien auszuschöpfen.<br />

Der Kundenstamm der Skeleton Technologies<br />

aus dem sächsischen Großröhrsdorf im Landkreis<br />

Bautzen reicht von führenden Automobilherstellern<br />

und Zulieferern bis hin zu Lkw-Flottenbetreibern<br />

und Luftfahrzeugunternehmen. In der<br />

renommierten Bestenliste Global Cleantech 100,<br />

die weltweit führende Unternehmen im Bereich<br />

nachhaltiger Innovationen beinhaltet, wurden die<br />

Sachsen <strong>2019</strong> erneut aufgenommen.<br />

Im Freistaat fühlt sich das Unternehmen gut<br />

aufgehoben. Thomas Hucke, CTO und Managing<br />

Director bei Skeleton Technologies, lobt den<br />

Standort als ideal für die Green-Tec-Branche:<br />

„Sachsen und die Landeshauptstadt Dresden<br />

bieten für ein Technologieunternehmen im<br />

zukunftsrelevanten Energiespeichersektor wie<br />

Skeleton ein hervorragendes Umfeld.“<br />

nachhaltigen Aufbereitung solcher Abfälle parat.<br />

Damit ist eine dezentrale Energie- und Wärmeversorgung<br />

aus Kraftstoff möglich, der aus<br />

Plastikabfällen oder Altöl gewonnen wird.<br />

Die Anlage – in Form eines großen Kleiderschranks<br />

– kann bis zu 1.000 Liter Ölabfälle pro<br />

Tag verarbeiten. In einem einzigartigen Verfahren<br />

werden dabei verschmutzte ölhaltige Reststoffe<br />

gereinigt, kondensiert und innerhalb weniger<br />

Minuten in Kraftstoff umgewandelt. Die WASTX-<br />

Kompaktpyrolyse-Anlagen können direkt dort<br />

Gerade im Energiemarkt ist Kiwigrid gefragt.<br />

Denn dieser wird durch die Energiewende und der<br />

wachsenden Zahl von Energieerzeugern immer<br />

kleinteiliger. Schon heute sind mehr als 1,3 Millionen<br />

kleine und große erneuerbare Anlagen oder<br />

dezentrale Speicher an die deutschen Verteilnetze<br />

angeschlossen, erklärt der Netzbetreiber<br />

innogy, einer der Investoren in die Kiwigrid GmbH.<br />

Mit der leistungsfähigen Software aus Sachsen<br />

lassen sich Photovoltaikanlagen, Wärmepumpen<br />

oder Ladestationen für elektrische Fahrzeuge<br />

überwachen und steuern.<br />

Jüngstes Produkt: Eine Solar-Cloud. Sie macht die<br />

virtuelle Speicherung von Solarenergie möglich.<br />

Die Kiwigrid-Plattform ist dabei das softwaretechnische<br />

Fundament der Solar-<br />

BIOFABRIK Technologies GmbH<br />

Die BIOFABRIK Technologies GmbH aus Dresden<br />

entwickelt Technologielösungen zur Verarbeitung<br />

von Abfallstoffen. Gegründet von Oliver Riedel<br />

arbeiten rund 25 Mitarbeiter an der energetischen<br />

Verwertung von problematischen Abfällen.<br />

So beispielsweise mit der WASTX-Technologie:<br />

Damit lassen sich Abfallstoffe aus Plastik oder<br />

Altöl sinnvoll verwerten. Der Hintergrund: In<br />

jedem Liter Altöl stecken mehr als 90 Prozent<br />

wiedernutzbarer Kraftstoff.<br />

Mit der WASTX-Technologie haben die Sachsen<br />

ein umfassendes System zur ganzheitlichen und<br />

Für die weltweit erste<br />

Mittelspannungsschaltanlage<br />

ohne SF6-<br />

Treibhausgas erhielt die<br />

Nuventura GmbH<br />

den StartGreen Award<br />

2018.<br />

Fotos: HTW Dresden/Peter Sebb, BMU/Xander Heinl


INNOVATION<br />

<strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong> 13<br />

SOEX Mitarbeiterin Ewa Wonschik bedient die neue Schuhrecyclinganlage in Wolfen.<br />

Foto: SOEX/I:CO<br />

Cloud und der Home-Energie-Management-<br />

Systemlösungen der gesamten innogy-Gruppe.<br />

„Wir verbinden Solaranlage, Batteriespeicher und<br />

SolarCloud zu einem intelligenten und kundenzentrierten<br />

System. Wir werden das Produkt<br />

gemeinsam mit innogy und der enviaM-Gruppe<br />

weiterentwickeln“, erklärt Tim Ulbricht, Geschäftsführer<br />

der Kiwigrid GmbH. Die Dresdner<br />

Softwareschmiede zählt in ihrer Branche zu<br />

einem der führenden Technologieunternehmen<br />

der Welt und wurde im Februar 2018 erneut in die<br />

Liste der Global Cleantech 100 aufgenommen.<br />

Nuventura GmbH<br />

Im Cleantech Innovation Center in Berlin-<br />

Marzahn ist das junge Unternehmen Nuventura<br />

angetreten, Schwefelhexafluid (SF6) den Garaus<br />

zu machen. SF6 steht im Ruf, eines der klimaschädlichsten<br />

Gase weltweit zu sein. Zwar ist<br />

der Ausstoß von SF6 bereits gesetzlich limitiert,<br />

allerdings kommt es in der Energiewirtschaft<br />

als Isoliermedium für gasisolierte Schaltanlagen<br />

noch zum Einsatz. Das klimaschädigende<br />

Potenzial von SF6 übersteigt nach Angaben des<br />

Unternehmens das von Kohlenstoffdioxid um das<br />

23.500-fache.<br />

Deshalb hat Firmengründer und Elektroingenieur<br />

Manjunath Ramesh SF6 den Kampf angesagt.<br />

Nuventura hat dazu Schaltanlagen für den Energiesektor<br />

entwickelt, die ohne SF6 auskommen.<br />

Sie verwenden stattdessen als Isolator trockene<br />

Luft. Die Neuheit: Die Kompaktheit der Schaltanlagen<br />

bleibt dabei erhalten. Dazu wird die Luft im<br />

Inneren der Anlage komprimiert. Im Umspannwerk<br />

Vierbaum im nordrhein-westfälischen<br />

Rheinberg ist die Technik bereits im Einsatz.<br />

Neben ihrem Beitrag zum Klimaschutz überzeugen<br />

die Schaltanlagen des Berliner Unternehmens<br />

auch durch den Einsatz von Sensoren, die<br />

frühzeitig Wartungsbedarf signalisieren. Nach<br />

erfolgreichem Testlauf bei der Innogy-Tochter<br />

Westnetz GmbH ist der Markteintritt geplant.<br />

CRONIMET Envirotec GmbH<br />

Die CRONIMET Envirotec GmbH steht für die<br />

innovative und nachhaltige Behandlung von<br />

Abfallschlämmen aus der Metall- und Ölindustrie.<br />

Als Teil der weltweit agierenden CRONIMET<br />

Holding GmbH betreibt die CRONIMET Envirotec<br />

GmbH in Bitterfeld-Wolfen dazu eine innovative<br />

Recyclinganlage für Metallschlämme.<br />

Dafür wurde das Unternehmen bereits mehrfach<br />

ausgezeichnet, unter anderem mit dem Preis<br />

der Umweltallianz Sachsen-Anhalt 2018. Die<br />

patentierte Vakuumdestillation ermöglicht eine<br />

umweltschonende und nachhaltige Separation<br />

von Stoffen ohne deren chemische Veränderung.<br />

DBF – Deutsche Basalt Faser GmbH<br />

Die DBF – Deutsche Basalt Faser GmbH betreibt<br />

in Sangerhausen die EU-weit erste Anlage zum<br />

Herstellen kontinuierlich gezogener Basaltfasern.<br />

Sie sollen künftig in der Betonindustrie eine<br />

wichtige Rolle spielen. Betonbauteile werden in<br />

der Regel mit Bewehrungen aus Stahl versehen,<br />

die als Stab- oder Mattenbewehrung eingebaut<br />

und durch eine ausreichende Betonüberdeckung<br />

vor Korrosion geschützt werden.<br />

Dennoch kann es immer wieder zu Rissen im<br />

Beton kommen. Um diese Rissbildungen unter<br />

Kontrolle zu bekommen, werden Fasermaterialien<br />

zugegeben. Basaltfasern, so die Hoffnung<br />

des Unternehmens, könnten sich als materialsparende<br />

Alternative zu den bisher verwendeten<br />

Fasermaterialien erweisen. Denn beim Einsatz<br />

von Basaltfasern ist eine geringere Betonüberdeckung<br />

möglich. Eine Betonersparnis von bis<br />

zu 40 Prozent sei denkbar, schätzt das Sangerhausener<br />

Unternehmen. Zudem sei die Basaltfaser<br />

recycelbar. Für die Erforschung weiterer<br />

Anwendungsmöglichkeiten arbeitet die DBF<br />

– Deutsche Basalt Faser GmbH etwa im Projekt<br />

„Neuartige basaltfaserverstärkte Thermoplaste<br />

für Automobilanwendungen“ mit dem Fraunhofer<br />

IMWS in Halle zusammen.<br />

SOEX Recycling Germany GmbH<br />

Im SOEX Werk Bitterfeld-Wolfen in Sachsen-<br />

Anhalt werden seit 1999 Alttextilien recycelt.<br />

Jährlich wandeln sich so rund 11.000 Tonnen<br />

Alttextilien in Sekundärrohstoffe, die in verschie-


14<br />

<strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />

INNOVATION<br />

denen Industriezweigen zu neuen Produkten<br />

weiterverarbeitet werden.<br />

Dabei ist das Unternehmen stets auf der Suche<br />

nach neuen Recyclingverfahren. So werden<br />

beispielsweise in Wolfen täglich mehr als 50.000<br />

Paar gebrauchte Schuhe angeliefert. Rund 17<br />

Prozent müssen fachgerecht entsorgt werden,<br />

da sie nicht mehr getragen werden können. SOEX<br />

entwickelte deshalb gemeinsam mit diversen<br />

Partnern eine Schuhrecyclinganlage, die aus<br />

untragbaren Schuhen einzelne Materialien wie<br />

Gummi, Leder und Textilien extrahieren kann, um<br />

diese als Sekundärrohstoffe wiederzuverwenden.<br />

Für die weltweit erste typenunabhängige<br />

Schuhrecyclinganlage erhielt das Unternehmen<br />

unter anderem eine Auszeichnung beim Hugo-<br />

Junkers-Preis, der jährlich vom Ministerium für<br />

Wirtschaft, Wissenschaft und Digitalisierung des<br />

Landes Sachsen-Anhalt für innovative Produkte<br />

und Verfahren verliehen wird.<br />

Fraunhofer IOSB Institutsteil<br />

Angewandte Systemtechnik<br />

Die zunehmende Einbindung Erneuerbarer Energien<br />

in das Stromnetz kann zu kritischen Dynamiken<br />

führen. Um diese frühzeitig zu erkennen, haben<br />

die Ilmenauer Energieforscher des Fraunhofer-<br />

Instituts für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung<br />

– Institutsteil Angewandte Systemtechnik<br />

(IOSB-AST) neue Lösungen entwickelt.<br />

Denn konventionelle Messtechniken gelangen<br />

längst an ihre Grenzen. Im Betrieb der Stromnetze<br />

wird deshalb immer mehr auf hochauflösende<br />

Sensorik und große Datenmengen<br />

zurückgegriffen. Mithilfe Künstlicher Intelligenz<br />

können diese Daten nicht nur deutlich verkleinert,<br />

sondern auch zur automatisierten Anomalie- und<br />

Fehlererkennung im Netzbetrieb verwendet<br />

werden. Die Forscher des Fraunhofer IOSB-AST<br />

haben Komprimierungsverfahren entwickelt, die<br />

den Speicherbedarf zur Archivierung der Daten<br />

erheblich reduzieren können. So können etwa 80<br />

Prozent der Daten eingespart werden. Im zweiten<br />

Schritt werden Verfahren aus dem Bereich<br />

der Künstlichen Intelligenz zur automatischen<br />

Auswertung der Messwerte eingesetzt. An der<br />

Entwicklung waren unter anderem auch die Ottovon-Guericke-Universität<br />

Magdeburg und die TU<br />

Ilmenau beteiligt.<br />

Mit hochauflösenden Methoden schauen die<br />

Forscherinnen und Forscher des Fraunhofer<br />

IMWS ins Innere von Materialien.<br />

Fraunhofer-Institut für Mikrostruktur<br />

von Werkstoffen und Systemen IMWS<br />

Die Halleschen Forscher des Fraunhofer IMWS<br />

sind Experten einer optimierten Materialeffizienz.<br />

Werkstoffe werden in Halle (Saale) bis ins<br />

kleinste Detail analysiert, um ihre Zuverlässigkeit,<br />

Sicherheit, Lebensdauer und Funktionalität<br />

zu steigern. Zugleich entwickeln die rund 330<br />

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Instituts<br />

neue Materialien. Sie sollen besonders leistungsfähig<br />

sein oder einen schonenderen Umgang mit<br />

Ressourcen ermöglichen.<br />

Die Forscher sind Partner der Wirtschaft, die Aufträge<br />

kommen unter anderem aus der Mikroelektronik,<br />

der Kunststofftechnik, der Photovoltaik,<br />

der chemischen Industrie, der Energietechnik,<br />

dem Automobil- oder dem Flugzeugbau. Jüngst<br />

vergaben das Wirtschaftsmagazin „brand eins“<br />

und das Statistikportal Statista in einer Bestenliste<br />

deutscher Innovatoren dem Halleschen Forschungsinstitut<br />

eine Spitzenbewertung. Für Prof.<br />

Ralf B. Wehrspohn, Leiter des Fraunhofer IMWS,<br />

auch eine Würdigung der Innovationskraft in<br />

Sachsen-Anhalt: „Es gibt in unserer Region viele<br />

Unternehmen mit zukunftsweisenden Ideen, das<br />

bemerke ich jeden Tag in der Zusammenarbeit<br />

mit unseren Partnern.“<br />

Embever GmbH<br />

Die Ausgründung aus der Magdeburger Otto-von<br />

Guericke-Universität hat eine Cloud-basierte<br />

Middleware – also eine vermittelnde Softwareebene,<br />

über die Daten unterschiedlicher<br />

Softwaresysteme kommunizieren – entwickelt.<br />

Sie ermöglicht, batteriebetriebene „Internet of<br />

Things“-Geräte energieeffizient und einfach<br />

mit ihren Webanwendungen zu verbinden und<br />

darüber zu steuern. Die dazugehörige Firmware<br />

versetzt Geräte in einen Deep-Sleep-Modus, in<br />

dem sie sich ohne Datenverlust nur von Zeit zu<br />

Zeit mit der Middleware synchronisieren. Dadurch<br />

wird eine extrem hohe Energieeffizienz erreicht.<br />

SONOTEC Ultraschallsensorik Halle<br />

GmbH<br />

SONOTEC wurde Anfang 1991 von den Physikern<br />

Dr. Santer zur Horst-Meyer und Hans-Joachim<br />

Münch gegründet und ist seitdem inhabergeführt.<br />

Das Unternehmen ist führend in der<br />

Ultraschallmesstechnik. So beispielsweise mit<br />

dem digitalen Ultraschallprüfgerät SONAPHO-<br />

NE, das Leckagen in Druckluftanlagen aufspürt.<br />

Druckluft ist für rund zehn Prozent der industriellen<br />

Energiekosten verantwortlich. Doch rund 30<br />

Prozent der eingesetzten Energie gehen durch<br />

Leckagen verloren. Mit dem Messgerät SONA-<br />

PHONE können diese oft nur millimetergroßen<br />

Lecks identifiziert und bewertet werden.<br />

Coolar UG<br />

Das 2014 gegründete Berliner Unternehmen<br />

arbeitet an einem Kühlschrank, der ohne Strom<br />

auskommt. Die Technologie der Hauptstädter<br />

verwandelt stattdessen Solarwärme mithilfe<br />

eines Wassertanks in Kälte. Als mögliche Einsatzgebiete<br />

sehen die Berliner beispielsweise die<br />

Möglichkeit, weltweit Impfstoffe in entlegenen<br />

Krankenhäusern ohne Netzanschluss kühlen zu<br />

können.<br />

Center for Economics of Materials CEM<br />

Das Center for Economics of Materials CEM<br />

wurde im August 2017 als gemeinsame Einrichtung<br />

des Fraunhofer-Instituts für Mikrostruktur<br />

von Werkstoffen und Systemen IMWS und der<br />

Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg<br />

(MLU) gegründet.<br />

Zu den Projekten des CEM gehört beispielsweise<br />

die Sicherung des Kohlenstoffbedarfs für<br />

eine nachhaltige chemische Industrie. Fossiler<br />

Kohlenstoff wird zur Produktion etwa von<br />

Düngemitteln, Medikamenten oder Kunststoffen<br />

benötigt. Die natürlichen Vorkommen sind jedoch<br />

begrenzt. Deshalb besteht bei der Versorgung<br />

eine Abhängigkeit von Drittländern. Mithilfe von<br />

neuen Technologien und Innovationen wollen<br />

die Fraunhofer-Forscher dazu beitragen, diese<br />

Abhängigkeit zu reduzieren und gleichzeitig einen<br />

ressourcenschonenderen Einsatz zu erreichen.<br />

Foto: Fraunhofer IMWS/Sven Döring


Warum das Weite<br />

suchen, wenn man<br />

darin wohnen kann.


16 <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />

INNOVATION<br />

EX ORIENTE LUX<br />

–<br />

MITTELSTANDPLUS IN OSTDEUTSCHLAND<br />

RENÉ SADOWSKI UND JÖRG K. RITTER<br />

Das Rückgrat der deutschen Wirtschaft – als solches werden Mittelstand und Familienunternehmen oft<br />

bezeichnet. Und in der Tat, das gilt besonders in Ostdeutschland.<br />

Denn gerade hier haben Unternehmerinnen und Unternehmer in den zurückliegenden drei<br />

Dekaden Beachtliches geleistet – ex oriente lux. Ohne ihren Mut und ihr Engagement wäre die heutige<br />

gesellschaftliche und insbesondere ökonomische Prosperität in nahezu allen Regionen<br />

Ostdeutschlands nur schwerlich gegeben. Auch um diese Leistungen zu<br />

würdigen, wurde die Initiative „Macher 30“ (siehe Infokasten) ins Leben gerufen. Für diese haben wir in<br />

den zurückliegenden Monaten eine umfangreiche Erhebung aller ostdeutschen mittelständischen und<br />

Familienunternehmen durchgeführt, um eine umfassende unternehmensspezifische Bestandsaufnahme zu<br />

erstellen und zugleich herausragende Erfolgsmodelle sowie Persönlichkeiten zu identifizieren.<br />

Ostdeutschland ist mehr als typisch<br />

Mittelstand<br />

In einem gesamtdeutschen Vergleich der 1.000<br />

größten Unternehmen (die Umsatzgrenze liegt<br />

bei 200 Millionen Euro jährlich) kommen 75 dieser<br />

Unternehmen aus den fünf ostdeutschen Bundesländern<br />

und Berlin. Das sind zunächst nur circa fünf<br />

Prozent. Überzeugend ist jedoch die hohe Anzahl<br />

an mittelständischen und Familienunternehmen<br />

in dieser Region, deren Umsatz über 50 Millionen<br />

Euro jährlich beträgt. Dies sind insgesamt 523<br />

Unternehmen. Über alle Regionen hinweg kann jeweils<br />

ein Viertel bis sogar ein Drittel der Unternehmen<br />

einen solchen Umsatz aufweisen – und wird<br />

damit, gemäß EU-Definition, gar nicht den kleinen<br />

und mittleren Unternehmen (KMU) zugerechnet.<br />

Sozusagen MittelstandPlus. Wird die Umsatzgrenze<br />

auf mehr als 25 Millionen Euro gelegt, sind<br />

hier absolut betrachtet sogar fast genau 1.000<br />

Unternehmen dieses Typs zu Hause.<br />

Traditionsbewusst und robust<br />

Im Rahmen unserer Erhebung konnten insgesamt<br />

über 1.700 eigenständige, dies bedeutet<br />

konzernunabhängige, Unternehmen aus allen<br />

ostdeutschen Bundesländern und Berlin mit<br />

einem Umsatz von mindestens fünf Millionen<br />

Euro jährlich identifiziert werden, die nun in den<br />

folgenden Monaten beispielsweise nach Größenklasse,<br />

Wachstum, Internationalität, Region<br />

und Branche weiter analysiert werden. Darüber<br />

hinaus konnten wir für 1.638 dieser Unternehmen<br />

auch das Gründungsjahr erheben.<br />

In der Betrachtung der Alterskohorten sehen<br />

wir, dass überraschenderweise nahezu die<br />

Hälfte der betrachteten Unternehmen bereits<br />

vor 1990 gegründet wurde und damit auf eine<br />

lange unternehmerische Tradition und mehrere<br />

zurückblicken kann. Einige dieser Unternehmen,<br />

beispielsweise die Brandenburger Urstromquelle<br />

aus Baruth und die Spreewaldmühle aus Burg,<br />

wurden bereits im 14. Jahrhundert gegründet,<br />

andere im 15. Jahrhundert wie z. B. die Schmiedeberger<br />

Gießerei aus Dippoldiswalde in Sachsen.<br />

Natürlich, in den ersten zehn Jahren nach der<br />

Wende zeigen die Daten eine große Gründungswelle.<br />

Genau genommen gab es in dieser Zeit<br />

dreimal so viele Gründungen wie in den letzten<br />

20 Jahren. Mit weniger als 40 Unternehmen, die<br />

seit 2010 gegründet wurden (und einen Umsatz<br />

von mindestens fünf Millionen Euro aufweisen),<br />

zeigt sich aber ebenso ein Abwärtstrend in der<br />

Gründerlandschaft. Denn offensichtlich konnten<br />

sich in diesem Zeitraum nur wenige wachstumsstarke<br />

Unternehmen etablieren. In den zurückliegenden<br />

15 Jahren sind es 111 Unternehmen,<br />

die einen Jahresumsatz von über fünf Millionen<br />

Euro erzielten. Berlin mag hier seinem Ruf als<br />

Motor des Neuen gerecht werden, denn mit 62


INNOVATION<br />

<strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong> 17<br />

MACHER 30<br />

Die Initiative „Macher 30 – der<br />

Ehrenpreis für herausragende Persönlichkeiten<br />

in Berlin und Ostdeutschland“ der Initialpartner<br />

VBKI, ESMT Berlin, Ostdeutscher Bankenverband<br />

und Egon Zehnder hat das Ziel, außerordentlich erfolgreiche<br />

Persönlichkeiten in Berlin und Ostdeutschland, die sich mit ihrem<br />

Handeln und Wirken im Kontext des ökonomischen und gesellschaftspolitischen<br />

Transformationsprozesses seit 1990 durch ein<br />

herausragendes Engagement und eine außerordentliche Leistung<br />

hervorgetan haben, zu identifizieren und medial in einem besonderen<br />

Format zu würdigen. Die Preisverleihungen in den vier Kategorien<br />

Wirtschaft, Wissenschaft, Kommune und Newcomer<br />

werden am 17. März 2020 an der ESMT Berlin stattfinden.<br />

„Macher 30“ baut auf der Initiative „Macher 25 – der<br />

große Wirtschaftspreis des Ostens“ auf.<br />

<strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong> ist Medienpartner<br />

der Initiative.<br />

dieser 111 Unternehmen ist mehr als die Hälfte<br />

aller Gründungen hier zu Hause – vor allem in den<br />

Branchen E-Commerce/Handel und Digitalwirtschaft,<br />

gefolgt von der Gesundheitswirtschaft.<br />

Wachstum – auch eine<br />

Frage des Alters<br />

Aber nicht nur junge Unternehmen sind wachstumsstark.<br />

So hat die im letzten Jahr vom Ifo<br />

Institut Dresden und von Ramboll Consulting<br />

veröffentlichte Gazellenstudie zu schnell<br />

wachsenden Unternehmen in Ostdeutschland<br />

(mindestens 20 Prozent Wachstum über drei<br />

Jahre) gezeigt, dass Wachstum keine Frage<br />

jungen Unternehmensalters ist. In ihrer Analyse<br />

von Unternehmen, die im Gegensatz zu unserer<br />

Erhebung primär weniger als fünf Millionen Euro<br />

Umsatz erwirtschaften, zeigte sich, dass fast<br />

60 Prozent dieser 4.930 Unternehmen älter<br />

als zehn Jahre sind. Dominierend sind dabei<br />

konsumnahe Dienstleistungen und das verarbeitende<br />

Gewerbe. Hinzu kommt: Durch diese<br />

Gazellen wurde in den vergangenen Jahren gut<br />

die Hälfte aller neuen Arbeitsplätze geschaffen.<br />

Und das, obwohl diese weniger als acht Prozent<br />

aller Unternehmen in Ostdeutschland ausmachen.<br />

Insbesondere in Berlin und mit etwas<br />

Abstand in Sachsen sind Gazellen überdurchschnittlich<br />

häufig vertreten.<br />

Sachsen – das Unternehmerland?<br />

Die meisten mittelständischen und Familienunternehmen<br />

sind insgesamt und auch in<br />

allen drei Größenklassen in Sachsen zu finden.<br />

Zusammen sind es 511 Unternehmen. Obgleich<br />

Sachsen mit ca. 4,1 Mio. Bürgern neben Berlin<br />

die höchste und im Vergleich mit Mecklenburg-<br />

Vorpommern fast 2,5-fache Einwohneranzahl<br />

hat, zeigt es doch – auch relativ betrachtet<br />

– hohe wirtschaftliche Kraft. Dabei hat jede<br />

Region ihre Besonderheiten entwickelt. So<br />

findet man in der Region um Chemnitz/Zwickau<br />

und im Erzgebirge einen starken Maschinenbau,<br />

in Dresden hat sich eine starke Halbleiterindustrie<br />

herausgebildet, und Leipzig ist bekannt für<br />

eine extrem wachsende IT- und Medizinbranche.<br />

Aber auch Regionen wie die Lausitz und<br />

das Vogtland haben jeweils ihre sogenannten<br />

Hidden Champions. Sachsen ist auch unter einer<br />

anderen Perspektive herausstechend: Sachsen<br />

ist das Unternehmerland, in dem – im Vergleich<br />

zu allen anderen Regionen – Unternehmen mit<br />

Gründungsjahren vor 1949 (Gründungsjahr der<br />

DDR) und zwischen 1949 und 1989 (Bestehen<br />

der DDR) am häufigsten vertreten sind.<br />

Tradition, Robustheit und Erneuerung, das<br />

zeichnet die Unternehmerlandschaft in Ostdeutschland<br />

insgesamt aus – also durchaus<br />

sonnige Aussichten.


18 <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />

INNOVATION<br />

MITTELSTAND & UNTERNEHMEN<br />

NACH REGION UND<br />

GRÜNDUNGSJAHR<br />

n = 1.638 mittelständische und Familienunternehmen<br />

in Ostdeutschland und Berlin (keine Konzerntöchter)<br />

NACH REGION UND<br />

JAHRESUMSATZ<br />

n = 1.731 mittelständische und Familienunternehmen<br />

in Ostdeutschland und Berlin (keine Konzerntöchter)<br />

Berlin<br />

Brandenburg<br />

Mecklenburg-Vorpommern<br />

Sachsen<br />

Sachsen-Anhalt<br />

Thüringen<br />

96 | 50 | 37 | 211 | 74 | = 557<br />

109 | 38 | 22 | 64 | 30 | = 312<br />

54 | 46 | 41 | 130 | 57 | = 400<br />

56 | 14 | 17 | 32 | 15 | = 159<br />

32 | 9 | 4 | 33 | 13 | = 99<br />

39 | 5 | 2 | 16 | 6 | = 75<br />

23 | 3 | 2 | 5 | 1 | = 36<br />

1995<br />

– 1999<br />

2000<br />

– 2004<br />

2005<br />

– 2009<br />

AB<br />

2010<br />

1949<br />

– 1989<br />

1990<br />

– 1994<br />

VOR<br />

1949<br />

0 100 200 300 400 500 600<br />

523<br />

UMSATZKLASSEN<br />

IN MIO. EURO<br />

GESAMT 1.731<br />

ÜBER 50<br />

5 BIS 25<br />

736<br />

1.638 GESAMT<br />

ÜBER 25 BIS 50<br />

409 165 125 491 196 252<br />

472<br />

Quelle: Analyse Egon Zehnder


INNOVATION<br />

1.731<br />

FAMILIENUNTERNEHMEN,<br />

MITTELSTAND, OHNE<br />

KONZERNTÖCHTER<br />

<strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />

19<br />

ÜBER 50<br />

ÜBER 25 BIS 50<br />

40<br />

37<br />

62<br />

MECKLENBURG-<br />

VORPOMMERN<br />

139<br />

124<br />

5 BIS 25<br />

115<br />

BERLIN<br />

443<br />

60<br />

204<br />

74<br />

61<br />

70<br />

46<br />

68<br />

BRANDENBURG<br />

174<br />

134<br />

SACHSEN-ANHALT<br />

205<br />

144<br />

82<br />

69<br />

SACHSEN<br />

511<br />

224<br />

Quelle: Analyse Egon Zehnder<br />

108<br />

THÜRINGEN<br />

259<br />

Autoren<br />

René Sadowski ist Engagement Leader bei Egon Zehnder und<br />

Professor für Entrepreneurship & Innovation Management an der<br />

EBC Hochschule Berlin. Jörg K. Ritter ist Senior Partner bei Egon<br />

Zehnder, Professor für Leadership & Human Resources an der<br />

Quadriga Hochschule Berlin und stellvertretender Beiratsvorsitzender<br />

des Hidden Champions Institute der ESMT Berlin.


20<br />

<strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />

INNOVATION<br />

SITEC-Laseranlage zum<br />

Laserschweißen von<br />

Pkw-Schaltkomponenten<br />

REKORDKURS<br />

in unsicheren Zeiten<br />

Der ostdeutsche Maschinenbau wächst. Die Digitalisierung eröffnet den Unternehmen zudem weitere Chancen.<br />

Doch die Risiken im Außenhandel und der Fachkräftemangel könnten den Aufschwung in diesem Jahr bremsen.<br />

VON MATTHIAS SALM<br />

Der ostdeutsche Maschinenbau blickt auf ein<br />

erfolgreiches Jahr zurück. 2018 lagen wichtige<br />

Faktoren wie die Kapazitätsauslastung und der<br />

Auftragsbestand auf hohem Niveau, vermeldet<br />

der ostdeutsche Landesverband des VDMA<br />

(Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau).<br />

So bewerten 85 Prozent der ostdeutschen<br />

Betriebe die aktuelle wirtschaftliche Lage als<br />

sehr gut oder gut. Die Produktionskapazitäten<br />

der Unternehmen waren zu durchschnittlich 89,5<br />

SACHSEN<br />

THÜRINGEN<br />

SACHSEN-<br />

ANHALT<br />

BERLIN<br />

MECKLENBURG-<br />

VORPOMMERN<br />

BRANDENBURG<br />

6.063<br />

4.192<br />

9.168<br />

13.190<br />

15.870<br />

Prozent ausgelastet. Das Auftragspolster der<br />

Maschinen- und Anlagenbauer reicht demnach<br />

durchschnittlich für 5,3 Monate.<br />

Aktuell finden zwischen Ostsee und Erzgebirge<br />

mehr als 84.000 Mitarbeiter Beschäftigung im<br />

Maschinenbau. Das liest sich zwar wenig im Vergleich<br />

zu den einst 350.000 Arbeitnehmern zur<br />

Wendezeit. Doch seit 2013 erholt sich die Branche<br />

spürbar und hat allein in diesem Zeitraum um<br />

35.813<br />

MEHR BESCHÄFTIGTE<br />

IM MASCHINENBAU<br />

Sachsen ist das Zentrum des ostdeutschen<br />

Maschinebaus. Mehr als 35.000 Mitarbeiter<br />

zählen die sächsischen Betriebe rund um die<br />

Zentren Dresden und Chemnitz.<br />

Angaben in Anzahl der Beschäftigten<br />

Quelle: Statistische Landesämter<br />

6.000 Arbeitsplätze zugelegt. Der Umsatz steigerte<br />

sich im Vergleich zu 2013/2014 um fast vier<br />

Milliarden Euro. Der Maschinen- und Anlagenbau<br />

zählt deshalb nicht von ungefähr zu den Eckpfeilern<br />

der ostdeutschen Industrie. Schwerpunkte<br />

der Unternehmen liegen in der Produktion von<br />

Werkzeug- , Druck- und Verpackungsmaschinen,<br />

von Hebe- und Fördermittel sowie im Werkzeugund<br />

Formenbau.<br />

In den einzelnen Bundesländern fällt die Bilanz<br />

des zurückliegenden Jahres allerdings unterschiedlich<br />

aus. So verzeichnete die Branche<br />

in der Hauptstadt 2018 ein leicht rückläufiges<br />

Geschäft. „Der Berliner Maschinenbau ist sehr<br />

stark export orientiert“, erläutert Reinhard Pätz,<br />

Geschäftsführer des VDMA-Landesverbandes<br />

Ost, die Zahlen. Mit 71, 3 Prozent erreichen die<br />

Berliner Betriebe als einziges ostdeutsches Bundesland<br />

annähernd die bundesweite Exportquote<br />

von 79 Prozent. Die hohe Export orientierung<br />

sorgte denn auch für das Minus in den Auftragsbüchern.<br />

Während die Binnennachfrage um fast<br />

drei Millionen Euro zulegte, fiel der Auslandsumsatz<br />

der Berliner Unternehmen um 20 Millionen<br />

Euro auf circa 1,4 Milliarden Euro.<br />

Foto: SITEC


INNOVATION<br />

<strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong> 21<br />

Foto: VDMA<br />

8,12<br />

SACHSEN<br />

3,13<br />

THÜRINGEN<br />

MASCHINENBAU-<br />

UMSATZ<br />

Höchster Umsatz in Sachsen<br />

Angaben in Milliarden Euro<br />

2,49<br />

SACHSEN-<br />

ANHALT<br />

Quelle: Statistische Landesämter<br />

2,17<br />

MECKLENBURG-<br />

VORPOMMERN<br />

1,99<br />

BERLIN<br />

0,6<br />

BRANDENBURG<br />

Gänzlich anders die Lage im benachbarten<br />

Brandenburg: Die Maschinenbauer in der Mark<br />

haben den geringsten Auslandsumsatz aller<br />

ostdeutschen Länder. Die Exportquote beträgt<br />

gerade mal 40 Prozent. Der Grund: Die kleinteilige<br />

Betriebsstruktur und der hohe Zuliefereranteil<br />

erschweren einen Gang auf ausländische Märkte.<br />

Insgesamt setzten die Brandenburger Maschinenbauer<br />

2018 59 Millionen Euro weniger um als<br />

im Vorjahr.<br />

Rekordmarke in Sachsen-Anhalt<br />

In Sachsen-Anhalt hingegen blüht die Branche.<br />

Hier erreichte die Branche 2018 ein neues<br />

Umsatz- und Beschäftigungshoch. Der Umsatz<br />

kletterte um etwa 45 Millionen Euro und damit<br />

zum neunten Mal in Folge. „Der Maschinenbau<br />

gehört wieder zu den innovativsten Wachstumsbranchen“,<br />

urteilt Reinhard Pätz über die<br />

Entwicklung in Sachsen-Anhalt. Spürbar nach<br />

oben entwickelt sich auch die Beschäftigtenzahl.<br />

In den Firmen mit mindestens 50 Mitarbeitern<br />

arbeiteten im Jahr 2018 durchschnittlich 13.190<br />

Menschen – ein Plus von 3,8 Prozent gegenüber<br />

dem Vorjahr. Mehr Menschen standen zuletzt<br />

1996 in Sachsen-Anhalt im Maschinen- und<br />

Anlagenbau in Lohn und Brot.<br />

Und es wird kräftig investiert: So erweitern<br />

beispielsweise die beiden Maschinenbauunternehmen<br />

H&B Omega aus Osterweddingen und<br />

Symacon aus Barleben mit Millioneninvestitionen<br />

ihre Unternehmen, um sie für den technologischen<br />

Wandel fit zu machen. Die H&B Omega<br />

Europa GmbH, die auf Entwicklung, Fertigung und<br />

Vertrieb von Reibschweißmaschinen<br />

spezialisiert ist und derzeit rund<br />

60 Mitarbeiter beschäftigt,<br />

erweitert ihre Betriebsstätte<br />

für gut 2,4 Millionen<br />

Reinhard Pätz, Geschäftsführer<br />

des VDMA-Landesverbandes<br />

Ost<br />

Euro. Die Symacon GmbH<br />

investiert gut eine Million<br />

Euro in neue Maschinen und<br />

Anlagen für ihre Automatisierungslösungen.<br />

Noch besser als die Maschinenbauer in der<br />

Börde stehen die Betriebe in Sachsen da. Die 201<br />

Unternehmen des Landes verkauften 2018 Maschinen,<br />

Anlagen und Komponenten im Wert von<br />

etwa 8,1 Milliarden Euro. Im Vergleich zu 2017<br />

steigerten sie ihren Gesamtumsatz damit um<br />

circa 300 Millionen Euro. Jede zweite sächsische<br />

Maschine (52 Prozent) wird mittlerweile ins Ausland<br />

geliefert, dabei zu 40 Prozent in Länder der<br />

Europäischen Union. Die weiteren wichtigsten<br />

Handelspartner der Unternehmen im Freistaat<br />

waren China – hier legten die Ausfuhren um 20<br />

Prozent zu – und die USA.<br />

In Mecklenburg-Vorpommern verliefen die<br />

Geschäfte 2018 dagegen aufgrund einiger Großaufträge<br />

im Vorjahr rückläufig. In der Thüringer<br />

Industrie erwies sich die Branche mit Ausfuhren<br />

von über 1,4 Milliarden Euro als Exportspitzenreiter.<br />

Auch in Thüringen erweitern die Unternehmen<br />

deshalb ihre Kapazitäten. So investiert<br />

etwa die Zeulenroda Präzision Maschinenbau<br />

GmbH sieben Millionen Euro in Gebäude und<br />

Fertigungsanlagen, die Arnstädter Werkzeugund<br />

Maschinenbau AG baut für 3,5 Millionen Euro<br />

eine neue Produktionshalle.<br />

„Für <strong>2019</strong> ist die Stimmung gedämpft“, wagt<br />

Pätz einen Ausblick auf das laufende Jahr. Sicher<br />

ist: Das Wachstumstempo wird sich verlangsamen.<br />

Zu den Wachstumsbremsen zählt unter<br />

anderem der Fachkräftemangel. „Drei Viertel aller<br />

Unternehmen haben Schwierigkeiten, geeignete<br />

Facharbeiter, Ingenieure oder Führungskräfte zu<br />

finden“, weiß Pätz. „Das gilt in besonderer Weise<br />

für die Bereiche Konstruktion, Produktion und<br />

Softwareentwicklung.“<br />

Das Problem kennt auch Dr. Denis Dontsov,<br />

Geschäftsführer der SIOS Meßtechnik GmbH<br />

in Ilmenau. Das Unternehmen agiert weltweit<br />

als Hersteller von Präzisionsmessgeräten auf<br />

der Basis von Laserinterferometern. „Wir<br />

haben kein Problem, Mitarbeiter aus<br />

dem akademischen Bereich zu<br />

finden, die gut ausgebildeten<br />

Techniker und Facharbeiter<br />

sind hingegen Mangelware“,<br />

erläutert der Unternehmer<br />

aus der Universitätsstadt.<br />

Doch nicht nur der Facharbeitermangel<br />

sorgt die<br />

Branche. Auch die politischen<br />

Unwägbarkeiten trüben den Optimismus<br />

der Maschinenbauer. „Der<br />

Brexit trifft die ostdeutschen Unternehmen<br />

nicht so stark“, glaubt Pätz. „Wohl aber die Wirtschaftssanktionen<br />

etwa gegenüber Russland,<br />

China oder dem Iran.“ Das bestätigt auch Dontsov<br />

aus Sicht seines Unternehmens: „Wir exportieren<br />

nach China und in die USA und müssen uns<br />

deshalb auf die Änderungen einstellen.“ Zumal<br />

die Folgen der Handelsstreitigkeiten oder des<br />

Brexits aufgrund der teils langen Vorlaufzeiten<br />

im Maschinenbau vermutlich erst in diesem Jahr<br />

ihren Niederschlag in den Büchern finden werden.<br />

71,3<br />

BERLIN<br />

52,0<br />

SACHSEN<br />

MASCHINENBAU-<br />

EXPORTQUOTE<br />

Berliner Firmen mit höchster Exportquote<br />

Angaben in Prozent<br />

48,7<br />

MECKLENBURG-<br />

VORPOMMERN<br />

45,7<br />

THÜRINGEN<br />

Quelle: Statistische Landesämter<br />

41,5<br />

SACHSEN-<br />

ANHALT<br />

39,6<br />

BRANDENBURG


22<br />

<strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />

INNOVATION<br />

Mehr Innovationen<br />

durch Cluster<br />

In Adlershof entstehen Innovationen in den<br />

optischen und photonischen Technologien<br />

Die Länder Berlin und Brandenburg schreiben ihre gemeinsame Innovationsstrategie<br />

fort. Denn trotz Start-up-Booms: Noch setzen zu wenige Unternehmen<br />

in der Hauptstadtregion auf die Entwicklung neuer Produkte und Verfahren.<br />

Auch die Wirtschaft fordert eine stärkere Innovationsfokussierung.<br />

VON MATTHIAS SALM<br />

Das Ziel ist ambitioniert: Berlin und Brandenburg waren rund 30 Prozent mehr als im Vorjahr.<br />

sollen zu einem führenden Innovationsstandort Dabei kooperieren die Berliner Firmen enger mit<br />

in Europa werden und innovative Lösungen für Wissenschaftseinrichtungen als Unternehmen im<br />

die Herausforderungen von morgen entwickeln. Bundesdurchschnitt. Während deutschlandweit<br />

So heißt es aktuell in der bereits 2011 ins Leben fast jeder zweite Euro für Innovationen im Maschinen-<br />

und Fahrzeugbau fließt, liegen in Berlin<br />

gerufenen Gemeinsamen Innovationsstrategie<br />

der beiden Länder. Unter dem Titel innoBB 2025 die Pharma- und die Elektroindustrie inklusive<br />

sollen, so ein Beschluss der beiden Landesregierungen<br />

Anfang des Jahres, die bereits bestehen-<br />

Optik und Messtechnik an der Spitze.<br />

den Innovationscluster weiter ausgebaut werden. Andererseits: Der Anteil innovativer Unternehmen<br />

Dies sind die Branchen Gesundheitswirtschaft, an der gesamten Wirtschaft ist an der Spree rückläufig.<br />

Während 2011 in Berlin noch 57 Prozent<br />

Energietechnik, Verkehr-Mobilität-Logistik,<br />

IKT-Medien-Kreativwirtschaft sowie Optik und der Unternehmen erfolgreich Innovationen auf<br />

Photonik. Dabei wird der Innovationsbegriff<br />

den Markt brachten, ging ihr Anteil 2017 auf 45<br />

künftig weiter gefasst, nachhaltige Innovationen Prozent zurück. Besonders kleine und mittlere<br />

priorisiert und die internationale Zusammenarbeit Unternehmen schwächeln in ihren Innovationsbemühungen.<br />

verstärkt.<br />

Denn auch wenn gerade Berlin junge Unternehmer<br />

aus aller Welt lockt: Der Ruf als Start-up- Nachholbedarf. So verweist<br />

Auch in Brandenburg besteht<br />

Metropole täuscht darüber hinweg, dass das die IHK Potsdam darauf,<br />

Innovationsgeschehen in der Berliner Wirtschaft dass der Anteil der Ausgaben<br />

differenziert zu betrachten ist.<br />

Einerseits: Die Firmen der Hauptstadt setzten<br />

laut Technologiestiftung Berlin 2017 mit<br />

Industrie- und Handels kammer<br />

Peter Heydenbluth, Präsident der<br />

Produktneuheiten 14,1 Milliarden Euro um. Das<br />

Potsdam<br />

für Forschung und Entwicklung der Wirtschaft<br />

am Bruttoinlandsprodukt (BIP) in Brandenburg<br />

mit ganzen 0,61 Prozent deutlich unter dem<br />

Bundesdurchschnitt von zwei Prozent liegt. „Das<br />

reicht nicht aus. Auch bei den Patentanmeldungen<br />

liegen wir im Bundesvergleich auf einem der hinteren<br />

Plätze “, kritisiert Potsdams IHK-Präsident<br />

Peter Heydenbluth. Seine Forderung: „Die IHK<br />

erwartet bei der Neuauflage der Innovationsstrategie<br />

den Mut, im beabsichtigten Zusammenspiel<br />

von Berlin und Brandenburg Neues auszuprobieren<br />

und Bewährtes fortzuführen.“<br />

Dabei bewertet die Brandenburger Wirtschaft die<br />

Harmonisierung der Innovations- und Technologieförderung<br />

beider Länder durchaus positiv. Die<br />

Wirtschaftspolitik verfolge damit die Strategie,<br />

bestehende Nachteile einer kleinteiligen Wirtschaft<br />

durch Vernetzung auszugleichen, lobt die<br />

IHK Potsdam. Dennoch sieht sie Optimierungsbedarf:<br />

So sei beispielweise der Cluster-Zuschnitt<br />

zu überdenken. Das Cluster „Optik und Photonik“<br />

umfasse gerade einmal 1.511 Betriebe mit circa<br />

17.688 Beschäftigten, das Cluster „IKT, Medien<br />

und Kreativwirtschaft“ hingegen steht<br />

für 48.956 Unternehmen und rund<br />

261.071 Beschäftigte. Außerdem<br />

käme es laut IHK durch die Fokussierung<br />

zu Schwierigkeiten<br />

bei einzelnen Fördervorhaben,<br />

die zum Beispiel in der Holzoder<br />

Keramikindustrie außerhalb<br />

der definierten Cluster<br />

angesiedelt seien. Auch seien<br />

die Cluster bei den KMU im Land<br />

oft noch nicht ausreichend bekannt.<br />

Foto: Sebastian Geyer, WISTA-MANAGEMENT GMBH – www.adlershof.de


INNOVATION <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong> 23<br />

Foto: Rolls Royce Deutschland Ltd. & Co. KG<br />

Aus Sicht der Potsdamer IHK könnten eine<br />

Einführung der steuerlichen Forschungsförderung<br />

auf Bundesebene und ein weiterer Ausbau<br />

des Technologie- und Wissenstransfers mit den<br />

Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen<br />

das Innovationsgeschehen<br />

weiter beleben. Außerdem sei ein forcierter Breitbandausbau<br />

in Brandenburg dringend geboten.<br />

Die Cluster im Überblick<br />

Verkehr, Mobilität und Logistik<br />

• Größe: Mehr als 17.000 Unternehmen mit<br />

etwa 201.000 Beschäftigten.<br />

• Branchen: Automotive, Luft- und Raumfahrt,<br />

Schienenverkehrstechnik, Logistik und Verkehrstelematik.<br />

• Kennzeichen: Die Region Berlin-Brandenburg<br />

verfügt über besondere Stärken in den Bereichen<br />

Antriebstechnik, neue Kraftstoffe, Verkehrs- und<br />

Fahrzeugsicherheit sowie in der intelligenten<br />

Mobilität. Die Luftfahrtindustrie ist vor allem in<br />

Brandenburg heimisch. Bei der Triebwerksentwicklung<br />

und -fertigung zählt die Hautstadtregion<br />

mit Konzernen wie Rolls-Royce Deutschland<br />

und MTU zu den wichtigsten europäischen Standorten.<br />

Über 100 Firmen und Wissenschaftseinrichtungen<br />

mit mehr als 20.000 Beschäftigten<br />

machen die Region darüber hinaus zu einem<br />

Zentrum der Schienenverkehrstechnik.<br />

Gesundheitswirtschaft<br />

• Größe: Mehr als 21.000 Unternehmen mit über<br />

370.000 Beschäftigten.<br />

• Branchen: Pharmaindustrie, Biotechnologie,<br />

Medizintechnik, Kliniken.<br />

Die Rolls Royce Deutschland Ltd. & Co. KG ist ein Aushängeschild<br />

der brandenburgischen Wirtschaft.<br />

• Kennzeichen: Die Hauptstadtregion will sich<br />

unter der gemeinsamen Dachmarke Health-<br />

Capital als führende Gesundheitsregion in<br />

Deutschland etablieren. Ihre Stärke liegt vor<br />

allem in der einzigartigen Forschungs- und<br />

Kliniklandschaft. Rund 40 wissenschaftliche<br />

Einrichtungen mit Life-Science-Bezug, darunter<br />

das Universitätsklinikum Charité, sowie<br />

acht Technologieparks mit Schwerpunkt in den<br />

Lebenswissenschaften arbeiten hier.<br />

Optik und Photonik<br />

• Größe: Mehr als 1.500 Betriebe mit rund<br />

17.600 Beschäftigten.<br />

• Branchen: Lasertechnik, Lichttechnik, Optik,<br />

Photonik, Biomedizinische Optik, Mikrosystemtechnik.<br />

• Kennzeichen: In den letzten Jahren hat vor<br />

allem der Standort Adlershof mit seinen<br />

universitären und außeruniversitären Forschungsinstituten<br />

eine besondere Bedeutung<br />

gewonnen. Vom Start-up bis zum Weltkonzern<br />

finden sich in Adlershof Firmen aus fast<br />

allen wichtigen photonischen und optischen<br />

Technologiefeldern. Auch an der TH Wildau sind<br />

optische Technologien und die Photonik Forschungsschwerpunkte.<br />

Rathenow gilt als eines<br />

der bedeutendsten augenoptischen Zentren in<br />

Deutschland.<br />

IKT, Medien und Kreativwirtschaft<br />

• Größe: Rund 49.000 Unternehmen mit über<br />

261.000 Beschäftigten.<br />

• Branchen: Digitale Wirtschaft, IKT, Medien,<br />

Kreativwirtschaft.<br />

• Kennzeichen: Das Cluster umfasst Zukunftstechnologien<br />

wie Data Management, das<br />

Internet der Dinge und Cloud Computing. In der<br />

IT-bezogenen Forschung gehört die Region zur<br />

Weltspitze. Dazu tragen zum Beispiel das Hasso-<br />

Plattner-Institut in Potsdam, die sieben Fraunhofer-Institute<br />

oder das Ferdinand-Braun-Institut<br />

für Höchstfrequenztechnik bei. Zudem haben hier<br />

über 5.700 Digitalunternehmen ihren Sitz.<br />

Energietechnik<br />

• Größe: Rund 6.400 Unternehmen mit knapp<br />

58.000 Beschäftigten.<br />

• Branchen: Energiewirtschaft.<br />

• Kennzeichen: Berlin-Brandenburg versteht<br />

sich als eine Pionierregion der Energiewende.<br />

Das gilt etwa bei der Entwicklung und dem<br />

Management von Energienetzen mit einem<br />

hohen Anteil an Erneuerbaren Energien und<br />

bei Pilotprojekten mit Hybridkraftwerken und<br />

Power-to-Gas-Anlagen. Kernthemen des<br />

Clusters sind: Erneuerbare Energien, Energieeffizienz,<br />

Energienetze und Speicher sowie<br />

Turbomaschinen und Kraftwerkstechnik.<br />

Immer sicher warm.<br />

EWE business Wärme smart<br />

Effizient heizen und dabei ganz entspannt bleiben: EWE business Wärme smart ist die komfortable Wärmelösung<br />

für Unternehmen mit älteren Heizanlagen. Wir installieren für Sie eine moderne Erdgas-Brennwert-Heizanlage<br />

und sorgen von A bis Z für den gesamten Betrieb. Sie kaufen nur noch die Wärme, müssen sich um nichts<br />

weiter kümmern und können Ihre Kosten für Wärme energie langfristig kalkulieren.<br />

Weitere Infos unter www.ewe.de/waerme-smart<br />

oder bei Olaf Harnoß unter Tel. 03341 38-2194<br />

EWE VERTRIEB GmbH, Hegermühlenstr. 58, 15344 Strausberg


24 <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />

WAHLEN<br />

Superwahljahr<br />

im Osten<br />

Gleich in drei ostdeutschen Bundesländern werden in diesem Jahr neue Landtage<br />

gewählt. Am 1. September können die Wähler in Brandenburg und Sachsen ihre<br />

Stimmen abgeben, am 27. Oktober folgt dann Thüringen.<br />

Noch ist völlig offen, welche politischen Konstellationen sich nach den Urnengängen herauskristallisieren<br />

werden. Alle Meinungsumfragen in den drei Ländern, die in jüngster Vergangenheit durchgeführt<br />

wurden, legen nahe, dass die Wähler ihren Politikern anspruchsvolle Denkaufgaben für die künftigen<br />

Regierungsbildungen stellen werden. Weder in Brandenburg noch in Sachsen oder Thüringen zeichnen<br />

sich aktuell Zweierbündnisse ab. In Thüringen deuten die jüngsten Erhebungen sogar darauf hin, dass<br />

selbst herkömmliche Dreierkoalitionen kaum auf die erforderliche Mehrheit kommen könnten. Wir<br />

blicken also spannenden Wahlkämpfen und Wahlnächten entgegen.<br />

Auf den kommenden Seiten sprechen die Ministerpräsidenten Brandenburgs,<br />

Sachsens und Thüringens über ihre in der zu Ende gehenden Legislaturperiode<br />

geleistete Arbeit und ihre Hoffnungen, im Herbst erneut den Auftrag<br />

für eine Regierungsbildung zu erhalten.<br />

Grafik: freepik.com


www.bauhaus-entdecken.de<br />

Entdecken Sie das Bundesland, in dem<br />

es so viele authentische Bauhaus-Bauten<br />

wie nirgendwo sonst gibt und in dem die<br />

Ikone der Moderne am intensivsten wirkte.<br />

Erleben Sie Orte wie das Bauhaus Dessau<br />

und die dortigen Meisterhäuser, die Werke<br />

Lyonel Feiningers in Halle an der Saale oder<br />

die „bunte Stadt“ Magdeburg.<br />

#moderndenken<br />

Hier macht<br />

das Bauhaus<br />

Schule.


26 <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />

WAHLEN<br />

„ WIR MÜSSEN AUF DEN PFAD<br />

DER ANGLEICHUNG KOMMEN “<br />

Brandenburgs Ministerpräsident Dr. Dietmar Woidke (SPD) über die Strukturentwicklung der Lausitz,<br />

Lehren aus dem Brexit und die Rentenmauer zwischen Ost und West<br />

INTERVIEW: KARSTEN HINTZMANN UND FRANK NEHRING<br />

W+M: Herr Dr. Woidke, die fünfjährige<br />

Legislaturperiode neigt sich dem Ende zu.<br />

Am 1. September wird ein neuer Landtag<br />

gewählt. Wie sieht Ihre persönliche Bilanz<br />

als Regierungschef aus?<br />

Dietmar Woidke: Wir sind auf einem sehr<br />

guten Weg. Die wichtigste Veränderung in<br />

den zurückliegenden viereinhalb Jahren war<br />

die positive Entwicklung der Wirtschaft.<br />

Und damit verbunden der weitere Rückgang<br />

der Arbeitslosigkeit und der Anstieg der<br />

Arbeitsproduktivität in Brandenburg. Diese<br />

drei Faktoren nenne ich deshalb, weil sie für<br />

andere Dinge die Grundlage legen. Etwa die<br />

Steuereinnahmen. Mittlerweile finanzieren<br />

wir gut 70 Prozent unserer Ausgaben selbst.<br />

Das ist in Ostdeutschland ein hoher Wert,<br />

den in dieser Region kein anderes Land<br />

erreicht. Mit den drei genannten Faktoren<br />

ist es uns insgesamt gelungen, den Abstand<br />

zum bundesdeutschen Durchschnitt deutlich<br />

zu verringern. Unsere Perspektiven sind positiv.<br />

Es gibt eine sehr gute Konjunkturlage<br />

und ich sehe die Bereitschaft vieler Unternehmen,<br />

hier zu investieren. Allerdings, und<br />

das dürfen wir nicht ausblenden, gibt es<br />

externe Faktoren, die die Entwicklung hemmen<br />

könnten. Die Unternehmen bewegen<br />

aktuell zwei große Fragen: Wie sieht es mit<br />

der Fachkräftesicherung aus und wie steht<br />

es um die Entwicklung und Planbarkeit von<br />

Energiepreisen. Das sind zwei große Aufgaben<br />

in unserem Pflichtenheft, für die wir<br />

Lösungen anbieten müssen und werden.<br />

W+M: Was waren aus Ihrer Sicht die<br />

wichtigsten Wirtschaftsschlagzeilen aus<br />

Brandenburg in jüngster Vergangenheit?<br />

Dietmar Woidke: Der anstehende Kohleausstieg<br />

und der damit verbundene Strukturwandel<br />

beschäftigt uns natürlich vorrangig.<br />

Aber darüber dürfen die vielen und eher<br />

kleineren Geschichten nicht in Vergessenheit<br />

geraten, die für unser Land so typisch sind.<br />

Ich möchte hier stellvertretend drei Punkte<br />

nennen: 2018 haben wir in Brandenburg an<br />

der Havel ein Zentrum zur Unterstützung<br />

der Digitalisierung im Handwerk eröffnet.<br />

Denn die Digitalisierung betrifft nicht nur die<br />

Industrie, sondern in ähnlicher Weise auch<br />

Mittelstand und Handwerk. Was Ansiedlungen<br />

angeht, gab es eine besonders positive<br />

Nachricht aus Frankfurt (Oder). Dort hat<br />

Yamaichi Electronics, ein Unternehmen aus<br />

Japan, sein Europa-Hauptquartier aufgeschlagen.<br />

Frankfurt (Oder) hat eine lange<br />

Tradition als Mikroelektronik-Standort,<br />

und wir hoffen – nach den Rückschlägen im<br />

Solarbereich – mit Yamaichi an die positive<br />

Geschichte anknüpfen zu können. Wir haben<br />

vor Ort gute Wissenschaftseinrichtungen,<br />

etwa das IHP, das als Forschungshotspot in<br />

Frankfurt (Oder) exzellente Arbeit leistet.<br />

Und als dritten Punkt, in Grünheide/Mark<br />

hat die Getränke Essmann KG eine Betriebsstätte<br />

und ein Logistikzentrum mit 35 neuen<br />

Arbeitsplätzen errichtet. Diese Beispiele<br />

zeigen, dass es wirtschaftlich immer weiter<br />

vorangeht.<br />

W+M: Im Vorjahr haben Sie eine überregionale<br />

Imagekampagne unter dem Motto<br />

„Brandenburg. Es kann so einfach sein“<br />

gestartet. Konnten dadurch – wie beabsichtigt<br />

– bereits neue Investoren oder auch<br />

Fachkräfte ins Land geholt werden?<br />

Dietmar Woidke: Es ist schwierig, direkte<br />

Auswirkungen solcher Kampagnen zu messen.<br />

Aber: Wir haben einen positiven Wanderungssaldo,<br />

es kommen mehr Menschen<br />

zu uns, als Menschen, die das Land verlas-<br />

MINISTERPRÄSIDENT<br />

LANDWIRTSCHAFT<br />

UND TIERPRODUKTION<br />

HU<br />

BERLIN<br />

NAUNDORF,<br />

BRANDENBURG<br />

1961<br />

sen. Darunter sind viele Rückkehrer, die das<br />

Land vor langer Zeit verließen. Unsere Kampagne<br />

trifft auf reges Interesse. Das lässt<br />

sich am Erfolg unseres unterhaltsamen und<br />

durchaus auch provokanten Videoclips erkennen.<br />

Bisher haben wir mehr als 500.000<br />

Klicks. Es ist normal, dass solche Imagekampagnen<br />

anfangs kritisiert werden. Aber


BRANDENBURG<br />

<strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong> 27<br />

Zur Person<br />

DIE LAUSITZ WIRD MIT<br />

GROSSER SICHERHEIT<br />

ALS ENERGIESTANDORT<br />

AUCH KÜNFTIG EINE<br />

GROSSE ROLLE SPIELEN.<br />

Dietmar Woidke wurde am 22.<br />

Oktober 1961 in Naundorf bei Forst<br />

geboren. Er studierte Landwirtschaft<br />

und Tierproduktion an der<br />

Berliner Humboldt-Universität.<br />

Nach der Wendezeit arbeitete<br />

Woidke als wissenschaftlicher<br />

Assistent am Berliner Institut für<br />

Ernährungsphysiologie, aber auch<br />

bei einem Unternehmen in Bayern.<br />

1993 trat er in die SPD ein und gehört<br />

seit 1994 dem Brandenburger<br />

Landtag an. Er fungierte bereits als<br />

Landwirtschafts- und als Innenminister.<br />

Seit dem 28. August 2013 ist<br />

Dietmar Woidke Ministerpräsident<br />

in Brandenburg. Er ist verheiratet<br />

und Vater einer Tochter.<br />

Dietmar Woidke


28<br />

<strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />

WAHLEN<br />

Seit 2013 Ministerpräsident in Brandenburg:<br />

Dietmar Woidke.<br />

wir stellen fest, dass unsere Kampagne den<br />

Nerv vieler Menschen trifft. Denn sie zeigt<br />

unser Land, wie es ist: Wir haben die Hauptstadt<br />

in unserer Mitte. Aber wir haben auch<br />

das zu bieten, was die Metropole Berlin<br />

nicht hat – Raum, Ruhe und viel Grün, aber<br />

auch große Entwicklungsmöglichkeiten.<br />

W+M: Die Kohlekommission hat ihren<br />

Abschlussbericht vorgelegt. Wie ist Ihre<br />

Position dazu?<br />

Dietmar Woidke: Ich halte es für eine<br />

riesengroße Leistung, dass es gelungen ist,<br />

angesichts einer hoch komplexen Ausgangssituation<br />

und der konträren Interessenlagen<br />

am Ende einen Kompromiss zu finden. Das<br />

ist gut für unsere Gesellschaft. Mein Dank<br />

an die Kommission für diese Leistung. Was<br />

das Papier konkret betrifft, bin ich froh über<br />

die Ergebnisse, die in den Bereichen Wachstum,<br />

Strukturwandel und Beschäftigung erzielt<br />

wurden. Quasi alles, was wir gefordert<br />

haben, ist in diesem Kommissionsbericht<br />

aufgenommen worden. In Sachen Planungsbeschleunigung<br />

soll es ein Gesetz für diese<br />

Region geben. Das vereinbarte Maßnahmengesetz<br />

ist für mich ein Kernpunkt. Weil die<br />

Bundesregierung nach vielen Jahrzehnten<br />

erstmals wieder in die Strukturentwicklung<br />

von Regionen einsteigt, gemeinsam<br />

mit den Landesregierungen. Das wurde viel<br />

zu lange nicht gemacht. Aber jetzt gab es<br />

den konkreten Anlass. Natürlich stellt sich<br />

nun die Frage, sollten wir das nicht auch in<br />

anderen Regionen machen, die nicht vom<br />

Kohleausstieg betroffen sind? Aus meiner<br />

Sicht ein klares Ja. Dieser Kompromiss zeigt,<br />

wenn man es will und sich zusammensetzt,<br />

kann man solche Strukturhilfen auch für die<br />

Uckermark, für Mecklenburg-Vorpommern,<br />

Thüringen und Teile Sachsens erreichen.<br />

Und das ist besonders für Ostdeutschland<br />

wichtig. Weil wir immer noch einen teilweise<br />

erheblichen Abstand zu den alten Bundesländern<br />

haben. Ein dritter Punkt ist der<br />

Staatsvertrag. Wir brauchen diese perspektivische<br />

Finanzierung für all die Aufgaben,<br />

die in fünf oder zehn Jahren anstehen und<br />

die heute noch niemand vorhersagen kann.<br />

Vierter Punkt: Wir hatten lange die Diskussion<br />

über eine Sonderwirtschaftszone. Die<br />

Bundesregierung hat zugesagt, sich bei der<br />

EU-Kommission dafür einzusetzen, dass es<br />

für die Kohleregionen im Beihilfeverfahren<br />

höhere Zuschüsse geben kann, als es in<br />

anderen Regionen bisher der Fall ist. Nach<br />

den Gesprächen mit der Bundeskanzlerin<br />

bin ich optimistisch, dass das gelingen kann.<br />

Ich will, dass unsere Lausitz eine Blaupause<br />

wird für nachhaltige Wirtschaftsentwicklung<br />

und Klimaschutz für die anderen gut 40 Kohleregionen<br />

in der EU.<br />

Dass wir darüber hinaus energiepolitisch vor<br />

großen Herausforderungen stehen, das ist<br />

allen klar. Rund 50 Prozent des Stroms in<br />

Deutschland kommen heute aus Atomkraftwerken<br />

sowie der Braun- und Steinkohle.<br />

Diesen Teil innerhalb von 20 Jahren komplett<br />

abschalten zu wollen, ist eine gigantische<br />

Aufgabe. Hier lautet die große Überschrift:<br />

Zuverlässigkeit der Versorgung durch Erneuerbare<br />

Energien. Deshalb muss endlich<br />

die Speichertechnologie klappen. Sie ist der<br />

Schlüssel zum Erfolg bei der Energiewende.<br />

Das ist nicht nur eine gewaltige Herausforderung,<br />

sondern auch eine große Chance für<br />

die deutsche Wirtschaft und somit auch für<br />

die Lausitz.<br />

W+M: Die Ministerpräsidenten der vom<br />

Kohleausstieg betroffenen ostdeutschen<br />

Länder hatten im Vorfeld vom Bund Strukturhilfen<br />

von rund 60 Milliarden Euro gefordert.<br />

Bleibt diese Forderung aktuell?<br />

Dietmar Woidke: Wenn man den Kommissionsbericht<br />

genau liest, kommt man am<br />

Ende auf etwa 70 Milliarden Euro. Die 60<br />

Milliarden Euro waren als Anstoß und Forderung<br />

gedacht, eine ehrliche Debatte darüber<br />

zu führen, was dieser grundlegende strukturelle<br />

Umstieg kostet. Ein Beispiel: Was kostet<br />

es konkret, wenn man die Prozesswärme<br />

des Kraftwerks Schwarze Pumpe ersetzen<br />

soll, die bislang dem Industriepark Schwarze<br />

Pumpe zugutekam? Davon leben Papierfab-<br />

Foto: W+M


BRANDENBURG<br />

<strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong> 29<br />

riken und viele andere Unternehmen, die aus<br />

der Kraft-Wärme-Kopplung dort Wärme beziehen.<br />

Oder was kostet es, die Wärmeversorgung<br />

der Stadt Cottbus neu zu organisieren?<br />

Das sind Fragen, die wir immer wieder<br />

formuliert haben. Genauso unsere Warnung<br />

davor, den Menschen weismachen zu wollen,<br />

man könne für 1,5 Milliarden Euro aus der<br />

Kohle aussteigen und danach sind alle glücklich.<br />

Diese Milchmädchenrechnungen haben<br />

sich glücklicherweise nicht durchgesetzt.<br />

Das zu erreichen war harte Arbeit auch von<br />

uns drei Ministerpräsidenten in Sachsen-<br />

Anhalt, Sachsen und Brandenburg. Mit den<br />

jetzt getroffenen Vereinbarungen können<br />

wir den Menschen und Unternehmen in den<br />

Kohleregionen eine Perspektive geben.<br />

W+M: Der Lausitz steht durch das absehbare<br />

Ende des Braunkohleabbaus ein weiterer<br />

einschneidender Strukturwandel bevor.<br />

Haben Sie eine Vision für den Wirtschaftsstandort<br />

Lausitz im Jahr 2040?<br />

Dietmar Woidke: Die Lausitz wird mit<br />

Sicherheit als Energiestandort auch künftig<br />

eine große Rolle spielen. Denn wir werden<br />

– neben den dezentralen Erneuerbaren -<br />

weiterhin eine stabile Energieversorgung<br />

brauchen. Aus der Lausitz kommt mehr als<br />

jede zehnte Kilowattstunde, die in Deutschland<br />

verbraucht wird. Ein großes Pfund sind<br />

die Netze, die wir hier in der Lausitz haben.<br />

Darüber hinaus wird die Lausitz ein Industriestandort<br />

bleiben. Ich habe bereits sehr<br />

positive Signale diesbezüglich erhalten, so<br />

zum Beispiel Anfang Februar bei meinem<br />

Besuch im BASF-Hauptsitz in Ludwigs hafen.<br />

Es geht dabei um den Ausbau von BASF in<br />

Schwarzheide in der Lausitz. Wir wollen<br />

Kommunales, Landespolitik, Bund und Wirtschaft<br />

zusammenbringen. Deshalb wird es<br />

auf meinen Vorschlag hin eine Investorenkonferenz<br />

in der Lausitz geben.<br />

W+M: Sie selbst pflegen einen engen<br />

Dialog mit den Menschen in Ihrem Land.<br />

Sie sprechen häufig direkt mit ihnen über<br />

Sorgen und Ängste, die im Zusammenhang<br />

mit der deutschen Flüchtlingspolitik aufgekommen<br />

sind. Wo liegen aus Ihrer Sicht die<br />

Wurzeln für die Sorgen vieler Brandenburger<br />

und darüber hinaus vieler Ostdeutscher?<br />

Dietmar Woidke: Wir sind im 30. Jahr des<br />

Mauerfalls. Da ist es schon richtig, auch mal<br />

zurückzuschauen. Wir können stolz sein auf<br />

das, was in Ostdeutschland entstanden ist.<br />

Wir können stolz sein auf die Ostdeutschen,<br />

die das Land aufgebaut haben. Wir können<br />

aber auch stolz sein auf die Westdeutschen,<br />

die uns unterstützt haben mit ihrer Arbeitskraft<br />

und ihrem Idealismus. Und wir sagen<br />

Danke für die finanzielle Unterstützung.<br />

Aber wir müssen uns auch fragen, warum<br />

die Wirtschaftskraft bei uns immer noch 20<br />

Prozent geringer ist als im Bundesdurchschnitt.<br />

Aus den Wirtschaftsdaten resultiert<br />

eine Einkommenssituation die auch 20 Prozent<br />

unter den westdeutschen Werten liegt.<br />

Und das wird von den Menschen 30 Jahre<br />

nach dem Mauerfall nicht mehr verstanden.<br />

Zumal zu der schlechteren Bezahlung auch<br />

noch eine längere Arbeitszeit kommt. Noch<br />

ein Punkt: Kein Mensch versteht, dass es<br />

in unserem geeinten Land immer noch zwei<br />

Rentensysteme gibt. Die Rentenmauer steht<br />

länger als die Mauer seinerzeit zwischen<br />

Ost und West. Wir müssen auf den Pfad der<br />

Angleichung kommen. Das muss wesentlich<br />

schneller gehen, als es in den letzten Jahren<br />

der Fall war.<br />

W+M: Kommen wir zurück in die nahe<br />

Zukunft: Befürchten Sie Auswirkungen des<br />

Brexits auf die brandenburgische Wirtschaft?<br />

Dietmar Woidke: Ich fürchte, dass es<br />

Auswirkungen geben wird. Unser Wirtschaftsministerium<br />

ist seit etlichen Monaten dabei,<br />

die brandenburgischen Unternehmen darauf<br />

vorzubereiten. Der Brexit wird aber vor allem<br />

auch der britischen Wirtschaft schaden. Allen,<br />

die ab und an Populisten an den Lippen hängen,<br />

sollte bewusst sein, dass es ohne die Lügen und<br />

die falschen Versprechen, die es im Vorfeld der<br />

Brexit-Abstimmung gab, nie zu dem Chaos und<br />

dem Abschwung gekommen wäre, den wir heute<br />

in Großbritannien beobachten. Daraus sollten<br />

manche hier in Deutschland ihre Lehren ziehen.<br />

Hört nicht auf die Populisten, die sich dann, wenn<br />

es ernst wird, vom Acker machen.<br />

W+M: Gibt es für Sie als Ministerpräsident<br />

konkrete Projekte, die Sie bis zur Landtagswahl<br />

noch prioritär umsetzen wollen?<br />

Dietmar Woidke: Wichtig ist die Strukturentwicklung<br />

der Lausitz. Hier sollen<br />

schon im April die Rahmen für die Maßnahmengesetze<br />

des Bundes stehen und dann<br />

in den Bundestag eingebracht werden.<br />

Wir werden natürlich weitermachen in den<br />

Bereichen, die unser Land besonders interessieren<br />

– etwa bei der Gesundheitsversorgung<br />

im ländlichen Raum. Und wir werden<br />

gemeinsam mit der Wirtschaft Investitionen<br />

und Maßnahmen zur Fachkräftesicherung<br />

anschieben. Gerade die Fachkräftesicherung<br />

ist und bleibt eine große Herausforderung<br />

speziell für Ostdeutschland. Und die beginnt<br />

bereits in der Kita und Grundschule. Mit Blick<br />

auf die Zukunft kommt es jetzt darauf an,<br />

für Ostdeutschland und die Ostdeutschen<br />

echte Chancengleichheit und erstklassige<br />

Perspektiven zu schaffen. Wir müssen dafür<br />

sorgen, dass der weitere Aufbau Ost etwas<br />

anderes wird als ein weiterer „Nachbau<br />

West“. Stattdessen brauchen wir die Chance,<br />

auf bestimmten Gebieten zu einem echten<br />

„Vorsprung Ost“ zu kommen: in Infrastruktur<br />

und Zukunftstechnologien, in Forschung<br />

und Bildung. Dann wird über ostdeutsche<br />

Lebensleistungen wenigstens in Zukunft<br />

niemand mehr hinweggehen können.<br />

W+M: Wie stark spüren Sie persönlich<br />

den Druck der Verantwortung, derjenige<br />

zu sein, der die seit der Deutschen Einheit<br />

ununterbrochene Vormachtstellung der SPD<br />

in Brandenburg – vor dem Hintergrund der<br />

Umfragewerte – auch in der nächsten Legislaturperiode<br />

fortsetzen soll?<br />

Dietmar Woidke: Ich bin viel im Land unterwegs.<br />

Ich merke, dass es eine gute Stimmung<br />

gibt. Aber ich merke auch den großen<br />

Bedarf der Menschen, in direkten Dialog mit<br />

der Politik zu treten. Daher kann ich allen<br />

nur raten, das betrifft alle Parteien und alle<br />

Ebenen, ihn zu suchen und zu nutzen. Denn<br />

der Dialog ist der beste Weg zur Lösung<br />

konkreter Probleme. Ich bin optimistisch,<br />

was unser Land betrifft. Denn die Brandenburger<br />

haben eines verinnerlicht: Probleme<br />

entstehen, wenn wir nicht zusammenhalten.<br />

Deshalb ist der Zusammenhalt unser Thema,<br />

nicht Hass und Zwietracht.<br />

W+M: Im Vorfeld von Wahlen spricht man<br />

eher nicht über mögliche Koalitionen. Daher<br />

die Frage: Was halten Sie von der Überlegung<br />

des brandenburgischen CDU-Landeschefs<br />

Ingo Senftleben, im Fall der Fälle ein<br />

in Deutschland auf Landesebene einmaliges<br />

Bündnis einzugehen – mit den Linken?<br />

Dietmar Woidke: Das muss er mit sich<br />

selber ausmachen. Zumindest hat diese<br />

Aussage, gelinde gesagt, in der CDU für<br />

große Verunsicherung gesorgt.


30 <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />

WAHLEN<br />

„ ICH SPÜRE ZUVERSICHT,<br />

MUT UND EINEN NEUEN<br />

AUFBRUCH BEI UNS IM LAND “<br />

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) über Millioneninvestitionen,<br />

die Lebensleistung der Ostdeutschen und seine Chancen, Regierungschef im Freistaat zu bleiben<br />

INTERVIEW: KARSTEN HINTZMANN UND FRANK NEHRING<br />

Zur Person<br />

Michael Kretschmer wurde am 7.<br />

Mai 1975 in Görlitz geboren. Nach<br />

der Mittleren Reife absolvierte er<br />

eine Ausbildung zum Büroinformationselektroniker.<br />

1998 erwarb er<br />

auf dem zweiten Bildungsweg die<br />

Fachhochschulreife. Er nahm ein<br />

Studium des Wirtschaftsingenieurwesens<br />

an der Hochschule für<br />

Technik und Wirtschaft in Dresden<br />

auf, das er im Jahr 2002 als<br />

Diplom-Wirtschaftsingenieur (FH)<br />

abschloss. Politisch aktiv wurde<br />

Kretschmer im Jahr 1989. Damals<br />

trat er in die Christlich-Demokratische<br />

Jugend ein. Ab 2005 war er<br />

über viele Jahre Generalsekretär der<br />

sächsischen CDU. Seit Dezember<br />

2017 ist er Landesvorsitzender der<br />

Sachsen-CDU. Von 2002 bis 2017<br />

war er Bundestagsabgeordneter,<br />

wobei er stets ein Direktmandat<br />

gewann. Am 13. Dezember 2017<br />

wählte ihn der Sächsische Landtag<br />

zum Ministerpräsidenten. Michael<br />

Kretschmer ist Vater zweier Söhne.<br />

W+M: Sie sind seit Dezember 2017 Ministerpräsident<br />

des Freistaates Sachsen. Wie sieht Ihre<br />

persönliche Zwischenbilanz als Regierungschef<br />

aus?<br />

Michael Kretschmer: Es waren sehr<br />

anstrengende, aber vor allem sehr faszinierende<br />

Momente. Gemeinsam haben wir in den<br />

vergangenen Monaten viel bewegt und auf den<br />

Weg gebracht. Der Freistaat handelt. Mit dem<br />

Doppelhaushalt hat der Landtag in Dresden Ende<br />

2018 ein Programm für die Zukunft unserer<br />

sächsischen Heimat beschlossen. Wir kümmern<br />

uns um einen starken und verlässlichen Staat.<br />

Unter anderem geht es um mehr Polizisten und<br />

Lehrer, starke Kommunen und eine moderne Infrastruktur<br />

gerade auch im ländlichen Raum. Wir<br />

stärken Kulturangebote und Ehrenamt. Ich spüre<br />

Zuversicht, Mut und einen neuen Aufbruch bei<br />

uns im Land. Und ich bin froh darüber, dass sich<br />

so viele Menschen einbringen und für ihre Heimat<br />

interessieren.<br />

W+M: Wie ist es aktuell um Sachsens Wirtschaft<br />

bestellt (ein paar aussagekräftige und<br />

vergleichende Zahlen und Fakten)?<br />

Michael Kretschmer: Sachsens Wirtschaft<br />

ist auf Wachstumskurs. Im ersten Halbjahr 2018<br />

betrug das Plus 2,1 Prozent gegenüber dem<br />

Vergleichszeitraum des Vorjahrs. Das Bruttoinlandsprodukt<br />

ist von 2010 bis 2017 um 13,8<br />

Prozent gewachsen. Ob in der Mikroelektronik,<br />

der Automobilindustrie oder im Maschinen- und<br />

Anlagenbau – unsere Unternehmen sind gut aufgestellt,<br />

die Produkte und Dienstleistungen made<br />

in Saxony gefragt. Mit gezielter Forschungsförderung<br />

unterstützen wir die Unternehmen<br />

dabei. Handwerk, Tourismus und Dienstleister<br />

bilden einen breiten Mittelstand, der überregional<br />

wettbewerbsfähig ist. Sächsische Erzeugnisse<br />

werden weltweit exportiert: 2017 waren es mit<br />

41,3 Milliarden Euro so viele Waren wie nie zuvor.<br />

Gleichzeitig ist die Arbeitslosigkeit auf ein Rekordtief<br />

gesunken, die Erwerbstätigkeit auf einen<br />

Höchststand.<br />

W+M: In jüngster Vergangenheit haben sich<br />

zahlreiche in- und ausländische Unternehmen für<br />

Investitionen in Sachsen entschieden – unter anderem<br />

Daimler und Bosch. Wie geht es mit diesen<br />

Investitionen voran?<br />

Michael Kretschmer: Die Investition von<br />

Daimler in eine zweite Batteriefabrik in Kamenz<br />

stärkt den Standort und gibt der gesamten Wirtschaft<br />

einen neuen Schub. In der Region entsteht<br />

eine der modernsten Batterieproduktionen weltweit.<br />

Auch der Aufbau des neuen Bosch-Werks in<br />

Dresden kommt gut voran. Für eine Milliarde Euro<br />

baut Bosch bis Ende <strong>2019</strong> ein Hightech-Werk und<br />

will Hunderte neue Stellen schaffen. Geplant ist<br />

die Fertigung von Chips unter anderem für die<br />

E-Mobilität und das „Internet der Dinge“. Mehr als<br />

eine Milliarde Euro will Volkswagen in Sachsen<br />

investieren. VW stellt in Zwickau komplett auf<br />

Elektrofahrzeuge um. All dies stärkt Sachsen als<br />

Standort von Zukunftstechnologien. Entscheidend<br />

dafür, dass es rund läuft, sind nicht zuletzt<br />

die vielen kleineren und mittelständischen Unternehmen<br />

und die Investitionen gerade in diesem<br />

Bereich.<br />

W+M: Für all diese Investitionen gab es auch<br />

andere Bewerber in Deutschland und Europa.<br />

Warum hat sich Sachsen in diesem Wettstreit<br />

durchgesetzt?<br />

Michael Kretschmer: Sachsen ist ein<br />

ausgesprochen industrie- und innovationsfreundliches<br />

Land mit langer Tradition und ein<br />

attraktiver Wirtschaftsstandort. Es hat sich


SACHSEN<br />

<strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong> 31<br />

herumgesprochen, dass wir seit mehr als 25<br />

Jahren eine kluge und verlässliche Ansiedlungspolitik<br />

machen: Investoren werden von der<br />

Idee bis zur Realisierung intensiv begleitet und<br />

unterstützt. Die Investoren selbst wiederum<br />

schätzen vor allem die gut ausgebildeten<br />

Fachkräfte, eine exzellente Hochschul- und<br />

Forschungslandschaft, eine gut ausgebaute Infrastruktur,<br />

verfügbare und bezahlbare Gewerbegrundstücke<br />

sowie die Nähe zu Osteuropa.<br />

Eine wichtige Rolle spielt natürlich auch, dass<br />

Sachsen ein guter Ort zum Leben ist.<br />

W+M: Seit der Flüchtlingskrise gab es in Ihrem<br />

Land wiederholt ausländerfeindliche Aktivitäten.<br />

Gibt es konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die<br />

immer wieder artikulierten Vorbehalte gegenüber<br />

Ausländern sowie das Erstarken von AfD und<br />

Pegida Investoren oder auch kluge Köpfe, die gern<br />

als Führungs- oder Fachkräfte ins Land kommen<br />

würden, abschrecken?<br />

Michael Kretschmer: Es ist wichtig, dass<br />

wir uns gemeinsam für Demokratie und für den<br />

Zusammenhalt unserer Gesellschaft einsetzen.<br />

In Sachsen gibt es unzählige Menschen, die sich<br />

jeden Tag in unterschiedlicher Form einbringen. Die<br />

zahlreichen Gesprächspartner aus Wirtschaft, Wissenschaft<br />

sowie Kunst und Kultur, mit denen ich in<br />

den vergangenen Monaten gesprochen habe, sind<br />

sehr gut darüber informiert, dass die übergroße<br />

Mehrheit der Sachsen nichts für extreme Positionen<br />

übrig hat und stattdessen für Austausch und<br />

Begegnung ist. Sachsen ist fröhlich und lebenswert.<br />

Das belegen auch die 2018 wieder einmal gestiegenen<br />

Zahlen der Gäste aus dem In- und Ausland, die<br />

sich bei uns im Freistaat sehr wohl fühlen.<br />

DRESDEN<br />

GÖRLITZ


32 <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />

WAHLEN<br />

Seit Ende 2017 Ministerpräsident in Sachsen: Michael Kretschmer.<br />

W+M: Sie selbst pflegen einen engen Dialog<br />

mit den Menschen in Ihrem Land. Sie sprechen<br />

häufig direkt mit ihnen über Sorgen und Ängste,<br />

die im Zusammenhang mit der deutschen<br />

Flüchtlingspolitik aufgekommen sind. Wo liegen<br />

aus Ihrer Sicht die Wurzeln für die Sorgen vieler<br />

Sachsen und darüber hinaus vieler Ostdeutscher?<br />

Michael Kretschmer: Klar ist, dass wir in<br />

Deutschland einen parteiübergreifenden Konsens<br />

in der Migrationspolitik brauchen. So ist es frustrierend,<br />

wenn wir beispielsweise bei der Frage<br />

der sicheren Herkunftsländer seit Jahren nicht<br />

vorankommen, weil die Grünen das im Bundesrat<br />

blockieren. Das ärgert viele Menschen – nicht nur<br />

in Sachsen.<br />

Ich bin sehr froh über die verschiedenen Dialogformate.<br />

Viele Sachsen haben Ideen, möchten<br />

sich einbringen. Es ist gut, dass wir gemeinsam<br />

in diesem intensiven Dialog sind. Zur Sprache<br />

kommen ganz verschiedene Themen, die Flüchtlingspolitik<br />

ist eines von vielen. Ein sehr wichtiger<br />

Punkt ist, dass der Staat handlungsfähig ist. Genau<br />

da haben wir in Sachsen angesetzt: Das tun<br />

wir unter anderem mit mehr Lehrern, Polizisten<br />

und Staatsanwälten. Und wir wollen den ländlichen<br />

Raum weiterentwickeln. Deshalb klemmen<br />

wir uns dahinter, damit wir beim Breitbandausbau<br />

und beim Nahverkehr besser werden.<br />

W+M: Glauben Sie, dass die Lebensleistung<br />

der Ostdeutschen im geeinten Deutschland<br />

bislang zu wenig gewürdigt wurde? Wenn ja, was<br />

sollte die Landes- und auch Bundespolitik tun,<br />

um das zu ändern?<br />

Michael Kretschmer: Es ist wichtig, dass<br />

wir anständig miteinander umgehen, zuhören<br />

und anerkennen, was andere<br />

leisten oder geleistet<br />

haben. Das gehört sich so.<br />

Mir geht es auch darum,<br />

Mut zu machen und Dinge<br />

voranzubringen. Dabei<br />

kann ein Blick zurück hilfreich<br />

sein. Anfang der 90er-<br />

Jahre war die Situation im<br />

Osten der Republik extrem<br />

schwierig, es gab Massenarbeitslosigkeit.<br />

Die Lage<br />

schien hoffnungslos. Aber<br />

alle hatten die Zuversicht,<br />

dass etwas Positives entsteht.<br />

In drei Jahrzehnten<br />

SACHSEN IST EIN AUSGE-<br />

SPROCHEN INDUSTRIE-<br />

UND INNOVATIONS-<br />

FREUNDLICHES LAND<br />

MIT LANGER TRADITION.<br />

Michael Kretschmer<br />

Michael Kretschmer: Wir wollen, dass<br />

der Strukturwandel im Mitteldeutschen Revier<br />

und der Lausitz eine Erfolgsgeschichte wird. Die<br />

Ergebnisse der Kohlekommission und die vorgesehenen<br />

Milliarden-Zuschüsse vom Bund sind<br />

dafür eine gute Grundlage. Jetzt geht es darum,<br />

Nägel mit Köpfen zu machen. Unser Ziel ist eine<br />

moderne Infrastruktur – und damit entscheidende<br />

Standortvorteile und eine große Dynamik.<br />

Es geht unter anderem um eine neue Ost-West<br />

Straßenverbindung zwischen Mitteldeutschland<br />

und der Lausitz und eine ICE-Verbindung von<br />

Berlin über Cottbus nach Weißwasser und weiter<br />

nach Görlitz. Wir brauchen ein beschleunigtes<br />

Planungsrecht, damit das zügig kommt. Zusätzlich<br />

brauchen wir Forschungseinrichtungen. Wir<br />

werden hier dranbleiben. Damit neue Investitionen,<br />

Beschäftigung und künftiger Wohlstand<br />

möglich werden. Ich bin sicher: Aus traditionsreichen<br />

Energieregionen werden so starke<br />

Zukunftsregionen mit guten Arbeitsplätzen im<br />

Herzen Europas.<br />

W+M: Kommen wir zurück in die nahe Zukunft:<br />

Befürchten Sie Auswirkungen des Brexits auf die<br />

sächsische Wirtschaft?<br />

Michael Kretschmer: Das Vereinigte<br />

Königreich ist unser drittgrößter Exportmarkt<br />

nach China und den USA. Bei einem harten Brexit<br />

kommen gerade auf exportstarke Branchen wie<br />

den Kraftfahrzeugbau oder<br />

den Maschinebau neue<br />

Belastungen zu – mehr<br />

Bürokratie und Zollformalitäten.<br />

Wichtig ist, dass wir<br />

in jedem Fall eine vertrauensvolle<br />

künftige Partnerschaft<br />

vereinbaren. Für<br />

eine stabile und starke EU<br />

ist die Zusammenarbeit mit<br />

den Briten auch nach dem<br />

Austritt unverzichtbar.<br />

W+M: In der deutschen<br />

Wirtschaft wird der Ruf<br />

lauter, die Sanktionen<br />

ist nicht alles, aber bemerkenswert viel gelungen. gegen Russland zu überdenken und eine neue<br />

Und die Herausforderungen sind im Vergleich zu Etappe der deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen<br />

einzuläuten. Wie stehen Sie dazu?<br />

den 90er-Jahren viel kleiner. Die Menschen hier<br />

können im Wissen darum mit großer Zuversicht<br />

und Selbstvertrauen an die Dinge herangehen. Michael Kretschmer: Die Sanktionen<br />

sollten so bald wie möglich auslaufen. Voraussetzung<br />

dafür ist die Umsetzung der Minsker-<br />

W+M: Der Lausitz steht durch das absehbare<br />

Ende des Braunkohleabbaus ein weiterer einschneidender<br />

Strukturwandel bevor. Haben Sie eine Vision in Russland nach wie vor hohe Wertschätzung,<br />

Vereinbarungen. Deutsche Produkte genießen<br />

für den Wirtschaftsstandort Lausitz im Jahr 2040? das versichern mir russische Politiker immer<br />

Foto: CDU Landesverband


SACHSEN<br />

<strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />

33<br />

wieder. Wenn die Sanktionen noch deutlich länger<br />

aufrechterhalten werden, ist die Gefahr groß, den<br />

russischen Markt komplett an Wettbewerber –<br />

vor allem aus China – zu verlieren. Unabhängig<br />

von den Sanktionen und anderen Faktoren, die<br />

die russische Wirtschaft belasten, setzen wir uns<br />

für einen Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen zu<br />

Russland ein.<br />

W+M: Die deutsche Automobilbranche steht<br />

aktuell stark unter Druck. Betroffen ist davon<br />

auch Sachsen, da hier besonders viele Zulieferund<br />

Fertigungsfirmen angesiedelt sind. Was tut<br />

Ihre Regierung für besonders hart betroffene<br />

Unternehmen?<br />

Michael Kretschmer: In Sachsens Automobilbau<br />

gab es 2018 – nach mehreren sehr<br />

guten Jahren – einen Rückgang der Produktion.<br />

Eine Rolle dabei spielen auch Sondereffekte. Zum<br />

einen die Umstellung, die sich aus dem neuen<br />

Abgasprüfstandard ergeben hat. Zum anderen<br />

ist bereits im vergangenen Jahr der Umbau des<br />

Volkswagenwerks Zwickau angelaufen. Europas<br />

größter Autobauer rüstet dort komplett auf<br />

E-Autos um. Volkswagen investiert inklusive<br />

Weiterbildung 1,2 Milliarden Euro in den Standort<br />

– Sachsen entwickelt sich somit zum Kompetenzzentrum<br />

für Elektromobilität in Europa. Wir<br />

haben vor diesem Hintergrund auch die Zulieferer<br />

im Blick. Geplant sind noch im zweiten Quartal<br />

verschiedene Veranstaltungen gemeinsam mit<br />

dem Netzwerk Automobilzulieferer Sachsen.<br />

Grundlage soll eine Analyse sein, die der Freistaat<br />

in Auftrag gegeben hat.<br />

W+M: Gibt es für Sie als Ministerpräsident<br />

konkrete Projekte, die Sie bis zur Landtagswahl<br />

am 1. September noch prioritär umsetzen<br />

wollen?<br />

Michael Kretschmer: Viele wichtige Dinge<br />

haben wir auf den Weg gebracht. So haben wir als<br />

Freistaat die Voraussetzungen dafür geschaffen,<br />

dass es beim Breitbandausbau vorangehen kann.<br />

700 Millionen Euro stehen dafür bereit. Jetzt geht<br />

es darum, die vielen kleinen und großen Vorhaben<br />

umzusetzen. Das gilt auch für den Strukturwandel<br />

in der Lausitz, für den wir den Bund als<br />

wichtigen Verbündeten brauchen. Das gilt auch<br />

für den ländlichen Raum, den wir als Zukunftsregion<br />

weiter stärken wollen.<br />

W+M: Woraus schöpfen Sie Hoffnung, dass<br />

Sie mit Ihrer CDU am Wahlabend unverändert<br />

stärkste politische Kraft in Sachsen sein werden?<br />

Michael Kretschmer: Die Stimmung im<br />

Land ist besser geworden. Die Leute merken,<br />

dass es einen neuen Schwung gibt. Wir sind im<br />

Gespräch mit den Menschen. Sie spüren, dass es<br />

uns um die Sache geht. Und dass wir mit großer<br />

Zuversicht und auch Freude daran arbeiten, dass<br />

unser Land eine gute Zukunft hat.<br />

W+M: Im Vorfeld von Wahlen spricht man eher<br />

nicht über mögliche Koalitionen. Daher die konkrete<br />

Frage: Was halten Sie von der Überlegung<br />

des brandenburgischen CDU-Landeschefs Ingo<br />

Senftleben, im Fall der Fälle ein in Deutschland<br />

auf Landesebene einmaliges Bündnis einzugehen<br />

– mit den Linken?<br />

Michael Kretschmer: Ich kann nur für Sachsen<br />

sprechen. Für mich ist das kein Thema.<br />

*Finanzierungspartner sind Geschäftsbanken, Sparkassen, Genossenschaftsbanken und Direktbanken.<br />

Weiterdenker wissen, wann sich<br />

Energieeffizienz lohnt. Sofort.<br />

Die KfW fördert in- und ausländische Unternehmen und Freiberufler. Im Auftrag der Bundesregierung unterstützt sie mit Förderprogrammen<br />

für mehr Energieeffizienz Entscheider, die weiterdenken. Denn es lohnt sich, in hocheffiziente Technologien zur energetischen<br />

Optimierung von Produktionsanlagen und -prozessen, in Wärmerückgewinnung oder eine energieeffiziente Gebäudeanlagentechnik zu<br />

investieren. Verbessern Sie Ihre Wettbewerbsposition und schonen Sie gleichzeitig die Umwelt – die KfW unterstützt Sie dabei mit günstigen<br />

Finanzierungen und teilweise hohen Tilgungszuschüssen. Weitere Informationen bei Ihrem Finanzierungspartner* oder unter<br />

www.kfw.de/energieeffizienz


34 <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />

WAHLEN<br />

„ BEFÜRCHTUNGEN, DASS<br />

SICH DAS SCHEUE REH NAMENS<br />

KAPITAL VOM ACKER MACHEN<br />

WERDE, WENN IN THÜRINGEN<br />

EIN LINKER REGIERT, SIND<br />

GANZ OFFENSICHTLICH NICHT<br />

REALITÄT GEWORDEN “<br />

Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow zieht die Bilanz seiner Arbeit<br />

als erster linker Regierungschef in Deutschland<br />

INTERVIEW: KARSTEN HINTZMANN UND FRANK NEHRING<br />

W+M: In diesen Monaten biegen Sie auf die<br />

Zielgerade Ihrer ersten Amtszeit als Thüringer<br />

Ministerpräsident ein. Wie sieht Ihre wirtschaftspolitische<br />

Bilanz aus?<br />

Das trifft leider noch nicht auf die öffentliche Verwaltung<br />

zu. Hier haben wir erheblichen Nachholbedarf.<br />

An Estland gemessen, befinden wir uns<br />

da noch in der Steinzeit.<br />

Form der Industriefabrikation gelebt. Die sind so in Vietnam sind wir diesbezüglich aktiv. Aber um<br />

produktiv, dass sie Fertigung aus China zurückholen.<br />

auf Ihre Frage zurückzukommen: Die zu Beginn<br />

Davon haben wir bei uns sehr viele Betriebe. meiner Amtszeit mitunter geäußerten<br />

Befürchtungen,<br />

dass sich das scheue Reh namens Kapital<br />

vom Acker machen werde, wenn in Thüringen<br />

ein Linker regiert, sind ganz offensichtlich nicht<br />

Realität geworden.<br />

Bodo Ramelow: Ich denke, wir können<br />

W+M: Wo sehen Sie weitere Entwicklungspotenziale<br />

in ihrem Land?<br />

zufrieden sein mit dem Entwicklungsprozess<br />

Thüringens in den vergangenen vier Jahren. Unser<br />

Wettbewerbsvorteil besteht darin, dass wir kein Bodo Ramelow: Denken Sie an den ICEmonostrukturiertes<br />

Bundesland sind. Dadurch Knoten in der Landeshauptstadt und die damit<br />

sind wir nicht der Gefahr ausgesetzt, kurzatmig verbundene Chance, dass Erfurt zur führenden<br />

zu werden, sobald eine Branche schwächelt. Konferenzstadt im Zentrum Deutschlands<br />

Wir sind sehr vielfältig<br />

wird. Wir sind in einem<br />

aufgestellt. Wir haben 62<br />

Umgestaltungsprozess,<br />

Firmen, die sind in Europa<br />

oder weltweit Marktführer.<br />

Wir mischen also in<br />

vielen Märkten mit eigenen<br />

Impulsen mit. Viele unserer<br />

Unternehmen sind bereits<br />

stark digitalisiert. Die Firma<br />

Wago in Sondershausen<br />

beispielsweise ist mit<br />

seinen 1.200 Mitarbeitern<br />

bereits im Zeitalter von<br />

Industrie 4.0 angekommen.<br />

Dort wird die modernste<br />

LEIDER HAT DER BUND<br />

DERZEIT KEINEN<br />

INSGESAMT<br />

SCHLÜSSIGEN PLAN<br />

FÜR DIE ENERGIEWENDE.<br />

Bodo Ramelow<br />

der uns unglaublich stark<br />

macht. Gemessen an 1.000<br />

Einwohnern liegen wir bei<br />

Industriearbeitsplätzen auf<br />

Platz vier in Deutschland.<br />

Wir belegen Platz eins bei<br />

kleinen und mittelständischen<br />

Betrieben.<br />

Unser größtes Problem<br />

sind aktuell die Fachkräfte.<br />

Über die IHK und HWK rekrutieren<br />

wir derzeit Bewerber<br />

in der Ukraine und auch<br />

W+M: Der chinesische Batteriehersteller CATL<br />

baut in Erfurt ein hochmodernes Batteriewerk.<br />

Ist das Projekt im Plan? Wann sollen die ersten<br />

Batterien gefertigt werden?<br />

Bodo Ramelow: Wir sind im Plan. Die Chinesen<br />

sind bei ihrer europäischen Standortprüfung<br />

aus einem konkreten Grund hierher nach Erfurt<br />

gekommen – auch weil wir in Hermsdorf das<br />

IKTS-Forschungszentrum für Energiespeicherung<br />

und Hochleistungskeramik haben. Das war<br />

und ist wichtig für CATL. Weil damit eine sehr<br />

gute Forschungsbasis für Energiespeicherung<br />

vorhanden ist, jenseits von Lithiumionen.<br />

W+M: Hat die CATL-Investition dazu geführt,<br />

dass sich im Umfeld weitere Unternehmen ansiedeln<br />

werden?<br />

Bodo Ramelow: Wir konnten schon einige<br />

willkommen heißen, etwa den Turbolader-<br />

Hersteller IHI, der seine Fertigung aus Baden-<br />

Württemberg zu uns verlegt hat, um in der Nähe<br />

von CATL zu sein. Und weitere werden dazu<br />

kommen.


THÜRINGEN<br />

<strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />

35<br />

MINISTERPRÄSIDENT<br />

GEWERKSCHAFTS-<br />

SEKRETÄR<br />

OSTERHOLZ-SCHARMBECK,<br />

NIEDERSACHSEN<br />

1956<br />

Foto: W+M<br />

> Seit 2014 Ministerpräsident in Thüringen: Bodo Ramelow.


36 <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />

WAHLEN<br />

W+M: Thüringen verfügt über eine starke<br />

Automobil- und Automotivbranche. Inwieweit<br />

sind Standorte wie Eisenach oder Kölleda von<br />

der aktuellen Krise der deutschen Autobauer<br />

betroffen?<br />

Bodo Ramelow: Wir müssen hier unterscheiden.<br />

Über den Dieselskandal und den damit<br />

verbundenen Betrug an den Kunden bin ich nach<br />

wie vor empört, auch durchaus persönlich. Ich<br />

bin seit vielen Jahren Dieselfahrer. Ich fühle mich<br />

von den deutschen Markenherstellern ziemlich<br />

geleimt. Sie sind nicht korrekt mit ihren Kunden<br />

umgegangen. Ein Teilaspekt dieser Krise trifft<br />

auch unseren Motorenhersteller in Kölleda. Denn<br />

Dieselmotoren liegen zurzeit leider fest im Regal,<br />

obwohl die dort produzierten Diesel sauber sind.<br />

Ich habe ohnehin den Eindruck, dass in dieser<br />

Debatte einiges schief läuft. Jetzt wird so getan,<br />

als wenn die Frage des Verbrenners ein tot gelaufenes<br />

Thema ist und man von heute auf morgen<br />

auf Elektromotoren umsteigen könnte. Das ist<br />

meines Erachtens eine völlig überzogene und<br />

weltfremde Debatte. Zumal die Entwicklungen<br />

auf dem Batteriesektor und der Elektroversorgung<br />

noch gar nicht so weit sind. Und wir sollten<br />

beachten: Bei der Herstellung eines Elektro-<br />

Motors fallen rund ein Drittel der mechanischen<br />

Bauteile weg. Darauf müssen sich die Autozulieferer<br />

auch bei uns dann rechtzeitig einstellen,<br />

denn wir haben in unserem Land viele Zulieferer<br />

für Schaltgetriebe.<br />

Leider hat der Bund derzeit keinen insgesamt<br />

schlüssigen Plan für die Energiewende, zu der ja<br />

auch die Elektromobilität gehört. Wir brauchen<br />

einen Masterplan für die Energiewende.<br />

W+M: Jena ist in vielerlei Hinsicht ein wirtschaftlicher<br />

und zugleich wissenschaftlicher<br />

Leuchtturm. Welche Vision haben Sie für Jena im<br />

Jahr 2030?<br />

Bodo Ramelow: Ich bin zuversichtlich, dass<br />

Jena eine strahlende Zukunft vor sich hat. Das<br />

Besondere an Jena ist – dort kennt man sich, es<br />

ist eine überschaubare aber zugleich auch eine<br />

prosperierende Stadt. Carl Zeiss baut gerade<br />

einen neuen Campus in Jena-West. Geografisch<br />

bedingt, Jena liegt in einem Talkessel, fehlt es in<br />

der Stadt an Bauland. Dafür wollen wir die Stadt<br />

besser mit dem Umland verbinden. Mit höherem<br />

S-Bahn-Takt und einer besseren Einbindung der<br />

regionalen Schienenstränge. Derzeit sind in Jena<br />

zwei Milliarden Euro an Investitionen platziert,<br />

dort passiert also eine Menge. Auch neben Carl<br />

Zeiss.<br />

W+M: Der Bund gibt in den kommenden<br />

Jahren rund 60 Milliarden Euro für den Strukturwandel<br />

in den Braunkohleregionen aus. Davon<br />

profitieren besonders Brandenburg, Sachsen und<br />

Sachsen-Anhalt. Befürchten Sie, dass dadurch<br />

am Ende das Geld für wichtige Strukturentwicklungen<br />

in Ihrem Land fehlen könnte?<br />

Bodo Ramelow: Ganz im Gegenteil. Es ist<br />

richtig, dass meine Ministerpräsidenten-Kollegen<br />

das sehr hart und intensiv verhandelt haben. Weil<br />

unter den 36 in Ostdeutschland beheimateten<br />

Großbetrieben mindestens fünf Betriebe sind, die<br />

von der Dekarbonisierung direkt betroffen sind.<br />

Und die verliert man nicht gern als Steuerzahler.<br />

Deswegen hatte ich meinen Kollegen auch viel<br />

Fortune gewünscht. Wir in Thüringen haben<br />

uns in der Mitte Deutschlands gut aufgestellt.<br />

Aber ich habe nichts davon, wenn die Lausitz<br />

demnächst verödet. Deshalb hatten wir nie eine<br />

Neiddiskussion untereinander. Außerdem sind<br />

wir beim Kohleausstieg nicht ganz unbeteiligt.<br />

Wir haben Tagebaureste in der Region Altenburg/<br />

Schmölln, deshalb waren oder sind die MIBRAG<br />

und die LMBV bei uns auch noch Sanierungsträger.<br />

Und was die Kollegen gut gemacht haben, sie<br />

haben an eine Schienenverbindung bis nach Jena<br />

gedacht und diese mit dem Bund auf die Agenda<br />

gesetzt. Die 60 Milliarden Euro sind also kein<br />

Neidthema, sondern bebildern ein ostdeutsches<br />

Entwicklungsthema.<br />

W+M: Brandenburg und Sachsen-Anhalt haben<br />

vor kurzem neue Imagekampagnen gestartet,<br />

um im In- und Ausland bekannter zu werden.<br />

Aus Thüringen hört man in dieser Hinsicht wenig.<br />

Woran liegt das?


THÜRINGEN<br />

<strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong> 37<br />

Bodo Ramelow: Wir haben eine durchgängige<br />

Imagekampagne, die ist unaufdringlich, aber<br />

sehr wirksam. Man muss nicht jedes Jahr viel<br />

Geld ausgeben, um etwas zu ersetzen, was gut<br />

funktioniert. Es hat viele Jahre gedauert, ehe wir<br />

unsere Kampagne auf dem Gleis hatten. Es begann<br />

seinerzeit unter Matthias Machnig (Anmerkung<br />

der Redaktion: Machnig war von 2009 bis<br />

2013 Wirtschaftsminister in Thüringen). Ich habe<br />

damals als Oppositionspolitiker darüber gespöttelt.<br />

Aber wenn eine Kampagne erst einmal auf<br />

den Schienen steht, dann darf man den Zug nicht<br />

sofort wieder umstoßen. Imagewerbung braucht<br />

Zeit. Wir sind jetzt erst soweit, dass wir unseren<br />

eigenen Webauftritt in unsere Kampagne eingebunden<br />

haben. Davor waren es unsere Auftritte<br />

auf der ITB und bei der Grünen Woche. Jetzt ist<br />

das alles stimmig. Wenn Sie heute zu uns auf die<br />

Grüne Woche kommen – das ist der Knaller! Die<br />

Thüringenhalle in Berlin ist das Bratwurstschaufenster<br />

Nummer 1. Und der Weihnachtsmarkt in<br />

Erfurt ist mittlerweile der drittumsatzstärkste<br />

Weihnachtsmarkt in Deutschland. Ganz unaufgeregt<br />

verkaufen wir überall Thüringer Tourismus<br />

mit unserer blauen Farbe.<br />

W+M: Im kommenden Jahr begeht Deutschland<br />

den 30. Jahrestag der Wiedervereinigung.<br />

Ein wichtiges Thema für Ihre Partei war über die<br />

Jahre die Forderung, dass mehr Menschen mit<br />

ostdeutschen Biografien in deutsche Spitzenämter<br />

gelangen müssen. Wie verhält es sich damit<br />

aktuell in Thüringen?<br />

Bodo Ramelow: Die Debatte auf eine Quote<br />

zu reduzieren, erscheint mir eher seltsam. Denn<br />

was wäre der Indikator? Das Geburtsdatum? Der<br />

Geburtsort? Dann wäre Frau Merkel keine Ostdeutsche,<br />

denn sie wurde in Hamburg geboren.<br />

Bernhard Vogel und ich sind beide Niedersachsen.<br />

Aber wenn Sie in Thüringen nach Bernhard Vogel<br />

fragen, dann werden alle sagen: Das war der Landesvater.<br />

Mein Vater stammt aus Salzwedel und<br />

meine Familie hat zur Hälfte in der DDR gelebt,<br />

ohne dass wir als Westfamilie mit ihnen Kontakt<br />

hatten. Das war teilungs- und scheidungsbedingt<br />

so und änderte sich erst in den 1980er Jahren.<br />

Die Frage ist aber dann legitim, wenn in allen öffentlichen<br />

Ämtern ausschließlich Westdeutsche<br />

sitzen. Man muss aber wissen, das sind immer<br />

noch die Aufbauhelfer, die gleich nach der Wende<br />

gekommen sind. Deren Platz wird erst frei, wenn<br />

sie in Rente gehen. Wir müssen uns daher jetzt<br />

um die nachfolgende Generation kümmern. Das<br />

deutsch-deutsche Missverständnis lag doch vor<br />

allem darin begründet, dass in den ersten Jahren<br />

nach der deutschen Einheit alles abgeschafft und<br />

beseitigt wurde, was nach DDR roch. Das war ein<br />

schwerer Fehler. Jetzt wächst vieles von unten<br />

wieder auf – bei der Bildung, der Kindergartenbetreuung<br />

oder im Gesundheitsbereich.<br />

W+M: In der Welt ist vieles im Umbruch. Aus<br />

langjährigen Freunden und Partnern werden<br />

plötzlich egoistische Konkurrenten. Wie sollte<br />

Deutschland auch vor diesem Hintergrund künftig<br />

seine Beziehungen zu Russland gestalten.<br />

Sind die Sanktionen noch zeitgemäß?<br />

Bodo Ramelow: Klares nein. Da bin ich mir<br />

mit Reiner Haseloff völlig einig. Das dokumentiert<br />

im Übrigen, dass das keine Frage<br />

des Parteibuchs ist. Wenn ich sehe, dass viele<br />

andere Staaten der Welt wesentlich kreativer mit<br />

dem Thema Sanktionen umgehen, dann sollte<br />

sich auch Deutschland hier endlich bewegen.<br />

Die Vision von Helmut Kohl war doch, dass die<br />

neuen Bundesländer die Hauptakteure Richtung<br />

Russland sein sollten. Sie sollten die Schnittstelle<br />

zwischen Ost und West bilden. Und jetzt nimmt<br />

man sie uns weg. Ich möchte eine entspannte<br />

Partnerschaft zur Ukraine und zu Russland. Weil<br />

man sich dann auch offen sagen kann, was einem<br />

nicht passt.<br />

W+M: Ihr CDU-Herausforderer bei der<br />

Landtagswahl, Mike Mohring, ist erkrankt. Wird<br />

sich dadurch der Umgang miteinander und somit<br />

möglicherweise der gesamte Wahlkampf anders<br />

gestalten?<br />

Bodo Ramelow: Am Tag, als ich sein Bild mit<br />

der Mütze sah, habe ich ihm einen Schutzengel<br />

und einen sehr persönlichen Brief geschickt. Da<br />

mein Sohn auch an Leukämie erkrankt war und<br />

ich den Konflikt mit der Mütze kannte, vermag ich<br />

zu ermessen, was Mike Mohring durchgemacht<br />

hat. Ich kann ihm nur alles Glück dieser Welt<br />

wünschen. Dass er erfolgreich diese Krankheit<br />

überwindet. Wie wir den Wahlkampf bestreiten,<br />

wird von der Tonalität aller Beteiligten abhängen.<br />

Allerdings bin ich dezidiert der Auffassung, dass<br />

wir das Feld nicht den Schreihälsen und Hasardeuren<br />

überlassen sollten. Demokraten, die aus<br />

unterschiedlichen Blickwinkeln die Gesellschaft<br />

entwickeln wollen, dürfen und müssen sogar über<br />

den richtigen Weg streiten. Aber am Ende bleibt es<br />

dabei: Der Vorrat an Gemeinsamkeiten sollte uns<br />

daran hindern, unterhalb der Gürtellinie zu agieren.<br />

W+M: Was macht Ihnen Hoffnung, dass Sie<br />

für Ihr rot-rot-grünes Bündnis im Herbst von<br />

den Wählern einen erneuten Regierungsauftrag<br />

erhalten?<br />

Bodo Ramelow: Die letzten Umfragen stimmen<br />

mich durchaus zuversichtlich. Ich freue mich<br />

auf den Wahlkampf, lasse mich aber von nichts<br />

und niemandem verrückt machen. Eine seriöse<br />

Prognose ist derzeit objektiv nicht möglich. Für<br />

niemanden. Geht es nach mir, werden wir eine<br />

Richtungsentscheidung zwischen dem konservativen<br />

und dem linksliberalen Lager bekommen.<br />

Natürlich hoffe ich, dass der eine Schnaps mehr,<br />

den wir brauchen, am Ende an mich geht.<br />

Zur Person<br />

Bodo Ramelow wurde am 16. Februar<br />

1956 in Osterholz-Scharmbeck<br />

geboren. Nach dem Hauptschulabschluss<br />

erlernte er den Beruf des<br />

Einzelhandelskaufmanns. Von 1981<br />

bis 1990 war er Gewerkschaftssekretär<br />

in Mittelhessen, von 1990<br />

bis 1999 Landesvorsitzender der<br />

Gewerkschaft HBV in Thüringen.<br />

1999 trat er der PDS bei und zog<br />

im selben Jahr erstmals in den<br />

Thüringer Landtag ein. 2004 und<br />

2009 nominierte ihn seine Partei<br />

jeweils zum Spitzenkandidaten<br />

für die Wahlen in Thüringen. Seit<br />

Dezember 2014 steht Ramelow als<br />

Ministerpräsident an der Spitze der<br />

rot-rot-grünen Landesregierung im<br />

Freistaat. Er ist in dritter Ehe<br />

verheiratet und Vater zweier Söhne.


38 <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />

TITEL<br />

DARUM BRAUCHT<br />

OSTDEUTSCHLAND<br />

EUROPA<br />

Foto: Designed by rawpixel.com/Freepik


EUROPA<br />

<strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong> 39<br />

In diesem Jahr können wir 30 Jahre Mauerfall feiern – jenes einschneidende<br />

Ereignis der jüngeren deutschen Geschichte, dass kurze Zeit später zum Beitritt<br />

der wieder entstandenen ostdeutschen Länder zur Bundesrepublik Deutschland<br />

führte. Was aber vielfach vergessen wird: Mit der deutschen Vereinigung wurde<br />

die ehemalige DDR nicht nur Bestandteil der Bundesrepublik Deutschland, sondern<br />

zugleich auch Teil der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft bzw. der wenig<br />

später gegründeten Europäischen Union – mit allen Rechten, aber auf Pflichten,<br />

die mit einer EU-Mitgliedschaft verbunden sind.<br />

VON PROF. DR. JOACHIM RAGNITZ<br />

Foto: ifo<br />

So erlangten fortan auch für die ostdeutschen<br />

Länder die teils recht detaillierten europarechtlichen<br />

Vorschriften Gültigkeit, die für viele landesund<br />

bundespolitische Gesetzesvorhaben bindend<br />

sind. Der hieraus resultierenden Einschränkung<br />

der regionalen bzw. nationalen Souveränität<br />

stehen jedoch die immensen Vorteile gegenüber,<br />

die Ostdeutschland durch die damit ermöglichte<br />

Integration in den einheitlichen europäischen<br />

Binnenmarkt erfuhr: Durch die Verwirklichung<br />

der vier „Grundfreiheiten“ (freier Warenverkehr,<br />

Freizügigkeit des Personenverkehrs, Dienstleistungsfreiheit<br />

und freier Kapital- und Zahlungsverkehr)<br />

wurden gravierende Hemmnisse für<br />

grenzüberschreitende Aktivitäten auf den<br />

genannten Gebieten beseitigt.<br />

Mit fortschreitender Vergemeinschaftung<br />

weiterer Politikbereiche, der Abschaffung der<br />

Grenzkontrollen im Schengen-Raum (1995)<br />

und schließlich der Einführung des Euros als<br />

gemeinschaftlicher Währung in den meisten<br />

EU-Mitgliedsstaaten (ab 1999) verschwanden<br />

schließlich auch die letzten noch verbliebenen administrativen<br />

Handelshemmnisse. Dies kam und<br />

kommt allen zugute: Die Verbraucher profitieren<br />

dadurch von einer größeren Angebotsvielfalt zu<br />

niedrigeren Preisen, die Unternehmen von einer<br />

Vergrößerung der für sie relevanten Absatzmärkte<br />

und von einer Zuwanderung ausländischer<br />

Fachkräfte, die Arbeitnehmer schließlich dadurch,<br />

dass arbeitsplatzschaffende Direktinvestitionen<br />

ausländischer Unternehmen hierdurch erleichtert<br />

wurden. Nicht zu vergessen sind schließlich die<br />

erheblichen finanziellen Leistungen, die aus den<br />

EU-Kassen nach Ostdeutschland flossen: Hilfen<br />

für private und öffentliche Investitionen aus dem<br />

Europäischen Fonds für regionale Entwicklung<br />

(EFRE) und dem Europäischen Landwirtschaftsfonds<br />

zählen hierzu genauso wie die zahlreichen<br />

eher sozialpolitisch motivierten Förderprogramme<br />

aus dem Europäischen Sozialfonds<br />

(ESF). Auch wenn man die Ausgestaltung dieser<br />

Maßnahmen im Detail kritisieren kann: Unstrittig<br />

Prof. Dr. Joachim Ragnitz ist Managing Director<br />

des ifo-Instituts Dresden.<br />

ist, dass damit der grundlegende Umbauprozess<br />

der ostdeutschen Wirtschaft von der Plan- zur<br />

Marktwirtschaft enorm erleichtert wurde, und<br />

unstrittig ist auch, dass die genannten Programme<br />

auch heute noch dazu beitragen, die ausstehende<br />

„Angleichung der Lebensverhältnisse“<br />

voranzubringen.<br />

In jüngerer Zeit wird die Mitgliedschaft in der<br />

Europäischen Union in der öffentlichen und<br />

politischen Diskussion in einigen europäischen<br />

Ländern allerdings oftmals eher kritisch gesehen<br />

– augenfälligstes Beispiel hierfür ist der Austritt<br />

Großbritanniens aus der EU. Ein typisches Luxusproblem:<br />

Wenn man sich an die (großen) Vorteile<br />

gewöhnt hat, erscheinen die (wenigen) Nachteile<br />

umso gravierender. Zwar zweifelt kaum ein<br />

externer Beobachter daran, dass Großbritannien<br />

durch den EU-Austritt zumindest in wirtschaftlicher<br />

Hinsicht mehr Nachteile als Vorteile hat.<br />

Treten die BREXIT-bedingten Schäden erst<br />

einmal offen zutage, werden die hoffentlich<br />

abschreckend auf die Euro-Skeptiker in anderen<br />

Ländern wirken! Rest-Europa dürfte durch den<br />

BREXIT hingegen weit weniger stark in Mitleidenschaft<br />

gezogen werden – und zu hoffen ist, dass<br />

die betroffenen Unternehmen die Zeit seit dem<br />

britischen EU-Referendum dazu genutzt haben,<br />

Notfallpläne auch für den Fall eines ungeordneten<br />

EU-Austritts zu erarbeiten.


40 <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />

TITEL EUROPA<br />

Demgegenüber ist die internationale Strahlkraft<br />

einer EU-Mitgliedschaft weiterhin ungebrochen.<br />

Dies zeigt sich daran, dass die mittel- und<br />

osteuropäischen Länder, die nach dem Zusammenbruch<br />

des sozialistischen Systems in diesen<br />

Ländern nicht in den Genuss eines sofortigen<br />

Beitritts zur EU kamen, große Anstrengungen<br />

darauf verwandten, baldmöglichst die EU-<br />

Mitgliedschaft zu erlangen. In mittlerweile drei<br />

Erweiterungsrunden (2004, 2007 und 2013) sind<br />

insgesamt elf mittel- und osteuropäische Länder<br />

der EU beigetreten. Sechs weitere ehemalige<br />

Ostblockstaaten gelten als Beitrittskandidaten.<br />

Nicht zu verkennen ist allerdings, dass eine<br />

nochmalige Vergrößerung der EU erhebliche<br />

Schwierigkeiten aufwerfen kann, so mit Blick auf<br />

die Entscheidungsprozesse in den EU-Gremien<br />

und mit Blick auf die wirtschaftlichen Beziehungen<br />

zwischen Mitgliedsländern mit unterschiedlichem<br />

Entwicklungsstand. Dies spricht dafür, in<br />

den nächsten Jahren eher die Vertiefung als die<br />

Erweiterung der Europäischen Union voranzutreiben.<br />

Hierüber lohnt es sich nachzudenken: Welche<br />

Politikbereiche könnten und sollten vergemeinschaftet<br />

werden, ohne dass dies zu einem Verlust<br />

an nationaler und regionaler Identität führt?<br />

Welche Länder könnten möglicherweise bei einer<br />

vertieften Integration vorangehen, welche erst<br />

in einer zweiten Runde folgen, und wie sind die<br />

Beziehungen zwischen beiden Gruppen zu gestalten?<br />

Wie können Probleme wie Zuwanderung,<br />

Klimawandel, Arbeitskräftemangel europäisch<br />

gelöst werden? Hierauf müssen alsbald Antworten<br />

gefunden werden – aber das funktioniert nur<br />

dann zufriedenstellend, wenn die europäischen<br />

Institutionen auch eine ausreichende demokratische<br />

Legitimität aufweisen.<br />

Aus diesem Grunde sind die anstehenden Europawahlen<br />

wichtig – auch für uns Ostdeutsche.<br />

Gerade weil die ostdeutschen Länder in der Vergangenheit<br />

so stark von den EU-Politiken profitiert<br />

haben, wäre es ein verheerendes Zeichen,<br />

wenn ein Erstarken europakritischer Parteien<br />

oder auch nur eine geringe Wahlbeteiligung ein<br />

Desinteresse an europäischer Politik anzeigen<br />

würden. Denn letzten Endes sind Entscheidungen<br />

auf europäischer Ebene für die weitere (wirtschaftliche)<br />

Entwicklung bei uns bedeutsamer<br />

als Entscheidungen der Landespolitik, die nur auf<br />

wenigen Feldern überhaupt nur echte Kompetenzen<br />

besitzt.<br />

ZAHLEN UND FAKTEN ZUR EUROPÄISCHEN UNION<br />

EUROPÄISCHE ORGANE:<br />

Der Europäischen Kommission<br />

gehören in der in diesem Jahr zu<br />

Ende gehenden Legislaturperiode<br />

28 Mitglieder an – je ein Kommissionsmitglied<br />

pro Mitgliedsstaat.<br />

Die Europäische Zentralbank legt<br />

die Währungspolitik in den Ländern<br />

des Euro-Währungsgebiets fest.<br />

EUROPATAG:<br />

9. MAI<br />

Jahrestag der<br />

Schuman-Erklärung,<br />

1950<br />

Der Europäische Rat setzt sich aus<br />

den Staats- und Regierungschefs<br />

der EU-Mitgliedsstaaten, dem<br />

Präsidenten des Europäischen Rats<br />

sowie dem Präsidenten der europäischen<br />

Kommission zusammen.<br />

Der Rat der Europäischen Union<br />

setzt sich aus den Ministern der<br />

Mitgliedsstaaten zusammen.<br />

Der Gerichtshof der Europäischen<br />

Union besteht aus zwei Gerichten –<br />

dem Gerichtshof und dem Gericht.<br />

Der Europäische Rechnungshof ist<br />

für die Rechnungsprüfung der Union<br />

zuständig.<br />

Luxemburg<br />

Brüssel<br />

Straßburg<br />

Das Europäische Parlament vertritt<br />

die Bürger der Europäischen Union.<br />

Es wird für fünf Jahre gewählt.<br />

GRÜNDUNGSMITGLIEDS-<br />

STAATEN 1957<br />

(RÖMISCHE VERTRÄGE):<br />

Belgien, Deutschland, Frankreich,<br />

Italien, Luxemburg, Niederlande<br />

+ 1973: Dänemark, Irland,<br />

Großbritannien<br />

+ 1981: Griechenland<br />

+ 1986: Spanien, Portugal<br />

+ 1995: Österreich, Finnland,<br />

Schweden<br />

+ 2004: Tschechische Republik,<br />

Estland, Zypern, Lettland,<br />

Litauen, Ungarn, Malta,<br />

Polen, Slowenien, Slovakei<br />

+ 2007: Bulgarien, Rumänien<br />

+ 2013: Kroatien<br />

– <strong>2019</strong>: Großbritannien<br />

DIE EU HAT NACH<br />

DEM BREXIT 27<br />

MITGLIEDSSTAATEN.<br />

Foto: Designed by Freepik


BEREIT FÜR<br />

NEUE MÄRKTE<br />

Neue Perspektiven im<br />

Auslandsgeschäft entdecken<br />

Unser Service für Sie:<br />

• Expertenanalysen zu Märkten weltweit<br />

• Geschäftspraktische Informationen<br />

für Ihr Exportgeschäft<br />

• Ihr Weg zu internation alen Ausschreibungen<br />

• Exklusive Delegationsreisen (für ostdeutsche KMUs)<br />

Mehr Informationen finden<br />

Sie auf www.gtai.de


42 <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />

TITEL<br />

AUFSCHWUNG OST<br />

DURCH BRÜSSELER<br />

MILLIARDEN<br />

Foto: Designed by www.slon.pics/Freepik


EUROPA<br />

<strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong> 43<br />

Die neuen Bundesländer haben in den zurückliegenden 29 Jahren enorm von<br />

EU-Hilfen profitiert. Dank milliardenschwerer Zuwendungen aus den diversen<br />

Fördertöpfen konnte der zwischen Rügen und Erzgebirge erforderliche Strukturwandel<br />

erfolgreich vorangetrieben, die Infrastruktur erheblich verbessert und die<br />

Errichtung einer modernen Bildungs- und Forschungslandschaft spürbar unterstützt<br />

werden. Schwerpunktmäßig beleuchtet <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong> in diesem<br />

Beitrag die Wirkungen, die der Europäische Fonds für regionale Entwicklung (EFRE)<br />

in den einzelnen Bundesländern entfaltet hat.<br />

VON KARSTEN HINTZMANN<br />

Berlin zählt schon zu den stärker<br />

entwickelten Regionen<br />

Im Förderzeitraum 2007 bis 2013 hat Berlin<br />

insgesamt 1,2 Milliarden Euro aus dem Europäischen<br />

Fonds für regionale Entwicklung (EFRE)<br />

und dem Europäischen Sozialfonds (ESF) genutzt.<br />

Mit den Mitteln wurden zahlreiche wirtschaftsund<br />

arbeitsmarktpolitische Projekte und Maßnahmen<br />

unterstützt. Inklusive der durch die EU-<br />

Mittel aktivierten Landes- und Bundesmittel und<br />

zusätzlicher privater Investitionen sind zwischen<br />

2007 und 2013 mehr als 3,1 Milliarden Euro in<br />

die Förderung der Wettbewerbsfähigkeit und<br />

Beschäftigung geflossen. Mit den EFRE-Mitteln<br />

konnten 2,4 Mrd. Euro in rund 10.000 Projekte<br />

investiert werden.<br />

In der 2014 gestarteten aktuellen Förderperiode<br />

erhält Berlin als eine im EU-Vergleich stärker<br />

entwickelte Region bis 2020 insgesamt 850<br />

Millionen Euro EU-Strukturfondsmittel, die um<br />

nationale Mittel in gleicher Höhe ergänzt werden<br />

müssen. Dank der Mittel aus dem EFRE-Topf<br />

wurden bis Ende letzten Jahres bereits 490 Millio<br />

nen Euro in rund 2.400 Vorhaben investiert.<br />

Zu den geförderten Berliner Unternehmen gehört<br />

das Start-up Scopics GmbH. Die chirurgischen<br />

Instrumente der jungen Firma ermöglichen eine<br />

3-D-Analyse der menschlichen Anatomie. Wie<br />

bei einem Verkehrsnavigationssystem führen sie<br />

Chirurginnen und Chirurgen durch die Operation<br />

und warnen, wenn vom festgelegten Operationspfad<br />

abgewichen wird.<br />

EFRE-Mittel erhielt auch das Berliner Forschungsprojekt<br />

AddCarbori, das Fertigungsprozesse<br />

in der Orthopädie revolutioniert hat. Die<br />

Vision: mit digitaler Technik innerhalb von nur<br />

acht Stunden passgenaue orthopädische Prothesen<br />

aus dem 3D-Drucker zu produzieren. In<br />

dem Projekt arbeiten Fachleute aus dem Bereich<br />

Medizintechnik und keramische Werkstoffe der<br />

Technischen Universität Berlin und der Forschungseinrichtung<br />

Rehabtech Research Lab<br />

GmbH zusammen mit dem Unternehmen Makea<br />

Industries GmbH.<br />

Mit Brüsseler Unterstützung wird Pflege daheim<br />

leichter gemacht: Mit der Pflegebox der Berliner<br />

CommitMed GmbH erhalten Pflegebedürftige<br />

und ihre Angehörigen die Produkte für die häusliche<br />

Pflege jeden Monat in praktischen Boxen<br />

nach Hause geliefert. Die Pflegeprodukte des<br />

Berliner Start-ups kann man einfach per Internet<br />

und im Paket bestellen. Die Kosten erstattet die<br />

Krankenkasse.<br />

Damit Berliner Spieleentwickler auch international<br />

bestehen können, hat sich die media:net


44 <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />

TITEL EUROPA<br />

EUREF-Campus Schöneberg.<br />

berlin brandenburg e.V. die Vernetzung der<br />

deutschen, nordischen und baltischen Gameindustrien<br />

zur Aufgabe gemacht. Unterstützt wird<br />

das Projekt aus dem EFRE-Topf. Media:net ist<br />

inzwischen eines der größten und erfolgreichsten<br />

regionalen Netzwerke der Digital Wirtschaft in<br />

Deutschland.<br />

Brandenburg setzt auf Innovationsstrategie<br />

„InnoBBplus“<br />

Das Land Brandenburg hat seit Beginn der<br />

1990er-Jahre eine positive wirtschaftliche<br />

Entwicklung durchlaufen. Es konnte vor allem von<br />

der Metropolregion, die es mit Berlin bildet, der<br />

geografischen Nähe zu Polen und der Anbindung<br />

zu weiteren östlichen Nachbarn profitieren.<br />

Gleichzeitig ist Brandenburg ein Flächenland<br />

mit einer kleinbetrieblich geprägten Wirtschaftsstruktur,<br />

das noch<br />

erhebliches Potenzial für<br />

Infrastrukturprojekte und<br />

Unternehmenserweiterungen,<br />

aber auch innovative<br />

Gründungen bietet. In der<br />

Förderperiode 2007–2013<br />

flossen rund 1,49 Milliarden<br />

Euro aus dem EFRE<br />

nach Brandenburg, die in<br />

Technologietransfer, innovations-<br />

und bildungsorientierte<br />

Infrastruktur,<br />

Konversion und Beseitigung<br />

von Altlasten sowie<br />

in den Ausbau wirtschaftsnaher<br />

Verkehrsinfrastruktur<br />

und touristischer<br />

Infrastruktur investiert<br />

wurden. Profitiert haben<br />

darüber hinaus in besonderer<br />

Weise Städte, die am Programm „Nachhaltige<br />

Stadtentwicklung“ teilgenommen haben.<br />

Hier konnten Maßnahmen aus dem sozialen,<br />

kulturellen, wirtschaftlichen und Verkehrsbereich<br />

umgesetzt werden, die sich in integrierte städtebauliche<br />

Entwicklungskonzepte einfügten.<br />

Neben dem EFRE werden in Brandenburg Mittel<br />

aus dem Europäischen Landwirtschaftsfonds für<br />

die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) und<br />

dem Europäischen Sozialfonds (ESF) eingesetzt.<br />

In der aktuellen Förderperiode von 2014–2020<br />

stehen dem Land rund 2,2 Milliarden Euro aus<br />

den ESI-Fonds zur Verfügung, davon rund 846<br />

Millionen Euro aus dem EFRE.<br />

In der aktuellen Förderperiode wurden vier<br />

Schwerpunktbereiche für den EFRE in Brandenburg<br />

definiert: Für die Stärkung von angewandter<br />

Forschung, Entwicklung und Innovation werden<br />

346 Millionen Euro ausgegeben. In die Erhöhung<br />

der Wettbewerbsfähigkeit kleinerer und mittlerer<br />

Unternehmen fließen 179 Millionen Euro. Bestrebungen<br />

zur Verringerung der CO 2 -Emissionen<br />

werden mit 160 Millionen Euro gefördert. Und<br />

die integrierte Entwicklung von städtischen und<br />

ländlichen Räumen wird mit 127 Millionen Euro<br />

unterstützt. Rund 60 Prozent des verfügbaren<br />

EFRE-Budgets investiert das Land in die ersten<br />

beiden Schwerpunkte, wovon innovative Unternehmen,<br />

Hochschulen und Forschungseinrichtungen<br />

im Land profitieren. Den strategischen<br />

Rahmen dafür bildet die Innovationsstrategie<br />

„InnoBBplus“.<br />

Um langfristig Beschäftigung zu sichern und<br />

dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, setzt<br />

die Landesregierung auf die Unterstützung von<br />

„Guter Arbeit“ und Investitionen in Qualifikation<br />

und Kompetenzen. Mit Sensibilisierungsmaßnahmen<br />

an Schulen und Hochschulen soll der<br />

Unternehmergeist frühzeitig gefördert werden.<br />

Über den EFRE-kofinanzierten Brandenburger<br />

Innovationsgutschein (BIG) können sich zum<br />

Beispiel kleine und mittelständische Unternehmen<br />

die Qualifizierung ihres Personals oder<br />

externe Beratungsleistungen zur Umsetzung<br />

von Digitalisierungsprozessen bezuschussen<br />

lassen. Nötiges Know-how wird aber auch über<br />

die EFRE-geförderten Kompetenzzentren im<br />

Land aufgebaut, sei es über Information- und<br />

Beratungsangebote beim Innovationszentrum<br />

Moderne Industrie (IMI) Brandenburg in Cottbus<br />

oder beim an der Technischen Hochschule Brandenburg<br />

(THB) angesiedelten, speziell auf das<br />

Handwerk ausgerichteten Kompetenzzentrum<br />

„Digitalwerk“ in Werder (Havel).<br />

Berlins Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne).<br />

AUSDRUCK EUROPÄISCHER SOLIDARITÄT<br />

„ Mithilfe der EU-Mittel wird der Strukturwandel in Berlin erfolgreich<br />

flankiert. Zur nachhaltigen Sicherung dieser positiven<br />

Entwicklung ist es wichtig, dass Berlin auch zukünftig eine<br />

angemessene Unterstützung aus den EU-Strukturfonds enthält.<br />

Die europäische Struktur- und Investitionspolitik ist für alle Bürgerinnen<br />

und Bürger sichtbarer Ausdruck europäischer Solidarität.<br />

Berlin braucht auch weiterhin die Gelder aus den europäischen Strukturfonds,<br />

um den erfolgreich eingeschlagenen Weg sozial und ökologisch<br />

verantwortlicher Wirtschaftspolitik fortsetzen zu können.<br />

“<br />

Foto: Andreas Schwarz/EUREF AG, Ramona Pop


ADVERTORIAL<br />

<strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />

45<br />

Zukunftsorte in Sachsen-Anhalt<br />

sollen sichtbarer werden:<br />

HIER trifft Wirtschaft Wissenschaft<br />

Innovationen und Sachsen-Anhalt, so lautet ein noch immer gängiges Klischee, das<br />

passe irgendwie nicht zusammen. Von „verlängerten Werkbänken“ ist dann allzu<br />

oft die Rede, Innovation finde andernorts statt. Mit diesem Vorurteil wollen jetzt<br />

die Investitions- und Marketinggesellschaft (IMG), ihre regionalen Partner und<br />

zwölf Zukunftsorte in Sachsen-Anhalt nachhaltig aufräumen.<br />

Zwölf Standorte mit Flächenpotenzial, an denen Planck-Gesellschaften sowie der Helmholtz-und<br />

wissensbasierte Netzwerkstrukturen zwischen Leibniz-Gemeinschaften vertreten. Neben etwa<br />

Wirtschaft und Wissenschaft existieren, treten 7.500 Studierenden arbeiten hier 5.500 Menschen<br />

den Gegenbeweis an und zeigen, dass von Sachsen-Anhalt<br />

Impulse ausgehen, Innovationen ihren Inzwischen sind dort neben Gründungsprojekten<br />

in Unternehmen und Forschungseinrichtungen.<br />

Ursprung nehmen, Forscher bahnbrechende Neuheiten<br />

entdecken, Entrepreneure ihre Produkte zur die sich bereits erfolgreich am Markt etabliert<br />

und verschiedenen Start-ups auch Unternehmen,<br />

Marktreife und von hier aus auf die Weltmärkte haben: das börsennotierte Biotechnologieunternehmen<br />

Probiodrug AG zum Beispiel, das<br />

bringen – Standorte, die auf die Anforderungen<br />

der Industrie von morgen vorbereitet sind und an neuartigen therapeutischen Lösungen zur<br />

gerade Uniabsolventen und -absolventinnen beste Behandlung von Alzheimer forscht oder auch das<br />

Bedingungen für ihren Karrierestart bieten.<br />

Biotechnologieunternehmen Scil Proteins GmbH.<br />

„Sachsen-Anhalt setzt verstärkt auf Zukunftsthemen<br />

wie Chemie, Bioökonomie und Medizintechnik,<br />

die eng mit Hochschulen, Forschungseinrichtungen<br />

und Clustern vernetzt sind“,<br />

sagt der Geschäftsführer der Investitions- und<br />

Marketinggesellschaft des Landes Sachsen-<br />

Anhalt, Thomas Einsfelder. Die technologie- und<br />

wissenschaftsorientierten Unternehmen dieser<br />

Branchen finden bei uns gute Expansionsbedingungen.<br />

Bei Produktentwicklungen arbeiten<br />

heute Komponentenhersteller, Forschungsinstitutionen,<br />

Ingenieurbüros, Werkzeug- und<br />

Formenbauer und IT-Dienstleister in völlig<br />

neuen Kooperationsformen zusammen. Deshalb<br />

erfordern diese wissensbasierten Industrien ein<br />

immer anspruchsvolleres Umfeld und zukunftsfähige<br />

Gewerbegebiete sind weit mehr als eine<br />

Aneinanderreihung von Fabrikhallen.“<br />

www.zukunftsorte-sachsen-anhalt.de<br />

Foto: IMG<br />

Sachsen-Anhalt verfügt über eine der dichtesten<br />

Forschungslandschaften in ganz Deutschland,<br />

eine experimentierfreudige Wirtschaft und mutige<br />

Gründer. An zwölf Standorten konzentrieren<br />

sich Wissenschaft und Wirtschaft in besonderer<br />

Weise. Im Technologiepark Weinberg Campus in<br />

Halle (Saale) etwa, dem zweitgrößten ostdeutschen<br />

Technologiepark. Vor 25 Jahren auf einem<br />

ehemaligen Kasernengelände entstanden, haben<br />

sich hier inzwischen mehr als 200 Unternehmen<br />

gegründet. Eine Milliarde Euro wurde investiert.<br />

Die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg<br />

hat am Weinberg Campus ihre naturwissenschaftlichen<br />

Institute konzentriert. Außerdem<br />

sind alle bedeutenden außeruniversitären Forschungseinrichtungen<br />

der Fraunhofer- und Max-<br />

Forschung und Wirtschaft arbeiten auch auf dem<br />

Forschungscampus STIMULATE in Sachsen-Anhalts<br />

Landeshauptstadt Magdeburg eng zusammen.<br />

Dort wird die Zukunft der medizinischen<br />

Behandlung, beispielsweise durch den Einsatz von<br />

Robotern als chirurgische Assistenzsysteme, vorangetrieben.<br />

Der Campus entsteht an einem weiteren<br />

Zukunftsort, dem Wissenschaftshafen. Die<br />

Speichergebäude des alten Handelshafens wandeln<br />

sich zu einem urbanen Zentrum für Innovation und<br />

Wissenstransfer. Im Mixed-Reality-Labor mit einer<br />

360-Grad-Laserprojektionswand des Fraunhofer-<br />

Instituts für Fabrikbetrieb und -automatisierung<br />

(IFF) können beispielsweise Maschinen und ganze<br />

technische Anlagen noch vor ihrem Bau virtuellinteraktiv<br />

dargestellt und getestet werden.


46 <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />

TITEL<br />

Komplettes Interview<br />

EU-FÖRDERUNG HILFT BEI<br />

DER DIGITALISIERUNG<br />

„ Innovation ist die Triebkraft für das<br />

Wachstum Brandenburgs. Nur durch nachhaltige<br />

Investitionen in die Verflechtung von Wissenschaft, anwendungsnaher<br />

Forschung und Wirtschaft kann die Wettbewerbsfähigkeit insbesondere<br />

kleiner und mittlerer Unternehmen im Land langfristig gesichert werden.<br />

Die EU-Förderung bietet die Möglichkeit, zielgerichtet globale<br />

Herausforderungen wie Digitalisierung, Energiewende und<br />

Fachkräftesicherung im Land mit eigenen Lösungen anzugehen.<br />

Dass Brandenburg sich wirtschaftlich so gut entwickelt hat, ist auch<br />

der Förderung durch die Europäische Union zu verdanken.<br />

“<br />

Brandenburgs Wirtschaftsminister Prof. Dr. Jörg<br />

Steinbach (SPD).<br />

Brandenburgische Technische Universität (BTU)<br />

Cottbus-Senftenberg.<br />

Seit Beginn der 1990er-Jahre sind mehr als<br />

400 Millionen Euro in den Wissenschaftspark<br />

Potsdam-Golm, den größten Wissenschaftsstandort<br />

des Landes Brandenburg, investiert<br />

worden. Davon wurden allein mehr als 100 Millionen<br />

Euro aus dem EFRE-Topf insbesondere für<br />

den Aufbau der Wissenschafts- und Forschungsinfrastruktur<br />

und für die Ausstattung der dort<br />

angesiedelten Institute der Universität Potsdam<br />

und Forschungseinrichtungen sowie in den<br />

Wissens- und Technologietransfer eingesetzt.<br />

Mehr als 2.000 Wissenschaftler sowie mehr als<br />

9.000 Studierende lernen, lehren und forschen<br />

dort. Zu den ansässigen Einrichtungen gehören<br />

etwa die Universität Potsdam, das Fraunhofer-<br />

Institut für Angewandte Polymerforschung oder<br />

das Fraunhofer-Institut für Zelltherapie und<br />

Immunologie.<br />

Um Start-ups eine Ansiedlung in diesem außergewöhnlichen<br />

Kooperationsumfeld zu ermöglichen,<br />

wurde 2007 das „Golm Innovation Center GO:IN“<br />

eröffnet. Rund 12 Millionen Euro wurden für den<br />

Bau und die Ausstattung in der EU-Förderperiode<br />

2000–2006 investiert, davon sechs Millionen<br />

aus dem EFRE. Das „GO:IN“ bietet 4.000<br />

Quadratmeter Büro- und Lageflächen, Laboratorien,<br />

Konferenzräume und unternehmensnahe<br />

Dienstleistungen. Die direkte Nachbarschaft zur<br />

Wissenschaft ermöglicht den Technologietransfer<br />

vor allem in den Grenzbereichen zwischen Biologie,<br />

Physik und Chemie. Die hohe Nachfrage nach<br />

Büro- und Laborräumen bestätigte das Konzept<br />

und die Überlegungen zur Erweiterung verstetigten<br />

sich. Der geplante Erweiterungsneubau „GO:IN<br />

2“ soll spätestens 2021 fertiggestellt werden.<br />

Das im Jahr 2015 eingerichtete Innovationszentrum<br />

Moderne Industrie (IMI) Brandenburg<br />

unterstützt und berät Unternehmen bei der<br />

Automatisierung und Digitalisierung ihrer<br />

Geschäftsprozesse. Das IMI Brandenburg ist<br />

angesiedelt am Lehrstuhl Automatisierungstechnik<br />

der Brandenburgischen Technischen<br />

Universität (BTU) Cottbus-Senftenberg. Mithilfe<br />

von Potenzialanalysen, die das IMI Brandenburg<br />

Unternehmen bietet, untersuchen Projektmitarbeiterinnen<br />

und Projektmitarbeiter den<br />

Modernisierungsbedarf. Die daraus resultierenden<br />

Empfehlungen können dank des großen<br />

Netzwerks an regionalen Partnern mit wissenschaftlichen<br />

und nicht-wissenschaftlichen<br />

Einrichtungen umgesetzt werden. Zusätzlich<br />

können sich Unternehmen in der Modellfabrik in<br />

Cottbus die Möglichkeiten der Automatisierung<br />

und Digitalisierung demonstrieren lassen oder<br />

sich über Referenzprojekte informieren.<br />

Auch innovative Firmen profitieren von der EFRE-<br />

Förderung. Beispielsweise die 2016 gegründete<br />

Weise Water GmbH. Für den Aufbau und die Ausstattung<br />

seines Produktionsbetriebs in Hennigsdorf<br />

erhielt Inhaber und Geschäftsführer Ulrich<br />

Weise im Rahmen der Gründungsförderung des<br />

Landes Brandenburg Mittel aus dem EFRE. Die<br />

Weise Water GmbH entwickelt, produziert und<br />

vertreibt unter dem Namen AQQA-Filtersysteme,<br />

die zur Herstellung von Trinkwasser dienen.<br />

Darüber hinaus kann Abwasser zu hygienisch<br />

einwandfreiem Wasser aufbereitet und danach<br />

bedenkenlos wiederverwendet werden.<br />

Mecklenburg-Vorpommern konzentriert<br />

sich auf vier Prioritätsachsen<br />

Das nördlichste ostdeutsche Bundesland erhält<br />

in der bis 2020 laufenden Förderperiode rund 968<br />

Millionen Euro an EFRE-Mitteln. Das Geld wird<br />

auf der Basis von vier Prioritätsachsen ausgegeben,<br />

mit denen die Förderung auf spezifische<br />

Themen konzentriert wird: Die Förderung von<br />

Forschung, Entwicklung und Innovation, die<br />

Förderung der Wettbewerbsfähigkeit von kleinen<br />

und mittleren Unternehmen, die Förderung der<br />

Verringerung der CO 2 -Emissionen sowie die<br />

Förderung der integrierten nachhaltigen Stadtentwicklung.<br />

Den wichtigsten Bereich der derzeitigen EFRE-<br />

Förderung mit inzwischen fast einem Drittel<br />

der EFRE-Mittel – und damit deutlich mehr als<br />

Foto: BTU Cottbus-Senftenberg, MWE


EUROPA<br />

<strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />

47<br />

Hafen Saßnitz.<br />

je zuvor – bildet die Förderung von Forschung,<br />

Entwicklung und Innovation mit 296 Millionen<br />

Euro. Die Mittel hierfür wurden erst im Herbst<br />

2018 auf dieses Volumen aufgestockt. Im Fokus<br />

stehen dabei konkrete Forschungsprojekte von<br />

Unternehmen und von Verbünden aus Wirtschaft<br />

und Wissenschaft. Für die Förderung der<br />

wirtschaftsnahen Forschung und Entwicklung<br />

sind allein 218 Millionen Euro vorgesehen. Neu im<br />

EFRE-Programm ist dabei die Möglichkeit, über<br />

zwei Beteiligungsfonds Risikokapital für junge innovative<br />

Unternehmensgründungen und für vielversprechende<br />

Forschungs- und Entwicklungsvorhaben<br />

von bereits bestehenden Unternehmen<br />

bereitzustellen. Daneben wird der bewährte<br />

Ansatz fortgesetzt, die öffentliche Forschungsinfrastruktur<br />

mit EFRE-Mitteln auszubauen.<br />

Die Förderung der Wettbewerbsfähigkeit von<br />

kleinen und mittleren Unternehmen ist mit knapp<br />

einem Viertel der Mittel nach wie vor ein wichtiger<br />

Schwerpunkt, für den 219 Millionen Euro<br />

eingeplant sind. Dies bedeutet, dass aus dem<br />

EFRE-Budget weiterhin Investitionen von kleinen<br />

und mittleren Unternehmen unterstützt werden.<br />

Zudem kann die wirtschaftsnahe Infrastruktur<br />

des Landes mit dem EFRE gezielt verbessert<br />

werden. Das gilt auch für den Teilbereich der<br />

touristischen Infrastruktur. Die Förderung von<br />

touristischen Einrichtungen zur Saisonverlängerung<br />

und zur Erhöhung der Verweildauer ist<br />

für Mecklenburg-Vorpommern, das stark vom<br />

Tourismus geprägt ist, von großer Bedeutung.<br />

Komplettes Interview<br />

Foto: Wirtschaftsministerium Mecklenburg-Vorpommern<br />

ES BESTEHT WEITERHIN<br />

AUFHOLBEDARF<br />

„ Wir sind ein lebendiger Teil Europas. Die<br />

Staatengemeinschaft trägt entscheidend<br />

dazu bei, die Arbeitsmöglichkeiten und Lebensqualität im eigenen Land<br />

zu erhöhen. Die europäischen Mittel sind dabei ein unverzichtbarer Baustein<br />

der Unterstützung für Mecklenburg-Vorpommern, was im Ergebnis zu mehr<br />

wirtschaftlichem Wachstum, zu mehr Beschäftigung auf dem ersten<br />

Arbeitsmarkt und zu mehr Wertschöpfung in den Regionen führt. Es besteht<br />

weiterhin Aufholbedarf zu anderen Regionen. Es muss auch künftig<br />

möglich sein, regionale Strukturschwächen über europäische Fördermittel<br />

wirkungsvoll zu bekämpfen. Wir brauchen die Unterstützung als Impuls für<br />

weiteres Wirtschaftswachstum sowie den Erhalt und die Schaffung von<br />

neuen Arbeitsplätzen bei uns in Mecklenburg-Vorpommern.<br />

“<br />

Harry Glawe (CDU), Minister für Wirtschaft, Arbeit<br />

und Gesundheit in Mecklenburg-Vorpommern.


48 <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />

TITEL<br />

Für die Infrastruktur- und die gewerbliche<br />

Förderung verfügt das Land darüber hinaus auch<br />

in den kommenden Jahren mit jährlich rund 120<br />

Millionen Euro über eine gute Mittelausstattung<br />

aus der Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgabe<br />

„Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“<br />

(GRW). Zu den weiteren Instrumenten<br />

zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit gehört<br />

zudem die Unterstützung des Auftritts von Unternehmen<br />

auf internationalen sowie überregionalen,<br />

auf internationale Märkte ausgerichteten<br />

Messen und Ausstellungen sowie von Projekten<br />

der Gesundheitswirtschaft. Auch die gemeinsame<br />

Vermarktung Mecklenburg-Vorpommerns<br />

als Wirtschaftsstandort und als Tourismusregion<br />

wird fortgesetzt.<br />

Einen eigenen Schwerpunkt bilden die Förderansätze<br />

zur der Verringerung der CO 2 -Emissionen.<br />

Hierfür sind 211 Millionen Euro, also rund 23 Prozent<br />

der EFRE-Mittel, eingeplant. Zu der bereits<br />

in der vorherigen Förderperiode bestehenden<br />

Unterstützung von Klimaschutz bezogenen Projekten<br />

von Unternehmen und Kommunen wurde<br />

die Förderung des Radwegebaus, des öffentlichen<br />

Personennahverkehrs und der energetischen<br />

Sanierung von Landesbauten neu in das<br />

EFRE-Programm aufgenommen.<br />

Mit dem vierten Förderbereich zur Unterstützung<br />

der integrierten nachhaltigen Stadtentwicklung<br />

in den Ober- und Mittelzentren enthält das Programm<br />

einen verstärkten Schwerpunkt auf dem<br />

Gebiet der städtischen Infrastruktur. Dafür sind<br />

22 Prozent der EFRE-Mittel (204 Millionen Euro)<br />

vorgesehen. Insbesondere Kindertagesstätten,<br />

Bildungseinrichtungen und weitere soziale<br />

Infrastrukturen sollen aus diesem Topf gefördert<br />

werden. Die Städtebauförderung und umweltorientierte<br />

Verkehrsinfrastrukturmaßnahmen bilden<br />

weitere zentrale Bestandteile dieses Pakets<br />

zur Stärkung der Mittel- und Oberzentren.<br />

Insgesamt wurden bis Ende September 2018 auf<br />

Programmebene rund 2.360 Projekte mit förderfähigen<br />

Gesamtausgaben in Höhe von bislang<br />

1,17 Milliarden Euro ausgewählt. So wurden für<br />

den Ausbau anwendungsnaher Forschungs- und<br />

Innovationskapazitäten an öffentlichen Forschungseinrichtungen<br />

141 Projekte, überwiegend<br />

für die Beschaffung wissenschaftlicher Geräte,<br />

gefördert. Die Durchführung von unternehmerischen<br />

Forschungs- und Innovationsvorhaben, die<br />

darauf abzielen, neue Produkte, Dienstleistungen<br />

oder Verfahren als Neuheit für das Unternehmen<br />

oder den Markt einzuführen, wurde in 126<br />

Fällen gefördert. Darüber hinaus gewähren zwei<br />

Risikokapitalfonds offene und stille Beteiligungen<br />

an innovative Unternehmen, zur Umsetzung<br />

digitaler Geschäftsmodelle oder aussichtsreicher<br />

Forschungsprojekte. Durch die Fonds wird der<br />

Zugang zu Eigen- und Fremdkapital verbessert.<br />

Damit wird ein zentrales Innovationshemmnis für<br />

Gründungen, junge Unternehmen sowie länger<br />

am Markt etablierte kleine und mittlere Unternehmen<br />

beseitigt und zusätzliche Innovationsprozesse<br />

angestoßen.<br />

Die Verbesserung der Zusammenarbeit von Unternehmen<br />

und öffentlichen Forschungseinrichtungen<br />

in der anwendungsnahen Forschung und<br />

Entwicklung wurde durch 71 Verbundvorhaben<br />

gefördert, an denen sich 21 verschiedene Wissenschaftseinrichtungen<br />

und 61 Unternehmen<br />

beteiligen. Für die bedarfsorientierte Verbesserung<br />

der wirtschaftsnahen inklusive touristischen<br />

Infrastruktur wurden 62 Infrastrukturvorhaben<br />

bewilligt. Wachstum und Beschäftigung<br />

in der Gesundheitswirtschaft wurden bislang<br />

durch 35 Projekte unterstützt. Zur Verbesserung<br />

der Markterschließung und -durchdringung von<br />

kleinen und mittleren Unternehmen wurde in 890<br />

Fällen die Teilnahme an Messen und Ausstellungen<br />

gefördert. Für die direkte Reduzierung der<br />

CO 2 -Emissionen von Unternehmen und Institutionen<br />

wurden in 65 Klimaschutz-Projekten Unternehmen<br />

und in 229 Fällen nicht-wirtschaftlich<br />

tätigen Organisationen Zuschüsse gewährt.<br />

Sachsen hat spezifisches Profil<br />

wirtschaftlicher Stärken<br />

In den Förderzeiträumen von 1991 bis 2020<br />

konnte und kann der Freistaat Sachsen rund 13,7<br />

Milliarden Euro aus dem EFRE und dem Europäischen<br />

Sozialfonds (ESF) für Wachstum und<br />

Beschäftigung einsetzen. In der aktuell laufenden<br />

Förderperiode stehen rund 2,7 Milliarden Euro<br />

für Sachsen zur Verfügung – rund 2,08 Milliarden<br />

aus dem EFRE und rund 663 Millionen Euro aus<br />

dem ESF. Die Schwerpunkte der EU-Förderung<br />

liegen weiter auf Innovation, Forschung und<br />

Entwicklung und einer nachhaltigen Beschäftigungspolitik.<br />

Seit 1991 wurden 1,8 Millionen<br />

Menschen allein aus Mitteln des Europäischen<br />

Sozialfonds in Höhe von 3,6 Milliarden Euro direkt<br />

oder indirekt gefördert.<br />

Dank der Förderung konnten seit 1991 unzählige<br />

Arbeitsplätze durch Investitionen in Unternehmen<br />

geschaffen und gesichert werden. Bei<br />

der Infrastruktur wurde enorm aufgeholt, zum<br />

Beispiel durch neue Straßen, Radwege, die Schulneubauten<br />

und Investitionen in eine nachhaltige<br />

Stadtentwicklung. Durch die EU-Förderung<br />

OHNE EU-FÖRDERUNG<br />

WÄRE AUFSCHWUNG<br />

UNDENKBAR GEWESEN<br />

„ Sachsen hat seit der deutschen<br />

Wiedervereinigung eine Entwicklung<br />

durchlaufen, die ohne die<br />

Unterstützung aus den europäischen<br />

Strukturfonds in dieser<br />

Form nicht denkbar gewesen<br />

wäre. Die Förderung der EU-<br />

Strukturfonds seit 1991 hat einen<br />

großen Beitrag zur bisherigen<br />

erfolgreichen wirtschaftlichen und<br />

sozialen Entwicklung in Sachsen<br />

geleistet – und leistet diesen<br />

auch im aktuell laufenden Förderzeitraum<br />

2014 bis 2020. Wir<br />

haben den Anspruch, nicht nur zu<br />

verwalten, sondern Sachsens Zukunft<br />

zu gestalten. Die Mittel aus<br />

den EU-Strukturfonds eröffnen<br />

hierfür langfristige Möglichkeiten,<br />

die über ein einzelnes Haushaltsjahr<br />

weit hinausreichen. Diese<br />

Möglichkeiten werden wir nutzen,<br />

indem wir die Mittel wirksam für<br />

zusätzliche Impulse für ein innovationsgetriebenes<br />

Wachstum<br />

der Wirtschaft und gute Arbeit<br />

verantwortungsvoll einsetzen und<br />

dabei neue Herausforderungen<br />

wie die Digitalisierung und die<br />

Fachkräftegewinnung verstärkt<br />

im Blick haben.<br />

“<br />

Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD).<br />

Komplettes Interview<br />

Foto: Sächsisches Staatsministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr


EUROPA<br />

<strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong> 49<br />

TU Dresden.<br />

konnte der Ausbau der Forschungslandschaft in<br />

ist nicht zuletzt dank der EU-Fördermittel weitge-<br />

In der laufenden Förderperiode setzt auch<br />

Sachsen entscheidend vorangebracht werden<br />

hend geglückt. Viele Neuansiedlungen haben die<br />

Sachsen die EU-Förderung zu einem großen Teil<br />

– das zeigen die durch EU-Mittel unterstützte<br />

Wirtschaftskraft des Freistaates verbessert. Dabei<br />

für die Stärkung von Forschung, technologischer<br />

Ansiedlung von zahlreichen Fraunhofer-Institu-<br />

ging die von Sachsen verfolgte Strategie auf, den<br />

Entwicklung und Innovation ein. Das Spektrum<br />

ten im Freistaat, immense Investitionen in die<br />

Schwerpunkt auf die nachhaltige Förderung von<br />

reicht hier von Investitionen in die Forschungsinf-<br />

Hochschullandschaft mit Neubauten und unzäh-<br />

Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung zu legen.<br />

rastruktur und Forschungsprojekte, in innovative<br />

ligen Forschungsprojekten und die Technologie-<br />

Energietechniken, die Technologieförderung bis<br />

förderung für Unternehmen. Mit der Förderung<br />

Sachsen hat so ein spezifisches Profil an wirt-<br />

hin zur Unterstützung innovativer Ansätze in der<br />

von Ausbildung, beruflicher Weiterbildung und<br />

schaftlichen Stärken entwickelt. Vor allem beim<br />

Gesundheits- und Pflegewirtschaft.<br />

Existenzgründung hat der Freistaat mithilfe der<br />

verarbeitenden Gewerbe hat der Freistaat über-<br />

EU-Mittel außerdem die berufliche Entwicklung<br />

proportionale Steigerungen erreichen können.<br />

Darüber hinaus strebt der Freistaat die Stär-<br />

Foto: TUD Eckold<br />

vieler Menschen in Sachsen unterstützt.<br />

Sachsen hat sich nach der Wiedervereinigung erfolgreich<br />

entwickelt. Der Erhalt industrieller Kerne<br />

Auch die unternehmensnahen Dienstleistungen<br />

profitieren von der Entwicklung. Die nach wie vor<br />

steigende Exportquote spricht für die Qualität<br />

sächsischer Produkte.<br />

kung der Wettbewerbsfähigkeit von kleinen und<br />

mittleren Unternehmen an. Aus den EU-Töpfen<br />

werden Risikokapitalfonds, die Markteinführung<br />

innovativer Produkte und Produktdesign,<br />

IHR PARTNER FÜR<br />

TAGUNGEN UND KONGRESSE<br />

IN MITTELDEUTSCHLAND<br />

■ sehr gute Erreichbarkeit durch ICE-Knotenpunkt<br />

■ multifunktionelles Messegelände<br />

■ beste logistische Voraussetzung vor Ort<br />

Die Messe Erfurt GmbH freut sich<br />

Ihre Veranstaltung planen zu dürfen!<br />

Ihr persönlicher Ansprechpartner:<br />

Karsten Wolff<br />

Telefon: 0361 400-1510<br />

E-Mail: wolff@messe-erfurt.de<br />

www.messe-erfurt.de


50 <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />

TITEL<br />

Grundsteinlegung bei der Progroup in Sachsen-Anhalt.<br />

E-Business und Informationssicherheit, der<br />

Breitbandausbau sowie einzelbetriebliche Investitionen<br />

gefördert.<br />

von schweren Hochwassern heimgesucht wurde,<br />

fließt viel Brüsseler Geld ins Hochwasserrisikomanagement.<br />

Investitionen sind gut 18.200 neue Arbeitsplätze<br />

geschaffen sowie rund 73.700 Arbeitsplätze<br />

gesichert worden.<br />

Ähnlich wie die anderen neuen Länder will auch<br />

Sachsen mithilfe von EU-Millionen eine Verringerung<br />

der CO 2 -Emissionen erreichen. Im Fokus<br />

der Förderung steht dabei die zukunftsfähige<br />

Energieversorgung in Unternehmen, energieeffiziente<br />

Investitionen in Hochschul-, Landes- und<br />

Schulgebäude, der Klima- und Immissionsschutz<br />

sowie umweltfreundliche Verkehrsträger. Als<br />

Land, das in jüngster Vergangenheit wiederholt<br />

Sachsen-Anhalt wird als Forschungsund<br />

Industriestandort gestärkt<br />

Seit 2009 sind in Sachsen-Anhalt 1.615 Investitionen<br />

von Unternehmen im Gesamtvolumen<br />

von knapp 7,7 Milliarden Euro mit insgesamt 1,31<br />

Milliarden Euro aus der Gemeinschaftsaufgabe<br />

„Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“<br />

(GRW) gefördert worden – davon kamen<br />

341,6 Millionen Euro aus EU-Mitteln. Durch die<br />

Ganz erheblich wurden Investitionen in die<br />

wirtschaftsnahe und die touristische Infrastruktur<br />

aus EU-Mitteln gefördert: Seit 2009 wurden<br />

244 derartige Investitionen im Gesamtvolumen<br />

von knapp 500 Millionen Euro mit 387 Millionen<br />

Euro aus der GRW unterstützt – davon kamen<br />

144,2 Millionen Euro von der EU. Insgesamt liegt<br />

der EU-Anteil bei der Investitionsförderung in<br />

Sachsen-Anhalt also bei rund 28,6 Prozent<br />

Sachsen-Anhalts Wirtschaftsminister<br />

Prof. Dr. Armin Willingmann (SPD).<br />

Komplettes Interview<br />

EU IST ZENTRALES FRIEDENS-<br />

PROJEKT DER VERGANGENEN<br />

JAHRZEHNTE<br />

„ Sachsen-Anhalt hat sich in den vergangenen<br />

Jahren wirtschaftlich gut entwickelt – auch dank der umfangreichen<br />

Förderung aus Brüssel. Wenn ich EU höre, denke ich nicht an die Regulierung<br />

krummer Gurken oder Bananen, sondern in erster Linie an das zentrale<br />

Friedensprojekt der vergangenen Jahrzehnte sowie an die massive finanzielle<br />

Unterstützung für Gründer, Unternehmen und Wissenschaftseinrichtungen.<br />

Sachsen-Anhalt profitiert ausgesprochen stark von Europa.<br />

Wir wissen das zu schätzen.<br />

“<br />

Foto: Progroup AG, Ministerium für Wirtschaft, Wissenschaft und Digitalisierung in Sachsen-Anhalt


EUROPA<br />

<strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />

51<br />

EU-MITTEL HELFEN BEIM STRUKTURWANDEL<br />

„ Ohne die EU-Förderung wäre der wirtschaftliche Aufhol- und<br />

Wachstumsprozess der vergangenen zweieinhalb Jahrzehnte so nicht<br />

möglich gewesen. Die EFRE-Mittel sind ein wesentlicher Treiber der positiven<br />

wirtschaftlichen Entwicklung Thüringens. Die bisherige Unterstützung<br />

aus Europa hat einen beträchtlichen Teil dazu beigetragen, den<br />

Strukturwandel in Thüringen erfolgreich zu gestalten. Um weiterhin für<br />

Wachstum und Beschäftigung in Thüringen zu sorgen, wird der EFRE auch<br />

in Zukunft dringend gebraucht.<br />

“<br />

Thüringens Wirtschaftsminister<br />

Wolfgang Tiefensee (SPD).<br />

Foto: Thüringer Ministerium für Wirtschaft, Wissenschaft und Digitale Gesellschaft<br />

(486 Millionen von insgesamt 1,696 Milliarden<br />

Euro GRW-Zuschuss) – den Rest teilen sich Bund<br />

und Land je zur Hälfte.<br />

Zu den größten Unternehmensinvestitionen seit<br />

2009 zählen die neue Papierfabrik der Progroup<br />

AG in Sandersdorf-Brehna (Investitionsvolumen:<br />

376,1 Millionen Euro), ein neues Aluminiumwerk<br />

von Novelis in Nachterstedt (211,3 Millionen Euro)<br />

und das Rechenzentrum von T-Systems in Biere<br />

(170 Millionen Euro).<br />

Auch bei der Förderung von Forschungs- und<br />

Entwicklungsprojekten in Unternehmen und<br />

an Hochschulen, des Technologietransfers aus<br />

der Wissenschaft in die Wirtschaft sowie des<br />

Breitbandausbaus und der Digitalisierung werden<br />

EU-Mittel genutzt. Hierfür flossen seit 2009 für<br />

knapp 1.700 Projekte insgesamt 224,4 Millionen<br />

Euro an Fördermitteln – davon der Löwenanteil<br />

von der EU: 190,3 Millionen Euro, das entspricht<br />

84,8 Prozent. Der Rest sind Mittel von Land und<br />

Bund. Durch die Innovationsförderung wurden<br />

Investitionen im Gesamtvolumen von rund 386,4<br />

Millionen Euro ausgelöst.<br />

Darüber hinaus kommen EU-Mittel bei der Unterstützung<br />

von Gründern und Gründerinfrastruktur<br />

an den Hochschulen zum Einsatz: Seit 2009<br />

sind in die Gründerförderung in Sachsen-Anhalt<br />

insgesamt 79,6 Millionen Euro geflossen (für rund<br />

1.170 Projekte) – davon kamen 56,3 Millionen<br />

Euro von der EU (70,8 Prozent).<br />

Aus EU-Töpfen werden auch zinsgünstige Darlehen<br />

für die Gründung, das Wachstum und die Nachfolge<br />

von Unternehmen gespeist: Seit 2009 wurden in<br />

Sachsen-Anhalt insgesamt gut 2.200 Darlehen<br />

im Gesamtvolumen von rund 397,2 Millionen Euro<br />

vergeben – davon kamen rund 265,6 Millionen<br />

Euro aus EU-Mitteln (66,9 Prozent). Durch die<br />

Darlehen wurden Investitionen im Gesamtvolumen<br />

von rund 1,05 Milliarden Euro angeschoben.<br />

In Summe kommt man allein bei den genannten<br />

großen Wirtschaftsförderprogrammen – daneben<br />

gibt es noch viele kleinere Programme – zu<br />

einem Gesamtvolumen von EU-Fördermitteln<br />

seit 2009 in Höhe von rund einer Milliarde Euro.<br />

Thüringen setzt auf Forschergeist und<br />

Wettbewerbsfähigkeit<br />

Rund 1,2 Milliarden Euro – gut 170 Millionen<br />

Euro pro Jahr – erhält Thüringen in der laufenden<br />

Förderperiode aus dem EFRE. Für die vergangene<br />

Förderperiode von 2007 bis 2013 belief sich die<br />

Förderung auf rund 1,5 Milliarden Euro. Die EFRE-<br />

Mittel verteilen sich auf die fünf Schwerpunkte<br />

der Thüringer Landesregierung: Förderung<br />

von Forschung und Entwicklung, Stärkung der<br />

Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen, Reduzierung<br />

von CO 2 -Emmissionen, Umweltschutz<br />

und nachhaltige Nutzung von Ressourcen sowie<br />

nachhaltigen Städtebau. Die finanziellen Prioritäten<br />

liegen dabei auf den Förderprogrammen der<br />

Forschungs- und Entwicklungsförderung (insgesamt<br />

416 Millionen Euro) und der Stärkung der<br />

Wettbewerbsfähigkeit der Thüringer Wirtschaft<br />

(350 Millionen Euro).<br />

Mit fast 30 Prozent entfällt der größte Anteil der<br />

EFRE-Mittel erstmals in einer Förderperiode auf<br />

Forschung und Innovation. Bis 2020 unterstützt<br />

die EU Thüringer Forschungseinrichtungen und<br />

Betriebe mit 333 Millionen Euro bei der Entwicklung<br />

neuer Produkte und Verfahren. Das Geld<br />

fließt jeweils zur Hälfte an Forschungseinrichtungen<br />

und Unternehmen, die neue Technologien<br />

entwickeln. Zuletzt wurde im November 2016<br />

der Beutenberg-Campus in Jena mit 4,6 Millionen<br />

Euro aus dem EFRE gefördert. Der Beutenberg<br />

beherbergt neun Forschungsinstitute und zwei<br />

Gründerzentren mit insgesamt 50 Firmen.<br />

Der zweite große Förderschwerpunkt im EFRE<br />

ist die Unterstützung von Unternehmen, die<br />

investieren, wachsen und Arbeitsplätze schaffen.<br />

Dies erfolgt insbesondere über die Außenwirtschafts-<br />

und Investitionsförderung für kleine und<br />

mittelständische Unternehmen. Rund 283 Millionen<br />

Euro – 24 Prozent der EFRE-Mittel – werden<br />

bis 2020 dafür aufgewendet.<br />

Für die Umsetzung der Energiewende sind –<br />

erstmals überhaupt – rund 230 Millionen Euro,<br />

fast 20 Prozent der EFRE-Mittel, eingeplant.<br />

Schwerpunkt ist die Verbesserung der Energieeffizienz<br />

in Unternehmen und öffentlichen Gebäuden.<br />

Im Umweltbereich wiederum konzentrieren<br />

sich die europäischen Mittel auf den Hochwas-


52 <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />

TITEL EUROPA<br />

serschutz und die Gewässerentwicklung. Dafür<br />

stehen gut 140 Millionen Euro – 12 Prozent der<br />

EFRE-Mittel – zur Verfügung. Allein die Maßnahmen<br />

im Bereich des Hochwasserschutzes<br />

wurden von 15 Millionen Euro in der letzten<br />

Förderperiode auf 92 Millionen Euro im aktuellen<br />

Förderzeitraum aufgestockt.<br />

Mehr Schub bekommt in Zukunft auch die nachhaltige<br />

Stadtentwicklung: Mit einer deutlichen<br />

Mittelerhöhung von 84 auf 152 Millionen Euro<br />

gegenüber der letzten Förderperiode sollen die<br />

Thüringer Kommunen Rückenwind in ihrer Entwicklung<br />

bekommen.<br />

Zu den aus EU-Töpfen geförderten Projekten<br />

zählt das ClusterManagement (ThCM), das im<br />

Auftrag des Freistaates Thüringen tätig und bei<br />

der Landesentwicklungsgesellschaft Thüringen<br />

angesiedelt ist. Diese Institution ist für die<br />

Umsetzung der Innovationsstrategie des Landes<br />

zuständig und unterstützt Unternehmen und<br />

Forschung gezielt bei innovativen Projekten.<br />

Darüber hinaus wurde etwa die Errichtung des<br />

Campus für die Friedrich-Schiller-Universität auf<br />

dem Inselplatz in Jena oder das Center for Energy<br />

und Environmental Chemistry Jena (CEEC Jena)<br />

mit Brüsseler Geldern unterstützt. Der seit 2011<br />

aktive Forschungsverbund von Friedrich-Schiller-<br />

Universität Jena (FSU) und Fraunhofer-Institut für<br />

Keramische Technologien und Systeme Hermsdorf/Dresden<br />

(IKTS) – im August 2014 offiziell<br />

als wissenschaftliches Zentrum an der FSU<br />

gegründet – entwickelt innovative Batterien und<br />

Energiespeicher. Diese kommen ohne teure und<br />

umweltgefährdende Schwermetalle und Säuren<br />

aus und nutzen stattdessen umweltfreundliche<br />

Alternativen aus Kunststoffen oder Keramiken.<br />

Die Blink AG aus Jena hat eine neuartige digitale<br />

Plattform entwickelt, auf der preisgünstige und<br />

einfach zugängliche medizinische Tests durchgeführt<br />

werden können, um Krankheiten schneller<br />

diagnostizieren zu können. Das Projekt wurde<br />

über einen Zeitraum von etwa zwei Jahren mit 2,5<br />

Millionen Euro aus dem EFRE gefördert.<br />

Universität Jena.<br />

Das Bauhaus-Institut für zukunftsweisende<br />

Infrastruktursysteme der Bauhaus-Universität<br />

Weimar sucht mit seinem Projekt „Masterplan<br />

Thüringen – Ressourceneffizientes Bauen der<br />

Zukunft“ innovative Lösungen, mit denen Rohstoffe<br />

– etwa aus Abwasser und Abfall – wiederverwendet<br />

werden können. Das Projekt wird bis<br />

Anfang 2020 mit etwa 320.000 Euro vom EFRE<br />

gefördert.<br />

Foto: FSU Günther


PARTNER DES<br />

<strong>2019</strong><br />

OSTDEUTSCHEN<br />

WIRTSCHAFTSFORUMS<br />

<strong>2019</strong><br />

MITVERANSTALTER<br />

PARTNERLAND<br />

PARTNER<br />

Institut<br />

Niederlassung Dresden


54 <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />

TITEL<br />

OSTDEUTSCHE<br />

HANDSCHRIFT<br />

IN EUROPA<br />

Selten standen die Wahlen zum Europäischen Parlament so im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses wie in diesem Jahr.<br />

Das endlose Tauziehen um den Brexit und der Vormarsch populistischer Parteien stellen viele wichtige EU-Themen völlig in<br />

den Schatten. Dabei geht es gerade für die ostdeutschen Länder – neben der EU-Förderung – um Einfluss in Brüssel.<br />

VON MATTHIAS SALM<br />

Es gibt sie noch – die guten Nachrichten aus Europa. Diese zum Beispiel: Seit<br />

die EU die Thüringer Bratwurst 2003 als regionale Spezialität unter Schutz<br />

gestellt hat, verdoppelte sich nahezu der Absatz der rund 150 Bratwurstproduzenten<br />

im Freistaat. Nur in ganz seltenen Fällen eignet sich noch ein<br />

fremder Hersteller den guten Namen der Thüringer Nationalspeise an. Um<br />

die Wurst ging es allerdings bei den Reisen des Thüringer Ministerpräsidenten<br />

Bodo Ramelow (LINKE) im letzten Herbst in die europäische Hauptstadt<br />

Brüssel nur sinnbildlich. Den Thüringer Landesvater plagen viel mehr<br />

geplante Kürzungen der EU-Direkthilfen für die Bauern. Die würden gerade<br />

Großbetriebe wie die der Thüringer Landwirtschaft treffen.<br />

Ramelow war 2018 bei weitem nicht der einzige ostdeutsche Landeschef,<br />

der gleich in Kabinettstärke in Brüssel anreiste. Auch die gesamte sächsische<br />

Staatsregierung machte für eine Kabinettssitzung in der belgischen<br />

Hauptstadt Station, um vor Ort für die Anliegen des Freistaats in Europa zu<br />

werben. Im Schlepptau hatten die Sachsen „Digital Hubs“ aus Dresden und<br />

Leipzig. Sie sollten Sachsen als europäische Modellregion für Digitalisierungsprozesse<br />

in Wirtschaft, Arbeit und Gesellschaft repräsentieren,<br />

so etwa das Smart Systems Hub Dresden und das Smart Infrastructure Hub<br />

Leipzig. Aber auch für Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU)<br />

stand die künftige auskömmliche Finanzierung der sächsischen Landwirtschaft<br />

auf der Agenda, ein Thema, bei dem der Freistaat verstärkt auch den<br />

Schulterschluss mit dem benachbarten Tschechien sucht.<br />

Europäisches Parlament in Brüssel.<br />

Darüber hinaus engagieren sich die Sachsen in Europa für die Themen Forschung,<br />

Entwicklung und Innovation, den Ausbau der digitalen Infrastrukturen<br />

und des digitalen Marktes, die Sicherung der EU-Strukturfondsförderung<br />

nach 2020, eine wirksame EU-Migrationspolitik sowie die Bereiche Energie<br />

und Verkehr. Auch der Europagedanke in Sachsen selbst soll stärker<br />

gefördert werden. Ebenso wichtig für die Regierenden in Dresden: das<br />

sächsisch-tschechische Kooperationsprogramm. Es soll als eigenständiges<br />

Programm erhalten bleiben und auch weiterhin Landkreise einbeziehen,<br />

die nicht in direkter Grenznähe liegen. Doch nicht nur die Landesregierung<br />

wurde in Brüssel vorstellig. Auch die drei sächsischen Bewerberstädte für<br />

die Kulturhauptstadt Europas –Dresden, Chemnitz und Zittau – rührten<br />

jüngst im Sachsen-Verbindungsbüro, der Landesvertretung des Freistaats<br />

im Brüsseler Europaviertel, die Werbetrommel.<br />

Berlin trifft Brüssel<br />

In der Bundeshauptstadt hat die rot-rot-grüne Koalition die regelmäßige<br />

Präsenz auf EU-Ebene sogar im Koalitionsvertrag festgehalten. Bei der<br />

letzten Reise suchte der Berliner Senat das Gespräch mit EU-Kommissar<br />

Günther Oettinger, verantwortlich für Haushalt und Personal, mit Miguel<br />

Foto: Europäische Union/Etienne Ansotte, Pixabay


EUROPA<br />

<strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong> 55<br />

Arias Cañete, Kommissar für Klimaschutz und Energie sowie mit Dimitris<br />

Avramopoulos, zuständig für Fragen der Migration. Die Berliner wollen in<br />

der Klimapolitik, der Digitalisierung und in der Migration mehr Hilfe aus<br />

Europa. Gerade bei der Digitalisierung, dem Einsatz der künstlichen Intelligenz<br />

und dem Ausbau des neuen Mobilfunkstandards 5G soll Europa nach<br />

Wünschen der grünen Wirtschaftssenatorin Ramona Pop näher zusammenrücken.<br />

Doch nicht nur das: Die Berliner Vertreter in Brüssel arbeiteten zuletzt auch<br />

an der Städteagenda für die EU mit, die einen gleichberechtigten Dialog<br />

zwischen EU-Institutionen, Mitgliedsstaaten, Städten und Bürgern initiieren<br />

soll. Dadurch erhalten die Städte die Möglichkeit, über Änderungen in den<br />

Bereichen EU-Gesetzgebung, EU-Finanzierung und bei einem verbesserten<br />

Wissenstransfer mitzubestimmen.<br />

Auch das Land Brandenburg versucht, auf die Weichenstellungen bei<br />

wichtigen EU-Förderprogrammen einzuwirken, etwa beim Programm<br />

Europäische Territoriale Zusammenarbeit („INTERREG“), mit dem die<br />

grenzüberschreitende Zusammenarbeit mit Polen und im Ostseeraum<br />

unterstützt wird. So arbeiten im INTERREG-Projekt DeCarb Partner aus<br />

neun europäischen Regionen zusammen, um den Übergang in eine saubere<br />

Energiezukunft etwa durch den wirtschaftlichen Umbau in Kohleregionen<br />

wie der Lausitz zu entwickeln. Hier ist es den Brandenburgern gelungen,<br />

sich als ein bevorzugter Ansprechpartner für die Europäische Kommission<br />

zu positionieren. Der Vize-Präsident der Europäischen Kommission, Maroš<br />

Šefčovič, nahm dies im November 2018 zum Anlass, um sich vor Ort in der<br />

Lausitz zu informieren.<br />

Zusammenarbeit im Ostseeraum<br />

Auch für die Landesregierung in Schwerin steht die länderübergreifende<br />

Zusammenarbeit im Fokus ihrer Europapolitik. Dabei geht es vor allem um<br />

die EU-Strategie für die Ostseeregion und die Mitgliedschaft des Landes<br />

in der Konferenz der Peripheren Küstenregionen. Den Schutz der Ostsee,<br />

Verkehrs- und Energiefragen sowie die Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung<br />

in den Ostsee-Anrainerstaaten unterstützt Mecklenburg-Vorpommern<br />

durch die Teilnahme an sogenannten Flaggschiff-Projekten und durch<br />

die Koordinierung der Tourismuszusammenarbeit im Ostseeraum.<br />

Deshalb durfte Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela<br />

Schwesig (SPD) beim Besucherreigen ostdeutscher Landeschefs in der<br />

belgischen Hauptstadt nicht fehlen. Ihr Anliegen: Die INTERREG-Förderung<br />

solle unverändert fortgeführt werden und weiter alle beteiligten Landkreise<br />

– Vorpommern-Greifswald, Vorpommern-Rügen und die Mecklenburgische<br />

Seenplatte – umfassen.<br />

Taskforce für mehr Subsidiarität<br />

Über eine besondere Stimme in der EU-Politik verfügte Sachsen-Anhalt<br />

im zurückliegenden Jahr in Brüssel. Der Staatssekretär für Bundes- und<br />

Europaangelegenheiten des Landes, Dr. Michael Schneider, wurde als<br />

einziges deutsches Mitglied in die sechsköpfige „Taskforce für Subsidiarität<br />

und Verhältnismäßigkeit“ berufen. Diese war einberufen worden, um<br />

der EU-Kommission Wege aufzuzeigen, mit denen die lokalen, regionalen<br />

und nationalen Behörden bei der Politikgestaltung auf europäischer Ebene<br />

mehr Mitspracherecht erhalten sollen. Die Empfehlungen unter Mitwirkung<br />

Sachsen-Anhalts will die EU-Kommission nun in die Tat umsetzen.<br />

Foto: Sächsische Staatskanzlei/Michael Seidler<br />

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer beim Treffen mit dem<br />

EU-Kommissar für Forschung, Wissenschaft und Innovation, Carlos Moedas (l.)


56<br />

<strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />

TITEL EUROPA<br />

„ DIE ÖSTLICHEN BUNDES-<br />

LÄNDER SPIELEN FÜR DEN<br />

DEUTSCH-FRANZÖSISCHEN<br />

HANDEL EINE ENTSCHEI-<br />

DENDE ROLLE “<br />

Frankreich ist in diesem Jahr Partnerland des Ostdeutschen Wirtschaftsforums<br />

(OWF.ZUKUNFT), das vom 19. bis 21. Mai <strong>2019</strong> in Bad Saarow stattfindet. Im W+M-<br />

Interview spricht Anne-Marie Descôtes, Frankreichs Botschafterin in Deutschland,<br />

über die Lage in Europa und den Stand der Wirtschaftsbeziehungen zwischen<br />

Frankreich und den neuen Ländern.<br />

INTERVIEW: FRANK NEHRING<br />

> Die französische Botschafterin in Deutschland, Anne-Marie Descôtes.<br />

W+M: Wie schätzen Sie die aktuelle Situation in Europa ein?<br />

Anne-Marie Descôtes: Staatspräsident Macron wies darauf hin, dass,<br />

wenn wir wollen, dass die Bürgerinnen und Bürger an Europa festhalten, wir<br />

dafür Sorge tragen müssen, dass sie sich von ihm sowohl vor Bedrohungen<br />

in einer unsicheren Welt als auch vor unfairen, ausländischen Investitionen<br />

geschützt fühlen. Diese Wahl ist eine Gelegenheit, daran zu erinnern,<br />

welche Möglichkeiten Europa für uns bereithält. Sie wird jedoch von starker<br />

Kritik einiger Bewegungen gegen das europäische Projekt geprägt sein. Am<br />

5. März veröffentlichte „Die Welt“ sowie andere Tageszeitungen aller EU-<br />

Mitgliedstaaten einen Gastbeitrag von Staatspräsident Macron zu diesem<br />

Thema. Darin betonte er, dass der Brexit ein Ausdruck für eine Wut ist, die in<br />

ganz Europa zu spüren ist und die wir nicht einfach abtun können. Er sagte,<br />

dass wir uns nicht mit dem Status quo abfinden dürfen, sondern diese Wut<br />

in Lösungen umwandeln müssen.<br />

W+M: Welche Position bezieht Frankreich hinsichtlich der Zukunft von<br />

Europa und was wird von der Bundesregierung Deutschland erwartet?<br />

Anne-Marie Descôtes: Als Staatspräsident Emmanuel Macron sein<br />

Amt übernahm, trat er umgehend mit Deutschland in den Austausch, weil<br />

die deutsch-französische Zusammenarbeit die unabdingbare Voraussetzung<br />

für den Fortschritt Europas ist. Frankreich möchte gemeinsam mit<br />

Deutschland ein nachhaltiges europäisches Projekt aufbauen, das auf Freiheit,<br />

Schutz und Fortschritt abzielt, wie der Präsident in seinem Gastbeitrag<br />

in der „Welt“ schrieb. Dies erfordert einen systematischen Dialog und die<br />

Suche nach Kompromissen sowie die Konvergenz unserer Wirtschaften<br />

und Gesellschaften, deren Grundlagen wir im Aachener Vertrag, der am<br />

22. Januar <strong>2019</strong> unterzeichnet wurde, festgesetzt haben. Paris und Berlin<br />

werden sich weiterhin intensiv zu europäischen Themen austauschen, um<br />

die EU zu reformieren, damit sie den Erwartungen der europäischen Bürger<br />

bestmöglich gerecht wird.<br />

W+M: Welche Rolle spielt der Wirtschaftsraum Ostdeutschland im<br />

Rahmen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen Deutschland und<br />

Frankreich?<br />

Anne-Marie Descôtes: Die östlichen Bundesländer spielen für den<br />

deutsch-französischen Handel eine entscheidende Rolle. Der Handel zwischen<br />

Frankreich und den neuen Bundesländern wächst jedes Jahr etwa zwei<br />

Prozent schneller als mit den alten Bundesländern. Das Handelsvolumen mit<br />

den östlichen Bundesländern bleibt jedoch aufgrund der geografischen Entfernung,<br />

der Geschichte und bestimmter Besonderheiten deutlich hinter dem<br />

mit den westdeutschen Bundesländern zurück. Ein Erfolgsbeispiel ist die TO-<br />

TAL Raffinerie am Chemiestandort Leuna, die 1997 nach dreijähriger Bauzeit<br />

in Betrieb genommen wurde. Das Unternehmen TOTAL beteiligte sich mit 60<br />

Millionen Euro an der Modernisierung des Produktionsstandortes. Weitere<br />

Beispiele sind die Standorte von Saint-Gobain in Brandenburg und von PSA<br />

in Eisenach. Ich bin überzeugt, dass sich die Beziehungen noch intensivieren<br />

werden, da der Osten Deutschlands ein anziehender Wirtschaftsstandort<br />

ist. Städtepartnerschaften, wie zwischen Lyon und Leipzig, könnten eine<br />

Gelegenheit für gemeinsame Wirtschaftsprojekte sein.<br />

Foto: W+M


ADVERTORIAL<br />

<strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong> 57<br />

Entgeltumwandlung<br />

spart Sozialabgaben<br />

Arbeitgeber muss seine Mitarbeiter beteiligen<br />

(Januar/Februar <strong>2019</strong>) Das Betriebsrentenstärkungsgesetz<br />

(BRSG) eröffnet besonders kleinen vierte Firmenchef meinte, dass die Zuzahlungen<br />

dern im Auftrag der SIGNAL IDUNA hervor. Jeder<br />

und mittleren Unternehmen neue Möglichkeiten weiterhin auf freiwilliger Basis erfolgen können.<br />

in der betrieblichen Altersversorgung (bAV). Seit Nur gut jeder zweite Befragte hatte die Frage<br />

1. Januar <strong>2019</strong> gilt hier eine Neuregelung. Darauf überhaupt beantwortet. 43 Prozent machten<br />

macht die SIGNAL IDUNA Gruppe aufmerksam. keine Angaben oder konnten die Frage nach der<br />

Neuregelung des Arbeitgeberzuschusses nicht<br />

Auch Arbeitgeber sparen Sozialabgaben, wenn beantworten.<br />

ihre Mitarbeiter über die Entgeltumwandlung<br />

vorsorgen. Seit Jahresbeginn sind<br />

Arbeitgeber verpflichtet, diese<br />

Die SIGNAL IDUNA bietet Arbeitgebern<br />

eingesparten Sozialabgaben an<br />

weiterhin ganz konkrete Hilfe bei der<br />

den Mitarbeiter in Form eines<br />

Umsetzung des Arbeitgeberzuschusses<br />

in ihren Unternehmen an. Wichtig<br />

Arbeitgeberzuschusses weiterzugeben.<br />

Mindestens 15 Prozent des<br />

ist dem Versicherer, dass die Arbeitgeber<br />

über ihre Pflichten informiert<br />

umgewandelten Entgelts müssen<br />

Arbeitgeber zuschießen. Sollte der<br />

sind. Nur gut informierte Firmenchefs<br />

Arbeitgeber bei der Entgeltumwandlung<br />

weniger als 15 Prozent an Sozialbei-<br />

und darüber hinaus die Chancen der betrieblichen<br />

können ihre Gesetzespflicht erfüllen<br />

trägen einsparen, kann er nur die tatsächliche Altersversorgung als wirkungsvolles Personalbindungsinstrument<br />

nutzen.<br />

Ersparnis als Beitragszuschuss weitergeben. Die<br />

Regelung gilt für neue Entgeltumwandlungsvereinbarungen<br />

in den Durchführungswegen Direktversicherung,<br />

Pensionskasse und Pensionsfonds. hat der bAV einigen Schub verliehen, resümiert<br />

Das BRSG gilt nunmehr seit rund einem Jahr und<br />

Für bereits vor <strong>2019</strong> vereinbarte Entgeltumwandlungen<br />

gibt es eine Übergangsfrist bis 2022. vorher steuerfrei beispielsweise in eine Direkt-<br />

die SIGNAL IDUNA. So kann deutlich mehr als<br />

Tarifvertragliche Regelungen können allerdings versicherung oder Pensionskassenversorgung<br />

eingezahlt werden. Der Höchst-<br />

von diesen gesetzlichen Vorgaben abweichen.<br />

Doch lediglich 17 Prozent der Arbeitgeber wissen beitrag liegt bei acht Prozent der<br />

hier Bescheid. Das geht aus einer repräsentativen Beitragsbemessungsgrenze<br />

Online-Umfrage unter Unternehmensentschei-<br />

zur gesetzlichen Rentenversicherung<br />

West. <strong>2019</strong> können so bis zu 536 Euro<br />

monatlich steuerfrei eingezahlt werden.<br />

Positiv hervorzuheben ist der neu eingeführte<br />

„Förderbetrag für Geringverdiener“: Arbeitgeber,<br />

die für Mitarbeiter, die unter 2.200 Euro brutto<br />

monatlich verdienen, eine rein arbeitgeberfinanzierte<br />

bAV einrichten, erhalten einen staatlichen<br />

Zuschuss. Dieser Zuschuss liegt je nach Höhe<br />

des Arbeitgeberbeitrags – maximal 480 Euro –<br />

zwischen 72 und 144 Euro.<br />

Informieren Sie sich über die neuen Möglichkeiten<br />

in der betrieblichen Altersversorgung!<br />

Als Ansprechpartner steht Ihnen Herr Markus<br />

Rößner von der SIGNAL IDUNA gerne auch vor<br />

Ort zur Verfügung.<br />

Oder unter<br />

www.die-neue-bav.de/markus.roessner<br />

hält die Generalagentur Markus Rößner<br />

der SIGNAL IDUNA umfangreiche<br />

Informationen zum BRSG vor.<br />

Markus Rößner<br />

Generalagentur der<br />

Fürstenwalder Damm 351 · 12587 Berlin<br />

Telefon 030 209662510<br />

E-Mail markus.roessner@signal-iduna.net<br />

Foto: Pixabay


58 <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />

POLITIK<br />

Politische<br />

Farbenspiele<br />

Die Zeiten der großen Volksparteien und somit auch<br />

der großen Koalitionen oder gar Zweierkonstellationen<br />

mit Juniorpartnern scheinen zu Ende<br />

zu gehen. In jüngster Vergangenheit mussten<br />

speziell die Sozialdemokraten aber auch –<br />

in etwas abgeschwächter Form – die Christdemokraten<br />

bei Bundestags- und Landtagswahlen<br />

zum Teil deftige Stimmeneinbußen<br />

verkraften.<br />

Betroffen davon sind in Ostdeutschland derzeit<br />

Sachsen-Anhalt und Berlin. Bei den letzten<br />

Urnengängen erzwangen die Wahlergebnisse am<br />

Ende Dreierbündnisse. Deutschlandweit einzigartig<br />

ist dabei die Konstellation in Sachsen-Anhalt.<br />

Dort regiert eine sogenannte „Kenia“-Koalition,<br />

der neben der CDU noch SPD und Grüne angehören.<br />

Nicht ganz so exotisch ist die Zweckehe, die<br />

man im Roten Rathaus von Berlin geschlossen<br />

hat – dort kümmert sich „R2G“, wie das Bündnis<br />

aus SPD, Linken und Grünen bezeichnet wird, um<br />

die Geschicke der Bundeshauptstadt.<br />

Über Lust und Last dieser<br />

politischen Farbenspiele<br />

sprechen auf den nachfolgenden<br />

Seiten die Regierungschefs<br />

Sachsen-Anhalts und<br />

Berlins, Dr. Reiner Haseloff<br />

und Michael Müller.<br />

Fotos: W+M


WIRTSCHAFT UND MEHR<br />

MAGAZINE<br />

<strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />

Das Ostdeutsche Unternehmer- und Wirtschaftsmagazin.<br />

Gegründet 1990. <strong>2019</strong> gedruckte <strong>Frühjahr</strong>s- und Herbstausgabe<br />

W+M MAGAZIN<br />

Das Internetmagazin von Wirtschaft+Markt.<br />

Gegründet <strong>2019</strong>. Exklusive Beiträge und Interviews. Immer aktuell.<br />

WIRTSCHAFTSNEWS<br />

W+M NEWS<br />

Ausgewählte Neuigkeiten aus der Wirtschaft Ostdeutschlands,<br />

täglich aktualisiert und jeden Mittwoch im Newsletter


60 <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong> POLITIK<br />

„ AUF DER ZEITSCHIENE DES<br />

AUSSTIEGS AUS DER KOHLE DARF<br />

KEIN BLACKOUT ENTSTEHEN “<br />

Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Dr. Reiner Haseloff (CDU) über den Kohleausstieg,<br />

das Bauhaus-Jahr und die Lust, Chef einer „Kenia“-Koalition zu sein<br />

INTERVIEW: KARSTEN HINTZMANN UND FRANK NEHRING<br />

Zur Person<br />

Dr. Reiner Haseloff wurde am 19.<br />

Februar 1954 in Bülzig (Kreis Wittenberg)<br />

geboren. Zwischen 1973<br />

und 1978 studierte er an der TU<br />

Dresden und der Humboldt-Universität<br />

Berlin Physik. Zu DDR-Zeiten<br />

arbeitete er am Institut für Umweltschutz<br />

in Wittenberg. Von 1992<br />

bis 2002 war Haseloff Direktor des<br />

Arbeitsamtes Wittenberg. Danach<br />

wechselte er in die sachsenanhaltische<br />

Politik. Seit 2011 ist<br />

Reiner Haseloff Ministerpräsident<br />

in Sachsen-Anhalt. Inzwischen ist<br />

der CDU-Politiker der dienstälteste<br />

ostdeutsche Ministerpräsident. Der<br />

Katholik Haseloff ist verheiratet<br />

und Vater zweier Kinder.<br />

W+M: Herr Dr. Haseloff, seit knapp drei<br />

Jahren führen Sie ein in Deutschland einmaliges<br />

Regierungsbündnis, in dem CDU, SPD<br />

und Grüne mitwirken. Erklären Sie uns bitte,<br />

warum die „Kenia“-Koalition – für Außenstehende<br />

– so harmonisch funktioniert?<br />

Reiner Haseloff: Eigentlich wird doch<br />

ganz Deutschland von einer „Kenia“-Koalition<br />

regiert. Bundesregierung und Bundestag<br />

können mit der Mehrheit von CDU<br />

und SPD beschließen, was sie wollen, aber<br />

durch das Zwei-Kammern-System ist dann<br />

ja auch noch der Bundesrat gefragt. Und bei<br />

neun Regierungsbeteiligungen der Grünen<br />

in den Ländern kommt am Ende ohne die<br />

Zustimmung der Grünen im Bundesrat keine<br />

Mehrheit zustande. Ich habe das bei mir<br />

in Sachsen-Anhalt nicht in zwei Kammern,<br />

sondern an einem runden Tisch. Der Koalitionsvertrag<br />

enthält für jeden der drei Partner<br />

interessante und wichtige Projekte, sodass<br />

es sich lohnt, zeitlich befristet bis 2021 hier<br />

an einem Strang zu ziehen. Wenn man fair<br />

miteinander umgeht und sich gut untereinander<br />

abstimmt, dann kann das durchaus<br />

funktionieren. Und auch der Kompromiss,<br />

den die Kommission für die Kohlereviere gefunden<br />

hat, ist letztlich das Ergebnis eines<br />

Kenia-Bündnisses der praktischen Vernunft.<br />

BERLIN<br />

WITTENBERG<br />

DRESDEN


SACHSEN-ANHALT<br />

<strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />

61<br />

Foto: W+M<br />

> Seit 2011 Ministerpräsident in Sachsen-Anhalt: Reiner Haseloff.


62 <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />

POLITIK<br />

W+M: Kann man in einer derartigen Dreierkonstellation<br />

tatsächlich wirtschaftspolitische<br />

Impulse setzen?<br />

Reiner Haseloff: Das kann man durchaus.<br />

Weil vieles auch Optimierungsaufgaben sind.<br />

Entbürokratisierung wollen wir alle, auch<br />

eine gute Beschäftigungswirkung. Da unsere<br />

Strukturen stark von der Chemie und den<br />

Erneuerbaren Energien geprägt sind, ist das<br />

für alle Regierungspartner auch vermittlungsfähig.<br />

Wir hatten in jüngster Vergangenheit<br />

etliche große Investitionen – 375<br />

Millionen Euro wurden in eine neue Papierfabrik<br />

in Brehna investiert, auch Thyssen-<br />

Krupp hat sich am Standort Ilsenburg stark<br />

engagiert. Und auf politischer Ebene ist<br />

es uns gelungen, gemeinsam auch mit den<br />

Grünen die wichtige Bundesautobahn A 14<br />

planungsseitig aufs Gleis zu stellen.<br />

W+M: In Ihrer ersten Amtsperiode lenkten<br />

Sie ein Zweierbündnis mit der SPD als Juniorpartner.<br />

In der „Kenia“-Koalition müssen<br />

drei Partner tagtäglich neue Kompromisse<br />

finden. Spüren Sie eher Last oder Lust an<br />

der Spitze einer Regierung von CDU, SPD<br />

und Grünen?<br />

Reiner Haseloff: Wir haben ja hier in<br />

Sachsen-Anhalt bereits alle möglichen<br />

Regierungsvarianten am Start gehabt. Da<br />

muss ich sagen, wenn man fair und gut<br />

koordiniert miteinander umgeht, ist das<br />

Zwischenmenschliche fast entscheidender<br />

bei der Bewältigung des Tagesgeschäfts als<br />

das Ideologische. Man kennt sich in unserem<br />

kleinen Land und man kennt auch die Alternativen,<br />

die wir alle nicht wollen.<br />

W+M: Wie ist es aktuell um die Wirtschaft in<br />

Sachsen-Anhalt bestellt?<br />

Reiner Haseloff: Es gibt bei uns Stabilität.<br />

Seit knapp zehn Jahren ist die sozialversicherungspflichtige<br />

Beschäftigung<br />

praktisch in jedem Jahr gestiegen. Sie hat<br />

heute wieder das Niveau von 2001 erreicht<br />

und das, obwohl sich die Bevölkerung durch<br />

den negativen Geburten-Sterbe-Saldo<br />

seither signifikant verringert hat. Dass<br />

sich durch die Kleinteiligkeit der Wirtschaft<br />

und das Nichtvorhandensein von großen<br />

Konzernen gewisse Wertschöpfungsketten<br />

nicht in den Statistiken widerspiegeln, ist<br />

ein Problem, das alle ostdeutschen Bundesländer<br />

haben.<br />

W+M: Rechnen Sie in den kommenden<br />

Reiner Haseloff: Das Land legt im<br />

Monaten mit relevanten Investitionen oder Tourismusmarketing im laufenden Jahr<br />

Neuansiedlungen von in- oder ausländischen den Schwerpunkt auf die Vermarktung des<br />

Unternehmen?<br />

Bauhausjubiläums. Neben den Schwerpunkten<br />

in Dessau mit den vielen Originalbauten<br />

Reiner Haseloff: Es sind Gespräche am und dem neuen Bauhaus-Museum vermitteln<br />

wir mit dem Netzwerk „Das Bauhaus<br />

Laufen, auch mit Blick auf den bevorstehenden<br />

Kohleausstieg. Hier sind Investoren Dessau und die Moderne in Sachsen-Anhalt“<br />

gefragt, die in alternative Bereiche einsteigen.<br />

Da ist einiges in Bewegung. Etwas Vielfalt der 20er-Jahre in Sachsen-Anhalt.<br />

mit vielen weiteren Bauten die Breite und<br />

Unsicherheit gibt es in der ja bundesweit relevanten<br />

Automobilindustrie, da gegenwär-<br />

Veranstaltungen unter anderem in Dessau,<br />

Neben den Bauten wird eine Vielzahl von<br />

tig noch nicht endgültig absehbar ist, wohin Magdeburg und Halle Gäste ansprechen.<br />

der Trend bei den Antrieben der künftigen Wir erwarten uns von der Vermarktung des<br />

Automobilgenerationen geht. Aber Sachsen- Jubiläums weiter steigende Gästezahlen<br />

Anhalt ist dabei gut aufgestellt.<br />

aus dem In- und Ausland sowie – dank der<br />

räumlichen Nähe – auch viele Tagesbesucher<br />

aus Berlin.<br />

W+M: Der Fachkräftemangel macht sich<br />

auch in Sachsen-Anhalt bemerkbar. In unserem<br />

letzten Gespräch vor einem Jahr forderten<br />

Sie die Unternehmen in Ihrem Land auf, Abschlussbericht vorgelegt. Die Minis-<br />

W+M: Die Kohlekommission hat ihren<br />

aktiver um Auszubildende zu werben und terpräsidenten der betroffenen ostdeutschen<br />

Länder hatten im Vorfeld vom Bund<br />

sich stärker um den Nachwuchs zu kümmern.<br />

Ist Ihre Mahnung in der Wirtschaft Strukturhilfen von rund 60 Milliarden Euro<br />

erhört worden?<br />

gefordert. Jetzt wird es insgesamt rund 40<br />

Milliarden Euro geben. Wofür soll dieses<br />

Reiner Haseloff: Es gibt Unternehmen, Geld konkret ausgegeben werden?<br />

die haben das verstanden. Die organisieren<br />

vor Ort – etwa in Bitterfeld – Informationsbörsen<br />

für junge Menschen und auch einmal die Vorschläge der Kommission, die<br />

Reiner Haseloff: Das sind zunächst<br />

Rückkehrer. Das soll jetzt auch in andere mit 20 Jahren Anpassungsbedarf rechnet,<br />

Regionen getragen werden – die Kammern während die Ministerpräsidenten 30 Jahre<br />

und die Agentur für Arbeit unterstützen das. zugrunde gelegt haben. Bund und Länder<br />

Aber ich bleibe dabei:<br />

müssen die Vorschläge<br />

Die Unternehmen selbst<br />

nun prüfen und die notwendigen<br />

Schritte sind hier noch stärker<br />

zur<br />

gefragt. Sie müssen<br />

bereits in den Schulen<br />

auf die künftigen Auszubildenden<br />

zugehen und<br />

sich um sie kümmern.<br />

Viele neue Berufsbilder<br />

sind doch noch ziemlich<br />

unbekannt. Und<br />

sie sollten den jungen<br />

Fachkräften nach der<br />

Ausbildung eine echte<br />

Perspektive geben. Mit<br />

befristeten Verträgen<br />

EIGENTLICH WIRD<br />

DOCH GANZ<br />

DEUTSCHLAND VON<br />

EINER „KENIA“-<br />

KOALITION REGIERT.<br />

Reiner Haseloff<br />

Umsetzung beschließen.<br />

Wir haben da mehrere<br />

große Blöcke. Es gibt<br />

ein Sofortprogramm<br />

mit einem überschaubaren<br />

Volumen von 150<br />

Millionen Euro. Das soll<br />

in diesem Jahr gestartet<br />

werden. Dann sind<br />

für diese Legislaturperiode<br />

1,5 Milliarden<br />

Euro vorgesehen, als<br />

erste Scheibe, die in ein<br />

ist das eher nicht zu erreichen. Dann muss Maßnahmegesetz einfließen. 40 Milliarden<br />

man sich nicht wundern, wenn Abwanderung Euro sollen durch konkrete Maßnahmen<br />

erfolgt.<br />

untersetzt werden. Sachsen-Anhalt allein<br />

hat dafür über 100 Projekte gemeldet, die<br />

W+M: Ihr Land ist eine Säule im gerade aufsetzen auf den vor Ort bereits existierenden<br />

wirtschaftlichen Strukturen. Auch<br />

begonnenen „Bauhausjahr <strong>2019</strong>“. Wie haben<br />

sich das Land und Ihre Regierung darauf Strompreisdämpfungsmittel sind der Wirtschaft<br />

zugesagt worden. Darüber vorbereitet?<br />

hinaus


SACHSEN-ANHALT<br />

<strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong> 63<br />

soll es einen Topf mit frei verfügbaren<br />

Mitteln für die nächsten 20 bis 25 Jahre geben,<br />

für die man jetzt noch keine Projekte<br />

benennen kann, weil man nicht voraussagen<br />

kann, was dann am Markt erforderlich<br />

sein wird.<br />

W+M: Dem mitteldeutschen Revier steht<br />

durch das absehbare Ende des Braunkohleabbaus<br />

ein einschneidender Strukturwandel<br />

bevor. Haben Sie eine Vision für diese Region<br />

im Jahr 2040?<br />

Reiner Haseloff: Es sollen Energiestandorte<br />

bleiben, die dann allerdings weitestgehend<br />

der CO²-Neutralität verpflichtet sind<br />

und der stofflichen Nutzung der Braunkohle.<br />

Hier wird es nach meiner Vorstellung<br />

eine ganz enge Kooperation unseres Mittelstands<br />

mit den Universitäten, Hochschulen<br />

und Forschungsinstituten geben, die auf<br />

neue Antriebe und Erneuerbare Energien<br />

setzt. Wichtig ist aber auch, dass bei allen<br />

neuen Entwicklungen auf der Zeitschiene<br />

des Ausstiegs aus der Kohle kein Blackout<br />

entsteht. Versorgungssicherheit<br />

und bezahlbare Energiepreise haben<br />

höchste Priorität.<br />

W+M: Sie pflegen einen engen<br />

Dialog mit den Menschen<br />

in Ihrem Land. Sie sprechen<br />

häufig direkt mit ihnen über Sorgen und<br />

Ängste, die im Zusammenhang mit der<br />

deutschen Flüchtlingspolitik aufgekommen<br />

sind. Wo liegen aus Ihrer Sicht die Wurzeln<br />

für die Sorgen vieler Menschen in Sachsen-<br />

Anhalt?<br />

Reiner Haseloff: Die Sorgen liegen sicher<br />

nur bedingt in der Angst begründet, dass<br />

die Grundsicherung möglicherweise für den<br />

Einzelnen nicht mehr gewährleistet ist. Viele<br />

Menschen haben eher den Eindruck, dass<br />

der Fortgang der Flüchtlingskrise zu einer<br />

Überforderung der Gesellschaft führen wird.<br />

Und die Menschen wissen, dass die aktuelle<br />

Dämpfung des Problems nicht allein durch<br />

aktive Maßnahmen seitens der EU und<br />

Deutschlands eingetreten ist, sondern durch<br />

Maßnahmen Dritter. Sei es durch eingekaufte<br />

Leistungen, etwa die Flüchtlingsaufnahme<br />

durch die Türkei, oder restriktive<br />

Maßnahmen einzelner Staaten, wie Italien,<br />

das keine Flüchtlingsschiffe mehr anlegen<br />

lässt. Man weiß, dass das gesamte System<br />

nach wie vor fragil ist.<br />

Dazu kommt, dass es viele Menschen gibt,<br />

die seinerzeit mit Stolz für das geeinte<br />

Deutschland eingetreten sind, weil es<br />

leistungsstark, friedlich und in Europa<br />

eingebunden ist, und die dieses Deutschland<br />

genau so erhalten wollen. Das ist eine legitime<br />

Meinungsäußerung. Das Parteienspektrum<br />

muss sich überlegen, wie es mit diesem<br />

Wunsch des eigentlichen Souveräns umgeht.<br />

W+M: In der deutschen Wirtschaft wird<br />

der Ruf lauter, die Sanktionen gegen Russland<br />

zu überdenken und eine neue Etappe<br />

der deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen<br />

einzuläuten. Wie stehen Sie dazu?<br />

Reiner Haseloff: Ich habe die Strategie<br />

in dieser Schärfe immer mit Sorge gesehen,<br />

auch weil das russische Volk immer noch etwas<br />

anderes ist als die Administration dort.<br />

Für Sachsen-Anhalt ist Russland zudem der<br />

wichtigste Rohstofflieferant. Und durch den<br />

Kohleausstieg wird ganz Deutschland für<br />

die kommenden Jahrzehnte noch abhängiger<br />

sein von russischem Erdgas. Aus meiner<br />

Sicht wären wir gemeinsam gut beraten,<br />

schon aus diesem Grund zu vernünftigen<br />

Beziehungen zurückzukehren.<br />

W+M: Noch eine Frage zur Bundespolitik:<br />

Ihre Partei hat in Annegret Kramp-Karrenbauer<br />

eine neue Bundesvorsitzende. Auf<br />

die deutschlandweiten Umfragewerte Ihrer<br />

Partei wirkt sich das positiv aus. Sollte es<br />

daher vorzeitig einen Wechsel an der Spitze<br />

der Bundesregierung geben?<br />

Reiner Haseloff: Nein. Es ist derzeit so<br />

mühsam, in Deutschland Regierungen zu bilden.<br />

Wir haben im letzten Jahr zwei Anläufe<br />

dafür gebraucht. Daher sollte dieses Risiko<br />

nicht eingegangen werden. Wir haben so<br />

viel Gutes im Koalitionsvertrag stehen, das<br />

sollte jetzt erst mal abgearbeitet werden.


64 <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />

POLITIK


BERLIN<br />

<strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />

65<br />

„ WIR MÜSSEN UNS IMMER<br />

BEWUSST MACHEN, DASS WIR IN<br />

EINEM WETTBEWERB STEHEN<br />

MIT ANDEREN INTERESSANTEN<br />

STANDORTEN “<br />

Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) über Rot-Rot-Grün, den Siemens-Coup<br />

und investorenfeindliche Aktivisten<br />

INTERVIEW: KARSTEN HINTZMANN UND FRANK NEHRING<br />

Zur Person<br />

Michael Müller wurde am 9. Dezember<br />

1964 in Berlin geboren. Im Anschluss<br />

an eine kaufmännische Lehre<br />

arbeitete er von 1986 bis 2001<br />

als selbstständiger Drucker. 1981<br />

trat Michael Müller in die SPD ein.<br />

Von 2001 bis 2011 fungierte er als<br />

Chef der SPD-Abgeordnetenhausfraktion.<br />

Parallel dazu ist er – mit<br />

einer Unterbrechung – seit 2004<br />

Landesvorsitzender der Berliner<br />

SPD. 2011 wurde er Stadtentwicklungssenator.<br />

Seit Dezember 2014<br />

ist er Regierender Bürgermeister.<br />

Michael Müller ist verheiratet und<br />

Vater zweier Kinder.<br />

W+M: Herr Müller, seit gut zwei Jahren führen<br />

Sie ein Regierungsbündnis, dem neben Ihrer SPD<br />

auch Linke und Grüne angehören. Kann man<br />

in einer solchen Konstellation wirtschaftliche<br />

Impulse setzen?<br />

Michael Müller: Das kann man und das machen<br />

wir auch. Es ist sicher nicht einfach, in einer<br />

Dreierkoalition zu regieren. Denn es ist mehr<br />

Arbeit und mehr Kommunikation erforderlich.<br />

Aber natürlich kann man sich in einem Dreierbündnis<br />

auch gut auf Schwerpunkte verständigen.<br />

Dass wir die Wissenschaft stärken, um<br />

damit die Wirtschaft zu unterstützen oder dass<br />

wir ressortübergreifend zusammenarbeiten und<br />

dann so einen Ansiedlungserfolg wie mit Siemens<br />

erreichen, sind doch Beispiele für eine funktionierende<br />

Kooperation innerhalb der Koalition.<br />

W+M: In Ihrer ersten Amtsperiode lenkten Sie<br />

ein Zweierbündnis mit der CDU als Juniorpartner.<br />

Jetzt müssen drei Partner tagtäglich neue Kompromisse<br />

finden. Sehnen Sie sich manchmal nach<br />

den „alten“ Zeiten zurück?<br />

Michael Müller: Zweierkonstellationen sind<br />

tatsächlich einfacher und stabiler. Das hat zunächst<br />

nichts mit den parteipolitischen Farben zu<br />

tun. In Dreier-Konstellationen besteht die Gefahr,<br />

dass sich zwei Parteien gegen die dritte Kraft<br />

verständigen. Das erschwert die Regierungsarbeit.<br />

Insofern präferiere ich grundsätzlich Zweierbündnisse.<br />

Aber auch wenn wir gute Zeiten<br />

hatten mit der CDU, war es in der Gesamtsicht<br />

nicht einfach. Und am Ende waren die Gemeinsamkeiten<br />

aufgebraucht. Daher war es gut, dass<br />

es danach eine andere Konstellation gegeben hat.<br />

W+M: Glaubt man den aktuellen Umfragen, ist<br />

ausgerechnet die größte Regierungspartei, also<br />

Ihre SPD, derzeit die große Verliererin in dieser<br />

Regierungskoalition, während Grüne und Linke<br />

zulegen. Haben Sie eine Erklärung dafür?<br />

Michael Müller: Erst einmal ist es mir<br />

wichtig zu sagen, dass wir unsere Regierungsarbeit<br />

auf der Grundlage eines Wahlergebnisses<br />

gestalten und nicht auf der Basis wechselnder<br />

Umfragen. Aber unter dem Strich ist es so, dass<br />

wir bundesweit eine bittere Zeit durchmachen,<br />

auch in Berlin. Das tut weh. Denn ich glaube<br />

schon, dass es bei uns gute Persönlichkeiten mit<br />

den richtigen Konzepten gibt. Aber wir dringen<br />

momentan gar nicht durch mit unseren Antworten,<br />

weil andere als interessanter und spannender<br />

wahrgenommen werden.<br />

W+M: Wie ist es aktuell um die Wirtschaft in<br />

Berlin bestellt?<br />

Michael Müller: Da konnten wir zum<br />

Glück an die vergangenen Jahre anknüpfen. Die<br />

Arbeitslosigkeit ist noch einmal gesunken, sie<br />

liegt jetzt klar unter acht Prozent. Wir liegen auch<br />

2018 wieder über dem Bundesdurchschnitt, was<br />

das Wirtschaftswachstum anbelangt. Wir haben<br />

noch einmal mehr sozialversicherungspflichtige<br />

Arbeitsplätze bekommen. Mich persönlich freut<br />

es, dass sich die Gründerszene weiter belebt und<br />

stärkt. Wir haben 2017 und 2018 im Digitalbereich<br />

mehr Unternehmensgründungen gehabt, als<br />

in Frankfurt, Hamburg und München zusammen.


66 <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />

POLITIK<br />

TEMPELHOF<br />

in Berlin investieren und einen Gründercampus<br />

aufbauen. Nach der ablehnenden Stimmung,<br />

die im Bezirk Kreuzberg herrscht, verzichtet das<br />

Unternehmen nunmehr auf dieses Investment.<br />

Befürchten Sie, dass die unternehmensfeindliche<br />

Stimmung, die mancherorts in Berlin zu beobachten<br />

ist, dem Wirtschaftsstandort Berlin schaden<br />

könnte?<br />

Michael Müller: Ja, und so etwas darf sich<br />

Berlin nicht leisten. Das hat mich sehr geärgert.<br />

Wir machen – wie gerade dargestellt – aktuell<br />

eine sehr gute Entwicklung durch. Aber deswegen<br />

darf man nicht selbstzufrieden sein. Wir müssen<br />

uns immer bewusst machen, dass wir in einem<br />

Wettbewerb stehen mit anderen interessanten<br />

Standorten. Vor diesem Hintergrund habe ich es<br />

bedauert, dass einige Aktivisten auch zusammen<br />

mit Vertretern des Bezirks es geschafft haben,<br />

Das ist einfach schön, weil man sieht, dass das<br />

keine Eintagsfliege ist, denn die vorliegenden Daten<br />

belegen hier eine Kontinuität der Entwicklung.<br />

W+M: Es ist Ihnen gelungen, mit der Siemens<br />

AG eine spektakuläre Investition in der Hauptstadt<br />

zu vereinbaren. Was erhoffen Sie sich konkret vom<br />

geplanten Innovationscampus?<br />

Michael Müller: Das kann man noch gar<br />

nicht abschließend sagen, weil da ein komplett<br />

neuer Stadtteil entsteht. Für die Stadtentwicklung<br />

ist es mit Wohnen, Gewerbe und Mobilitätskonzepten<br />

ein riesiger Schritt nach vorn. Dann ist<br />

es auch ein großes Zukunftsversprechen. Wenn<br />

ein Weltkonzern wie Siemens, der überall auf<br />

der Welt umworben wird, sich entscheidet, hier<br />

in Berlin zu investieren, dann tut er das, weil er<br />

glaubt, dass er hier mit Blick auf die Zukunft das<br />

richtige Umfeld findet. Das wird auch international<br />

wahrgenommen und zieht andere Unternehmen<br />

mit nach Berlin. Insofern wird das noch einmal<br />

einen Riesenschub geben für Investitionen und<br />

Arbeitsplätze.<br />

W+M: Hat die Siemens-Zusage bereits dazu<br />

geführt, dass andere Konzerne ähnliche Investments<br />

in Berlin planen?<br />

Michael Müller: Derzeit befinden wir uns<br />

in einer Phase interessierter Nachfragen. Viele<br />

Unternehmen haben ein großes Interesse daran<br />

zu erfahren, was rund um Siemens entstehen wird<br />

und ob man sich dort möglicherweise als Partner<br />

engagieren kann. Also: Das Interesse ist groß,<br />

konkrete Investitionsanfragen gibt es aber noch<br />

nicht.<br />

W+M: Ursprünglich wollte auch Google groß<br />

diese Investition und Ansiedlung zu diffamieren.<br />

Zum Glück war Google bereits vorher in Berlin<br />

präsent. Und auch nach der Absage in Kreuzberg<br />

verstärken sie ihre Präsenz in Berlin. Der<br />

Google-CEO war gerade in Berlin, um den neuen<br />

Campus im Bezirk Mitte zu eröffnen. Das ist ein<br />

wichtiger Vertrauensbeweis. Aber wir haben da<br />

etwas erlebt, was sich hoffentlich nicht wiederholt.<br />

Unternehmen und Politik müssen ihre<br />

Entscheidungen und Initiativen erklären und auch<br />

kritischen Nachfragen standhalten. Das erwarte<br />

ich auch bei Google. Aber dass pauschal eine<br />

Investition diffamiert wird, das können wir uns<br />

nicht leisten.<br />

W+M: Beobachter bewerten den Rückzug von<br />

Google auch als Ende des Gründerbooms in Berlin.<br />

Verliert die Metropole Berlin ihren Status als<br />

Start-up-Hauptstadt Europas?<br />

Foto: W+M


BERLIN<br />

<strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />

67<br />

oder „Britain-First“-Strategie für fatal für das<br />

weltwirtschaftliche Gefüge. Wir brauchen offene<br />

Grenzen und offene Märkte.<br />

W+M: In der deutschen Wirtschaft wird der<br />

Ruf lauter, die Sanktionen gegen Russland zu<br />

überdenken und eine neue Etappe der deutschrussischen<br />

Wirtschaftsbeziehungen einzuläuten.<br />

Wie stehen Sie dazu?<br />

Michael Müller: Das ist überhaupt nicht zu<br />

erkennen. Noch einmal: Google investiert zwar<br />

nicht in Kreuzberg, dafür aber im Bezirk Mitte. Wir<br />

haben keinerlei Hinweise darauf, dass Berlin nicht<br />

auch weiterhin ein attraktiver Standort für Gründer<br />

bleibt. Das liegt auch und besonders an unserem<br />

hoch entwickelten wissenschaftlichen Umfeld.<br />

W+M: Berlin war in den letzten Jahren für junge<br />

Menschen und Fachkräfte aus aller Welt auch deshalb<br />

so attraktiv, weil die Lebenshaltungskosten<br />

im Vergleich mit anderen Großstädten moderat<br />

und die Mieten niedrig waren. Jetzt herrscht<br />

Wohnungsnot und mit dem Neubau geht es nicht<br />

voran. Was wollen Sie tun, um dieses Problem zu<br />

lösen?<br />

Michael Müller: Auch mir dauert der Wohnungsbau<br />

zu lange. Da erwarte ich mehr Engagement<br />

von allen Beteiligten. Und ich unterstütze<br />

auch gerne vom Roten Rathaus. Aber es geht leider<br />

nur Schritt für Schritt und nicht von heute auf<br />

morgen. Im internationalen Vergleich haben wir<br />

immer noch recht niedrige Lebenshaltungskosten,<br />

auch wenn sie momentan steigen. Wir versuchen<br />

gegenzusteuern mit einem verstärkten Flächenangebot<br />

für Wohnungen, Büros und Gewerbe.<br />

W+M: Private Immobilienentwickler kritisieren,<br />

dass sie hinsichtlich von Baugenehmigungsverfahren<br />

kaum Unterstützung seitens des Senats<br />

erhalten, da die zuständige Senatorin diese<br />

Verfahren direkt an die Bezirke zur Entscheidung<br />

weiterreicht. Ist der private Wohnungsbau in Berlin<br />

nicht mehr erwünscht?<br />

Michael Müller: Wer Berlin kennt und erlebt,<br />

sieht überall Baustellen. Das sind ja keine illegalen<br />

Seit Ende 2014 Regierender Bürgermeister in Berlin: Michael Müller.<br />

Baustellen. Es wird gebaut auf der Basis von<br />

Baugenehmigungen. Insofern kann der Vorwurf<br />

pauschal nicht stimmen. Die Bezirke sind zuständig<br />

für die kleineren Investitionen, das Land wiederum<br />

für die großen Vorhaben. Ich unterstütze<br />

die Stadtentwicklungsverwaltung und die Bezirke<br />

darin, noch enger zu kooperieren. Mitunter ist das<br />

das Problem. Das private Engagement brauchen<br />

wir dringend. Allein beim Wohnungsbau liegt das<br />

Verhältnis bei zwei Drittel<br />

privaten Bauvorhaben zu<br />

einem Drittel kommunalem<br />

Wohnungsbau. Diese Zahlen<br />

sprechen für sich.<br />

W+M: Verlassen wir<br />

die Niederungen der<br />

Bezirke und kommen zum<br />

internationalen Geschehen:<br />

Befürchten Sie negative<br />

Auswirkungen des drohenden<br />

Brexits auf die Berliner<br />

Wirtschaft?<br />

ZWEIER-<br />

KONSTELLATIONEN<br />

SIND TATSÄCHLICH<br />

EINFACHER<br />

UND STABILER.<br />

Michael Müller<br />

Michael Müller: Wir haben mit Moskau eine<br />

Städtepartnerschaft. Vielleicht kann man es daran<br />

festmachen: Gerade in einer Partnerschaft muss<br />

man kritische Diskussionen führen können. Aber<br />

der Dialog und die Beziehungen müssen aufrechterhalten<br />

werden. Dabei geht es mir nicht nur um<br />

die wirtschaftlichen Aspekte, sondern auch um die<br />

politischen. Wir sollten Situationen vermeiden, wo<br />

wir uns nicht mehr begegnen und nicht mehr miteinander<br />

sprechen. Sprechen mit Russland – auch<br />

über kritische Themen, wie etwa die Ukraine –<br />

kann man nur, wenn man Beziehungen aufrechterhält.<br />

Und daran ist mir sehr gelegen.<br />

W+M: In diesem Jahr begehen wir den 30.<br />

Jahrestag des Mauerfalls. Speziell in den neuen<br />

Bundesländern herrscht derzeit jedoch eher keine<br />

Jubelstimmung. Glauben<br />

Sie, dass die Lebensleistung<br />

der Ostdeutschen im geeinten<br />

Deutschland bislang zu<br />

wenig gewürdigt wurde?<br />

Michael Müller: Ich<br />

habe beim Tag der Deutschen<br />

Einheit in Berlin gesagt,<br />

dass ich es als großes<br />

Geschenk empfinde, dass<br />

wir seit 30 Jahre zusammenleben<br />

– ohne Mauer<br />

und in Frieden und Freiheit.<br />

Und dass wir diesen Weg<br />

Michael Müller: Nicht nur der Brexit, auch gemeinsam gehen. Aber natürlich muss man auch<br />

die Handelskriege von Trump und schwierige<br />

selbstkritisch sagen, dass Fehler gemacht wurden.<br />

Beziehungen zu osteuropäischen Ländern können Vieles, was an sozialer Infrastruktur vorhanden<br />

Folgen haben. Unsichere politische Verhältnisse war, etwa bei der Kinderversorgung, der Bildung,<br />

haben auch wirtschaftspolitische Auswirkungen.<br />

Das merken die Unternehmen. Moment ist Einheit erst mal auf Null gestellt. Mit der Haltung,<br />

der Gesundheitsversorgung, wurde nach der<br />

es so, dass wir durch den Brexit in Deutschland man kann seitens des Westens alles besser.<br />

und Berlin eine stärkere Nachfrage spüren. Das Dieser Stachel sitzt zu Recht tief. Erstens hat man<br />

reicht von der Universität Oxford, die sich hier gemerkt, dass es nicht stimmt. Und zweitens<br />

in Berlin engagieren wird, bis hin zu Finetech- wurden eben die Lebensleistungen nicht gewürdigt.<br />

Bis hin zu Renten- und Einkommensfragen.<br />

Unternehmen, die sich für einen Standort in Berlin<br />

interessieren. Möglicherweise profitieren wir Dass das jetzt korrigiert wird, ist überfällig und<br />

kurz- oder mittelfristig von diesen Entwicklungen. richtig. Ich bin froh, dass es dazu eine bundesweite<br />

Langfristig jedoch halte ich diese „America-First“- Debatte gibt.


68 <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong> 02.19<br />

GESELLSCHAFT<br />

Deutschlands bester<br />

Sekterzeuger<br />

aus<br />

Foto: Schloss Wackerbarth (5), © Wavebreakmedia (1)/Naypong (1) – Freepik.com


GESELLSCHAFT<br />

<strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />

69<br />

kommt<br />

Radebeul


70 <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />

GESELLSCHAFT<br />

Weine und Sekte aus dem Hause des Sächsischen Staatsweingutes Schloss Wackerbarth<br />

sind schon lange weit mehr als ein Geheimtipp. Der Kreis der Kenner und Liebhaber<br />

der edlen Rebensäfte wächst von Jahr zu Jahr. Im Rahmen des „Deutschen Sekt Award“<br />

wurde das in Radebeul beheimatete Weingut jetzt für seine exzellente Arbeit und<br />

Qualität geehrt – als „Bester Sekterzeuger Deutschlands“. Von Karsten Hintzmann<br />

J<br />

ürgen Aumüller, Kellermeister auf Schloss Wackerbarth, war<br />

auf der festlichen Gala anlässlich der Verleihung des „Deutschen<br />

Sekt Awards“ im Luxushotel „Villa Kennedy“ in Frankfurt<br />

(Main) ein vielbeschäftigter Mann. Insgesamt vier Mal<br />

wurde er auf die Bühne gebeten, um einen Preis für sein Unternehmen<br />

entgegenzunehmen. Neben der Auszeichnung als „Bester<br />

Sekterzeuger Deutschlands“ wurden die Winzer von Schloss<br />

Wackerbarth in der Kategorie „Sekte mit Restsüße“ mit Platz 1 für<br />

ihren 2016er Traminer und Platz 2 für die 2015er Scheurebe geehrt.<br />

Platz 3 bei der „Großen Vielfalt“ komplettierte den Erfolg. Die<br />

13-köpfige Expertenjury, der unter anderem Boris Maskow, Champagnerbotschafter<br />

und Chevalier de l’Odre des Coteaux de Champagne,<br />

angehörte, zeigte sich begeistert angesichts der Leistungsfähigkeit<br />

des Teams um den kreativen Önologen Jürgen Aumüller.<br />

Das Staatsweingut ist idyllisch gelegen.<br />

„Ob Riesling, Traminer, Burgundersorten, Scheurebe oder Kerner, kein<br />

anderes Sektgut in Deutschland bietet eine so große Sektvielfalt auf<br />

so hohem Niveau“, so das Urteil der Jury.<br />

Für Sonja Schilg, Geschäftsführerin des Staatsweingutes Schloss<br />

Wackerbarth, ist die hohe Auszeichnung Lohn für eine seit vielen<br />

Jahren praktizierte hochqualitative Arbeit des gesamten Teams: „Als<br />

,Bester Sekterzeuger Deutschlands‘ geehrt zu werden, verdanken<br />

wir unseren Mitarbeitern, treuen Kunden und dem Freistaat Sachsen.<br />

Denn mit dieser besonderen Auszeichnung bestätigen und<br />

würdigen die renommierten Genussexperten des ,Deutschen Sekt<br />

Awards‘ nicht zuletzt auch die jahrhundertelange Genusskompetenz<br />

Sachsens.“<br />

Die Sektherstellung hat auf Schloss Wackerbarth<br />

eine lange Tradition, die bis ins<br />

Jahr 1836 zurückreicht. Damals gründeten<br />

drei angesehene Weingutbesitzer in Radebeul<br />

die erste Sektmanufaktur Sachsens<br />

und damit gleichzeitig eine der ältesten<br />

Sektkellereien Europas – die spätere Sektkellerei<br />

„Bussard“. Erster Kellermeister war<br />

Johann Joseph Mouzon aus Reims. Der anerkannte<br />

Fachmann der Sektproduktion<br />

führte in der neu gegründeten Manufaktur<br />

die Produktion nach französischer Art ein.<br />

Dazu brachte er die handwerkliche Kunst<br />

Foto: Schloss Wackerbarth (4), © Julia_Moskalenko (1) – Freepik.com


GESELLSCHAFT<br />

<strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong> 02.19<br />

71<br />

Aufwendige Flaschengärung auf Schloss Wackerbarth.<br />

der „Méthode champenoise“, die klassische<br />

Flaschengärung, aus seiner Heimat mit nach<br />

Radebeul. Dank seines Könnens entwickelte<br />

sich die Sektkellerei zum Mittelpunkt des<br />

Schaumweins im Elbtal und zum Anziehungspunkt<br />

für die sächsischen Könige, die<br />

die erlesenen „Bussard“-Produkte für die<br />

königliche Tafel wählten und die Manufaktur<br />

auch regelmäßig besuchten.<br />

Nach einer wechselvollen Geschichte wurde<br />

die Sektkellerei „Bussard“ in den 1970er-<br />

Jahren mit Schloss Wackerbarth vereinigt.<br />

Seither führen dort die Kellermeister die<br />

prickelnde Tradition und Handwerkskunst<br />

fort. Im letzten Jahrzehnt schob sich das<br />

Sächsische Staatsweingut Schloss Wackerbarth<br />

mehr und mehr in den überregionalen<br />

und internationalen Fokus. Weil auf den<br />

insgesamt 92 Hektar Rebflächen Weine reifen,<br />

die bei nationalen und internationalen<br />

Wettbewerben und Verkostungen diverse<br />

Preise und Auszeichnungen abräumen<br />

konnten. Auch die Fachpresse ist voll des<br />

Lobes ob der Leistungen des 120-köpfigen<br />

Teams. Der renommierte Weinführer „Gault<br />

Millau“ etwa schrieb: „Wackerbarth – das<br />

ist Geschichte, Gegenwart und Zukunft zugleich.<br />

Gelegen vor einem der schönsten<br />

Terrassenweinberge der Region, geben Barockschloss<br />

und Park einen Eindruck vom<br />

sächsischen Glamour vergangener Zeiten.<br />

Im Ensemble integriert die moderne Kellerei,<br />

die einen gelungenen Kontrast zum historischen<br />

Part bildet. Trotz der großen Historie<br />

stehen die Zeichen auf Zukunft. In den<br />

letzten Jahren wurde unter anderem viel<br />

in die Weinberge investiert.“<br />

Für Weinliebhaber lohnt es sich in jedem<br />

Fall, Schloss Wackerbarth einen Besuch<br />

abzustatten und das einzigartige<br />

Ambiente zu genießen. Täglich werden<br />

Führungen durch die Manufaktur<br />

– mit einem eigenen Gasthaus<br />

– sowie erlesene Veranstaltungen<br />

angeboten, die pro Jahr mehr als<br />

190.000 Sekt- und Weingenießer<br />

aus aller Welt anlocken.<br />

Scheurebe trocken ist der<br />

Verkaufsschlager. Qualität hat<br />

einen Namen


72 <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />

GESELLSCHAFT<br />

Berlin Capital Club & Partners<br />

Der Berlin Capital Club, Berlins führender Wirtschaftsclub, ist ein gutes Beispiel<br />

dafür, dass Netzwerken auf die klassische Art und Weise immer noch<br />

Bestand hat. Wer sich im Berlin Capital Club mit Geschäftspartnern treffen oder an<br />

Veranstaltungen teilnehmen will, muss allerdings Mitglied sein.<br />

Dann ist man auch gleich Mitglied im IAC und hat die Möglichkeit, die fast<br />

250 Partnerclubs in Deutschland und weltweit zu nutzen.<br />

Heute stellen wir Ihnen zwei dieser Partnerclubs vor.<br />

Fotos: Berlin Capital Club


GESELLSCHAFT<br />

<strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />

73<br />

Devonshire Club, London<br />

Tradition und Moderne vereint<br />

Der Devonshire Club, ein privater Club für Mitglieder im Herzen Londons,<br />

verbindet auf perfekte Weise Stil und exklusiven Luxus mit einem innovativen<br />

gastronomischen Angebot, ergänzt durch ein vielfältiges Programm an<br />

Clubveranstaltungen. Hochwertig ausgestattete Suiten, die beeindruckende<br />

Architektur der Innenräume, das kulinarische Angebot und das qualifizierte<br />

Club-Team machen den Club zu etwas ganz Besonderem.<br />

Das neu eröffnete Restaurant „Number Five” wird von Küchenchef Adam<br />

Grey geleitet und bietet eine Auswahl an modernen britischen Gerichten.<br />

Das Restaurant wird von deckenhohen, zum Garten gerichteten Fenstern<br />

ausgeleuchtet. Der angrenzende Garten, der mit farbenfrohen und eleganten<br />

Sitzgelegenheiten und wunderbaren Blumenarrangements aufwartet,<br />

ist der perfekte Ort für eine leichte Mahlzeit oder einen Snack, für ein<br />

entspanntes Meeting oder einfach nur eine Pause von einem hektischen Tag.<br />

In der ersten Etage befinden sich die vier Boardrooms. Großzügig im klassischen<br />

Stil gestaltet, eignen sie sich für formelle und informelle Meetings.<br />

Jeder Salon bietet Platz für 12 bis 20 Personen und ist komplett mit modernsten<br />

Technik- und Präsentationseinrichtungen sowie Highspeed-WLAN<br />

und einer Klimaanlage ausgestattet.<br />

Wirtschaftsclub Düsseldorf<br />

Der exklusive Rückzugsort in Düsseldorf für Persönlichkeiten<br />

aus Wirtschaft, Politik, Gesellschaft und Kultur.<br />

Der Devonshire Club liegt im Herzen der Stadt, mit Zugang zum Finanzviertel<br />

und den trendigen Drehkreuzen Spitalfields, Brick Lane und Shoreditch.<br />

Er ist der ideale Platz sowohl für Meetings in der Woche als auch für ein<br />

entspanntes Wochenende, um London zu erleben. Der Club hat sein eigenes<br />

Boutique-Hotel mit 68 charmant gestalteten Zimmern auf vier Etagen.<br />

www.devonshireclub.com<br />

www.iacworldwide.com<br />

Willkommen in einem stilvollen Ambiente, das Maßstäbe setzt. Mit erstklassigem<br />

Service, exquisiter Küche, luxuriösen Räumlichkeiten und nicht zuletzt<br />

mit hochkarätigen Veranstaltungen. Und das an einer der wohl exklusivsten<br />

Adressen Düsseldorfs.<br />

Der Wirtschaftsclub Düsseldorf bietet Persönlichkeiten aus Wirtschaft,<br />

Wissenschaft, Kultur und Politik eine stilvolle Plattform für Vorträge,<br />

Diskussionsrunden, Fest- und Kulturveranstaltungen sowie interessante<br />

Gelegenheiten mit anregenden Gesprächen und neuen Kontakten. Er spricht<br />

vor allem Unternehmer, Manager, Selbständige und Führungskräfte an,<br />

die einen außergewöhnlichen Ort mit der Möglichkeit für ein kultiviertes<br />

und nachhaltiges Networking in gepflegtem Ambiente und mit gehobener<br />

Gastronomie suchen.<br />

Der Wirtschaftsclub Düsseldorf mit Club-Restaurant, Member-Bar und<br />

Bibliothek ist täglich, außer am Wochenende und an Feiertagen, für seine<br />

Mitglieder und deren Gäste geöffnet. Um neue Kontakte zu knüpfen und<br />

bestehende zu pflegen, bietet der Club ein vielfältiges und interessantes<br />

Veranstaltungsprogramm – vom „Dinner Talk” mit hochkarätigen Gastrednern<br />

bis hin zum exklusiven Tasting.<br />

www.wirtschaftsclubduesseldorf.de<br />

www.iacworldwide.com<br />

Fotos: Berlin Capital Club


74 <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />

GESELLSCHAFT<br />

Der Gentleman<br />

kehrt zurück<br />

–<br />

Herrenmode-Trends<br />

für den Sommer <strong>2019</strong><br />

Trends <strong>2019</strong> im Freizeitbereich<br />

sind Karos, Polos, dunkler<br />

Denim.<br />

Noch im letzten Jahr hatte ich beim Besuch der großen Modemessen das<br />

Gefühl, dass der Einfluss der Streetwear auf die Businessmode für Herren<br />

schier unaufhaltsam sein würde. Sneaker und wild bedruckte Hemden<br />

wurden zum beinahe ständigen Begleiter klassischer Businessanzüge. Aber<br />

nun hat sich das stets zum Eigenzitat neigende Modependel wieder deutlich<br />

in die andere Richtung bewegt:<br />

Zu erkennen ist zurückhaltende Eleganz mit vielen Zitaten vergangener<br />

Modeepochen. Karos sind auch im Bereich von Anzügen gern gesehen, kombiniert<br />

immer wieder mit Westen. Chic sind Karos auch als Blickpunkt eines<br />

klassischen Businesslooks. Warum nicht eine karierte Weste zum blauen<br />

Zweiteiler tragen?<br />

Interessant ist auch die Renaissance der Krawatte: Die seit gefühlt zwanzig<br />

Jahren omnipräsenten offenen Hemdkragen sind weitestgehend verschwunden<br />

und Businesshemden werden gerne wieder mit Umschlagmanschette<br />

und Krawatte oder Schleife kombiniert.<br />

Was mir als Vertreterin eines eher klassischen Herrenlooks trotzdem gut<br />

gefällt, ist die aktuelle Kombination von Businessanzügen mit unifarbenen<br />

(sehr hochwertigen) T-Shirts oder Polohemden, bitte aber mit unauffälligen<br />

Herstellerlogos auf der Brust.<br />

Die Anzüge werden wieder breiter geschnitten und auch klassische Zweireiher<br />

sind hochaktuell. Glencheck als besonders elegante Variante des Karos<br />

ist eine besonders gelungene Möglichkeit, klassisch elegant und zugleich<br />

modisch aufzutreten.<br />

Die W+M-Modeexpertin Beate Lecloux ist<br />

Inhaberin des Berliner Maßbekleiders Cut For You<br />

mit Filialen in der Reinhardtstraße 38 in Mitte und<br />

der Bleibtreustraße 13 in Charlottenburg.<br />

www.cutforyou.com<br />

In seiner Freizeit tritt der Gentleman in diesem Sommer gerne in zurückhaltenden<br />

Farben auf: Khaki, beige und dunkles Denim ersetzen die quietschbunten<br />

Töne der letzten Jahre.<br />

Fazit: Endlich einmal wieder geht der Trend in der Herrenmode in Richtung<br />

einer klassischen Eleganz. Jetzt braucht es nur noch ein perfektes Wetter,<br />

um einen richtig schönen Sommer erleben zu dürfen.<br />

Foto: munro, Randy Tarango/Cut For You


GESELLSCHAFT<br />

<strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong> 75<br />

< Querbinder sind eine Alternative zur Krawatte.<br />

Foto: Atelier Torino


76 <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />

GESELLSCHAFT<br />

FREDERIQUE CONSTANT<br />

Manufacture Hybrid.<br />

Foto: Leicht Juweliere


GESELLSCHAFT<br />

<strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong> 77<br />

MONTBLANC<br />

Twin Smart Strap.<br />

MONTBLANC Summit 2<br />

Blacksteel Milanese.<br />

Seitdem Apple im Jahr 2015 seine erste Uhr vorstellte,<br />

beschäftigt das Thema Smart Watch auch die Schweizer<br />

Uhrenindustrie. Anders als ein ausgewiesenes Technologieunternehmen,<br />

verfolgen die eidgenössischen Uhrenmanufakturen<br />

eher die Verknüpfung handwerklicher Traditionen<br />

mit smarten Funktionen, um darüber eine Verbindung zum<br />

Smartphone herzustellen.<br />

VON RON UHDEN<br />

2018 hat FREDERIQUE CONSTANT eine ganz neue Uhrenkategorie in der<br />

Schweizer Uhrenindustrie geschaffen, eine außergewöhnliche Mischung<br />

aus klassischem Automatikwerk und einem Smartwatch-Modul. Getreu<br />

ihrem Motto Innovation als wichtigstes Leitmotiv, verbindet die Marke<br />

mit der ersten Hybriduhr nun das Beste aus beiden Welten. Neben dem<br />

klassischen Manufakturuhrwerk, welches durch das rückseitige Saphirglas<br />

sichtbar ist, werden die Zusatzinformationen über eine Platine ausgelesen,<br />

welche unsichtbar unter dem Zifferblatt sitzt. So sind diese Funktionen, wie<br />

Aktivitäts- und Schlaferfassung, über die analogen Zeiger oder aber auch<br />

durch Synchronisation mit dem Smartphone ablesbar. Für den Uhrenliebhaber,<br />

der es gerne etwas genauer hätte, ist erstmalig eine Kaliberanalyse und<br />

Weltzeitanzeige integriert. Somit ist die Hybrid Manufacture weit mehr als<br />

eine weitere Schweizer Uhr.<br />

Auch MONTBLANC ist auf dem neu entstanden Markt aktiv und präsentierte<br />

2017 die Summit Uhr, ebenfalls klassisch elegant, mit einem Touch Retrodesign.<br />

Durch den Erfolg beflügelt, wird nun die nächste Generation, genannt<br />

Summit 2, vorgestellt. Das hochwertige Design beibehaltend, bietet der neu<br />

verbaute Chip eine höhere Speicherleistung und eine wesentlich längere<br />

Akkulaufzeit. Wer sich als Uhrenliebhaber nun aber nicht zwischen mechanischer<br />

Ästhetik und digitalen Funktionen entscheiden kann, dem baut<br />

MONTBLANC eine Brücke mit dem TWIN Smart Strap. Es setzt sich aus zwei<br />

Teilen zusammen, dem intelligenten Modul mit einer gewölbten Anzeige und<br />

einem Armband, das sich an fast jede Uhr anbringen lässt. So lässt sich Ihre<br />

Lieblingsuhr mit digitaler Technik aufrüsten.<br />

Fotos: Leicht Juweliere<br />

Leicht Juweliere<br />

Unter den Linden 77<br />

10117 Berlin<br />

www.juwelier-leicht.de<br />

Ron Uhden ist Niederlassungsleiter<br />

von Juwelier Leicht in Berlin.<br />

Neben dem Anzeigen von Nachrichten und dem Verfolgen Ihrer täglichen<br />

Aktivitäten wartet hier Montblanc mit einer Neuerung auf, dem MONT-<br />

BLANC PAY. Diese mobile Zahlungsplattform erweitert das Handgelenk des<br />

Besitzers um eine kontaktlose Zahlungsmöglichkeit. Da aber der Grundgedanke<br />

der Uhrmacherei von jeher das Festhalten der Zeit ist, erfüllt diese<br />

Aufgabe nun die TWIN Begleit-App. Hier zeigt sich, dass sich die Uhrmacher<br />

den Neuerungen der Zeit nicht verschließen, sondern gleichfalls nach neuen<br />

Wegen suchen. So hat die Smartwatch die traditionelle Uhrmacherei nicht<br />

verdrängt, sich doch aber etabliert. Dem aufmerksamen Betrachter fallen<br />

demnach immer mehr Handgelenke auf, an denen es möglich ist, Nachrichten<br />

zu empfangen. Vor fünf Jahren war dies noch reine Utopie. Doch nun auf<br />

in die neue digitale Uhrmacherei!


78 <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />

MACHER<br />

Matthias Ludwig ist wie so viele, die jetzt<br />

an der Ostsee leben nicht dort geboren,<br />

sondern in Sachsen-Anhalt. Der Hallenser<br />

hatte seine Angestelltenjahre beim MDR,<br />

bis ihn die Liebe und die Lust auf Meer nach<br />

Warnemünde führte. Das Unternehmergen<br />

war schon früh entwickelt und vom<br />

Gelegenheitshändler und Organisator aller<br />

möglichen Sachen eröffnete er in Warnemünde<br />

eine Boutique – mittlerweile sind<br />

es vier, darunter auch in Kühlungsborn. Das<br />

Beach Polo Turnier hat er einmal gesehen<br />

und war sofort Feuer und Flamme.<br />

Foto: Ralf Succo/SuccoMedia


INNOVATIVE UNTERNEHMER<br />

<strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />

79<br />

W+M: Sie sind Veranstalter des jährlichen<br />

Beach Polo Turniers am Warnemünder Strand.<br />

Wie sind Sie auf die Idee gekommen?<br />

Matthias Ludwig: Ich habe ein Beach Polo<br />

Turnier 2010 auf Usedom erlebt und habe mich<br />

sofort entschlossen, es zu unterstützen. Der<br />

Weg vom Sponsor zum eigenen Turnier ging dann<br />

richtig schnell. Ich wollte es einfach als Veranstalter<br />

machen.<br />

W+M: Was macht Beach Polo in Warnemünde<br />

so besonders?<br />

Matthias Ludwig: Beach Polo ist ja an sich<br />

schon sehenswert und etwas Besonderes, aber<br />

in Warnemünde mit dem alten Leuchtturm und<br />

der ganzen Kulisse ist es einfach eine einzigartige<br />

Location, noch dazu, wenn es nur zweihundert<br />

Meter entfernt von meinen Läden ist.<br />

W+M: Worin liegen die besonderen Herausforderungen<br />

für den Unternehmer?<br />

Matthias Ludwig: So ein Jahresevent wirkt<br />

zwar immer wie ein Hobby und irgendwie ist<br />

es das auch, aber es verlangt Vollpower an 300<br />

Tagen im Jahr.<br />

W+M: Was treibt Sie an, jährlich so ein Turnier<br />

zu veranstalten?<br />

Matthias Ludwig: Es klingt vielleicht nicht<br />

überzeugend, aber es ist schon so, dass ich gern<br />

Verantwortung übernehme, um Rostock-Warnemünde<br />

noch internationaler zu machen und gute<br />

Gäste ins Seebad zu holen.<br />

W+M: Was machen Sie, wenn Sie gerade nicht<br />

das Turnier organisieren?<br />

Matthias Ludwig: Dann stehe ich in einem meiner<br />

Geschäfte hinterm Ladentisch, berate Kunden<br />

und verkaufe ihnen attraktive Outfits. Zeitgleich<br />

nutze ich aber auch immer meine Netzwerke, um<br />

Partner für das nächste Beach Polo zu gewinnen.<br />

W+M: Welche Eigenschaften sollte ein Unternehmer<br />

haben? Welche sind für Eventveranstalter<br />

besonders wichtig?<br />

Matthias Ludwig: Ehrlichkeit, Fleiß, Disziplin,<br />

Ausdauer und immer ein gutes Händchen für die<br />

richtigen Menschen, die man zu so einem Event<br />

vereint. Man darf sich nicht unterkriegen lassen<br />

und muss seiner Linie treu bleiben.<br />

W+M: Haben Sie die alle?<br />

Matthias Ludwig: Ich denke schon, denn für<br />

mich zählt „Vertrauen durch Leistung“ meinen<br />

Partnern zu geben. Und die geben es zu 100 Prozent<br />

zurück, sonst würde es dieses Event so nicht geben.<br />

Fotos: Ralf Succo/SuccoMedia


DER BERLINER<br />

PRESSEBALL-<br />

M A C H E R<br />

Stimmung beim Auftritt der Weather Girls.<br />

Mario Koss – ein Berliner Erfinder, Komponist, Autor, Produzent und Gründer<br />

der Schallplattenfirma Pikosso Rekords. Er erfand und entwickelte im<br />

Jahr 1994 die Shape-CD sowie die Chip Disk. Im Jahr 1995 gehörte Koss<br />

mit 26 Jahren zu den erfolgreichsten Jungunternehmern Deutschlands. Bis<br />

heute wurden über 70 Millionen Shape-CDs verkauft. Zahlreiche internationale<br />

Künstler wie Madonna, Michael Jackson, David Bowie, Backstreet<br />

Boys und Großkonzerne wie IBM, Microsoft, Burger Kind oder die<br />

Deutsche Bank haben bei Koss Shape-CDs herstellen lassen. Mario Koss<br />

studierte Sinologie-, Publizistik- und Betriebswirtschaftslehre an der FU<br />

Berlin. Er brach das Studium im sechsten Semester als Millionär ab, um<br />

mehr Zeit für die Vermarktung und Entwicklung der Shape-CD zu haben.<br />

Von 2001 bis 2007 war er ehrenamtlich für den Weißen Ring als Opferhelfer<br />

aktiv.<br />

Dr. Franziska Giffey, Dilek Kolat, Sawsan Chebli.<br />

Gérard Biard, Melanie Simond, Mario Koss.<br />

Fotos: Presseball Berlin


INNOVATIVE UNTERNEHMER<br />

<strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />

81<br />

Foto: Presseball Berlin<br />

Jean Marie Pfaff, Mario Koss.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!