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gie_05_2019

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BERUF & KARRIERE<br />

ersten Blick würden bei Anja Born vermutlich<br />

nicht wenige auf einen klassischen<br />

Bürojob tippen – irgendetwas bei<br />

Gericht, einem Steuerberater oder im öffentlichen<br />

Dienst beispielsweise. Und in<br />

diese Richtung hätte die berufliche Reise<br />

für die Abiturientin auch gehen können.<br />

Ein Studium sei für sie zunächst nicht infrage<br />

gekommen – „Bloß nicht schon wieder<br />

die Schulbank drücken“. Da sie als<br />

Schülerin in den Sommerferien stets gearbeitet<br />

oder Praktika absolviert und somit<br />

bereits in den einen oder anderen<br />

Beruf hineingeschnuppert hatte, fand sie<br />

einige Ausbildungsberufe ziemlich reizvoll.<br />

„Rechtspfleger oder Bibliothekar hätte<br />

ich mir gut vorstellen können. Und Apotheker<br />

war damals schlichtweg mein<br />

Traumberuf“, erinnert sich Born. Auch den<br />

Eignungstest zum Fluglotsen habe sie absolviert<br />

und bestanden, erzählt sie ein<br />

wenig stolz und schmunzelt gleich darauf<br />

über ihre damalige Berufsfindungsphase.<br />

Als sie jedoch in den Ferien bei den<br />

Schmiedewerken Gröditz GmbH jobbt und<br />

so die Arbeit in einem Stahlwerk kennenlernt,<br />

ist ein Bürojob endgültig abgehakt.<br />

„Dort hatte man mich damals zu den<br />

Werkstoffprüfern gesteckt – zerstörungsfreie<br />

Prüfung mittels Ultraschall und so<br />

weiter. Diese Arbeit hat mich total begeistert.“<br />

Da auch das Betriebsklima passte,<br />

absolviert die junge Frau eine dreieinhalbjährige<br />

Ausbildung zur Werkstoffprüferin.<br />

„Das war eine wirklich schöne Zeit“, sagt<br />

sie rückblickend und klingt dabei fast ein<br />

bisschen wehmütig.<br />

Guten Morgen Frau Born,<br />

guten Morgen meine Herren!<br />

Nach ihrer Ausbildung arbeitete Anja Born<br />

zunächst in der Fertigungskontrolle in einer<br />

dem Stahlwerk angeschlossenen Gießerei.<br />

Abwechslungsreich und interessant<br />

sei die Arbeit gewesen – aber nichts für<br />

zarte Gemüter. Riesige Schiffsbauteile mit<br />

entsprechend großen Bohrungen stellt die<br />

Gießerei-Rundgang<br />

mit „Folgen“: Der<br />

Walzenguss begeistert<br />

Anja Born von<br />

Anfang an. Rund ein<br />

Dutzend Walzen<br />

werden hier jede<br />

Woche gegossen.<br />

Gießerei unter anderem her. Als kleinste<br />

und zierlichste Mitarbeiterin der Fertigungskontrolle<br />

sei es dann meistens ihr<br />

Job gewesen, in die engen Bohrungen<br />

hineinzukriechen und die notwendigen<br />

Messungen vorzunehmen. Anja Born ist<br />

zäh, beißt sich durch – und doch belastet<br />

diese anstrengende Arbeit mit der Zeit<br />

zunehmend ihre Gesundheit. „Einmal bin<br />

ich tatsächlich mit dem Ultraschallprüfkopf<br />

an einem Gussteil festgefroren.“ Und<br />

so entschließt sich die Werkstoffprüferin<br />

schließlich, doch noch zu studieren. Da<br />

sie dem Gießen auf jeden Fall treu bleiben<br />

möchte, fällt ihre Wahl auf den Studiengang<br />

„Werkstofftechnolo<strong>gie</strong> mit Schwerpunkt<br />

Gießereitechnik“ an der TU Bergakademie<br />

in Freiberg. Stipendien der<br />

Hans-Böckler-Stiftung sowie des Stahlinstituts<br />

VDEh helfen, die mehr oder weniger<br />

einkommensfreie Studienphase zu überbrücken.<br />

Dass es ein Bachelor-Studiengang<br />

werden sollte, da war sich Anja Born<br />

von Anfang an sicher. „Der Vorteil lag für<br />

mich auf der Hand: eine überschaubare<br />

Regelstudienzeit, wodurch man für die Unternehmen<br />

schnell wieder verfügbar ist“.<br />

Einen „Nachteil“ hatte der Studiengang<br />

jedoch, erinnert sich Born und lacht: Sie<br />

war die einzige Frau in ihrem Semester.<br />

„Ich konnte im Gegensatz zu meinen<br />

männlichen Kollegen eigentlich nie eine<br />

Vorlesung ausfallen lassen. Denn schon<br />

bei der Begrüßung hieß es immer: Guten<br />

Morgen Frau Born, guten Morgen meine<br />

Herren.“ Obwohl Frauen in technischen<br />

Berufen definitiv auf dem Vormarsch seien,<br />

gebe es halt insbesondere in der historisch<br />

von Männern geprägten Gießereibranche<br />

immer noch weit mehr Männer<br />

als Frauen. Als Frau sei man in der Branche<br />

auch heute noch ein Stück weit ein<br />

Exot, so ihre Einschätzung. Für sie sei daher<br />

von vorneherein klar gewesen, dass<br />

sie als Frau in ihrem zukünftigen Beruf<br />

besonders gut sein muss, um sich zu behaupten<br />

und als kompetenter Gesprächspartner<br />

wahrgenommen zu werden.<br />

Nachdem sie ihren Bachelor-Abschluss<br />

als Werkstofftechnologin mit<br />

Schwerpunkt Gießereitechnik in der Tasche<br />

hatte, bewarb sie sich bei verschiedenen<br />

Gießereien in der Region. Wegzuziehen,<br />

das kam für Anja Born nie infrage.<br />

„Wenn alle von hier weggehen, was soll<br />

denn dann werden?“, sagt sie. Manch ein<br />

männlicher Gesprächspartner sei zunächst<br />

ein wenig reserviert gewesen ob<br />

einer weiblichen Gießereispezialistin, erinnert<br />

sie sich. Nicht unbedingt eine angenehme<br />

Erfahrung, gesteht sie. Aber:<br />

„Ich weiß, wovon ich rede und ich kann<br />

mich schon auch durchsetzen.“ Eine Initiativbewerbung<br />

schickt Anja Born an die<br />

Walzen<strong>gie</strong>ßerei Coswig. Doch zu diesem<br />

Zeitpunkt gibt es für die Ingenieurin dort<br />

keine passende Stelle. Born hat mittlerweile<br />

Jobzusagen einer Aluminium<strong>gie</strong>ßerei<br />

sowie einer Stahl<strong>gie</strong>ßerei – und entscheidet<br />

sich für die Stahl<strong>gie</strong>ßerei. Sie<br />

beginnt dort als Mitarbeiterin der Qualitätssicherung.<br />

Die Arbeit ist vielseitig und<br />

macht ihr Freude. Doch als kurze Zeit<br />

später dann doch noch ein Anruf aus Coswig<br />

kommt, zögert Born nicht lange und<br />

schaut sich die Gießerei an. Ihre damalige<br />

Gesprächspartnerin: Sabine Murcek,<br />

Leiterin der Arbeitsvorbereitung Walzenguss.<br />

Dort sucht man dringend Verstärkung.<br />

Nach dem Gespräch und einem<br />

Rundgang durch die Gießerei steht für<br />

beide Seiten schnell fest: Die Aufgabe<br />

passt – und was mindestens genauso<br />

wichtig ist: Die Chemie stimmt. „Ich kann<br />

das schlecht beschreiben. Aber es bestand<br />

von Anfang an eine Vertrautheit, so<br />

als wenn man sich schon ewig kennen<br />

würde“, erzählt Born. Zum Ende der Probezeit<br />

verlässt sie schließlich die Stahl<strong>gie</strong>ßerei<br />

und wechselt zur Walzen<strong>gie</strong>ßerei<br />

Coswig in die Arbeitsvorbereitung Walzenguss,<br />

wo sie bis heute arbeitet. Sabine<br />

Murcek ist bis heute ihre Vorgesetzte.<br />

Und sollte die einmal nicht da sein, so<br />

übernimmt Anja Born seit einiger Zeit ihre<br />

Aufgaben in Vertretung.<br />

Kompetenz und Tatkraft –<br />

ein unschlagbares Team<br />

Ihre männlichen Gießereikollegen mögen<br />

sie zwar in Sachen Körpergröße überragen,<br />

aber auf der Nase herumtanzen lasse<br />

sie sich deshalb noch lange nicht, betont<br />

Born. In der Gießerei merkt man<br />

schnell, dass die zierliche Ingenieurin<br />

fachlich einiges auf dem Kasten hat und<br />

weiß, wovon sie spricht. Und dass sie sich<br />

für keine Arbeit zu fein ist und nicht nur<br />

redet, sondern auch mit anpackt. Anja<br />

Born arbeitet zu Beginn in der Walzenformerei<br />

im Schichtdienst, sie reinigt die<br />

74 GIESSEREI 106 <strong>05</strong>/<strong>2019</strong>

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