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Neue Szene Augsburg 2019-05

Das Stadtmagazin für Augsburg und Umgebung. Aktuelle Info und Veranstaltungskalender unter www.neue-szene.de

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ZOOM 37<br />

“<br />

Die Brez´n ist ein Mikrokosmos<br />

voller Überraschungen.<br />

Ja, ja, die Brez´n. Seit Jahrzehnten hält sie den Stürmen der Konjunkturschwankungen,<br />

der Gentrifizierung und der Systemgastronomie stand. Vor<br />

einigen Jahren, als es am Kö noch die ursprüngliche, offene Drogenszene gab,<br />

und Zuhälter, die wie Zuhälter aussahen, oder so, wie man sich Zuhälter halt<br />

vorstellt, damals war die Brez´n regelrecht verrucht. Nur die ganz mutigen<br />

Studenten trauten sich rein, versuchten ihr Bier möglichst cool zu trinken<br />

und zwischen den einfachen Arbeitern, Junkies und Zuhältern nicht zu verweichlicht<br />

zu wirken. So wie ich heute.<br />

Aber wie sitzt man cool am Tresen? Das ist auch so eine ewige Frage, die seit<br />

es Tresen gibt, unsinnig durch die Köpfe schwirrt. Wer darüber nachdenkt,<br />

ist verloren. Nun ja, irgendwann verschwanden jedenfalls die Junkies und<br />

die Zuhälter und an der Stelle hätte auch die Brez´n untergehen können.<br />

Tat sie aber nicht. Denn das Flair der Verruchtheit blieb an ihr haften wie ein<br />

Versprechen. Eines, das allerdings eher nachts eingelöst wird. Am Tag gehört<br />

die Brez´n den Stammgästen. Hier stimmt das wohlige Wort der Stammkneipe<br />

als Wohnzimmer. Gut, es ist natürlich ein Wohnzimmer, dessen Einrichtung<br />

in akademischen Milieus allerhöchstens mit sehr, sehr viel<br />

erkennbarer Ironie akzeptiert werden würde, aber wahrscheinlich nicht mal<br />

dann. An den Wänden hängen eben keine röhrenden Hirsche oder Landschaftsbilder<br />

und es stehen auch keine kuscheligen Oma-Sofas an den Wänden.<br />

Nein, diese Inneneinrichtung ist der volle Ernst. Grimmiger Leopard in<br />

schwarz/weiß, artistisch unnahbare Frauen, weinende nackte Engel, glitzernder<br />

Totenschädel, Kussmund. Übelster Kitsch eigentlich. Man muss aber auch<br />

sagen: Was soll man sonst an die Wand hängen? Emil Nolde, Franz Marc, Picasso?<br />

Gut, Picasso würde eigentlich ganz gut reinpassen, zumindest wenn<br />

die Gäste dicht sind, aber auch im dichten Zustand dürfte der Otto-Normal-<br />

Brez´n-Gast den weinenden Engel ansprechender finden als, sagen wir, Guernica.<br />

Aber unterschätzen wir die Gäste mal nicht. Die Brez´n ist keine Schnapsgrotte<br />

für die Alkis, die sonst nirgends mehr reinkommen. Sie ist ein Mikrokosmos.<br />

Ja, das kann man sagen. Ein<br />

Mikrokosmos voll Überraschungen.<br />

Da gab es zum Beispiel den Hosenpisser.<br />

Das war sein Spitzname und<br />

in dem Fall ein wirklich treffender,<br />

weiß Wolfi zu erzählen. Denn der<br />

Hosenpisser hatte es sich zur Angewohnheit<br />

gemacht, mit besudelter<br />

Hose in die Brez´n zu schleichen<br />

und den Boden nach dem verlorenen<br />

Kleingeld unachtsamer Gäste<br />

abzusuchen. Armer Hund! Möchte<br />

man sagen. Von wegen. Irgendwann<br />

starb der Hosenpisser und Wolfi<br />

und Tyra und die anderen erfuhren, dass er mitnichten arm war, im Gegenteil,<br />

mehrere Häuser im Umkreis gehörten ihm, die Geldsuche war vielmehr ein<br />

leicht exzentrisches Hobby als lebensnotwendige Unternehmung.<br />

„JaderHosenpisser!“ Wiederholt Wolfi versonnen. „Da hinten hat er<br />

immer kurz gesessen, neben dem Kicker und hat Ausschau gehalten<br />

und hat mit dem Elefantenboy Witze gemacht.“<br />

Elefantenboy? Wolfi weiß natürlich, dass man auf so einen Namen anspringt.<br />

Der Elefantenboy hatte seinen Namen nicht etwa dadurch verdient, dass er<br />

einen langen Rüssel hatte, nein, nein, er war tatsächlich im Zoo für die Elefanten<br />

zuständig. Aber diese Spitznamen sind wirklich hochinteressant.<br />

Wenn man es einmal geschafft hat, in einer Kneipe unter einem solchen<br />

Namen bekannt zu sein und wenn der Name nicht gerade Hosenpisser lautet,<br />

dann ist man halt wer. Dass der Wirt und die Barkeeper einen vom Sehen<br />

her kennen, das ist die erste Stufe, die zweite ist dann der richtige Vorname,<br />

aber geschafft hat man es erst, wenn man zum Wolfi oder Elefantenboy ernannt<br />

wird. Und zwar auf Lebenszeit.<br />

Einmal Wolfi, immer<br />

Wolfi. Das hat auch etwas Tröstliches.<br />

Mag draußen die Globalisierung<br />

toben, mag die<br />

Gesellschaft sich wandeln, mögen<br />

neue Geschlechter und Sitten eingeführt<br />

werden, in dieser kuscheligen,<br />

sehr dezent beleuchteten<br />

Höhle weiß man, dass man immer<br />

derselbe bleibt. Ist das nicht das,<br />

was Heimat ausmacht? Dass man<br />

sich kennt, dass einen die Restwelt<br />

am Arsch lecken kann, weil man seinen<br />

Platz gefunden hat?<br />

Darauf ein Helles von Hasenbräu.

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