RA 05/2019 - Entscheidung des Monats
Auf eine Vereinbarung, durch die die Rechte des Käufers wegen eines Mangels ausgeschlossen oder beschränkt werden, kann sich der Verkäufer gem. § 444 Alt. 1 BGB nicht berufen, soweit er den Mangel arglistig verschwiegen hat. Arglist erfordert mindestens bedingten Vorsatz. Nach herrschender Meinung liegt sie auch dann vor, wenn der Verkäufer zwar das Vorhandensein des Mangels nicht kennt, aber Angaben über das Fehlen von Mängeln „ins Blaue hinein“ macht, obwohl er weiß, dass er insofern nicht über die notwendigen Informationen verfügt. Um die Arglist nicht in den Bereich der bewussten Fahrlässigkeit auszudehnen, ist allerdings erforderlich, dass der Verkäufer mit dem Vorhandensein eines Mangels oder der Unrichtigkeit seiner Angaben rechnet, wie die Entscheidung des OLG Brandenburg anschaulich zeigt.
Auf eine Vereinbarung, durch die die Rechte des Käufers wegen eines Mangels ausgeschlossen oder beschränkt werden, kann sich der Verkäufer gem. § 444 Alt. 1 BGB nicht berufen, soweit er den Mangel arglistig verschwiegen hat. Arglist erfordert mindestens bedingten Vorsatz. Nach herrschender Meinung liegt sie auch dann vor, wenn der Verkäufer zwar das Vorhandensein des Mangels nicht kennt, aber Angaben über das Fehlen von Mängeln „ins Blaue hinein“ macht, obwohl er weiß, dass er insofern nicht
über die notwendigen Informationen verfügt. Um die Arglist nicht in den Bereich der bewussten Fahrlässigkeit auszudehnen, ist allerdings erforderlich, dass der Verkäufer mit dem Vorhandensein eines Mangels oder der Unrichtigkeit seiner Angaben rechnet, wie die Entscheidung des OLG Brandenburg anschaulich zeigt.
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
05/2019
ENTSCHEIDUNGDESMONATS
ZIVILRECHT
ArglistbeifehlerhaftenAngabenzum Alter
einermangelhaftenDachisolierung
238 Zivilrecht RA 05/2019
Problem: Arglist bei fehlerhaften Angaben zum Alter
einer mangelhaften Dachisolierung
Einordnung: Schuldrecht
OLG Brandenburg, Urteil vom 21.03.2019
5 U 50/18
LEITSATZ DER REDAKTION
1. Kenntnis von einem Mangel
bedeutet, dass der Verkäufer
die den Fehler begründenden
Umstände kennt, und nicht, dass
er sie auch zutreffend als Fehler
im Rechtssinn bewertet.
2. Ein Verkäufer handelt nicht arglistig
in Bezug auf einen Mangel
einer Dachisolierung, wenn er
erklärt, das Dach sei zu einem
bestimmten Zeitpunkt isoliert
worden, die Isolierung tatsächlich
aber älter als angegeben ist.
EINLEITUNG
Auf eine Vereinbarung, durch die die Rechte des Käufers wegen eines
Mangels ausgeschlossen oder beschränkt werden, kann sich der Verkäufer
gem. § 444 Alt. 1 BGB nicht berufen, soweit er den Mangel arglistig
verschwiegen hat. Arglist erfordert mindestens bedingten Vorsatz. Nach
herrschender Meinung liegt sie auch dann vor, wenn der Verkäufer zwar
das Vorhandensein des Mangels nicht kennt, aber Angaben über das Fehlen
von Mängeln „ins Blaue hinein“ macht, obwohl er weiß, dass er insofern nicht
über die notwendigen Informationen verfügt. Um die Arglist nicht in den
Bereich der bewussten Fahrlässigkeit auszudehnen, ist allerdings erforderlich,
dass der Verkäufer mit dem Vorhandensein eines Mangels oder der Unrichtigkeit
seiner Angaben rechnet, wie die Entscheidung des OLG Brandenburg
anschaulich zeigt.
SACHVERHALT
Die Beklagte (B) erwarb die 1995/1996 gebaute Doppelhaushälfte im Jahr
2011. Durch notariellen Vertrag vom 10.10.2015 veräußert sie diese an die
Klägerin (K) zum Preis von 265.000 €. Die Parteien vereinbaren in § 6 des
Vertrages einen umfassenden Gewährleistungsausschluss. Weil sich die
Räume des Obergeschosses nach der Wahrnehmung der K nicht ausreichend
beheizen lassen, beantragt sie die Durchführung eines selbstständigen
Beweisverfahrens. Der dort beauftragte Sachverständige (S) stellt fest, dass
die Dampfbremse an den Übergängen und an vielen anderen Stellen im
Obergeschoss sowie im Bereich des Spitzbodens fehlt. Dies führt zu einer
Verschlechterung der Isolierungswirkung. Die Mangelbeseitigungskosten
bemisst S mit 26.685 €. K führt an, dass B anlässlich der Vorverhandlungen
behauptet habe, ihr Ehemann A, von Beruf Bauingenieur, habe den
Spitzboden sowie das Erdgeschoss selbst ausgebaut. Diesen Umstand habe
B als Grund für die Kaufpreisbemessung herangezogen. Diesbezügliche
Ausbauunterlagen sind allerdings nicht vorhanden. Vielmehr wurden die
Dachausbauarbeiten bereits vom Voreigentümer durchgeführt. K ist daher
der Ansicht, B hätte sie dahingehend getäuscht und verlangt von ihr Zahlung
der Mangelbeseitigungskosten. Zu Recht?
PRÜFUNGSSCHEMA
A. K gegen B gem. §§ 437 Nr. 3, 280 I, III, 281 I BGB
I. Wirksamer Kaufvertrag
II. Mangel bei Gefahrübergang
III. Kein Ausschluss
B. Ergebnis
© Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG
RA 05/2019
Zivilrecht
239
LÖSUNG
A. K gegen B gem. §§ 437 Nr. 3, 280 I, III, 281 I BGB
K könnte gegen B einen Anspruch auf Zahlung der Mangelbeseitigungskosten
i.H.v. 26.685 € gem. §§ 437 Nr. 3, 280 I, III, 281 I BGB haben.
I. Wirksamer Kaufvertrag
K und B schlossen am 10.10.2015 einen wirksamen notariellen Kaufvertrag
i.S.d. §§ 433, 311b I BGB über eine Doppelhaushälfte aus dem Jahr 1995/1996.
II. Mangel bei Gefahrübergang
Das Haus müsste bei Gefahrübergang einen Sachmangel i.S.d. § 434 BGB
aufgewiesen haben.
„[25] Die Dachdämmung im Obergeschoss der verkauften Doppelhaushälfte
ist nach den Feststellungen des Sachverständigen im selbstständigen
Beweisverfahren, die sich K zu eigen gemacht hat, insoweit
mangelbehaftet, als die erforderliche Dampfsperre Fehlstellen aufweist.“
Dieser Mangel lag auch bereits bei Gefahrübergang, d.h. gem. § 446 S. 1 BGB
bei der Übergabe der Sache vor.
III. Kein Ausschluss
Die Gewährleistungsrechte dürften zudem nicht wirksam ausgeschlossen
worden sein. Die Parteien haben in § 6 des Kaufvertrages einen umfassenden
Gewährleistungsausschluss vereinbart. Gem. § 444 Alt. 1 BGB
kann sich der Verkäufer darauf jedoch nicht berufen, soweit er den Mangel
arglistig verschwiegen hat.
„[27] Arglist setzt Vorsatz voraus, wobei bedingter Vorsatz ausreicht.
Grds. handelt der Verkäufer bedingt vorsätzlich, wenn er „einen Fehler
mindestens für möglich hält, gleichzeitig weiß oder damit rechnet und
billigend in Kauf nimmt, dass der Vertragsgegner den Fehler nicht kennt
und bei Offenbarung den Vertrag nicht oder nicht mit dem vereinbarten
Inhalt geschlossen hätte“. Arglistig handelt danach grds. nicht, wer
gutgläubig unrichtige Angaben macht, mag auch der gute Glaube
auf Fahrlässigkeit oder sogar Leichtfertigkeit beruhen. Ein bewusstes
Sichverschließen wird der Kenntnis nur dann gleichgestellt, wenn
es um rechtliche Bewertungen von Tatsachen geht. Um eine solche
rechtliche Bewertung, um einen Schluss von bekannten Tatsachen auf eine
bestimmte rechtliche Einordnung, geht es bei der Frage des arglistigen
Verschweigens eines Mangels aber nicht. Entscheidend ist nur, ob der
Verkäufer die den Fehler begründenden Umstände kannte, nicht,
ob er sie auch zutreffend als Fehler im Rechtssinn bewertete. Diese
Kenntnis muss festgestellt werden und kann nicht durch wertende
Überlegungen ersetzt werden.
[28] Zur Arglist ist nicht unbedingt das Wissen erforderlich, dass die
angegebene Tatsache nicht der Wahrheit entspricht. Arglistig kann
vielmehr auch derjenige handeln, der einem anderen versichert,
eine bestimmte Kenntnis von Vorgängen oder Umständen zu haben,
diese Kenntnis aber in Wirklichkeit nicht hat. Bei einer „ins Blaue hinein“
abgegebenen objektiv unrichtigen Erklärung schließt guter Glaube die
Arglist nicht aus, wenn der Handelnde das Fehlen einer zuverlässigen
Aus Platzgründen konnte hier keine
umfassende Argumentation zu
den einzelnen Möglichkeiten eines
Mangels i.S.d. § 434 BGB vorgenommen
werden. Der Schwerpunkt
des Falles liegt aber ohnehin beim
rechtsgeschäftlichen Ausschluss
der Haftung und der Frage, ob
ein solcher hier gem. § 444 BGB
unwirksam ist.
Arglist
Der Senat stellt ausführlich die an
eine Arglist und „Aussagen ins Blaue“
zu stellenden Anforderungen dar.
Auf die Kenntnis der Umstände
kommt es an.
Angaben „ins Blaue hinein“
© Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG
240 Zivilrecht RA 05/2019
B hat in dem notariellen Kaufvertrag
keine Angaben zur Isolierung und
dem Ausbau des Dachgeschosses
getätigt. Auch kann nicht festgestellt
werden, dass B von dem
mangelhaften Zustand der Dampfsperre
gewusst hat.
Der Umstand, dass B das Alter der
Dachisolierung falsch dargestellt
hat, führt ebenfalls zu keinem
bedingten Vorsatz und Arglist.
Der Fall zeigt anschaulich, wie
schwer der Nachweis der Arglist in
der Praxis fallen kann.
Beurteilungsgrundlage nicht offenlegt Arglistig kann insbesondere
auch derjenige täuschen, der sich der ihm ohne weiteres möglichen und
zumutbaren Erkenntnis der die Täuschung begründenden Umstände
verschließt und das Fehlen derartiger Umstände blindlings vertraglich
zusichert. Dass ihm die Umstände tatsächlich nicht bekannt waren, ist
dabei unerheblich. Das arglistige Verhalten liegt hier gerade darin, dass
dem Erklärenden, was ihm auch bewusst war, jegliche zur sachgemäßen
Beantwortung erforderliche Kenntnis fehlte und er gleichwohl diesen
Umstand gegenüber dem anderen Teil verschwieg. Wer so ohne
tatsächliche Grundlage auf Fragen es Käufers falsche Angaben macht, mit
deren Unrichtigkeit er rechnet, handelt grds. bedingt vorsätzlich.
[29] Im notariellen Vertrag vom 10.10.2015 hat B zu der Isolierung und
der Gestaltung des Dachgeschossausbaus einschließlich des Ausbaus
des Spitzbodens keinerlei Erklärungen abgegeben. Bei einer grds.
gebotenen Zurückhaltung für die Annahme von Arglist kann gemessen
an den vorgenannten Voraussetzungen jedoch auch auf Grundlage der
tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts zum Gespräch Ende Februar/
Anfang März 2015 nicht festgestellt werden, dass die B damit gerechnet
und billigend in Kauf genommen hat, dass die K bei Offenbarung,
dass nicht der A, sondern der Voreigentümer die Dachisolierung im
Zuge des Hausbaus erstellt hat, den Vertrag nicht oder nicht mit dem
vereinbarten Inhalt geschlossen hätte.
[30] Dass B den tatsächlichen mangelhaften Zustand der Dampfsperre
bekannt war, kann nicht festgestellt werden.
[31] Weil - wovon auch K aufgrund des Sachverständigengutachtens ausgeht
- tatsächlich eine - wenn auch mangelhafte - Dachdämmung vorhanden
war, kann nicht festgestellt werden, die B habe Kenntnis davon, dass keine
Dachdämmung vorhanden war; dies behauptet auch die K nicht. Damit hat
nach dem Vortrag der Parteien die B - im Übrigen nicht als Antwort auf eine
von K nicht gestellte Frage - keine Angaben „ins Blaue hinein“ dahingehend
gemacht, eine Isolierung des Dachs sei vorhanden, obwohl sie mit der Unrichtigkeit
ihrer Angabe rechnete. Unrichtig war die Angabe der B nur insofern,
als die Dachisolierung als jünger ausgegeben wurde, als sie tatsächlich war.
[32] Auch wenn diese Angabe der B objektiv falsch war und die B dies
wusste, ist hierin nach den oben aufgezeigten Grundsätzen ein bedingter
Vorsatz und damit Arglist nicht zu erblicken, weil aus Sicht der B nicht
zwingend die Neuwertigkeit der Dachisolierung für die Kaufentscheidung
der K oder den Inhalt des Kaufvertrages entscheidend war, sondern allenfalls
der Umstand, ob überhaupt eine Dachisolierung vorhanden war. Eine
Aufklärungspflicht der B im Hinblick auf die Dachisolierung, von deren
Mangelhaftigkeit ihre Kenntnis nicht feststeht, bestand ohnehin nicht.
Ebenso wenig hat die K nach dem Vorhandensein oder dem Zustand der
Dachisolierung gefragt, so dass die B keine Fragen der Käufer - wie der
BGH es für die Annahme eines arglistigen Verhaltens grds. voraussetzt -
„ins Blaue hinein“ und damit bedingt vorsätzlich falsch beantwortet hat.“
B kann sich daher in Ansehung des vorbezeichneten Mangels auf den
vereinbarten Gewährleistungsausschluss berufen. Der Ausschlussgrund nach
§ 444 Alt. 1 BGB liegt nicht vor.
B. Ergebnis
K hat damit gegen B keinen Anspruch auf Zahlung der Mangelbeseitigungskosten
gem. §§ 437 Nr. 3, 280 I, III, 281 I BGB.
© Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG
Die richtige Lernhilfe für
die Examensvorbereitung
NEU: Karteikarten für das 1. Examen
ab
13,90 €
Im Frage- und Antwortsystem
aufgebaut
Länderspezifische Formalien im
Öffentlichen Recht, abgestimmt
auf Ihr Bundesland*
Erhältlich für alle Rechtsgebiete
Unser Karteikartenprogramm für Studium und Examen:
Zivilrecht
• BGB AT
• Schuldrecht AT
• Schuldrecht BT
• Bereicherungsrecht, Deliktsrecht
• Sachenrecht
Zivilrechtliche Nebengebiete
• Arbeits-, Handels- und
Gesellschaftsrecht
Strafrecht
• Strafrecht AT
• Strafrecht BT
Öffentliches Recht (bundeseinheitlich)
• Staatsorganisationsrecht, Grundrechte,
Europarecht
Öffentliches Recht (länderspezifisch)
• Verwaltungsrecht AT, Verwaltungsprozessrecht,
Staatshaftungsrecht
• Besonderes Verwaltungsrecht
(Kommunalrecht, Polizeirecht, Baurecht,
Straßenrecht)
Alle
Karteikarten
sind in unserem
Onlineshop
erhältlich
* Erhältlich für: Baden-Württemberg, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg,
Hessen, NRW, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen
verlag.jura-intensiv.de
Jetzt zur
VOLLVERSION
WISEN...,
9'91Vft\Oinl •• 'a
udierende & Refere ndare
1 T
m
JURA
11 INTENSIV
RA
05/2019
'.]• JURA
rf INTENSIV
verlag.jura-intensiv.de