Neue Szene Augsburg 2019-05
Das Stadtmagazin für Augsburg und Umgebung. Aktuelle Info und Veranstaltungskalender unter www.neue-szene.de
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ZOOM<br />
Kulturcafe Neruda, wäre der Spruch vielleicht ein wenig zu derb, würde<br />
bestenfalls für verlegenes Kichern sorgen. Hier dagegen ist er grandios. Das<br />
ist auch so eine Sache. Wenn man Leute fragt, was sie an Kneipen wie der<br />
Brez´n so lieben, sagen sie gerne: Da kann ich so sein wie ich wirklich bin!<br />
Natürlich nicht alkoholfrei. Ich kann schon gar nicht mehr verstehen, wie<br />
ich auf die Idee kommen konnte, in der Brez´n keinen Alkohol zu trinken.<br />
Womit ich keinesfalls sagen will, dass man hier nur Spaß haben kann, wenn<br />
man genug Promille intus hat, aber darauf zu verzichten, macht auch keinen<br />
wirklichen Sinn.<br />
Wolfi geht.<br />
„Wird Zeit!“ Verkündet er.<br />
„Warsch ja auch jetzt 5 Stunden da, gell Schatzi?“ Sagt Tyra und ruft Wolfi<br />
ein Taxi, das er 10 Minuten später mit drei vollen Einkaufstüten und schwankendem<br />
Gang besteigt.<br />
Schatzi. Das ist wahrscheinlich der Goldstandard. Wenn die Barkeeperin<br />
einen Schatzi nennt. Ich weiß, das darf man nicht in dem Sinn verstehen,<br />
dass sie einen wirklich für einen Schatzi hält,<br />
außer natürlich in dem Sinn, dass Schatzis wie<br />
Wolfi regelmäßig ordentlich Geld im Laden lassen.<br />
Aber das Schatzi-Syndrom auf Berechnung<br />
zu reduzieren, wäre nicht fair. Wer in der Brez´n<br />
Schatzi genannt wird, ist in gewisser Weise auch<br />
ein Schatzi. Wahrscheinlich mit Spitznamen.<br />
Wolfi hat den Status des Schatzis erst erlangt,<br />
nachdem er zum Wolfi wurde. Beim Elefantenboy<br />
war es genauso. Beim Hosenpisser vermutlich<br />
nicht, allerdings habe ich vergessen zu<br />
fragen, ob der Hosenpisser eigentlich wusste,<br />
dass er als der Hosenpisser bekannt war. Nachdem<br />
Wolfi weg ist, kommen neue Stammgäste.<br />
Alle männlich. Eher breitbeinig, aber nicht auf<br />
dicke Hose machend, vielmehr so wie Seemänner<br />
oder Bauarbeiter.<br />
„Da kommt ja mein Ehemann!“ Ruft Tyra.<br />
Ein Typ, Ende 40, betritt schwungvoll strahlend<br />
die Brez´n. Drahtig, könnte man sagen. Cordjacke<br />
mit Pelzkragen, gutsitzende Jeans, Geldbeutel mit<br />
Eisengliedkette, Boots. In Amerika wäre er sicher<br />
Trucker. Ist er wirklich Tyras Ehemann oder ist das<br />
sein Spitzname?<br />
Kokettes Gespräch.<br />
Den Satz sollte man ernst nehmen. Sicher, so zu sein, wie man wirklich ist,<br />
das ist zwar eines der herrschenden Gebote unserer Zeit, aber damit ist in<br />
der Praxis ja nicht gemeint, dass man auch mal blöd, laut, frech, sexistisch,<br />
rotzig oder geschmacklos sein darf. Wie man wirklich ist, darunter versteht<br />
man allgemeinhin ja, dass dieses wirkliche Ich ein viel besseres, sympathischeres<br />
Ich ist als jenes andere, dass man im Beruf, beim Besuch der Schwiegereltern<br />
oder während eines Polizeiverhörs an den Tag legt. Ungeniert und<br />
unverstellt Ich zu sein, wo geht das denn heutzutage noch? Vielleicht daheim,<br />
auf dem Sofa, aber da sieht es ja keiner oder höchstens der Partner, für den<br />
das aber irgendwann auch nichts <strong>Neue</strong>s mehr ist. Deswegen ist die Brez´n<br />
eine ideale Kombination. Man kann so sein, wie man wirklich ist, oder sein<br />
will und man kann die Welt oder zumindest eine Anzahl anderer Gäste<br />
daran teilhaben lassen. Darauf noch ein Hasenbräu.<br />
Die anderen Gäste. Das werden jetzt langsam mehr. Gerade kamen zwei,<br />
sagen wir Nepalesen rein. Klein, dunkelhäutig, ordentlich gekleidet und frisiert,<br />
mit Brillen und sofort mit jeweils einem Weizen an die Spielautomaten<br />
und dann kein Wort mehr. Vielleicht sind es auch Pakistani oder Bangladeshi<br />
oder Inder oder wie heißen die aus Sri Lanka, da gab es doch eine spezielle<br />
Bezeichnung. Nicht Srilanker. Ich merke, dass mir das Bier ein bisschen zu<br />
Kopf steigt. Konzentration jetzt. Es kommen Frauen rein. Eine ganze Gruppe.<br />
Jungesellinnenabschied. Sagt man das so? Die Sri Lanker sind ganz eingeschüchtert.<br />
Ich kann es ihnen nicht verdenken.<br />
Die Mädelsgruppe grölt jedes Lied, das<br />
aus den Boxen kommt, begeistert mit. Listen<br />
to your Heart! Baby don´t hurt me! Die<br />
Braut schwenkt demonstrativ einen rosa Plastikdildo<br />
über ihren Kopf. Der Nachmittag<br />
der einsamen Männer ist vorbei. Endlich.<br />
Nichts gegen Männerrunden, aber ihnen<br />
wohnt in Kneipen eine eigentümliche Melancholie<br />
inne, die nicht selten in Frust umschlägt.<br />
Ohne Frauen geht es halt nicht. Oder<br />
zumindest nicht so gut, oder eben nur mit<br />
sehr viel Alkohol, aber auch dann nicht so<br />
gut wie mit Frauen und sehr viel Alkohol.<br />
Die Gleichung wird sich niemals ändern.<br />
Jetzt tanzen alle Frauen um die Braut mit<br />
dem Dildo herum. Der Bass wummert. What<br />
is Love? Baby don´t hurt me, dont hurt me,<br />
no more! What is Love? Baby don´t hurt me,<br />
dont hurt me, no more! Ohu ohu ohu huaaa<br />
.Ye-heaa. Hua hu hu. Hoch den Dildo! Die Sri<br />
Lankis klatschen schüchtern. Wo ist der Ehemann?<br />
Nicht zu sehen? Der Hosenpisser? Ach<br />
ja, tot. What is love? Baby don´t hurt me,<br />
don´t hurt me, no more.<br />
So könnte es ewig weitergehen. Prost!<br />
Tyra: „Endlich bisch mal wieder da!“ Ehemann:<br />
„Ja klar!“ Tyra: „Wo warsch denn?“ Ehemann:<br />
„Auch andere Pferde wollen geritten werden.“<br />
Lachen allenthalben. Auch ich lache. Nicht pflichtschuldig.<br />
In einem anderen Umfeld, sagen wir im