gie_05_2019
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
BERUF & KARRIERE<br />
ersten Blick würden bei Anja Born vermutlich<br />
nicht wenige auf einen klassischen<br />
Bürojob tippen – irgendetwas bei<br />
Gericht, einem Steuerberater oder im öffentlichen<br />
Dienst beispielsweise. Und in<br />
diese Richtung hätte die berufliche Reise<br />
für die Abiturientin auch gehen können.<br />
Ein Studium sei für sie zunächst nicht infrage<br />
gekommen – „Bloß nicht schon wieder<br />
die Schulbank drücken“. Da sie als<br />
Schülerin in den Sommerferien stets gearbeitet<br />
oder Praktika absolviert und somit<br />
bereits in den einen oder anderen<br />
Beruf hineingeschnuppert hatte, fand sie<br />
einige Ausbildungsberufe ziemlich reizvoll.<br />
„Rechtspfleger oder Bibliothekar hätte<br />
ich mir gut vorstellen können. Und Apotheker<br />
war damals schlichtweg mein<br />
Traumberuf“, erinnert sich Born. Auch den<br />
Eignungstest zum Fluglotsen habe sie absolviert<br />
und bestanden, erzählt sie ein<br />
wenig stolz und schmunzelt gleich darauf<br />
über ihre damalige Berufsfindungsphase.<br />
Als sie jedoch in den Ferien bei den<br />
Schmiedewerken Gröditz GmbH jobbt und<br />
so die Arbeit in einem Stahlwerk kennenlernt,<br />
ist ein Bürojob endgültig abgehakt.<br />
„Dort hatte man mich damals zu den<br />
Werkstoffprüfern gesteckt – zerstörungsfreie<br />
Prüfung mittels Ultraschall und so<br />
weiter. Diese Arbeit hat mich total begeistert.“<br />
Da auch das Betriebsklima passte,<br />
absolviert die junge Frau eine dreieinhalbjährige<br />
Ausbildung zur Werkstoffprüferin.<br />
„Das war eine wirklich schöne Zeit“, sagt<br />
sie rückblickend und klingt dabei fast ein<br />
bisschen wehmütig.<br />
Guten Morgen Frau Born,<br />
guten Morgen meine Herren!<br />
Nach ihrer Ausbildung arbeitete Anja Born<br />
zunächst in der Fertigungskontrolle in einer<br />
dem Stahlwerk angeschlossenen Gießerei.<br />
Abwechslungsreich und interessant<br />
sei die Arbeit gewesen – aber nichts für<br />
zarte Gemüter. Riesige Schiffsbauteile mit<br />
entsprechend großen Bohrungen stellt die<br />
Gießerei-Rundgang<br />
mit „Folgen“: Der<br />
Walzenguss begeistert<br />
Anja Born von<br />
Anfang an. Rund ein<br />
Dutzend Walzen<br />
werden hier jede<br />
Woche gegossen.<br />
Gießerei unter anderem her. Als kleinste<br />
und zierlichste Mitarbeiterin der Fertigungskontrolle<br />
sei es dann meistens ihr<br />
Job gewesen, in die engen Bohrungen<br />
hineinzukriechen und die notwendigen<br />
Messungen vorzunehmen. Anja Born ist<br />
zäh, beißt sich durch – und doch belastet<br />
diese anstrengende Arbeit mit der Zeit<br />
zunehmend ihre Gesundheit. „Einmal bin<br />
ich tatsächlich mit dem Ultraschallprüfkopf<br />
an einem Gussteil festgefroren.“ Und<br />
so entschließt sich die Werkstoffprüferin<br />
schließlich, doch noch zu studieren. Da<br />
sie dem Gießen auf jeden Fall treu bleiben<br />
möchte, fällt ihre Wahl auf den Studiengang<br />
„Werkstofftechnolo<strong>gie</strong> mit Schwerpunkt<br />
Gießereitechnik“ an der TU Bergakademie<br />
in Freiberg. Stipendien der<br />
Hans-Böckler-Stiftung sowie des Stahlinstituts<br />
VDEh helfen, die mehr oder weniger<br />
einkommensfreie Studienphase zu überbrücken.<br />
Dass es ein Bachelor-Studiengang<br />
werden sollte, da war sich Anja Born<br />
von Anfang an sicher. „Der Vorteil lag für<br />
mich auf der Hand: eine überschaubare<br />
Regelstudienzeit, wodurch man für die Unternehmen<br />
schnell wieder verfügbar ist“.<br />
Einen „Nachteil“ hatte der Studiengang<br />
jedoch, erinnert sich Born und lacht: Sie<br />
war die einzige Frau in ihrem Semester.<br />
„Ich konnte im Gegensatz zu meinen<br />
männlichen Kollegen eigentlich nie eine<br />
Vorlesung ausfallen lassen. Denn schon<br />
bei der Begrüßung hieß es immer: Guten<br />
Morgen Frau Born, guten Morgen meine<br />
Herren.“ Obwohl Frauen in technischen<br />
Berufen definitiv auf dem Vormarsch seien,<br />
gebe es halt insbesondere in der historisch<br />
von Männern geprägten Gießereibranche<br />
immer noch weit mehr Männer<br />
als Frauen. Als Frau sei man in der Branche<br />
auch heute noch ein Stück weit ein<br />
Exot, so ihre Einschätzung. Für sie sei daher<br />
von vorneherein klar gewesen, dass<br />
sie als Frau in ihrem zukünftigen Beruf<br />
besonders gut sein muss, um sich zu behaupten<br />
und als kompetenter Gesprächspartner<br />
wahrgenommen zu werden.<br />
Nachdem sie ihren Bachelor-Abschluss<br />
als Werkstofftechnologin mit<br />
Schwerpunkt Gießereitechnik in der Tasche<br />
hatte, bewarb sie sich bei verschiedenen<br />
Gießereien in der Region. Wegzuziehen,<br />
das kam für Anja Born nie infrage.<br />
„Wenn alle von hier weggehen, was soll<br />
denn dann werden?“, sagt sie. Manch ein<br />
männlicher Gesprächspartner sei zunächst<br />
ein wenig reserviert gewesen ob<br />
einer weiblichen Gießereispezialistin, erinnert<br />
sie sich. Nicht unbedingt eine angenehme<br />
Erfahrung, gesteht sie. Aber:<br />
„Ich weiß, wovon ich rede und ich kann<br />
mich schon auch durchsetzen.“ Eine Initiativbewerbung<br />
schickt Anja Born an die<br />
Walzen<strong>gie</strong>ßerei Coswig. Doch zu diesem<br />
Zeitpunkt gibt es für die Ingenieurin dort<br />
keine passende Stelle. Born hat mittlerweile<br />
Jobzusagen einer Aluminium<strong>gie</strong>ßerei<br />
sowie einer Stahl<strong>gie</strong>ßerei – und entscheidet<br />
sich für die Stahl<strong>gie</strong>ßerei. Sie<br />
beginnt dort als Mitarbeiterin der Qualitätssicherung.<br />
Die Arbeit ist vielseitig und<br />
macht ihr Freude. Doch als kurze Zeit<br />
später dann doch noch ein Anruf aus Coswig<br />
kommt, zögert Born nicht lange und<br />
schaut sich die Gießerei an. Ihre damalige<br />
Gesprächspartnerin: Sabine Murcek,<br />
Leiterin der Arbeitsvorbereitung Walzenguss.<br />
Dort sucht man dringend Verstärkung.<br />
Nach dem Gespräch und einem<br />
Rundgang durch die Gießerei steht für<br />
beide Seiten schnell fest: Die Aufgabe<br />
passt – und was mindestens genauso<br />
wichtig ist: Die Chemie stimmt. „Ich kann<br />
das schlecht beschreiben. Aber es bestand<br />
von Anfang an eine Vertrautheit, so<br />
als wenn man sich schon ewig kennen<br />
würde“, erzählt Born. Zum Ende der Probezeit<br />
verlässt sie schließlich die Stahl<strong>gie</strong>ßerei<br />
und wechselt zur Walzen<strong>gie</strong>ßerei<br />
Coswig in die Arbeitsvorbereitung Walzenguss,<br />
wo sie bis heute arbeitet. Sabine<br />
Murcek ist bis heute ihre Vorgesetzte.<br />
Und sollte die einmal nicht da sein, so<br />
übernimmt Anja Born seit einiger Zeit ihre<br />
Aufgaben in Vertretung.<br />
Kompetenz und Tatkraft –<br />
ein unschlagbares Team<br />
Ihre männlichen Gießereikollegen mögen<br />
sie zwar in Sachen Körpergröße überragen,<br />
aber auf der Nase herumtanzen lasse<br />
sie sich deshalb noch lange nicht, betont<br />
Born. In der Gießerei merkt man<br />
schnell, dass die zierliche Ingenieurin<br />
fachlich einiges auf dem Kasten hat und<br />
weiß, wovon sie spricht. Und dass sie sich<br />
für keine Arbeit zu fein ist und nicht nur<br />
redet, sondern auch mit anpackt. Anja<br />
Born arbeitet zu Beginn in der Walzenformerei<br />
im Schichtdienst, sie reinigt die<br />
74 GIESSEREI 106 <strong>05</strong>/<strong>2019</strong>