WIRTSCHAFT+MARKT Frühjahr 2019
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INNOVATION GREEN-TEC-BOOM<br />
POLITIK DER OSTEN WÄHLT<br />
MACHER KREATIVE UNTERNEHMER<br />
GENUSS BESTER SEKTHERSTELLER<br />
FRÜHJAHR<br />
19<br />
R O S T O C K S C H W E R I N C O T T B U S B R A N D E N B U R G ( H A V E L )<br />
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30. Jahrgang | <strong>Frühjahr</strong> <strong>2019</strong> | Deutschland 6,50 €<br />
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EDITORIAL<br />
<strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />
3<br />
Best er<br />
DAS GESCHENK<br />
EUROPA<br />
sekt er zeuger<br />
Deu tschlanDs<br />
Karsten Hintzmann<br />
Chefredakteur<br />
karsten.hintzmann@<br />
wirtschaft-markt.de<br />
„Ob Riesling, Traminer,<br />
Burgundersorten,<br />
Scheurebe oder Kerner,<br />
kein anderes Sektgut<br />
in Deutschland<br />
bietet eine so große<br />
Sekt-Vielfalt<br />
auf so hohem Niveau!“<br />
Foto: Torsten George, Designed by rawpixel/Freepik<br />
Wir befinden uns im ersten von zwei Jahren,<br />
die von vereinigungsbedingten Jubiläumsveranstaltungen<br />
geprägt sind. Im Herbst vor 30<br />
Jahren fiel die Mauer. Fortan steuerte alles auf<br />
das Ende der DDR und die deutsch-deutsche<br />
Wiedervereinigung zu, die ein Jahr später dann<br />
vollzogen wurde. Solcherart Jubiläen sind verknüpft<br />
mit Rückblicken, Zwischenbilanzen und<br />
Bestandsaufnahmen.<br />
Eigentlich könnten wir recht zufrieden sein mit<br />
der Entwicklung, die der Osten Deutschlands<br />
seither genommen hat. Sicher, der wirtschaftliche<br />
Rückstand im Vergleich zu den alten<br />
Bundesländern konnte nimmer noch nicht<br />
wettgemacht werden. Die Lücke in punkto Wirtschaftskraft<br />
beträgt aktuell 25 bis 30 Prozent.<br />
Auch die Löhne haben noch längst nicht das<br />
Westniveau erreicht.<br />
Aber: Vielerorts sind die vom „Kanzler der<br />
Einheit“, Helmut Kohl, einst versprochenen<br />
„blühenden Landschaften“ durchaus Realität<br />
geworden. Milliarden und Abermilliarden<br />
sind in aufstrebende Städte, Gewerbeparks,<br />
Forschungsinstitute, Universitäten und die<br />
Infrastruktur zwischen Ostsee und Erzgebirge<br />
geflossen. Um die Modernität, die im<br />
Osten Einzug hielt, beneidet uns heute manch<br />
Landkreis in Niedersachsen oder Nordrhein-<br />
Westfalen.<br />
Gerade beim Rückblick auf das in den letzten<br />
drei Jahrzehnten Erreichte sollten wir nicht<br />
vergessen, dass der Aufschwung Ost weit mehr<br />
als ein deutsch-deutscher Kraftakt war. Ohne<br />
Europa, ohne die Hilfen aus den Fördertöpfen<br />
der Europäischen Union stünden wir nicht da,<br />
wo wir heute sind.<br />
Rund um die diesjährige Europawahl sollten wir<br />
daher ein viel zu wenig beachtetes Jubiläum in<br />
unsere nationalen Feierlichkeiten mit einbinden:<br />
Seit knapp 30 Jahren profitieren die Menschen<br />
in den neuen Ländern von Europa und den als<br />
vier „Freiheiten“ der Europäischen Union bezeichneten<br />
Grundsäulen, auf denen die Staatengemeinschaft<br />
beruht – dem freien Personen-,<br />
Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr.<br />
Diese Freiheiten sind ein hohes Gut und ein großes<br />
Geschenk. Dessen sollten wir uns gerade in<br />
einer Zeit bewusst sein, in der mit Großbritannien<br />
ein wichtiges Mitgliedsland selbstgewählt<br />
aus der EU heraus stolpert, die Hilfsbereitschaft<br />
mancher EU-Mitglieder aus dem osteuropäischen<br />
Raum bei der Lösung der Flüchtlingskrise<br />
zu wünschen lässt und die über lange Jahre<br />
so verlässlich praktizierte transatlantische<br />
Partnerschaft zwischen Europa und den USA<br />
plötzlich komplett infrage gestellt ist.<br />
In unserem Titelthema (ab Seite 38) befassen<br />
wir uns ausführlich mit Europa, der EU und der<br />
Fragestellung, ob die neuen Bundesländer in<br />
den vergangenen drei Jahrzehnten nur genommen<br />
oder sich auch selbst in die Entwicklung<br />
der Europäischen Union und des europäischen<br />
Gedankens eingebracht haben.<br />
VINUM DEUTSCHER SEKT<br />
AWARD 2018<br />
VERANSTALTUNGS-<br />
HÖHEPUNKTE<br />
13.& 14. April <strong>2019</strong><br />
Osterkunstmarkt<br />
9. & 10. Juni <strong>2019</strong><br />
Pfingstausflug ins Dixieland<br />
22. Juni <strong>2019</strong><br />
Sommernachtsball<br />
5. – 7. Juli <strong>2019</strong><br />
Sekt- und Gartenträume<br />
23. & 24. August <strong>2019</strong><br />
20. Tage des offenen<br />
Weingutes<br />
7. & 8. September <strong>2019</strong><br />
Federweißerfest<br />
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4<br />
<strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />
INHALTSVERZEICHNIS<br />
INNOVATION 10<br />
15 spannende Green-Tec-Firmen aus dem Osten<br />
W+M TITELTHEMA<br />
Nehmen oder geben? Die Rolle<br />
Ostdeutschlands in Europa 38<br />
W+M INNOVATION<br />
Wachstumsmotor Innovation 6<br />
Green-Tec-Boom<br />
dank Klimaschutz 10<br />
Ex Oriente Lux – MittelstandPlus<br />
in Ostdeutschland 16<br />
Maschinenbau – Rekordkurs<br />
in unsicheren Zeiten 20<br />
Berlin und Brandenburg:<br />
Mehr Innovationen durch Cluster 22<br />
SUPERWAHLJAHR<br />
IM OSTEN 24<br />
Interviews mit drei Ministerpräsidenten,<br />
die um ihr Amt kämpfen<br />
POLITISCHE 58<br />
FARBENSPIELE<br />
Die Regierungschefs Reiner Haseloff und Michael<br />
Müller sprechen über die Lust und Last, an der Spitze<br />
von Drei-Parteien-Koalitionen zu stehen<br />
W+M WAHLEN<br />
Superwahljahr im Osten 24<br />
Brandenburgs Ministerpräsident<br />
Dietmar Woidke über die Strukturentwicklung<br />
der Lausitz, Lehren aus<br />
dem Brexit und die Rentenmauer<br />
zwischen Ost und West 26<br />
Sachsens Ministerpräsident<br />
Michael Kretschmer über Millioneninvestitionen,<br />
die Lebensleistung<br />
der Ostdeutschen und seine Chancen,<br />
Regierungschef im Freistaat zu<br />
bleiben 30<br />
Thüringens Ministerpräsident<br />
Bodo Ramelow über seine Bilanz als<br />
erster linker Regierungschef, die<br />
Krise der Autobauer und seinen<br />
Umgang mit dem erkrankten<br />
CDU-Herausforderer 34<br />
Foto: Pixabay
INHALTSVERZEICHNIS <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong> 5<br />
W+M TITELTHEMA<br />
Darum braucht Ostdeutschland<br />
Europa 38<br />
Aufschwung Ost durch<br />
Brüsseler Milliarden 42<br />
Ostdeutsche Handschrift<br />
in Europa 54<br />
Anne-Marie Descôtes, Frankreichs<br />
Botschafterin in Deutschland,<br />
spricht über die Zukunft Europas<br />
und ihre Erwartungen an die<br />
Bundesregierung 56<br />
TITELTHEMA 38<br />
Darum braucht Ostdeutschland Europa<br />
W+M POLITIK<br />
Politische Farbenspiele –<br />
von „Kenia“ bis Rot-Rot-Grün 58<br />
Sachsen-Anhalts Ministerpräsident<br />
Reiner Haseloff über den Sinn der<br />
Zweckehe von Christdemokraten,<br />
Grünen und Sozialdemokraten<br />
in seinem Land 60<br />
Berlins Regierender<br />
Bürgermeister Michael Müller<br />
über wirtschaftliche Impulse<br />
durch Rot-Rot-Grün und Gefahren,<br />
die in politischen Dreierbündnissen<br />
lauern 64<br />
W+M GESELLSCHAFT<br />
Deutschlands bester Sekterzeuger<br />
kommt aus Radebeul 68<br />
Das breite Netzwerk des Berlin<br />
Capital Clubs 72<br />
Herrenmode-Trends:<br />
Der Gentleman kehrt zurück 74<br />
Uhren: Hybrid – das Beste<br />
aus zwei Welten 76<br />
GESELLSCHAFT 68<br />
Deutschlands bester Sekthersteller kommt aus Radebeul<br />
Foto: Designed by rawpixel.com/Freepik, Schloss Wackerbarth<br />
W+M MACHER<br />
Matthias Ludwig:<br />
Mister Beach-Polo 78<br />
Mario Koss: Erfinder, Komponist,<br />
Gründer und Kreateur des Berliner<br />
Presseballs 80<br />
W+M WEITERE BEITRÄGE<br />
Editorial 3<br />
Impressum 5<br />
IMPRESSUM<br />
<strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />
Das Ostdeutsche Unternehmermagazin<br />
Ausgabe: <strong>Frühjahr</strong> <strong>2019</strong><br />
Redaktionsschluss: 10.04.<strong>2019</strong><br />
Verlag: W+M Wirtschaft und Markt GmbH<br />
Charlottenstraße 65, 10117 Berlin<br />
Tel.: 030 505638-00<br />
info@wirtschaft-markt.de<br />
redaktion@wirtschaft-markt.de<br />
www.wirtschaft-markt.de<br />
Herausgeber/Geschäftsführer:<br />
Frank Nehring, frank.nehring@wirtschaft-markt.de<br />
Chefredakteur:<br />
Karsten Hintzmann, karsten.hintzmann@wirtschaft-markt.de<br />
Autoren: Beate Lecloux, Joachim Ragnitz, Jörg K. Ritter,<br />
René Sadowski, Matthias Salm, Ron Uhden<br />
Hinweis: Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in<br />
diesem Magazin auf eine durchgehende, geschlechtsneutrale<br />
Differenzierung (z. B. Teilnehmer/Teilnehmerinnen) verzichtet.<br />
Entsprechende Begriffe gelten im Sinne der Gleichbehandlung<br />
grundsätzlich für alle Geschlechter. Die verkürzte Sprachform<br />
hat nur redaktionelle Gründe und beinhaltet keine Wertung.<br />
Service: Abo- und Anzeigenverwaltung sowie Marketing und<br />
Vertrieb, info@wirtschaft-markt.de<br />
Layout & Design:<br />
Möller Medienagentur GmbH, www.moeller-mediengruppe.de<br />
Druck: Silber Druck oHG, ISSN 0863-5323<br />
Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck und Kopien nur<br />
mit vorheriger schriftlicher Genehmigung des Verlages.<br />
Namentlich gekennzeichnete Beiträge müssen nicht<br />
mit der Meinung der Redaktion übereinstimmen.<br />
Für unverlangt eingesandte Manuskripte und Fotos<br />
übernehmen wir keine Haftung.
6 <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />
INNOVATION<br />
Wachstumsmotor<br />
Innovation
INNOVATION<br />
<strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />
7<br />
Künstliche Intelligenz, nachhaltige Mobilität, Energiewende – in der Wirtschaft<br />
vollzieht sich derzeit ein radikaler technologischer Wandel. Auch in Ostdeutschland<br />
zählen viele Unternehmen zu den Pionieren der neuen Technologien. Sie könnten<br />
künftig das Rückgrat des Mittelstands bilden.<br />
VON MATTHIAS SALM<br />
Leuchttürme – Die 150 innovativsten Unternehmen<br />
im Osten. So lautete die Titelzeile der<br />
Januarausgabe von <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong>. Ein<br />
bewusst gewählter Themenschwerpunkt, der<br />
bei unseren Lesern wie auch Experten auf große<br />
Resonanz stieß. Rückte er doch viele sogenannte<br />
„Hidden Champions“ des ostdeutschen Mittelstands<br />
ins verdiente Scheinwerferlicht, die sonst<br />
eher im Stillen an zukunftsweisenden Lösungen<br />
für die technologischen Herausforderungen<br />
arbeiten, denen sich Unternehmen in vielen Branchen<br />
gegenwärtig stellen müssen.<br />
Auch die hervorragende Forschungsinfrastruktur<br />
in den neuen Bundesländern haben wir mit ausgewählten<br />
Beispielen der Spitzenforschung wie<br />
etwa das Potsdamer Hasso-Plattner-Institut,<br />
Deutschlands universitäres Exzellenzzentrum<br />
für Digital Engineering, gewürdigt. Denn viele<br />
innovative Produkte und Verfahren entstehen<br />
in enger Kooperation zwischen Mittelstand und<br />
Forschungseinrichtungen. Auch große Konzerne<br />
suchen in Ostdeutschland mittlerweile nach<br />
jungen Ideen: So die Volkswagen AG in ihrem<br />
Dresdner „Future Mobility Incubator“. In der<br />
Gläsernen Manufaktur unterstützt der Wolfsburger<br />
Autokonzern Start-ups, die ihre innovativen<br />
Geschäftsideen rund um das Thema Nachhaltige<br />
Mobilität weiter vorantreiben wollen.<br />
Die Auswahl der 150 Unternehmen in der Januarausgabe<br />
von W+M bildete nahezu die gesamte<br />
Vielfalt des Erfindergeists zwischen Ostsee und<br />
Erzgebirge ab. Darunter fanden sich Start-ups wie<br />
die Dresdner CLOUD&HEAT Technologies GmbH,<br />
die IT-Infrastrukturen in Form maßgeschneiderter<br />
Cloud-Lösungen anbietet. Sie verbindet dabei<br />
Digitalisierung und Energiewende, indem die<br />
Serverwärme als Heizquelle genutzt wird. Oder<br />
die Greifswalder COLDPLASMATECH GmbH, die<br />
mit kaltem Plasma chronische Wunden bekämpft<br />
und damit die Erkenntnisse der Greifswalder<br />
Foto: Photo by Alex Knight on Unsplash, Volkswagen AG<br />
Starthilfe für Innovationen: Der „Future Mobility Incubator“ der Volkswagen AG in Dresden.
8<br />
<strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />
INNOVATION<br />
Gründungsveranstaltung des Fraunhofer-Zentrums für Kognitive Produktionssysteme in Anwesenheit<br />
des sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (Bildmitte) und der Bundesforschungsministerin<br />
Anja Karliczek (3. v. r.).<br />
Das Potsdamer Hasso-Plattner-Institut zählt<br />
zu den führenden Forschungseinrichtungen in<br />
Deutschland.<br />
Plasmaforschung in ein erfolgversprechendes<br />
medizintechnisches Produkt überführt hat. Aber<br />
auch Schwergewichte des Mittelstands wie<br />
beispielsweise die Chemnitzer Maschinenbauer<br />
der NILES-SIMMONS-HEGENSCHEIDT Group oder<br />
der brandenburgische Energiekonzern E.DIS AG<br />
treiben den technologischen Fortschritt.<br />
Politik setzt auf Innovationen<br />
Und das Thema bleibt aktuell. So sieht das<br />
Anfang des Jahres veröffentlichte Strategiepapier<br />
der CDU für Ostdeutschland vor, Innovationen<br />
als Motor für den Wandel in strukturschwachen<br />
Regionen noch stärker zu fördern. Als erster<br />
Prüfstein hierfür dürfte sich schon in naher<br />
Zukunft die Lausitz erweisen. Nach Ende des<br />
Braunkohleabbaus soll beispielsweise als eines<br />
von vier Lausitz-Clustern eine Modellregion für<br />
klimafreundliche, moderne Mobilität entstehen,<br />
etwa mit der Entwicklung und Produktion von<br />
Leichtbaumaterialien für Straße und Schiene.<br />
Auch bei der Energiewende hofft die Lausitz,<br />
als Innovationsstandort punkten zu können.<br />
So wird das Bundesumweltministerium noch in<br />
diesem Jahr in Cottbus ein Kompetenzzentrum<br />
Klimaschutz in energieintensiven Industrien (KEI)<br />
eröffnen. Es richtet sich an Branchen mit hohem<br />
Energieeinsatz wie Stahl, Zement oder Teile der<br />
chemischen Industrie. Die Fraunhofer-Gesellschaft<br />
will mit einem „Institut für Geothermie und<br />
Energieinfrastruktur“ ebenfalls einen neuen Forschungsschwerpunkt<br />
in der Lausitz etablieren.<br />
Neue Institute für Sachsen<br />
Während einige Pläne für die ehemaligen Bergbauregionen<br />
noch Zukunftsmusik sind, wird andernorts<br />
schon konkret der Innovationsstandort<br />
Ostdeutschland ausgebaut. So sollen in Sachsen<br />
Kompetenzen in der Forschung zur Künstlichen<br />
Intelligenz (KI) gebündelt werden. Die Fraunhofer-<br />
Gesellschaft plant den Aufbau eines Zentrums<br />
für Kognitive Produktionssysteme (CPS), an<br />
dem in Dresden und Chemnitz zur Anwendung<br />
Künstlicher Intelligenz in der Industrie geforscht<br />
wird. Zudem haben Fraunhofer und die TU Dresden<br />
die Gründung eines Centers für Künstliche<br />
Intelligenz (CEE AI) in Dresden vereinbart. Beide<br />
Einrichtungen sollen die in Dresden und Chemnitz<br />
heimischen Branchen wie den Maschinenbau und<br />
die Mikroelektronik stärken.<br />
Auch die Hauptstadtregion gehört zu den Vorreitern<br />
bei der Entwicklung der Künstlichen Intelligenz.<br />
Fast die Hälfte der deutschen KI-Gründungen<br />
erfolgt hier. Mittlerweile tüfteln mehr als 200<br />
Unternehmen an Innovationen in diesem Bereich.<br />
Berliner KI-Unternehmen arbeiten vor allem im<br />
Bereich Business Intelligence/Prozessmanagement,<br />
in der Gesundheitswirtschaft sowie in der<br />
Mobilität.<br />
Die Dynamik ist beeindruckend: Von den Berlin-<br />
Brandenburger KI-Unternehmen wurde fast die<br />
Hälfte erst 2014 und später gegründet. Auch<br />
an den Berliner Hochschulen beschäftigen sich<br />
mittlerweile mehr als hundert Professorinnen<br />
und Professoren mit dem Thema.<br />
Der Umbau der Verkehrsbranche eröffnet ostdeutschen<br />
Unternehmen ebenfalls neue Chancen.<br />
Das vom sächsischen Wirtschaftsministerium<br />
geförderte Innovationscluster „HZwo – Antrieb<br />
für Sachsen“, das gemeinsam von Entwicklern<br />
der TU Chemnitz, dem Fraunhofer-Institut für<br />
Werkzeugmaschinen und Umformtechnik (IWU)<br />
sowie regionalen Unternehmen und dem Cluster<br />
Energy Saxony getragen wird, soll eine vollständige<br />
Wertschöpfungskette für Brennstoffzellenfahrzeuge<br />
made in Sachsen erschließen.<br />
Das Cluster HZwo entwickelt dabei konkrete<br />
Antriebslösungen für eine umweltfreundliche<br />
Wasserstoffmobilität. Das Innovationscluster<br />
SET4FUTURE will der sächsischen Bahnbranche<br />
mit ihren 240 Unternehmen und 13.000 Beschäftigten<br />
helfen, innovative Komponenten und<br />
Dienstleistungen im Bereich Infrastruktur und<br />
Fahrzeuge zu entwickeln.<br />
Zu den Hoffnungsträgern zählen auch die<br />
mittelständischen Unternehmen der Umwelttechnologie.<br />
Sie arbeiten an neuen Entwicklungen<br />
in der Energieeffizienz, der Kreislaufwirtschaft,<br />
der Materialeffizienz, der nachhaltigen Mobilität<br />
und bei den Erneuerbaren Energien. Auf den folgenden<br />
Seiten wollen wir deshalb den in unserer<br />
letzten Ausgabe begonnenen redaktionellen<br />
Schwerpunkt fortsetzen und 15 Unternehmen<br />
und Forschungseinrichtungen vorstellen, die gegenwärtig<br />
mit neuartigen Green-Tec-Produkten<br />
und Verfahren auf sich aufmerksam machen. Sie<br />
stehen stellvertretend für die Innovationskraft<br />
des ostdeutschen Mittelstands.<br />
Foto: Fraunhofer IWU/Ines Escherich, HPI/Lutz Hannemann
Netze für<br />
neue Energie<br />
E.DIS investiert seit vielen Jahren in moderne<br />
und leistungsstarke Energienetze in Brandenburg<br />
und Mecklenburg-Vorpommern. So sichern wir<br />
eine zuverlässige und umweltfreundliche<br />
Energieversorgung in der Region. 2018 ist viel<br />
mehr Grünstrom ins E.DIS-Netz aufgenommen<br />
worden, als hier insgesamt verbraucht wurde.
10 <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />
INNOVATION<br />
Green-Tec-<br />
Boom dank<br />
Klimaschutz<br />
Effizienter Energieeinsatz, emissionsarmer<br />
Verkehr und ressourcenschonende<br />
Materialien – grüne Umwelttechnologien<br />
sind auf dem Vormarsch.<br />
Denn die weltweiten Anstrengungen<br />
für mehr Klimaschutz sind ohne technische<br />
Innovationen nicht denkbar.<br />
Und eröffnen so auch dem ostdeutschen<br />
Mittelstand neue Chancen auf<br />
globalen Märkten.<br />
VON MATTHIAS SALM<br />
Die Green-Tec-Branche blüht: Das Bundesumweltministerium<br />
prophezeit den grünen Umwelttechnologien<br />
bis zum Jahr 2025 ein jährliches<br />
Wachstum von 6,9 Prozent. Eine überdurchschnittliche<br />
Dynamik erwarten die Experten vor<br />
allem im Bereich der nachhaltigen Mobilität, bei<br />
der Rohstoff- und Materialeffizienz und in der<br />
Kreislaufwirtschaft. Und deutsche Umwelttechnik<br />
ist gefragt: 2016 hielten heimische Firmen bereits<br />
einen Anteil von 14 Prozent am Weltmarkt.<br />
Noch stärker wächst gegenwärtig hierzulande<br />
dank der propagierten Energie- und Verkehrswende<br />
die Nachfrage nach sauberer Umwelttechnik.<br />
Davon profitiert vor allem der Mittelstand,<br />
denn rund drei Viertel der deutschen Green-Tec-<br />
Unternehmen beschäftigten laut Umwelttechnik-<br />
Atlas des Bundesumweltministeriums weniger<br />
als 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Zu den<br />
Vorreitern der Branche zählen daher kleine und<br />
mittelständische ostdeutsche Unternehmen<br />
ebenso wie hier ansässige renommierte Forschungseinrichtungen.<br />
Auf den folgenden Seiten<br />
stellen wir 15 spannende Green-Tec-Innovationen<br />
und -forschungen made in Ostdeutschland vor –<br />
vom Solar-Radweg bis zur WASTX-Technologie<br />
zur Aufbereitung von Altölen.<br />
Bombardier Transportation GmbH<br />
Bombardier Transportation mit Sitz in Berlin<br />
zählt zu den weltweit führenden Herstellern<br />
in der Bahnbranche. Mit dem BOMBARDIER<br />
TALENT 3-Batterietriebzug setzt der Konzern auf<br />
saubere Mobilität. Seine besonderen Kennzeichen:<br />
Er fährt emissionsfrei, energieeffizient und<br />
geräuscharm. Die Batterien werden während<br />
der Fahrt beziehungsweise an Haltestellen unter<br />
Foto: Pixabay
INNOVATION<br />
<strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong> 11<br />
Umweltfreundlich: Bombardiers TALENT 3-Batteriezug.<br />
Für den TALENT 3-Batteriezug erhielt Bombardier Transportation den<br />
Innovationspreis Berlin-Brandenburg.<br />
Foto: Bombardier Transportation GmbH<br />
der Oberleitung oder mittels zurückgewonnener<br />
Bremsenergie geladen. Mit dem BOMBARDIER<br />
TALENT 3 können Bahnbetreiber nicht-elektrifizierte<br />
Strecken überbrücken und ihre Dieselfahrzeuge<br />
durch einen sauberen Batteriebetrieb<br />
ersetzen.<br />
Das Einsatzgebiet ist weitreichend, denn immerhin<br />
sind 40 Prozent des hiesigen Schienennetzes<br />
nicht elektrifiziert. Mit seinen ultraschnell<br />
ladenden BOMBARDIER MITRAC Lithium-Ionen-<br />
Hochleistungsbatterien könnte der BOMBARDIER<br />
TALENT 3-Batterietriebzug bereits heute über<br />
30 Prozent der nicht-elektrifizierten Strecken in<br />
Deutschland elektrisch befahren. Durch die kostengünstige<br />
Elektrifizierung der Endpunkte wären<br />
sogar 75 Prozent aller Dieselstrecken in Deutschland<br />
sauber und umsteigefrei zu betreiben.<br />
„Unser Ziel war es, einen leisen und umweltfreundlichen<br />
Zug für die Fahrgäste zu entwickeln<br />
und den Betreibern weltweit die beste Alternative<br />
zu emissionsreichen Dieselzügen unter<br />
Kosten- und Sicherheitsaspekten anzubieten“,<br />
fasst Pierre-Yves Cohen, Präsident für Produkte<br />
und Entwicklung bei Bombardier Transportation,<br />
die Vorzüge des BOMBARDIER TALENT 3<br />
zusammen. Entwicklung und Testbetrieb sind im<br />
brandenburgischen Hennigsdorf angesiedelt. An<br />
der Konzeption war auch die TU Berlin beteiligt.<br />
Solmove GmbH<br />
Radfahren auf einem Solarkraftwerk – mit<br />
dieser Idee sorgt das Potsdamer Unternehmen<br />
Solmove GmbH für Aufsehen. Die Technologie<br />
aus der brandenburgischen Landeshauptstadt<br />
kombiniert Photovoltaik mit umweltfreundlicher<br />
Mobilität. Das Ergebnis nennen die Potsdamer<br />
eine „intelligente Solarstraße“. Dazu wird die<br />
Solartechnik auf eine stabile Glasoberfläche<br />
aufgebracht. Diese kann auf horizontale Flächen<br />
verklebt werden. Eine spezielle Noppenstruktur<br />
des Belags sorgt zudem dafür, dass Regenwasser<br />
gut abgeleitet wird.<br />
In Erftstadt nahe Köln wurde durch Solmove<br />
Ende letzten Jahres der erste Solar-Radweg<br />
Deutschlands installiert. Die 90 Meter lange<br />
Teststrecke soll jährlich bis zu 16 Megawattstunden<br />
Solarstrom erzeugen. Die bei der Einweihung<br />
anwesende Bundesumweltministerin Svenja<br />
Schulze testete den Solar-Radweg allerdings im<br />
Regen. Ihr Fazit: „Bei dem Regen können wir auf<br />
jeden Fall schon jetzt feststellen, dass dieser<br />
Belag rutschfest ist.“<br />
Gegründet hat die Solmove GmbH der Ingenieur<br />
Donald Müller-Judex im Jahr 2014 in Bayern.<br />
Weil in Brandenburg die Wirtschaftsförderer<br />
allerdings mehr Begeisterung für die Idee zeigten<br />
als in der bayerischen Heimat, zog Müller-Judex<br />
2016 mit seinem Start-up in die Hauptstadtregion.<br />
Hier hofft er nun auf den Durchbruch der<br />
Solar-Radwege.<br />
Skeleton Technologies GmbH<br />
Skeleton Technologies ist Europas führender<br />
Hersteller von Ultrakondensatoren mit hoher<br />
Leistungs- und Energiedichte. Ultrakondensatoren<br />
sind Schnellspeichermedien und speichern<br />
Energie in einem elektrischen Feld. Sie kommen<br />
als langlebige Energiespeicherlösungen in der Industrie<br />
zum Einsatz. Ultrakondensatoren können<br />
als Batterieersatz oder auch als Ergänzung zu<br />
Batterien genutzt werden.<br />
Im Gegensatz zu Batterien lassen sich Ultrakondensatoren<br />
in kürzester Zeit be- und entladen. In<br />
Kombination mit Batterien verlängern sie deren<br />
Lebenszeit und reduzieren den Verbrauch von<br />
Kraftstoff bei hybriden Fahrzeugen.<br />
Zur Weiterentwicklung der Technologie betreiben<br />
die Sachsen umfassende Forschungsarbeiten,<br />
etwa gemeinsam mit der Hochschule für<br />
Wirtschaft und Technik Dresden (HTW Dresden).<br />
Das Ziel: Die Zukunftstechnologie für die<br />
Elektromobilität oder für smarte Stromnetzapplikationen<br />
auf Graphen-Basis nutzbar zu machen.
12<br />
<strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />
INNOVATION<br />
Forschen gemeinsam an<br />
der Zukunftstechnologie<br />
Ultrakondensatoren: Prof.<br />
Dr. Ralf Rogler und Prof.<br />
Jörg Feller von der HTW<br />
Dresden und Thomas<br />
Hucke, CTO der Skeleton<br />
Technologies GmbH.<br />
betrieben werden, wo der Müll anfällt – in Industrieanlagen<br />
oder Häfen beispielsweise überall auf<br />
der Welt. Gründer Oliver Riedel hat deshalb nicht<br />
nur den Heimatmarkt als Absatzgebiet im Visier:<br />
„Unsere Zielmärkte für die kompakten WASTX<br />
Oil-Anlagen sehen wir deshalb in Regionen ohne<br />
geordnete und überwachte Entsorgungsstrukturen,<br />
also in Schwellen- und Entwicklungsländer.“<br />
Kiwigrid GmbH<br />
Die Softwarelösungen von Kiwigrid treiben die<br />
Energiewende. Das Unternehmen steht für<br />
intelligentes Energiemanagement. Die Dresdner<br />
helfen Energieversorgern, Automobilherstellern<br />
oder Telekommunikationsunternehmen, das<br />
Potenzial dezentraler Energieressourcen und<br />
digitaler Technologien auszuschöpfen.<br />
Der Kundenstamm der Skeleton Technologies<br />
aus dem sächsischen Großröhrsdorf im Landkreis<br />
Bautzen reicht von führenden Automobilherstellern<br />
und Zulieferern bis hin zu Lkw-Flottenbetreibern<br />
und Luftfahrzeugunternehmen. In der<br />
renommierten Bestenliste Global Cleantech 100,<br />
die weltweit führende Unternehmen im Bereich<br />
nachhaltiger Innovationen beinhaltet, wurden die<br />
Sachsen <strong>2019</strong> erneut aufgenommen.<br />
Im Freistaat fühlt sich das Unternehmen gut<br />
aufgehoben. Thomas Hucke, CTO und Managing<br />
Director bei Skeleton Technologies, lobt den<br />
Standort als ideal für die Green-Tec-Branche:<br />
„Sachsen und die Landeshauptstadt Dresden<br />
bieten für ein Technologieunternehmen im<br />
zukunftsrelevanten Energiespeichersektor wie<br />
Skeleton ein hervorragendes Umfeld.“<br />
nachhaltigen Aufbereitung solcher Abfälle parat.<br />
Damit ist eine dezentrale Energie- und Wärmeversorgung<br />
aus Kraftstoff möglich, der aus<br />
Plastikabfällen oder Altöl gewonnen wird.<br />
Die Anlage – in Form eines großen Kleiderschranks<br />
– kann bis zu 1.000 Liter Ölabfälle pro<br />
Tag verarbeiten. In einem einzigartigen Verfahren<br />
werden dabei verschmutzte ölhaltige Reststoffe<br />
gereinigt, kondensiert und innerhalb weniger<br />
Minuten in Kraftstoff umgewandelt. Die WASTX-<br />
Kompaktpyrolyse-Anlagen können direkt dort<br />
Gerade im Energiemarkt ist Kiwigrid gefragt.<br />
Denn dieser wird durch die Energiewende und der<br />
wachsenden Zahl von Energieerzeugern immer<br />
kleinteiliger. Schon heute sind mehr als 1,3 Millionen<br />
kleine und große erneuerbare Anlagen oder<br />
dezentrale Speicher an die deutschen Verteilnetze<br />
angeschlossen, erklärt der Netzbetreiber<br />
innogy, einer der Investoren in die Kiwigrid GmbH.<br />
Mit der leistungsfähigen Software aus Sachsen<br />
lassen sich Photovoltaikanlagen, Wärmepumpen<br />
oder Ladestationen für elektrische Fahrzeuge<br />
überwachen und steuern.<br />
Jüngstes Produkt: Eine Solar-Cloud. Sie macht die<br />
virtuelle Speicherung von Solarenergie möglich.<br />
Die Kiwigrid-Plattform ist dabei das softwaretechnische<br />
Fundament der Solar-<br />
BIOFABRIK Technologies GmbH<br />
Die BIOFABRIK Technologies GmbH aus Dresden<br />
entwickelt Technologielösungen zur Verarbeitung<br />
von Abfallstoffen. Gegründet von Oliver Riedel<br />
arbeiten rund 25 Mitarbeiter an der energetischen<br />
Verwertung von problematischen Abfällen.<br />
So beispielsweise mit der WASTX-Technologie:<br />
Damit lassen sich Abfallstoffe aus Plastik oder<br />
Altöl sinnvoll verwerten. Der Hintergrund: In<br />
jedem Liter Altöl stecken mehr als 90 Prozent<br />
wiedernutzbarer Kraftstoff.<br />
Mit der WASTX-Technologie haben die Sachsen<br />
ein umfassendes System zur ganzheitlichen und<br />
Für die weltweit erste<br />
Mittelspannungsschaltanlage<br />
ohne SF6-<br />
Treibhausgas erhielt die<br />
Nuventura GmbH<br />
den StartGreen Award<br />
2018.<br />
Fotos: HTW Dresden/Peter Sebb, BMU/Xander Heinl
INNOVATION<br />
<strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong> 13<br />
SOEX Mitarbeiterin Ewa Wonschik bedient die neue Schuhrecyclinganlage in Wolfen.<br />
Foto: SOEX/I:CO<br />
Cloud und der Home-Energie-Management-<br />
Systemlösungen der gesamten innogy-Gruppe.<br />
„Wir verbinden Solaranlage, Batteriespeicher und<br />
SolarCloud zu einem intelligenten und kundenzentrierten<br />
System. Wir werden das Produkt<br />
gemeinsam mit innogy und der enviaM-Gruppe<br />
weiterentwickeln“, erklärt Tim Ulbricht, Geschäftsführer<br />
der Kiwigrid GmbH. Die Dresdner<br />
Softwareschmiede zählt in ihrer Branche zu<br />
einem der führenden Technologieunternehmen<br />
der Welt und wurde im Februar 2018 erneut in die<br />
Liste der Global Cleantech 100 aufgenommen.<br />
Nuventura GmbH<br />
Im Cleantech Innovation Center in Berlin-<br />
Marzahn ist das junge Unternehmen Nuventura<br />
angetreten, Schwefelhexafluid (SF6) den Garaus<br />
zu machen. SF6 steht im Ruf, eines der klimaschädlichsten<br />
Gase weltweit zu sein. Zwar ist<br />
der Ausstoß von SF6 bereits gesetzlich limitiert,<br />
allerdings kommt es in der Energiewirtschaft<br />
als Isoliermedium für gasisolierte Schaltanlagen<br />
noch zum Einsatz. Das klimaschädigende<br />
Potenzial von SF6 übersteigt nach Angaben des<br />
Unternehmens das von Kohlenstoffdioxid um das<br />
23.500-fache.<br />
Deshalb hat Firmengründer und Elektroingenieur<br />
Manjunath Ramesh SF6 den Kampf angesagt.<br />
Nuventura hat dazu Schaltanlagen für den Energiesektor<br />
entwickelt, die ohne SF6 auskommen.<br />
Sie verwenden stattdessen als Isolator trockene<br />
Luft. Die Neuheit: Die Kompaktheit der Schaltanlagen<br />
bleibt dabei erhalten. Dazu wird die Luft im<br />
Inneren der Anlage komprimiert. Im Umspannwerk<br />
Vierbaum im nordrhein-westfälischen<br />
Rheinberg ist die Technik bereits im Einsatz.<br />
Neben ihrem Beitrag zum Klimaschutz überzeugen<br />
die Schaltanlagen des Berliner Unternehmens<br />
auch durch den Einsatz von Sensoren, die<br />
frühzeitig Wartungsbedarf signalisieren. Nach<br />
erfolgreichem Testlauf bei der Innogy-Tochter<br />
Westnetz GmbH ist der Markteintritt geplant.<br />
CRONIMET Envirotec GmbH<br />
Die CRONIMET Envirotec GmbH steht für die<br />
innovative und nachhaltige Behandlung von<br />
Abfallschlämmen aus der Metall- und Ölindustrie.<br />
Als Teil der weltweit agierenden CRONIMET<br />
Holding GmbH betreibt die CRONIMET Envirotec<br />
GmbH in Bitterfeld-Wolfen dazu eine innovative<br />
Recyclinganlage für Metallschlämme.<br />
Dafür wurde das Unternehmen bereits mehrfach<br />
ausgezeichnet, unter anderem mit dem Preis<br />
der Umweltallianz Sachsen-Anhalt 2018. Die<br />
patentierte Vakuumdestillation ermöglicht eine<br />
umweltschonende und nachhaltige Separation<br />
von Stoffen ohne deren chemische Veränderung.<br />
DBF – Deutsche Basalt Faser GmbH<br />
Die DBF – Deutsche Basalt Faser GmbH betreibt<br />
in Sangerhausen die EU-weit erste Anlage zum<br />
Herstellen kontinuierlich gezogener Basaltfasern.<br />
Sie sollen künftig in der Betonindustrie eine<br />
wichtige Rolle spielen. Betonbauteile werden in<br />
der Regel mit Bewehrungen aus Stahl versehen,<br />
die als Stab- oder Mattenbewehrung eingebaut<br />
und durch eine ausreichende Betonüberdeckung<br />
vor Korrosion geschützt werden.<br />
Dennoch kann es immer wieder zu Rissen im<br />
Beton kommen. Um diese Rissbildungen unter<br />
Kontrolle zu bekommen, werden Fasermaterialien<br />
zugegeben. Basaltfasern, so die Hoffnung<br />
des Unternehmens, könnten sich als materialsparende<br />
Alternative zu den bisher verwendeten<br />
Fasermaterialien erweisen. Denn beim Einsatz<br />
von Basaltfasern ist eine geringere Betonüberdeckung<br />
möglich. Eine Betonersparnis von bis<br />
zu 40 Prozent sei denkbar, schätzt das Sangerhausener<br />
Unternehmen. Zudem sei die Basaltfaser<br />
recycelbar. Für die Erforschung weiterer<br />
Anwendungsmöglichkeiten arbeitet die DBF<br />
– Deutsche Basalt Faser GmbH etwa im Projekt<br />
„Neuartige basaltfaserverstärkte Thermoplaste<br />
für Automobilanwendungen“ mit dem Fraunhofer<br />
IMWS in Halle zusammen.<br />
SOEX Recycling Germany GmbH<br />
Im SOEX Werk Bitterfeld-Wolfen in Sachsen-<br />
Anhalt werden seit 1999 Alttextilien recycelt.<br />
Jährlich wandeln sich so rund 11.000 Tonnen<br />
Alttextilien in Sekundärrohstoffe, die in verschie-
14<br />
<strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />
INNOVATION<br />
denen Industriezweigen zu neuen Produkten<br />
weiterverarbeitet werden.<br />
Dabei ist das Unternehmen stets auf der Suche<br />
nach neuen Recyclingverfahren. So werden<br />
beispielsweise in Wolfen täglich mehr als 50.000<br />
Paar gebrauchte Schuhe angeliefert. Rund 17<br />
Prozent müssen fachgerecht entsorgt werden,<br />
da sie nicht mehr getragen werden können. SOEX<br />
entwickelte deshalb gemeinsam mit diversen<br />
Partnern eine Schuhrecyclinganlage, die aus<br />
untragbaren Schuhen einzelne Materialien wie<br />
Gummi, Leder und Textilien extrahieren kann, um<br />
diese als Sekundärrohstoffe wiederzuverwenden.<br />
Für die weltweit erste typenunabhängige<br />
Schuhrecyclinganlage erhielt das Unternehmen<br />
unter anderem eine Auszeichnung beim Hugo-<br />
Junkers-Preis, der jährlich vom Ministerium für<br />
Wirtschaft, Wissenschaft und Digitalisierung des<br />
Landes Sachsen-Anhalt für innovative Produkte<br />
und Verfahren verliehen wird.<br />
Fraunhofer IOSB Institutsteil<br />
Angewandte Systemtechnik<br />
Die zunehmende Einbindung Erneuerbarer Energien<br />
in das Stromnetz kann zu kritischen Dynamiken<br />
führen. Um diese frühzeitig zu erkennen, haben<br />
die Ilmenauer Energieforscher des Fraunhofer-<br />
Instituts für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung<br />
– Institutsteil Angewandte Systemtechnik<br />
(IOSB-AST) neue Lösungen entwickelt.<br />
Denn konventionelle Messtechniken gelangen<br />
längst an ihre Grenzen. Im Betrieb der Stromnetze<br />
wird deshalb immer mehr auf hochauflösende<br />
Sensorik und große Datenmengen<br />
zurückgegriffen. Mithilfe Künstlicher Intelligenz<br />
können diese Daten nicht nur deutlich verkleinert,<br />
sondern auch zur automatisierten Anomalie- und<br />
Fehlererkennung im Netzbetrieb verwendet<br />
werden. Die Forscher des Fraunhofer IOSB-AST<br />
haben Komprimierungsverfahren entwickelt, die<br />
den Speicherbedarf zur Archivierung der Daten<br />
erheblich reduzieren können. So können etwa 80<br />
Prozent der Daten eingespart werden. Im zweiten<br />
Schritt werden Verfahren aus dem Bereich<br />
der Künstlichen Intelligenz zur automatischen<br />
Auswertung der Messwerte eingesetzt. An der<br />
Entwicklung waren unter anderem auch die Ottovon-Guericke-Universität<br />
Magdeburg und die TU<br />
Ilmenau beteiligt.<br />
Mit hochauflösenden Methoden schauen die<br />
Forscherinnen und Forscher des Fraunhofer<br />
IMWS ins Innere von Materialien.<br />
Fraunhofer-Institut für Mikrostruktur<br />
von Werkstoffen und Systemen IMWS<br />
Die Halleschen Forscher des Fraunhofer IMWS<br />
sind Experten einer optimierten Materialeffizienz.<br />
Werkstoffe werden in Halle (Saale) bis ins<br />
kleinste Detail analysiert, um ihre Zuverlässigkeit,<br />
Sicherheit, Lebensdauer und Funktionalität<br />
zu steigern. Zugleich entwickeln die rund 330<br />
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Instituts<br />
neue Materialien. Sie sollen besonders leistungsfähig<br />
sein oder einen schonenderen Umgang mit<br />
Ressourcen ermöglichen.<br />
Die Forscher sind Partner der Wirtschaft, die Aufträge<br />
kommen unter anderem aus der Mikroelektronik,<br />
der Kunststofftechnik, der Photovoltaik,<br />
der chemischen Industrie, der Energietechnik,<br />
dem Automobil- oder dem Flugzeugbau. Jüngst<br />
vergaben das Wirtschaftsmagazin „brand eins“<br />
und das Statistikportal Statista in einer Bestenliste<br />
deutscher Innovatoren dem Halleschen Forschungsinstitut<br />
eine Spitzenbewertung. Für Prof.<br />
Ralf B. Wehrspohn, Leiter des Fraunhofer IMWS,<br />
auch eine Würdigung der Innovationskraft in<br />
Sachsen-Anhalt: „Es gibt in unserer Region viele<br />
Unternehmen mit zukunftsweisenden Ideen, das<br />
bemerke ich jeden Tag in der Zusammenarbeit<br />
mit unseren Partnern.“<br />
Embever GmbH<br />
Die Ausgründung aus der Magdeburger Otto-von<br />
Guericke-Universität hat eine Cloud-basierte<br />
Middleware – also eine vermittelnde Softwareebene,<br />
über die Daten unterschiedlicher<br />
Softwaresysteme kommunizieren – entwickelt.<br />
Sie ermöglicht, batteriebetriebene „Internet of<br />
Things“-Geräte energieeffizient und einfach<br />
mit ihren Webanwendungen zu verbinden und<br />
darüber zu steuern. Die dazugehörige Firmware<br />
versetzt Geräte in einen Deep-Sleep-Modus, in<br />
dem sie sich ohne Datenverlust nur von Zeit zu<br />
Zeit mit der Middleware synchronisieren. Dadurch<br />
wird eine extrem hohe Energieeffizienz erreicht.<br />
SONOTEC Ultraschallsensorik Halle<br />
GmbH<br />
SONOTEC wurde Anfang 1991 von den Physikern<br />
Dr. Santer zur Horst-Meyer und Hans-Joachim<br />
Münch gegründet und ist seitdem inhabergeführt.<br />
Das Unternehmen ist führend in der<br />
Ultraschallmesstechnik. So beispielsweise mit<br />
dem digitalen Ultraschallprüfgerät SONAPHO-<br />
NE, das Leckagen in Druckluftanlagen aufspürt.<br />
Druckluft ist für rund zehn Prozent der industriellen<br />
Energiekosten verantwortlich. Doch rund 30<br />
Prozent der eingesetzten Energie gehen durch<br />
Leckagen verloren. Mit dem Messgerät SONA-<br />
PHONE können diese oft nur millimetergroßen<br />
Lecks identifiziert und bewertet werden.<br />
Coolar UG<br />
Das 2014 gegründete Berliner Unternehmen<br />
arbeitet an einem Kühlschrank, der ohne Strom<br />
auskommt. Die Technologie der Hauptstädter<br />
verwandelt stattdessen Solarwärme mithilfe<br />
eines Wassertanks in Kälte. Als mögliche Einsatzgebiete<br />
sehen die Berliner beispielsweise die<br />
Möglichkeit, weltweit Impfstoffe in entlegenen<br />
Krankenhäusern ohne Netzanschluss kühlen zu<br />
können.<br />
Center for Economics of Materials CEM<br />
Das Center for Economics of Materials CEM<br />
wurde im August 2017 als gemeinsame Einrichtung<br />
des Fraunhofer-Instituts für Mikrostruktur<br />
von Werkstoffen und Systemen IMWS und der<br />
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg<br />
(MLU) gegründet.<br />
Zu den Projekten des CEM gehört beispielsweise<br />
die Sicherung des Kohlenstoffbedarfs für<br />
eine nachhaltige chemische Industrie. Fossiler<br />
Kohlenstoff wird zur Produktion etwa von<br />
Düngemitteln, Medikamenten oder Kunststoffen<br />
benötigt. Die natürlichen Vorkommen sind jedoch<br />
begrenzt. Deshalb besteht bei der Versorgung<br />
eine Abhängigkeit von Drittländern. Mithilfe von<br />
neuen Technologien und Innovationen wollen<br />
die Fraunhofer-Forscher dazu beitragen, diese<br />
Abhängigkeit zu reduzieren und gleichzeitig einen<br />
ressourcenschonenderen Einsatz zu erreichen.<br />
Foto: Fraunhofer IMWS/Sven Döring
Warum das Weite<br />
suchen, wenn man<br />
darin wohnen kann.
16 <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />
INNOVATION<br />
EX ORIENTE LUX<br />
–<br />
MITTELSTANDPLUS IN OSTDEUTSCHLAND<br />
RENÉ SADOWSKI UND JÖRG K. RITTER<br />
Das Rückgrat der deutschen Wirtschaft – als solches werden Mittelstand und Familienunternehmen oft<br />
bezeichnet. Und in der Tat, das gilt besonders in Ostdeutschland.<br />
Denn gerade hier haben Unternehmerinnen und Unternehmer in den zurückliegenden drei<br />
Dekaden Beachtliches geleistet – ex oriente lux. Ohne ihren Mut und ihr Engagement wäre die heutige<br />
gesellschaftliche und insbesondere ökonomische Prosperität in nahezu allen Regionen<br />
Ostdeutschlands nur schwerlich gegeben. Auch um diese Leistungen zu<br />
würdigen, wurde die Initiative „Macher 30“ (siehe Infokasten) ins Leben gerufen. Für diese haben wir in<br />
den zurückliegenden Monaten eine umfangreiche Erhebung aller ostdeutschen mittelständischen und<br />
Familienunternehmen durchgeführt, um eine umfassende unternehmensspezifische Bestandsaufnahme zu<br />
erstellen und zugleich herausragende Erfolgsmodelle sowie Persönlichkeiten zu identifizieren.<br />
Ostdeutschland ist mehr als typisch<br />
Mittelstand<br />
In einem gesamtdeutschen Vergleich der 1.000<br />
größten Unternehmen (die Umsatzgrenze liegt<br />
bei 200 Millionen Euro jährlich) kommen 75 dieser<br />
Unternehmen aus den fünf ostdeutschen Bundesländern<br />
und Berlin. Das sind zunächst nur circa fünf<br />
Prozent. Überzeugend ist jedoch die hohe Anzahl<br />
an mittelständischen und Familienunternehmen<br />
in dieser Region, deren Umsatz über 50 Millionen<br />
Euro jährlich beträgt. Dies sind insgesamt 523<br />
Unternehmen. Über alle Regionen hinweg kann jeweils<br />
ein Viertel bis sogar ein Drittel der Unternehmen<br />
einen solchen Umsatz aufweisen – und wird<br />
damit, gemäß EU-Definition, gar nicht den kleinen<br />
und mittleren Unternehmen (KMU) zugerechnet.<br />
Sozusagen MittelstandPlus. Wird die Umsatzgrenze<br />
auf mehr als 25 Millionen Euro gelegt, sind<br />
hier absolut betrachtet sogar fast genau 1.000<br />
Unternehmen dieses Typs zu Hause.<br />
Traditionsbewusst und robust<br />
Im Rahmen unserer Erhebung konnten insgesamt<br />
über 1.700 eigenständige, dies bedeutet<br />
konzernunabhängige, Unternehmen aus allen<br />
ostdeutschen Bundesländern und Berlin mit<br />
einem Umsatz von mindestens fünf Millionen<br />
Euro jährlich identifiziert werden, die nun in den<br />
folgenden Monaten beispielsweise nach Größenklasse,<br />
Wachstum, Internationalität, Region<br />
und Branche weiter analysiert werden. Darüber<br />
hinaus konnten wir für 1.638 dieser Unternehmen<br />
auch das Gründungsjahr erheben.<br />
In der Betrachtung der Alterskohorten sehen<br />
wir, dass überraschenderweise nahezu die<br />
Hälfte der betrachteten Unternehmen bereits<br />
vor 1990 gegründet wurde und damit auf eine<br />
lange unternehmerische Tradition und mehrere<br />
zurückblicken kann. Einige dieser Unternehmen,<br />
beispielsweise die Brandenburger Urstromquelle<br />
aus Baruth und die Spreewaldmühle aus Burg,<br />
wurden bereits im 14. Jahrhundert gegründet,<br />
andere im 15. Jahrhundert wie z. B. die Schmiedeberger<br />
Gießerei aus Dippoldiswalde in Sachsen.<br />
Natürlich, in den ersten zehn Jahren nach der<br />
Wende zeigen die Daten eine große Gründungswelle.<br />
Genau genommen gab es in dieser Zeit<br />
dreimal so viele Gründungen wie in den letzten<br />
20 Jahren. Mit weniger als 40 Unternehmen, die<br />
seit 2010 gegründet wurden (und einen Umsatz<br />
von mindestens fünf Millionen Euro aufweisen),<br />
zeigt sich aber ebenso ein Abwärtstrend in der<br />
Gründerlandschaft. Denn offensichtlich konnten<br />
sich in diesem Zeitraum nur wenige wachstumsstarke<br />
Unternehmen etablieren. In den zurückliegenden<br />
15 Jahren sind es 111 Unternehmen,<br />
die einen Jahresumsatz von über fünf Millionen<br />
Euro erzielten. Berlin mag hier seinem Ruf als<br />
Motor des Neuen gerecht werden, denn mit 62
INNOVATION<br />
<strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong> 17<br />
MACHER 30<br />
Die Initiative „Macher 30 – der<br />
Ehrenpreis für herausragende Persönlichkeiten<br />
in Berlin und Ostdeutschland“ der Initialpartner<br />
VBKI, ESMT Berlin, Ostdeutscher Bankenverband<br />
und Egon Zehnder hat das Ziel, außerordentlich erfolgreiche<br />
Persönlichkeiten in Berlin und Ostdeutschland, die sich mit ihrem<br />
Handeln und Wirken im Kontext des ökonomischen und gesellschaftspolitischen<br />
Transformationsprozesses seit 1990 durch ein<br />
herausragendes Engagement und eine außerordentliche Leistung<br />
hervorgetan haben, zu identifizieren und medial in einem besonderen<br />
Format zu würdigen. Die Preisverleihungen in den vier Kategorien<br />
Wirtschaft, Wissenschaft, Kommune und Newcomer<br />
werden am 17. März 2020 an der ESMT Berlin stattfinden.<br />
„Macher 30“ baut auf der Initiative „Macher 25 – der<br />
große Wirtschaftspreis des Ostens“ auf.<br />
<strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong> ist Medienpartner<br />
der Initiative.<br />
dieser 111 Unternehmen ist mehr als die Hälfte<br />
aller Gründungen hier zu Hause – vor allem in den<br />
Branchen E-Commerce/Handel und Digitalwirtschaft,<br />
gefolgt von der Gesundheitswirtschaft.<br />
Wachstum – auch eine<br />
Frage des Alters<br />
Aber nicht nur junge Unternehmen sind wachstumsstark.<br />
So hat die im letzten Jahr vom Ifo<br />
Institut Dresden und von Ramboll Consulting<br />
veröffentlichte Gazellenstudie zu schnell<br />
wachsenden Unternehmen in Ostdeutschland<br />
(mindestens 20 Prozent Wachstum über drei<br />
Jahre) gezeigt, dass Wachstum keine Frage<br />
jungen Unternehmensalters ist. In ihrer Analyse<br />
von Unternehmen, die im Gegensatz zu unserer<br />
Erhebung primär weniger als fünf Millionen Euro<br />
Umsatz erwirtschaften, zeigte sich, dass fast<br />
60 Prozent dieser 4.930 Unternehmen älter<br />
als zehn Jahre sind. Dominierend sind dabei<br />
konsumnahe Dienstleistungen und das verarbeitende<br />
Gewerbe. Hinzu kommt: Durch diese<br />
Gazellen wurde in den vergangenen Jahren gut<br />
die Hälfte aller neuen Arbeitsplätze geschaffen.<br />
Und das, obwohl diese weniger als acht Prozent<br />
aller Unternehmen in Ostdeutschland ausmachen.<br />
Insbesondere in Berlin und mit etwas<br />
Abstand in Sachsen sind Gazellen überdurchschnittlich<br />
häufig vertreten.<br />
Sachsen – das Unternehmerland?<br />
Die meisten mittelständischen und Familienunternehmen<br />
sind insgesamt und auch in<br />
allen drei Größenklassen in Sachsen zu finden.<br />
Zusammen sind es 511 Unternehmen. Obgleich<br />
Sachsen mit ca. 4,1 Mio. Bürgern neben Berlin<br />
die höchste und im Vergleich mit Mecklenburg-<br />
Vorpommern fast 2,5-fache Einwohneranzahl<br />
hat, zeigt es doch – auch relativ betrachtet<br />
– hohe wirtschaftliche Kraft. Dabei hat jede<br />
Region ihre Besonderheiten entwickelt. So<br />
findet man in der Region um Chemnitz/Zwickau<br />
und im Erzgebirge einen starken Maschinenbau,<br />
in Dresden hat sich eine starke Halbleiterindustrie<br />
herausgebildet, und Leipzig ist bekannt für<br />
eine extrem wachsende IT- und Medizinbranche.<br />
Aber auch Regionen wie die Lausitz und<br />
das Vogtland haben jeweils ihre sogenannten<br />
Hidden Champions. Sachsen ist auch unter einer<br />
anderen Perspektive herausstechend: Sachsen<br />
ist das Unternehmerland, in dem – im Vergleich<br />
zu allen anderen Regionen – Unternehmen mit<br />
Gründungsjahren vor 1949 (Gründungsjahr der<br />
DDR) und zwischen 1949 und 1989 (Bestehen<br />
der DDR) am häufigsten vertreten sind.<br />
Tradition, Robustheit und Erneuerung, das<br />
zeichnet die Unternehmerlandschaft in Ostdeutschland<br />
insgesamt aus – also durchaus<br />
sonnige Aussichten.
18 <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />
INNOVATION<br />
MITTELSTAND & UNTERNEHMEN<br />
NACH REGION UND<br />
GRÜNDUNGSJAHR<br />
n = 1.638 mittelständische und Familienunternehmen<br />
in Ostdeutschland und Berlin (keine Konzerntöchter)<br />
NACH REGION UND<br />
JAHRESUMSATZ<br />
n = 1.731 mittelständische und Familienunternehmen<br />
in Ostdeutschland und Berlin (keine Konzerntöchter)<br />
Berlin<br />
Brandenburg<br />
Mecklenburg-Vorpommern<br />
Sachsen<br />
Sachsen-Anhalt<br />
Thüringen<br />
96 | 50 | 37 | 211 | 74 | = 557<br />
109 | 38 | 22 | 64 | 30 | = 312<br />
54 | 46 | 41 | 130 | 57 | = 400<br />
56 | 14 | 17 | 32 | 15 | = 159<br />
32 | 9 | 4 | 33 | 13 | = 99<br />
39 | 5 | 2 | 16 | 6 | = 75<br />
23 | 3 | 2 | 5 | 1 | = 36<br />
1995<br />
– 1999<br />
2000<br />
– 2004<br />
2005<br />
– 2009<br />
AB<br />
2010<br />
1949<br />
– 1989<br />
1990<br />
– 1994<br />
VOR<br />
1949<br />
0 100 200 300 400 500 600<br />
523<br />
UMSATZKLASSEN<br />
IN MIO. EURO<br />
GESAMT 1.731<br />
ÜBER 50<br />
5 BIS 25<br />
736<br />
1.638 GESAMT<br />
ÜBER 25 BIS 50<br />
409 165 125 491 196 252<br />
472<br />
Quelle: Analyse Egon Zehnder
INNOVATION<br />
1.731<br />
FAMILIENUNTERNEHMEN,<br />
MITTELSTAND, OHNE<br />
KONZERNTÖCHTER<br />
<strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />
19<br />
ÜBER 50<br />
ÜBER 25 BIS 50<br />
40<br />
37<br />
62<br />
MECKLENBURG-<br />
VORPOMMERN<br />
139<br />
124<br />
5 BIS 25<br />
115<br />
BERLIN<br />
443<br />
60<br />
204<br />
74<br />
61<br />
70<br />
46<br />
68<br />
BRANDENBURG<br />
174<br />
134<br />
SACHSEN-ANHALT<br />
205<br />
144<br />
82<br />
69<br />
SACHSEN<br />
511<br />
224<br />
Quelle: Analyse Egon Zehnder<br />
108<br />
THÜRINGEN<br />
259<br />
Autoren<br />
René Sadowski ist Engagement Leader bei Egon Zehnder und<br />
Professor für Entrepreneurship & Innovation Management an der<br />
EBC Hochschule Berlin. Jörg K. Ritter ist Senior Partner bei Egon<br />
Zehnder, Professor für Leadership & Human Resources an der<br />
Quadriga Hochschule Berlin und stellvertretender Beiratsvorsitzender<br />
des Hidden Champions Institute der ESMT Berlin.
20<br />
<strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />
INNOVATION<br />
SITEC-Laseranlage zum<br />
Laserschweißen von<br />
Pkw-Schaltkomponenten<br />
REKORDKURS<br />
in unsicheren Zeiten<br />
Der ostdeutsche Maschinenbau wächst. Die Digitalisierung eröffnet den Unternehmen zudem weitere Chancen.<br />
Doch die Risiken im Außenhandel und der Fachkräftemangel könnten den Aufschwung in diesem Jahr bremsen.<br />
VON MATTHIAS SALM<br />
Der ostdeutsche Maschinenbau blickt auf ein<br />
erfolgreiches Jahr zurück. 2018 lagen wichtige<br />
Faktoren wie die Kapazitätsauslastung und der<br />
Auftragsbestand auf hohem Niveau, vermeldet<br />
der ostdeutsche Landesverband des VDMA<br />
(Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau).<br />
So bewerten 85 Prozent der ostdeutschen<br />
Betriebe die aktuelle wirtschaftliche Lage als<br />
sehr gut oder gut. Die Produktionskapazitäten<br />
der Unternehmen waren zu durchschnittlich 89,5<br />
SACHSEN<br />
THÜRINGEN<br />
SACHSEN-<br />
ANHALT<br />
BERLIN<br />
MECKLENBURG-<br />
VORPOMMERN<br />
BRANDENBURG<br />
6.063<br />
4.192<br />
9.168<br />
13.190<br />
15.870<br />
Prozent ausgelastet. Das Auftragspolster der<br />
Maschinen- und Anlagenbauer reicht demnach<br />
durchschnittlich für 5,3 Monate.<br />
Aktuell finden zwischen Ostsee und Erzgebirge<br />
mehr als 84.000 Mitarbeiter Beschäftigung im<br />
Maschinenbau. Das liest sich zwar wenig im Vergleich<br />
zu den einst 350.000 Arbeitnehmern zur<br />
Wendezeit. Doch seit 2013 erholt sich die Branche<br />
spürbar und hat allein in diesem Zeitraum um<br />
35.813<br />
MEHR BESCHÄFTIGTE<br />
IM MASCHINENBAU<br />
Sachsen ist das Zentrum des ostdeutschen<br />
Maschinebaus. Mehr als 35.000 Mitarbeiter<br />
zählen die sächsischen Betriebe rund um die<br />
Zentren Dresden und Chemnitz.<br />
Angaben in Anzahl der Beschäftigten<br />
Quelle: Statistische Landesämter<br />
6.000 Arbeitsplätze zugelegt. Der Umsatz steigerte<br />
sich im Vergleich zu 2013/2014 um fast vier<br />
Milliarden Euro. Der Maschinen- und Anlagenbau<br />
zählt deshalb nicht von ungefähr zu den Eckpfeilern<br />
der ostdeutschen Industrie. Schwerpunkte<br />
der Unternehmen liegen in der Produktion von<br />
Werkzeug- , Druck- und Verpackungsmaschinen,<br />
von Hebe- und Fördermittel sowie im Werkzeugund<br />
Formenbau.<br />
In den einzelnen Bundesländern fällt die Bilanz<br />
des zurückliegenden Jahres allerdings unterschiedlich<br />
aus. So verzeichnete die Branche<br />
in der Hauptstadt 2018 ein leicht rückläufiges<br />
Geschäft. „Der Berliner Maschinenbau ist sehr<br />
stark export orientiert“, erläutert Reinhard Pätz,<br />
Geschäftsführer des VDMA-Landesverbandes<br />
Ost, die Zahlen. Mit 71, 3 Prozent erreichen die<br />
Berliner Betriebe als einziges ostdeutsches Bundesland<br />
annähernd die bundesweite Exportquote<br />
von 79 Prozent. Die hohe Export orientierung<br />
sorgte denn auch für das Minus in den Auftragsbüchern.<br />
Während die Binnennachfrage um fast<br />
drei Millionen Euro zulegte, fiel der Auslandsumsatz<br />
der Berliner Unternehmen um 20 Millionen<br />
Euro auf circa 1,4 Milliarden Euro.<br />
Foto: SITEC
INNOVATION<br />
<strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong> 21<br />
Foto: VDMA<br />
8,12<br />
SACHSEN<br />
3,13<br />
THÜRINGEN<br />
MASCHINENBAU-<br />
UMSATZ<br />
Höchster Umsatz in Sachsen<br />
Angaben in Milliarden Euro<br />
2,49<br />
SACHSEN-<br />
ANHALT<br />
Quelle: Statistische Landesämter<br />
2,17<br />
MECKLENBURG-<br />
VORPOMMERN<br />
1,99<br />
BERLIN<br />
0,6<br />
BRANDENBURG<br />
Gänzlich anders die Lage im benachbarten<br />
Brandenburg: Die Maschinenbauer in der Mark<br />
haben den geringsten Auslandsumsatz aller<br />
ostdeutschen Länder. Die Exportquote beträgt<br />
gerade mal 40 Prozent. Der Grund: Die kleinteilige<br />
Betriebsstruktur und der hohe Zuliefereranteil<br />
erschweren einen Gang auf ausländische Märkte.<br />
Insgesamt setzten die Brandenburger Maschinenbauer<br />
2018 59 Millionen Euro weniger um als<br />
im Vorjahr.<br />
Rekordmarke in Sachsen-Anhalt<br />
In Sachsen-Anhalt hingegen blüht die Branche.<br />
Hier erreichte die Branche 2018 ein neues<br />
Umsatz- und Beschäftigungshoch. Der Umsatz<br />
kletterte um etwa 45 Millionen Euro und damit<br />
zum neunten Mal in Folge. „Der Maschinenbau<br />
gehört wieder zu den innovativsten Wachstumsbranchen“,<br />
urteilt Reinhard Pätz über die<br />
Entwicklung in Sachsen-Anhalt. Spürbar nach<br />
oben entwickelt sich auch die Beschäftigtenzahl.<br />
In den Firmen mit mindestens 50 Mitarbeitern<br />
arbeiteten im Jahr 2018 durchschnittlich 13.190<br />
Menschen – ein Plus von 3,8 Prozent gegenüber<br />
dem Vorjahr. Mehr Menschen standen zuletzt<br />
1996 in Sachsen-Anhalt im Maschinen- und<br />
Anlagenbau in Lohn und Brot.<br />
Und es wird kräftig investiert: So erweitern<br />
beispielsweise die beiden Maschinenbauunternehmen<br />
H&B Omega aus Osterweddingen und<br />
Symacon aus Barleben mit Millioneninvestitionen<br />
ihre Unternehmen, um sie für den technologischen<br />
Wandel fit zu machen. Die H&B Omega<br />
Europa GmbH, die auf Entwicklung, Fertigung und<br />
Vertrieb von Reibschweißmaschinen<br />
spezialisiert ist und derzeit rund<br />
60 Mitarbeiter beschäftigt,<br />
erweitert ihre Betriebsstätte<br />
für gut 2,4 Millionen<br />
Reinhard Pätz, Geschäftsführer<br />
des VDMA-Landesverbandes<br />
Ost<br />
Euro. Die Symacon GmbH<br />
investiert gut eine Million<br />
Euro in neue Maschinen und<br />
Anlagen für ihre Automatisierungslösungen.<br />
Noch besser als die Maschinenbauer in der<br />
Börde stehen die Betriebe in Sachsen da. Die 201<br />
Unternehmen des Landes verkauften 2018 Maschinen,<br />
Anlagen und Komponenten im Wert von<br />
etwa 8,1 Milliarden Euro. Im Vergleich zu 2017<br />
steigerten sie ihren Gesamtumsatz damit um<br />
circa 300 Millionen Euro. Jede zweite sächsische<br />
Maschine (52 Prozent) wird mittlerweile ins Ausland<br />
geliefert, dabei zu 40 Prozent in Länder der<br />
Europäischen Union. Die weiteren wichtigsten<br />
Handelspartner der Unternehmen im Freistaat<br />
waren China – hier legten die Ausfuhren um 20<br />
Prozent zu – und die USA.<br />
In Mecklenburg-Vorpommern verliefen die<br />
Geschäfte 2018 dagegen aufgrund einiger Großaufträge<br />
im Vorjahr rückläufig. In der Thüringer<br />
Industrie erwies sich die Branche mit Ausfuhren<br />
von über 1,4 Milliarden Euro als Exportspitzenreiter.<br />
Auch in Thüringen erweitern die Unternehmen<br />
deshalb ihre Kapazitäten. So investiert<br />
etwa die Zeulenroda Präzision Maschinenbau<br />
GmbH sieben Millionen Euro in Gebäude und<br />
Fertigungsanlagen, die Arnstädter Werkzeugund<br />
Maschinenbau AG baut für 3,5 Millionen Euro<br />
eine neue Produktionshalle.<br />
„Für <strong>2019</strong> ist die Stimmung gedämpft“, wagt<br />
Pätz einen Ausblick auf das laufende Jahr. Sicher<br />
ist: Das Wachstumstempo wird sich verlangsamen.<br />
Zu den Wachstumsbremsen zählt unter<br />
anderem der Fachkräftemangel. „Drei Viertel aller<br />
Unternehmen haben Schwierigkeiten, geeignete<br />
Facharbeiter, Ingenieure oder Führungskräfte zu<br />
finden“, weiß Pätz. „Das gilt in besonderer Weise<br />
für die Bereiche Konstruktion, Produktion und<br />
Softwareentwicklung.“<br />
Das Problem kennt auch Dr. Denis Dontsov,<br />
Geschäftsführer der SIOS Meßtechnik GmbH<br />
in Ilmenau. Das Unternehmen agiert weltweit<br />
als Hersteller von Präzisionsmessgeräten auf<br />
der Basis von Laserinterferometern. „Wir<br />
haben kein Problem, Mitarbeiter aus<br />
dem akademischen Bereich zu<br />
finden, die gut ausgebildeten<br />
Techniker und Facharbeiter<br />
sind hingegen Mangelware“,<br />
erläutert der Unternehmer<br />
aus der Universitätsstadt.<br />
Doch nicht nur der Facharbeitermangel<br />
sorgt die<br />
Branche. Auch die politischen<br />
Unwägbarkeiten trüben den Optimismus<br />
der Maschinenbauer. „Der<br />
Brexit trifft die ostdeutschen Unternehmen<br />
nicht so stark“, glaubt Pätz. „Wohl aber die Wirtschaftssanktionen<br />
etwa gegenüber Russland,<br />
China oder dem Iran.“ Das bestätigt auch Dontsov<br />
aus Sicht seines Unternehmens: „Wir exportieren<br />
nach China und in die USA und müssen uns<br />
deshalb auf die Änderungen einstellen.“ Zumal<br />
die Folgen der Handelsstreitigkeiten oder des<br />
Brexits aufgrund der teils langen Vorlaufzeiten<br />
im Maschinenbau vermutlich erst in diesem Jahr<br />
ihren Niederschlag in den Büchern finden werden.<br />
71,3<br />
BERLIN<br />
52,0<br />
SACHSEN<br />
MASCHINENBAU-<br />
EXPORTQUOTE<br />
Berliner Firmen mit höchster Exportquote<br />
Angaben in Prozent<br />
48,7<br />
MECKLENBURG-<br />
VORPOMMERN<br />
45,7<br />
THÜRINGEN<br />
Quelle: Statistische Landesämter<br />
41,5<br />
SACHSEN-<br />
ANHALT<br />
39,6<br />
BRANDENBURG
22<br />
<strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />
INNOVATION<br />
Mehr Innovationen<br />
durch Cluster<br />
In Adlershof entstehen Innovationen in den<br />
optischen und photonischen Technologien<br />
Die Länder Berlin und Brandenburg schreiben ihre gemeinsame Innovationsstrategie<br />
fort. Denn trotz Start-up-Booms: Noch setzen zu wenige Unternehmen<br />
in der Hauptstadtregion auf die Entwicklung neuer Produkte und Verfahren.<br />
Auch die Wirtschaft fordert eine stärkere Innovationsfokussierung.<br />
VON MATTHIAS SALM<br />
Das Ziel ist ambitioniert: Berlin und Brandenburg waren rund 30 Prozent mehr als im Vorjahr.<br />
sollen zu einem führenden Innovationsstandort Dabei kooperieren die Berliner Firmen enger mit<br />
in Europa werden und innovative Lösungen für Wissenschaftseinrichtungen als Unternehmen im<br />
die Herausforderungen von morgen entwickeln. Bundesdurchschnitt. Während deutschlandweit<br />
So heißt es aktuell in der bereits 2011 ins Leben fast jeder zweite Euro für Innovationen im Maschinen-<br />
und Fahrzeugbau fließt, liegen in Berlin<br />
gerufenen Gemeinsamen Innovationsstrategie<br />
der beiden Länder. Unter dem Titel innoBB 2025 die Pharma- und die Elektroindustrie inklusive<br />
sollen, so ein Beschluss der beiden Landesregierungen<br />
Anfang des Jahres, die bereits bestehen-<br />
Optik und Messtechnik an der Spitze.<br />
den Innovationscluster weiter ausgebaut werden. Andererseits: Der Anteil innovativer Unternehmen<br />
Dies sind die Branchen Gesundheitswirtschaft, an der gesamten Wirtschaft ist an der Spree rückläufig.<br />
Während 2011 in Berlin noch 57 Prozent<br />
Energietechnik, Verkehr-Mobilität-Logistik,<br />
IKT-Medien-Kreativwirtschaft sowie Optik und der Unternehmen erfolgreich Innovationen auf<br />
Photonik. Dabei wird der Innovationsbegriff<br />
den Markt brachten, ging ihr Anteil 2017 auf 45<br />
künftig weiter gefasst, nachhaltige Innovationen Prozent zurück. Besonders kleine und mittlere<br />
priorisiert und die internationale Zusammenarbeit Unternehmen schwächeln in ihren Innovationsbemühungen.<br />
verstärkt.<br />
Denn auch wenn gerade Berlin junge Unternehmer<br />
aus aller Welt lockt: Der Ruf als Start-up- Nachholbedarf. So verweist<br />
Auch in Brandenburg besteht<br />
Metropole täuscht darüber hinweg, dass das die IHK Potsdam darauf,<br />
Innovationsgeschehen in der Berliner Wirtschaft dass der Anteil der Ausgaben<br />
differenziert zu betrachten ist.<br />
Einerseits: Die Firmen der Hauptstadt setzten<br />
laut Technologiestiftung Berlin 2017 mit<br />
Industrie- und Handels kammer<br />
Peter Heydenbluth, Präsident der<br />
Produktneuheiten 14,1 Milliarden Euro um. Das<br />
Potsdam<br />
für Forschung und Entwicklung der Wirtschaft<br />
am Bruttoinlandsprodukt (BIP) in Brandenburg<br />
mit ganzen 0,61 Prozent deutlich unter dem<br />
Bundesdurchschnitt von zwei Prozent liegt. „Das<br />
reicht nicht aus. Auch bei den Patentanmeldungen<br />
liegen wir im Bundesvergleich auf einem der hinteren<br />
Plätze “, kritisiert Potsdams IHK-Präsident<br />
Peter Heydenbluth. Seine Forderung: „Die IHK<br />
erwartet bei der Neuauflage der Innovationsstrategie<br />
den Mut, im beabsichtigten Zusammenspiel<br />
von Berlin und Brandenburg Neues auszuprobieren<br />
und Bewährtes fortzuführen.“<br />
Dabei bewertet die Brandenburger Wirtschaft die<br />
Harmonisierung der Innovations- und Technologieförderung<br />
beider Länder durchaus positiv. Die<br />
Wirtschaftspolitik verfolge damit die Strategie,<br />
bestehende Nachteile einer kleinteiligen Wirtschaft<br />
durch Vernetzung auszugleichen, lobt die<br />
IHK Potsdam. Dennoch sieht sie Optimierungsbedarf:<br />
So sei beispielweise der Cluster-Zuschnitt<br />
zu überdenken. Das Cluster „Optik und Photonik“<br />
umfasse gerade einmal 1.511 Betriebe mit circa<br />
17.688 Beschäftigten, das Cluster „IKT, Medien<br />
und Kreativwirtschaft“ hingegen steht<br />
für 48.956 Unternehmen und rund<br />
261.071 Beschäftigte. Außerdem<br />
käme es laut IHK durch die Fokussierung<br />
zu Schwierigkeiten<br />
bei einzelnen Fördervorhaben,<br />
die zum Beispiel in der Holzoder<br />
Keramikindustrie außerhalb<br />
der definierten Cluster<br />
angesiedelt seien. Auch seien<br />
die Cluster bei den KMU im Land<br />
oft noch nicht ausreichend bekannt.<br />
Foto: Sebastian Geyer, WISTA-MANAGEMENT GMBH – www.adlershof.de
INNOVATION <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong> 23<br />
Foto: Rolls Royce Deutschland Ltd. & Co. KG<br />
Aus Sicht der Potsdamer IHK könnten eine<br />
Einführung der steuerlichen Forschungsförderung<br />
auf Bundesebene und ein weiterer Ausbau<br />
des Technologie- und Wissenstransfers mit den<br />
Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen<br />
das Innovationsgeschehen<br />
weiter beleben. Außerdem sei ein forcierter Breitbandausbau<br />
in Brandenburg dringend geboten.<br />
Die Cluster im Überblick<br />
Verkehr, Mobilität und Logistik<br />
• Größe: Mehr als 17.000 Unternehmen mit<br />
etwa 201.000 Beschäftigten.<br />
• Branchen: Automotive, Luft- und Raumfahrt,<br />
Schienenverkehrstechnik, Logistik und Verkehrstelematik.<br />
• Kennzeichen: Die Region Berlin-Brandenburg<br />
verfügt über besondere Stärken in den Bereichen<br />
Antriebstechnik, neue Kraftstoffe, Verkehrs- und<br />
Fahrzeugsicherheit sowie in der intelligenten<br />
Mobilität. Die Luftfahrtindustrie ist vor allem in<br />
Brandenburg heimisch. Bei der Triebwerksentwicklung<br />
und -fertigung zählt die Hautstadtregion<br />
mit Konzernen wie Rolls-Royce Deutschland<br />
und MTU zu den wichtigsten europäischen Standorten.<br />
Über 100 Firmen und Wissenschaftseinrichtungen<br />
mit mehr als 20.000 Beschäftigten<br />
machen die Region darüber hinaus zu einem<br />
Zentrum der Schienenverkehrstechnik.<br />
Gesundheitswirtschaft<br />
• Größe: Mehr als 21.000 Unternehmen mit über<br />
370.000 Beschäftigten.<br />
• Branchen: Pharmaindustrie, Biotechnologie,<br />
Medizintechnik, Kliniken.<br />
Die Rolls Royce Deutschland Ltd. & Co. KG ist ein Aushängeschild<br />
der brandenburgischen Wirtschaft.<br />
• Kennzeichen: Die Hauptstadtregion will sich<br />
unter der gemeinsamen Dachmarke Health-<br />
Capital als führende Gesundheitsregion in<br />
Deutschland etablieren. Ihre Stärke liegt vor<br />
allem in der einzigartigen Forschungs- und<br />
Kliniklandschaft. Rund 40 wissenschaftliche<br />
Einrichtungen mit Life-Science-Bezug, darunter<br />
das Universitätsklinikum Charité, sowie<br />
acht Technologieparks mit Schwerpunkt in den<br />
Lebenswissenschaften arbeiten hier.<br />
Optik und Photonik<br />
• Größe: Mehr als 1.500 Betriebe mit rund<br />
17.600 Beschäftigten.<br />
• Branchen: Lasertechnik, Lichttechnik, Optik,<br />
Photonik, Biomedizinische Optik, Mikrosystemtechnik.<br />
• Kennzeichen: In den letzten Jahren hat vor<br />
allem der Standort Adlershof mit seinen<br />
universitären und außeruniversitären Forschungsinstituten<br />
eine besondere Bedeutung<br />
gewonnen. Vom Start-up bis zum Weltkonzern<br />
finden sich in Adlershof Firmen aus fast<br />
allen wichtigen photonischen und optischen<br />
Technologiefeldern. Auch an der TH Wildau sind<br />
optische Technologien und die Photonik Forschungsschwerpunkte.<br />
Rathenow gilt als eines<br />
der bedeutendsten augenoptischen Zentren in<br />
Deutschland.<br />
IKT, Medien und Kreativwirtschaft<br />
• Größe: Rund 49.000 Unternehmen mit über<br />
261.000 Beschäftigten.<br />
• Branchen: Digitale Wirtschaft, IKT, Medien,<br />
Kreativwirtschaft.<br />
• Kennzeichen: Das Cluster umfasst Zukunftstechnologien<br />
wie Data Management, das<br />
Internet der Dinge und Cloud Computing. In der<br />
IT-bezogenen Forschung gehört die Region zur<br />
Weltspitze. Dazu tragen zum Beispiel das Hasso-<br />
Plattner-Institut in Potsdam, die sieben Fraunhofer-Institute<br />
oder das Ferdinand-Braun-Institut<br />
für Höchstfrequenztechnik bei. Zudem haben hier<br />
über 5.700 Digitalunternehmen ihren Sitz.<br />
Energietechnik<br />
• Größe: Rund 6.400 Unternehmen mit knapp<br />
58.000 Beschäftigten.<br />
• Branchen: Energiewirtschaft.<br />
• Kennzeichen: Berlin-Brandenburg versteht<br />
sich als eine Pionierregion der Energiewende.<br />
Das gilt etwa bei der Entwicklung und dem<br />
Management von Energienetzen mit einem<br />
hohen Anteil an Erneuerbaren Energien und<br />
bei Pilotprojekten mit Hybridkraftwerken und<br />
Power-to-Gas-Anlagen. Kernthemen des<br />
Clusters sind: Erneuerbare Energien, Energieeffizienz,<br />
Energienetze und Speicher sowie<br />
Turbomaschinen und Kraftwerkstechnik.<br />
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24 <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />
WAHLEN<br />
Superwahljahr<br />
im Osten<br />
Gleich in drei ostdeutschen Bundesländern werden in diesem Jahr neue Landtage<br />
gewählt. Am 1. September können die Wähler in Brandenburg und Sachsen ihre<br />
Stimmen abgeben, am 27. Oktober folgt dann Thüringen.<br />
Noch ist völlig offen, welche politischen Konstellationen sich nach den Urnengängen herauskristallisieren<br />
werden. Alle Meinungsumfragen in den drei Ländern, die in jüngster Vergangenheit durchgeführt<br />
wurden, legen nahe, dass die Wähler ihren Politikern anspruchsvolle Denkaufgaben für die künftigen<br />
Regierungsbildungen stellen werden. Weder in Brandenburg noch in Sachsen oder Thüringen zeichnen<br />
sich aktuell Zweierbündnisse ab. In Thüringen deuten die jüngsten Erhebungen sogar darauf hin, dass<br />
selbst herkömmliche Dreierkoalitionen kaum auf die erforderliche Mehrheit kommen könnten. Wir<br />
blicken also spannenden Wahlkämpfen und Wahlnächten entgegen.<br />
Auf den kommenden Seiten sprechen die Ministerpräsidenten Brandenburgs,<br />
Sachsens und Thüringens über ihre in der zu Ende gehenden Legislaturperiode<br />
geleistete Arbeit und ihre Hoffnungen, im Herbst erneut den Auftrag<br />
für eine Regierungsbildung zu erhalten.<br />
Grafik: freepik.com
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26 <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />
WAHLEN<br />
„ WIR MÜSSEN AUF DEN PFAD<br />
DER ANGLEICHUNG KOMMEN “<br />
Brandenburgs Ministerpräsident Dr. Dietmar Woidke (SPD) über die Strukturentwicklung der Lausitz,<br />
Lehren aus dem Brexit und die Rentenmauer zwischen Ost und West<br />
INTERVIEW: KARSTEN HINTZMANN UND FRANK NEHRING<br />
W+M: Herr Dr. Woidke, die fünfjährige<br />
Legislaturperiode neigt sich dem Ende zu.<br />
Am 1. September wird ein neuer Landtag<br />
gewählt. Wie sieht Ihre persönliche Bilanz<br />
als Regierungschef aus?<br />
Dietmar Woidke: Wir sind auf einem sehr<br />
guten Weg. Die wichtigste Veränderung in<br />
den zurückliegenden viereinhalb Jahren war<br />
die positive Entwicklung der Wirtschaft.<br />
Und damit verbunden der weitere Rückgang<br />
der Arbeitslosigkeit und der Anstieg der<br />
Arbeitsproduktivität in Brandenburg. Diese<br />
drei Faktoren nenne ich deshalb, weil sie für<br />
andere Dinge die Grundlage legen. Etwa die<br />
Steuereinnahmen. Mittlerweile finanzieren<br />
wir gut 70 Prozent unserer Ausgaben selbst.<br />
Das ist in Ostdeutschland ein hoher Wert,<br />
den in dieser Region kein anderes Land<br />
erreicht. Mit den drei genannten Faktoren<br />
ist es uns insgesamt gelungen, den Abstand<br />
zum bundesdeutschen Durchschnitt deutlich<br />
zu verringern. Unsere Perspektiven sind positiv.<br />
Es gibt eine sehr gute Konjunkturlage<br />
und ich sehe die Bereitschaft vieler Unternehmen,<br />
hier zu investieren. Allerdings, und<br />
das dürfen wir nicht ausblenden, gibt es<br />
externe Faktoren, die die Entwicklung hemmen<br />
könnten. Die Unternehmen bewegen<br />
aktuell zwei große Fragen: Wie sieht es mit<br />
der Fachkräftesicherung aus und wie steht<br />
es um die Entwicklung und Planbarkeit von<br />
Energiepreisen. Das sind zwei große Aufgaben<br />
in unserem Pflichtenheft, für die wir<br />
Lösungen anbieten müssen und werden.<br />
W+M: Was waren aus Ihrer Sicht die<br />
wichtigsten Wirtschaftsschlagzeilen aus<br />
Brandenburg in jüngster Vergangenheit?<br />
Dietmar Woidke: Der anstehende Kohleausstieg<br />
und der damit verbundene Strukturwandel<br />
beschäftigt uns natürlich vorrangig.<br />
Aber darüber dürfen die vielen und eher<br />
kleineren Geschichten nicht in Vergessenheit<br />
geraten, die für unser Land so typisch sind.<br />
Ich möchte hier stellvertretend drei Punkte<br />
nennen: 2018 haben wir in Brandenburg an<br />
der Havel ein Zentrum zur Unterstützung<br />
der Digitalisierung im Handwerk eröffnet.<br />
Denn die Digitalisierung betrifft nicht nur die<br />
Industrie, sondern in ähnlicher Weise auch<br />
Mittelstand und Handwerk. Was Ansiedlungen<br />
angeht, gab es eine besonders positive<br />
Nachricht aus Frankfurt (Oder). Dort hat<br />
Yamaichi Electronics, ein Unternehmen aus<br />
Japan, sein Europa-Hauptquartier aufgeschlagen.<br />
Frankfurt (Oder) hat eine lange<br />
Tradition als Mikroelektronik-Standort,<br />
und wir hoffen – nach den Rückschlägen im<br />
Solarbereich – mit Yamaichi an die positive<br />
Geschichte anknüpfen zu können. Wir haben<br />
vor Ort gute Wissenschaftseinrichtungen,<br />
etwa das IHP, das als Forschungshotspot in<br />
Frankfurt (Oder) exzellente Arbeit leistet.<br />
Und als dritten Punkt, in Grünheide/Mark<br />
hat die Getränke Essmann KG eine Betriebsstätte<br />
und ein Logistikzentrum mit 35 neuen<br />
Arbeitsplätzen errichtet. Diese Beispiele<br />
zeigen, dass es wirtschaftlich immer weiter<br />
vorangeht.<br />
W+M: Im Vorjahr haben Sie eine überregionale<br />
Imagekampagne unter dem Motto<br />
„Brandenburg. Es kann so einfach sein“<br />
gestartet. Konnten dadurch – wie beabsichtigt<br />
– bereits neue Investoren oder auch<br />
Fachkräfte ins Land geholt werden?<br />
Dietmar Woidke: Es ist schwierig, direkte<br />
Auswirkungen solcher Kampagnen zu messen.<br />
Aber: Wir haben einen positiven Wanderungssaldo,<br />
es kommen mehr Menschen<br />
zu uns, als Menschen, die das Land verlas-<br />
MINISTERPRÄSIDENT<br />
LANDWIRTSCHAFT<br />
UND TIERPRODUKTION<br />
HU<br />
BERLIN<br />
NAUNDORF,<br />
BRANDENBURG<br />
1961<br />
sen. Darunter sind viele Rückkehrer, die das<br />
Land vor langer Zeit verließen. Unsere Kampagne<br />
trifft auf reges Interesse. Das lässt<br />
sich am Erfolg unseres unterhaltsamen und<br />
durchaus auch provokanten Videoclips erkennen.<br />
Bisher haben wir mehr als 500.000<br />
Klicks. Es ist normal, dass solche Imagekampagnen<br />
anfangs kritisiert werden. Aber
BRANDENBURG<br />
<strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong> 27<br />
Zur Person<br />
DIE LAUSITZ WIRD MIT<br />
GROSSER SICHERHEIT<br />
ALS ENERGIESTANDORT<br />
AUCH KÜNFTIG EINE<br />
GROSSE ROLLE SPIELEN.<br />
Dietmar Woidke wurde am 22.<br />
Oktober 1961 in Naundorf bei Forst<br />
geboren. Er studierte Landwirtschaft<br />
und Tierproduktion an der<br />
Berliner Humboldt-Universität.<br />
Nach der Wendezeit arbeitete<br />
Woidke als wissenschaftlicher<br />
Assistent am Berliner Institut für<br />
Ernährungsphysiologie, aber auch<br />
bei einem Unternehmen in Bayern.<br />
1993 trat er in die SPD ein und gehört<br />
seit 1994 dem Brandenburger<br />
Landtag an. Er fungierte bereits als<br />
Landwirtschafts- und als Innenminister.<br />
Seit dem 28. August 2013 ist<br />
Dietmar Woidke Ministerpräsident<br />
in Brandenburg. Er ist verheiratet<br />
und Vater einer Tochter.<br />
Dietmar Woidke
28<br />
<strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />
WAHLEN<br />
Seit 2013 Ministerpräsident in Brandenburg:<br />
Dietmar Woidke.<br />
wir stellen fest, dass unsere Kampagne den<br />
Nerv vieler Menschen trifft. Denn sie zeigt<br />
unser Land, wie es ist: Wir haben die Hauptstadt<br />
in unserer Mitte. Aber wir haben auch<br />
das zu bieten, was die Metropole Berlin<br />
nicht hat – Raum, Ruhe und viel Grün, aber<br />
auch große Entwicklungsmöglichkeiten.<br />
W+M: Die Kohlekommission hat ihren<br />
Abschlussbericht vorgelegt. Wie ist Ihre<br />
Position dazu?<br />
Dietmar Woidke: Ich halte es für eine<br />
riesengroße Leistung, dass es gelungen ist,<br />
angesichts einer hoch komplexen Ausgangssituation<br />
und der konträren Interessenlagen<br />
am Ende einen Kompromiss zu finden. Das<br />
ist gut für unsere Gesellschaft. Mein Dank<br />
an die Kommission für diese Leistung. Was<br />
das Papier konkret betrifft, bin ich froh über<br />
die Ergebnisse, die in den Bereichen Wachstum,<br />
Strukturwandel und Beschäftigung erzielt<br />
wurden. Quasi alles, was wir gefordert<br />
haben, ist in diesem Kommissionsbericht<br />
aufgenommen worden. In Sachen Planungsbeschleunigung<br />
soll es ein Gesetz für diese<br />
Region geben. Das vereinbarte Maßnahmengesetz<br />
ist für mich ein Kernpunkt. Weil die<br />
Bundesregierung nach vielen Jahrzehnten<br />
erstmals wieder in die Strukturentwicklung<br />
von Regionen einsteigt, gemeinsam<br />
mit den Landesregierungen. Das wurde viel<br />
zu lange nicht gemacht. Aber jetzt gab es<br />
den konkreten Anlass. Natürlich stellt sich<br />
nun die Frage, sollten wir das nicht auch in<br />
anderen Regionen machen, die nicht vom<br />
Kohleausstieg betroffen sind? Aus meiner<br />
Sicht ein klares Ja. Dieser Kompromiss zeigt,<br />
wenn man es will und sich zusammensetzt,<br />
kann man solche Strukturhilfen auch für die<br />
Uckermark, für Mecklenburg-Vorpommern,<br />
Thüringen und Teile Sachsens erreichen.<br />
Und das ist besonders für Ostdeutschland<br />
wichtig. Weil wir immer noch einen teilweise<br />
erheblichen Abstand zu den alten Bundesländern<br />
haben. Ein dritter Punkt ist der<br />
Staatsvertrag. Wir brauchen diese perspektivische<br />
Finanzierung für all die Aufgaben,<br />
die in fünf oder zehn Jahren anstehen und<br />
die heute noch niemand vorhersagen kann.<br />
Vierter Punkt: Wir hatten lange die Diskussion<br />
über eine Sonderwirtschaftszone. Die<br />
Bundesregierung hat zugesagt, sich bei der<br />
EU-Kommission dafür einzusetzen, dass es<br />
für die Kohleregionen im Beihilfeverfahren<br />
höhere Zuschüsse geben kann, als es in<br />
anderen Regionen bisher der Fall ist. Nach<br />
den Gesprächen mit der Bundeskanzlerin<br />
bin ich optimistisch, dass das gelingen kann.<br />
Ich will, dass unsere Lausitz eine Blaupause<br />
wird für nachhaltige Wirtschaftsentwicklung<br />
und Klimaschutz für die anderen gut 40 Kohleregionen<br />
in der EU.<br />
Dass wir darüber hinaus energiepolitisch vor<br />
großen Herausforderungen stehen, das ist<br />
allen klar. Rund 50 Prozent des Stroms in<br />
Deutschland kommen heute aus Atomkraftwerken<br />
sowie der Braun- und Steinkohle.<br />
Diesen Teil innerhalb von 20 Jahren komplett<br />
abschalten zu wollen, ist eine gigantische<br />
Aufgabe. Hier lautet die große Überschrift:<br />
Zuverlässigkeit der Versorgung durch Erneuerbare<br />
Energien. Deshalb muss endlich<br />
die Speichertechnologie klappen. Sie ist der<br />
Schlüssel zum Erfolg bei der Energiewende.<br />
Das ist nicht nur eine gewaltige Herausforderung,<br />
sondern auch eine große Chance für<br />
die deutsche Wirtschaft und somit auch für<br />
die Lausitz.<br />
W+M: Die Ministerpräsidenten der vom<br />
Kohleausstieg betroffenen ostdeutschen<br />
Länder hatten im Vorfeld vom Bund Strukturhilfen<br />
von rund 60 Milliarden Euro gefordert.<br />
Bleibt diese Forderung aktuell?<br />
Dietmar Woidke: Wenn man den Kommissionsbericht<br />
genau liest, kommt man am<br />
Ende auf etwa 70 Milliarden Euro. Die 60<br />
Milliarden Euro waren als Anstoß und Forderung<br />
gedacht, eine ehrliche Debatte darüber<br />
zu führen, was dieser grundlegende strukturelle<br />
Umstieg kostet. Ein Beispiel: Was kostet<br />
es konkret, wenn man die Prozesswärme<br />
des Kraftwerks Schwarze Pumpe ersetzen<br />
soll, die bislang dem Industriepark Schwarze<br />
Pumpe zugutekam? Davon leben Papierfab-<br />
Foto: W+M
BRANDENBURG<br />
<strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong> 29<br />
riken und viele andere Unternehmen, die aus<br />
der Kraft-Wärme-Kopplung dort Wärme beziehen.<br />
Oder was kostet es, die Wärmeversorgung<br />
der Stadt Cottbus neu zu organisieren?<br />
Das sind Fragen, die wir immer wieder<br />
formuliert haben. Genauso unsere Warnung<br />
davor, den Menschen weismachen zu wollen,<br />
man könne für 1,5 Milliarden Euro aus der<br />
Kohle aussteigen und danach sind alle glücklich.<br />
Diese Milchmädchenrechnungen haben<br />
sich glücklicherweise nicht durchgesetzt.<br />
Das zu erreichen war harte Arbeit auch von<br />
uns drei Ministerpräsidenten in Sachsen-<br />
Anhalt, Sachsen und Brandenburg. Mit den<br />
jetzt getroffenen Vereinbarungen können<br />
wir den Menschen und Unternehmen in den<br />
Kohleregionen eine Perspektive geben.<br />
W+M: Der Lausitz steht durch das absehbare<br />
Ende des Braunkohleabbaus ein weiterer<br />
einschneidender Strukturwandel bevor.<br />
Haben Sie eine Vision für den Wirtschaftsstandort<br />
Lausitz im Jahr 2040?<br />
Dietmar Woidke: Die Lausitz wird mit<br />
Sicherheit als Energiestandort auch künftig<br />
eine große Rolle spielen. Denn wir werden<br />
– neben den dezentralen Erneuerbaren -<br />
weiterhin eine stabile Energieversorgung<br />
brauchen. Aus der Lausitz kommt mehr als<br />
jede zehnte Kilowattstunde, die in Deutschland<br />
verbraucht wird. Ein großes Pfund sind<br />
die Netze, die wir hier in der Lausitz haben.<br />
Darüber hinaus wird die Lausitz ein Industriestandort<br />
bleiben. Ich habe bereits sehr<br />
positive Signale diesbezüglich erhalten, so<br />
zum Beispiel Anfang Februar bei meinem<br />
Besuch im BASF-Hauptsitz in Ludwigs hafen.<br />
Es geht dabei um den Ausbau von BASF in<br />
Schwarzheide in der Lausitz. Wir wollen<br />
Kommunales, Landespolitik, Bund und Wirtschaft<br />
zusammenbringen. Deshalb wird es<br />
auf meinen Vorschlag hin eine Investorenkonferenz<br />
in der Lausitz geben.<br />
W+M: Sie selbst pflegen einen engen<br />
Dialog mit den Menschen in Ihrem Land.<br />
Sie sprechen häufig direkt mit ihnen über<br />
Sorgen und Ängste, die im Zusammenhang<br />
mit der deutschen Flüchtlingspolitik aufgekommen<br />
sind. Wo liegen aus Ihrer Sicht die<br />
Wurzeln für die Sorgen vieler Brandenburger<br />
und darüber hinaus vieler Ostdeutscher?<br />
Dietmar Woidke: Wir sind im 30. Jahr des<br />
Mauerfalls. Da ist es schon richtig, auch mal<br />
zurückzuschauen. Wir können stolz sein auf<br />
das, was in Ostdeutschland entstanden ist.<br />
Wir können stolz sein auf die Ostdeutschen,<br />
die das Land aufgebaut haben. Wir können<br />
aber auch stolz sein auf die Westdeutschen,<br />
die uns unterstützt haben mit ihrer Arbeitskraft<br />
und ihrem Idealismus. Und wir sagen<br />
Danke für die finanzielle Unterstützung.<br />
Aber wir müssen uns auch fragen, warum<br />
die Wirtschaftskraft bei uns immer noch 20<br />
Prozent geringer ist als im Bundesdurchschnitt.<br />
Aus den Wirtschaftsdaten resultiert<br />
eine Einkommenssituation die auch 20 Prozent<br />
unter den westdeutschen Werten liegt.<br />
Und das wird von den Menschen 30 Jahre<br />
nach dem Mauerfall nicht mehr verstanden.<br />
Zumal zu der schlechteren Bezahlung auch<br />
noch eine längere Arbeitszeit kommt. Noch<br />
ein Punkt: Kein Mensch versteht, dass es<br />
in unserem geeinten Land immer noch zwei<br />
Rentensysteme gibt. Die Rentenmauer steht<br />
länger als die Mauer seinerzeit zwischen<br />
Ost und West. Wir müssen auf den Pfad der<br />
Angleichung kommen. Das muss wesentlich<br />
schneller gehen, als es in den letzten Jahren<br />
der Fall war.<br />
W+M: Kommen wir zurück in die nahe<br />
Zukunft: Befürchten Sie Auswirkungen des<br />
Brexits auf die brandenburgische Wirtschaft?<br />
Dietmar Woidke: Ich fürchte, dass es<br />
Auswirkungen geben wird. Unser Wirtschaftsministerium<br />
ist seit etlichen Monaten dabei,<br />
die brandenburgischen Unternehmen darauf<br />
vorzubereiten. Der Brexit wird aber vor allem<br />
auch der britischen Wirtschaft schaden. Allen,<br />
die ab und an Populisten an den Lippen hängen,<br />
sollte bewusst sein, dass es ohne die Lügen und<br />
die falschen Versprechen, die es im Vorfeld der<br />
Brexit-Abstimmung gab, nie zu dem Chaos und<br />
dem Abschwung gekommen wäre, den wir heute<br />
in Großbritannien beobachten. Daraus sollten<br />
manche hier in Deutschland ihre Lehren ziehen.<br />
Hört nicht auf die Populisten, die sich dann, wenn<br />
es ernst wird, vom Acker machen.<br />
W+M: Gibt es für Sie als Ministerpräsident<br />
konkrete Projekte, die Sie bis zur Landtagswahl<br />
noch prioritär umsetzen wollen?<br />
Dietmar Woidke: Wichtig ist die Strukturentwicklung<br />
der Lausitz. Hier sollen<br />
schon im April die Rahmen für die Maßnahmengesetze<br />
des Bundes stehen und dann<br />
in den Bundestag eingebracht werden.<br />
Wir werden natürlich weitermachen in den<br />
Bereichen, die unser Land besonders interessieren<br />
– etwa bei der Gesundheitsversorgung<br />
im ländlichen Raum. Und wir werden<br />
gemeinsam mit der Wirtschaft Investitionen<br />
und Maßnahmen zur Fachkräftesicherung<br />
anschieben. Gerade die Fachkräftesicherung<br />
ist und bleibt eine große Herausforderung<br />
speziell für Ostdeutschland. Und die beginnt<br />
bereits in der Kita und Grundschule. Mit Blick<br />
auf die Zukunft kommt es jetzt darauf an,<br />
für Ostdeutschland und die Ostdeutschen<br />
echte Chancengleichheit und erstklassige<br />
Perspektiven zu schaffen. Wir müssen dafür<br />
sorgen, dass der weitere Aufbau Ost etwas<br />
anderes wird als ein weiterer „Nachbau<br />
West“. Stattdessen brauchen wir die Chance,<br />
auf bestimmten Gebieten zu einem echten<br />
„Vorsprung Ost“ zu kommen: in Infrastruktur<br />
und Zukunftstechnologien, in Forschung<br />
und Bildung. Dann wird über ostdeutsche<br />
Lebensleistungen wenigstens in Zukunft<br />
niemand mehr hinweggehen können.<br />
W+M: Wie stark spüren Sie persönlich<br />
den Druck der Verantwortung, derjenige<br />
zu sein, der die seit der Deutschen Einheit<br />
ununterbrochene Vormachtstellung der SPD<br />
in Brandenburg – vor dem Hintergrund der<br />
Umfragewerte – auch in der nächsten Legislaturperiode<br />
fortsetzen soll?<br />
Dietmar Woidke: Ich bin viel im Land unterwegs.<br />
Ich merke, dass es eine gute Stimmung<br />
gibt. Aber ich merke auch den großen<br />
Bedarf der Menschen, in direkten Dialog mit<br />
der Politik zu treten. Daher kann ich allen<br />
nur raten, das betrifft alle Parteien und alle<br />
Ebenen, ihn zu suchen und zu nutzen. Denn<br />
der Dialog ist der beste Weg zur Lösung<br />
konkreter Probleme. Ich bin optimistisch,<br />
was unser Land betrifft. Denn die Brandenburger<br />
haben eines verinnerlicht: Probleme<br />
entstehen, wenn wir nicht zusammenhalten.<br />
Deshalb ist der Zusammenhalt unser Thema,<br />
nicht Hass und Zwietracht.<br />
W+M: Im Vorfeld von Wahlen spricht man<br />
eher nicht über mögliche Koalitionen. Daher<br />
die Frage: Was halten Sie von der Überlegung<br />
des brandenburgischen CDU-Landeschefs<br />
Ingo Senftleben, im Fall der Fälle ein<br />
in Deutschland auf Landesebene einmaliges<br />
Bündnis einzugehen – mit den Linken?<br />
Dietmar Woidke: Das muss er mit sich<br />
selber ausmachen. Zumindest hat diese<br />
Aussage, gelinde gesagt, in der CDU für<br />
große Verunsicherung gesorgt.
30 <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />
WAHLEN<br />
„ ICH SPÜRE ZUVERSICHT,<br />
MUT UND EINEN NEUEN<br />
AUFBRUCH BEI UNS IM LAND “<br />
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) über Millioneninvestitionen,<br />
die Lebensleistung der Ostdeutschen und seine Chancen, Regierungschef im Freistaat zu bleiben<br />
INTERVIEW: KARSTEN HINTZMANN UND FRANK NEHRING<br />
Zur Person<br />
Michael Kretschmer wurde am 7.<br />
Mai 1975 in Görlitz geboren. Nach<br />
der Mittleren Reife absolvierte er<br />
eine Ausbildung zum Büroinformationselektroniker.<br />
1998 erwarb er<br />
auf dem zweiten Bildungsweg die<br />
Fachhochschulreife. Er nahm ein<br />
Studium des Wirtschaftsingenieurwesens<br />
an der Hochschule für<br />
Technik und Wirtschaft in Dresden<br />
auf, das er im Jahr 2002 als<br />
Diplom-Wirtschaftsingenieur (FH)<br />
abschloss. Politisch aktiv wurde<br />
Kretschmer im Jahr 1989. Damals<br />
trat er in die Christlich-Demokratische<br />
Jugend ein. Ab 2005 war er<br />
über viele Jahre Generalsekretär der<br />
sächsischen CDU. Seit Dezember<br />
2017 ist er Landesvorsitzender der<br />
Sachsen-CDU. Von 2002 bis 2017<br />
war er Bundestagsabgeordneter,<br />
wobei er stets ein Direktmandat<br />
gewann. Am 13. Dezember 2017<br />
wählte ihn der Sächsische Landtag<br />
zum Ministerpräsidenten. Michael<br />
Kretschmer ist Vater zweier Söhne.<br />
W+M: Sie sind seit Dezember 2017 Ministerpräsident<br />
des Freistaates Sachsen. Wie sieht Ihre<br />
persönliche Zwischenbilanz als Regierungschef<br />
aus?<br />
Michael Kretschmer: Es waren sehr<br />
anstrengende, aber vor allem sehr faszinierende<br />
Momente. Gemeinsam haben wir in den<br />
vergangenen Monaten viel bewegt und auf den<br />
Weg gebracht. Der Freistaat handelt. Mit dem<br />
Doppelhaushalt hat der Landtag in Dresden Ende<br />
2018 ein Programm für die Zukunft unserer<br />
sächsischen Heimat beschlossen. Wir kümmern<br />
uns um einen starken und verlässlichen Staat.<br />
Unter anderem geht es um mehr Polizisten und<br />
Lehrer, starke Kommunen und eine moderne Infrastruktur<br />
gerade auch im ländlichen Raum. Wir<br />
stärken Kulturangebote und Ehrenamt. Ich spüre<br />
Zuversicht, Mut und einen neuen Aufbruch bei<br />
uns im Land. Und ich bin froh darüber, dass sich<br />
so viele Menschen einbringen und für ihre Heimat<br />
interessieren.<br />
W+M: Wie ist es aktuell um Sachsens Wirtschaft<br />
bestellt (ein paar aussagekräftige und<br />
vergleichende Zahlen und Fakten)?<br />
Michael Kretschmer: Sachsens Wirtschaft<br />
ist auf Wachstumskurs. Im ersten Halbjahr 2018<br />
betrug das Plus 2,1 Prozent gegenüber dem<br />
Vergleichszeitraum des Vorjahrs. Das Bruttoinlandsprodukt<br />
ist von 2010 bis 2017 um 13,8<br />
Prozent gewachsen. Ob in der Mikroelektronik,<br />
der Automobilindustrie oder im Maschinen- und<br />
Anlagenbau – unsere Unternehmen sind gut aufgestellt,<br />
die Produkte und Dienstleistungen made<br />
in Saxony gefragt. Mit gezielter Forschungsförderung<br />
unterstützen wir die Unternehmen<br />
dabei. Handwerk, Tourismus und Dienstleister<br />
bilden einen breiten Mittelstand, der überregional<br />
wettbewerbsfähig ist. Sächsische Erzeugnisse<br />
werden weltweit exportiert: 2017 waren es mit<br />
41,3 Milliarden Euro so viele Waren wie nie zuvor.<br />
Gleichzeitig ist die Arbeitslosigkeit auf ein Rekordtief<br />
gesunken, die Erwerbstätigkeit auf einen<br />
Höchststand.<br />
W+M: In jüngster Vergangenheit haben sich<br />
zahlreiche in- und ausländische Unternehmen für<br />
Investitionen in Sachsen entschieden – unter anderem<br />
Daimler und Bosch. Wie geht es mit diesen<br />
Investitionen voran?<br />
Michael Kretschmer: Die Investition von<br />
Daimler in eine zweite Batteriefabrik in Kamenz<br />
stärkt den Standort und gibt der gesamten Wirtschaft<br />
einen neuen Schub. In der Region entsteht<br />
eine der modernsten Batterieproduktionen weltweit.<br />
Auch der Aufbau des neuen Bosch-Werks in<br />
Dresden kommt gut voran. Für eine Milliarde Euro<br />
baut Bosch bis Ende <strong>2019</strong> ein Hightech-Werk und<br />
will Hunderte neue Stellen schaffen. Geplant ist<br />
die Fertigung von Chips unter anderem für die<br />
E-Mobilität und das „Internet der Dinge“. Mehr als<br />
eine Milliarde Euro will Volkswagen in Sachsen<br />
investieren. VW stellt in Zwickau komplett auf<br />
Elektrofahrzeuge um. All dies stärkt Sachsen als<br />
Standort von Zukunftstechnologien. Entscheidend<br />
dafür, dass es rund läuft, sind nicht zuletzt<br />
die vielen kleineren und mittelständischen Unternehmen<br />
und die Investitionen gerade in diesem<br />
Bereich.<br />
W+M: Für all diese Investitionen gab es auch<br />
andere Bewerber in Deutschland und Europa.<br />
Warum hat sich Sachsen in diesem Wettstreit<br />
durchgesetzt?<br />
Michael Kretschmer: Sachsen ist ein<br />
ausgesprochen industrie- und innovationsfreundliches<br />
Land mit langer Tradition und ein<br />
attraktiver Wirtschaftsstandort. Es hat sich
SACHSEN<br />
<strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong> 31<br />
herumgesprochen, dass wir seit mehr als 25<br />
Jahren eine kluge und verlässliche Ansiedlungspolitik<br />
machen: Investoren werden von der<br />
Idee bis zur Realisierung intensiv begleitet und<br />
unterstützt. Die Investoren selbst wiederum<br />
schätzen vor allem die gut ausgebildeten<br />
Fachkräfte, eine exzellente Hochschul- und<br />
Forschungslandschaft, eine gut ausgebaute Infrastruktur,<br />
verfügbare und bezahlbare Gewerbegrundstücke<br />
sowie die Nähe zu Osteuropa.<br />
Eine wichtige Rolle spielt natürlich auch, dass<br />
Sachsen ein guter Ort zum Leben ist.<br />
W+M: Seit der Flüchtlingskrise gab es in Ihrem<br />
Land wiederholt ausländerfeindliche Aktivitäten.<br />
Gibt es konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die<br />
immer wieder artikulierten Vorbehalte gegenüber<br />
Ausländern sowie das Erstarken von AfD und<br />
Pegida Investoren oder auch kluge Köpfe, die gern<br />
als Führungs- oder Fachkräfte ins Land kommen<br />
würden, abschrecken?<br />
Michael Kretschmer: Es ist wichtig, dass<br />
wir uns gemeinsam für Demokratie und für den<br />
Zusammenhalt unserer Gesellschaft einsetzen.<br />
In Sachsen gibt es unzählige Menschen, die sich<br />
jeden Tag in unterschiedlicher Form einbringen. Die<br />
zahlreichen Gesprächspartner aus Wirtschaft, Wissenschaft<br />
sowie Kunst und Kultur, mit denen ich in<br />
den vergangenen Monaten gesprochen habe, sind<br />
sehr gut darüber informiert, dass die übergroße<br />
Mehrheit der Sachsen nichts für extreme Positionen<br />
übrig hat und stattdessen für Austausch und<br />
Begegnung ist. Sachsen ist fröhlich und lebenswert.<br />
Das belegen auch die 2018 wieder einmal gestiegenen<br />
Zahlen der Gäste aus dem In- und Ausland, die<br />
sich bei uns im Freistaat sehr wohl fühlen.<br />
DRESDEN<br />
GÖRLITZ
32 <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />
WAHLEN<br />
Seit Ende 2017 Ministerpräsident in Sachsen: Michael Kretschmer.<br />
W+M: Sie selbst pflegen einen engen Dialog<br />
mit den Menschen in Ihrem Land. Sie sprechen<br />
häufig direkt mit ihnen über Sorgen und Ängste,<br />
die im Zusammenhang mit der deutschen<br />
Flüchtlingspolitik aufgekommen sind. Wo liegen<br />
aus Ihrer Sicht die Wurzeln für die Sorgen vieler<br />
Sachsen und darüber hinaus vieler Ostdeutscher?<br />
Michael Kretschmer: Klar ist, dass wir in<br />
Deutschland einen parteiübergreifenden Konsens<br />
in der Migrationspolitik brauchen. So ist es frustrierend,<br />
wenn wir beispielsweise bei der Frage<br />
der sicheren Herkunftsländer seit Jahren nicht<br />
vorankommen, weil die Grünen das im Bundesrat<br />
blockieren. Das ärgert viele Menschen – nicht nur<br />
in Sachsen.<br />
Ich bin sehr froh über die verschiedenen Dialogformate.<br />
Viele Sachsen haben Ideen, möchten<br />
sich einbringen. Es ist gut, dass wir gemeinsam<br />
in diesem intensiven Dialog sind. Zur Sprache<br />
kommen ganz verschiedene Themen, die Flüchtlingspolitik<br />
ist eines von vielen. Ein sehr wichtiger<br />
Punkt ist, dass der Staat handlungsfähig ist. Genau<br />
da haben wir in Sachsen angesetzt: Das tun<br />
wir unter anderem mit mehr Lehrern, Polizisten<br />
und Staatsanwälten. Und wir wollen den ländlichen<br />
Raum weiterentwickeln. Deshalb klemmen<br />
wir uns dahinter, damit wir beim Breitbandausbau<br />
und beim Nahverkehr besser werden.<br />
W+M: Glauben Sie, dass die Lebensleistung<br />
der Ostdeutschen im geeinten Deutschland<br />
bislang zu wenig gewürdigt wurde? Wenn ja, was<br />
sollte die Landes- und auch Bundespolitik tun,<br />
um das zu ändern?<br />
Michael Kretschmer: Es ist wichtig, dass<br />
wir anständig miteinander umgehen, zuhören<br />
und anerkennen, was andere<br />
leisten oder geleistet<br />
haben. Das gehört sich so.<br />
Mir geht es auch darum,<br />
Mut zu machen und Dinge<br />
voranzubringen. Dabei<br />
kann ein Blick zurück hilfreich<br />
sein. Anfang der 90er-<br />
Jahre war die Situation im<br />
Osten der Republik extrem<br />
schwierig, es gab Massenarbeitslosigkeit.<br />
Die Lage<br />
schien hoffnungslos. Aber<br />
alle hatten die Zuversicht,<br />
dass etwas Positives entsteht.<br />
In drei Jahrzehnten<br />
SACHSEN IST EIN AUSGE-<br />
SPROCHEN INDUSTRIE-<br />
UND INNOVATIONS-<br />
FREUNDLICHES LAND<br />
MIT LANGER TRADITION.<br />
Michael Kretschmer<br />
Michael Kretschmer: Wir wollen, dass<br />
der Strukturwandel im Mitteldeutschen Revier<br />
und der Lausitz eine Erfolgsgeschichte wird. Die<br />
Ergebnisse der Kohlekommission und die vorgesehenen<br />
Milliarden-Zuschüsse vom Bund sind<br />
dafür eine gute Grundlage. Jetzt geht es darum,<br />
Nägel mit Köpfen zu machen. Unser Ziel ist eine<br />
moderne Infrastruktur – und damit entscheidende<br />
Standortvorteile und eine große Dynamik.<br />
Es geht unter anderem um eine neue Ost-West<br />
Straßenverbindung zwischen Mitteldeutschland<br />
und der Lausitz und eine ICE-Verbindung von<br />
Berlin über Cottbus nach Weißwasser und weiter<br />
nach Görlitz. Wir brauchen ein beschleunigtes<br />
Planungsrecht, damit das zügig kommt. Zusätzlich<br />
brauchen wir Forschungseinrichtungen. Wir<br />
werden hier dranbleiben. Damit neue Investitionen,<br />
Beschäftigung und künftiger Wohlstand<br />
möglich werden. Ich bin sicher: Aus traditionsreichen<br />
Energieregionen werden so starke<br />
Zukunftsregionen mit guten Arbeitsplätzen im<br />
Herzen Europas.<br />
W+M: Kommen wir zurück in die nahe Zukunft:<br />
Befürchten Sie Auswirkungen des Brexits auf die<br />
sächsische Wirtschaft?<br />
Michael Kretschmer: Das Vereinigte<br />
Königreich ist unser drittgrößter Exportmarkt<br />
nach China und den USA. Bei einem harten Brexit<br />
kommen gerade auf exportstarke Branchen wie<br />
den Kraftfahrzeugbau oder<br />
den Maschinebau neue<br />
Belastungen zu – mehr<br />
Bürokratie und Zollformalitäten.<br />
Wichtig ist, dass wir<br />
in jedem Fall eine vertrauensvolle<br />
künftige Partnerschaft<br />
vereinbaren. Für<br />
eine stabile und starke EU<br />
ist die Zusammenarbeit mit<br />
den Briten auch nach dem<br />
Austritt unverzichtbar.<br />
W+M: In der deutschen<br />
Wirtschaft wird der Ruf<br />
lauter, die Sanktionen<br />
ist nicht alles, aber bemerkenswert viel gelungen. gegen Russland zu überdenken und eine neue<br />
Und die Herausforderungen sind im Vergleich zu Etappe der deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen<br />
einzuläuten. Wie stehen Sie dazu?<br />
den 90er-Jahren viel kleiner. Die Menschen hier<br />
können im Wissen darum mit großer Zuversicht<br />
und Selbstvertrauen an die Dinge herangehen. Michael Kretschmer: Die Sanktionen<br />
sollten so bald wie möglich auslaufen. Voraussetzung<br />
dafür ist die Umsetzung der Minsker-<br />
W+M: Der Lausitz steht durch das absehbare<br />
Ende des Braunkohleabbaus ein weiterer einschneidender<br />
Strukturwandel bevor. Haben Sie eine Vision in Russland nach wie vor hohe Wertschätzung,<br />
Vereinbarungen. Deutsche Produkte genießen<br />
für den Wirtschaftsstandort Lausitz im Jahr 2040? das versichern mir russische Politiker immer<br />
Foto: CDU Landesverband
SACHSEN<br />
<strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />
33<br />
wieder. Wenn die Sanktionen noch deutlich länger<br />
aufrechterhalten werden, ist die Gefahr groß, den<br />
russischen Markt komplett an Wettbewerber –<br />
vor allem aus China – zu verlieren. Unabhängig<br />
von den Sanktionen und anderen Faktoren, die<br />
die russische Wirtschaft belasten, setzen wir uns<br />
für einen Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen zu<br />
Russland ein.<br />
W+M: Die deutsche Automobilbranche steht<br />
aktuell stark unter Druck. Betroffen ist davon<br />
auch Sachsen, da hier besonders viele Zulieferund<br />
Fertigungsfirmen angesiedelt sind. Was tut<br />
Ihre Regierung für besonders hart betroffene<br />
Unternehmen?<br />
Michael Kretschmer: In Sachsens Automobilbau<br />
gab es 2018 – nach mehreren sehr<br />
guten Jahren – einen Rückgang der Produktion.<br />
Eine Rolle dabei spielen auch Sondereffekte. Zum<br />
einen die Umstellung, die sich aus dem neuen<br />
Abgasprüfstandard ergeben hat. Zum anderen<br />
ist bereits im vergangenen Jahr der Umbau des<br />
Volkswagenwerks Zwickau angelaufen. Europas<br />
größter Autobauer rüstet dort komplett auf<br />
E-Autos um. Volkswagen investiert inklusive<br />
Weiterbildung 1,2 Milliarden Euro in den Standort<br />
– Sachsen entwickelt sich somit zum Kompetenzzentrum<br />
für Elektromobilität in Europa. Wir<br />
haben vor diesem Hintergrund auch die Zulieferer<br />
im Blick. Geplant sind noch im zweiten Quartal<br />
verschiedene Veranstaltungen gemeinsam mit<br />
dem Netzwerk Automobilzulieferer Sachsen.<br />
Grundlage soll eine Analyse sein, die der Freistaat<br />
in Auftrag gegeben hat.<br />
W+M: Gibt es für Sie als Ministerpräsident<br />
konkrete Projekte, die Sie bis zur Landtagswahl<br />
am 1. September noch prioritär umsetzen<br />
wollen?<br />
Michael Kretschmer: Viele wichtige Dinge<br />
haben wir auf den Weg gebracht. So haben wir als<br />
Freistaat die Voraussetzungen dafür geschaffen,<br />
dass es beim Breitbandausbau vorangehen kann.<br />
700 Millionen Euro stehen dafür bereit. Jetzt geht<br />
es darum, die vielen kleinen und großen Vorhaben<br />
umzusetzen. Das gilt auch für den Strukturwandel<br />
in der Lausitz, für den wir den Bund als<br />
wichtigen Verbündeten brauchen. Das gilt auch<br />
für den ländlichen Raum, den wir als Zukunftsregion<br />
weiter stärken wollen.<br />
W+M: Woraus schöpfen Sie Hoffnung, dass<br />
Sie mit Ihrer CDU am Wahlabend unverändert<br />
stärkste politische Kraft in Sachsen sein werden?<br />
Michael Kretschmer: Die Stimmung im<br />
Land ist besser geworden. Die Leute merken,<br />
dass es einen neuen Schwung gibt. Wir sind im<br />
Gespräch mit den Menschen. Sie spüren, dass es<br />
uns um die Sache geht. Und dass wir mit großer<br />
Zuversicht und auch Freude daran arbeiten, dass<br />
unser Land eine gute Zukunft hat.<br />
W+M: Im Vorfeld von Wahlen spricht man eher<br />
nicht über mögliche Koalitionen. Daher die konkrete<br />
Frage: Was halten Sie von der Überlegung<br />
des brandenburgischen CDU-Landeschefs Ingo<br />
Senftleben, im Fall der Fälle ein in Deutschland<br />
auf Landesebene einmaliges Bündnis einzugehen<br />
– mit den Linken?<br />
Michael Kretschmer: Ich kann nur für Sachsen<br />
sprechen. Für mich ist das kein Thema.<br />
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34 <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />
WAHLEN<br />
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GANZ OFFENSICHTLICH NICHT<br />
REALITÄT GEWORDEN “<br />
Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow zieht die Bilanz seiner Arbeit<br />
als erster linker Regierungschef in Deutschland<br />
INTERVIEW: KARSTEN HINTZMANN UND FRANK NEHRING<br />
W+M: In diesen Monaten biegen Sie auf die<br />
Zielgerade Ihrer ersten Amtszeit als Thüringer<br />
Ministerpräsident ein. Wie sieht Ihre wirtschaftspolitische<br />
Bilanz aus?<br />
Das trifft leider noch nicht auf die öffentliche Verwaltung<br />
zu. Hier haben wir erheblichen Nachholbedarf.<br />
An Estland gemessen, befinden wir uns<br />
da noch in der Steinzeit.<br />
Form der Industriefabrikation gelebt. Die sind so in Vietnam sind wir diesbezüglich aktiv. Aber um<br />
produktiv, dass sie Fertigung aus China zurückholen.<br />
auf Ihre Frage zurückzukommen: Die zu Beginn<br />
Davon haben wir bei uns sehr viele Betriebe. meiner Amtszeit mitunter geäußerten<br />
Befürchtungen,<br />
dass sich das scheue Reh namens Kapital<br />
vom Acker machen werde, wenn in Thüringen<br />
ein Linker regiert, sind ganz offensichtlich nicht<br />
Realität geworden.<br />
Bodo Ramelow: Ich denke, wir können<br />
W+M: Wo sehen Sie weitere Entwicklungspotenziale<br />
in ihrem Land?<br />
zufrieden sein mit dem Entwicklungsprozess<br />
Thüringens in den vergangenen vier Jahren. Unser<br />
Wettbewerbsvorteil besteht darin, dass wir kein Bodo Ramelow: Denken Sie an den ICEmonostrukturiertes<br />
Bundesland sind. Dadurch Knoten in der Landeshauptstadt und die damit<br />
sind wir nicht der Gefahr ausgesetzt, kurzatmig verbundene Chance, dass Erfurt zur führenden<br />
zu werden, sobald eine Branche schwächelt. Konferenzstadt im Zentrum Deutschlands<br />
Wir sind sehr vielfältig<br />
wird. Wir sind in einem<br />
aufgestellt. Wir haben 62<br />
Umgestaltungsprozess,<br />
Firmen, die sind in Europa<br />
oder weltweit Marktführer.<br />
Wir mischen also in<br />
vielen Märkten mit eigenen<br />
Impulsen mit. Viele unserer<br />
Unternehmen sind bereits<br />
stark digitalisiert. Die Firma<br />
Wago in Sondershausen<br />
beispielsweise ist mit<br />
seinen 1.200 Mitarbeitern<br />
bereits im Zeitalter von<br />
Industrie 4.0 angekommen.<br />
Dort wird die modernste<br />
LEIDER HAT DER BUND<br />
DERZEIT KEINEN<br />
INSGESAMT<br />
SCHLÜSSIGEN PLAN<br />
FÜR DIE ENERGIEWENDE.<br />
Bodo Ramelow<br />
der uns unglaublich stark<br />
macht. Gemessen an 1.000<br />
Einwohnern liegen wir bei<br />
Industriearbeitsplätzen auf<br />
Platz vier in Deutschland.<br />
Wir belegen Platz eins bei<br />
kleinen und mittelständischen<br />
Betrieben.<br />
Unser größtes Problem<br />
sind aktuell die Fachkräfte.<br />
Über die IHK und HWK rekrutieren<br />
wir derzeit Bewerber<br />
in der Ukraine und auch<br />
W+M: Der chinesische Batteriehersteller CATL<br />
baut in Erfurt ein hochmodernes Batteriewerk.<br />
Ist das Projekt im Plan? Wann sollen die ersten<br />
Batterien gefertigt werden?<br />
Bodo Ramelow: Wir sind im Plan. Die Chinesen<br />
sind bei ihrer europäischen Standortprüfung<br />
aus einem konkreten Grund hierher nach Erfurt<br />
gekommen – auch weil wir in Hermsdorf das<br />
IKTS-Forschungszentrum für Energiespeicherung<br />
und Hochleistungskeramik haben. Das war<br />
und ist wichtig für CATL. Weil damit eine sehr<br />
gute Forschungsbasis für Energiespeicherung<br />
vorhanden ist, jenseits von Lithiumionen.<br />
W+M: Hat die CATL-Investition dazu geführt,<br />
dass sich im Umfeld weitere Unternehmen ansiedeln<br />
werden?<br />
Bodo Ramelow: Wir konnten schon einige<br />
willkommen heißen, etwa den Turbolader-<br />
Hersteller IHI, der seine Fertigung aus Baden-<br />
Württemberg zu uns verlegt hat, um in der Nähe<br />
von CATL zu sein. Und weitere werden dazu<br />
kommen.
THÜRINGEN<br />
<strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />
35<br />
MINISTERPRÄSIDENT<br />
GEWERKSCHAFTS-<br />
SEKRETÄR<br />
OSTERHOLZ-SCHARMBECK,<br />
NIEDERSACHSEN<br />
1956<br />
Foto: W+M<br />
> Seit 2014 Ministerpräsident in Thüringen: Bodo Ramelow.
36 <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />
WAHLEN<br />
W+M: Thüringen verfügt über eine starke<br />
Automobil- und Automotivbranche. Inwieweit<br />
sind Standorte wie Eisenach oder Kölleda von<br />
der aktuellen Krise der deutschen Autobauer<br />
betroffen?<br />
Bodo Ramelow: Wir müssen hier unterscheiden.<br />
Über den Dieselskandal und den damit<br />
verbundenen Betrug an den Kunden bin ich nach<br />
wie vor empört, auch durchaus persönlich. Ich<br />
bin seit vielen Jahren Dieselfahrer. Ich fühle mich<br />
von den deutschen Markenherstellern ziemlich<br />
geleimt. Sie sind nicht korrekt mit ihren Kunden<br />
umgegangen. Ein Teilaspekt dieser Krise trifft<br />
auch unseren Motorenhersteller in Kölleda. Denn<br />
Dieselmotoren liegen zurzeit leider fest im Regal,<br />
obwohl die dort produzierten Diesel sauber sind.<br />
Ich habe ohnehin den Eindruck, dass in dieser<br />
Debatte einiges schief läuft. Jetzt wird so getan,<br />
als wenn die Frage des Verbrenners ein tot gelaufenes<br />
Thema ist und man von heute auf morgen<br />
auf Elektromotoren umsteigen könnte. Das ist<br />
meines Erachtens eine völlig überzogene und<br />
weltfremde Debatte. Zumal die Entwicklungen<br />
auf dem Batteriesektor und der Elektroversorgung<br />
noch gar nicht so weit sind. Und wir sollten<br />
beachten: Bei der Herstellung eines Elektro-<br />
Motors fallen rund ein Drittel der mechanischen<br />
Bauteile weg. Darauf müssen sich die Autozulieferer<br />
auch bei uns dann rechtzeitig einstellen,<br />
denn wir haben in unserem Land viele Zulieferer<br />
für Schaltgetriebe.<br />
Leider hat der Bund derzeit keinen insgesamt<br />
schlüssigen Plan für die Energiewende, zu der ja<br />
auch die Elektromobilität gehört. Wir brauchen<br />
einen Masterplan für die Energiewende.<br />
W+M: Jena ist in vielerlei Hinsicht ein wirtschaftlicher<br />
und zugleich wissenschaftlicher<br />
Leuchtturm. Welche Vision haben Sie für Jena im<br />
Jahr 2030?<br />
Bodo Ramelow: Ich bin zuversichtlich, dass<br />
Jena eine strahlende Zukunft vor sich hat. Das<br />
Besondere an Jena ist – dort kennt man sich, es<br />
ist eine überschaubare aber zugleich auch eine<br />
prosperierende Stadt. Carl Zeiss baut gerade<br />
einen neuen Campus in Jena-West. Geografisch<br />
bedingt, Jena liegt in einem Talkessel, fehlt es in<br />
der Stadt an Bauland. Dafür wollen wir die Stadt<br />
besser mit dem Umland verbinden. Mit höherem<br />
S-Bahn-Takt und einer besseren Einbindung der<br />
regionalen Schienenstränge. Derzeit sind in Jena<br />
zwei Milliarden Euro an Investitionen platziert,<br />
dort passiert also eine Menge. Auch neben Carl<br />
Zeiss.<br />
W+M: Der Bund gibt in den kommenden<br />
Jahren rund 60 Milliarden Euro für den Strukturwandel<br />
in den Braunkohleregionen aus. Davon<br />
profitieren besonders Brandenburg, Sachsen und<br />
Sachsen-Anhalt. Befürchten Sie, dass dadurch<br />
am Ende das Geld für wichtige Strukturentwicklungen<br />
in Ihrem Land fehlen könnte?<br />
Bodo Ramelow: Ganz im Gegenteil. Es ist<br />
richtig, dass meine Ministerpräsidenten-Kollegen<br />
das sehr hart und intensiv verhandelt haben. Weil<br />
unter den 36 in Ostdeutschland beheimateten<br />
Großbetrieben mindestens fünf Betriebe sind, die<br />
von der Dekarbonisierung direkt betroffen sind.<br />
Und die verliert man nicht gern als Steuerzahler.<br />
Deswegen hatte ich meinen Kollegen auch viel<br />
Fortune gewünscht. Wir in Thüringen haben<br />
uns in der Mitte Deutschlands gut aufgestellt.<br />
Aber ich habe nichts davon, wenn die Lausitz<br />
demnächst verödet. Deshalb hatten wir nie eine<br />
Neiddiskussion untereinander. Außerdem sind<br />
wir beim Kohleausstieg nicht ganz unbeteiligt.<br />
Wir haben Tagebaureste in der Region Altenburg/<br />
Schmölln, deshalb waren oder sind die MIBRAG<br />
und die LMBV bei uns auch noch Sanierungsträger.<br />
Und was die Kollegen gut gemacht haben, sie<br />
haben an eine Schienenverbindung bis nach Jena<br />
gedacht und diese mit dem Bund auf die Agenda<br />
gesetzt. Die 60 Milliarden Euro sind also kein<br />
Neidthema, sondern bebildern ein ostdeutsches<br />
Entwicklungsthema.<br />
W+M: Brandenburg und Sachsen-Anhalt haben<br />
vor kurzem neue Imagekampagnen gestartet,<br />
um im In- und Ausland bekannter zu werden.<br />
Aus Thüringen hört man in dieser Hinsicht wenig.<br />
Woran liegt das?
THÜRINGEN<br />
<strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong> 37<br />
Bodo Ramelow: Wir haben eine durchgängige<br />
Imagekampagne, die ist unaufdringlich, aber<br />
sehr wirksam. Man muss nicht jedes Jahr viel<br />
Geld ausgeben, um etwas zu ersetzen, was gut<br />
funktioniert. Es hat viele Jahre gedauert, ehe wir<br />
unsere Kampagne auf dem Gleis hatten. Es begann<br />
seinerzeit unter Matthias Machnig (Anmerkung<br />
der Redaktion: Machnig war von 2009 bis<br />
2013 Wirtschaftsminister in Thüringen). Ich habe<br />
damals als Oppositionspolitiker darüber gespöttelt.<br />
Aber wenn eine Kampagne erst einmal auf<br />
den Schienen steht, dann darf man den Zug nicht<br />
sofort wieder umstoßen. Imagewerbung braucht<br />
Zeit. Wir sind jetzt erst soweit, dass wir unseren<br />
eigenen Webauftritt in unsere Kampagne eingebunden<br />
haben. Davor waren es unsere Auftritte<br />
auf der ITB und bei der Grünen Woche. Jetzt ist<br />
das alles stimmig. Wenn Sie heute zu uns auf die<br />
Grüne Woche kommen – das ist der Knaller! Die<br />
Thüringenhalle in Berlin ist das Bratwurstschaufenster<br />
Nummer 1. Und der Weihnachtsmarkt in<br />
Erfurt ist mittlerweile der drittumsatzstärkste<br />
Weihnachtsmarkt in Deutschland. Ganz unaufgeregt<br />
verkaufen wir überall Thüringer Tourismus<br />
mit unserer blauen Farbe.<br />
W+M: Im kommenden Jahr begeht Deutschland<br />
den 30. Jahrestag der Wiedervereinigung.<br />
Ein wichtiges Thema für Ihre Partei war über die<br />
Jahre die Forderung, dass mehr Menschen mit<br />
ostdeutschen Biografien in deutsche Spitzenämter<br />
gelangen müssen. Wie verhält es sich damit<br />
aktuell in Thüringen?<br />
Bodo Ramelow: Die Debatte auf eine Quote<br />
zu reduzieren, erscheint mir eher seltsam. Denn<br />
was wäre der Indikator? Das Geburtsdatum? Der<br />
Geburtsort? Dann wäre Frau Merkel keine Ostdeutsche,<br />
denn sie wurde in Hamburg geboren.<br />
Bernhard Vogel und ich sind beide Niedersachsen.<br />
Aber wenn Sie in Thüringen nach Bernhard Vogel<br />
fragen, dann werden alle sagen: Das war der Landesvater.<br />
Mein Vater stammt aus Salzwedel und<br />
meine Familie hat zur Hälfte in der DDR gelebt,<br />
ohne dass wir als Westfamilie mit ihnen Kontakt<br />
hatten. Das war teilungs- und scheidungsbedingt<br />
so und änderte sich erst in den 1980er Jahren.<br />
Die Frage ist aber dann legitim, wenn in allen öffentlichen<br />
Ämtern ausschließlich Westdeutsche<br />
sitzen. Man muss aber wissen, das sind immer<br />
noch die Aufbauhelfer, die gleich nach der Wende<br />
gekommen sind. Deren Platz wird erst frei, wenn<br />
sie in Rente gehen. Wir müssen uns daher jetzt<br />
um die nachfolgende Generation kümmern. Das<br />
deutsch-deutsche Missverständnis lag doch vor<br />
allem darin begründet, dass in den ersten Jahren<br />
nach der deutschen Einheit alles abgeschafft und<br />
beseitigt wurde, was nach DDR roch. Das war ein<br />
schwerer Fehler. Jetzt wächst vieles von unten<br />
wieder auf – bei der Bildung, der Kindergartenbetreuung<br />
oder im Gesundheitsbereich.<br />
W+M: In der Welt ist vieles im Umbruch. Aus<br />
langjährigen Freunden und Partnern werden<br />
plötzlich egoistische Konkurrenten. Wie sollte<br />
Deutschland auch vor diesem Hintergrund künftig<br />
seine Beziehungen zu Russland gestalten.<br />
Sind die Sanktionen noch zeitgemäß?<br />
Bodo Ramelow: Klares nein. Da bin ich mir<br />
mit Reiner Haseloff völlig einig. Das dokumentiert<br />
im Übrigen, dass das keine Frage<br />
des Parteibuchs ist. Wenn ich sehe, dass viele<br />
andere Staaten der Welt wesentlich kreativer mit<br />
dem Thema Sanktionen umgehen, dann sollte<br />
sich auch Deutschland hier endlich bewegen.<br />
Die Vision von Helmut Kohl war doch, dass die<br />
neuen Bundesländer die Hauptakteure Richtung<br />
Russland sein sollten. Sie sollten die Schnittstelle<br />
zwischen Ost und West bilden. Und jetzt nimmt<br />
man sie uns weg. Ich möchte eine entspannte<br />
Partnerschaft zur Ukraine und zu Russland. Weil<br />
man sich dann auch offen sagen kann, was einem<br />
nicht passt.<br />
W+M: Ihr CDU-Herausforderer bei der<br />
Landtagswahl, Mike Mohring, ist erkrankt. Wird<br />
sich dadurch der Umgang miteinander und somit<br />
möglicherweise der gesamte Wahlkampf anders<br />
gestalten?<br />
Bodo Ramelow: Am Tag, als ich sein Bild mit<br />
der Mütze sah, habe ich ihm einen Schutzengel<br />
und einen sehr persönlichen Brief geschickt. Da<br />
mein Sohn auch an Leukämie erkrankt war und<br />
ich den Konflikt mit der Mütze kannte, vermag ich<br />
zu ermessen, was Mike Mohring durchgemacht<br />
hat. Ich kann ihm nur alles Glück dieser Welt<br />
wünschen. Dass er erfolgreich diese Krankheit<br />
überwindet. Wie wir den Wahlkampf bestreiten,<br />
wird von der Tonalität aller Beteiligten abhängen.<br />
Allerdings bin ich dezidiert der Auffassung, dass<br />
wir das Feld nicht den Schreihälsen und Hasardeuren<br />
überlassen sollten. Demokraten, die aus<br />
unterschiedlichen Blickwinkeln die Gesellschaft<br />
entwickeln wollen, dürfen und müssen sogar über<br />
den richtigen Weg streiten. Aber am Ende bleibt es<br />
dabei: Der Vorrat an Gemeinsamkeiten sollte uns<br />
daran hindern, unterhalb der Gürtellinie zu agieren.<br />
W+M: Was macht Ihnen Hoffnung, dass Sie<br />
für Ihr rot-rot-grünes Bündnis im Herbst von<br />
den Wählern einen erneuten Regierungsauftrag<br />
erhalten?<br />
Bodo Ramelow: Die letzten Umfragen stimmen<br />
mich durchaus zuversichtlich. Ich freue mich<br />
auf den Wahlkampf, lasse mich aber von nichts<br />
und niemandem verrückt machen. Eine seriöse<br />
Prognose ist derzeit objektiv nicht möglich. Für<br />
niemanden. Geht es nach mir, werden wir eine<br />
Richtungsentscheidung zwischen dem konservativen<br />
und dem linksliberalen Lager bekommen.<br />
Natürlich hoffe ich, dass der eine Schnaps mehr,<br />
den wir brauchen, am Ende an mich geht.<br />
Zur Person<br />
Bodo Ramelow wurde am 16. Februar<br />
1956 in Osterholz-Scharmbeck<br />
geboren. Nach dem Hauptschulabschluss<br />
erlernte er den Beruf des<br />
Einzelhandelskaufmanns. Von 1981<br />
bis 1990 war er Gewerkschaftssekretär<br />
in Mittelhessen, von 1990<br />
bis 1999 Landesvorsitzender der<br />
Gewerkschaft HBV in Thüringen.<br />
1999 trat er der PDS bei und zog<br />
im selben Jahr erstmals in den<br />
Thüringer Landtag ein. 2004 und<br />
2009 nominierte ihn seine Partei<br />
jeweils zum Spitzenkandidaten<br />
für die Wahlen in Thüringen. Seit<br />
Dezember 2014 steht Ramelow als<br />
Ministerpräsident an der Spitze der<br />
rot-rot-grünen Landesregierung im<br />
Freistaat. Er ist in dritter Ehe<br />
verheiratet und Vater zweier Söhne.
38 <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />
TITEL<br />
DARUM BRAUCHT<br />
OSTDEUTSCHLAND<br />
EUROPA<br />
Foto: Designed by rawpixel.com/Freepik
EUROPA<br />
<strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong> 39<br />
In diesem Jahr können wir 30 Jahre Mauerfall feiern – jenes einschneidende<br />
Ereignis der jüngeren deutschen Geschichte, dass kurze Zeit später zum Beitritt<br />
der wieder entstandenen ostdeutschen Länder zur Bundesrepublik Deutschland<br />
führte. Was aber vielfach vergessen wird: Mit der deutschen Vereinigung wurde<br />
die ehemalige DDR nicht nur Bestandteil der Bundesrepublik Deutschland, sondern<br />
zugleich auch Teil der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft bzw. der wenig<br />
später gegründeten Europäischen Union – mit allen Rechten, aber auf Pflichten,<br />
die mit einer EU-Mitgliedschaft verbunden sind.<br />
VON PROF. DR. JOACHIM RAGNITZ<br />
Foto: ifo<br />
So erlangten fortan auch für die ostdeutschen<br />
Länder die teils recht detaillierten europarechtlichen<br />
Vorschriften Gültigkeit, die für viele landesund<br />
bundespolitische Gesetzesvorhaben bindend<br />
sind. Der hieraus resultierenden Einschränkung<br />
der regionalen bzw. nationalen Souveränität<br />
stehen jedoch die immensen Vorteile gegenüber,<br />
die Ostdeutschland durch die damit ermöglichte<br />
Integration in den einheitlichen europäischen<br />
Binnenmarkt erfuhr: Durch die Verwirklichung<br />
der vier „Grundfreiheiten“ (freier Warenverkehr,<br />
Freizügigkeit des Personenverkehrs, Dienstleistungsfreiheit<br />
und freier Kapital- und Zahlungsverkehr)<br />
wurden gravierende Hemmnisse für<br />
grenzüberschreitende Aktivitäten auf den<br />
genannten Gebieten beseitigt.<br />
Mit fortschreitender Vergemeinschaftung<br />
weiterer Politikbereiche, der Abschaffung der<br />
Grenzkontrollen im Schengen-Raum (1995)<br />
und schließlich der Einführung des Euros als<br />
gemeinschaftlicher Währung in den meisten<br />
EU-Mitgliedsstaaten (ab 1999) verschwanden<br />
schließlich auch die letzten noch verbliebenen administrativen<br />
Handelshemmnisse. Dies kam und<br />
kommt allen zugute: Die Verbraucher profitieren<br />
dadurch von einer größeren Angebotsvielfalt zu<br />
niedrigeren Preisen, die Unternehmen von einer<br />
Vergrößerung der für sie relevanten Absatzmärkte<br />
und von einer Zuwanderung ausländischer<br />
Fachkräfte, die Arbeitnehmer schließlich dadurch,<br />
dass arbeitsplatzschaffende Direktinvestitionen<br />
ausländischer Unternehmen hierdurch erleichtert<br />
wurden. Nicht zu vergessen sind schließlich die<br />
erheblichen finanziellen Leistungen, die aus den<br />
EU-Kassen nach Ostdeutschland flossen: Hilfen<br />
für private und öffentliche Investitionen aus dem<br />
Europäischen Fonds für regionale Entwicklung<br />
(EFRE) und dem Europäischen Landwirtschaftsfonds<br />
zählen hierzu genauso wie die zahlreichen<br />
eher sozialpolitisch motivierten Förderprogramme<br />
aus dem Europäischen Sozialfonds<br />
(ESF). Auch wenn man die Ausgestaltung dieser<br />
Maßnahmen im Detail kritisieren kann: Unstrittig<br />
Prof. Dr. Joachim Ragnitz ist Managing Director<br />
des ifo-Instituts Dresden.<br />
ist, dass damit der grundlegende Umbauprozess<br />
der ostdeutschen Wirtschaft von der Plan- zur<br />
Marktwirtschaft enorm erleichtert wurde, und<br />
unstrittig ist auch, dass die genannten Programme<br />
auch heute noch dazu beitragen, die ausstehende<br />
„Angleichung der Lebensverhältnisse“<br />
voranzubringen.<br />
In jüngerer Zeit wird die Mitgliedschaft in der<br />
Europäischen Union in der öffentlichen und<br />
politischen Diskussion in einigen europäischen<br />
Ländern allerdings oftmals eher kritisch gesehen<br />
– augenfälligstes Beispiel hierfür ist der Austritt<br />
Großbritanniens aus der EU. Ein typisches Luxusproblem:<br />
Wenn man sich an die (großen) Vorteile<br />
gewöhnt hat, erscheinen die (wenigen) Nachteile<br />
umso gravierender. Zwar zweifelt kaum ein<br />
externer Beobachter daran, dass Großbritannien<br />
durch den EU-Austritt zumindest in wirtschaftlicher<br />
Hinsicht mehr Nachteile als Vorteile hat.<br />
Treten die BREXIT-bedingten Schäden erst<br />
einmal offen zutage, werden die hoffentlich<br />
abschreckend auf die Euro-Skeptiker in anderen<br />
Ländern wirken! Rest-Europa dürfte durch den<br />
BREXIT hingegen weit weniger stark in Mitleidenschaft<br />
gezogen werden – und zu hoffen ist, dass<br />
die betroffenen Unternehmen die Zeit seit dem<br />
britischen EU-Referendum dazu genutzt haben,<br />
Notfallpläne auch für den Fall eines ungeordneten<br />
EU-Austritts zu erarbeiten.
40 <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />
TITEL EUROPA<br />
Demgegenüber ist die internationale Strahlkraft<br />
einer EU-Mitgliedschaft weiterhin ungebrochen.<br />
Dies zeigt sich daran, dass die mittel- und<br />
osteuropäischen Länder, die nach dem Zusammenbruch<br />
des sozialistischen Systems in diesen<br />
Ländern nicht in den Genuss eines sofortigen<br />
Beitritts zur EU kamen, große Anstrengungen<br />
darauf verwandten, baldmöglichst die EU-<br />
Mitgliedschaft zu erlangen. In mittlerweile drei<br />
Erweiterungsrunden (2004, 2007 und 2013) sind<br />
insgesamt elf mittel- und osteuropäische Länder<br />
der EU beigetreten. Sechs weitere ehemalige<br />
Ostblockstaaten gelten als Beitrittskandidaten.<br />
Nicht zu verkennen ist allerdings, dass eine<br />
nochmalige Vergrößerung der EU erhebliche<br />
Schwierigkeiten aufwerfen kann, so mit Blick auf<br />
die Entscheidungsprozesse in den EU-Gremien<br />
und mit Blick auf die wirtschaftlichen Beziehungen<br />
zwischen Mitgliedsländern mit unterschiedlichem<br />
Entwicklungsstand. Dies spricht dafür, in<br />
den nächsten Jahren eher die Vertiefung als die<br />
Erweiterung der Europäischen Union voranzutreiben.<br />
Hierüber lohnt es sich nachzudenken: Welche<br />
Politikbereiche könnten und sollten vergemeinschaftet<br />
werden, ohne dass dies zu einem Verlust<br />
an nationaler und regionaler Identität führt?<br />
Welche Länder könnten möglicherweise bei einer<br />
vertieften Integration vorangehen, welche erst<br />
in einer zweiten Runde folgen, und wie sind die<br />
Beziehungen zwischen beiden Gruppen zu gestalten?<br />
Wie können Probleme wie Zuwanderung,<br />
Klimawandel, Arbeitskräftemangel europäisch<br />
gelöst werden? Hierauf müssen alsbald Antworten<br />
gefunden werden – aber das funktioniert nur<br />
dann zufriedenstellend, wenn die europäischen<br />
Institutionen auch eine ausreichende demokratische<br />
Legitimität aufweisen.<br />
Aus diesem Grunde sind die anstehenden Europawahlen<br />
wichtig – auch für uns Ostdeutsche.<br />
Gerade weil die ostdeutschen Länder in der Vergangenheit<br />
so stark von den EU-Politiken profitiert<br />
haben, wäre es ein verheerendes Zeichen,<br />
wenn ein Erstarken europakritischer Parteien<br />
oder auch nur eine geringe Wahlbeteiligung ein<br />
Desinteresse an europäischer Politik anzeigen<br />
würden. Denn letzten Endes sind Entscheidungen<br />
auf europäischer Ebene für die weitere (wirtschaftliche)<br />
Entwicklung bei uns bedeutsamer<br />
als Entscheidungen der Landespolitik, die nur auf<br />
wenigen Feldern überhaupt nur echte Kompetenzen<br />
besitzt.<br />
ZAHLEN UND FAKTEN ZUR EUROPÄISCHEN UNION<br />
EUROPÄISCHE ORGANE:<br />
Der Europäischen Kommission<br />
gehören in der in diesem Jahr zu<br />
Ende gehenden Legislaturperiode<br />
28 Mitglieder an – je ein Kommissionsmitglied<br />
pro Mitgliedsstaat.<br />
Die Europäische Zentralbank legt<br />
die Währungspolitik in den Ländern<br />
des Euro-Währungsgebiets fest.<br />
EUROPATAG:<br />
9. MAI<br />
Jahrestag der<br />
Schuman-Erklärung,<br />
1950<br />
Der Europäische Rat setzt sich aus<br />
den Staats- und Regierungschefs<br />
der EU-Mitgliedsstaaten, dem<br />
Präsidenten des Europäischen Rats<br />
sowie dem Präsidenten der europäischen<br />
Kommission zusammen.<br />
Der Rat der Europäischen Union<br />
setzt sich aus den Ministern der<br />
Mitgliedsstaaten zusammen.<br />
Der Gerichtshof der Europäischen<br />
Union besteht aus zwei Gerichten –<br />
dem Gerichtshof und dem Gericht.<br />
Der Europäische Rechnungshof ist<br />
für die Rechnungsprüfung der Union<br />
zuständig.<br />
Luxemburg<br />
Brüssel<br />
Straßburg<br />
Das Europäische Parlament vertritt<br />
die Bürger der Europäischen Union.<br />
Es wird für fünf Jahre gewählt.<br />
GRÜNDUNGSMITGLIEDS-<br />
STAATEN 1957<br />
(RÖMISCHE VERTRÄGE):<br />
Belgien, Deutschland, Frankreich,<br />
Italien, Luxemburg, Niederlande<br />
+ 1973: Dänemark, Irland,<br />
Großbritannien<br />
+ 1981: Griechenland<br />
+ 1986: Spanien, Portugal<br />
+ 1995: Österreich, Finnland,<br />
Schweden<br />
+ 2004: Tschechische Republik,<br />
Estland, Zypern, Lettland,<br />
Litauen, Ungarn, Malta,<br />
Polen, Slowenien, Slovakei<br />
+ 2007: Bulgarien, Rumänien<br />
+ 2013: Kroatien<br />
– <strong>2019</strong>: Großbritannien<br />
DIE EU HAT NACH<br />
DEM BREXIT 27<br />
MITGLIEDSSTAATEN.<br />
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42 <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />
TITEL<br />
AUFSCHWUNG OST<br />
DURCH BRÜSSELER<br />
MILLIARDEN<br />
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EUROPA<br />
<strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong> 43<br />
Die neuen Bundesländer haben in den zurückliegenden 29 Jahren enorm von<br />
EU-Hilfen profitiert. Dank milliardenschwerer Zuwendungen aus den diversen<br />
Fördertöpfen konnte der zwischen Rügen und Erzgebirge erforderliche Strukturwandel<br />
erfolgreich vorangetrieben, die Infrastruktur erheblich verbessert und die<br />
Errichtung einer modernen Bildungs- und Forschungslandschaft spürbar unterstützt<br />
werden. Schwerpunktmäßig beleuchtet <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong> in diesem<br />
Beitrag die Wirkungen, die der Europäische Fonds für regionale Entwicklung (EFRE)<br />
in den einzelnen Bundesländern entfaltet hat.<br />
VON KARSTEN HINTZMANN<br />
Berlin zählt schon zu den stärker<br />
entwickelten Regionen<br />
Im Förderzeitraum 2007 bis 2013 hat Berlin<br />
insgesamt 1,2 Milliarden Euro aus dem Europäischen<br />
Fonds für regionale Entwicklung (EFRE)<br />
und dem Europäischen Sozialfonds (ESF) genutzt.<br />
Mit den Mitteln wurden zahlreiche wirtschaftsund<br />
arbeitsmarktpolitische Projekte und Maßnahmen<br />
unterstützt. Inklusive der durch die EU-<br />
Mittel aktivierten Landes- und Bundesmittel und<br />
zusätzlicher privater Investitionen sind zwischen<br />
2007 und 2013 mehr als 3,1 Milliarden Euro in<br />
die Förderung der Wettbewerbsfähigkeit und<br />
Beschäftigung geflossen. Mit den EFRE-Mitteln<br />
konnten 2,4 Mrd. Euro in rund 10.000 Projekte<br />
investiert werden.<br />
In der 2014 gestarteten aktuellen Förderperiode<br />
erhält Berlin als eine im EU-Vergleich stärker<br />
entwickelte Region bis 2020 insgesamt 850<br />
Millionen Euro EU-Strukturfondsmittel, die um<br />
nationale Mittel in gleicher Höhe ergänzt werden<br />
müssen. Dank der Mittel aus dem EFRE-Topf<br />
wurden bis Ende letzten Jahres bereits 490 Millio<br />
nen Euro in rund 2.400 Vorhaben investiert.<br />
Zu den geförderten Berliner Unternehmen gehört<br />
das Start-up Scopics GmbH. Die chirurgischen<br />
Instrumente der jungen Firma ermöglichen eine<br />
3-D-Analyse der menschlichen Anatomie. Wie<br />
bei einem Verkehrsnavigationssystem führen sie<br />
Chirurginnen und Chirurgen durch die Operation<br />
und warnen, wenn vom festgelegten Operationspfad<br />
abgewichen wird.<br />
EFRE-Mittel erhielt auch das Berliner Forschungsprojekt<br />
AddCarbori, das Fertigungsprozesse<br />
in der Orthopädie revolutioniert hat. Die<br />
Vision: mit digitaler Technik innerhalb von nur<br />
acht Stunden passgenaue orthopädische Prothesen<br />
aus dem 3D-Drucker zu produzieren. In<br />
dem Projekt arbeiten Fachleute aus dem Bereich<br />
Medizintechnik und keramische Werkstoffe der<br />
Technischen Universität Berlin und der Forschungseinrichtung<br />
Rehabtech Research Lab<br />
GmbH zusammen mit dem Unternehmen Makea<br />
Industries GmbH.<br />
Mit Brüsseler Unterstützung wird Pflege daheim<br />
leichter gemacht: Mit der Pflegebox der Berliner<br />
CommitMed GmbH erhalten Pflegebedürftige<br />
und ihre Angehörigen die Produkte für die häusliche<br />
Pflege jeden Monat in praktischen Boxen<br />
nach Hause geliefert. Die Pflegeprodukte des<br />
Berliner Start-ups kann man einfach per Internet<br />
und im Paket bestellen. Die Kosten erstattet die<br />
Krankenkasse.<br />
Damit Berliner Spieleentwickler auch international<br />
bestehen können, hat sich die media:net
44 <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />
TITEL EUROPA<br />
EUREF-Campus Schöneberg.<br />
berlin brandenburg e.V. die Vernetzung der<br />
deutschen, nordischen und baltischen Gameindustrien<br />
zur Aufgabe gemacht. Unterstützt wird<br />
das Projekt aus dem EFRE-Topf. Media:net ist<br />
inzwischen eines der größten und erfolgreichsten<br />
regionalen Netzwerke der Digital Wirtschaft in<br />
Deutschland.<br />
Brandenburg setzt auf Innovationsstrategie<br />
„InnoBBplus“<br />
Das Land Brandenburg hat seit Beginn der<br />
1990er-Jahre eine positive wirtschaftliche<br />
Entwicklung durchlaufen. Es konnte vor allem von<br />
der Metropolregion, die es mit Berlin bildet, der<br />
geografischen Nähe zu Polen und der Anbindung<br />
zu weiteren östlichen Nachbarn profitieren.<br />
Gleichzeitig ist Brandenburg ein Flächenland<br />
mit einer kleinbetrieblich geprägten Wirtschaftsstruktur,<br />
das noch<br />
erhebliches Potenzial für<br />
Infrastrukturprojekte und<br />
Unternehmenserweiterungen,<br />
aber auch innovative<br />
Gründungen bietet. In der<br />
Förderperiode 2007–2013<br />
flossen rund 1,49 Milliarden<br />
Euro aus dem EFRE<br />
nach Brandenburg, die in<br />
Technologietransfer, innovations-<br />
und bildungsorientierte<br />
Infrastruktur,<br />
Konversion und Beseitigung<br />
von Altlasten sowie<br />
in den Ausbau wirtschaftsnaher<br />
Verkehrsinfrastruktur<br />
und touristischer<br />
Infrastruktur investiert<br />
wurden. Profitiert haben<br />
darüber hinaus in besonderer<br />
Weise Städte, die am Programm „Nachhaltige<br />
Stadtentwicklung“ teilgenommen haben.<br />
Hier konnten Maßnahmen aus dem sozialen,<br />
kulturellen, wirtschaftlichen und Verkehrsbereich<br />
umgesetzt werden, die sich in integrierte städtebauliche<br />
Entwicklungskonzepte einfügten.<br />
Neben dem EFRE werden in Brandenburg Mittel<br />
aus dem Europäischen Landwirtschaftsfonds für<br />
die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) und<br />
dem Europäischen Sozialfonds (ESF) eingesetzt.<br />
In der aktuellen Förderperiode von 2014–2020<br />
stehen dem Land rund 2,2 Milliarden Euro aus<br />
den ESI-Fonds zur Verfügung, davon rund 846<br />
Millionen Euro aus dem EFRE.<br />
In der aktuellen Förderperiode wurden vier<br />
Schwerpunktbereiche für den EFRE in Brandenburg<br />
definiert: Für die Stärkung von angewandter<br />
Forschung, Entwicklung und Innovation werden<br />
346 Millionen Euro ausgegeben. In die Erhöhung<br />
der Wettbewerbsfähigkeit kleinerer und mittlerer<br />
Unternehmen fließen 179 Millionen Euro. Bestrebungen<br />
zur Verringerung der CO 2 -Emissionen<br />
werden mit 160 Millionen Euro gefördert. Und<br />
die integrierte Entwicklung von städtischen und<br />
ländlichen Räumen wird mit 127 Millionen Euro<br />
unterstützt. Rund 60 Prozent des verfügbaren<br />
EFRE-Budgets investiert das Land in die ersten<br />
beiden Schwerpunkte, wovon innovative Unternehmen,<br />
Hochschulen und Forschungseinrichtungen<br />
im Land profitieren. Den strategischen<br />
Rahmen dafür bildet die Innovationsstrategie<br />
„InnoBBplus“.<br />
Um langfristig Beschäftigung zu sichern und<br />
dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, setzt<br />
die Landesregierung auf die Unterstützung von<br />
„Guter Arbeit“ und Investitionen in Qualifikation<br />
und Kompetenzen. Mit Sensibilisierungsmaßnahmen<br />
an Schulen und Hochschulen soll der<br />
Unternehmergeist frühzeitig gefördert werden.<br />
Über den EFRE-kofinanzierten Brandenburger<br />
Innovationsgutschein (BIG) können sich zum<br />
Beispiel kleine und mittelständische Unternehmen<br />
die Qualifizierung ihres Personals oder<br />
externe Beratungsleistungen zur Umsetzung<br />
von Digitalisierungsprozessen bezuschussen<br />
lassen. Nötiges Know-how wird aber auch über<br />
die EFRE-geförderten Kompetenzzentren im<br />
Land aufgebaut, sei es über Information- und<br />
Beratungsangebote beim Innovationszentrum<br />
Moderne Industrie (IMI) Brandenburg in Cottbus<br />
oder beim an der Technischen Hochschule Brandenburg<br />
(THB) angesiedelten, speziell auf das<br />
Handwerk ausgerichteten Kompetenzzentrum<br />
„Digitalwerk“ in Werder (Havel).<br />
Berlins Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne).<br />
AUSDRUCK EUROPÄISCHER SOLIDARITÄT<br />
„ Mithilfe der EU-Mittel wird der Strukturwandel in Berlin erfolgreich<br />
flankiert. Zur nachhaltigen Sicherung dieser positiven<br />
Entwicklung ist es wichtig, dass Berlin auch zukünftig eine<br />
angemessene Unterstützung aus den EU-Strukturfonds enthält.<br />
Die europäische Struktur- und Investitionspolitik ist für alle Bürgerinnen<br />
und Bürger sichtbarer Ausdruck europäischer Solidarität.<br />
Berlin braucht auch weiterhin die Gelder aus den europäischen Strukturfonds,<br />
um den erfolgreich eingeschlagenen Weg sozial und ökologisch<br />
verantwortlicher Wirtschaftspolitik fortsetzen zu können.<br />
“<br />
Foto: Andreas Schwarz/EUREF AG, Ramona Pop
ADVERTORIAL<br />
<strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />
45<br />
Zukunftsorte in Sachsen-Anhalt<br />
sollen sichtbarer werden:<br />
HIER trifft Wirtschaft Wissenschaft<br />
Innovationen und Sachsen-Anhalt, so lautet ein noch immer gängiges Klischee, das<br />
passe irgendwie nicht zusammen. Von „verlängerten Werkbänken“ ist dann allzu<br />
oft die Rede, Innovation finde andernorts statt. Mit diesem Vorurteil wollen jetzt<br />
die Investitions- und Marketinggesellschaft (IMG), ihre regionalen Partner und<br />
zwölf Zukunftsorte in Sachsen-Anhalt nachhaltig aufräumen.<br />
Zwölf Standorte mit Flächenpotenzial, an denen Planck-Gesellschaften sowie der Helmholtz-und<br />
wissensbasierte Netzwerkstrukturen zwischen Leibniz-Gemeinschaften vertreten. Neben etwa<br />
Wirtschaft und Wissenschaft existieren, treten 7.500 Studierenden arbeiten hier 5.500 Menschen<br />
den Gegenbeweis an und zeigen, dass von Sachsen-Anhalt<br />
Impulse ausgehen, Innovationen ihren Inzwischen sind dort neben Gründungsprojekten<br />
in Unternehmen und Forschungseinrichtungen.<br />
Ursprung nehmen, Forscher bahnbrechende Neuheiten<br />
entdecken, Entrepreneure ihre Produkte zur die sich bereits erfolgreich am Markt etabliert<br />
und verschiedenen Start-ups auch Unternehmen,<br />
Marktreife und von hier aus auf die Weltmärkte haben: das börsennotierte Biotechnologieunternehmen<br />
Probiodrug AG zum Beispiel, das<br />
bringen – Standorte, die auf die Anforderungen<br />
der Industrie von morgen vorbereitet sind und an neuartigen therapeutischen Lösungen zur<br />
gerade Uniabsolventen und -absolventinnen beste Behandlung von Alzheimer forscht oder auch das<br />
Bedingungen für ihren Karrierestart bieten.<br />
Biotechnologieunternehmen Scil Proteins GmbH.<br />
„Sachsen-Anhalt setzt verstärkt auf Zukunftsthemen<br />
wie Chemie, Bioökonomie und Medizintechnik,<br />
die eng mit Hochschulen, Forschungseinrichtungen<br />
und Clustern vernetzt sind“,<br />
sagt der Geschäftsführer der Investitions- und<br />
Marketinggesellschaft des Landes Sachsen-<br />
Anhalt, Thomas Einsfelder. Die technologie- und<br />
wissenschaftsorientierten Unternehmen dieser<br />
Branchen finden bei uns gute Expansionsbedingungen.<br />
Bei Produktentwicklungen arbeiten<br />
heute Komponentenhersteller, Forschungsinstitutionen,<br />
Ingenieurbüros, Werkzeug- und<br />
Formenbauer und IT-Dienstleister in völlig<br />
neuen Kooperationsformen zusammen. Deshalb<br />
erfordern diese wissensbasierten Industrien ein<br />
immer anspruchsvolleres Umfeld und zukunftsfähige<br />
Gewerbegebiete sind weit mehr als eine<br />
Aneinanderreihung von Fabrikhallen.“<br />
www.zukunftsorte-sachsen-anhalt.de<br />
Foto: IMG<br />
Sachsen-Anhalt verfügt über eine der dichtesten<br />
Forschungslandschaften in ganz Deutschland,<br />
eine experimentierfreudige Wirtschaft und mutige<br />
Gründer. An zwölf Standorten konzentrieren<br />
sich Wissenschaft und Wirtschaft in besonderer<br />
Weise. Im Technologiepark Weinberg Campus in<br />
Halle (Saale) etwa, dem zweitgrößten ostdeutschen<br />
Technologiepark. Vor 25 Jahren auf einem<br />
ehemaligen Kasernengelände entstanden, haben<br />
sich hier inzwischen mehr als 200 Unternehmen<br />
gegründet. Eine Milliarde Euro wurde investiert.<br />
Die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg<br />
hat am Weinberg Campus ihre naturwissenschaftlichen<br />
Institute konzentriert. Außerdem<br />
sind alle bedeutenden außeruniversitären Forschungseinrichtungen<br />
der Fraunhofer- und Max-<br />
Forschung und Wirtschaft arbeiten auch auf dem<br />
Forschungscampus STIMULATE in Sachsen-Anhalts<br />
Landeshauptstadt Magdeburg eng zusammen.<br />
Dort wird die Zukunft der medizinischen<br />
Behandlung, beispielsweise durch den Einsatz von<br />
Robotern als chirurgische Assistenzsysteme, vorangetrieben.<br />
Der Campus entsteht an einem weiteren<br />
Zukunftsort, dem Wissenschaftshafen. Die<br />
Speichergebäude des alten Handelshafens wandeln<br />
sich zu einem urbanen Zentrum für Innovation und<br />
Wissenstransfer. Im Mixed-Reality-Labor mit einer<br />
360-Grad-Laserprojektionswand des Fraunhofer-<br />
Instituts für Fabrikbetrieb und -automatisierung<br />
(IFF) können beispielsweise Maschinen und ganze<br />
technische Anlagen noch vor ihrem Bau virtuellinteraktiv<br />
dargestellt und getestet werden.
46 <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />
TITEL<br />
Komplettes Interview<br />
EU-FÖRDERUNG HILFT BEI<br />
DER DIGITALISIERUNG<br />
„ Innovation ist die Triebkraft für das<br />
Wachstum Brandenburgs. Nur durch nachhaltige<br />
Investitionen in die Verflechtung von Wissenschaft, anwendungsnaher<br />
Forschung und Wirtschaft kann die Wettbewerbsfähigkeit insbesondere<br />
kleiner und mittlerer Unternehmen im Land langfristig gesichert werden.<br />
Die EU-Förderung bietet die Möglichkeit, zielgerichtet globale<br />
Herausforderungen wie Digitalisierung, Energiewende und<br />
Fachkräftesicherung im Land mit eigenen Lösungen anzugehen.<br />
Dass Brandenburg sich wirtschaftlich so gut entwickelt hat, ist auch<br />
der Förderung durch die Europäische Union zu verdanken.<br />
“<br />
Brandenburgs Wirtschaftsminister Prof. Dr. Jörg<br />
Steinbach (SPD).<br />
Brandenburgische Technische Universität (BTU)<br />
Cottbus-Senftenberg.<br />
Seit Beginn der 1990er-Jahre sind mehr als<br />
400 Millionen Euro in den Wissenschaftspark<br />
Potsdam-Golm, den größten Wissenschaftsstandort<br />
des Landes Brandenburg, investiert<br />
worden. Davon wurden allein mehr als 100 Millionen<br />
Euro aus dem EFRE-Topf insbesondere für<br />
den Aufbau der Wissenschafts- und Forschungsinfrastruktur<br />
und für die Ausstattung der dort<br />
angesiedelten Institute der Universität Potsdam<br />
und Forschungseinrichtungen sowie in den<br />
Wissens- und Technologietransfer eingesetzt.<br />
Mehr als 2.000 Wissenschaftler sowie mehr als<br />
9.000 Studierende lernen, lehren und forschen<br />
dort. Zu den ansässigen Einrichtungen gehören<br />
etwa die Universität Potsdam, das Fraunhofer-<br />
Institut für Angewandte Polymerforschung oder<br />
das Fraunhofer-Institut für Zelltherapie und<br />
Immunologie.<br />
Um Start-ups eine Ansiedlung in diesem außergewöhnlichen<br />
Kooperationsumfeld zu ermöglichen,<br />
wurde 2007 das „Golm Innovation Center GO:IN“<br />
eröffnet. Rund 12 Millionen Euro wurden für den<br />
Bau und die Ausstattung in der EU-Förderperiode<br />
2000–2006 investiert, davon sechs Millionen<br />
aus dem EFRE. Das „GO:IN“ bietet 4.000<br />
Quadratmeter Büro- und Lageflächen, Laboratorien,<br />
Konferenzräume und unternehmensnahe<br />
Dienstleistungen. Die direkte Nachbarschaft zur<br />
Wissenschaft ermöglicht den Technologietransfer<br />
vor allem in den Grenzbereichen zwischen Biologie,<br />
Physik und Chemie. Die hohe Nachfrage nach<br />
Büro- und Laborräumen bestätigte das Konzept<br />
und die Überlegungen zur Erweiterung verstetigten<br />
sich. Der geplante Erweiterungsneubau „GO:IN<br />
2“ soll spätestens 2021 fertiggestellt werden.<br />
Das im Jahr 2015 eingerichtete Innovationszentrum<br />
Moderne Industrie (IMI) Brandenburg<br />
unterstützt und berät Unternehmen bei der<br />
Automatisierung und Digitalisierung ihrer<br />
Geschäftsprozesse. Das IMI Brandenburg ist<br />
angesiedelt am Lehrstuhl Automatisierungstechnik<br />
der Brandenburgischen Technischen<br />
Universität (BTU) Cottbus-Senftenberg. Mithilfe<br />
von Potenzialanalysen, die das IMI Brandenburg<br />
Unternehmen bietet, untersuchen Projektmitarbeiterinnen<br />
und Projektmitarbeiter den<br />
Modernisierungsbedarf. Die daraus resultierenden<br />
Empfehlungen können dank des großen<br />
Netzwerks an regionalen Partnern mit wissenschaftlichen<br />
und nicht-wissenschaftlichen<br />
Einrichtungen umgesetzt werden. Zusätzlich<br />
können sich Unternehmen in der Modellfabrik in<br />
Cottbus die Möglichkeiten der Automatisierung<br />
und Digitalisierung demonstrieren lassen oder<br />
sich über Referenzprojekte informieren.<br />
Auch innovative Firmen profitieren von der EFRE-<br />
Förderung. Beispielsweise die 2016 gegründete<br />
Weise Water GmbH. Für den Aufbau und die Ausstattung<br />
seines Produktionsbetriebs in Hennigsdorf<br />
erhielt Inhaber und Geschäftsführer Ulrich<br />
Weise im Rahmen der Gründungsförderung des<br />
Landes Brandenburg Mittel aus dem EFRE. Die<br />
Weise Water GmbH entwickelt, produziert und<br />
vertreibt unter dem Namen AQQA-Filtersysteme,<br />
die zur Herstellung von Trinkwasser dienen.<br />
Darüber hinaus kann Abwasser zu hygienisch<br />
einwandfreiem Wasser aufbereitet und danach<br />
bedenkenlos wiederverwendet werden.<br />
Mecklenburg-Vorpommern konzentriert<br />
sich auf vier Prioritätsachsen<br />
Das nördlichste ostdeutsche Bundesland erhält<br />
in der bis 2020 laufenden Förderperiode rund 968<br />
Millionen Euro an EFRE-Mitteln. Das Geld wird<br />
auf der Basis von vier Prioritätsachsen ausgegeben,<br />
mit denen die Förderung auf spezifische<br />
Themen konzentriert wird: Die Förderung von<br />
Forschung, Entwicklung und Innovation, die<br />
Förderung der Wettbewerbsfähigkeit von kleinen<br />
und mittleren Unternehmen, die Förderung der<br />
Verringerung der CO 2 -Emissionen sowie die<br />
Förderung der integrierten nachhaltigen Stadtentwicklung.<br />
Den wichtigsten Bereich der derzeitigen EFRE-<br />
Förderung mit inzwischen fast einem Drittel<br />
der EFRE-Mittel – und damit deutlich mehr als<br />
Foto: BTU Cottbus-Senftenberg, MWE
EUROPA<br />
<strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />
47<br />
Hafen Saßnitz.<br />
je zuvor – bildet die Förderung von Forschung,<br />
Entwicklung und Innovation mit 296 Millionen<br />
Euro. Die Mittel hierfür wurden erst im Herbst<br />
2018 auf dieses Volumen aufgestockt. Im Fokus<br />
stehen dabei konkrete Forschungsprojekte von<br />
Unternehmen und von Verbünden aus Wirtschaft<br />
und Wissenschaft. Für die Förderung der<br />
wirtschaftsnahen Forschung und Entwicklung<br />
sind allein 218 Millionen Euro vorgesehen. Neu im<br />
EFRE-Programm ist dabei die Möglichkeit, über<br />
zwei Beteiligungsfonds Risikokapital für junge innovative<br />
Unternehmensgründungen und für vielversprechende<br />
Forschungs- und Entwicklungsvorhaben<br />
von bereits bestehenden Unternehmen<br />
bereitzustellen. Daneben wird der bewährte<br />
Ansatz fortgesetzt, die öffentliche Forschungsinfrastruktur<br />
mit EFRE-Mitteln auszubauen.<br />
Die Förderung der Wettbewerbsfähigkeit von<br />
kleinen und mittleren Unternehmen ist mit knapp<br />
einem Viertel der Mittel nach wie vor ein wichtiger<br />
Schwerpunkt, für den 219 Millionen Euro<br />
eingeplant sind. Dies bedeutet, dass aus dem<br />
EFRE-Budget weiterhin Investitionen von kleinen<br />
und mittleren Unternehmen unterstützt werden.<br />
Zudem kann die wirtschaftsnahe Infrastruktur<br />
des Landes mit dem EFRE gezielt verbessert<br />
werden. Das gilt auch für den Teilbereich der<br />
touristischen Infrastruktur. Die Förderung von<br />
touristischen Einrichtungen zur Saisonverlängerung<br />
und zur Erhöhung der Verweildauer ist<br />
für Mecklenburg-Vorpommern, das stark vom<br />
Tourismus geprägt ist, von großer Bedeutung.<br />
Komplettes Interview<br />
Foto: Wirtschaftsministerium Mecklenburg-Vorpommern<br />
ES BESTEHT WEITERHIN<br />
AUFHOLBEDARF<br />
„ Wir sind ein lebendiger Teil Europas. Die<br />
Staatengemeinschaft trägt entscheidend<br />
dazu bei, die Arbeitsmöglichkeiten und Lebensqualität im eigenen Land<br />
zu erhöhen. Die europäischen Mittel sind dabei ein unverzichtbarer Baustein<br />
der Unterstützung für Mecklenburg-Vorpommern, was im Ergebnis zu mehr<br />
wirtschaftlichem Wachstum, zu mehr Beschäftigung auf dem ersten<br />
Arbeitsmarkt und zu mehr Wertschöpfung in den Regionen führt. Es besteht<br />
weiterhin Aufholbedarf zu anderen Regionen. Es muss auch künftig<br />
möglich sein, regionale Strukturschwächen über europäische Fördermittel<br />
wirkungsvoll zu bekämpfen. Wir brauchen die Unterstützung als Impuls für<br />
weiteres Wirtschaftswachstum sowie den Erhalt und die Schaffung von<br />
neuen Arbeitsplätzen bei uns in Mecklenburg-Vorpommern.<br />
“<br />
Harry Glawe (CDU), Minister für Wirtschaft, Arbeit<br />
und Gesundheit in Mecklenburg-Vorpommern.
48 <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />
TITEL<br />
Für die Infrastruktur- und die gewerbliche<br />
Förderung verfügt das Land darüber hinaus auch<br />
in den kommenden Jahren mit jährlich rund 120<br />
Millionen Euro über eine gute Mittelausstattung<br />
aus der Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgabe<br />
„Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“<br />
(GRW). Zu den weiteren Instrumenten<br />
zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit gehört<br />
zudem die Unterstützung des Auftritts von Unternehmen<br />
auf internationalen sowie überregionalen,<br />
auf internationale Märkte ausgerichteten<br />
Messen und Ausstellungen sowie von Projekten<br />
der Gesundheitswirtschaft. Auch die gemeinsame<br />
Vermarktung Mecklenburg-Vorpommerns<br />
als Wirtschaftsstandort und als Tourismusregion<br />
wird fortgesetzt.<br />
Einen eigenen Schwerpunkt bilden die Förderansätze<br />
zur der Verringerung der CO 2 -Emissionen.<br />
Hierfür sind 211 Millionen Euro, also rund 23 Prozent<br />
der EFRE-Mittel, eingeplant. Zu der bereits<br />
in der vorherigen Förderperiode bestehenden<br />
Unterstützung von Klimaschutz bezogenen Projekten<br />
von Unternehmen und Kommunen wurde<br />
die Förderung des Radwegebaus, des öffentlichen<br />
Personennahverkehrs und der energetischen<br />
Sanierung von Landesbauten neu in das<br />
EFRE-Programm aufgenommen.<br />
Mit dem vierten Förderbereich zur Unterstützung<br />
der integrierten nachhaltigen Stadtentwicklung<br />
in den Ober- und Mittelzentren enthält das Programm<br />
einen verstärkten Schwerpunkt auf dem<br />
Gebiet der städtischen Infrastruktur. Dafür sind<br />
22 Prozent der EFRE-Mittel (204 Millionen Euro)<br />
vorgesehen. Insbesondere Kindertagesstätten,<br />
Bildungseinrichtungen und weitere soziale<br />
Infrastrukturen sollen aus diesem Topf gefördert<br />
werden. Die Städtebauförderung und umweltorientierte<br />
Verkehrsinfrastrukturmaßnahmen bilden<br />
weitere zentrale Bestandteile dieses Pakets<br />
zur Stärkung der Mittel- und Oberzentren.<br />
Insgesamt wurden bis Ende September 2018 auf<br />
Programmebene rund 2.360 Projekte mit förderfähigen<br />
Gesamtausgaben in Höhe von bislang<br />
1,17 Milliarden Euro ausgewählt. So wurden für<br />
den Ausbau anwendungsnaher Forschungs- und<br />
Innovationskapazitäten an öffentlichen Forschungseinrichtungen<br />
141 Projekte, überwiegend<br />
für die Beschaffung wissenschaftlicher Geräte,<br />
gefördert. Die Durchführung von unternehmerischen<br />
Forschungs- und Innovationsvorhaben, die<br />
darauf abzielen, neue Produkte, Dienstleistungen<br />
oder Verfahren als Neuheit für das Unternehmen<br />
oder den Markt einzuführen, wurde in 126<br />
Fällen gefördert. Darüber hinaus gewähren zwei<br />
Risikokapitalfonds offene und stille Beteiligungen<br />
an innovative Unternehmen, zur Umsetzung<br />
digitaler Geschäftsmodelle oder aussichtsreicher<br />
Forschungsprojekte. Durch die Fonds wird der<br />
Zugang zu Eigen- und Fremdkapital verbessert.<br />
Damit wird ein zentrales Innovationshemmnis für<br />
Gründungen, junge Unternehmen sowie länger<br />
am Markt etablierte kleine und mittlere Unternehmen<br />
beseitigt und zusätzliche Innovationsprozesse<br />
angestoßen.<br />
Die Verbesserung der Zusammenarbeit von Unternehmen<br />
und öffentlichen Forschungseinrichtungen<br />
in der anwendungsnahen Forschung und<br />
Entwicklung wurde durch 71 Verbundvorhaben<br />
gefördert, an denen sich 21 verschiedene Wissenschaftseinrichtungen<br />
und 61 Unternehmen<br />
beteiligen. Für die bedarfsorientierte Verbesserung<br />
der wirtschaftsnahen inklusive touristischen<br />
Infrastruktur wurden 62 Infrastrukturvorhaben<br />
bewilligt. Wachstum und Beschäftigung<br />
in der Gesundheitswirtschaft wurden bislang<br />
durch 35 Projekte unterstützt. Zur Verbesserung<br />
der Markterschließung und -durchdringung von<br />
kleinen und mittleren Unternehmen wurde in 890<br />
Fällen die Teilnahme an Messen und Ausstellungen<br />
gefördert. Für die direkte Reduzierung der<br />
CO 2 -Emissionen von Unternehmen und Institutionen<br />
wurden in 65 Klimaschutz-Projekten Unternehmen<br />
und in 229 Fällen nicht-wirtschaftlich<br />
tätigen Organisationen Zuschüsse gewährt.<br />
Sachsen hat spezifisches Profil<br />
wirtschaftlicher Stärken<br />
In den Förderzeiträumen von 1991 bis 2020<br />
konnte und kann der Freistaat Sachsen rund 13,7<br />
Milliarden Euro aus dem EFRE und dem Europäischen<br />
Sozialfonds (ESF) für Wachstum und<br />
Beschäftigung einsetzen. In der aktuell laufenden<br />
Förderperiode stehen rund 2,7 Milliarden Euro<br />
für Sachsen zur Verfügung – rund 2,08 Milliarden<br />
aus dem EFRE und rund 663 Millionen Euro aus<br />
dem ESF. Die Schwerpunkte der EU-Förderung<br />
liegen weiter auf Innovation, Forschung und<br />
Entwicklung und einer nachhaltigen Beschäftigungspolitik.<br />
Seit 1991 wurden 1,8 Millionen<br />
Menschen allein aus Mitteln des Europäischen<br />
Sozialfonds in Höhe von 3,6 Milliarden Euro direkt<br />
oder indirekt gefördert.<br />
Dank der Förderung konnten seit 1991 unzählige<br />
Arbeitsplätze durch Investitionen in Unternehmen<br />
geschaffen und gesichert werden. Bei<br />
der Infrastruktur wurde enorm aufgeholt, zum<br />
Beispiel durch neue Straßen, Radwege, die Schulneubauten<br />
und Investitionen in eine nachhaltige<br />
Stadtentwicklung. Durch die EU-Förderung<br />
OHNE EU-FÖRDERUNG<br />
WÄRE AUFSCHWUNG<br />
UNDENKBAR GEWESEN<br />
„ Sachsen hat seit der deutschen<br />
Wiedervereinigung eine Entwicklung<br />
durchlaufen, die ohne die<br />
Unterstützung aus den europäischen<br />
Strukturfonds in dieser<br />
Form nicht denkbar gewesen<br />
wäre. Die Förderung der EU-<br />
Strukturfonds seit 1991 hat einen<br />
großen Beitrag zur bisherigen<br />
erfolgreichen wirtschaftlichen und<br />
sozialen Entwicklung in Sachsen<br />
geleistet – und leistet diesen<br />
auch im aktuell laufenden Förderzeitraum<br />
2014 bis 2020. Wir<br />
haben den Anspruch, nicht nur zu<br />
verwalten, sondern Sachsens Zukunft<br />
zu gestalten. Die Mittel aus<br />
den EU-Strukturfonds eröffnen<br />
hierfür langfristige Möglichkeiten,<br />
die über ein einzelnes Haushaltsjahr<br />
weit hinausreichen. Diese<br />
Möglichkeiten werden wir nutzen,<br />
indem wir die Mittel wirksam für<br />
zusätzliche Impulse für ein innovationsgetriebenes<br />
Wachstum<br />
der Wirtschaft und gute Arbeit<br />
verantwortungsvoll einsetzen und<br />
dabei neue Herausforderungen<br />
wie die Digitalisierung und die<br />
Fachkräftegewinnung verstärkt<br />
im Blick haben.<br />
“<br />
Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD).<br />
Komplettes Interview<br />
Foto: Sächsisches Staatsministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr
EUROPA<br />
<strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong> 49<br />
TU Dresden.<br />
konnte der Ausbau der Forschungslandschaft in<br />
ist nicht zuletzt dank der EU-Fördermittel weitge-<br />
In der laufenden Förderperiode setzt auch<br />
Sachsen entscheidend vorangebracht werden<br />
hend geglückt. Viele Neuansiedlungen haben die<br />
Sachsen die EU-Förderung zu einem großen Teil<br />
– das zeigen die durch EU-Mittel unterstützte<br />
Wirtschaftskraft des Freistaates verbessert. Dabei<br />
für die Stärkung von Forschung, technologischer<br />
Ansiedlung von zahlreichen Fraunhofer-Institu-<br />
ging die von Sachsen verfolgte Strategie auf, den<br />
Entwicklung und Innovation ein. Das Spektrum<br />
ten im Freistaat, immense Investitionen in die<br />
Schwerpunkt auf die nachhaltige Förderung von<br />
reicht hier von Investitionen in die Forschungsinf-<br />
Hochschullandschaft mit Neubauten und unzäh-<br />
Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung zu legen.<br />
rastruktur und Forschungsprojekte, in innovative<br />
ligen Forschungsprojekten und die Technologie-<br />
Energietechniken, die Technologieförderung bis<br />
förderung für Unternehmen. Mit der Förderung<br />
Sachsen hat so ein spezifisches Profil an wirt-<br />
hin zur Unterstützung innovativer Ansätze in der<br />
von Ausbildung, beruflicher Weiterbildung und<br />
schaftlichen Stärken entwickelt. Vor allem beim<br />
Gesundheits- und Pflegewirtschaft.<br />
Existenzgründung hat der Freistaat mithilfe der<br />
verarbeitenden Gewerbe hat der Freistaat über-<br />
EU-Mittel außerdem die berufliche Entwicklung<br />
proportionale Steigerungen erreichen können.<br />
Darüber hinaus strebt der Freistaat die Stär-<br />
Foto: TUD Eckold<br />
vieler Menschen in Sachsen unterstützt.<br />
Sachsen hat sich nach der Wiedervereinigung erfolgreich<br />
entwickelt. Der Erhalt industrieller Kerne<br />
Auch die unternehmensnahen Dienstleistungen<br />
profitieren von der Entwicklung. Die nach wie vor<br />
steigende Exportquote spricht für die Qualität<br />
sächsischer Produkte.<br />
kung der Wettbewerbsfähigkeit von kleinen und<br />
mittleren Unternehmen an. Aus den EU-Töpfen<br />
werden Risikokapitalfonds, die Markteinführung<br />
innovativer Produkte und Produktdesign,<br />
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50 <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />
TITEL<br />
Grundsteinlegung bei der Progroup in Sachsen-Anhalt.<br />
E-Business und Informationssicherheit, der<br />
Breitbandausbau sowie einzelbetriebliche Investitionen<br />
gefördert.<br />
von schweren Hochwassern heimgesucht wurde,<br />
fließt viel Brüsseler Geld ins Hochwasserrisikomanagement.<br />
Investitionen sind gut 18.200 neue Arbeitsplätze<br />
geschaffen sowie rund 73.700 Arbeitsplätze<br />
gesichert worden.<br />
Ähnlich wie die anderen neuen Länder will auch<br />
Sachsen mithilfe von EU-Millionen eine Verringerung<br />
der CO 2 -Emissionen erreichen. Im Fokus<br />
der Förderung steht dabei die zukunftsfähige<br />
Energieversorgung in Unternehmen, energieeffiziente<br />
Investitionen in Hochschul-, Landes- und<br />
Schulgebäude, der Klima- und Immissionsschutz<br />
sowie umweltfreundliche Verkehrsträger. Als<br />
Land, das in jüngster Vergangenheit wiederholt<br />
Sachsen-Anhalt wird als Forschungsund<br />
Industriestandort gestärkt<br />
Seit 2009 sind in Sachsen-Anhalt 1.615 Investitionen<br />
von Unternehmen im Gesamtvolumen<br />
von knapp 7,7 Milliarden Euro mit insgesamt 1,31<br />
Milliarden Euro aus der Gemeinschaftsaufgabe<br />
„Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“<br />
(GRW) gefördert worden – davon kamen<br />
341,6 Millionen Euro aus EU-Mitteln. Durch die<br />
Ganz erheblich wurden Investitionen in die<br />
wirtschaftsnahe und die touristische Infrastruktur<br />
aus EU-Mitteln gefördert: Seit 2009 wurden<br />
244 derartige Investitionen im Gesamtvolumen<br />
von knapp 500 Millionen Euro mit 387 Millionen<br />
Euro aus der GRW unterstützt – davon kamen<br />
144,2 Millionen Euro von der EU. Insgesamt liegt<br />
der EU-Anteil bei der Investitionsförderung in<br />
Sachsen-Anhalt also bei rund 28,6 Prozent<br />
Sachsen-Anhalts Wirtschaftsminister<br />
Prof. Dr. Armin Willingmann (SPD).<br />
Komplettes Interview<br />
EU IST ZENTRALES FRIEDENS-<br />
PROJEKT DER VERGANGENEN<br />
JAHRZEHNTE<br />
„ Sachsen-Anhalt hat sich in den vergangenen<br />
Jahren wirtschaftlich gut entwickelt – auch dank der umfangreichen<br />
Förderung aus Brüssel. Wenn ich EU höre, denke ich nicht an die Regulierung<br />
krummer Gurken oder Bananen, sondern in erster Linie an das zentrale<br />
Friedensprojekt der vergangenen Jahrzehnte sowie an die massive finanzielle<br />
Unterstützung für Gründer, Unternehmen und Wissenschaftseinrichtungen.<br />
Sachsen-Anhalt profitiert ausgesprochen stark von Europa.<br />
Wir wissen das zu schätzen.<br />
“<br />
Foto: Progroup AG, Ministerium für Wirtschaft, Wissenschaft und Digitalisierung in Sachsen-Anhalt
EUROPA<br />
<strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />
51<br />
EU-MITTEL HELFEN BEIM STRUKTURWANDEL<br />
„ Ohne die EU-Förderung wäre der wirtschaftliche Aufhol- und<br />
Wachstumsprozess der vergangenen zweieinhalb Jahrzehnte so nicht<br />
möglich gewesen. Die EFRE-Mittel sind ein wesentlicher Treiber der positiven<br />
wirtschaftlichen Entwicklung Thüringens. Die bisherige Unterstützung<br />
aus Europa hat einen beträchtlichen Teil dazu beigetragen, den<br />
Strukturwandel in Thüringen erfolgreich zu gestalten. Um weiterhin für<br />
Wachstum und Beschäftigung in Thüringen zu sorgen, wird der EFRE auch<br />
in Zukunft dringend gebraucht.<br />
“<br />
Thüringens Wirtschaftsminister<br />
Wolfgang Tiefensee (SPD).<br />
Foto: Thüringer Ministerium für Wirtschaft, Wissenschaft und Digitale Gesellschaft<br />
(486 Millionen von insgesamt 1,696 Milliarden<br />
Euro GRW-Zuschuss) – den Rest teilen sich Bund<br />
und Land je zur Hälfte.<br />
Zu den größten Unternehmensinvestitionen seit<br />
2009 zählen die neue Papierfabrik der Progroup<br />
AG in Sandersdorf-Brehna (Investitionsvolumen:<br />
376,1 Millionen Euro), ein neues Aluminiumwerk<br />
von Novelis in Nachterstedt (211,3 Millionen Euro)<br />
und das Rechenzentrum von T-Systems in Biere<br />
(170 Millionen Euro).<br />
Auch bei der Förderung von Forschungs- und<br />
Entwicklungsprojekten in Unternehmen und<br />
an Hochschulen, des Technologietransfers aus<br />
der Wissenschaft in die Wirtschaft sowie des<br />
Breitbandausbaus und der Digitalisierung werden<br />
EU-Mittel genutzt. Hierfür flossen seit 2009 für<br />
knapp 1.700 Projekte insgesamt 224,4 Millionen<br />
Euro an Fördermitteln – davon der Löwenanteil<br />
von der EU: 190,3 Millionen Euro, das entspricht<br />
84,8 Prozent. Der Rest sind Mittel von Land und<br />
Bund. Durch die Innovationsförderung wurden<br />
Investitionen im Gesamtvolumen von rund 386,4<br />
Millionen Euro ausgelöst.<br />
Darüber hinaus kommen EU-Mittel bei der Unterstützung<br />
von Gründern und Gründerinfrastruktur<br />
an den Hochschulen zum Einsatz: Seit 2009<br />
sind in die Gründerförderung in Sachsen-Anhalt<br />
insgesamt 79,6 Millionen Euro geflossen (für rund<br />
1.170 Projekte) – davon kamen 56,3 Millionen<br />
Euro von der EU (70,8 Prozent).<br />
Aus EU-Töpfen werden auch zinsgünstige Darlehen<br />
für die Gründung, das Wachstum und die Nachfolge<br />
von Unternehmen gespeist: Seit 2009 wurden in<br />
Sachsen-Anhalt insgesamt gut 2.200 Darlehen<br />
im Gesamtvolumen von rund 397,2 Millionen Euro<br />
vergeben – davon kamen rund 265,6 Millionen<br />
Euro aus EU-Mitteln (66,9 Prozent). Durch die<br />
Darlehen wurden Investitionen im Gesamtvolumen<br />
von rund 1,05 Milliarden Euro angeschoben.<br />
In Summe kommt man allein bei den genannten<br />
großen Wirtschaftsförderprogrammen – daneben<br />
gibt es noch viele kleinere Programme – zu<br />
einem Gesamtvolumen von EU-Fördermitteln<br />
seit 2009 in Höhe von rund einer Milliarde Euro.<br />
Thüringen setzt auf Forschergeist und<br />
Wettbewerbsfähigkeit<br />
Rund 1,2 Milliarden Euro – gut 170 Millionen<br />
Euro pro Jahr – erhält Thüringen in der laufenden<br />
Förderperiode aus dem EFRE. Für die vergangene<br />
Förderperiode von 2007 bis 2013 belief sich die<br />
Förderung auf rund 1,5 Milliarden Euro. Die EFRE-<br />
Mittel verteilen sich auf die fünf Schwerpunkte<br />
der Thüringer Landesregierung: Förderung<br />
von Forschung und Entwicklung, Stärkung der<br />
Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen, Reduzierung<br />
von CO 2 -Emmissionen, Umweltschutz<br />
und nachhaltige Nutzung von Ressourcen sowie<br />
nachhaltigen Städtebau. Die finanziellen Prioritäten<br />
liegen dabei auf den Förderprogrammen der<br />
Forschungs- und Entwicklungsförderung (insgesamt<br />
416 Millionen Euro) und der Stärkung der<br />
Wettbewerbsfähigkeit der Thüringer Wirtschaft<br />
(350 Millionen Euro).<br />
Mit fast 30 Prozent entfällt der größte Anteil der<br />
EFRE-Mittel erstmals in einer Förderperiode auf<br />
Forschung und Innovation. Bis 2020 unterstützt<br />
die EU Thüringer Forschungseinrichtungen und<br />
Betriebe mit 333 Millionen Euro bei der Entwicklung<br />
neuer Produkte und Verfahren. Das Geld<br />
fließt jeweils zur Hälfte an Forschungseinrichtungen<br />
und Unternehmen, die neue Technologien<br />
entwickeln. Zuletzt wurde im November 2016<br />
der Beutenberg-Campus in Jena mit 4,6 Millionen<br />
Euro aus dem EFRE gefördert. Der Beutenberg<br />
beherbergt neun Forschungsinstitute und zwei<br />
Gründerzentren mit insgesamt 50 Firmen.<br />
Der zweite große Förderschwerpunkt im EFRE<br />
ist die Unterstützung von Unternehmen, die<br />
investieren, wachsen und Arbeitsplätze schaffen.<br />
Dies erfolgt insbesondere über die Außenwirtschafts-<br />
und Investitionsförderung für kleine und<br />
mittelständische Unternehmen. Rund 283 Millionen<br />
Euro – 24 Prozent der EFRE-Mittel – werden<br />
bis 2020 dafür aufgewendet.<br />
Für die Umsetzung der Energiewende sind –<br />
erstmals überhaupt – rund 230 Millionen Euro,<br />
fast 20 Prozent der EFRE-Mittel, eingeplant.<br />
Schwerpunkt ist die Verbesserung der Energieeffizienz<br />
in Unternehmen und öffentlichen Gebäuden.<br />
Im Umweltbereich wiederum konzentrieren<br />
sich die europäischen Mittel auf den Hochwas-
52 <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />
TITEL EUROPA<br />
serschutz und die Gewässerentwicklung. Dafür<br />
stehen gut 140 Millionen Euro – 12 Prozent der<br />
EFRE-Mittel – zur Verfügung. Allein die Maßnahmen<br />
im Bereich des Hochwasserschutzes<br />
wurden von 15 Millionen Euro in der letzten<br />
Förderperiode auf 92 Millionen Euro im aktuellen<br />
Förderzeitraum aufgestockt.<br />
Mehr Schub bekommt in Zukunft auch die nachhaltige<br />
Stadtentwicklung: Mit einer deutlichen<br />
Mittelerhöhung von 84 auf 152 Millionen Euro<br />
gegenüber der letzten Förderperiode sollen die<br />
Thüringer Kommunen Rückenwind in ihrer Entwicklung<br />
bekommen.<br />
Zu den aus EU-Töpfen geförderten Projekten<br />
zählt das ClusterManagement (ThCM), das im<br />
Auftrag des Freistaates Thüringen tätig und bei<br />
der Landesentwicklungsgesellschaft Thüringen<br />
angesiedelt ist. Diese Institution ist für die<br />
Umsetzung der Innovationsstrategie des Landes<br />
zuständig und unterstützt Unternehmen und<br />
Forschung gezielt bei innovativen Projekten.<br />
Darüber hinaus wurde etwa die Errichtung des<br />
Campus für die Friedrich-Schiller-Universität auf<br />
dem Inselplatz in Jena oder das Center for Energy<br />
und Environmental Chemistry Jena (CEEC Jena)<br />
mit Brüsseler Geldern unterstützt. Der seit 2011<br />
aktive Forschungsverbund von Friedrich-Schiller-<br />
Universität Jena (FSU) und Fraunhofer-Institut für<br />
Keramische Technologien und Systeme Hermsdorf/Dresden<br />
(IKTS) – im August 2014 offiziell<br />
als wissenschaftliches Zentrum an der FSU<br />
gegründet – entwickelt innovative Batterien und<br />
Energiespeicher. Diese kommen ohne teure und<br />
umweltgefährdende Schwermetalle und Säuren<br />
aus und nutzen stattdessen umweltfreundliche<br />
Alternativen aus Kunststoffen oder Keramiken.<br />
Die Blink AG aus Jena hat eine neuartige digitale<br />
Plattform entwickelt, auf der preisgünstige und<br />
einfach zugängliche medizinische Tests durchgeführt<br />
werden können, um Krankheiten schneller<br />
diagnostizieren zu können. Das Projekt wurde<br />
über einen Zeitraum von etwa zwei Jahren mit 2,5<br />
Millionen Euro aus dem EFRE gefördert.<br />
Universität Jena.<br />
Das Bauhaus-Institut für zukunftsweisende<br />
Infrastruktursysteme der Bauhaus-Universität<br />
Weimar sucht mit seinem Projekt „Masterplan<br />
Thüringen – Ressourceneffizientes Bauen der<br />
Zukunft“ innovative Lösungen, mit denen Rohstoffe<br />
– etwa aus Abwasser und Abfall – wiederverwendet<br />
werden können. Das Projekt wird bis<br />
Anfang 2020 mit etwa 320.000 Euro vom EFRE<br />
gefördert.<br />
Foto: FSU Günther
PARTNER DES<br />
<strong>2019</strong><br />
OSTDEUTSCHEN<br />
WIRTSCHAFTSFORUMS<br />
<strong>2019</strong><br />
MITVERANSTALTER<br />
PARTNERLAND<br />
PARTNER<br />
Institut<br />
Niederlassung Dresden
54 <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />
TITEL<br />
OSTDEUTSCHE<br />
HANDSCHRIFT<br />
IN EUROPA<br />
Selten standen die Wahlen zum Europäischen Parlament so im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses wie in diesem Jahr.<br />
Das endlose Tauziehen um den Brexit und der Vormarsch populistischer Parteien stellen viele wichtige EU-Themen völlig in<br />
den Schatten. Dabei geht es gerade für die ostdeutschen Länder – neben der EU-Förderung – um Einfluss in Brüssel.<br />
VON MATTHIAS SALM<br />
Es gibt sie noch – die guten Nachrichten aus Europa. Diese zum Beispiel: Seit<br />
die EU die Thüringer Bratwurst 2003 als regionale Spezialität unter Schutz<br />
gestellt hat, verdoppelte sich nahezu der Absatz der rund 150 Bratwurstproduzenten<br />
im Freistaat. Nur in ganz seltenen Fällen eignet sich noch ein<br />
fremder Hersteller den guten Namen der Thüringer Nationalspeise an. Um<br />
die Wurst ging es allerdings bei den Reisen des Thüringer Ministerpräsidenten<br />
Bodo Ramelow (LINKE) im letzten Herbst in die europäische Hauptstadt<br />
Brüssel nur sinnbildlich. Den Thüringer Landesvater plagen viel mehr<br />
geplante Kürzungen der EU-Direkthilfen für die Bauern. Die würden gerade<br />
Großbetriebe wie die der Thüringer Landwirtschaft treffen.<br />
Ramelow war 2018 bei weitem nicht der einzige ostdeutsche Landeschef,<br />
der gleich in Kabinettstärke in Brüssel anreiste. Auch die gesamte sächsische<br />
Staatsregierung machte für eine Kabinettssitzung in der belgischen<br />
Hauptstadt Station, um vor Ort für die Anliegen des Freistaats in Europa zu<br />
werben. Im Schlepptau hatten die Sachsen „Digital Hubs“ aus Dresden und<br />
Leipzig. Sie sollten Sachsen als europäische Modellregion für Digitalisierungsprozesse<br />
in Wirtschaft, Arbeit und Gesellschaft repräsentieren,<br />
so etwa das Smart Systems Hub Dresden und das Smart Infrastructure Hub<br />
Leipzig. Aber auch für Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU)<br />
stand die künftige auskömmliche Finanzierung der sächsischen Landwirtschaft<br />
auf der Agenda, ein Thema, bei dem der Freistaat verstärkt auch den<br />
Schulterschluss mit dem benachbarten Tschechien sucht.<br />
Europäisches Parlament in Brüssel.<br />
Darüber hinaus engagieren sich die Sachsen in Europa für die Themen Forschung,<br />
Entwicklung und Innovation, den Ausbau der digitalen Infrastrukturen<br />
und des digitalen Marktes, die Sicherung der EU-Strukturfondsförderung<br />
nach 2020, eine wirksame EU-Migrationspolitik sowie die Bereiche Energie<br />
und Verkehr. Auch der Europagedanke in Sachsen selbst soll stärker<br />
gefördert werden. Ebenso wichtig für die Regierenden in Dresden: das<br />
sächsisch-tschechische Kooperationsprogramm. Es soll als eigenständiges<br />
Programm erhalten bleiben und auch weiterhin Landkreise einbeziehen,<br />
die nicht in direkter Grenznähe liegen. Doch nicht nur die Landesregierung<br />
wurde in Brüssel vorstellig. Auch die drei sächsischen Bewerberstädte für<br />
die Kulturhauptstadt Europas –Dresden, Chemnitz und Zittau – rührten<br />
jüngst im Sachsen-Verbindungsbüro, der Landesvertretung des Freistaats<br />
im Brüsseler Europaviertel, die Werbetrommel.<br />
Berlin trifft Brüssel<br />
In der Bundeshauptstadt hat die rot-rot-grüne Koalition die regelmäßige<br />
Präsenz auf EU-Ebene sogar im Koalitionsvertrag festgehalten. Bei der<br />
letzten Reise suchte der Berliner Senat das Gespräch mit EU-Kommissar<br />
Günther Oettinger, verantwortlich für Haushalt und Personal, mit Miguel<br />
Foto: Europäische Union/Etienne Ansotte, Pixabay
EUROPA<br />
<strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong> 55<br />
Arias Cañete, Kommissar für Klimaschutz und Energie sowie mit Dimitris<br />
Avramopoulos, zuständig für Fragen der Migration. Die Berliner wollen in<br />
der Klimapolitik, der Digitalisierung und in der Migration mehr Hilfe aus<br />
Europa. Gerade bei der Digitalisierung, dem Einsatz der künstlichen Intelligenz<br />
und dem Ausbau des neuen Mobilfunkstandards 5G soll Europa nach<br />
Wünschen der grünen Wirtschaftssenatorin Ramona Pop näher zusammenrücken.<br />
Doch nicht nur das: Die Berliner Vertreter in Brüssel arbeiteten zuletzt auch<br />
an der Städteagenda für die EU mit, die einen gleichberechtigten Dialog<br />
zwischen EU-Institutionen, Mitgliedsstaaten, Städten und Bürgern initiieren<br />
soll. Dadurch erhalten die Städte die Möglichkeit, über Änderungen in den<br />
Bereichen EU-Gesetzgebung, EU-Finanzierung und bei einem verbesserten<br />
Wissenstransfer mitzubestimmen.<br />
Auch das Land Brandenburg versucht, auf die Weichenstellungen bei<br />
wichtigen EU-Förderprogrammen einzuwirken, etwa beim Programm<br />
Europäische Territoriale Zusammenarbeit („INTERREG“), mit dem die<br />
grenzüberschreitende Zusammenarbeit mit Polen und im Ostseeraum<br />
unterstützt wird. So arbeiten im INTERREG-Projekt DeCarb Partner aus<br />
neun europäischen Regionen zusammen, um den Übergang in eine saubere<br />
Energiezukunft etwa durch den wirtschaftlichen Umbau in Kohleregionen<br />
wie der Lausitz zu entwickeln. Hier ist es den Brandenburgern gelungen,<br />
sich als ein bevorzugter Ansprechpartner für die Europäische Kommission<br />
zu positionieren. Der Vize-Präsident der Europäischen Kommission, Maroš<br />
Šefčovič, nahm dies im November 2018 zum Anlass, um sich vor Ort in der<br />
Lausitz zu informieren.<br />
Zusammenarbeit im Ostseeraum<br />
Auch für die Landesregierung in Schwerin steht die länderübergreifende<br />
Zusammenarbeit im Fokus ihrer Europapolitik. Dabei geht es vor allem um<br />
die EU-Strategie für die Ostseeregion und die Mitgliedschaft des Landes<br />
in der Konferenz der Peripheren Küstenregionen. Den Schutz der Ostsee,<br />
Verkehrs- und Energiefragen sowie die Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung<br />
in den Ostsee-Anrainerstaaten unterstützt Mecklenburg-Vorpommern<br />
durch die Teilnahme an sogenannten Flaggschiff-Projekten und durch<br />
die Koordinierung der Tourismuszusammenarbeit im Ostseeraum.<br />
Deshalb durfte Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela<br />
Schwesig (SPD) beim Besucherreigen ostdeutscher Landeschefs in der<br />
belgischen Hauptstadt nicht fehlen. Ihr Anliegen: Die INTERREG-Förderung<br />
solle unverändert fortgeführt werden und weiter alle beteiligten Landkreise<br />
– Vorpommern-Greifswald, Vorpommern-Rügen und die Mecklenburgische<br />
Seenplatte – umfassen.<br />
Taskforce für mehr Subsidiarität<br />
Über eine besondere Stimme in der EU-Politik verfügte Sachsen-Anhalt<br />
im zurückliegenden Jahr in Brüssel. Der Staatssekretär für Bundes- und<br />
Europaangelegenheiten des Landes, Dr. Michael Schneider, wurde als<br />
einziges deutsches Mitglied in die sechsköpfige „Taskforce für Subsidiarität<br />
und Verhältnismäßigkeit“ berufen. Diese war einberufen worden, um<br />
der EU-Kommission Wege aufzuzeigen, mit denen die lokalen, regionalen<br />
und nationalen Behörden bei der Politikgestaltung auf europäischer Ebene<br />
mehr Mitspracherecht erhalten sollen. Die Empfehlungen unter Mitwirkung<br />
Sachsen-Anhalts will die EU-Kommission nun in die Tat umsetzen.<br />
Foto: Sächsische Staatskanzlei/Michael Seidler<br />
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer beim Treffen mit dem<br />
EU-Kommissar für Forschung, Wissenschaft und Innovation, Carlos Moedas (l.)
56<br />
<strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />
TITEL EUROPA<br />
„ DIE ÖSTLICHEN BUNDES-<br />
LÄNDER SPIELEN FÜR DEN<br />
DEUTSCH-FRANZÖSISCHEN<br />
HANDEL EINE ENTSCHEI-<br />
DENDE ROLLE “<br />
Frankreich ist in diesem Jahr Partnerland des Ostdeutschen Wirtschaftsforums<br />
(OWF.ZUKUNFT), das vom 19. bis 21. Mai <strong>2019</strong> in Bad Saarow stattfindet. Im W+M-<br />
Interview spricht Anne-Marie Descôtes, Frankreichs Botschafterin in Deutschland,<br />
über die Lage in Europa und den Stand der Wirtschaftsbeziehungen zwischen<br />
Frankreich und den neuen Ländern.<br />
INTERVIEW: FRANK NEHRING<br />
> Die französische Botschafterin in Deutschland, Anne-Marie Descôtes.<br />
W+M: Wie schätzen Sie die aktuelle Situation in Europa ein?<br />
Anne-Marie Descôtes: Staatspräsident Macron wies darauf hin, dass,<br />
wenn wir wollen, dass die Bürgerinnen und Bürger an Europa festhalten, wir<br />
dafür Sorge tragen müssen, dass sie sich von ihm sowohl vor Bedrohungen<br />
in einer unsicheren Welt als auch vor unfairen, ausländischen Investitionen<br />
geschützt fühlen. Diese Wahl ist eine Gelegenheit, daran zu erinnern,<br />
welche Möglichkeiten Europa für uns bereithält. Sie wird jedoch von starker<br />
Kritik einiger Bewegungen gegen das europäische Projekt geprägt sein. Am<br />
5. März veröffentlichte „Die Welt“ sowie andere Tageszeitungen aller EU-<br />
Mitgliedstaaten einen Gastbeitrag von Staatspräsident Macron zu diesem<br />
Thema. Darin betonte er, dass der Brexit ein Ausdruck für eine Wut ist, die in<br />
ganz Europa zu spüren ist und die wir nicht einfach abtun können. Er sagte,<br />
dass wir uns nicht mit dem Status quo abfinden dürfen, sondern diese Wut<br />
in Lösungen umwandeln müssen.<br />
W+M: Welche Position bezieht Frankreich hinsichtlich der Zukunft von<br />
Europa und was wird von der Bundesregierung Deutschland erwartet?<br />
Anne-Marie Descôtes: Als Staatspräsident Emmanuel Macron sein<br />
Amt übernahm, trat er umgehend mit Deutschland in den Austausch, weil<br />
die deutsch-französische Zusammenarbeit die unabdingbare Voraussetzung<br />
für den Fortschritt Europas ist. Frankreich möchte gemeinsam mit<br />
Deutschland ein nachhaltiges europäisches Projekt aufbauen, das auf Freiheit,<br />
Schutz und Fortschritt abzielt, wie der Präsident in seinem Gastbeitrag<br />
in der „Welt“ schrieb. Dies erfordert einen systematischen Dialog und die<br />
Suche nach Kompromissen sowie die Konvergenz unserer Wirtschaften<br />
und Gesellschaften, deren Grundlagen wir im Aachener Vertrag, der am<br />
22. Januar <strong>2019</strong> unterzeichnet wurde, festgesetzt haben. Paris und Berlin<br />
werden sich weiterhin intensiv zu europäischen Themen austauschen, um<br />
die EU zu reformieren, damit sie den Erwartungen der europäischen Bürger<br />
bestmöglich gerecht wird.<br />
W+M: Welche Rolle spielt der Wirtschaftsraum Ostdeutschland im<br />
Rahmen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen Deutschland und<br />
Frankreich?<br />
Anne-Marie Descôtes: Die östlichen Bundesländer spielen für den<br />
deutsch-französischen Handel eine entscheidende Rolle. Der Handel zwischen<br />
Frankreich und den neuen Bundesländern wächst jedes Jahr etwa zwei<br />
Prozent schneller als mit den alten Bundesländern. Das Handelsvolumen mit<br />
den östlichen Bundesländern bleibt jedoch aufgrund der geografischen Entfernung,<br />
der Geschichte und bestimmter Besonderheiten deutlich hinter dem<br />
mit den westdeutschen Bundesländern zurück. Ein Erfolgsbeispiel ist die TO-<br />
TAL Raffinerie am Chemiestandort Leuna, die 1997 nach dreijähriger Bauzeit<br />
in Betrieb genommen wurde. Das Unternehmen TOTAL beteiligte sich mit 60<br />
Millionen Euro an der Modernisierung des Produktionsstandortes. Weitere<br />
Beispiele sind die Standorte von Saint-Gobain in Brandenburg und von PSA<br />
in Eisenach. Ich bin überzeugt, dass sich die Beziehungen noch intensivieren<br />
werden, da der Osten Deutschlands ein anziehender Wirtschaftsstandort<br />
ist. Städtepartnerschaften, wie zwischen Lyon und Leipzig, könnten eine<br />
Gelegenheit für gemeinsame Wirtschaftsprojekte sein.<br />
Foto: W+M
ADVERTORIAL<br />
<strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong> 57<br />
Entgeltumwandlung<br />
spart Sozialabgaben<br />
Arbeitgeber muss seine Mitarbeiter beteiligen<br />
(Januar/Februar <strong>2019</strong>) Das Betriebsrentenstärkungsgesetz<br />
(BRSG) eröffnet besonders kleinen vierte Firmenchef meinte, dass die Zuzahlungen<br />
dern im Auftrag der SIGNAL IDUNA hervor. Jeder<br />
und mittleren Unternehmen neue Möglichkeiten weiterhin auf freiwilliger Basis erfolgen können.<br />
in der betrieblichen Altersversorgung (bAV). Seit Nur gut jeder zweite Befragte hatte die Frage<br />
1. Januar <strong>2019</strong> gilt hier eine Neuregelung. Darauf überhaupt beantwortet. 43 Prozent machten<br />
macht die SIGNAL IDUNA Gruppe aufmerksam. keine Angaben oder konnten die Frage nach der<br />
Neuregelung des Arbeitgeberzuschusses nicht<br />
Auch Arbeitgeber sparen Sozialabgaben, wenn beantworten.<br />
ihre Mitarbeiter über die Entgeltumwandlung<br />
vorsorgen. Seit Jahresbeginn sind<br />
Arbeitgeber verpflichtet, diese<br />
Die SIGNAL IDUNA bietet Arbeitgebern<br />
eingesparten Sozialabgaben an<br />
weiterhin ganz konkrete Hilfe bei der<br />
den Mitarbeiter in Form eines<br />
Umsetzung des Arbeitgeberzuschusses<br />
in ihren Unternehmen an. Wichtig<br />
Arbeitgeberzuschusses weiterzugeben.<br />
Mindestens 15 Prozent des<br />
ist dem Versicherer, dass die Arbeitgeber<br />
über ihre Pflichten informiert<br />
umgewandelten Entgelts müssen<br />
Arbeitgeber zuschießen. Sollte der<br />
sind. Nur gut informierte Firmenchefs<br />
Arbeitgeber bei der Entgeltumwandlung<br />
weniger als 15 Prozent an Sozialbei-<br />
und darüber hinaus die Chancen der betrieblichen<br />
können ihre Gesetzespflicht erfüllen<br />
trägen einsparen, kann er nur die tatsächliche Altersversorgung als wirkungsvolles Personalbindungsinstrument<br />
nutzen.<br />
Ersparnis als Beitragszuschuss weitergeben. Die<br />
Regelung gilt für neue Entgeltumwandlungsvereinbarungen<br />
in den Durchführungswegen Direktversicherung,<br />
Pensionskasse und Pensionsfonds. hat der bAV einigen Schub verliehen, resümiert<br />
Das BRSG gilt nunmehr seit rund einem Jahr und<br />
Für bereits vor <strong>2019</strong> vereinbarte Entgeltumwandlungen<br />
gibt es eine Übergangsfrist bis 2022. vorher steuerfrei beispielsweise in eine Direkt-<br />
die SIGNAL IDUNA. So kann deutlich mehr als<br />
Tarifvertragliche Regelungen können allerdings versicherung oder Pensionskassenversorgung<br />
eingezahlt werden. Der Höchst-<br />
von diesen gesetzlichen Vorgaben abweichen.<br />
Doch lediglich 17 Prozent der Arbeitgeber wissen beitrag liegt bei acht Prozent der<br />
hier Bescheid. Das geht aus einer repräsentativen Beitragsbemessungsgrenze<br />
Online-Umfrage unter Unternehmensentschei-<br />
zur gesetzlichen Rentenversicherung<br />
West. <strong>2019</strong> können so bis zu 536 Euro<br />
monatlich steuerfrei eingezahlt werden.<br />
Positiv hervorzuheben ist der neu eingeführte<br />
„Förderbetrag für Geringverdiener“: Arbeitgeber,<br />
die für Mitarbeiter, die unter 2.200 Euro brutto<br />
monatlich verdienen, eine rein arbeitgeberfinanzierte<br />
bAV einrichten, erhalten einen staatlichen<br />
Zuschuss. Dieser Zuschuss liegt je nach Höhe<br />
des Arbeitgeberbeitrags – maximal 480 Euro –<br />
zwischen 72 und 144 Euro.<br />
Informieren Sie sich über die neuen Möglichkeiten<br />
in der betrieblichen Altersversorgung!<br />
Als Ansprechpartner steht Ihnen Herr Markus<br />
Rößner von der SIGNAL IDUNA gerne auch vor<br />
Ort zur Verfügung.<br />
Oder unter<br />
www.die-neue-bav.de/markus.roessner<br />
hält die Generalagentur Markus Rößner<br />
der SIGNAL IDUNA umfangreiche<br />
Informationen zum BRSG vor.<br />
Markus Rößner<br />
Generalagentur der<br />
Fürstenwalder Damm 351 · 12587 Berlin<br />
Telefon 030 209662510<br />
E-Mail markus.roessner@signal-iduna.net<br />
Foto: Pixabay
58 <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />
POLITIK<br />
Politische<br />
Farbenspiele<br />
Die Zeiten der großen Volksparteien und somit auch<br />
der großen Koalitionen oder gar Zweierkonstellationen<br />
mit Juniorpartnern scheinen zu Ende<br />
zu gehen. In jüngster Vergangenheit mussten<br />
speziell die Sozialdemokraten aber auch –<br />
in etwas abgeschwächter Form – die Christdemokraten<br />
bei Bundestags- und Landtagswahlen<br />
zum Teil deftige Stimmeneinbußen<br />
verkraften.<br />
Betroffen davon sind in Ostdeutschland derzeit<br />
Sachsen-Anhalt und Berlin. Bei den letzten<br />
Urnengängen erzwangen die Wahlergebnisse am<br />
Ende Dreierbündnisse. Deutschlandweit einzigartig<br />
ist dabei die Konstellation in Sachsen-Anhalt.<br />
Dort regiert eine sogenannte „Kenia“-Koalition,<br />
der neben der CDU noch SPD und Grüne angehören.<br />
Nicht ganz so exotisch ist die Zweckehe, die<br />
man im Roten Rathaus von Berlin geschlossen<br />
hat – dort kümmert sich „R2G“, wie das Bündnis<br />
aus SPD, Linken und Grünen bezeichnet wird, um<br />
die Geschicke der Bundeshauptstadt.<br />
Über Lust und Last dieser<br />
politischen Farbenspiele<br />
sprechen auf den nachfolgenden<br />
Seiten die Regierungschefs<br />
Sachsen-Anhalts und<br />
Berlins, Dr. Reiner Haseloff<br />
und Michael Müller.<br />
Fotos: W+M
WIRTSCHAFT UND MEHR<br />
MAGAZINE<br />
<strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />
Das Ostdeutsche Unternehmer- und Wirtschaftsmagazin.<br />
Gegründet 1990. <strong>2019</strong> gedruckte <strong>Frühjahr</strong>s- und Herbstausgabe<br />
W+M MAGAZIN<br />
Das Internetmagazin von Wirtschaft+Markt.<br />
Gegründet <strong>2019</strong>. Exklusive Beiträge und Interviews. Immer aktuell.<br />
WIRTSCHAFTSNEWS<br />
W+M NEWS<br />
Ausgewählte Neuigkeiten aus der Wirtschaft Ostdeutschlands,<br />
täglich aktualisiert und jeden Mittwoch im Newsletter
60 <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong> POLITIK<br />
„ AUF DER ZEITSCHIENE DES<br />
AUSSTIEGS AUS DER KOHLE DARF<br />
KEIN BLACKOUT ENTSTEHEN “<br />
Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Dr. Reiner Haseloff (CDU) über den Kohleausstieg,<br />
das Bauhaus-Jahr und die Lust, Chef einer „Kenia“-Koalition zu sein<br />
INTERVIEW: KARSTEN HINTZMANN UND FRANK NEHRING<br />
Zur Person<br />
Dr. Reiner Haseloff wurde am 19.<br />
Februar 1954 in Bülzig (Kreis Wittenberg)<br />
geboren. Zwischen 1973<br />
und 1978 studierte er an der TU<br />
Dresden und der Humboldt-Universität<br />
Berlin Physik. Zu DDR-Zeiten<br />
arbeitete er am Institut für Umweltschutz<br />
in Wittenberg. Von 1992<br />
bis 2002 war Haseloff Direktor des<br />
Arbeitsamtes Wittenberg. Danach<br />
wechselte er in die sachsenanhaltische<br />
Politik. Seit 2011 ist<br />
Reiner Haseloff Ministerpräsident<br />
in Sachsen-Anhalt. Inzwischen ist<br />
der CDU-Politiker der dienstälteste<br />
ostdeutsche Ministerpräsident. Der<br />
Katholik Haseloff ist verheiratet<br />
und Vater zweier Kinder.<br />
W+M: Herr Dr. Haseloff, seit knapp drei<br />
Jahren führen Sie ein in Deutschland einmaliges<br />
Regierungsbündnis, in dem CDU, SPD<br />
und Grüne mitwirken. Erklären Sie uns bitte,<br />
warum die „Kenia“-Koalition – für Außenstehende<br />
– so harmonisch funktioniert?<br />
Reiner Haseloff: Eigentlich wird doch<br />
ganz Deutschland von einer „Kenia“-Koalition<br />
regiert. Bundesregierung und Bundestag<br />
können mit der Mehrheit von CDU<br />
und SPD beschließen, was sie wollen, aber<br />
durch das Zwei-Kammern-System ist dann<br />
ja auch noch der Bundesrat gefragt. Und bei<br />
neun Regierungsbeteiligungen der Grünen<br />
in den Ländern kommt am Ende ohne die<br />
Zustimmung der Grünen im Bundesrat keine<br />
Mehrheit zustande. Ich habe das bei mir<br />
in Sachsen-Anhalt nicht in zwei Kammern,<br />
sondern an einem runden Tisch. Der Koalitionsvertrag<br />
enthält für jeden der drei Partner<br />
interessante und wichtige Projekte, sodass<br />
es sich lohnt, zeitlich befristet bis 2021 hier<br />
an einem Strang zu ziehen. Wenn man fair<br />
miteinander umgeht und sich gut untereinander<br />
abstimmt, dann kann das durchaus<br />
funktionieren. Und auch der Kompromiss,<br />
den die Kommission für die Kohlereviere gefunden<br />
hat, ist letztlich das Ergebnis eines<br />
Kenia-Bündnisses der praktischen Vernunft.<br />
BERLIN<br />
WITTENBERG<br />
DRESDEN
SACHSEN-ANHALT<br />
<strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />
61<br />
Foto: W+M<br />
> Seit 2011 Ministerpräsident in Sachsen-Anhalt: Reiner Haseloff.
62 <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />
POLITIK<br />
W+M: Kann man in einer derartigen Dreierkonstellation<br />
tatsächlich wirtschaftspolitische<br />
Impulse setzen?<br />
Reiner Haseloff: Das kann man durchaus.<br />
Weil vieles auch Optimierungsaufgaben sind.<br />
Entbürokratisierung wollen wir alle, auch<br />
eine gute Beschäftigungswirkung. Da unsere<br />
Strukturen stark von der Chemie und den<br />
Erneuerbaren Energien geprägt sind, ist das<br />
für alle Regierungspartner auch vermittlungsfähig.<br />
Wir hatten in jüngster Vergangenheit<br />
etliche große Investitionen – 375<br />
Millionen Euro wurden in eine neue Papierfabrik<br />
in Brehna investiert, auch Thyssen-<br />
Krupp hat sich am Standort Ilsenburg stark<br />
engagiert. Und auf politischer Ebene ist<br />
es uns gelungen, gemeinsam auch mit den<br />
Grünen die wichtige Bundesautobahn A 14<br />
planungsseitig aufs Gleis zu stellen.<br />
W+M: In Ihrer ersten Amtsperiode lenkten<br />
Sie ein Zweierbündnis mit der SPD als Juniorpartner.<br />
In der „Kenia“-Koalition müssen<br />
drei Partner tagtäglich neue Kompromisse<br />
finden. Spüren Sie eher Last oder Lust an<br />
der Spitze einer Regierung von CDU, SPD<br />
und Grünen?<br />
Reiner Haseloff: Wir haben ja hier in<br />
Sachsen-Anhalt bereits alle möglichen<br />
Regierungsvarianten am Start gehabt. Da<br />
muss ich sagen, wenn man fair und gut<br />
koordiniert miteinander umgeht, ist das<br />
Zwischenmenschliche fast entscheidender<br />
bei der Bewältigung des Tagesgeschäfts als<br />
das Ideologische. Man kennt sich in unserem<br />
kleinen Land und man kennt auch die Alternativen,<br />
die wir alle nicht wollen.<br />
W+M: Wie ist es aktuell um die Wirtschaft in<br />
Sachsen-Anhalt bestellt?<br />
Reiner Haseloff: Es gibt bei uns Stabilität.<br />
Seit knapp zehn Jahren ist die sozialversicherungspflichtige<br />
Beschäftigung<br />
praktisch in jedem Jahr gestiegen. Sie hat<br />
heute wieder das Niveau von 2001 erreicht<br />
und das, obwohl sich die Bevölkerung durch<br />
den negativen Geburten-Sterbe-Saldo<br />
seither signifikant verringert hat. Dass<br />
sich durch die Kleinteiligkeit der Wirtschaft<br />
und das Nichtvorhandensein von großen<br />
Konzernen gewisse Wertschöpfungsketten<br />
nicht in den Statistiken widerspiegeln, ist<br />
ein Problem, das alle ostdeutschen Bundesländer<br />
haben.<br />
W+M: Rechnen Sie in den kommenden<br />
Reiner Haseloff: Das Land legt im<br />
Monaten mit relevanten Investitionen oder Tourismusmarketing im laufenden Jahr<br />
Neuansiedlungen von in- oder ausländischen den Schwerpunkt auf die Vermarktung des<br />
Unternehmen?<br />
Bauhausjubiläums. Neben den Schwerpunkten<br />
in Dessau mit den vielen Originalbauten<br />
Reiner Haseloff: Es sind Gespräche am und dem neuen Bauhaus-Museum vermitteln<br />
wir mit dem Netzwerk „Das Bauhaus<br />
Laufen, auch mit Blick auf den bevorstehenden<br />
Kohleausstieg. Hier sind Investoren Dessau und die Moderne in Sachsen-Anhalt“<br />
gefragt, die in alternative Bereiche einsteigen.<br />
Da ist einiges in Bewegung. Etwas Vielfalt der 20er-Jahre in Sachsen-Anhalt.<br />
mit vielen weiteren Bauten die Breite und<br />
Unsicherheit gibt es in der ja bundesweit relevanten<br />
Automobilindustrie, da gegenwär-<br />
Veranstaltungen unter anderem in Dessau,<br />
Neben den Bauten wird eine Vielzahl von<br />
tig noch nicht endgültig absehbar ist, wohin Magdeburg und Halle Gäste ansprechen.<br />
der Trend bei den Antrieben der künftigen Wir erwarten uns von der Vermarktung des<br />
Automobilgenerationen geht. Aber Sachsen- Jubiläums weiter steigende Gästezahlen<br />
Anhalt ist dabei gut aufgestellt.<br />
aus dem In- und Ausland sowie – dank der<br />
räumlichen Nähe – auch viele Tagesbesucher<br />
aus Berlin.<br />
W+M: Der Fachkräftemangel macht sich<br />
auch in Sachsen-Anhalt bemerkbar. In unserem<br />
letzten Gespräch vor einem Jahr forderten<br />
Sie die Unternehmen in Ihrem Land auf, Abschlussbericht vorgelegt. Die Minis-<br />
W+M: Die Kohlekommission hat ihren<br />
aktiver um Auszubildende zu werben und terpräsidenten der betroffenen ostdeutschen<br />
Länder hatten im Vorfeld vom Bund<br />
sich stärker um den Nachwuchs zu kümmern.<br />
Ist Ihre Mahnung in der Wirtschaft Strukturhilfen von rund 60 Milliarden Euro<br />
erhört worden?<br />
gefordert. Jetzt wird es insgesamt rund 40<br />
Milliarden Euro geben. Wofür soll dieses<br />
Reiner Haseloff: Es gibt Unternehmen, Geld konkret ausgegeben werden?<br />
die haben das verstanden. Die organisieren<br />
vor Ort – etwa in Bitterfeld – Informationsbörsen<br />
für junge Menschen und auch einmal die Vorschläge der Kommission, die<br />
Reiner Haseloff: Das sind zunächst<br />
Rückkehrer. Das soll jetzt auch in andere mit 20 Jahren Anpassungsbedarf rechnet,<br />
Regionen getragen werden – die Kammern während die Ministerpräsidenten 30 Jahre<br />
und die Agentur für Arbeit unterstützen das. zugrunde gelegt haben. Bund und Länder<br />
Aber ich bleibe dabei:<br />
müssen die Vorschläge<br />
Die Unternehmen selbst<br />
nun prüfen und die notwendigen<br />
Schritte sind hier noch stärker<br />
zur<br />
gefragt. Sie müssen<br />
bereits in den Schulen<br />
auf die künftigen Auszubildenden<br />
zugehen und<br />
sich um sie kümmern.<br />
Viele neue Berufsbilder<br />
sind doch noch ziemlich<br />
unbekannt. Und<br />
sie sollten den jungen<br />
Fachkräften nach der<br />
Ausbildung eine echte<br />
Perspektive geben. Mit<br />
befristeten Verträgen<br />
EIGENTLICH WIRD<br />
DOCH GANZ<br />
DEUTSCHLAND VON<br />
EINER „KENIA“-<br />
KOALITION REGIERT.<br />
Reiner Haseloff<br />
Umsetzung beschließen.<br />
Wir haben da mehrere<br />
große Blöcke. Es gibt<br />
ein Sofortprogramm<br />
mit einem überschaubaren<br />
Volumen von 150<br />
Millionen Euro. Das soll<br />
in diesem Jahr gestartet<br />
werden. Dann sind<br />
für diese Legislaturperiode<br />
1,5 Milliarden<br />
Euro vorgesehen, als<br />
erste Scheibe, die in ein<br />
ist das eher nicht zu erreichen. Dann muss Maßnahmegesetz einfließen. 40 Milliarden<br />
man sich nicht wundern, wenn Abwanderung Euro sollen durch konkrete Maßnahmen<br />
erfolgt.<br />
untersetzt werden. Sachsen-Anhalt allein<br />
hat dafür über 100 Projekte gemeldet, die<br />
W+M: Ihr Land ist eine Säule im gerade aufsetzen auf den vor Ort bereits existierenden<br />
wirtschaftlichen Strukturen. Auch<br />
begonnenen „Bauhausjahr <strong>2019</strong>“. Wie haben<br />
sich das Land und Ihre Regierung darauf Strompreisdämpfungsmittel sind der Wirtschaft<br />
zugesagt worden. Darüber vorbereitet?<br />
hinaus
SACHSEN-ANHALT<br />
<strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong> 63<br />
soll es einen Topf mit frei verfügbaren<br />
Mitteln für die nächsten 20 bis 25 Jahre geben,<br />
für die man jetzt noch keine Projekte<br />
benennen kann, weil man nicht voraussagen<br />
kann, was dann am Markt erforderlich<br />
sein wird.<br />
W+M: Dem mitteldeutschen Revier steht<br />
durch das absehbare Ende des Braunkohleabbaus<br />
ein einschneidender Strukturwandel<br />
bevor. Haben Sie eine Vision für diese Region<br />
im Jahr 2040?<br />
Reiner Haseloff: Es sollen Energiestandorte<br />
bleiben, die dann allerdings weitestgehend<br />
der CO²-Neutralität verpflichtet sind<br />
und der stofflichen Nutzung der Braunkohle.<br />
Hier wird es nach meiner Vorstellung<br />
eine ganz enge Kooperation unseres Mittelstands<br />
mit den Universitäten, Hochschulen<br />
und Forschungsinstituten geben, die auf<br />
neue Antriebe und Erneuerbare Energien<br />
setzt. Wichtig ist aber auch, dass bei allen<br />
neuen Entwicklungen auf der Zeitschiene<br />
des Ausstiegs aus der Kohle kein Blackout<br />
entsteht. Versorgungssicherheit<br />
und bezahlbare Energiepreise haben<br />
höchste Priorität.<br />
W+M: Sie pflegen einen engen<br />
Dialog mit den Menschen<br />
in Ihrem Land. Sie sprechen<br />
häufig direkt mit ihnen über Sorgen und<br />
Ängste, die im Zusammenhang mit der<br />
deutschen Flüchtlingspolitik aufgekommen<br />
sind. Wo liegen aus Ihrer Sicht die Wurzeln<br />
für die Sorgen vieler Menschen in Sachsen-<br />
Anhalt?<br />
Reiner Haseloff: Die Sorgen liegen sicher<br />
nur bedingt in der Angst begründet, dass<br />
die Grundsicherung möglicherweise für den<br />
Einzelnen nicht mehr gewährleistet ist. Viele<br />
Menschen haben eher den Eindruck, dass<br />
der Fortgang der Flüchtlingskrise zu einer<br />
Überforderung der Gesellschaft führen wird.<br />
Und die Menschen wissen, dass die aktuelle<br />
Dämpfung des Problems nicht allein durch<br />
aktive Maßnahmen seitens der EU und<br />
Deutschlands eingetreten ist, sondern durch<br />
Maßnahmen Dritter. Sei es durch eingekaufte<br />
Leistungen, etwa die Flüchtlingsaufnahme<br />
durch die Türkei, oder restriktive<br />
Maßnahmen einzelner Staaten, wie Italien,<br />
das keine Flüchtlingsschiffe mehr anlegen<br />
lässt. Man weiß, dass das gesamte System<br />
nach wie vor fragil ist.<br />
Dazu kommt, dass es viele Menschen gibt,<br />
die seinerzeit mit Stolz für das geeinte<br />
Deutschland eingetreten sind, weil es<br />
leistungsstark, friedlich und in Europa<br />
eingebunden ist, und die dieses Deutschland<br />
genau so erhalten wollen. Das ist eine legitime<br />
Meinungsäußerung. Das Parteienspektrum<br />
muss sich überlegen, wie es mit diesem<br />
Wunsch des eigentlichen Souveräns umgeht.<br />
W+M: In der deutschen Wirtschaft wird<br />
der Ruf lauter, die Sanktionen gegen Russland<br />
zu überdenken und eine neue Etappe<br />
der deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen<br />
einzuläuten. Wie stehen Sie dazu?<br />
Reiner Haseloff: Ich habe die Strategie<br />
in dieser Schärfe immer mit Sorge gesehen,<br />
auch weil das russische Volk immer noch etwas<br />
anderes ist als die Administration dort.<br />
Für Sachsen-Anhalt ist Russland zudem der<br />
wichtigste Rohstofflieferant. Und durch den<br />
Kohleausstieg wird ganz Deutschland für<br />
die kommenden Jahrzehnte noch abhängiger<br />
sein von russischem Erdgas. Aus meiner<br />
Sicht wären wir gemeinsam gut beraten,<br />
schon aus diesem Grund zu vernünftigen<br />
Beziehungen zurückzukehren.<br />
W+M: Noch eine Frage zur Bundespolitik:<br />
Ihre Partei hat in Annegret Kramp-Karrenbauer<br />
eine neue Bundesvorsitzende. Auf<br />
die deutschlandweiten Umfragewerte Ihrer<br />
Partei wirkt sich das positiv aus. Sollte es<br />
daher vorzeitig einen Wechsel an der Spitze<br />
der Bundesregierung geben?<br />
Reiner Haseloff: Nein. Es ist derzeit so<br />
mühsam, in Deutschland Regierungen zu bilden.<br />
Wir haben im letzten Jahr zwei Anläufe<br />
dafür gebraucht. Daher sollte dieses Risiko<br />
nicht eingegangen werden. Wir haben so<br />
viel Gutes im Koalitionsvertrag stehen, das<br />
sollte jetzt erst mal abgearbeitet werden.
64 <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />
POLITIK
BERLIN<br />
<strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />
65<br />
„ WIR MÜSSEN UNS IMMER<br />
BEWUSST MACHEN, DASS WIR IN<br />
EINEM WETTBEWERB STEHEN<br />
MIT ANDEREN INTERESSANTEN<br />
STANDORTEN “<br />
Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) über Rot-Rot-Grün, den Siemens-Coup<br />
und investorenfeindliche Aktivisten<br />
INTERVIEW: KARSTEN HINTZMANN UND FRANK NEHRING<br />
Zur Person<br />
Michael Müller wurde am 9. Dezember<br />
1964 in Berlin geboren. Im Anschluss<br />
an eine kaufmännische Lehre<br />
arbeitete er von 1986 bis 2001<br />
als selbstständiger Drucker. 1981<br />
trat Michael Müller in die SPD ein.<br />
Von 2001 bis 2011 fungierte er als<br />
Chef der SPD-Abgeordnetenhausfraktion.<br />
Parallel dazu ist er – mit<br />
einer Unterbrechung – seit 2004<br />
Landesvorsitzender der Berliner<br />
SPD. 2011 wurde er Stadtentwicklungssenator.<br />
Seit Dezember 2014<br />
ist er Regierender Bürgermeister.<br />
Michael Müller ist verheiratet und<br />
Vater zweier Kinder.<br />
W+M: Herr Müller, seit gut zwei Jahren führen<br />
Sie ein Regierungsbündnis, dem neben Ihrer SPD<br />
auch Linke und Grüne angehören. Kann man<br />
in einer solchen Konstellation wirtschaftliche<br />
Impulse setzen?<br />
Michael Müller: Das kann man und das machen<br />
wir auch. Es ist sicher nicht einfach, in einer<br />
Dreierkoalition zu regieren. Denn es ist mehr<br />
Arbeit und mehr Kommunikation erforderlich.<br />
Aber natürlich kann man sich in einem Dreierbündnis<br />
auch gut auf Schwerpunkte verständigen.<br />
Dass wir die Wissenschaft stärken, um<br />
damit die Wirtschaft zu unterstützen oder dass<br />
wir ressortübergreifend zusammenarbeiten und<br />
dann so einen Ansiedlungserfolg wie mit Siemens<br />
erreichen, sind doch Beispiele für eine funktionierende<br />
Kooperation innerhalb der Koalition.<br />
W+M: In Ihrer ersten Amtsperiode lenkten Sie<br />
ein Zweierbündnis mit der CDU als Juniorpartner.<br />
Jetzt müssen drei Partner tagtäglich neue Kompromisse<br />
finden. Sehnen Sie sich manchmal nach<br />
den „alten“ Zeiten zurück?<br />
Michael Müller: Zweierkonstellationen sind<br />
tatsächlich einfacher und stabiler. Das hat zunächst<br />
nichts mit den parteipolitischen Farben zu<br />
tun. In Dreier-Konstellationen besteht die Gefahr,<br />
dass sich zwei Parteien gegen die dritte Kraft<br />
verständigen. Das erschwert die Regierungsarbeit.<br />
Insofern präferiere ich grundsätzlich Zweierbündnisse.<br />
Aber auch wenn wir gute Zeiten<br />
hatten mit der CDU, war es in der Gesamtsicht<br />
nicht einfach. Und am Ende waren die Gemeinsamkeiten<br />
aufgebraucht. Daher war es gut, dass<br />
es danach eine andere Konstellation gegeben hat.<br />
W+M: Glaubt man den aktuellen Umfragen, ist<br />
ausgerechnet die größte Regierungspartei, also<br />
Ihre SPD, derzeit die große Verliererin in dieser<br />
Regierungskoalition, während Grüne und Linke<br />
zulegen. Haben Sie eine Erklärung dafür?<br />
Michael Müller: Erst einmal ist es mir<br />
wichtig zu sagen, dass wir unsere Regierungsarbeit<br />
auf der Grundlage eines Wahlergebnisses<br />
gestalten und nicht auf der Basis wechselnder<br />
Umfragen. Aber unter dem Strich ist es so, dass<br />
wir bundesweit eine bittere Zeit durchmachen,<br />
auch in Berlin. Das tut weh. Denn ich glaube<br />
schon, dass es bei uns gute Persönlichkeiten mit<br />
den richtigen Konzepten gibt. Aber wir dringen<br />
momentan gar nicht durch mit unseren Antworten,<br />
weil andere als interessanter und spannender<br />
wahrgenommen werden.<br />
W+M: Wie ist es aktuell um die Wirtschaft in<br />
Berlin bestellt?<br />
Michael Müller: Da konnten wir zum<br />
Glück an die vergangenen Jahre anknüpfen. Die<br />
Arbeitslosigkeit ist noch einmal gesunken, sie<br />
liegt jetzt klar unter acht Prozent. Wir liegen auch<br />
2018 wieder über dem Bundesdurchschnitt, was<br />
das Wirtschaftswachstum anbelangt. Wir haben<br />
noch einmal mehr sozialversicherungspflichtige<br />
Arbeitsplätze bekommen. Mich persönlich freut<br />
es, dass sich die Gründerszene weiter belebt und<br />
stärkt. Wir haben 2017 und 2018 im Digitalbereich<br />
mehr Unternehmensgründungen gehabt, als<br />
in Frankfurt, Hamburg und München zusammen.
66 <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />
POLITIK<br />
TEMPELHOF<br />
in Berlin investieren und einen Gründercampus<br />
aufbauen. Nach der ablehnenden Stimmung,<br />
die im Bezirk Kreuzberg herrscht, verzichtet das<br />
Unternehmen nunmehr auf dieses Investment.<br />
Befürchten Sie, dass die unternehmensfeindliche<br />
Stimmung, die mancherorts in Berlin zu beobachten<br />
ist, dem Wirtschaftsstandort Berlin schaden<br />
könnte?<br />
Michael Müller: Ja, und so etwas darf sich<br />
Berlin nicht leisten. Das hat mich sehr geärgert.<br />
Wir machen – wie gerade dargestellt – aktuell<br />
eine sehr gute Entwicklung durch. Aber deswegen<br />
darf man nicht selbstzufrieden sein. Wir müssen<br />
uns immer bewusst machen, dass wir in einem<br />
Wettbewerb stehen mit anderen interessanten<br />
Standorten. Vor diesem Hintergrund habe ich es<br />
bedauert, dass einige Aktivisten auch zusammen<br />
mit Vertretern des Bezirks es geschafft haben,<br />
Das ist einfach schön, weil man sieht, dass das<br />
keine Eintagsfliege ist, denn die vorliegenden Daten<br />
belegen hier eine Kontinuität der Entwicklung.<br />
W+M: Es ist Ihnen gelungen, mit der Siemens<br />
AG eine spektakuläre Investition in der Hauptstadt<br />
zu vereinbaren. Was erhoffen Sie sich konkret vom<br />
geplanten Innovationscampus?<br />
Michael Müller: Das kann man noch gar<br />
nicht abschließend sagen, weil da ein komplett<br />
neuer Stadtteil entsteht. Für die Stadtentwicklung<br />
ist es mit Wohnen, Gewerbe und Mobilitätskonzepten<br />
ein riesiger Schritt nach vorn. Dann ist<br />
es auch ein großes Zukunftsversprechen. Wenn<br />
ein Weltkonzern wie Siemens, der überall auf<br />
der Welt umworben wird, sich entscheidet, hier<br />
in Berlin zu investieren, dann tut er das, weil er<br />
glaubt, dass er hier mit Blick auf die Zukunft das<br />
richtige Umfeld findet. Das wird auch international<br />
wahrgenommen und zieht andere Unternehmen<br />
mit nach Berlin. Insofern wird das noch einmal<br />
einen Riesenschub geben für Investitionen und<br />
Arbeitsplätze.<br />
W+M: Hat die Siemens-Zusage bereits dazu<br />
geführt, dass andere Konzerne ähnliche Investments<br />
in Berlin planen?<br />
Michael Müller: Derzeit befinden wir uns<br />
in einer Phase interessierter Nachfragen. Viele<br />
Unternehmen haben ein großes Interesse daran<br />
zu erfahren, was rund um Siemens entstehen wird<br />
und ob man sich dort möglicherweise als Partner<br />
engagieren kann. Also: Das Interesse ist groß,<br />
konkrete Investitionsanfragen gibt es aber noch<br />
nicht.<br />
W+M: Ursprünglich wollte auch Google groß<br />
diese Investition und Ansiedlung zu diffamieren.<br />
Zum Glück war Google bereits vorher in Berlin<br />
präsent. Und auch nach der Absage in Kreuzberg<br />
verstärken sie ihre Präsenz in Berlin. Der<br />
Google-CEO war gerade in Berlin, um den neuen<br />
Campus im Bezirk Mitte zu eröffnen. Das ist ein<br />
wichtiger Vertrauensbeweis. Aber wir haben da<br />
etwas erlebt, was sich hoffentlich nicht wiederholt.<br />
Unternehmen und Politik müssen ihre<br />
Entscheidungen und Initiativen erklären und auch<br />
kritischen Nachfragen standhalten. Das erwarte<br />
ich auch bei Google. Aber dass pauschal eine<br />
Investition diffamiert wird, das können wir uns<br />
nicht leisten.<br />
W+M: Beobachter bewerten den Rückzug von<br />
Google auch als Ende des Gründerbooms in Berlin.<br />
Verliert die Metropole Berlin ihren Status als<br />
Start-up-Hauptstadt Europas?<br />
Foto: W+M
BERLIN<br />
<strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />
67<br />
oder „Britain-First“-Strategie für fatal für das<br />
weltwirtschaftliche Gefüge. Wir brauchen offene<br />
Grenzen und offene Märkte.<br />
W+M: In der deutschen Wirtschaft wird der<br />
Ruf lauter, die Sanktionen gegen Russland zu<br />
überdenken und eine neue Etappe der deutschrussischen<br />
Wirtschaftsbeziehungen einzuläuten.<br />
Wie stehen Sie dazu?<br />
Michael Müller: Das ist überhaupt nicht zu<br />
erkennen. Noch einmal: Google investiert zwar<br />
nicht in Kreuzberg, dafür aber im Bezirk Mitte. Wir<br />
haben keinerlei Hinweise darauf, dass Berlin nicht<br />
auch weiterhin ein attraktiver Standort für Gründer<br />
bleibt. Das liegt auch und besonders an unserem<br />
hoch entwickelten wissenschaftlichen Umfeld.<br />
W+M: Berlin war in den letzten Jahren für junge<br />
Menschen und Fachkräfte aus aller Welt auch deshalb<br />
so attraktiv, weil die Lebenshaltungskosten<br />
im Vergleich mit anderen Großstädten moderat<br />
und die Mieten niedrig waren. Jetzt herrscht<br />
Wohnungsnot und mit dem Neubau geht es nicht<br />
voran. Was wollen Sie tun, um dieses Problem zu<br />
lösen?<br />
Michael Müller: Auch mir dauert der Wohnungsbau<br />
zu lange. Da erwarte ich mehr Engagement<br />
von allen Beteiligten. Und ich unterstütze<br />
auch gerne vom Roten Rathaus. Aber es geht leider<br />
nur Schritt für Schritt und nicht von heute auf<br />
morgen. Im internationalen Vergleich haben wir<br />
immer noch recht niedrige Lebenshaltungskosten,<br />
auch wenn sie momentan steigen. Wir versuchen<br />
gegenzusteuern mit einem verstärkten Flächenangebot<br />
für Wohnungen, Büros und Gewerbe.<br />
W+M: Private Immobilienentwickler kritisieren,<br />
dass sie hinsichtlich von Baugenehmigungsverfahren<br />
kaum Unterstützung seitens des Senats<br />
erhalten, da die zuständige Senatorin diese<br />
Verfahren direkt an die Bezirke zur Entscheidung<br />
weiterreicht. Ist der private Wohnungsbau in Berlin<br />
nicht mehr erwünscht?<br />
Michael Müller: Wer Berlin kennt und erlebt,<br />
sieht überall Baustellen. Das sind ja keine illegalen<br />
Seit Ende 2014 Regierender Bürgermeister in Berlin: Michael Müller.<br />
Baustellen. Es wird gebaut auf der Basis von<br />
Baugenehmigungen. Insofern kann der Vorwurf<br />
pauschal nicht stimmen. Die Bezirke sind zuständig<br />
für die kleineren Investitionen, das Land wiederum<br />
für die großen Vorhaben. Ich unterstütze<br />
die Stadtentwicklungsverwaltung und die Bezirke<br />
darin, noch enger zu kooperieren. Mitunter ist das<br />
das Problem. Das private Engagement brauchen<br />
wir dringend. Allein beim Wohnungsbau liegt das<br />
Verhältnis bei zwei Drittel<br />
privaten Bauvorhaben zu<br />
einem Drittel kommunalem<br />
Wohnungsbau. Diese Zahlen<br />
sprechen für sich.<br />
W+M: Verlassen wir<br />
die Niederungen der<br />
Bezirke und kommen zum<br />
internationalen Geschehen:<br />
Befürchten Sie negative<br />
Auswirkungen des drohenden<br />
Brexits auf die Berliner<br />
Wirtschaft?<br />
ZWEIER-<br />
KONSTELLATIONEN<br />
SIND TATSÄCHLICH<br />
EINFACHER<br />
UND STABILER.<br />
Michael Müller<br />
Michael Müller: Wir haben mit Moskau eine<br />
Städtepartnerschaft. Vielleicht kann man es daran<br />
festmachen: Gerade in einer Partnerschaft muss<br />
man kritische Diskussionen führen können. Aber<br />
der Dialog und die Beziehungen müssen aufrechterhalten<br />
werden. Dabei geht es mir nicht nur um<br />
die wirtschaftlichen Aspekte, sondern auch um die<br />
politischen. Wir sollten Situationen vermeiden, wo<br />
wir uns nicht mehr begegnen und nicht mehr miteinander<br />
sprechen. Sprechen mit Russland – auch<br />
über kritische Themen, wie etwa die Ukraine –<br />
kann man nur, wenn man Beziehungen aufrechterhält.<br />
Und daran ist mir sehr gelegen.<br />
W+M: In diesem Jahr begehen wir den 30.<br />
Jahrestag des Mauerfalls. Speziell in den neuen<br />
Bundesländern herrscht derzeit jedoch eher keine<br />
Jubelstimmung. Glauben<br />
Sie, dass die Lebensleistung<br />
der Ostdeutschen im geeinten<br />
Deutschland bislang zu<br />
wenig gewürdigt wurde?<br />
Michael Müller: Ich<br />
habe beim Tag der Deutschen<br />
Einheit in Berlin gesagt,<br />
dass ich es als großes<br />
Geschenk empfinde, dass<br />
wir seit 30 Jahre zusammenleben<br />
– ohne Mauer<br />
und in Frieden und Freiheit.<br />
Und dass wir diesen Weg<br />
Michael Müller: Nicht nur der Brexit, auch gemeinsam gehen. Aber natürlich muss man auch<br />
die Handelskriege von Trump und schwierige<br />
selbstkritisch sagen, dass Fehler gemacht wurden.<br />
Beziehungen zu osteuropäischen Ländern können Vieles, was an sozialer Infrastruktur vorhanden<br />
Folgen haben. Unsichere politische Verhältnisse war, etwa bei der Kinderversorgung, der Bildung,<br />
haben auch wirtschaftspolitische Auswirkungen.<br />
Das merken die Unternehmen. Moment ist Einheit erst mal auf Null gestellt. Mit der Haltung,<br />
der Gesundheitsversorgung, wurde nach der<br />
es so, dass wir durch den Brexit in Deutschland man kann seitens des Westens alles besser.<br />
und Berlin eine stärkere Nachfrage spüren. Das Dieser Stachel sitzt zu Recht tief. Erstens hat man<br />
reicht von der Universität Oxford, die sich hier gemerkt, dass es nicht stimmt. Und zweitens<br />
in Berlin engagieren wird, bis hin zu Finetech- wurden eben die Lebensleistungen nicht gewürdigt.<br />
Bis hin zu Renten- und Einkommensfragen.<br />
Unternehmen, die sich für einen Standort in Berlin<br />
interessieren. Möglicherweise profitieren wir Dass das jetzt korrigiert wird, ist überfällig und<br />
kurz- oder mittelfristig von diesen Entwicklungen. richtig. Ich bin froh, dass es dazu eine bundesweite<br />
Langfristig jedoch halte ich diese „America-First“- Debatte gibt.
68 <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong> 02.19<br />
GESELLSCHAFT<br />
Deutschlands bester<br />
Sekterzeuger<br />
aus<br />
Foto: Schloss Wackerbarth (5), © Wavebreakmedia (1)/Naypong (1) – Freepik.com
GESELLSCHAFT<br />
<strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />
69<br />
kommt<br />
Radebeul
70 <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />
GESELLSCHAFT<br />
Weine und Sekte aus dem Hause des Sächsischen Staatsweingutes Schloss Wackerbarth<br />
sind schon lange weit mehr als ein Geheimtipp. Der Kreis der Kenner und Liebhaber<br />
der edlen Rebensäfte wächst von Jahr zu Jahr. Im Rahmen des „Deutschen Sekt Award“<br />
wurde das in Radebeul beheimatete Weingut jetzt für seine exzellente Arbeit und<br />
Qualität geehrt – als „Bester Sekterzeuger Deutschlands“. Von Karsten Hintzmann<br />
J<br />
ürgen Aumüller, Kellermeister auf Schloss Wackerbarth, war<br />
auf der festlichen Gala anlässlich der Verleihung des „Deutschen<br />
Sekt Awards“ im Luxushotel „Villa Kennedy“ in Frankfurt<br />
(Main) ein vielbeschäftigter Mann. Insgesamt vier Mal<br />
wurde er auf die Bühne gebeten, um einen Preis für sein Unternehmen<br />
entgegenzunehmen. Neben der Auszeichnung als „Bester<br />
Sekterzeuger Deutschlands“ wurden die Winzer von Schloss<br />
Wackerbarth in der Kategorie „Sekte mit Restsüße“ mit Platz 1 für<br />
ihren 2016er Traminer und Platz 2 für die 2015er Scheurebe geehrt.<br />
Platz 3 bei der „Großen Vielfalt“ komplettierte den Erfolg. Die<br />
13-köpfige Expertenjury, der unter anderem Boris Maskow, Champagnerbotschafter<br />
und Chevalier de l’Odre des Coteaux de Champagne,<br />
angehörte, zeigte sich begeistert angesichts der Leistungsfähigkeit<br />
des Teams um den kreativen Önologen Jürgen Aumüller.<br />
Das Staatsweingut ist idyllisch gelegen.<br />
„Ob Riesling, Traminer, Burgundersorten, Scheurebe oder Kerner, kein<br />
anderes Sektgut in Deutschland bietet eine so große Sektvielfalt auf<br />
so hohem Niveau“, so das Urteil der Jury.<br />
Für Sonja Schilg, Geschäftsführerin des Staatsweingutes Schloss<br />
Wackerbarth, ist die hohe Auszeichnung Lohn für eine seit vielen<br />
Jahren praktizierte hochqualitative Arbeit des gesamten Teams: „Als<br />
,Bester Sekterzeuger Deutschlands‘ geehrt zu werden, verdanken<br />
wir unseren Mitarbeitern, treuen Kunden und dem Freistaat Sachsen.<br />
Denn mit dieser besonderen Auszeichnung bestätigen und<br />
würdigen die renommierten Genussexperten des ,Deutschen Sekt<br />
Awards‘ nicht zuletzt auch die jahrhundertelange Genusskompetenz<br />
Sachsens.“<br />
Die Sektherstellung hat auf Schloss Wackerbarth<br />
eine lange Tradition, die bis ins<br />
Jahr 1836 zurückreicht. Damals gründeten<br />
drei angesehene Weingutbesitzer in Radebeul<br />
die erste Sektmanufaktur Sachsens<br />
und damit gleichzeitig eine der ältesten<br />
Sektkellereien Europas – die spätere Sektkellerei<br />
„Bussard“. Erster Kellermeister war<br />
Johann Joseph Mouzon aus Reims. Der anerkannte<br />
Fachmann der Sektproduktion<br />
führte in der neu gegründeten Manufaktur<br />
die Produktion nach französischer Art ein.<br />
Dazu brachte er die handwerkliche Kunst<br />
Foto: Schloss Wackerbarth (4), © Julia_Moskalenko (1) – Freepik.com
GESELLSCHAFT<br />
<strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong> 02.19<br />
71<br />
Aufwendige Flaschengärung auf Schloss Wackerbarth.<br />
der „Méthode champenoise“, die klassische<br />
Flaschengärung, aus seiner Heimat mit nach<br />
Radebeul. Dank seines Könnens entwickelte<br />
sich die Sektkellerei zum Mittelpunkt des<br />
Schaumweins im Elbtal und zum Anziehungspunkt<br />
für die sächsischen Könige, die<br />
die erlesenen „Bussard“-Produkte für die<br />
königliche Tafel wählten und die Manufaktur<br />
auch regelmäßig besuchten.<br />
Nach einer wechselvollen Geschichte wurde<br />
die Sektkellerei „Bussard“ in den 1970er-<br />
Jahren mit Schloss Wackerbarth vereinigt.<br />
Seither führen dort die Kellermeister die<br />
prickelnde Tradition und Handwerkskunst<br />
fort. Im letzten Jahrzehnt schob sich das<br />
Sächsische Staatsweingut Schloss Wackerbarth<br />
mehr und mehr in den überregionalen<br />
und internationalen Fokus. Weil auf den<br />
insgesamt 92 Hektar Rebflächen Weine reifen,<br />
die bei nationalen und internationalen<br />
Wettbewerben und Verkostungen diverse<br />
Preise und Auszeichnungen abräumen<br />
konnten. Auch die Fachpresse ist voll des<br />
Lobes ob der Leistungen des 120-köpfigen<br />
Teams. Der renommierte Weinführer „Gault<br />
Millau“ etwa schrieb: „Wackerbarth – das<br />
ist Geschichte, Gegenwart und Zukunft zugleich.<br />
Gelegen vor einem der schönsten<br />
Terrassenweinberge der Region, geben Barockschloss<br />
und Park einen Eindruck vom<br />
sächsischen Glamour vergangener Zeiten.<br />
Im Ensemble integriert die moderne Kellerei,<br />
die einen gelungenen Kontrast zum historischen<br />
Part bildet. Trotz der großen Historie<br />
stehen die Zeichen auf Zukunft. In den<br />
letzten Jahren wurde unter anderem viel<br />
in die Weinberge investiert.“<br />
Für Weinliebhaber lohnt es sich in jedem<br />
Fall, Schloss Wackerbarth einen Besuch<br />
abzustatten und das einzigartige<br />
Ambiente zu genießen. Täglich werden<br />
Führungen durch die Manufaktur<br />
– mit einem eigenen Gasthaus<br />
– sowie erlesene Veranstaltungen<br />
angeboten, die pro Jahr mehr als<br />
190.000 Sekt- und Weingenießer<br />
aus aller Welt anlocken.<br />
Scheurebe trocken ist der<br />
Verkaufsschlager. Qualität hat<br />
einen Namen
72 <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />
GESELLSCHAFT<br />
Berlin Capital Club & Partners<br />
Der Berlin Capital Club, Berlins führender Wirtschaftsclub, ist ein gutes Beispiel<br />
dafür, dass Netzwerken auf die klassische Art und Weise immer noch<br />
Bestand hat. Wer sich im Berlin Capital Club mit Geschäftspartnern treffen oder an<br />
Veranstaltungen teilnehmen will, muss allerdings Mitglied sein.<br />
Dann ist man auch gleich Mitglied im IAC und hat die Möglichkeit, die fast<br />
250 Partnerclubs in Deutschland und weltweit zu nutzen.<br />
Heute stellen wir Ihnen zwei dieser Partnerclubs vor.<br />
Fotos: Berlin Capital Club
GESELLSCHAFT<br />
<strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />
73<br />
Devonshire Club, London<br />
Tradition und Moderne vereint<br />
Der Devonshire Club, ein privater Club für Mitglieder im Herzen Londons,<br />
verbindet auf perfekte Weise Stil und exklusiven Luxus mit einem innovativen<br />
gastronomischen Angebot, ergänzt durch ein vielfältiges Programm an<br />
Clubveranstaltungen. Hochwertig ausgestattete Suiten, die beeindruckende<br />
Architektur der Innenräume, das kulinarische Angebot und das qualifizierte<br />
Club-Team machen den Club zu etwas ganz Besonderem.<br />
Das neu eröffnete Restaurant „Number Five” wird von Küchenchef Adam<br />
Grey geleitet und bietet eine Auswahl an modernen britischen Gerichten.<br />
Das Restaurant wird von deckenhohen, zum Garten gerichteten Fenstern<br />
ausgeleuchtet. Der angrenzende Garten, der mit farbenfrohen und eleganten<br />
Sitzgelegenheiten und wunderbaren Blumenarrangements aufwartet,<br />
ist der perfekte Ort für eine leichte Mahlzeit oder einen Snack, für ein<br />
entspanntes Meeting oder einfach nur eine Pause von einem hektischen Tag.<br />
In der ersten Etage befinden sich die vier Boardrooms. Großzügig im klassischen<br />
Stil gestaltet, eignen sie sich für formelle und informelle Meetings.<br />
Jeder Salon bietet Platz für 12 bis 20 Personen und ist komplett mit modernsten<br />
Technik- und Präsentationseinrichtungen sowie Highspeed-WLAN<br />
und einer Klimaanlage ausgestattet.<br />
Wirtschaftsclub Düsseldorf<br />
Der exklusive Rückzugsort in Düsseldorf für Persönlichkeiten<br />
aus Wirtschaft, Politik, Gesellschaft und Kultur.<br />
Der Devonshire Club liegt im Herzen der Stadt, mit Zugang zum Finanzviertel<br />
und den trendigen Drehkreuzen Spitalfields, Brick Lane und Shoreditch.<br />
Er ist der ideale Platz sowohl für Meetings in der Woche als auch für ein<br />
entspanntes Wochenende, um London zu erleben. Der Club hat sein eigenes<br />
Boutique-Hotel mit 68 charmant gestalteten Zimmern auf vier Etagen.<br />
www.devonshireclub.com<br />
www.iacworldwide.com<br />
Willkommen in einem stilvollen Ambiente, das Maßstäbe setzt. Mit erstklassigem<br />
Service, exquisiter Küche, luxuriösen Räumlichkeiten und nicht zuletzt<br />
mit hochkarätigen Veranstaltungen. Und das an einer der wohl exklusivsten<br />
Adressen Düsseldorfs.<br />
Der Wirtschaftsclub Düsseldorf bietet Persönlichkeiten aus Wirtschaft,<br />
Wissenschaft, Kultur und Politik eine stilvolle Plattform für Vorträge,<br />
Diskussionsrunden, Fest- und Kulturveranstaltungen sowie interessante<br />
Gelegenheiten mit anregenden Gesprächen und neuen Kontakten. Er spricht<br />
vor allem Unternehmer, Manager, Selbständige und Führungskräfte an,<br />
die einen außergewöhnlichen Ort mit der Möglichkeit für ein kultiviertes<br />
und nachhaltiges Networking in gepflegtem Ambiente und mit gehobener<br />
Gastronomie suchen.<br />
Der Wirtschaftsclub Düsseldorf mit Club-Restaurant, Member-Bar und<br />
Bibliothek ist täglich, außer am Wochenende und an Feiertagen, für seine<br />
Mitglieder und deren Gäste geöffnet. Um neue Kontakte zu knüpfen und<br />
bestehende zu pflegen, bietet der Club ein vielfältiges und interessantes<br />
Veranstaltungsprogramm – vom „Dinner Talk” mit hochkarätigen Gastrednern<br />
bis hin zum exklusiven Tasting.<br />
www.wirtschaftsclubduesseldorf.de<br />
www.iacworldwide.com<br />
Fotos: Berlin Capital Club
74 <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />
GESELLSCHAFT<br />
Der Gentleman<br />
kehrt zurück<br />
–<br />
Herrenmode-Trends<br />
für den Sommer <strong>2019</strong><br />
Trends <strong>2019</strong> im Freizeitbereich<br />
sind Karos, Polos, dunkler<br />
Denim.<br />
Noch im letzten Jahr hatte ich beim Besuch der großen Modemessen das<br />
Gefühl, dass der Einfluss der Streetwear auf die Businessmode für Herren<br />
schier unaufhaltsam sein würde. Sneaker und wild bedruckte Hemden<br />
wurden zum beinahe ständigen Begleiter klassischer Businessanzüge. Aber<br />
nun hat sich das stets zum Eigenzitat neigende Modependel wieder deutlich<br />
in die andere Richtung bewegt:<br />
Zu erkennen ist zurückhaltende Eleganz mit vielen Zitaten vergangener<br />
Modeepochen. Karos sind auch im Bereich von Anzügen gern gesehen, kombiniert<br />
immer wieder mit Westen. Chic sind Karos auch als Blickpunkt eines<br />
klassischen Businesslooks. Warum nicht eine karierte Weste zum blauen<br />
Zweiteiler tragen?<br />
Interessant ist auch die Renaissance der Krawatte: Die seit gefühlt zwanzig<br />
Jahren omnipräsenten offenen Hemdkragen sind weitestgehend verschwunden<br />
und Businesshemden werden gerne wieder mit Umschlagmanschette<br />
und Krawatte oder Schleife kombiniert.<br />
Was mir als Vertreterin eines eher klassischen Herrenlooks trotzdem gut<br />
gefällt, ist die aktuelle Kombination von Businessanzügen mit unifarbenen<br />
(sehr hochwertigen) T-Shirts oder Polohemden, bitte aber mit unauffälligen<br />
Herstellerlogos auf der Brust.<br />
Die Anzüge werden wieder breiter geschnitten und auch klassische Zweireiher<br />
sind hochaktuell. Glencheck als besonders elegante Variante des Karos<br />
ist eine besonders gelungene Möglichkeit, klassisch elegant und zugleich<br />
modisch aufzutreten.<br />
Die W+M-Modeexpertin Beate Lecloux ist<br />
Inhaberin des Berliner Maßbekleiders Cut For You<br />
mit Filialen in der Reinhardtstraße 38 in Mitte und<br />
der Bleibtreustraße 13 in Charlottenburg.<br />
www.cutforyou.com<br />
In seiner Freizeit tritt der Gentleman in diesem Sommer gerne in zurückhaltenden<br />
Farben auf: Khaki, beige und dunkles Denim ersetzen die quietschbunten<br />
Töne der letzten Jahre.<br />
Fazit: Endlich einmal wieder geht der Trend in der Herrenmode in Richtung<br />
einer klassischen Eleganz. Jetzt braucht es nur noch ein perfektes Wetter,<br />
um einen richtig schönen Sommer erleben zu dürfen.<br />
Foto: munro, Randy Tarango/Cut For You
GESELLSCHAFT<br />
<strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong> 75<br />
< Querbinder sind eine Alternative zur Krawatte.<br />
Foto: Atelier Torino
76 <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />
GESELLSCHAFT<br />
FREDERIQUE CONSTANT<br />
Manufacture Hybrid.<br />
Foto: Leicht Juweliere
GESELLSCHAFT<br />
<strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong> 77<br />
MONTBLANC<br />
Twin Smart Strap.<br />
MONTBLANC Summit 2<br />
Blacksteel Milanese.<br />
Seitdem Apple im Jahr 2015 seine erste Uhr vorstellte,<br />
beschäftigt das Thema Smart Watch auch die Schweizer<br />
Uhrenindustrie. Anders als ein ausgewiesenes Technologieunternehmen,<br />
verfolgen die eidgenössischen Uhrenmanufakturen<br />
eher die Verknüpfung handwerklicher Traditionen<br />
mit smarten Funktionen, um darüber eine Verbindung zum<br />
Smartphone herzustellen.<br />
VON RON UHDEN<br />
2018 hat FREDERIQUE CONSTANT eine ganz neue Uhrenkategorie in der<br />
Schweizer Uhrenindustrie geschaffen, eine außergewöhnliche Mischung<br />
aus klassischem Automatikwerk und einem Smartwatch-Modul. Getreu<br />
ihrem Motto Innovation als wichtigstes Leitmotiv, verbindet die Marke<br />
mit der ersten Hybriduhr nun das Beste aus beiden Welten. Neben dem<br />
klassischen Manufakturuhrwerk, welches durch das rückseitige Saphirglas<br />
sichtbar ist, werden die Zusatzinformationen über eine Platine ausgelesen,<br />
welche unsichtbar unter dem Zifferblatt sitzt. So sind diese Funktionen, wie<br />
Aktivitäts- und Schlaferfassung, über die analogen Zeiger oder aber auch<br />
durch Synchronisation mit dem Smartphone ablesbar. Für den Uhrenliebhaber,<br />
der es gerne etwas genauer hätte, ist erstmalig eine Kaliberanalyse und<br />
Weltzeitanzeige integriert. Somit ist die Hybrid Manufacture weit mehr als<br />
eine weitere Schweizer Uhr.<br />
Auch MONTBLANC ist auf dem neu entstanden Markt aktiv und präsentierte<br />
2017 die Summit Uhr, ebenfalls klassisch elegant, mit einem Touch Retrodesign.<br />
Durch den Erfolg beflügelt, wird nun die nächste Generation, genannt<br />
Summit 2, vorgestellt. Das hochwertige Design beibehaltend, bietet der neu<br />
verbaute Chip eine höhere Speicherleistung und eine wesentlich längere<br />
Akkulaufzeit. Wer sich als Uhrenliebhaber nun aber nicht zwischen mechanischer<br />
Ästhetik und digitalen Funktionen entscheiden kann, dem baut<br />
MONTBLANC eine Brücke mit dem TWIN Smart Strap. Es setzt sich aus zwei<br />
Teilen zusammen, dem intelligenten Modul mit einer gewölbten Anzeige und<br />
einem Armband, das sich an fast jede Uhr anbringen lässt. So lässt sich Ihre<br />
Lieblingsuhr mit digitaler Technik aufrüsten.<br />
Fotos: Leicht Juweliere<br />
Leicht Juweliere<br />
Unter den Linden 77<br />
10117 Berlin<br />
www.juwelier-leicht.de<br />
Ron Uhden ist Niederlassungsleiter<br />
von Juwelier Leicht in Berlin.<br />
Neben dem Anzeigen von Nachrichten und dem Verfolgen Ihrer täglichen<br />
Aktivitäten wartet hier Montblanc mit einer Neuerung auf, dem MONT-<br />
BLANC PAY. Diese mobile Zahlungsplattform erweitert das Handgelenk des<br />
Besitzers um eine kontaktlose Zahlungsmöglichkeit. Da aber der Grundgedanke<br />
der Uhrmacherei von jeher das Festhalten der Zeit ist, erfüllt diese<br />
Aufgabe nun die TWIN Begleit-App. Hier zeigt sich, dass sich die Uhrmacher<br />
den Neuerungen der Zeit nicht verschließen, sondern gleichfalls nach neuen<br />
Wegen suchen. So hat die Smartwatch die traditionelle Uhrmacherei nicht<br />
verdrängt, sich doch aber etabliert. Dem aufmerksamen Betrachter fallen<br />
demnach immer mehr Handgelenke auf, an denen es möglich ist, Nachrichten<br />
zu empfangen. Vor fünf Jahren war dies noch reine Utopie. Doch nun auf<br />
in die neue digitale Uhrmacherei!
78 <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />
MACHER<br />
Matthias Ludwig ist wie so viele, die jetzt<br />
an der Ostsee leben nicht dort geboren,<br />
sondern in Sachsen-Anhalt. Der Hallenser<br />
hatte seine Angestelltenjahre beim MDR,<br />
bis ihn die Liebe und die Lust auf Meer nach<br />
Warnemünde führte. Das Unternehmergen<br />
war schon früh entwickelt und vom<br />
Gelegenheitshändler und Organisator aller<br />
möglichen Sachen eröffnete er in Warnemünde<br />
eine Boutique – mittlerweile sind<br />
es vier, darunter auch in Kühlungsborn. Das<br />
Beach Polo Turnier hat er einmal gesehen<br />
und war sofort Feuer und Flamme.<br />
Foto: Ralf Succo/SuccoMedia
INNOVATIVE UNTERNEHMER<br />
<strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />
79<br />
W+M: Sie sind Veranstalter des jährlichen<br />
Beach Polo Turniers am Warnemünder Strand.<br />
Wie sind Sie auf die Idee gekommen?<br />
Matthias Ludwig: Ich habe ein Beach Polo<br />
Turnier 2010 auf Usedom erlebt und habe mich<br />
sofort entschlossen, es zu unterstützen. Der<br />
Weg vom Sponsor zum eigenen Turnier ging dann<br />
richtig schnell. Ich wollte es einfach als Veranstalter<br />
machen.<br />
W+M: Was macht Beach Polo in Warnemünde<br />
so besonders?<br />
Matthias Ludwig: Beach Polo ist ja an sich<br />
schon sehenswert und etwas Besonderes, aber<br />
in Warnemünde mit dem alten Leuchtturm und<br />
der ganzen Kulisse ist es einfach eine einzigartige<br />
Location, noch dazu, wenn es nur zweihundert<br />
Meter entfernt von meinen Läden ist.<br />
W+M: Worin liegen die besonderen Herausforderungen<br />
für den Unternehmer?<br />
Matthias Ludwig: So ein Jahresevent wirkt<br />
zwar immer wie ein Hobby und irgendwie ist<br />
es das auch, aber es verlangt Vollpower an 300<br />
Tagen im Jahr.<br />
W+M: Was treibt Sie an, jährlich so ein Turnier<br />
zu veranstalten?<br />
Matthias Ludwig: Es klingt vielleicht nicht<br />
überzeugend, aber es ist schon so, dass ich gern<br />
Verantwortung übernehme, um Rostock-Warnemünde<br />
noch internationaler zu machen und gute<br />
Gäste ins Seebad zu holen.<br />
W+M: Was machen Sie, wenn Sie gerade nicht<br />
das Turnier organisieren?<br />
Matthias Ludwig: Dann stehe ich in einem meiner<br />
Geschäfte hinterm Ladentisch, berate Kunden<br />
und verkaufe ihnen attraktive Outfits. Zeitgleich<br />
nutze ich aber auch immer meine Netzwerke, um<br />
Partner für das nächste Beach Polo zu gewinnen.<br />
W+M: Welche Eigenschaften sollte ein Unternehmer<br />
haben? Welche sind für Eventveranstalter<br />
besonders wichtig?<br />
Matthias Ludwig: Ehrlichkeit, Fleiß, Disziplin,<br />
Ausdauer und immer ein gutes Händchen für die<br />
richtigen Menschen, die man zu so einem Event<br />
vereint. Man darf sich nicht unterkriegen lassen<br />
und muss seiner Linie treu bleiben.<br />
W+M: Haben Sie die alle?<br />
Matthias Ludwig: Ich denke schon, denn für<br />
mich zählt „Vertrauen durch Leistung“ meinen<br />
Partnern zu geben. Und die geben es zu 100 Prozent<br />
zurück, sonst würde es dieses Event so nicht geben.<br />
Fotos: Ralf Succo/SuccoMedia
DER BERLINER<br />
PRESSEBALL-<br />
M A C H E R<br />
Stimmung beim Auftritt der Weather Girls.<br />
Mario Koss – ein Berliner Erfinder, Komponist, Autor, Produzent und Gründer<br />
der Schallplattenfirma Pikosso Rekords. Er erfand und entwickelte im<br />
Jahr 1994 die Shape-CD sowie die Chip Disk. Im Jahr 1995 gehörte Koss<br />
mit 26 Jahren zu den erfolgreichsten Jungunternehmern Deutschlands. Bis<br />
heute wurden über 70 Millionen Shape-CDs verkauft. Zahlreiche internationale<br />
Künstler wie Madonna, Michael Jackson, David Bowie, Backstreet<br />
Boys und Großkonzerne wie IBM, Microsoft, Burger Kind oder die<br />
Deutsche Bank haben bei Koss Shape-CDs herstellen lassen. Mario Koss<br />
studierte Sinologie-, Publizistik- und Betriebswirtschaftslehre an der FU<br />
Berlin. Er brach das Studium im sechsten Semester als Millionär ab, um<br />
mehr Zeit für die Vermarktung und Entwicklung der Shape-CD zu haben.<br />
Von 2001 bis 2007 war er ehrenamtlich für den Weißen Ring als Opferhelfer<br />
aktiv.<br />
Dr. Franziska Giffey, Dilek Kolat, Sawsan Chebli.<br />
Gérard Biard, Melanie Simond, Mario Koss.<br />
Fotos: Presseball Berlin
INNOVATIVE UNTERNEHMER<br />
<strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />
81<br />
Foto: Presseball Berlin<br />
Jean Marie Pfaff, Mario Koss.