Die Greta-Frage: Wie hältst du es mit dem Klimaschutz?

Die Jugendbewegung Fridays4Future schafft das, was diverse UN-Konferenzen zuvor nicht konnten: Die Gesellschaft für den Klimawandel, seine Folgen und Gegenmaßnahmen zu sensibilisieren. Aber wie können gute Absichten in tatsächliches Handeln übertragen werden? Darauf gibt das neue UmweltDialog-Magazin „Die Greta-Frage: Wie hältst du es mit dem Klimaschutz?“ Antworten. Die aktuelle Ausgabe zeigt außerdem, welche Schritte zu einer CO2-neutralen Wirtschaft führen und welche politischen Instrumente das unterstützen. Weniger Fleisch essen, Strom sparen oder öfter mal zu Fuß gehen: Auf den ersten Blick ist jeder bereit, seinen persönlichen CO2-Fußabdruck zu reduzieren. Aber wehe, man soll auf etwas verzichten, das einem wirklich am Herzen liegt. Wie auf Fernreisen in exotische Länder beispielsweise. Da stößt das eigene Engagement schnell an seine Grenzen. Muss sich unsere Klimakommunikation grundlegend ändern, sodass sie Menschen zum klimafreundlichen Handeln ermutigt? Soll der Staat hier eingreifen? Widerspricht das dann unserer freiheitlichen Gesellschaft? Mut für neue Wege Wie wir das Klima schützen können, wird aktuell heiß diskutiert. Dabei geben zurzeit Bürgerschaftsbewegungen wie etwa die Jugendlichen um Fridays4Future den Ton an. Viele Autoren der aktuellen Ausgabe finden diese Entwicklung positiv, reagiert doch die Politik allgemein zu langsam, um den Klimawandel zu begrenzen: „Tatsächlich ist die Welt kompliziert und Zielkonflikte allgegenwärtig. Und auch die Schülerproteste liefern bisher wenige Antworten auf soziale und ökonomische Folgen der Transformation“, so Dr. Elmer Lenzen, Herausgeber des UmweltDialog-Magazins. Das heißt aber nicht, dass dies unmöglich ist, wie die Beiträge der neuen Ausgabe zeigen: „Unternehmer, Ingenieure, Erfinder und Aktivisten haben viele tolle Ideen und Instrumente. Alleine es fehlt uns der Mut, ausgetretene Pfade zu verlassen“, so Lenzen weiter. Das ist aber notwendig, um die Klimaerwärmung auf zwei Grad zu begrenzen. Am wichtigsten wird es hier sein, unsere Stromversorgung, den Verkehr und CO2-intensive Industriezweige zu dekarbonisieren. Wie sinnvoll es ist, diese Transformation durch zusätzliche Klimaschutz-Maßnahmen wie Wettermanipulationen zu flankieren, müssen Forscher weiterhin untersuchen. Die Jugendbewegung Fridays4Future schafft das, was diverse UN-Konferenzen zuvor nicht konnten: Die Gesellschaft für den Klimawandel, seine Folgen und Gegenmaßnahmen zu sensibilisieren. Aber wie können gute Absichten in tatsächliches Handeln übertragen werden? Darauf gibt das neue UmweltDialog-Magazin „Die Greta-Frage: Wie hältst du es mit dem Klimaschutz?“ Antworten. Die aktuelle Ausgabe zeigt außerdem, welche Schritte zu einer CO2-neutralen Wirtschaft führen und welche politischen Instrumente das unterstützen.

Weniger Fleisch essen, Strom sparen oder öfter mal zu Fuß gehen: Auf den ersten Blick ist jeder bereit, seinen persönlichen CO2-Fußabdruck zu reduzieren. Aber wehe, man soll auf etwas verzichten, das einem wirklich am Herzen liegt. Wie auf Fernreisen in exotische Länder beispielsweise. Da stößt das eigene Engagement schnell an seine Grenzen. Muss sich unsere Klimakommunikation grundlegend ändern, sodass sie Menschen zum klimafreundlichen Handeln ermutigt? Soll der Staat hier eingreifen? Widerspricht das dann unserer freiheitlichen Gesellschaft?

Mut für neue Wege

Wie wir das Klima schützen können, wird aktuell heiß diskutiert. Dabei geben zurzeit Bürgerschaftsbewegungen wie etwa die Jugendlichen um Fridays4Future den Ton an. Viele Autoren der aktuellen Ausgabe finden diese Entwicklung positiv, reagiert doch die Politik allgemein zu langsam, um den Klimawandel zu begrenzen: „Tatsächlich ist die Welt kompliziert und Zielkonflikte allgegenwärtig. Und auch die Schülerproteste liefern bisher wenige Antworten auf soziale und ökonomische Folgen der Transformation“, so Dr. Elmer Lenzen, Herausgeber des UmweltDialog-Magazins.

Das heißt aber nicht, dass dies unmöglich ist, wie die Beiträge der neuen Ausgabe zeigen: „Unternehmer, Ingenieure, Erfinder und Aktivisten haben viele tolle Ideen und Instrumente. Alleine es fehlt uns der Mut, ausgetretene Pfade zu verlassen“, so Lenzen weiter. Das ist aber notwendig, um die Klimaerwärmung auf zwei Grad zu begrenzen. Am wichtigsten wird es hier sein, unsere Stromversorgung, den Verkehr und CO2-intensive Industriezweige zu dekarbonisieren. Wie sinnvoll es ist, diese Transformation durch zusätzliche Klimaschutz-Maßnahmen wie Wettermanipulationen zu flankieren, müssen Forscher weiterhin untersuchen.

15.05.2019 Aufrufe

Ausgabe 11 Mai 2019 9,00 EUR Die Greta-Frage Wie hältst du es mit dem Klimaschutz? umweltdialog.de

Ausgabe 11<br />

Mai 2019<br />

9,00 EUR<br />

<strong>Die</strong> <strong>Greta</strong>-<strong>Frage</strong><br />

<strong>Wie</strong> <strong>hältst</strong> <strong>du</strong> <strong>es</strong> <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> <strong>Klimaschutz</strong>?<br />

umweltdialog.de


Studie<br />

Elektrisch beginnt. Jetzt mehr erfahren: volkswagen.de/ID


Klimawandel<br />

Liebe L<strong>es</strong>erinnen<br />

und L<strong>es</strong>er,<br />

manchmal sind <strong>es</strong> nicht die großen<br />

Dinge, die Veränderung bewirken,<br />

sondern eher kleine Schritte. <strong>Die</strong> Weltgemeinschaft<br />

hat sich bisher schon 24<br />

mal zu internationalen Klimakonferenzen<br />

(sogenannten Conference of<br />

the Parti<strong>es</strong>, COP) getroffen. Das Ergebnis?<br />

Sagen wir: Durchwachsen. Und<br />

dann gibt <strong>es</strong> die neue Jugendbewegung<br />

Fridays4Future. Das Ergebnis?<br />

Immerhin gelingt <strong>es</strong> den Kids, das<br />

Thema Klimawandel für eine längere<br />

Zeit in die öffentliche Diskussion zu<br />

bringen. Das ist – zynisch g<strong>es</strong>agt –<br />

mehr, als UN-Konferenzen schaffen.<br />

in spät<strong>es</strong>tens zehn Jahren der Point of<br />

no Return erreicht und die Welt verloren<br />

sein.“<br />

Tatsächlich ist die Welt komplizierter<br />

und Zielkonflikte allgegenwärtig. Und<br />

auch die Schülerprot<strong>es</strong>te liefern bisher<br />

wenige Antworten auf soziale und<br />

ökonomische Folgen der Transformation.<br />

Das heißt aber nicht, dass di<strong>es</strong><br />

nicht möglich ist. Im Gegenteil: Unternehmer,<br />

Ingenieure, Erfinder und<br />

Aktivisten haben viele tolle Ideen und<br />

Instrumente. Alleine <strong>es</strong> fehlt uns der<br />

Mut, ausgetreten Pfade zu verlassen.<br />

<strong>Die</strong> Schülerprot<strong>es</strong>te sind in mehrfacher<br />

Hinsicht spannend. Zum einen<br />

meldet sich hier eine neue Stakeholder-Gruppe<br />

zu Wort. <strong>Die</strong> Welt<br />

für nachfolgende Generationen zu<br />

bewahren, ist zwar schon seit <strong>dem</strong><br />

Brundtland-Report der 80er Jahre gelernter<br />

Konsens. Aber wir betreiben<br />

das "enkeltauglich" – also so, dass wir<br />

Erwachsenen Stimme und Mandat für<br />

di<strong>es</strong>e nicht Stimmberechtigen ausüben.<br />

Betreuung und Macht liegen in<br />

unseren Händen. Bei den Teenagern<br />

ist das ganz anders. <strong>Die</strong> Generation<br />

<strong>Greta</strong> will und kann selbst entscheiden.<br />

Das stellt Machtfragen.<br />

Zugleich sind auch die Freitags-<br />

Demonstrationen Pro<strong>du</strong>kte unserer<br />

Zeit: „Eine G<strong>es</strong>ellschaft, die <strong>mit</strong> ihrer<br />

eigenen Komplexität nicht klar<br />

kommt, sehnt sich nach einfachen<br />

Lösungen“, schreibt Hendryk Broder.<br />

„Kohlekraftwerke vom Netz nehmen,<br />

Autofahren verbieten, keine Kinder in<br />

die Welt setzen und Haustiere auswildern<br />

– dann wird die Welt wieder gen<strong>es</strong>en.<br />

Ansonsten“, sagt <strong>Greta</strong>, „wird<br />

Im aktuellen Themenheft von Umwelt-<br />

Dialog widmen wir uns d<strong>es</strong>halb ausführlich<br />

<strong>dem</strong> Thema Klimawandel.<br />

Dabei gehen wir drei Kernfragen nach:<br />

1. <strong>Wie</strong> bringen wir Wissen und Wollen<br />

zusammen?<br />

2. <strong>Wie</strong> kann Deutschland CO 2<br />

-arm<br />

werden, ohne dass wir dafür unsere<br />

Wirtschaft, unseren Wohlstand und<br />

unsere Jobs aufgeben?<br />

3. Was haben wir für politische Rahmenbedingungen<br />

und vor allem für<br />

Instrumente? Was taugen sie? Und<br />

wozu?<br />

Viel Spaß beim L<strong>es</strong>en wünscht im<br />

Namen der g<strong>es</strong>amten Redaktion Ihr<br />

Dr. Elmer Lenzen<br />

Chefredakteur<br />

Das nächste<br />

UmweltDialog-Magazin<br />

erscheint am 15.11.2019.


6<br />

Der Klimawandel hat uns<br />

f<strong>es</strong>t im Griff – und jetzt?<br />

Inhalt<br />

„Appelle an klimafreundlich<strong>es</strong> Verhalten<br />

greifen zu kurz“ ...................................................................22<br />

Auf große Reden folgen k(l)eine Taten – wir brauchen<br />

eine neue Art von Klima-Kommunikation. Auch die<br />

Politik ist dabei gefragt.<br />

Klimaskepsis: Fake News über „Fake“ News ...............26<br />

Der Mensch ist nicht schuld an der globalen Erwärmung<br />

und die Erde eine Scheibe: Woher die Skeptiker kommen<br />

und was sie so sagen.<br />

AUF ZU GROSSEM FUSS –<br />

WAS JEDER EINZELNE TUT<br />

„Es macht einen Unterschied, ob man <strong>mit</strong> 50 oder<br />

100 km/h gegen die Wand fährt!“ ..................................... 6<br />

<strong>Die</strong> Politik unternehme zu wenig, um den aktuellen Klimawandel<br />

zu bekämpfen. Das sagt Dr. Tobias Bayr vom<br />

GEOMAR in Kiel. Hoffnung machen ihm aber die Jugendlichen,<br />

die jetzt für das Klima auf die Straßen gehen.<br />

Auf (zu) großem Fuß .......................................................... 12<br />

Jeder von uns hinterlässt einen CO 2<br />

-Fußabdruck.<br />

Nur in welcher Größe?<br />

<strong>Klimaschutz</strong>? Ja bitte! ....................................................... 14<br />

Null Bock auf Engagement? Politikverdrossenheit?<br />

Von wegen: Gerade Jugendliche <strong>dem</strong>onstrieren wieder.<br />

Für die Umwelt und eine b<strong>es</strong>sere Klimapolitik.<br />

„Es ist ein Gewerkschafts-Märchen zu glauben,<br />

<strong>es</strong> gehe nur um einige Wohlhabende" ............................ 18<br />

Weniger Fleisch und gegen Vielfliegerei: Manche fühlen<br />

sich bevormundet, wenn Politiker Konsumverzicht für<br />

den <strong>Klimaschutz</strong> fordern. Aber der liberale Staat hat die<br />

Aufgabe, auch die Freiheit von Schwächeren zu<br />

schützen, die Opfer d<strong>es</strong> Klimawandels werden.<br />

Welcher Klimatyp sind Sie? ..............................................20<br />

Vielfahrer, Fleisch<strong>es</strong>ser oder Stromsparer:<br />

<strong>Wie</strong> klimafreundlich ist Ihr Alltag?<br />

EINE CO 2 -ARME WIRTSCHAFT:<br />

WIE GEHT DAS?<br />

Deutschland CO 2<br />

-neutral bis 2050:<br />

So kann <strong>es</strong> klappen ............................................................32<br />

Substitution, Energieeffizienz oder Suffizienz: Es gibt<br />

unterschiedliche Wege, CO 2<br />

-Emissionen zu re<strong>du</strong>zieren<br />

oder zu vermeiden. <strong>Die</strong> Dekarbonisierung wichtiger<br />

Branchen ist dabei entscheidend, um die Klimaziele von<br />

Paris zu erreichen.<br />

Smart trifft Power: Das neue Energi<strong>es</strong>ystem<br />

für die Stadt .........................................................................38<br />

<strong>Wie</strong> kann die urbane Energieversorgung nachhaltig<br />

g<strong>es</strong>taltet werden? Antwort gibt E.ON <strong>mit</strong> einer innovativen<br />

Technologie, die den Energiebedarf in der Stadt<br />

erheblich senkt.<br />

Baustelle Energiewende: Neue Bauleiter g<strong>es</strong>ucht!.......40<br />

<strong>Die</strong> Energiewende in Deutschland droht zu scheitern –<br />

was nun?<br />

Weniger Stromtrassen gut für die Volkswirtschaft?....44<br />

Strom muss nicht nur erzeugt, sondern auch transportiert<br />

werden. Das aktuelle Stromhandelssystem ist in<br />

Deutschland nicht b<strong>es</strong>onders effizient. Aber <strong>es</strong> geht auch<br />

anders.<br />

Wer das Klima retten will, benötigt auch Rohstoffe ....46<br />

Ohne Rohstoffe kein Ökostrom. Wird das zum Problem?


Klimawandel<br />

So senken Unternehmen ihren CO 2<br />

-Ausstoß ...............48<br />

Betrieblich<strong>es</strong> Klimamanagement wird beim <strong>Klimaschutz</strong><br />

immer wichtiger. <strong>Wie</strong> lässt sich das im Unternehmen<br />

umsetzen?<br />

„Porsche Impact“: <strong>Klimaschutz</strong> <strong>mit</strong> Kleingeld .............54<br />

Autos verursachen bekanntlich viele Emissionen.<br />

Porsche kompensiert jetzt den CO 2<br />

-Ausstoß seiner<br />

Fuhrpark-Flotte. Und bietet das auch seinen Kunden an.<br />

Der lange Weg Richtung Null Emissionen .....................58<br />

KYOCERA macht seine Drucker CO 2<br />

-neutral.<br />

Emissionen, die unvermeidbar sind, werden<br />

kompensiert. Davon profitieren auch Mensch und<br />

Umwelt in Afrika.<br />

14<br />

Von wegen Politikverdrossenheit:<br />

Junge Menschen kämpfen<br />

für ihre Zukunft.<br />

POLITIK UND INSTRUMENTE<br />

Klimawandel: Macht ein halb<strong>es</strong> Grad wirklich einen<br />

Unterschied? .......................................................................60<br />

Weltklimakonferenz: schlecht geredet oder<br />

schlecht gemacht? .............................................................62<br />

Es kommt Bewegung in die Klima-Politik. Was wurde<br />

b<strong>es</strong>chlossen, wie soll <strong>es</strong> weitergehen und ist das wirklich<br />

ausreichend?<br />

Im Bund<strong>es</strong>kabinett stimmt nicht nur<br />

das Betriebsklima nicht ....................................................66<br />

CO 2<br />

-Neutralität in Deutschland bis 2050 – so der Plan.<br />

<strong>Wie</strong> das gelingen soll? Darüber scheiden sich in Berlin<br />

die Geister.<br />

32<br />

CO 2<br />

-neutral bis 2050?<br />

Ohne Dekarbonisierung wird<br />

das nicht klappen.<br />

Priorität für Wachstum oder <strong>Klimaschutz</strong>? ...................68<br />

Wirtschaftswachstum und <strong>Klimaschutz</strong> – das geht nicht,<br />

sagt Prof. Dr. Angelika Zahrnt. <strong>Die</strong> Lösung: Eine<br />

Postwachstumsg<strong>es</strong>ellschaft.<br />

Klimapolitik per Zertifikatekauf? ..................................... 72<br />

Emissionshandel ist ein Instrument zur Re<strong>du</strong>zierung<br />

von Treibhausgasen. Das bringt Probleme <strong>mit</strong> sich,<br />

bietet aber auch Chancen.<br />

Geo-Engineering: Hilft jetzt nur noch<br />

Klima-Klempnern? ............................................................. 76<br />

Terraforming als Retter in der Not?<br />

Was Geo-Engineering kann – und was nicht.<br />

Glossar ..................................................................................80<br />

CO 2<br />

-Budget, Endenergie und Negative Emissionen –<br />

ein Überblick über die wichtigsten Begriffe zum<br />

Klima(wandel).<br />

76<br />

Geo-Engineering: Können wir uns<br />

<strong>du</strong>rch gezielte Klimamanipulationen<br />

vor der Katastrophe schützen?


„<br />

Klimawandel<br />

Es macht einen Unterschied,<br />

ob man <strong>mit</strong> 50 oder 100 km / h<br />

gegen die Wand fährt!<br />

Foto: NASA<br />

Von Sonja Scheferling<br />

Globale Erwärmung, Kippelemente<br />

und <strong>Klimaschutz</strong>: Wer wissen will,<br />

wie <strong>es</strong> um unser Klima b<strong>es</strong>tellt ist,<br />

kann Dr. Tobias Bayr vom GEOMAR<br />

in Kiel fragen. Der Meteorologe bewertet<br />

die aktuelle Klimapolitik eher<br />

kritisch, ist aber davon überzeugt,<br />

dass bürgerschaftlich<strong>es</strong> Engagement<br />

die Verantwortlichen zum Umdenken<br />

zwingt. Im UmweltDialog-Interview<br />

gibt er einen Überblick rund um die<br />

Debatte.<br />

Herr Dr. Bayr, die Weltwetterorganisation sagt, dass 2015<br />

bis 2018 die vier wärmsten Jahre seit Beginn der Aufzeichnungen<br />

waren. Hat uns der Klimawandel schon f<strong>es</strong>t im<br />

Griff?<br />

Ja, das kann man auf jeden Fall sagen. Der Klimawandel<br />

passiert nicht mehr in ferner Zukunft, sondern wir befinden<br />

uns bereits <strong>mit</strong>tendrin. Das zeigen viele Beobachtungen,<br />

wie beispielsweise die Zunahme an Extremniederschlägen<br />

oder auch die extreme Trockenperiode im vergangenen<br />

Jahr in Deutschland und Nordeuropa.<br />

<strong>Die</strong> Begriffe „Klimawandel“ und „Globale Erwärmung“<br />

werden gerne synonym verwendet. Ist das korrekt?<br />

Nein, eigentlich müssten wir hier differenzieren. „Klimawandel“<br />

b<strong>es</strong>agt zunächst, dass sich das Klima wandelt. Das<br />

bezieht sich auch auf natürliche Klimaschwankungen in<br />

6 Ausgabe 11 | Mai 2019 | Umweltdialog.de


Klimawandel<br />

Bis maximal 2 Grad im Vergleich<br />

zur vorin<strong>du</strong>striellen Zeit darf sich<br />

die Erde bis 2050 erwärmen, um die<br />

schlimmsten Folgen d<strong>es</strong> Klimawandels<br />

zu vermeiden. B<strong>es</strong>ser wären<br />

1,5 Grad. Was passiert, wenn <strong>es</strong> beispielsweise<br />

3 oder 4 Grad würden?<br />

der Vergangenheit. Der Begriff wird<br />

nun <strong>mit</strong> der aktuellen globalen Klimaerwärmung<br />

gleichg<strong>es</strong>etzt, die menschengemacht<br />

ist.<br />

Für di<strong>es</strong>e Erwärmung sind die Treibhausgase<br />

verantwortlich, die wir<br />

<strong>du</strong>rch Energie, In<strong>du</strong>strie, Verkehr<br />

und Lebens<strong>mit</strong>telkonsum zusätzlich<br />

freisetzen, richtig?<br />

Genau. Um das zu verstehen, muss<br />

man zwischen <strong>dem</strong> natürlichen und<br />

<strong>dem</strong> anthropogenen Treibhauseffekt<br />

unterscheiden. Den natürlichen Treibhauseffekt<br />

gibt <strong>es</strong>, seit die Erde eine<br />

Atmosphäre hat, und b<strong>es</strong>chreibt die<br />

Erderwärmung <strong>du</strong>rch Wasserdampf,<br />

CO 2<br />

und andere Treibhausgase in<br />

der Atmosphäre, die eine Wärmerückstrahlung<br />

von der Erdoberfläche<br />

in den Weltraum verhindern. Ohne<br />

di<strong>es</strong>en Effekt wäre unsere Erde im<br />

globalen Durchschnitt minus 18 Grad<br />

kalt – ein Leben wäre hier kaum möglich.<br />

Durch zusätzliche Treibhausgase,<br />

die wir Menschen <strong>du</strong>rch unser Handeln<br />

e<strong>mit</strong>tieren, verstärken wir den<br />

Treibhauseffekt, sodass sich die Erde<br />

weiter erwärmt. Man kann das Ganze<br />

<strong>mit</strong> einem Auto vergleichen, das im<br />

Sommer in der prallen Sonne steht.<br />

<strong>Die</strong> Sonnenstrahlen dringen <strong>du</strong>rch<br />

die Glasscheiben ins Innere d<strong>es</strong> Fahrzeugs,<br />

die Wärmeenergie wird zurückgehalten,<br />

kann nicht entweichen<br />

und das Auto heizt sich immer weiter<br />

auf.<br />

Auch hier vielleicht ein anschaulich<strong>es</strong><br />

Exempel: Es macht schon einen Unterschied,<br />

ob man <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> Auto <strong>mit</strong> 50<br />

Stundenkilometer gegen eine Wand<br />

fährt, oder <strong>mit</strong> 100 km/h. Je mehr sich<br />

also die Erde erwärmt, d<strong>es</strong>to gravierender<br />

sind die Auswirkungen. Denn<br />

eine warme Atmosphäre kann mehr<br />

Wasserdampf aufnehmen als eine kältere.<br />

Der Wasserdampf treibt wiederum<br />

viele Wetterphänomene wie Tiefdruckgebiete,<br />

tropische Wirbelstürme<br />

oder Gewitter an. Und je mehr „Treibstoff“<br />

in der Atmosphäre ist, d<strong>es</strong>to<br />

mehr Kraft entwickeln di<strong>es</strong>e Phänomene.<br />

Außer<strong>dem</strong> führt ein Anstieg<br />

d<strong>es</strong> Wasserdampf<strong>es</strong> auch zu häufigeren<br />

und intensiveren Extremniederschlägen,<br />

wie wir das in Deutschland<br />

in den letzten Jahren erlebt haben.<br />

Darüber hinaus können die sogenannten<br />

Kippelemente in unserem<br />

Klimasystem ab einer b<strong>es</strong>timmten<br />

Temperatur instabil werden und<br />

Veränderungen anstoßen, die unter<br />

Umständen nicht mehr rückgängig<br />

gemacht werden können und da<strong>mit</strong><br />

gravierende Auswirkungen auf uns<br />

haben. Zu di<strong>es</strong>en Kippelementen gehören<br />

zum Beispiel die Eispanzer<br />

in Grönland und der Antarktis, die<br />

schmelzen, oder auch die tropischen<br />

Korallenriffe, die absterben. >><br />

Ausgabe 11 | Mai 2019 | Umweltdialog.de<br />

7


Klimawandel<br />

Dr. Tobias<br />

„<br />

Bayr ist Meteorologe und arbeitet<br />

in der Klimaforschung am GEOMAR Kiel.<br />

Kattowitz war<br />

für mich leider<br />

nur ein kleiner<br />

„Trippelschritt“<br />

in die richtige<br />

Richtung.<br />

Foto: GEOMAR Helmholtz Centre for Ocean R<strong>es</strong>earch Kiel / Jan Steffen<br />

Ist <strong>es</strong> für den Menschen denn wirklich<br />

so schlimm, wenn wir beispielsweise<br />

keine Korallenriffe mehr haben?<br />

Ja, natürlich. Korallenriffe gehören zu<br />

den artenreichsten Regionen unser<strong>es</strong><br />

Planeten, sterben sie, nimmt die Biodiversität<br />

im Ozean dramatisch ab. Wir<br />

wissen ziemlich genau, dass Korallen<br />

bereits eine Erwärmung von 2°C nicht<br />

überleben würden. Außer<strong>dem</strong> vertragen<br />

sie als kalkbildende Organismen<br />

kein saur<strong>es</strong> Wasser. Durch den Anstieg<br />

an CO 2<br />

in unserer Atmosphäre nehmen<br />

gleichzeitig die Ozeane mehr Kohlendioxid<br />

auf. Dort löst <strong>es</strong> sich als Kohlensäure<br />

und versauert das Wasser.<br />

Gibt <strong>es</strong> denn Elemente, die bereits<br />

umgekippt sind?<br />

Da ist sich die Wissenschaft nicht<br />

ganz sicher. Wir haben die Befürchtung,<br />

dass etwa das w<strong>es</strong>tantarktische<br />

Eisschild bereits instabil geworden<br />

ist. Eventuell hat sich auch schon der<br />

Jetstream verändert. Letzt<strong>es</strong> Jahr hat<br />

di<strong>es</strong>er entscheidend dazu beigetragen,<br />

dass sich das Hochdruckgebiet<br />

über Skandinavien so lange halten<br />

konnte und wir den warmen, trockenen<br />

Sommer hatten.<br />

Es gibt aber immer noch Menschen,<br />

die bezweifeln, dass der aktuelle<br />

Klimawandel menschengemacht ist.<br />

Was halten Sie dagegen?<br />

In der Wissenschaft gibt <strong>es</strong> keinerlei<br />

Zweifel, dass wir Menschen die<br />

Hauptursache für die aktuelle Klimaerwärmung<br />

sind. 97 Prozent der<br />

Wissenschaftler sind sich da einig.<br />

Wenn man sagte, <strong>mit</strong> 97-prozentiger<br />

Wahrscheinlichkeit ist <strong>es</strong> gefährlich,<br />

über di<strong>es</strong>e Straße zu gehen, würden<br />

wir vermutlich von einer Straßenüberquerung<br />

absehen, unabhängig davon,<br />

welche Meinung die r<strong>es</strong>tlichen drei<br />

Prozent vertreten.<br />

<strong>Die</strong> erwärmende Wirkung von CO 2<br />

und anderen Treibhausgasen können<br />

wir sowohl molekular erklären als<br />

auch in ganz einfachen Laborexperimenten<br />

nachweisen. Vergangene<br />

Klimaschwankungen sind in ganz anderen<br />

Zeitskalen abgelaufen. <strong>Die</strong> Erde<br />

erwärmte sich damals innerhalb von<br />

mehreren tausend Jahren um 1 Grad.<br />

Das, was wir im Moment sehen, passiert<br />

so schnell und ist einmalig in der<br />

Erdg<strong>es</strong>chichte.<br />

<strong>Wie</strong>so gibt <strong>es</strong> denn dann überhaupt<br />

noch Klimaskeptiker?<br />

Der Grund, warum <strong>es</strong> nach wie vor<br />

Menschen gibt, die die menschengemachte<br />

Klimaerwärmung leugnen<br />

oder anzweifeln, ist meiner Meinung<br />

nach, dass das Ursache-<br />

Wirkungs-Prinzip nicht so einfach<br />

nachvollziehbar ist. Denn die Auswirkungen<br />

d<strong>es</strong> Klimawandels sind leider<br />

zeit- und ortsversetzt und nicht un<strong>mit</strong>telbar<br />

<strong>du</strong>rch unsere Sinne erfahrbar.<br />

Man braucht hier also etwas Abstraktionsvermögen,<br />

um das zu verstehen.<br />

Anders ist das <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> Plastikmüll:<br />

Hier gibt <strong>es</strong> keine Skeptiker, dass wir<br />

ein Problem haben, da wir <strong>mit</strong> unse-<br />

8 Ausgabe 11 | Mai 2019 | Umweltdialog.de


Klimawandel<br />

ren eigenen Augen sehen können, wie etwa Kunststoffabfälle<br />

Strände verschmutzen.<br />

Meine Erfahrung ist leider, dass ein paar Menschen für<br />

Argumente und Fakten nicht zugänglich sind. Sie in einer<br />

Diskussion vom Gegenteil zu überzeugen, ist vergebene<br />

Mühe. Ich denke aber trotz<strong>dem</strong>, dass das vergangene Jahr<br />

viele Menschen hierzulande wachgerüttelt hat. Außer<strong>dem</strong><br />

macht mir die aktuelle Fridays for Future-Bewegung große<br />

Hoffnung, weil sich die Jugendlichen dezidiert für mehr<br />

<strong>Klimaschutz</strong> stark machen und mehr Einsatz von der Politik<br />

fordern. <strong>Die</strong>s<strong>es</strong> Engagement der Schüler unterstütze ich<br />

voll und ganz.<br />

Da<strong>mit</strong> wir die Klimaziele von Paris einhalten können,<br />

müssen die weltweiten Treibhausgase nächst<strong>es</strong> Jahr ihren<br />

Höhepunkt erreicht haben und danach alle zehn Jahre um<br />

die Hälfte sinken. Jetzt hat Deutschland aber beispielsweise<br />

schon seine Klimaziele für 2020, die CO 2<br />

-Emissionen<br />

um 40 Prozent gegenüber 1990 zu re<strong>du</strong>zieren, verfehlt.<br />

Dann gibt <strong>es</strong> noch b<strong>es</strong>timmte Staatschefs wie Trump oder<br />

Bolsonaro, denen ist das Klima gleich ganz egal. Was<br />

macht Sie dennoch optimistisch, dass die globale Staatengemeinschaft<br />

die Klimaziele von Paris erfüllen wird? Und<br />

inwiefern tragen die Ergebnisse von Kattowitz dazu bei?<br />

Kattowitz war für mich leider nur ein kleiner „Trippelschritt“<br />

in die richtige Richtung. <strong>Die</strong> Einigung über die genaue<br />

Erfassung der CO 2<br />

-Emissionen und die da<strong>mit</strong> verbundene<br />

Transparenz sind zwar ein Fortschritt, aber insg<strong>es</strong>amt<br />

sind die Ergebnisse nicht ambitioniert genug, um da<strong>mit</strong><br />

den Klimawandel in den Griff zu bekommen. Auch bedeuten<br />

natürlich Politiker wie Trump und<br />

Bolsonaro einen großen Rückschritt<br />

für den internationalen Klimaproz<strong>es</strong>s.<br />

effizienz, CO 2<br />

-Abschnei<strong>du</strong>ng- und Speicherung (CCS) und<br />

Suffizienz im Privatkonsum. Welche Potenziale bieten die<br />

unterschiedlichen Felder, um CO 2<br />

einzusparen?<br />

In meinen Augen braucht <strong>es</strong> einen g<strong>es</strong>unden Mix aus den<br />

unterschiedlichen Bereichen. Wir stehen vor einer ri<strong>es</strong>engroßen<br />

Transformation. Dennoch können wir nicht<br />

von jetzt auf gleich auf Kohle, Öl und Gas verzichten. <strong>Wie</strong><br />

würde unsere G<strong>es</strong>ellschaft dann wohl aussehen? <strong>Die</strong> Politik<br />

benötigt einen Plan, wie wir Stück für Stück kohl<strong>es</strong>toffhaltige<br />

Energieträger und Proz<strong>es</strong>se ersetzen können,<br />

ohne dass unsere G<strong>es</strong>ellschaft zusammenbricht. In di<strong>es</strong>em<br />

Zusammenhang müssen wir noch mehr erforschen, wie<br />

wir etwa Dekarbonisierung, also die Abkehr der Nutzung<br />

kohlenstoffhaltiger Energieträger, technisch bewerkstelligen<br />

können. Allerdings dürfen wir nicht allzu lange warten<br />

und müssen einfach mal <strong>mit</strong> der Umsetzung von Maßnahmen<br />

beginnen, weil uns sonst die Zeit davonläuft. Denn <strong>mit</strong><br />

je<strong>dem</strong> Jahr, in <strong>dem</strong> wir weiter so wirtschaften wie bisher,<br />

wird <strong>es</strong> schwieriger, das 2-Grad Ziel einzuhalten. Wichtig<br />

ist, dass wir uns dabei auch eine gewisse Fehlertoleranz<br />

erlauben und experimentierfreudiger werden. Manchmal<br />

hilft <strong>es</strong> auch, Proz<strong>es</strong>se erst mal im Kleinen zu erproben, um<br />

ihre Wirkung zu analysieren.<br />

CSS kann aus <strong>Klimaschutz</strong>perspektive sinnvoll sein, wobei<br />

das Problem der CO 2<br />

-Lagerung nicht hinreichend gelöst<br />

„<br />

ist. Solar Radiation Management, das ebenfalls zum Geo-<br />

Engineering gehört, sehe ich hingegen sehr kritisch. Dabei<br />

handelt <strong>es</strong> sich um einen Eingriff in unser Klimasystem,<br />

bei <strong>dem</strong> wir nicht alle Auswirkungen abschätzen können.<br />

Außer<strong>dem</strong> gehört das für mich eher in die Kategorie >><br />

Hoffnung macht mir auch hier eher<br />

das bürgerschaftliche Engagement<br />

von unten, das sich für mehr <strong>Klimaschutz</strong><br />

stark macht. Ich bin davon<br />

überzeugt, dass je mehr Druck von<br />

den Bürgern auf das politische System<br />

ausgeübt wird, d<strong>es</strong>to eher die Politik<br />

bereit ist zu handeln. Denn die bisherigen<br />

Bemühungen reichen nicht aus.<br />

Beim <strong>Klimaschutz</strong> gibt <strong>es</strong> unterschiedliche<br />

Bereiche. Dazu gehören Dekarbonisierung,<br />

Substitution, Energie-<br />

Ich bin davon überzeugt, dass je<br />

mehr Druck von den Bürgern auf<br />

das politische System ausgeübt<br />

wird, d<strong>es</strong>to eher die Politik bereit<br />

ist zu handeln.<br />

Ausgabe 11 | Mai 2019 | Umweltdialog.de<br />

9


Klimawandel<br />

der Symptombekämpfung, ohne an die Ursachen d<strong>es</strong> Klimaproblems<br />

zu gehen.<br />

Beim <strong>Klimaschutz</strong> spielt natürlich Suffizienz auch eine<br />

wichtige Rolle. Brauchen wir wirklich so viele materielle<br />

Sachen für unser Glück? Auch sollten wir mehr in Kreisläufen<br />

arbeiten, sodass keine unnötigen Abfälle entstehen.<br />

Beim <strong>Klimaschutz</strong> geht <strong>es</strong> nicht nur darum, CO 2<br />

zu vermeiden,<br />

sondern ganzheitlich nachhaltig zu denken.<br />

Gaskraftwerke oder effiziente Verbrennungsmotoren<br />

re<strong>du</strong>zieren zwar das CO 2<br />

-Aufkommen. Aufgrund von sogenannten<br />

Pfadabhängigkeiten konterkarieren sie aber eine<br />

kohlenstoffneutrale G<strong>es</strong>ellschaft. Warum?<br />

Ein neu<strong>es</strong> Gaskraftwerk beispielweise wird über viele Jahre<br />

laufen. Da<strong>mit</strong> inv<strong>es</strong>tieren wir weiterhin in eine Kohlenstofftechnologie.<br />

Aber <strong>es</strong> ist dennoch sinnvoller, als ein<br />

neu<strong>es</strong> Kohlekraftwerk zu errichten. Gerade Gaskraftwerke<br />

sind wichtig, um sie als Übergangstechnologie zu nutzen,<br />

solange Erneuerbare Energien noch nicht ausreichend g<strong>es</strong>peichert<br />

werden können. Da Gaskraftwerke schnell zu regulieren<br />

sind, können sie so Energi<strong>es</strong>pitzen ausgleichen.<br />

Und trotz<strong>dem</strong> ist <strong>es</strong> wichtig, einen langfristigen Plan zu haben,<br />

wie unsere G<strong>es</strong>ellschaft CO 2<br />

-neutral g<strong>es</strong>taltet werden<br />

kann.<br />

Dafür ist die Energiewende eine Grundvoraussetzung.<br />

Laut einer neuen Studie d<strong>es</strong> Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung<br />

(DIW) reicht der aktuell g<strong>es</strong>etzlich vorg<strong>es</strong>ehene<br />

Ausbau d<strong>es</strong> Ökostroms nicht aus, um seinen<br />

Anteil am Deutschen Strommix auf die von der Kohlekommission<br />

geforderten 65 Prozent zu steigern. Was läuft<br />

falsch?<br />

Eine Zeit lang war die Bund<strong>es</strong>republik das Pionierland für<br />

Erneuerbare Energien und hat den Begriff der Energiewende<br />

geformt. In den letzten Jahren hat die Bund<strong>es</strong>regierung<br />

dann leider ihr Engagement zurückgefahren und die Energiewende<br />

nicht konsequent genug verfolgt. D<strong>es</strong>wegen geht<br />

<strong>es</strong> in di<strong>es</strong>em Sektor nicht mehr so schnell voran, wie <strong>es</strong> für<br />

das Klima gut wäre.<br />

„<br />

Beim <strong>Klimaschutz</strong> geht<br />

<strong>es</strong> nicht nur darum, CO 2<br />

zu vermeiden, sondern<br />

ganzheitlich nachhaltig<br />

zu denken.<br />

Zur Dekarbonisierung gehört auch ein kohlenstoffarmer<br />

Verkehr. Momentan scheinen hier E-Autos immer beliebter<br />

zu werden. Nur machen die ohne Ökostrom keinen<br />

Sinn, und sie lösen nicht das Problem d<strong>es</strong> steigenden<br />

PKW-Aufkommens in den Städten. <strong>Wie</strong> sieht Ihre ideale<br />

Verkehrswende aus?<br />

Für mich braucht <strong>es</strong> da vor allem ein Umdenken. Gerade in<br />

Städten muss nicht jeder ein Auto b<strong>es</strong>itzen. Hier gilt <strong>es</strong>, den<br />

öffentlichen Nahverkehr und Fahrradstraßen auszubauen.<br />

10 Ausgabe 11 | Mai 2019 | Umweltdialog.de


Klimawandel<br />

Foto: UN Photo / Eskinder Debebe<br />

<strong>Wie</strong> das funktioniert, zeigt Kopenhagen.<br />

Ein Paradebeispiel für Fahrradfreundlichkeit.<br />

Außer<strong>dem</strong> können die<br />

Kommunen da<strong>du</strong>rch Kosten re<strong>du</strong>zieren,<br />

weil Fahrradstraßen beim Bau<br />

billiger als Autostraßen sind. <strong>Die</strong> g<strong>es</strong>undheitlichen<br />

Vorteile <strong>du</strong>rch mehr<br />

Bewegung für die Menschen sind<br />

natürlich auch nicht von der Hand zu<br />

weisen.<br />

D<strong>es</strong> Weiteren muss der Verkehr so geregelt<br />

werden, dass Hauptrouten <strong>mit</strong><br />

der Bahn zu bewerkstelligen sind. Ich<br />

beispielweise b<strong>es</strong>itze auch kein Auto<br />

und lege längere Strecken grundsätzliche<br />

<strong>mit</strong> <strong>dem</strong> Zug zurück. Falls nötig,<br />

nutze ich dann für die letzten Kilometer<br />

Car-Sharing-Angebote, sollte<br />

<strong>es</strong> keine Busse oder Straßenbahnen<br />

geben.<br />

Der Mobilitätsforscher Prof. Andreas<br />

Knie schlägt vor, dass jeder ein f<strong>es</strong>t<strong>es</strong><br />

Budget an Flügen hat, die am Markt<br />

verkäuflich sind. Wer weitere Flüge<br />

benötigt, muss sie von anderen kaufen,<br />

die noch Flüge frei haben. Eine<br />

gute Idee gegen Vielfliegerei?<br />

Das widerspricht den Prinzipien unserer<br />

sozialen Marktwirtschaft und hört<br />

sich für mich ein bisschen nach Planwirtschaft<br />

an. Ich würde das beispielweise<br />

eher über eine CO 2<br />

-Steuer und<br />

weitere Abgaben regeln. Natürlich<br />

muss man dabei darauf achten, dass<br />

das Ganze sozialverträglich g<strong>es</strong>taltet<br />

wird. Es kann nicht sein, dass künftig<br />

nur Reiche fliegen können.<br />

Für mich ist <strong>es</strong> wichtig, dass Preise generell<br />

die verdeckten Kosten der Umweltzerstörung<br />

berücksichtigen, die<br />

die Herstellung von Pro<strong>du</strong>kten oder<br />

das Benutzen von <strong>Die</strong>nstleistungen<br />

verursachen.<br />

Aber ist <strong>es</strong> nicht paradox, dass Menschen<br />

aus religiösen Gründen freiwillig<br />

auf Süß<strong>es</strong>, Alkohol oder Fleisch<br />

verzichten, aber sobald <strong>es</strong> darum<br />

geht, aus <strong>Klimaschutz</strong>gründen kein<br />

Steak mehr zu <strong>es</strong>sen oder nicht zu<br />

fliegen, schnell von „Ökodiktatur“<br />

g<strong>es</strong>prochen wird?<br />

Freiheit ist ein sehr hoh<strong>es</strong> Gut unserer<br />

G<strong>es</strong>ellschaft, das unangetastet bleiben<br />

muss. Gewohnheiten wie Fleisch <strong>es</strong>sen<br />

oder fliegen gehören ind<strong>es</strong>sen zu<br />

unserer Alltagskultur. Da finde ich<br />

<strong>es</strong> sehr schwierig, <strong>mit</strong> Verboten zu<br />

arbeiten. Über höhere Preise hingegen<br />

kann man den Menschen b<strong>es</strong>ser<br />

verdeutlichen, dass ihr Handeln klimaschädlich<br />

ist. Das bedeutet aber<br />

auch, dass <strong>es</strong> innerhalb unser<strong>es</strong> Wirtschaftssystems<br />

ein Umdenken geben<br />

muss. Beispielsweise hat ein unangetastet<strong>es</strong><br />

Naturschutzgebiet, aus <strong>dem</strong><br />

kein Holz gewonnen oder das nicht zu<br />

Ackerfläche umgewandelt wird, keinen<br />

eigenen wirtschaftlichen Wert.<br />

Der Nutzen, den <strong>es</strong> für die Menschen<br />

hat, weil <strong>es</strong> die Artenvielfalt erhält<br />

und CO 2<br />

aufnimmt, muss künftig berücksichtigt<br />

werden.<br />

Herr Dr. Bayr, vielen Dank für das<br />

G<strong>es</strong>präch! f<br />

Ausgabe 11 | Mai 2019 | Umweltdialog.de<br />

11


Klimawandel<br />

Auf (zu) großem Fuß<br />

<strong>Die</strong> Zahlen sprechen für sich und gegen uns – wir leben über unsere Verhältnisse. Insb<strong>es</strong>ondere<br />

in Bezug auf den CO 2<br />

-Ausstoß. Aber wie hoch liegen die Emissionen eigentlich pro Person<br />

im Jahr? Und wo können wir als Endverbraucher etwas einsparen? UmweltDialog gibt Auskunft<br />

über die wichtigsten Daten und Fakten für Deutschland.<br />

Hinweis: Der Einfachheit halber beinhalten die Angaben „CO 2<br />

“ hier auch die CO 2<br />

-Äquivalente (CO 2<br />

-e).<br />

Um die gleichen Emissionen wie ein<br />

Langstreckenflug<br />

auszustoßen, müsste man etwa<br />

100.000 km<br />

Auto fahren.<br />

Für die Pro<strong>du</strong>ktion von<br />

einem Kilo Butter werden fast<br />

24 kg CO 2<br />

ausg<strong>es</strong>toßen.<br />

Ungefähr 12,5 t CO 2<br />

pro<strong>du</strong>ziert jeder von uns<br />

im Schnitt jährlich.<br />

Ungefähr 36 %<br />

der CO 2<br />

-Emissionen<br />

ein<strong>es</strong> Durchschnittsdeutschen<br />

entstehen <strong>du</strong>rch den<br />

Konsum.<br />

Um den<br />

weltweiten Konsum<br />

der Menschheit zu befriedigen,<br />

verbrauchen wir heute rund<br />

1,7 Erden.<br />

Quellen: Utopia, Ökot<strong>es</strong>t, Umweltbund<strong>es</strong>amt,<br />

Albert-Schweitzer-Stiftung, NABU<br />

Beim Heizen entstehen ungefähr<br />

1,3 t CO 2<br />

.<br />

Um den Treibhauseffekt nicht zu verstärken,<br />

dürften wir maximal<br />

2 t CO 2<br />

pro Kopf im Jahr<br />

verbrauchen.<br />

12 Ausgabe 11 | Mai 2019 | Umweltdialog.de


Klimawandel<br />

Der indirekte CO 2<br />

-Vebrauch <strong>du</strong>rch<br />

Benzinherstellung, Erhalt der Infrastruktur,<br />

Strompro<strong>du</strong>ktion usw. liegt bei knapp<br />

4,3 t CO 2<br />

pro Kopf.<br />

Im Bereich<br />

Mobilität fallen ca.<br />

2 t CO 2<br />

an.<br />

Knapp 1/5 der<br />

Treibhausgas-<br />

Emissionen<br />

in Deutschland entfallen auf<br />

die Lebens<strong>mit</strong>telin<strong>du</strong>strie.<br />

Rindfleisch ist <strong>mit</strong> etwa<br />

13,3 kg CO 2<br />

pro Kilo die<br />

schädlichste Fleischsorte. Dafür könnte man<br />

<strong>du</strong>rchschnittlich ca. 100 km <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> Auto fahren.<br />

Wer seine CO 2<br />

-Emissionen von Flugreisen, Autofahrten<br />

und Co. einfach kompensieren möchte, kann das etwa über<br />

die Stiftung myclimate oder atmosfair machen.<br />

CO 2<br />

-e: <strong>Die</strong> Klimaschädlichkeit von Methan, Lachgas und Co.<br />

<strong>Die</strong> persönliche CO 2<br />

-Bilanz lässt sich online ganz einfach<br />

über den CO 2<br />

-Rechner d<strong>es</strong> Umweltbund<strong>es</strong>amts berechnen.<br />

Kohlenstoffdioxid (CO 2<br />

) ist nicht das einzige Treibhausgas, das schädlich für das Klima ist. Um die Klimawirkung<br />

verschiedener Gase und Substanzen vergleichen zu können, wurde die Einheit CO 2<br />

-Äquivalente (CO 2<br />

-e) eingeführt. CO 2<br />

dient dabei als Vergleichswert. So<strong>mit</strong> kann die Treibhauswirkung ein<strong>es</strong> Gas<strong>es</strong>, wie zum Beispiel Methan oder Lachgas,<br />

angegeben werden. Zum Vergleich: Eine Tonne Methan (CH4) entspricht 28 Tonnen CO 2<br />

(1 t CH4 = 28 t CO 2<br />

-e).<br />

Quelle: myclimate<br />

Bild: Creativemarc / stock.adobe.com<br />

Ausgabe 11 | Mai 2019 | Umweltdialog.de<br />

13


Klimawandel<br />

KLIMASCHUTZ?<br />

JA BIT T E!<br />

JA B<br />

Untätig die Hände in den<br />

Schoß legen – das war<br />

vielleicht einmal. Ob Prot<strong>es</strong>te<br />

gegen den Klimawandel,<br />

den voranschreitenden<br />

Braunkohleabbau oder der<br />

direkte Dialog <strong>mit</strong> der Politik:<br />

In letzter Zeit machen sich<br />

immer mehr Bürger in<br />

unserem Land für die Umwelt<br />

und <strong>Klimaschutz</strong> stark –<br />

und finden Gehör.<br />

Der „Hambi“ bleibt?<br />

<strong>Die</strong> G<strong>es</strong>chehnisse im Hambacher Forst<br />

sorgten im September und Oktober<br />

2018 für Schlagzeilen. Seit vielen Jahren<br />

prot<strong>es</strong>tierten Umweltaktivisten im<br />

„Hambi“ gegen seine geplante Abholzung<br />

<strong>du</strong>rch den Energiekonzern RWE.<br />

<strong>Die</strong>ser argumentiert laut <strong>dem</strong> SPIE-<br />

GEL: <strong>Die</strong> Abholzung d<strong>es</strong> Waldstücks<br />

sei unvermeidbar, um die Strompro<strong>du</strong>ktion<br />

in den Braunkohlewerken zu<br />

sichern. Seit 2012 hielten die Aktivisten<br />

den Wald b<strong>es</strong>etzt, lebten in Baumhäusern,<br />

um die Abholzung zu verhindern.<br />

Im September 2018 schritt die<br />

NRW-Land<strong>es</strong>regierung ein und ließ<br />

<strong>mit</strong>hilfe von Polizei und Baubehörden<br />

den Wald räumen, da<strong>mit</strong> RWE <strong>mit</strong> der<br />

weiteren Ro<strong>du</strong>ng d<strong>es</strong> Wald<strong>es</strong> beginnen<br />

kann. <strong>Die</strong> Räumung erfolgte nicht<br />

ohne Probleme: 144 Personen wurden<br />

f<strong>es</strong>tgenommen, 27 Polizisten und ein<br />

Dutzend Aktivisten verletzt, berichtete<br />

SPIEGEL-Autor Lukas Eberle. Ein<br />

Tod<strong>es</strong>fall überschattete die Ausschreitungen.<br />

Ein Journalist verstarb nach<br />

einem Sturz von einer Hängebrücke,<br />

als er den Einsatz filmen wollte.<br />

Doch eine <strong>Frage</strong> blieb: Musste die<br />

(teils gewaltsame) Räumung sein?<br />

Denn: Das Oberverwaltungsgericht<br />

Münster verbot Anfang Oktober vorerst<br />

die weitere Ro<strong>du</strong>ng d<strong>es</strong> Wald<strong>es</strong><br />

<strong>du</strong>rch RWE für mind<strong>es</strong>tens ein Jahr,<br />

berichtete der SPIEGEL. Der Konzern<br />

habe nach Einschätzung d<strong>es</strong> Gerichts<br />

die Notwendigkeit für die Versorgungssicherheit<br />

nicht ausreichend<br />

begründet. Trotz<strong>dem</strong> wurde der Forst<br />

geräumt. In der G<strong>es</strong>ellschaft machte<br />

sich Unmut breit: Warum sollen noch<br />

mehr Bäume für Braunkohle gefällt<br />

werden? Innerhalb kurzer Zeit trafen<br />

sich an den Wochenenden immer<br />

mehr Menschen, um gegen die Ro<strong>du</strong>ng<br />

zu prot<strong>es</strong>tieren. Mehrere Tausend Demonstranten,<br />

darunter Lehrerinnen<br />

und Postboten, hielten Transparente<br />

gegen RWE und den Braunkohleabbau<br />

in die Luft. „<strong>Die</strong> Baumhäuser sind<br />

14 Ausgabe 11 | Mai 2019 | Umweltdialog.de


Klimawandel<br />

der Schweiz bereits seit zehn Jahren<br />

die sogenannte „Lenkungsabgabe“,<br />

die über die dortigen Krankenkassen<br />

erfolgt. „Auch Kanada hat zum Jahr<strong>es</strong>beginn<br />

2019 in allen Provinzen einen<br />

CO 2<br />

-Preis eingeführt“, berichtet Delker<br />

gegenüber <strong>dem</strong> Portal. „Mit einer<br />

solchen Gebühr für die Nutzung ein<strong>es</strong><br />

Gemeinguts wird <strong>Klimaschutz</strong> viel<br />

einfacher.“ Derzeit hat die Initiative<br />

rund 50 Mitglieder, will aber in Zukunft<br />

weiter wachsen. Dafür plant der<br />

Verein eine Reihe kostenfreier Workshops<br />

in mehreren deutschen Städten.<br />

Foto: MoBIoS / shutterstock.com<br />

geräumt und zerstört, der Prot<strong>es</strong>t aber<br />

ist geblieben und hat sich g<strong>es</strong>teigert“,<br />

so Lukas Eberle im SPIEGEL. Auch<br />

in 2019 geriet die Zukunft d<strong>es</strong> Hambacher<br />

Forsts in den Fokus der Öffentlichkeit.<br />

<strong>Wie</strong> die Rheinische Post<br />

berichtete, zog der BUND vor Gericht<br />

<strong>mit</strong> der Absicht, ein Ro<strong>du</strong>ngsverbot<br />

bis Ende 2020 <strong>du</strong>rchzusetzen. Sein<br />

Argument: Seltene Tierarten müssten<br />

g<strong>es</strong>chützt werden. Mitte März 2019<br />

wi<strong>es</strong> das Verwaltungsgericht Köln die<br />

Klagen ab. <strong>Die</strong> Begrün<strong>du</strong>ng d<strong>es</strong> vorsitzenden<br />

Richters Holger Maurer: Es<br />

gebe keine rechtliche Verpflichtung,<br />

den Braunkohletagebau zu stoppen.<br />

Bürgerlobby führt direkten Dialog<br />

Bürger b<strong>es</strong>uchen Bund<strong>es</strong>tagsabgeordnete<br />

und sprechen offen <strong>mit</strong> ihnen<br />

über ihre Wünsche und Vorstellungen?<br />

Was ungewöhnlich klingt, ist<br />

der Ansatz der „Bürgerlobby <strong>Klimaschutz</strong>“.<br />

<strong>Die</strong> Mitglieder der Initiative<br />

fordern eine ambitioniertere Klima-<br />

Foto: Christopher Ludwig / shutterstock.com<br />

politik. Doch anstatt an Prot<strong>es</strong>taktionen<br />

oder Unterschriftensammlungen<br />

teilzunehmen, setzen die Bürger auf<br />

den direkten Dialog. Sie gehen ins<br />

Parlament und sprechen persönlich<br />

<strong>mit</strong> den Abgeordneten.<br />

Martin Delker ist Vorsitzender d<strong>es</strong><br />

Vereins. Der Architekt <strong>mit</strong> <strong>dem</strong><br />

Schwerpunkt Passivhausplanung<br />

erklärt gegenüber der Plattform<br />

klimafakten.de: „Viele Menschen<br />

trauen sich nicht oder glauben nicht<br />

daran, dass G<strong>es</strong>präche <strong>mit</strong> Politikern<br />

etwas bringen. Um so beeindruckter<br />

sind die Abgeordneten, wenn Bürger<br />

doch den Mut finden, <strong>mit</strong> ihnen zu<br />

reden.“ In ihren G<strong>es</strong>prächen machen<br />

die Klimalobbyisten klar, dass der<br />

Klimawandel ein wichtig<strong>es</strong> Thema<br />

sein muss – b<strong>es</strong>onders für die Politik.<br />

Kernforderung der Aktivisten ist eine<br />

Bepreisung von CO 2<br />

. Der Ausstoß der<br />

Emissionen soll laut der Bürgerlobby<br />

in Zukunft Geld kosten und so ein ökonomischer<br />

Anreiz entstehen, weniger<br />

Öl, Kohle und Gas zu verbrauchen.<br />

<strong>Die</strong>ser „CO 2<br />

-Preis <strong>mit</strong> Klimadividende“<br />

soll dabei kontinuierlich steigen<br />

und anschließend wieder an alle Bürger<br />

zu gleichen Teilen ausgezahlt werden.<br />

Was utopisch klingt, ist in anderen<br />

Ländern schon Wirklichkeit. <strong>Wie</strong><br />

klimafakten.de berichtet, gibt <strong>es</strong> in<br />

Klimabewegung „Fridays for<br />

Future“<br />

„Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr<br />

uns die Zukunft klaut“ – <strong>mit</strong> Sprüchen<br />

wie di<strong>es</strong>em in Köln <strong>dem</strong>onstrieren<br />

Schülerinnen und Schüler<br />

jeden Freitag in ganz Deutschland<br />

für einen b<strong>es</strong>seren <strong>Klimaschutz</strong>. <strong>Die</strong><br />

16-Jährige Schwedin <strong>Greta</strong> Thunberg<br />

machte <strong>es</strong> vor – inzwischen streiken<br />

Schüler weltweit, anstatt freitags zur<br />

Schule zu gehen. Hierzulande sorgen<br />

die Demonstrationen während<br />

der Unterrichtszeit laut SPIEGEL für<br />

heftige Diskussionen. Viele fragen<br />

sich: Dürfen Kinder und Jugendliche<br />

die Schule schwänzen, um <strong>dem</strong>onstrieren<br />

zu gehen? Laut einer Umfrage<br />

d<strong>es</strong> Instituts Civey im Auftrag d<strong>es</strong><br />

SPIEGEL unterstützen 51 Prozent der<br />

befragten Internetnutzer die Prot<strong>es</strong>taktionen.<br />

Gegenwind erhalten die Prot<strong>es</strong>tler aus<br />

der Politik. FDP-Chef Christian Lindner<br />

kritisierte im März 2019 die Prot<strong>es</strong>taktionen<br />

und sprach den Schülern<br />

beim Thema Klima ausreichend<strong>es</strong><br />

Wissen ab, so die Rheinische Post.<br />

Das sei, laut Lindner, „eine Sache<br />

für Profis.“ Bil<strong>du</strong>ngsministerin Anja<br />

Karliczek erklärte, sie lehne Schülerstreiks<br />

während der Unterrichtszeit<br />

ab, Bund<strong>es</strong>wirtschaftsminister Peter<br />

Altmaier forderte die Schüler auf, ihre<br />

<strong>Klimaschutz</strong>-Prot<strong>es</strong>te in die Freizeit<br />

zu verlegen. Zuspruch erhält die junge<br />

Generation von Bund<strong>es</strong>kanzlerin<br />

Angela Merkel, die laut RP die >><br />

Ausgabe 11 | Mai 2019 | Umweltdialog.de<br />

15


Klimawandel<br />

Foto: Rolf G Wackenberg / shutterstock.com<br />

ista bringt <strong>Klimaschutz</strong> ins Klassenzimmer<br />

Der Energiedienstleister ista engagiert sich <strong>mit</strong> seiner Initiative „ista macht<br />

Schule“ seit 2017 bund<strong>es</strong>weit für mehr <strong>Klimaschutz</strong> und einen transparenten<br />

Energieverbrauch an Schulen. Dabei hilft die Initiative jungen Menschen,<br />

ihren Beitrag zum <strong>Klimaschutz</strong> zu leisten und unterstützt sie bei der<br />

Umsetzung ihrer Ideen. Das Unternehmen stattete dafür in 2017 mehrere<br />

Essener Schulen <strong>mit</strong> Technologie zum M<strong>es</strong>sen von Energieverbräuchen<br />

aus und zeigte den Schülern in Workshops, wie sie Energie sparen können.<br />

Ein Highlight d<strong>es</strong> Projekts war die KlimaKiste. <strong>Die</strong>se wurde von Schülern<br />

konzipiert und <strong>mit</strong> M<strong>es</strong>sgeräten und Lernmaterialien<br />

befüllt. Innerhalb kürz<strong>es</strong>ter<br />

Zeit waren alle 100 Exemplare für<br />

Schulen r<strong>es</strong>erviert. Anfang d<strong>es</strong> Jahr<strong>es</strong><br />

initiierte „ista macht Schule“ sogar einen<br />

Crowdfunding-Wettbewerb, den Klima-<br />

Helden-Cont<strong>es</strong>t. Das Ziel dabei: Überzeugende<br />

<strong>Klimaschutz</strong>projekte in Schulen<br />

finden, fördern und finanzieren. Insg<strong>es</strong>amt<br />

qualifizierten sich 25 nachhaltige Schulprojekte<br />

aus ganz Deutschland für den<br />

Wettbewerb. <strong>Die</strong> Gewinner wurden im<br />

Mai gekürt und erhielten Preisgelder zur<br />

Förderung ihrer Projekte.<br />

Bild: ista<br />

Foto: Von Liv Oeian / shutterstock.com<br />

Demonstrationen als „sehr gute Initiative“<br />

bezeichnete. Auch die Wissenschaft<br />

steht hinter den Schülern. Berichten<br />

von n-tv zufolge unterstützen<br />

mehr als 12.000 Wissenschaftler in einer<br />

gemeinsamen Stellungnahme die<br />

Klimabewegung. Volker Quaschning<br />

von der Hochschule für Technik und<br />

Wirtschaft Berlin bringt <strong>es</strong> gegenüber<br />

n-tv auf den Punkt: „Wir sind die Profis<br />

und sagen: <strong>Die</strong> junge Generation<br />

hat Recht.“<br />

Fakt ist: Jugendliche in Deutschland<br />

sind derzeit so politisch inter<strong>es</strong>siert,<br />

wie selten zuvor. Das Thema,<br />

das sie am meisten inter<strong>es</strong>siere und<br />

umtreibe, sei seit langem der Umweltschutz,<br />

meint Jugendforscher<br />

Klaus Hurrelmann gegenüber der<br />

Deutschen Welle. „<strong>Die</strong> Jugendlichen<br />

spüren intuitiv: ‚Das sind unsere<br />

existenziellen natürlichen Grundlagen,<br />

die möchten wir nicht in Gefahr<br />

sehen‘. Und wir erwarten auch, dass<br />

das Inter<strong>es</strong>se der jungen Leute bei unseren<br />

kommenden Befragungen noch<br />

einmal g<strong>es</strong>tiegen sein wird.“<br />

<strong>Die</strong> Zahlen von Umweltverbänden<br />

belegen das gewachsene Umweltbewusstsein<br />

der Jugend. Der BUND verzeichnete<br />

laut der Deutschen Welle<br />

den höchsten Mitgliederzuwachs bei<br />

Menschen unter 27 Jahren und auch<br />

der WWF spricht von bund<strong>es</strong>weit<br />

rund 12.000 aktiven Jugendlichen. f<br />

16 Ausgabe 11 | Mai 2019 | Umweltdialog.de


Sind wir noch<br />

zu retten?<br />

Klimawandel<br />

ist das philosophische<br />

Wirtschaftsmagazin<br />

» Interdisziplinär<br />

und verständlich,<br />

dazu von hohem<br />

Anspruch. «<br />

SWR2<br />

» <strong>Die</strong> Zeitschrift trägt lässig<br />

Hemd, hat den Sakko aber<br />

immer in Griffweite. <strong>Die</strong> Neug<strong>es</strong>taltung<br />

d<strong>es</strong> Wirtschaftssystems<br />

geht das Magazin<br />

<strong>mit</strong> einer Mischung aus Pragmatismus,<br />

Idealismus und<br />

Mut an. «<br />

versandkostenfrei<br />

b<strong>es</strong>tellen<br />

engagée Magazin<br />

» Schnittstelle zwischen Wirtschaft und Philosophie – die<br />

Zeitschrift agora42 informiert aus verschiedenen Perspektiven.<br />

Und auch weil man die Themenhefte immer wieder<br />

<strong>mit</strong> Gewinn l<strong>es</strong>en kann, sind sie eigentlich Bücher. «<br />

DRADIO<br />

T<strong>es</strong>ten Sie die agora42 im Probeabo* für 20 EUR. Oder b<strong>es</strong>tellen Sie die aktuelle Aus-<br />

gabe zum Thema NATUR UND WIRTSCHAFT versandkostenfrei unter www.agora42.de<br />

Ausgabe * Das 11 | Mai Probeabo 2019 | Umweltdialog.de<br />

b<strong>es</strong>teht aus zwei Ausgaben der agora42. Zusätzlich bekommen Sie die Ausgabe EINFACH LEBEN gratis dazu.<br />

17


Klimawandel<br />

Foto: Кирилл Рыжов / stock.adobe.com<br />

„Es ist ein<br />

Gewerkschafts-Märchen<br />

zu glauben, <strong>es</strong> gehe nur um<br />

einige Wohlhabende“<br />

Der liberale Staat habe die Aufgabe, die Freiheit der Schwächeren zu schützen. Das gelte auch<br />

für die Opfer d<strong>es</strong> Klimawandels. Das sagt Prof. Dr. Dr. Felix Ekardt, Gründer und Leiter der<br />

Forschungsstelle Nachhaltigkeit und Klimapolitik. Gegen die „unzureichende“ deutsche<br />

Klimapolitik hat der Jurist, Philosoph und Soziologe gemeinsam <strong>mit</strong> anderen Mitstreitern eine<br />

Klage beim Bund<strong>es</strong>verfassungsgericht eingereicht.<br />

„Hetzjagd gegen Autofahrer“ lautete<br />

einer der Vorwürfe der „Gelbw<strong>es</strong>ten“<br />

in Frankreich gegen die Erhöhung<br />

der Steuern auf <strong>Die</strong>sel und Benzin.<br />

In Deutschland sorgte 2013 der Vorschlag<br />

von Bündnis 90/die Grünen,<br />

einen fleischlosen Tag in Kantinen<br />

einzuführen, für eine heftige Debatte.<br />

Warum wird strenger Umwelt- und<br />

<strong>Klimaschutz</strong> zu einem Minenfeld für<br />

Politiker?<br />

Faktenwissen und Werthaltungen<br />

beeinflussen unsere Verhaltensmotive<br />

nur begrenzt. Auch Eigennutzenkalküle<br />

wirken in uns, ebenso<br />

wie diverse Emotionen wie Bequemlichkeit,<br />

Gewohnheit, Verdrängung<br />

oder die Schwierigkeit, mir Klimatote<br />

vorzustellen, wenn ich gerade in den<br />

Flieger zu meiner Traum-D<strong>es</strong>tination<br />

steige. Zumal stecken wir alle in<br />

den Normalitätsvorstellungen einer<br />

fossil getriebenen Welt f<strong>es</strong>t, zu der<br />

eben auch Flugreisen gehören. Meine<br />

Facebook-Freunde waren schließlich<br />

auch alle schon in Südostasien, und<br />

meine Kollegen im Büro doch auch.<br />

B<strong>es</strong>onders beliebt ist, von sich selbst<br />

<strong>du</strong>rch Hinweis auf Sündenböcke abzulenken.<br />

Politiker, Manager, die<br />

<strong>du</strong>mmen anderen Verbraucher, andere<br />

Fernreisende, die Chin<strong>es</strong>en. Weil<br />

Politiker und Bürger wie auch Unternehmer<br />

und Konsumenten wechselseitig<br />

voneinander abhängen, wäre <strong>es</strong><br />

jedoch ein Henne-Ei-Spiel zu fragen,<br />

wer den Wandel voranbringen muss.<br />

Ein radikaler fossiler Ausstieg <strong>du</strong>rch<br />

eine Mengenbegrenzung von null auf<br />

EU-Ebene wird nur im Wechselspiel<br />

der Akteure <strong>du</strong>rchg<strong>es</strong>etzt werden<br />

können.<br />

Keine Bevormun<strong>du</strong>ng <strong>du</strong>rch den<br />

Staat ist ein Argument von Bürgern,<br />

die sich etwa das Fleisch<strong>es</strong>sen nicht<br />

verbieten lassen wollen. Sie selbst<br />

vertreten eine andere Position und sehen<br />

das vielmehr als Schutz unserer<br />

Freiheit an. <strong>Wie</strong> das?<br />

Viele fragen auch: Ist <strong>es</strong> nicht einfach<br />

meine Sache, wo ich meinen Urlaub<br />

verbringe? Doch der liberale Staat hat<br />

gerade die Aufgabe, die Freiheit d<strong>es</strong><br />

Schwächeren vor der d<strong>es</strong> Stärkeren<br />

zu schützen. Will er zum Beispiel Klimaschäden<br />

<strong>du</strong>rch Fliegen oder hohen<br />

Fleischkonsum verringern, schützt er<br />

nicht die Verursacher vor sich selbst,<br />

sondern sämtliche Mitmenschen –<br />

und das ist gerade der Sinn liberaler<br />

Demokratie. Bevormundend wäre <strong>es</strong>,<br />

jemanden vor sich selbst zu schützen.<br />

Geht man gegen die Flugbegeisterung<br />

vor, schützt man dagegen schlicht die<br />

Opfer d<strong>es</strong> Klimawandels. Zum Beispiel<br />

Bauern in Banglad<strong>es</strong>ch oder Zentralafrika,<br />

die wegen zunehmender Dürren<br />

oder wegen d<strong>es</strong> steigenden Meer<strong>es</strong>spiegels<br />

existenziell bedroht werden.<br />

Effiziente Hausgeräte oder energi<strong>es</strong>parende<br />

Heizungen sind gut fürs<br />

Klima, aber schlecht für den Geldbeutel.<br />

Ist <strong>Klimaschutz</strong> nur was für<br />

B<strong>es</strong>serverdiener?<br />

Volkswirtschaftlich ist <strong>Klimaschutz</strong><br />

bei weitem billiger als der Klimawandel.<br />

<strong>Die</strong> fossilen Brennstoffe sind nicht<br />

nur wegen d<strong>es</strong> Klimawandels teuer,<br />

sondern auch, weil sie massive Kosten<br />

im G<strong>es</strong>undheitssystem auslösen,<br />

die Biodiversität schädigen, Stickstoffkreisläufe<br />

und da<strong>mit</strong> Gewässer<br />

und Böden schädigen. Auch betriebswirtschaftlich,<br />

also beim Einzelnen,<br />

ist <strong>Klimaschutz</strong> oft <strong>mit</strong>telfristig billiger.<br />

Das schließt auch ein, aus Anlass<br />

d<strong>es</strong> Klimawandels einig<strong>es</strong> als unnötig<br />

zu erkennen. Ich selbst verdiene sehr<br />

gut, bin sehr b<strong>es</strong>chäftigt und lebe<br />

b<strong>es</strong>tens ohne Führerschein, ohne Urlaubsflüge,<br />

auch sonst fast ohne Flü-<br />

18 Ausgabe 11 | Mai 2019 | Umweltdialog.de


WWW.SMARTCITYSOLUTIONS.EU<br />

Klimawandel<br />

ge, fast ohne tierische Nahrungs<strong>mit</strong>tel, ohne Handy, ohne<br />

Mikrowelle, ohne große Wohnung.<br />

Caritas-Vorständin Eva Welskop-Deffaa hat in einem<br />

SZ-Interview g<strong>es</strong>agt, dass eine soziale Umverteilungspolitik,<br />

die die g<strong>es</strong>ellschaftliche Mitte stärke, gleichzeitig helfe,<br />

ökologische Ziele zu erreichen. Unter anderem hat sie<br />

das da<strong>mit</strong> begründet, dass das Leben vieler Reicher nicht<br />

<strong>mit</strong> den ökologischen Grenzen vereinbar sei, da der Verbrauch<br />

von Energie exponentiell <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> Reichtum steige.<br />

Was ist Ihre Meinung?<br />

Nullemissionen pro Kopf in maximal zwei Dekaden sind<br />

für alle Menschen in Deutschland eine sehr große Herausforderung.<br />

Es ist ein Gewerkschafts-Märchen zu glauben,<br />

<strong>es</strong> gehe nur um einige Wohlhabende. Selbst unsere<br />

Hartz-IV-Empfänger gehören – kaufkraftbereinigt – weltweit<br />

zu den rund 15 Prozent der Wohlhabendsten.<br />

Sie sagen außer<strong>dem</strong>, dass das Verfehlen von Klimazielen<br />

völker- und menschenrechtswidrig ist. Bitte erklären Sie<br />

das.<br />

Artikel 2 d<strong>es</strong> rechtsverbindlichen Pariser Klima-Abkommens<br />

schreibt vor, die globale Erwärmung gegenüber vorin<strong>du</strong>striellem<br />

Niveau auf deutlich unter 2 und möglichst<br />

sogar 1,5 Grad zu begrenzen. Dafür benötigt man letztlich<br />

in allen Sektoren weltweit in ein, zwei Jahrzehnten Nullemissionen.<br />

Der Weltklimarat, der IPCC, sagt drei Jahrzehnte,<br />

aber nur, weil er die 1,5 Grad nur <strong>mit</strong> 50 Prozent<br />

Wahrscheinlichkeit einhalten will – was rechtlich unzulässig<br />

ist. Hinter <strong>dem</strong> Paris-Abkommen stehen außer<strong>dem</strong><br />

auch die Menschenrechte. Zwar können die elementaren<br />

Freiheitsvoraussetzungen Leben, G<strong>es</strong>undheit und Existenzminimum,<br />

die <strong>du</strong>rch den Klimawandel bedroht sind, <strong>du</strong>rchaus<br />

<strong>mit</strong> der Freiheit der Konsumenten und Unternehmen<br />

abgewogen werden. Unzulässig ist jedoch ein Abwägen,<br />

das die physischen Grundlagen künftigen <strong>dem</strong>okratischen<br />

Abwägens als solche gefährdet. Und genau das tun wir <strong>mit</strong><br />

unserer aktuellen Klimapolitik. D<strong>es</strong>halb habe ich <strong>mit</strong> anderen<br />

kürzlich eine Klage vor das Bund<strong>es</strong>verfassungsgericht<br />

gebracht – gegen die völlig unzureichende deutsche und<br />

<strong>mit</strong>telbar auch europäische Klimapolitik.<br />

part of<br />

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STUTTGART<br />

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ENERGIE UND UMWELT<br />

SICHERHEIT UND RESILIENZ<br />

OPEN DATA UND DATENMANAGEMENT<br />

STADT- UND RAUMPLANUNG<br />

Umweltfreundliche Energi<strong>es</strong>ysteme erfordern große Mengen<br />

an Rohstoffen, die zumeist aus Minen in Entwicklungsländern<br />

stammen. Dort sind Menschenrechtsverletzungen<br />

und Verstöße gegen Umweltauflagen immer noch<br />

an der Tag<strong>es</strong>ordnung. Was muss passieren, da<strong>mit</strong> der <strong>Klimaschutz</strong><br />

nicht auf Kosten der Menschen dort geht?<br />

Genau die gleichen Probleme b<strong>es</strong>tehen auch, wenn sie auf<br />

die Rohstoffe d<strong>es</strong> alten Energi<strong>es</strong>ystems setzen. Unabhängig<br />

davon gilt: Mehr Genügsamkeit, also eine geringere Energienachfrage,<br />

re<strong>du</strong>ziert alle denkbaren Zielkonflikte. f<br />

Ausgabe 11 | Mai 2019 | Umweltdialog.de<br />

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19


Klimawandel<br />

Welcher<br />

Klimatyp<br />

sind Sie?<br />

Täglich <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> Auto zur<br />

Arbeit, den Fernseher<br />

immer auf Standby und<br />

viel Fleisch auf <strong>dem</strong> Teller.<br />

Das verursacht eine<br />

Menge Emissionen. Laut<br />

<strong>dem</strong> Verbundprojekt<br />

KlimaAlltag sind<br />

Verbraucher der drittgrößte<br />

Verursacher von CO 2<br />

in Deutschland. Aber wie<br />

verhält sich jeder Einzelne?<br />

Klimaschonende Typen<br />

Typ 1 Umfassend klimaschonend<br />

aktiv<br />

<strong>Die</strong>se Gruppe hat ein ausgeprägt<strong>es</strong><br />

Klimabewusstsein und ist gut über<br />

die Klimawirkungen d<strong>es</strong> eigenen<br />

Handelns informiert. Außer<strong>dem</strong> haben<br />

Personen di<strong>es</strong><strong>es</strong> Typs eine starke<br />

G<strong>es</strong>undheitsorientierung. In den<br />

Handlungsfeldern Mobilität, Energie<br />

und Ernährung verhalten sie sich<br />

b<strong>es</strong>onders klimafreundlich. Ihr Bil<strong>du</strong>ngsniveau<br />

ist über<strong>du</strong>rchschnittlich<br />

hoch und sie verfügen über ein <strong>du</strong>rchschnittlich<strong>es</strong><br />

Jahr<strong>es</strong>einkommen. <strong>Die</strong>ser<br />

Klimatyp hat die b<strong>es</strong>te CO 2<br />

-Bilanz.<br />

Typ 2 Klimaschonend aktiv im<br />

Bereich Energie<br />

Bei den Akteuren di<strong>es</strong>er Gruppe<br />

herrscht ein hoh<strong>es</strong> Klimabewusstsein.<br />

Sehr klimaschonend verhalten<br />

sie sich vor allem im Bereich Energie.<br />

So wird zum Beispiel der Standby-Mo<strong>du</strong>s<br />

von elektrischen Geräten<br />

abg<strong>es</strong>chaltet und etwa die Hälfte der<br />

Personen nutzt Ökostrom. Sie haben<br />

eine leicht über<strong>du</strong>rchschnittliche Bil<strong>du</strong>ng<br />

und ein vergleichsweise hoh<strong>es</strong><br />

Einkommen. Personen di<strong>es</strong>er Gruppe<br />

sind über<strong>du</strong>rchschnittlich viel sowohl<br />

<strong>mit</strong> <strong>dem</strong> Auto als auch <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> ÖNPV<br />

oder Fahrrad unterwegs.<br />

Typ 3 Klimaschonend aktiv im<br />

Bereich Ernährung<br />

Personen di<strong>es</strong>er Gruppe kaufen häufig<br />

regionale, saisonale Bio-Lebens<strong>mit</strong>tel<br />

und ernähren sich mehrmals in<br />

der Woche vegetarisch. Sie verfügen<br />

über über<strong>du</strong>rchschnittlich hohe Bil<strong>du</strong>ngsabschlüsse<br />

sowie das höchste<br />

Vergleichseinkommen. <strong>Die</strong>se Gruppe<br />

nutzt sehr oft das Auto und belastet<br />

da<strong>mit</strong> das Klima stark. Dennoch sind<br />

auch sie über den <strong>Klimaschutz</strong> gut informiert.<br />

Typ 4 Klimaschonend aktiv im<br />

Bereich Mobilität<br />

<strong>Die</strong> Akteure di<strong>es</strong>er Gruppe verhalten<br />

sich im Bereich Mobilität b<strong>es</strong>onders<br />

klimaschonend. Sie haben ein unter<strong>du</strong>rchschnittlich<strong>es</strong><br />

Einkommen, viele<br />

sind nicht erwerbstätig oder im Ruh<strong>es</strong>tand<br />

und leben alleine. Etwa die Hälfte<br />

di<strong>es</strong>er Gruppe muss nach eigenen<br />

Angaben sparsam leben. Personen<br />

di<strong>es</strong><strong>es</strong> Typs nutzen häufig den öffentlichen<br />

Nahverkehr, viele b<strong>es</strong>itzen<br />

kein eigen<strong>es</strong> Auto. Da<strong>du</strong>rch hat di<strong>es</strong>e<br />

Gruppe die zweitb<strong>es</strong>te Klimabilanz.<br />

Typ 5 Mittelmäßig klimaschonend<br />

aktiv<br />

<strong>Die</strong>se Gruppe legt in allen drei Bereichen<br />

ein eher <strong>du</strong>rchschnittlich<strong>es</strong> klimafreundlich<strong>es</strong><br />

Verhalten an den Tag.<br />

Am stärksten klimabelastend ist ihr<br />

Mobilitätsverhalten. Meistens finden<br />

sich hier Haushalte <strong>mit</strong> drei und mehr<br />

Personen. Sie sind offen für Verb<strong>es</strong>serungen<br />

im alltäglichen Klimaverhalten.<br />

<strong>Die</strong> Bereitschaft, sich für <strong>Klimaschutz</strong>themen<br />

zu engagieren, ist aber<br />

eher verhalten.<br />

20 Ausgabe 11 | Mai 2019 | Umweltdialog.de


Klimawandel<br />

Klimabelastende Typen<br />

Typ 6 Klimabelastend aktiv im<br />

Bereich Energie<br />

Zu di<strong>es</strong>er Gruppe zählen vor allem<br />

Frauen über 60 und Einpersonenhaushalte.<br />

Ihr Bewusstsein für <strong>Klimaschutz</strong><br />

ist eher schwach ausgeprägt. Stattd<strong>es</strong>sen<br />

hat di<strong>es</strong>e Gruppe das Bedürfnis<br />

nach Exklusivität und Komfort. Einen<br />

effizienten Umgang <strong>mit</strong> Energie lehnen<br />

sie als zu umständlich ab, kommunale<br />

<strong>Klimaschutz</strong>maßnahmen sehen<br />

sie kritisch. <strong>Die</strong> Bereitschaft zu klimafreundlichem<br />

Handeln ist nur gering<br />

ausgeprägt.<br />

Typ 7 Klimabelastend aktiv im<br />

Bereich Ernährung<br />

B<strong>es</strong>onders viel Fleisch steht auf <strong>dem</strong><br />

Speiseplan di<strong>es</strong>er Gruppe. Über die<br />

Auswirkungen di<strong>es</strong><strong>es</strong> Ernährungsstils<br />

auf das Klima sind die Personen<br />

di<strong>es</strong>er Gruppe eher schlecht informiert.<br />

Zu<strong>dem</strong> empfinden sie die Nutzung<br />

d<strong>es</strong> öffentlichen Nahverkehrs als<br />

lästig und aufwändig. <strong>Die</strong>ser Typus<br />

hat eher niedrigere Bil<strong>du</strong>ngsabschlüsse<br />

und verfügt über ein gering<strong>es</strong> Einkommen.<br />

Bereitschaft zur Veränderung<br />

d<strong>es</strong> Lebensstils herrscht hier vor<br />

allem im Bereich Energie.<br />

Was können Kommunen tun?<br />

Kommunen können <strong>mit</strong> verschiedenen<br />

Maßnahmen ein klimafreundlich<strong>es</strong><br />

Alltagsverhalten beeinflussen<br />

und fördern, heißt <strong>es</strong> in der Broschüre<br />

von KlimaAlltag. So beispielsweise<br />

beim Hausneubau oder<br />

auch in der Mobilität. Wichtig sei<br />

dabei das 4-E-Modell: Enable, Encourage,<br />

Engage und Exemplify. Das<br />

heißt, Kommunen müssten entsprechende<br />

Rahmenbedingungen schaffen,<br />

monetäre und nicht-monetäre<br />

Anreize geben, die Bevölkerung mobilisieren<br />

und vor allem <strong>mit</strong> gutem<br />

Beispiel voran gehen. Wichtig sei ein<br />

ausgewogener Mix aus unterschiedlichen<br />

Maßnahmen, um Bürger auf<br />

mehreren Ebenen ansprechen zu<br />

können. B<strong>es</strong>onder<strong>es</strong> Augenmerk<br />

müsse auf die begleitende Kommunikation<br />

gelegt werden. Auch solle<br />

man <strong>mit</strong> verschiedenen Gruppen,<br />

die die Klimapolitik unterstützen<br />

könnten, zusammenarbeiten.<br />

Typ 8 Klimabelastend aktiv im<br />

Bereich Mobilität<br />

Durch eine gute wirtschaftliche Lage<br />

zeichnet sich di<strong>es</strong>e Gruppe aus. Frauen<br />

und Personen im Ruh<strong>es</strong>tand sind<br />

stark vertreten. Personen di<strong>es</strong>er Gruppe<br />

haben ein hoh<strong>es</strong> Durchschnittsalter,<br />

b<strong>es</strong>itzen Wohneigentum und haben<br />

ein gut<strong>es</strong> Einkommen. Das Klimabewusstsein<br />

ist nur gering ausgeprägt.<br />

Aufgrund ihrer Wohnsituation benutzen<br />

sie häufig ihr Auto (über 10.000<br />

km/p.a.). Dementsprechend will di<strong>es</strong>e<br />

Gruppe eher nicht auf den PKW verzichten.<br />

Typ 9 Umfassend klimabelastend<br />

aktiv<br />

Für die Personen di<strong>es</strong>e Gruppe spielt<br />

<strong>Klimaschutz</strong> keine Rolle. Sie sind über<br />

klimafreundlich<strong>es</strong> Verhalten schlecht<br />

informiert, Exklusivität und Spaß stehen<br />

im Vordergrund. <strong>Die</strong>se Gruppe<br />

agiert in allen Bereichen klimabelastend<br />

und hat Vorbehalte gegenüber klimafreundlichem<br />

Verhalten. Zu einer<br />

Verhaltensänderung sind sie kaum<br />

bereit.<br />

Über das Projekt<br />

Das Verbundprojekt „KlimaAlltag“<br />

vom Institut für sozial-ökologische<br />

Forschung (ISOE) hat untersucht,<br />

wie verschiedene soziale Bedingungen<br />

Einfluss auf den <strong>Klimaschutz</strong><br />

im Alltag haben. <strong>Die</strong> Leitfrage dabei:<br />

Wo wird <strong>Klimaschutz</strong> im Alltag praktiziert<br />

und wie kann das alltägliche<br />

Verhalten noch klimafreundlicher<br />

g<strong>es</strong>taltet werden? Anhand von empirischen<br />

Befragungen entwickelten<br />

die Forscher eine Systematik, die<br />

neun Klimatypen identifiziert.<br />

Außer<strong>dem</strong> untersuchte das Team,<br />

wie Kommunen das Klimabewusstsein<br />

in unterschiedlichen sozialen<br />

Schichten steigern und einen<br />

CO 2<br />

-armen Lebensstil fördern<br />

können.<br />

Quelle: Institut für sozial-ökologische Forschung (ISOE),<br />

gekürzte Fassung <strong>du</strong>rch die UmweltDialog-Redaktion<br />

Ausgabe 11 | Mai 2019 | Umweltdialog.de<br />

21


Klimawandel<br />

Bild: SimpLine / stock.adobe.com<br />

”<br />

Appelle an<br />

klimafreundlich<strong>es</strong><br />

Verhalten greifen<br />

zu kurz<br />

Viele Menschen fühlten sich ohnmächtig bei <strong>dem</strong> Versuch,<br />

<strong>du</strong>rch ihr indivi<strong>du</strong>ell<strong>es</strong> Handeln etwas gegen den Klimawandel<br />

zu tun, sagt die Kommunikationswissenschaftlerin<br />

Imke Hoppe von der Universität Hamburg. Daher brauche <strong>es</strong><br />

mehr Debatten über politische Regelungen für alle.<br />

Frau Hoppe, in Ihrer Forschung b<strong>es</strong>chäftigen<br />

Sie sich <strong>mit</strong> der Kommunikation<br />

über den Klimawandel. Das<br />

Problem der globalen Erwärmung ist<br />

seit langem bekannt, g<strong>es</strong>ellschaftlich<br />

und politisch ändert sich aber insg<strong>es</strong>amt<br />

nur wenig. Was läuft da in der<br />

Kommunikation schief?<br />

Historisch g<strong>es</strong>ehen b<strong>es</strong>tand die Klimakommunikation<br />

lange daraus, Menschen<br />

erst mal davon zu überzeugen,<br />

dass <strong>es</strong> überhaupt ein Problem gibt.<br />

In den USA ist das immer noch die<br />

größte Herausforderung. In Europa<br />

22 Ausgabe 11 | Mai 2019 | Umweltdialog.de


Klimawandel<br />

Als ein Beispiel von vielen: Wir reden viel zu wenig über<br />

den öffentlichen Nahverkehr. Sehen Sie sich an, wie viele<br />

Menschen heutzutage schon <strong>mit</strong> Bus und Bahn fahren und<br />

das Auto stehen lassen – und das trotz ständiger Verspätungen<br />

und häufig miserablem Service. Was könnten wir<br />

da verkehrspolitisch erst erreichen, wenn <strong>es</strong> uns endlich<br />

gelingen würde, die Infrastruktur auszubauen und das<br />

Bahnfahren attraktiver zu machen? Das Thema inter<strong>es</strong>siert<br />

unzählige Berufstätige, die jeden Tag zur Arbeit pendeln.<br />

Aber <strong>es</strong> passt eben nicht zur klassischen Nachrichtenlogik:<br />

Es ist nicht neu, wirkt nicht dramatisch genug und geht selten<br />

<strong>mit</strong> Prominenz einher. Daher l<strong>es</strong>en wir darüber wenig,<br />

zumind<strong>es</strong>t in den überregionalen Medien.<br />

Was hieße „lösungsorientiert“ in di<strong>es</strong>em Fall? Tipps, wie<br />

der Umstieg vom Auto b<strong>es</strong>ser gelingt?<br />

Grundsätzlich reicht der Fokus auf das Verhalten d<strong>es</strong> Einzelnen<br />

nicht mehr aus. Dafür ist das Problem zu drängend.<br />

Zu di<strong>es</strong>em Zeitpunkt braucht <strong>es</strong> auch eine g<strong>es</strong>ellschaftliche<br />

Debatte über die Regeln, die wir uns selbst geben wollen.<br />

Wenn unser Verkehr und unser Konsum nachhaltig werden<br />

sollen, müssen sie sich so grundlegend ändern, dass <strong>es</strong><br />

ohne politischen Druck, ohne entsprechende G<strong>es</strong>etze nicht<br />

schnell genug funktionieren wird. Wenn man das erklärt,<br />

wittern viele gleich eine „Öko-Diktatur“. Dabei wissen die<br />

Leute eigentlich, was zu tun wäre – den Autoverkehr einschränken<br />

etwa oder das Pendeln über weite Strecken nicht<br />

mehr subventionieren. Aber wenn man das vorschlägt, ist<br />

der Aufschrei ri<strong>es</strong>ig.<br />

Das heißt, wer über den Klimawandel spricht, sollte nicht<br />

bei alltäglichen Entschei<strong>du</strong>ngen ansetzen, sondern gleich<br />

bei der großen Politik?<br />

dagegen haben <strong>mit</strong>tlerweile rund 90 Prozent der Menschen<br />

akzeptiert, dass der Klimawandel real ist. Aber di<strong>es</strong><strong>es</strong> Problembewusstsein<br />

allein verändert oft noch nicht das Verhalten.<br />

Auch wenn <strong>es</strong> weiterhin wichtig und richtig ist, auf<br />

die Gefahren <strong>du</strong>rch die globale Erwärmung hinzuweisen,<br />

müsste <strong>es</strong> jetzt mehr darum gehen, über konkrete Maßnahmen<br />

dagegen zu sprechen, also lösungsorientiert zu kommunizieren.<br />

Was könnte das zum Beispiel sein?<br />

Beid<strong>es</strong> ist nötig. Klimapolitische Maßnahmen brauchen<br />

natürlich die Unterstützung der Bevölkerung. Es ist aber<br />

so, dass viele umweltbewusste Leute <strong>mit</strong>tlerweile denken:<br />

Mit unseren kleinen, alltäglichen Handlungen können wir<br />

doch eh nichts ändern. Wer in der Klimakommunikation<br />

arbeitet, sagt oft, eine solche Einstellung müssten wir<br />

<strong>du</strong>rch gute Argumente überwinden. Dabei haben die Leute<br />

leider recht! Mikro-Aktionen bringen insg<strong>es</strong>amt g<strong>es</strong>ehen<br />

tatsächlich nur wenig. Und di<strong>es</strong>e Erkenntnis kann für alle<br />

sehr frustrierend sein. D<strong>es</strong>halb muss man zusätzlich noch<br />

darüber sprechen, auf welche größeren Maßnahmen man<br />

sich als G<strong>es</strong>ellschaft einigen kann, sei <strong>es</strong> der Ausbau der<br />

Verkehrsinfrastruktur oder die Förderung regional pro<strong>du</strong>zierter<br />

Lebens<strong>mit</strong>tel. Eine solche Debatte wirkt dann wiederum<br />

motivierend auf den Einzelnen.<br />

Was sagt die Forschung dazu, unter welchen Bedingungen<br />

di<strong>es</strong>e Art der Kommunikation funktioniert?<br />

Es gibt beispielsweise Untersuchungen zum „konstruktiven<br />

Journalismus“, der derzeit in vielen Medienhäusern<br />

diskutiert wird. Das bedeutet: weg von negativen Nachrichten<br />

und hin zu lösungsorientierten Texten, etwa bei<br />

Themen wie Armut, Migration oder eben Klimawandel. >><br />

Ausgabe 11 | Mai 2019 | Umweltdialog.de<br />

23


Klimawandel<br />

Studien zeigen, dass <strong>es</strong> Menschen zuversichtlicher<br />

und positiver stimmt,<br />

wenn Themen konstruktiv behandelt<br />

werden. Zu un<strong>mit</strong>telbaren Veränderungen<br />

im indivi<strong>du</strong>ellen Handeln<br />

führt das zwar meist nicht – aber Menschen<br />

sind dann eher bereit, politische<br />

Regulierungen in Kauf zu nehmen.<br />

Sie sagen, Medien haben generell keine<br />

großen Wirkungen auf das Verhalten.<br />

Ist das für Kommunikatorinnen<br />

und Kommunikatoren nicht ernüchternd?<br />

Klimawandel: Viel wissen. Wenig tun?<br />

Es gibt Effekte. Sie sind nur für einzelne<br />

Medienberichte sehr überschaubar<br />

und schwierig nachzuweisen. In<br />

der Masse dürfte der Medienkonsum<br />

schon eine Rolle spielen, wobei er<br />

natürlich immer <strong>mit</strong> einer Vielzahl<br />

anderer Einflüsse konkurriert und in<br />

Wechselwirkung steht. Es gibt aber<br />

auch Ausnahmen. Ermutigend ist zum<br />

Beispiel, was wir über die Wirkung<br />

von Dokumentarfilmen wissen.<br />

Sind Dokumentarfilme etwas B<strong>es</strong>onder<strong>es</strong><br />

in di<strong>es</strong>er Hinsicht?<br />

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, <strong>Klimaschutz</strong>manager in Behörden<br />

oder Unternehmen, Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen<br />

– wohl jede und jeder, der in der Klimakommunikation aktiv ist, kennt<br />

di<strong>es</strong>e Erfahrung: Man ver<strong>mit</strong>telt Fakten, Fakten, Fakten. Und man hat<br />

auch den Eindruck, dass di<strong>es</strong>e bei vielen Menschen ankommen, sie also<br />

eigentlich eine Menge wissen über den Klimawandel, seine Ursachen und<br />

seine Folgen. Und dennoch werden nur relativ wenige Leute aktiv.<br />

Praktiker ärgern sich oft hierüber. Sie haben (meist unbewusst) das<br />

sogenannte „Informations-Defizit-Modell“ im Kopf: Wenn jemand nicht<br />

das tut, was aufgrund b<strong>es</strong>timmter Informationen rational wäre, dann<br />

liege das b<strong>es</strong>timmt an einem Mangel an Informationen.<br />

Psychologen wundert die Kluft zwischen Wissen<br />

und Handeln nicht<br />

Eine Kluft zwischen Wissen und Handeln gibt <strong>es</strong> übrigens auch bei<br />

vielen anderen Themen jenseits d<strong>es</strong> Klimawandels. Und Umwelt- und<br />

Sozialpsychologen wundert di<strong>es</strong>e Kluft überhaupt nicht. Neben den<br />

Informationen, die eine Person hat oder bekommt, haben nämlich noch<br />

viele andere Faktoren einen Einfluss darauf, ob jemand aktiv wird. <strong>Die</strong>s<br />

können zum Beispiel indivi<strong>du</strong>elle Erfahrungen der Person sein, ihre<br />

Wertvorstellungen und (politische) Identität oder auch die persönliche<br />

Einschätzung, ob der Klimawandel sie selbst betrifft oder eigene<br />

Handlungen überhaupt irgendwelche Folgen haben - konkret: Ob man<br />

überhaupt etwas gegen den Klimawandel tun kann.<br />

Übrigens: Einer der Faktoren, warum Menschen nicht aktiv werden, ist<br />

die Orientierung am sozialen Umfeld. So folgen viele Menschen <strong>dem</strong>,<br />

was Menschen um sie herum tun – und wenn sie dort wenig Einsatz<br />

beim <strong>Klimaschutz</strong> sehen, ist das zumind<strong>es</strong>t kein Anreiz, selbst aktiv zu<br />

werden.<br />

Quelle: klimafakten.de<br />

Meine Kollegin In<strong>es</strong><br />

Lörcher hat Menschen<br />

zu ihrer Medienbiografie<br />

befragt und herausgefunden:<br />

Personen, die<br />

im Alltag sehr klimabewusst<br />

handeln, wurden<br />

zwar von ihren Eltern<br />

und Freunden geprägt,<br />

aber auch ganz stark von<br />

Dokumentarfilmen. Natürlich<br />

setzt <strong>es</strong> schon eine gewisse<br />

Bereitschaft voraus,<br />

sich überhaupt <strong>mit</strong> einem<br />

Stoff zu b<strong>es</strong>chäftigen, bevor<br />

man sich 90 Minuten<br />

lang vor eine Klima-Doku<br />

setzt. Aber wenn man sich<br />

darauf einlässt, kann das<br />

einen starken Effekt haben.<br />

Vermutlich, weil das Ganze<br />

so realistisch ist, weil man<br />

in eine lange Narration eintaucht<br />

und Zeit hat, gründlich<br />

über ein Thema nachzudenken.<br />

Man sieht Menschen, die<br />

<strong>mit</strong> ihrem Handeln die Welt<br />

verändern, und oft emotional<br />

berührende Bilder. Das wirkt.<br />

Mit welchem Aspekt der Klimawandel-Kommunikation<br />

b<strong>es</strong>chäftigen Sie sich selbst<br />

gerade?<br />

Ich untersuche derzeit in einem<br />

fächerübergreifenden Netzwerk<br />

von Forschenden, wie in verschiedenen<br />

Ländern der Welt in<br />

den sozialen Medien über Ernährung<br />

diskutiert wird. Also: <strong>Wie</strong> begründen<br />

Menschen ihre Ernährungsentschei<strong>du</strong>ngen?<br />

Spielt Nachhaltigkeit dabei<br />

eine Rolle? Denn was Menschen <strong>es</strong>sen,<br />

hat einen unglaublichen Einfluss<br />

auf den Verbrauch natürlicher R<strong>es</strong>sourcen.<br />

Es ist aber gleichzeitig ein<br />

wichtiger Teil ihrer Identität, den viele<br />

nur schwer verändern wollen.<br />

Was haben Sie herausgefunden?<br />

In Deutschland gab <strong>es</strong> zum Beispiel in<br />

den vergangenen Jahren einige Kampagnen<br />

von Supermärkten, die sich<br />

24 Ausgabe 11 | Mai 2019 | Umweltdialog.de


Was bewegt Menschen ang<strong>es</strong>ichts d<strong>es</strong> Klimawandels zum Handeln?<br />

Reine Wissensver<strong>mit</strong>tlung reicht nicht<br />

Sozialer, kultureller, ökonomischer, politischer, infrastruktureller und naturräumlicher Kontext<br />

Auslöser Problembezogene<br />

Überlegungen<br />

Auslöser für Überlegungen zum<br />

Klimawandel sind vielfältig.<br />

Dabei nehmen die folgenden<br />

Auslöser nicht in der gezeigten<br />

Reihenfolge Einfluss, sondern<br />

rufen Überlegungen einzeln<br />

oder kombiniert hervor.<br />

• Nicht-persönliche<br />

Wissensver<strong>mit</strong>tlung<br />

(z.B. auf Webseiten)<br />

• Persönliche Wissens<br />

ver<strong>mit</strong>tlung(z.B. <strong>du</strong>rch<br />

„trusted m<strong>es</strong>sengers“)<br />

• Lernen von Vorbildern<br />

Lernen <strong>du</strong>rch<br />

Erfahrung<br />

• Persönlichkeitsfaktoren<br />

• Identitätsvorstellungen<br />

Persönliche Face-to-Face-Kommunikation<br />

ist zur Handlungsmotivation oft<br />

wirksamer als unpersönliche<br />

schriftliche Informationen.<br />

Vielfältige Kontextfaktoren können das Klimahandeln unterstützen oder behindern.<br />

Was bedeutet<br />

der Klimawandel<br />

für mich und für<br />

mir wichtige<br />

Personen und<br />

Dinge?<br />

<strong>Wie</strong> die <strong>Frage</strong> von einer Person<br />

beantwortet wird, hängt von den<br />

folgenden psychologischen<br />

Faktoren ab. Dabei nehmen die<br />

Faktoren nicht in der hier<br />

gezeigten Reihenfolge Einfluss,<br />

sondern beeinflussen die<br />

Überlegungen meist ungeordnet<br />

und unsystematisch.<br />

• Wissen zu Klimawandel<br />

und Klimafolgen<br />

• Vertrauen in Medien und<br />

Klimawissenschaften<br />

• Problem- und Risikowahrnehmung<br />

• Erinnerung an persönliche<br />

Schäden <strong>du</strong>rch Klimawandel<br />

• Emotionen<br />

• Wertvorstellungen<br />

Informationen zu Klimaproblemen sollten<br />

in einem Gleichgewicht zu handlungsbezogenen<br />

Informationen stehen,<br />

um Ohnmachtsgefühle zu verhindern.<br />

Handlungsbezogene<br />

Überlegungen<br />

Was kann und<br />

soll ich tun, um<br />

<strong>dem</strong> Klimawandel<br />

zu begegnen?<br />

<strong>Wie</strong> die <strong>Frage</strong> von einer Person<br />

beantwortet wird, hängt von den<br />

folgenden psychologischen<br />

Faktoren ab. Dabei nehmen die<br />

Faktoren nicht in der hier<br />

gezeigten Reihenfolge Einfluss,<br />

sondern beeinflussen die<br />

Überlegungen meist ungeordnet<br />

und unsystematisch.<br />

• Handlungswissen zu <strong>Klimaschutz</strong><br />

und Klimaanpassung<br />

• Überzeugungen zu Handlungsmöglichkeiten<br />

und -wirksamkeiten<br />

• Kosten-/Nutzen-Überlegungen<br />

• Wahrgenommene Barrieren<br />

• Emotionen und Einstellungen<br />

• Soziale, Gruppen- und<br />

personale Normen<br />

• Wertvorstellungen<br />

Informationen zu Klimaproblemen sollten<br />

in einem Gleichgewicht zu handlungsbezogenen<br />

Informationen stehen,<br />

um Ohnmachtsgefühle zu verhindern.<br />

Absicht<br />

Ja, ich werde<br />

was tun!<br />

Ob eine Absicht in Klimahandeln<br />

umg<strong>es</strong>etzt wird, hängt<br />

von <strong>dem</strong> wiederum ungeordneten<br />

und unsystematischen<br />

Einfluss der folgenden<br />

Faktoren ab.<br />

• Klarheit und Stärke der<br />

Absicht<br />

• Günstige Gelegenheit<br />

Klimawandel<br />

• Innere und äußere Handlungsbarrieren<br />

• Emotionen<br />

• Gewohnheiten<br />

• Soziale Unterstützung<br />

Nicht jede Handlungsabsicht wird sofort<br />

in die Tat umg<strong>es</strong>etzt. Oft müssen innere<br />

und äußere Handlungsbarrieren<br />

überwunden werden.<br />

Basierend auf di<strong>es</strong>er Infografik von klimafakten.de: bit.ly/2WYFlya<br />

Klimahandeln<br />

ein grüner<strong>es</strong> oder nachhaltiger<strong>es</strong><br />

Image geben wollten, in<strong>dem</strong> sie<br />

in den sozialen Netzwerken für ihre<br />

Bio- und Fairtrade-Pro<strong>du</strong>kte warben.<br />

Das führte allerdings häufig zu enormer<br />

Kritik. Menschen fühlten sich<br />

davon persönlich angegriffen, waren<br />

wütend. Das waren nicht unbedingt<br />

Klimawandel-Leugner, sondern eher<br />

Leute, die schrieben: Ich <strong>es</strong>se nun<br />

mal gerne Fleisch, kann mir aber kein<br />

Biofleisch leisten, bin ich jetzt etwa<br />

schuld, wenn ich mir eure nachhaltigen<br />

und teuren Pro<strong>du</strong>kte nicht kaufen<br />

kann? <strong>Die</strong>se Gruppe, die sich ökonomisch<br />

und sozial abgehängt fühlt,<br />

wird in der Forschung bislang noch<br />

zu wenig beachtet.<br />

Haben Sie dafür schon Lösungsansätze?<br />

Es verdeutlicht vor allem, wie komplex<br />

die Zusammenhänge sind. Wenn<br />

sich jemand wirklich keine nachhaltigen<br />

Pro<strong>du</strong>kte leisten kann, hilft Kommunikation<br />

auch nicht weiter. Dann<br />

braucht <strong>es</strong> eine faktische Verb<strong>es</strong>serung<br />

der Lebensverhältnisse, und das<br />

ist Aufgabe der Politik. Wo<strong>mit</strong> wir<br />

wieder bei der Erkenntnis wären: Appelle<br />

an klimafreundlich<strong>es</strong> Verhalten<br />

sind immer noch wichtig, aber allein<br />

greifen sie zu kurz, weil der Einzelne<br />

schnell an die Grenzen seiner Möglichkeiten<br />

stößt. Dann ist die Politik<br />

gefragt. f<br />

Imke Hoppe ist Kommunikationswissenschaftlerin<br />

und promovierte<br />

an der Technischen Universität<br />

Ilmenau zum Thema „<strong>Klimaschutz</strong><br />

als Medienwirkung“. Sie lehrt und<br />

forscht an der Fakultät für<br />

Wirtschafts- und Sozialwissenschaften<br />

sowie <strong>dem</strong> CEN (Centrum<br />

für Erdsystemforschung und<br />

Nachhaltigkeit) der Universität<br />

Hamburg.<br />

Im Original erschienen bei Wissenschaftskommunikation.de.<br />

Das<br />

G<strong>es</strong>präch führte Joachim Retzbach.<br />

Ausgabe 11 | Mai 2019 | Umweltdialog.de<br />

25


Klimawandel<br />

Bild: Jr Casas / stock.adobe.com<br />

Klimaskepsis:<br />

Fake News über „Fake“ News<br />

Dass der aktuelle Klimawandel menschengemacht ist, steht aus<br />

wissenschaftlicher Sicht außer <strong>Frage</strong>. Hier herrscht ein allgemeiner<br />

Konsens in der Forschung. Dennoch behaupten zahlreiche Klimaleugner<br />

und -skeptiker das Gegenteil. Sie geben der Sonne die Schuld, nennen CO 2<br />

unschädlich, sogar hilfreich, und halten die Klimadebatte für Panikmache.<br />

Viele Medienberichte zeigen: <strong>Die</strong>se Klimaskeptiker-Szene ist organisiert<br />

und zu<strong>dem</strong> noch schwer aufzuhalten.<br />

Von Elena Köhn<br />

„Ja. Es ist warm. Sehr sogar. Aber di<strong>es</strong><strong>es</strong> hysterische<br />

#Klimakrisen-Gekreische der Klimanazis ist wirklich unerträglich.“<br />

So lautete ein Tweet von Beatrix von Storch<br />

während der Hitzewelle im Sommer 2018. Mit ihrer Meinung<br />

ist die AfD-Politikerin nicht alleine. Schon seit einigen<br />

Jahren kann man eine zum Teil hitzig geführte Debatte<br />

um den Klimawandel beobachten. Dabei herrscht in<br />

der Klimawissenschaft eigentlich ein Konsens: „Es ist wissenschaftlich<br />

g<strong>es</strong>ichert und gut belegt, dass der Mensch<br />

Hauptverursacher der bereits laufenden globalen Erwärmung<br />

ist“, informiert die Plattform klimafakten.de. Laut<br />

einer Studie liegt di<strong>es</strong>e Einigkeit sogar bei 97 Prozent,<br />

heißt <strong>es</strong> bei Sceptical Science. Nur: <strong>Die</strong> Klimaskeptiker<br />

sind weiterhin skeptisch.<br />

26 Ausgabe 11 | Mai 2019 | Umweltdialog.de


Klimawandel<br />

„Gezielte D<strong>es</strong>information“<br />

Das Leugnen d<strong>es</strong> (menschengemachten) Klimawandels<br />

hat – so scheint <strong>es</strong> zumind<strong>es</strong>t – System. Mehreren Medienberichten<br />

zufolge hat die organisierte Klimaskepsis schon<br />

Anfang der neunziger Jahre begonnen. Redakteure der Zeit<br />

sprechen sogar von einer „D<strong>es</strong>informationskampagne“ einiger<br />

Energiekonzerne und konservativer Medien: „Es ist<br />

ein Krieg, der sich gegen die liberale Öffentlichkeit wendet<br />

und eiskalt deren Schwäche ausnutzt: den Glauben an<br />

die Gültigkeit d<strong>es</strong> b<strong>es</strong>seren Arguments.“ Als Beispiel führt<br />

die Zeitschrift den Ölkonzern Exxon (später ExxonMobil)<br />

an. <strong>Die</strong>ser wisse eigentlich, aufgrund konzerninterner<br />

Untersuchungen, bereits seit Anfang der 80er-Jahre, dass<br />

der vermehrte CO 2<br />

-Ausstoß auch zu einem globalen Temperaturanstieg<br />

führe. Trotz<strong>dem</strong> habe das Unternehmen gemeinsam<br />

<strong>mit</strong> anderen Akteuren der Ölin<strong>du</strong>strie mehrere<br />

Milliarden Dollar in politische Kampagnen inv<strong>es</strong>tiert – <strong>mit</strong><br />

<strong>dem</strong> Ziel, den Konsens in der Bevölkerung über den menschengemachten<br />

Klimawandel zu zerstreuen.<br />

Dazu kommt außer<strong>dem</strong> der Aufbau der Global Climate Coalition,<br />

wie die Zeit weiter berichtet. <strong>Die</strong>ser „Zusammenschluss<br />

von Lobbyisten“, unter anderem finanziert und<br />

aufgebaut von Exxon, habe „klimaskeptische D<strong>es</strong>information“<br />

betrieben. Ähnlich verhält <strong>es</strong> sich <strong>mit</strong> sogenannten<br />

Thinktanks, wie <strong>dem</strong> bekannten Heartland Institute. Laut<br />

der Publikation „Und sie erwärmt sich doch“ vom Umweltbund<strong>es</strong>amt<br />

erhielt die Organisation ebenfalls Gelder von<br />

ExxonMobil. Sie streute, auch <strong>mit</strong> Hilfe von Blogs, Zweifel<br />

am menschengemachten Klimawandel. In Deutschland gilt<br />

der Verein „Europäisch<strong>es</strong> Institut für Klima und Energie<br />

(EIKE)“ als eine der zentralen Lobbyorganisationen, die<br />

nicht an den anthropogenen Klimawandel glauben und<br />

di<strong>es</strong> auch medial verbreiten. „EIKE lehnt folglich jegliche<br />

‚Klimapolitik‘ als einen Vorwand ab, Wirtschaft und Bevölkerung<br />

zu bevormunden und das Volk <strong>du</strong>rch Abgaben zu<br />

belasten“, erklärt der Verein auf seiner Website.<br />

„Wissenschaft wurde als Nebelwand missbraucht“<br />

<strong>Die</strong> D<strong>es</strong>informationsstrategie der Klimaskeptiker ist nicht<br />

neu. Eine ähnlich organisierte Vorgehensweise kennt man<br />

bereits aus der Tabakin<strong>du</strong>strie. „Wissenschaft wurde als<br />

Nebelwand missbraucht“, erklärt Naomi Or<strong>es</strong>k<strong>es</strong>, Geologin<br />

und Wissenschaftshistorikerin an der Harvard University,<br />

„<strong>Wie</strong>der einmal geht die Welt unter, die<br />

einzigen die uns retten können sind linksgrüne<br />

Fanatiker. Genauso als in den 80er<br />

Jahren alle Bäume in Deutschland g<strong>es</strong>torben<br />

sind, wie in den 90er Jahren das Ozonloch so<br />

ri<strong>es</strong>ig ist, dass wir uns nur noch nachts im<br />

Freien aufhalten können. Leute werdet wach,<br />

geht wählen und unterstützt nicht di<strong>es</strong>e<br />

Ökoterroristen“,<br />

findet E.R. unter einem Artikel von Focus Online vom<br />

13.02.2019.<br />

in einem Interview <strong>mit</strong> der Süddeutschen Zeitung. Schon<br />

damals hätten Tabakfirmen einzelne Wissenschaftler beauftragt<br />

und Thinktanks gegründet, um Zweifel an der<br />

Forschung zu säen: „<strong>Die</strong>ser Strategie folgen Unternehmen<br />

seit 60 Jahren.“ Belege dafür gäbe <strong>es</strong> an der Universität San<br />

Francisco, in Form einer Sammlung interner Dokumente<br />

aus der Tabakin<strong>du</strong>strie.<br />

<strong>Die</strong> Klimaskeptiker greifen auch gezielt einzelne Forscher<br />

an. Als „Climategate“ bekannt wurde ein Hackerangriff<br />

Ende 2009 auf das Klimaforschungszentrum der University<br />

of East Anglia. Unbekannte Hacker stahlen Klimaforschern<br />

E-Mails und veröffentlichten sie zum Teil im<br />

Internet. Daraus entwickelte sich ein Skandal, über den<br />

viele Medien berichteten. Der Vorwurf: <strong>Die</strong> Forscher hätten<br />

Daten manipuliert und „Untersuchungsergebnisse unterdrückt“,<br />

erklärt die Zeit. Viele sahen darin den Beweis,<br />

dass der Klimawandel eine Verschwörungstheorie sei, wie<br />

<strong>es</strong> in der Veröffentlichung d<strong>es</strong> Umweltbund<strong>es</strong>amts heißt.<br />

<strong>Die</strong> B<strong>es</strong>chuldigungen gingen vor allem an die US-Klimaforscher<br />

Michael Mann und Phil Jon<strong>es</strong>. Als Beleg für die<br />

Vorwürfe sollten Zitate in den E-Mails dienen. <strong>Die</strong>se rissen<br />

die Klimaskeptiker allerdings aus <strong>dem</strong> fachlichen Kontext.<br />

Mehrere unabhängige Untersuchungen fanden schließlich<br />

keine Hinweise auf eine vorsätzliche Manipulation seitens<br />

der Wissenschaftler: „Kritisch angemerkt wurde lediglich<br />

ein falscher Umgang <strong>mit</strong> Anträgen zur Offenlegung von Daten“,<br />

schreibt das Umweltbund<strong>es</strong>amt.<br />

Medien als Meinungsmacher<br />

Dass solche Falschinformationen von Klimaskeptikern in<br />

der Öffentlichkeit so präsent sind, ist auch die Schuld der<br />

Medien, meinen Redakteure der Zeit. B<strong>es</strong>onders kon- >><br />

Ausgabe 11 | Mai 2019 | Umweltdialog.de<br />

27


Klimawandel<br />

„Ich glaube nicht an den<br />

menschengemachten Klimawandel.<br />

Alle möglichen und<br />

unmöglichen klimatischen<br />

Verhältnisse gab <strong>es</strong> schon<br />

ohne den Menschen. Insofern<br />

werden alle menschlichen<br />

Bemühungen keine<br />

Änderung bewirken“,<br />

schreibt ein Kommentator unter<br />

einen Online-Artikel der Zeit vom<br />

03.12.2018.<br />

servative Medien, wie das Wall Street<br />

Journal von Rupert Murdoch und<br />

Fox News, würden oft Klimaleugner<br />

einladen. <strong>Die</strong> Autoren d<strong>es</strong> Zeit-Artikels<br />

sprechen von einer „medial<br />

ver<strong>mit</strong>telten Scheinrealität.“ Auch in<br />

liberalen Medien, die ausgewogen<br />

berichten wollen, kämen die Klimaleugner<br />

ausführlich und oft zu Wort.<br />

„Das Ergebnis ist eine katastrophale<br />

Verzerrung.“ Denn: Naomi Or<strong>es</strong>k<strong>es</strong><br />

untersuchte diverse Publikationen<br />

in Fachzeitschriften zur globalen Klimaerwärmung,<br />

die 1993 bis 2003<br />

erschienen sind. Sie fand nicht eine<br />

Veröffentlichung, die den menschengemachten<br />

Klimawandel verneinte.<br />

In den Medien hingegen waren fast<br />

die Hälfte der Beiträge klimaskeptisch<br />

eing<strong>es</strong>tellt.<br />

Heutzutage verbreiten sich insb<strong>es</strong>ondere<br />

dank Blogs und Social Media klimaskeptische<br />

Positionen sehr schnell.<br />

Empfänger würden so auch wiederum<br />

zu Sendern werden: „Auf di<strong>es</strong>e Weise<br />

erreichen Fake-News und Schmierkampagnen<br />

im Internet heute ungefiltert<br />

mehr Menschen, als <strong>es</strong> etablierte<br />

Printmedien je getan haben“, mahnen<br />

die Redakteure der Zeit an.<br />

Rechts im Kampf gegen das Klima?<br />

In der Politik ist die Klimaskeptiker-Szene<br />

ebenfalls schon längst angekommen.<br />

<strong>Wie</strong> der<br />

Tag<strong>es</strong>spiegel berichtet,<br />

hat auch zum Beispiel der<br />

Verein EIKE Verbin<strong>du</strong>ngen zur<br />

AfD. Michael Limburg, Vizepräsident<br />

d<strong>es</strong> Instituts, habe sogar am Programm<br />

der Partei <strong>mit</strong>gearbeitet. Außer<strong>dem</strong><br />

sitze er in deren Bund<strong>es</strong>fachausschuss<br />

Energie. Das kommt nicht<br />

von ungefähr. Eine aktuelle Studie<br />

d<strong>es</strong> Forschungs- und Beratungsinstituts<br />

adelphi zeigt, dass rechtspopulistische<br />

Parteien häufig Klimaleugner<br />

sind. „Sieben der 21 stärksten rechtspopulistischen<br />

Parteien in Europa<br />

b<strong>es</strong>treiten, dass <strong>es</strong> ein Problem gibt“,<br />

b<strong>es</strong>chreibt ntv die Studie. Elf der Parteien<br />

würden die Erkenntnisse der<br />

wissenschaftlichen Klimaforschung<br />

zwar nicht b<strong>es</strong>treiten, eine explizite<br />

Klimapolitik stehe aber nicht auf deren<br />

Agenda. <strong>Die</strong><br />

AfD sei dabei<br />

einer der stärksten<br />

Klimawandelleugner.<br />

„Das<br />

Märchen vom<br />

menschengemachten<br />

Klimawandel<br />

glauben<br />

wir nicht,“ zitiert<br />

ntv den AfD-Chef<br />

Alexander Gauland.<br />

<strong>Wie</strong> leugnet man den anthropogenen<br />

Klimawandel?<br />

<strong>Die</strong> Argumente der Klimawandelskeptiker<br />

sind aber wissenschaftlich<br />

nicht haltbar. 2017 behauptete Beatrix<br />

von Storch in einem Interview<br />

<strong>mit</strong> <strong>dem</strong> Journalisten Tilo Jung (Jung<br />

& naiv), dass die Sonne schuld an der<br />

Erderwärmung sei. Unstrittig ist, dass<br />

sie einen Einfluss auf das Klima hat.<br />

<strong>Die</strong> globale Erwärmung verursacht<br />

die Sonne aber nicht. Tatsächlich zeigen<br />

verschiedene M<strong>es</strong>sungen, dass<br />

ihre Aktivität seit ihrem Hoch in den<br />

60ern Jahren sogar wieder abnimmt:<br />

„In den letzten 30 bis 40 Jahren haben<br />

sich Temperatur und Sonnenaktivität<br />

also in unterschiedliche Richtungen<br />

entwickelt“, informiert Sceptical<br />

Science. Daraus ließe sich schließen,<br />

dass <strong>es</strong> einen anderen Grund für die<br />

Klimaerwärmung geben müsse.<br />

„Ach nee, wir werden immer noch von der<br />

medienbeherrschenden Klimamafia penetrant<br />

und arrogant belogen und betrogen. Wo<br />

ist denn der Physiknobelpreis für die bewi<strong>es</strong>ene<br />

Erkenntnis, dass die Menschheit nur<br />

die CO 2<br />

Re<strong>du</strong>zierung retten kann?“,<br />

meint ein User bei einem Zeit<br />

Online-Artikel vom 03.12.2018.<br />

Bild: Jr Casas / stock.adobe.com<br />

Oft hört und li<strong>es</strong>t man auch das Argument,<br />

der vom Menschen gemachte<br />

CO 2<br />

-Anteil sei ja viel zu gering, um relevant<br />

zu sein. Und überhaupt sei CO 2<br />

ja sogar gut für das Pflanzenwachstum.<br />

Das Magazin Geo klärt auf: <strong>Die</strong><br />

Menschen setzten zwar jährlich zirka<br />

25 Milliarden Tonnen CO 2<br />

(<strong>du</strong>rch<br />

28 Ausgabe 11 | Mai 2019 | Umweltdialog.de


Klimawandel<br />

„97 Prozent der jährlichen Kohlendioxi<strong>dem</strong>issionen entstammen<br />

der Natur, also nur höchstens drei Prozent aus der<br />

Verbrennung fossiler Rohstoffe <strong>du</strong>rch den Menschen. Der<br />

Mensch ist nur ein klein<strong>es</strong> Rad in der Klimag<strong>es</strong>chichte, also<br />

zu vernachlässigen“,<br />

heißt <strong>es</strong> in einem Kommentar unter einem Artikel vom Tag<strong>es</strong>spiegel<br />

vom 26.02.2019.<br />

Klimapopulisten an der Macht<br />

Zurzeit sind einige Politiker an der Macht, die den<br />

anthropogenen Anteil am Klimawandel leugnen und<br />

<strong>Klimaschutz</strong>maßnahmen torpedieren. Der bekannt<strong>es</strong>te<br />

ist wohl US-Präsident Donald Trump. Er stieg<br />

aus <strong>dem</strong> Pariser Klimavertrag aus, verharmlost die<br />

globale Erwärmung und macht sich darüber sogar<br />

noch lustig: „Was zur Hölle ist <strong>mit</strong> der Erderwärmung<br />

los? Bitte komm schnell zurück, wir brauchen dich!“,<br />

twitterte Trump Anfang d<strong>es</strong> Jahr<strong>es</strong> als Kommentar<br />

zu der Kältewelle im W<strong>es</strong>ten der USA. Berichten der<br />

Tag<strong>es</strong>schau zufolge herrschten dort teilweise bis zu<br />

minus 35 Grad. Trumps neu<strong>es</strong>ter Streich ist die Einrichtung<br />

einer Klimakommission. Sie soll die Bedrohung<br />

für die USA <strong>du</strong>rch den Klimawandel untersuchen,<br />

weiß der Stern. Den Vorsitz soll ausgerechnet<br />

William Happer, Angehöriger d<strong>es</strong> Nationalen Sicherheitsrat<strong>es</strong><br />

(NSC), übernehmen, der den Klimawandel<br />

schon mehrfach vehement b<strong>es</strong>tritt.<br />

Als „Tropen-Trump“ bekannt ist Jair Bolsonaro, der<br />

seit di<strong>es</strong>em Januar Präsident von Brasilien ist. Seine<br />

Wahl ist eine schlechte Nachricht für die Umwelt,<br />

findet die Deutsche Welle (DW). <strong>Die</strong> Brasilianer<br />

hätten sich da<strong>mit</strong> gegen Umweltschutz entschieden.<br />

Schon vor seiner Wahl hatte Bolsonaro angekündigt,<br />

Regierungsagenturen, die für den Schutz der<br />

Regenwälder verantwortlich sind, zu schließen. Auch<br />

die indigenen Völker Brasiliens stehen bei ihm nicht<br />

gerade hoch im Kurs: „Seine Feindseligkeit bezüglich<br />

der Landrechte von indigenen und traditionellen Gemeinschaften<br />

und seine Verachtung für den Umweltschutz<br />

könnten weite Teile von Waldschutzgebieten<br />

gefährden, die dann rücksichtslosen Projekten der<br />

Agrarin<strong>du</strong>strie oder <strong>dem</strong> Bergbau zum Opfer fallen<br />

könnten“, gibt Christian Poirier, Programmdirektor<br />

von Amazon Watch, im Interview <strong>mit</strong> der DW zu<br />

bedenken.<br />

Verbrennung fossiler Stoffe und Entwal<strong>du</strong>ng)<br />

frei, während die g<strong>es</strong>amte<br />

Biosphäre für die Freisetzung von<br />

etwa 550 Milliarden CO 2<br />

verantwortlich<br />

wäre. Bloß: Das CO 2<br />

, das auf natürlichem<br />

Weg entsteht, werde auch<br />

auf natürliche Weise, zum Beispiel<br />

<strong>du</strong>rch das Meer oder <strong>du</strong>rch Einlagerungen<br />

im Holz, wieder gebunden.<br />

„<strong>Die</strong> Verbrennung von Kohle, Gas und<br />

Öl dagegen setzt über Jahrmillionen<br />

gelagert<strong>es</strong> CO 2<br />

aus solchen Speichern<br />

frei – <strong>es</strong> bringt d<strong>es</strong>halb die eigentlich<br />

ausgeglichene Kohlenstoff-Bilanz der<br />

Atmosphäre <strong>du</strong>rcheinander“, weiß Geo. Laut klimafakten.<br />

de ergaben zwar Studien, dass CO 2<br />

die Photosynth<strong>es</strong>e von<br />

Pflanzen anrege. Solche Effekte seien aber sehr gering und<br />

hätten nur kurzzeitig eine Wirkung. Zu<strong>dem</strong> sei das Wachstum<br />

von Pflanzen stark abhängig vom Klima: „Im Freiland<br />

werden die negativen Effekte (zum Beispiel von wahrscheinlich<br />

zunehmenden Hitzewellen und Trockenheit)<br />

überwiegen“, informiert die Website.<br />

„<strong>Die</strong> Klimawandel-Hysterie wird künstlich<br />

über die Medien aufgebaut, dabei ist der Klimawandel,<br />

egal in welche Richtung, ein normaler<br />

Proz<strong>es</strong>s, der schon immer die Temperatur<br />

auf der Erdoberfläche beeinflusst hat,<br />

natürlich unterschiedlich in den verschiedenen<br />

Klimazonen. Also Ruhe bewahren und<br />

<strong>mit</strong> der Klimahysterie gelassen umgehen“,<br />

weiß der User D.W unter einem Artikel der Welt vom<br />

12.03.2019.<br />

<strong>Wie</strong> kommt man dagegen an?<br />

Erfahrungsgemäß kommt man <strong>mit</strong> solchen wissenschaftlichen<br />

Argumenten bei Klimaskeptikern leider oft nicht<br />

weit. Was ist also zu tun? <strong>Die</strong> Autoren der Zeit fordern ein<br />

Umdenken. Zunächst einmal wäre <strong>es</strong> wichtig, die „Dramatik<br />

der Situation“ zu erkennen. Und zwar auch von politischer<br />

Seite. Man müsse zu<strong>dem</strong> Aufklärung betreiben,<br />

da<strong>mit</strong> die Bürger zukünftig Fake News b<strong>es</strong>ser erkennen<br />

würden. Außer<strong>dem</strong> sollten Facebook, Twitter und Co. mehr<br />

Verantwortung übernehmen. „Sie müssten sich zu einem<br />

journalistischen Ethos bekennen und redaktionelle Standards<br />

implementieren“, finden die Autoren. Am wichtigsten<br />

sei schließlich die weltweite Energiewende: „Sie dreht<br />

der fossilen In<strong>du</strong>strie, den Rechtsnationalisten und Klimaleugnern<br />

den Geldhahn zu.“ f<br />

Ausgabe 11 | Mai 2019 | Umweltdialog.de<br />

29


Klimawandel<br />

Europäische Klimaziele<br />

bis 2050<br />

im Vergleich zu 1990<br />

2050 -93 % -99 %<br />

-83 % -87 %<br />

-54 % -67 %<br />

2030<br />

-54 % -68 %<br />

-34 % -40 %<br />

+20 % -9 %<br />

2005<br />

-7 % -20 % +30 %<br />

Energie<br />

(Co 2<br />

)<br />

In<strong>du</strong>strie<br />

(Co 2<br />

)<br />

Transport<br />

(inkl. Co 2<br />

der Luftfahrt,<br />

exkl. Seefahrt)<br />

30 Ausgabe 11 | Mai 2019 | Umweltdialog.de


Klimawandel<br />

-88 % -91 %<br />

-42 % -49 %<br />

-79 % -82 %<br />

-37 % -53 %<br />

-36 % -37 %<br />

-40 % -44 %<br />

-12 % -20 % -7 %<br />

Wohnen und<br />

<strong>Die</strong>nstleistungen<br />

(Co 2<br />

)<br />

Landwirtschaft<br />

(alle Treibhausgase)<br />

Total<br />

Quelle: Europäische Kommission<br />

Ausgabe 11 | Mai 2019 | Umweltdialog.de<br />

31


Klimawandel<br />

Deutschland CO 2<br />

-neutral bis 2050<br />

So kann <strong>es</strong> klappen<br />

95 Prozent weniger Treibhausgase bis 2050 im Vergleich zu 1990:<br />

Das ist die Vorgabe der deutschen Bund<strong>es</strong>regierung, um die<br />

<strong>Klimaschutz</strong>ziele von Paris zu erreichen. Da<strong>mit</strong> das gelingt,<br />

müssen der Energie- und Verkehrssektor sowie energieintensive<br />

In<strong>du</strong>striezweige und die Landwirtschaft radikal umdenken.<br />

Aber wie funktioniert das?<br />

Seit <strong>dem</strong> Pariser Klimagipfel von 2015 ist der Begriff der<br />

Dekarbonisierung in aller Munde, wenn <strong>es</strong> um <strong>Klimaschutz</strong><br />

geht. Dekarbonisierung bedeutet, dass die G<strong>es</strong>ellschaft auf<br />

kohlenstoffartige Energieträger verzichtet und <strong>du</strong>rch kohlenstofffreie<br />

ersetzt. Das kann <strong>du</strong>rch Erneuerbare Energien<br />

oder <strong>du</strong>rch Kernenergie passieren. Zweite Variante birgt<br />

aber unkontrollierbare g<strong>es</strong>ellschaftliche und ökologische<br />

Risiken, wie die Nuklearkatastrophen Tschernobyl und Fukushima<br />

gezeigt haben. Der Fokus auf Erneuerbare Energien<br />

bedeutet gleichzeitig eine tiefgreifende Umstrukturierung<br />

unser<strong>es</strong> bisherigen Energi<strong>es</strong>ystems, also das, was in<br />

Deutschland allgemein als Energiewende bezeichnet wird.<br />

CO 2<br />

-Minderung: Mehr als nur Dekarbonisierung<br />

„Treibhausgasneutralität“ meint, dass Deutschland<br />

seine CO 2<br />

-Emissionen bis 2050 um 95 Prozent im<br />

Vergleich zu 1990 re<strong>du</strong>zieren muss. Dementsprechend<br />

haben wir dann nur noch ein Emissionsbudget von<br />

60 Millionen Tonnen CO 2<br />

pro Jahr zur Verfügung. Das<br />

wird laut der Studie „Treibhausgasneutral<strong>es</strong> Deutschland<br />

2050“ vom Umweltbund<strong>es</strong>amt vor allem von der<br />

Landwirtschaft und im geringeren Umfang von In<strong>du</strong>strieproz<strong>es</strong>sen,<br />

Löse<strong>mit</strong>teln und Pro<strong>du</strong>ktanwen<strong>du</strong>ngen<br />

verbraucht.<br />

Neben der Dekarbonisierung unserer G<strong>es</strong>ellschaft gibt<br />

<strong>es</strong> weitere Möglichkeiten, CO 2<br />

-Emissionen zu re<strong>du</strong>zieren<br />

und/oder das Klima zu schützen.<br />

• Substitution von Kohle als Energieträger <strong>du</strong>rch kohlenstoffärmere<br />

wie Erdgas. Aber Achtung: Pfadabhängigkeiten<br />

berücksichtigen.<br />

• Effizienzmaßnahmen wie Wärmedämmung in Gebäuden<br />

oder Kraftwerke <strong>mit</strong> höherem Wirkungsgrad etc.<br />

• CO 2<br />

-Abschei<strong>du</strong>ng und -Speicherung<br />

• Nutzung von Biomasse (allerdings nur Abfall; kein zusätzlicher<br />

Anbau, da die Flächen sonst der Nahrungs<strong>mit</strong>telpro<strong>du</strong>ktion<br />

verloren gehen)<br />

• Naturschutz: Schutz von Wäldern und Mooren als<br />

wichtige CO 2<br />

-Speicher<br />

• Sparmaßnahmen wie der Verzicht auf Flugreisen, Tempoli<strong>mit</strong><br />

auf Autobahnen, geringer Einsatz von Klimaanlagen<br />

etc.<br />

Aber: Maßnahmen wie Energieeffizienz und Suffizienz<br />

haben im Vergleich zur Dekarbonisierung nur ein b<strong>es</strong>chränkt<strong>es</strong><br />

CO 2<br />

-Minderungspotenzial, wie etwa Dr. Rüdiger<br />

Paschotta auf energie-lexikon.info schreibt: „Da aber<br />

die CO 2<br />

-Emissionen langfristig auf ein weitaus tiefer<strong>es</strong><br />

Niveau als heute g<strong>es</strong>enkt werden müssen, während der<br />

weltweite Energiebedarf zunimmt, ist eine umfangreiche<br />

Dekarbonisierung <strong>mit</strong>tel- bis langfristig unumgänglich.“<br />

32 Ausgabe 11 | Mai 2019 | Umweltdialog.de


Klimawandel<br />

Foto: Dirk / stock.adobe.com<br />

In einem „sauberen“ Energi<strong>es</strong>ystem wird der Strom über<br />

Wind- und Sonnenkraft gewonnen. Auch Wasserkraft und<br />

Geothermie können eine Rolle spielen: „Zentraler Baustein<br />

einer vollständig regenerativen Energieversorgung ist die<br />

Erzeugung von Wasserstoff <strong>du</strong>rch Wasserelektrolyse <strong>mit</strong><br />

Hilfe von erneuerbar erzeugtem Strom. Aus Wasserstoff<br />

können <strong>du</strong>rch weitere katalytische Proz<strong>es</strong>se Methan (Power-to-Gas)<br />

und weitere Kohlenwasserstoffe (Power-to-Liquid)<br />

erzeugt werden“, schreibt das Umweltbund<strong>es</strong>amt.<br />

<strong>Die</strong>se könnten wiederum als Brenn- und Kraftstoffe dienen<br />

und seien in der In<strong>du</strong>strie und in einem sauberen Energi<strong>es</strong>ystem<br />

<strong>es</strong>sentiell.<br />

Wasserstoff als Baustein für<br />

saubere Energie<br />

Wasserstoff kann im Energiewandler Brennstoffzelle<br />

am effizient<strong>es</strong>ten und sauber verstromt<br />

werden, wie die NOW-GmbH sagt. Gemeinsam<br />

können sie überall dort eing<strong>es</strong>etzt werden, wo man<br />

Strom und Wärme benötigt. Beispielsweise kann<br />

Wasserstoff Brennstoffzellen-Fahrzeuge wie Autos,<br />

Lkws oder Züge antreiben, ohne dass sie schädliche<br />

Emissionen ausstoßen. Da neben Strom in den<br />

Brennstoffzellen auch Wärme entsteht, eignen sie<br />

sich auch zur Energieversorgung<br />

von<br />

Gebäuden: „Brennstoffzellen-Heizgeräte<br />

sind hocheffiziente<br />

Kraft-Wärme-<br />

Anlagen, die heute<br />

schon von verschiedenen<br />

Herstellern<br />

zum Kauf angeboten<br />

werden.“<br />

Da<strong>mit</strong> die Energiewende ein Erfolg wird, gilt <strong>es</strong> nicht nur,<br />

den Stromsektor zu dekarbonisieren, sondern auch in den<br />

Bereichen Wärme und Verkehr <strong>mit</strong> Hilfe von Ökostrom und<br />

moderner Technik auf fossile Energie zu verzichten. Dabei<br />

ist der Einsatz von Wasserstoff nur eine Möglichkeit. <strong>Die</strong><br />

Vernetzung von Strom, Mobilität und Wärme zur Optimierung<br />

d<strong>es</strong> Energi<strong>es</strong>ystems wird Sektorkopplung genannt.<br />

Das gilt unabhängig davon, ob die Energie aus regenerativen<br />

oder fossilen Quellen stammt.<br />

Sektorkopplung<br />

Noch heizen die Deutschen vor allem <strong>mit</strong> fossilen Energieträgern<br />

wie Öl und Gas, wie das Bund<strong>es</strong>wirtschaftsministerium<br />

schreibt. Ein groß<strong>es</strong> Potenzial für eine saubere Lösung<br />

bieten hier zum Beispiel Power-to-Heat-Technologien,<br />

die Strom nutzen, um Wärme zu gewinnen. Dazu zählen<br />

Wärmepumpen im Heizungskeller. <strong>Die</strong>se nutzen Strom,<br />

um die vorhandene Erdwärme aufzunehmen, zu verdichten<br />

und da<strong>mit</strong> dann die Heizung zu betreiben: „Das ist auch<br />

noch effizient: In energetisch sanierten Gebäuden machen<br />

gute Wärmepumpen aus einer Kilowattstunde Strom mehrere<br />

Kilowattstunden Wärme.“<br />

Auch der Verkehrssektor lässt sich in vielen Bereichen<br />

auf Strom umstellen. So fahren viele Züge bereits elektrisch;<br />

an der E-Mobilitätsoffensive bei PKWs und LKWs<br />

wird von Seiten der Automobilin<strong>du</strong>strie massiv gearbeitet.<br />

Allerdings bedeutet das gleichzeitig, dass künftig der<br />

Strombedarf für den Betrieb der Fahrzeuge extrem ansteigen<br />

wird.<br />

Darüber hinaus wird für die Herstellung stromerzeugter,<br />

synthetischer Kraftstoffe viel Energie benötigt. „Es ist daher<br />

unumgänglich, den Endenergiebedarf d<strong>es</strong> g<strong>es</strong>amten<br />

Verkehrssektors deutlich zu senken – trotz d<strong>es</strong> prognostizierten<br />

Verkehrsanstiegs“, fordert das Umweltbund<strong>es</strong>amt.<br />

Das sei u.a. <strong>du</strong>rch Verkehrsvermei<strong>du</strong>ng, Verkehrsverlagerung<br />

auf umweltfreundliche Verkehrs<strong>mit</strong>tel oder Effizienzsteigerung<br />

möglich.<br />

>><br />

Ausgabe 11 | Mai 2019 | Umweltdialog.de<br />

33


Klimawandel<br />

Sektorkopplung: Umwandlungspfade<br />

Gas als Rohstoff<br />

heute wirtschaftlich darstellbar<br />

Brennstoffzelle<br />

Demonstrations- / Forschungsprojekte<br />

Verkehr<br />

Power-to-Liquid (PtL)<br />

Elektromobilität<br />

Elektromobilität<br />

Gasmotor<br />

Gaskraftwerke<br />

Power-to-Gas (PtG)<br />

Gas<br />

Wasserstoff /<br />

Methan<br />

Heizk<strong>es</strong>sel<br />

KWK<br />

Gas- / Wärmepumpe<br />

In<strong>du</strong>strie<br />

Strom<br />

Wärmepumpe<br />

Wärme<br />

Power-to-Pro<strong>du</strong>ct (PtP)<br />

Power-to-Heat (PtH)<br />

Power-to-X (PtX)<br />

ist ein Überbegriff für Verfahren zur Umwandlung von Strom in<br />

flüssige und gasförmige Energieträger, Wärme sowie In<strong>du</strong>striepro<strong>du</strong>kte.<br />

Power-to-Gas (PtG)<br />

Power-to-Liquid (PtL)<br />

Langzeitstromspeicherung<br />

möglich<br />

Speicherung in Erdgasnetz<br />

und -speicher hat groß<strong>es</strong><br />

Potenzial<br />

Dekarbonisierung d<strong>es</strong><br />

Gassektors bei PtG <strong>mit</strong><br />

erneuerbarem Strom<br />

noch nicht volkswirtschaftlich<br />

darstellbar<br />

noch nicht entsprechende<br />

Mengen an Überschussstrom<br />

vorhanden<br />

geringer Wirkungsgrad<br />

hohe Kosten<br />

bezeichnet die Umwandlung<br />

von Strom in chemische<br />

Energieträger <strong>mit</strong> Elektrolyse<br />

als erstem Schritt, teilweise<br />

nachg<strong>es</strong>chaltete Synth<strong>es</strong>e.<br />

Quelle: Stiftung Energie & <strong>Klimaschutz</strong> – Energiezukunft im Dialog<br />

34 Ausgabe 11 | Mai 2019 | Umweltdialog.de


Klimawandel<br />

Brennstoffzelle<br />

wandelt chemische Energie ein<strong>es</strong> Brennstoff<strong>es</strong> (z.B<br />

Wasserstoff) <strong>du</strong>rch Oxidation direkt in elektrische<br />

Energie und Wärme (geringer Anteil) um.<br />

Wärmepumpen<br />

transformieren Umgebungswärme <strong>mit</strong>hilfe von<br />

elektrischer Energie auf ein höher<strong>es</strong> Temperaturniveau;<br />

di<strong>es</strong>e Technik ist ein<br />

wichtiger Teil effizienter Gebäudebeheizung.<br />

sehr effiziente Stromerzeugung<br />

kaum Verschleiß<br />

hohe Kosten<br />

geringer Wirkungsgrad bei zweifacher<br />

Umwandlung (Strom-Gas-Strom)<br />

Effizienz<br />

wartungsfrei<br />

Anforderungen an Gebäude,<br />

z.B. Flächenheizungen, Dämmung<br />

notwendig<br />

Power-to-Pro<strong>du</strong>ct (PtP)<br />

Power-to-Chemicals (PtC)<br />

Elektrolyse<br />

Kraft-Wärme-<br />

Kopplung (KWK)<br />

bezeichnet die Nutzung von<br />

„Überschussstrom” zur<br />

Herstellung von In<strong>du</strong>striepro<strong>du</strong>kten<br />

/chemischen Stoffen,<br />

die bis zur weiteren Verwen<strong>du</strong>ng<br />

relativ einfach<br />

gelagert werden können.<br />

ist ein umgekehrter Proz<strong>es</strong>s zur<br />

Brennstoffzelle; wandelt <strong>du</strong>rch<br />

Einsatz elektrischer Energie<br />

Wasser in Wasserstoff und<br />

Sauerstoff um. <strong>Die</strong>s<strong>es</strong> Verfahren<br />

ist die Grundlage für Powerto-Gas-Verfahren.<br />

ist der Überbegriff für Proz<strong>es</strong>se<br />

zur gleichzeitigen Gewinnung<br />

von elektrischer Energie und<br />

nutzbarer Wärme.<br />

KWK-Kraftwerke gibt <strong>es</strong> in<br />

zahlreichen Größen und <strong>mit</strong><br />

Nutzung verschiedenster<br />

Energieträger.<br />

>><br />

Ausgabe 11 | Mai 2019 | Umweltdialog.de<br />

35


Klimawandel<br />

CO 2<br />

-neutrale In<strong>du</strong>strie nur über<br />

technische Innovation<br />

Führt Dekarbonisierung zu Dein<strong>du</strong>strialisierung?<br />

Oder lässt sich ein treibhausgasneutraler<br />

und energieeffizienter<br />

In<strong>du</strong>stri<strong>es</strong>ektor in Deutschland<br />

entwickeln? Ja, sagt das Umweltbund<strong>es</strong>amt:<br />

Während die energiebedingten<br />

Emissionen <strong>du</strong>rch den Einsatz von<br />

Ökostrom, Wasserstoff und Methan<br />

vollständig vermieden werden könnten,<br />

könnten die proz<strong>es</strong>s- bzw. rohstoffbedingten<br />

Emissionen erheblich<br />

g<strong>es</strong>enkt werden. Dabei seien 2050 die<br />

Zement-, Kalk- und Glasin<strong>du</strong>strie die<br />

größten E<strong>mit</strong>tenten.<br />

Um den CO 2<br />

-Austoß innerhalb der<br />

In<strong>du</strong>strie zu re<strong>du</strong>zieren, bedürfe <strong>es</strong><br />

in vielen Branchen aber angepasster<br />

Herstellungsproz<strong>es</strong>se und geeigneter<br />

Anlagetechniken. Beispielsweise geht<br />

das Umweltbund<strong>es</strong>amt davon aus,<br />

dass <strong>es</strong> in der Stahlin<strong>du</strong>strie keine<br />

Primärstahlerzeugung über die Hochofen-Oxygenstahl-Route<br />

mehr gibt.<br />

Dafür würde die Elektrostahlerzeugung<br />

<strong>mit</strong>tels Schrott und Schwammeisen<br />

massiv ausgebaut.<br />

Und was sagen In<strong>du</strong>strie und Forschung zur Dekarbonisierung?<br />

Stimmen aus der Wirtschaft<br />

„Dekarbonisierung bedeutet eine<br />

komplette Umg<strong>es</strong>taltung der Wirtschaft,<br />

aber auch d<strong>es</strong> alltäglichen<br />

Lebens – unter Wahrung unser<strong>es</strong><br />

Wohlstands. Dafür benötigen wir<br />

völlig neue Technogien und innovative<br />

Verfahren – kurz: <strong>es</strong> handelt<br />

sich um eine <strong>dem</strong> Wirtschaftswunder<br />

vergleichbare Herausforderung“,<br />

sagt der Verband der<br />

In<strong>du</strong>striellen Energie- und Kraftwirtschaft.<br />

„Ohne Kohlenstoff wird aktuell kein<br />

Roheisen gewonnen, und ohne<br />

Roheisen gibt <strong>es</strong> keinen Stahl. Den<br />

Eisenerzen, wie sie in der Natur<br />

vorkommen, muss Sauerstoff<br />

entzogen werden – dafür werden<br />

heutzutage kohlenstoffhaltige<br />

Re<strong>du</strong>ktions<strong>mit</strong>tel eing<strong>es</strong>etzt“, so<br />

Marten Sprecher vom Stahlinstitut<br />

VDEh auf stahl-blog.de<br />

„Wenn die Chemiebranche bis 2050<br />

auf Erdöl und Erdgas als Rohstoff<br />

verzichtet, so bräuchte sie dafür<br />

Ökostrom in der Kapazität von 60<br />

Wasserkraftwerken Freudenau (Wasserkraftwerk<br />

bei <strong>Wie</strong>n). Das entspricht<br />

fast <strong>dem</strong> Stromverbrauch von ganz<br />

Österreich im Jahr 2016.“, so FCIO<br />

Fachverband der Chemischen<br />

In<strong>du</strong>strie Österreich gegenüber der<br />

Pr<strong>es</strong>se.<br />

Stimmen aus der Forschung<br />

„Zentral ist, nicht nur die Grundstoffin<strong>du</strong>strie<br />

selbst zu verändern,<br />

sondern die g<strong>es</strong>amte Wertschöpfungskette<br />

einzubeziehen. B<strong>es</strong>onders<br />

die Bauwirtschaft sollte sich<br />

als größter Nachfrager von CO 2<br />

-intensiven<br />

Pro<strong>du</strong>kten wie Stahl,<br />

Zement und Glas daran orientieren,<br />

wie viel Emissionen bei der<br />

Herstellung ausg<strong>es</strong>toßen werden.<br />

D<strong>es</strong>halb müssten die Kosten der<br />

CO 2<br />

-Emissionen in der Pro<strong>du</strong>ktverwen<strong>du</strong>ng<br />

eingepreist werden“, sagt<br />

Dr. Tobias Fleiter, Projektleiter am<br />

Fraunhofer ISI.<br />

36 Ausgabe 11 | Mai 2019 | Umweltdialog.de


Klimawandel<br />

Foto: tomas / fotolia.com<br />

Auch das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung<br />

ISI sieht eine umfassende Dekarbonisierung<br />

nur <strong>mit</strong> Hilfe von CO 2<br />

-neutraler Technologien und einem<br />

umfassenden technischen Wandel; insb<strong>es</strong>ondere bei der<br />

sogenannten Grundstoffin<strong>du</strong>strie. <strong>Die</strong>se umfasst alle In<strong>du</strong>striebranchen,<br />

die Rohstoffe gewinnen und weiterverarbeitet<br />

bereitstellen. Das Forschungsinstitut plädiert dabei<br />

für eine verb<strong>es</strong>serte Energieeffizienz, da di<strong>es</strong>e die Kosten<br />

für eine Dekarbonisierung re<strong>du</strong>ziere und einen wichtigen<br />

Beitrag zur CO 2<br />

-Einsparung leisten könne: „Doch das alleine<br />

reicht nicht, um die Emissionen ausreichend zu mindern.<br />

Ein entscheidender Faktor ist ein schneller Ausbau<br />

der Erneuerbaren Energien, um CO 2<br />

-freien Strom zu gewinnen“,<br />

so das Fraunhofer ISI. „<strong>Die</strong>s ist insb<strong>es</strong>ondere d<strong>es</strong>halb<br />

wichtig, da sich der Stromverbrauch d<strong>es</strong> In<strong>du</strong>stri<strong>es</strong>ektors<br />

bis 2050 stark erhöhen könnte“, etwa <strong>du</strong>rch Einsetzen von<br />

Strom für die Proz<strong>es</strong>swärmeerzeugung.<br />

Klimasünde <strong>du</strong>rch Fleischkonsum<br />

2017 war die deutsche Landwirtschaft für zirka sieben<br />

Prozent der Treibhausgas-Emissionen verantwortlich, wie<br />

das Thünen-Institut berichtet. <strong>Die</strong> eigentlichen „Klimakiller“<br />

im Agrarsektor sind insb<strong>es</strong>ondere Lachgas (Stickstoffdünger<br />

auf landwirtschaftlichen Flächen) und Methan<br />

(verdauungsbedingter Ausstoß der Nutztiere). „Vor allem<br />

die weltweite Nachfrage nach Fleisch b<strong>es</strong>timmt, wie viele<br />

Tiere gehalten werden. <strong>Die</strong> Viehwirtschaft ist der größte<br />

Nutzer von Landflächen, wobei eine Verschiebung von<br />

Weiden hin zum Anbau von Futterpflanzen auf Ackerflächen<br />

stattfindet“, informiert eine Greenpeace-Studie<br />

zum Thema Landwirtschaft und Klima. Ein zusätzlich<strong>es</strong><br />

Problem: Für den Anbau von Futterpflanzen werden große<br />

Flächen Regenwald abgeholzt, die da<strong>mit</strong> als CO2-Speicher<br />

wegfallen.<br />

Es gibt unterschiedliche Maßnahmen, die Treibhaus-Emissionen<br />

der Landwirtschaft zu senken. Dazu zählen natürlich<br />

eine Re<strong>du</strong>zierung d<strong>es</strong> Fleischkonsums und ein verantwortungsvoller<br />

Umgang <strong>mit</strong> Lebend<strong>mit</strong>teln, um Abfälle zu<br />

vermeiden. Darüber hinaus gilt <strong>es</strong>, die Effizienz im Bereich<br />

der Tierfütterung und Düngung zu optimieren: „Nachhaltige<br />

Strategien erfordern r<strong>es</strong>sourcenschonende und effiziente<br />

Bewirtschaftung unter b<strong>es</strong>onderer Berücksichtigung<br />

von ökologischem Landbau, Präzisionslandwirtschaft und<br />

Pflanzenzucht unter Erhaltung der genetischen Vielfalt“,<br />

so eine Studie von Greenpeace Österreich. Ein wichtiger<br />

Schritt kann etwa die Einführung einer Stickstoff-Überschussabgabe<br />

sein, um seinen Einsatz auf den Feldern zu<br />

senken. f<br />

Ausgabe 11 | Mai 2019 | Umweltdialog.de<br />

37


Klimawandel<br />

Advertorial<br />

Smart trifft Power:<br />

Das neue Energi<strong>es</strong>ystem für die Stadt<br />

Gemeinsam Energie nutzen,<br />

die Umwelt schonen und<br />

Kosten sparen. E.ON will <strong>mit</strong><br />

seiner neuen Technologie<br />

ectogrid das urbane<br />

Wärme-, Kälte- und Stromnetz<br />

revolutionieren. <strong>Die</strong><br />

Innovation ermöglicht den<br />

Kunden, gegenseitig<br />

Wärme- und Kälteenergie<br />

ihrer Gebäude zu nutzen.<br />

Da<strong>du</strong>rch sinkt der Bedarf an<br />

benötigter Energie erheblich.<br />

ectogrid ist ein Beitrag,<br />

die Urbanisierung der Zukunft<br />

nachhaltig zu g<strong>es</strong>talten und<br />

den Klimawandel zu<br />

bekämpfen.<br />

Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung<br />

lebt heute in Städten. Tendenz<br />

steigend. Im urbanen Alltag wird viel<br />

Energie benötigt. <strong>Die</strong>se stammt oft<br />

aus der Verbrennung fossiler Rohstoffe.<br />

Da<strong>du</strong>rch verursachen Städte heute<br />

70 Prozent der globalen Treibhausgase<br />

und sind zu einem wichtigen<br />

Klimafaktor geworden. Neue Energielösungen<br />

müssen genau di<strong>es</strong><strong>es</strong><br />

Problem aufgreifen, um die urbane<br />

Umweltverschmutzung zu re<strong>du</strong>zieren<br />

und den Menschen ein g<strong>es</strong>und<strong>es</strong><br />

Leben in der Stadt zu bieten. „Unsere<br />

Energi<strong>es</strong>ysteme sind so konzipiert,<br />

dass sie jeweils nur eine Funktion<br />

zur selben Zeit erfüllen können.<br />

Durch einen integrierten Ansatz ist<br />

<strong>es</strong> aber möglich, ein viel effizienter<strong>es</strong><br />

System zu entwickeln“, sagt Dr. Per<br />

Rosén, der ectogrid erfunden hat.<br />

„Ein Gebäude, das Energie zum Heizen<br />

benötigt, pro<strong>du</strong>ziert gleichzeitig<br />

einen kalten Energi<strong>es</strong>trom und umgekehrt.<br />

ectogrid verbindet di<strong>es</strong>e<br />

thermischen Energi<strong>es</strong>tröme und hilft<br />

den Nutzern gegenseitig voneinander<br />

zu profitieren.“ Das Ergebnis: Durch<br />

das gemeinsame Nutzen thermischer<br />

Energie re<strong>du</strong>zieren sich die Umweltauswirkungen<br />

beider Gebäude und<br />

ihre Energiekosten sinken.<br />

Eine intelligente Energielösung für<br />

die Stadt<br />

ectogrid ist für moderne Städte konzipiert<br />

und wurde von schwedischen<br />

Fernwärme-Spezialisten und Experten<br />

für Wärmepumpen entwickelt.<br />

<strong>Die</strong> Smart Grid Technologie sorgt für<br />

die Interaktion im Netz. Dabei nutzt<br />

das Energi<strong>es</strong>ystem jene thermischen<br />

Energi<strong>es</strong>tröme, die in modernen Städten<br />

täglich <strong>du</strong>rch unser Handeln entstehen.<br />

Mit Hilfe ein<strong>es</strong> hocheffizienten<br />

kalten Nahwärmenetz<strong>es</strong> verbindet <strong>es</strong><br />

verschiedene Häuser innerhalb einer<br />

Stadt oder ein<strong>es</strong> Quartiers, sammelt<br />

überschüssige Wärme- und Kälteenergie<br />

und gleicht di<strong>es</strong>e selbständig zwischen<br />

den Gebäuden aus. Auch eine<br />

g<strong>es</strong>amte Stadt kann theoretisch in das<br />

Energi<strong>es</strong>ystem integriert werden. Das<br />

smarte Cloudsystem nutzt darüber hinaus<br />

Algorithmen und Datenanalysen<br />

über Verbraucherverhalten, Jahr<strong>es</strong>zeiten,<br />

Wetter oder Energiepreise, um<br />

die Energieverteilung und -speicherung<br />

optimal zu steuern.<br />

<strong>Die</strong> im Netz verbundenen Häuser verwenden<br />

Wärmepumpen und Kältemaschinen,<br />

die je nach Bedarf der Gebäude<br />

genutzt werden: <strong>Die</strong> Abwärme<br />

der Kälteanlagen dient zum Heizen<br />

und die Abkälte der Wärmepumpen<br />

zum Kühlen. In Verbin<strong>du</strong>ng <strong>mit</strong> Verteilnetzen<br />

und Speichern im Erdreich<br />

entsteht eine Art thermische Batterie,<br />

die den Kälte- und Wärmebedarf der<br />

ang<strong>es</strong>chlossenen Gebäude intelligent<br />

ausbalanciert. Da das System <strong>mit</strong> derselben<br />

niedrigen Temperatur arbeitet<br />

wie seine Umgebung, geht kaum<br />

Energie bei der Verteilung verloren.<br />

Es benötigt nur dann externe Energie,<br />

wenn das Potenzial der thermischen<br />

Energi<strong>es</strong>tröme erschöpft ist.<br />

Entstehen Energieüberschüsse oder<br />

wird der Strom dringend für andere<br />

Zwecke benötigt – etwa zum Aufladen<br />

elektrischer Fahrzeuge – passt<br />

38 Ausgabe 11 | Mai 2019 | Umweltdialog.de


Klimawandel<br />

Bis 2020 dauern die unterschiedlichen<br />

Konstruktionsphasen im Medicon<br />

Village; insg<strong>es</strong>amt soll das Energi<strong>es</strong>ystem<br />

zwölf Gebäude integrieren:<br />

„Für uns und unsere Mieter ist <strong>es</strong><br />

wichtig, dass der ökologische Fußabdruck<br />

unserer Tätigkeiten so niedrig<br />

wie möglich ist. ectogrid ist eine Innovation,<br />

die das widerspiegelt, was<br />

wir sein wollen – ein nachhaltiger und<br />

innovativer Forschungs- und Wissenschaftspark“,<br />

sagt Mats Leifland, CEO<br />

von Medicon Village.<br />

Bild: E.ON<br />

Energetische Nachhaltigkeit ist auch<br />

einer der Grundsätze der Europäischen<br />

Spallationsquelle ESS in Lund,<br />

die di<strong>es</strong><strong>es</strong> Jahr fertigg<strong>es</strong>tellt wird. <strong>Die</strong><br />

weltweit modernste Neutronenquelle,<br />

wie das Forschungszentrum Jülich<br />

sagt, soll komplett CO 2<br />

-neutral sein.<br />

Dafür beziehe sie Strom aus Erneuerbaren<br />

Energien und die entstehende<br />

Abwärme werde in Lunds Fernwärmenetz<br />

eing<strong>es</strong>peist. Davon profitiert<br />

u.a. das neue Quartier „Science Village<br />

Scandinavia“: „Der Kern unserer Nachhaltigkeitsvision<br />

ist <strong>es</strong>, das ESS zu einer<br />

der effizient<strong>es</strong>ten und nachhaltigsten<br />

Forschungseinrichtungen der Welt<br />

zu machen. <strong>Die</strong> Wahl ein<strong>es</strong> innovativen<br />

Energiekonzepts wie ectogrid<br />

für den ESS Campus steht da<strong>mit</strong> völlig<br />

im Einklang“, so Kent Hedin, Head of<br />

Conventional Faciliti<strong>es</strong>, ESS.<br />

ectogrid selbständig die Systemtemperatur<br />

an den Bedarf an. ectogrid<br />

kann außer<strong>dem</strong> als hybride Lösung<br />

in b<strong>es</strong>tehende Energi<strong>es</strong>ysteme wie<br />

Erdgasnetze oder Fernwärme integriert<br />

werden: „Durch ectogrid ist <strong>es</strong><br />

möglich, sowohl die Verschmutzung<br />

als auch den Energieverbrauch in<br />

Städten drastisch zu senken. Da<strong>mit</strong><br />

bekämpfen wir den Klimawandel und<br />

transformieren gleichzeitig den urbanen<br />

Energiemarkt“, erklärt Fredrik<br />

Rosenqvist, Head of Busin<strong>es</strong>s Innovation<br />

und Miterfinder d<strong>es</strong> neuen Energi<strong>es</strong>ystems.<br />

Leuchtturmprojekte in Lund<br />

Wer sich ein eigen<strong>es</strong> Bild machen will,<br />

wie ectogrid künftig in der Praxis<br />

funktioniert, kann nach Lund fahren.<br />

In der schwedischen Stadt wird Innovation<br />

groß g<strong>es</strong>chrieben, finden sich<br />

hier doch verschiedene Forschungsund<br />

Wissenschaftsquartiere, die an<br />

die Bedürfnisse moderner Stadtentwicklung<br />

angepasst sind und die von<br />

<strong>dem</strong> neuen Energi<strong>es</strong>ystem profitieren<br />

wollen. So beispielsweise der Wissenschaftspark<br />

Medicon Village, in<br />

<strong>dem</strong> das erste ectogrid der Welt installiert<br />

wird. Über 1.600 Menschen<br />

in 120 Organisationen arbeiten hier<br />

im Bereich Life Science. Jeder erwirtschaftete<br />

Überschuss wird in weitere<br />

Forschungs- und Innovationsvorhaben<br />

reinv<strong>es</strong>tiert. Das gilt auch für das<br />

Geld, das die Betreiber <strong>du</strong>rch die neue<br />

Lösung von E.ON einsparen.<br />

Markteinführung in Deutschland<br />

ectogrid begeistert aber nicht nur<br />

Menschen in Lund. Auch in Deutschland<br />

konnte E.ON <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> Kälte- und<br />

Wärmenetz überzeugen. So hat kürzlich<br />

die Jury d<strong>es</strong> Handelsblatt Energy<br />

Awards ectogrid als TOP 3 Technologie<br />

in der Kategorie Smart Infrastructure<br />

ausgezeichnet. E.ON führt derzeit<br />

die Technologie in den deutschen<br />

Markt ein. In Kooperation <strong>mit</strong> der<br />

RWTH Aachen setzt das Unternehmen<br />

eine vom Bund<strong>es</strong>wirtschaftsministerium<br />

geförderte Machbarkeitsstudie<br />

um. In einem Pilotprojekt sollen im<br />

Baden-Württembergischen Immendingen<br />

verschiedene Quartiere <strong>mit</strong><br />

ectogrid <strong>mit</strong>einander vernetzt werden,<br />

um den Kälte- und Wärmebedarf<br />

der Gebäude lokal auszugleichen. Auf<br />

di<strong>es</strong>e Weise werden die Quartiersnetze<br />

zu Plattformen für die Umsetzung<br />

der urbanen Energiewende –<br />

partizipativ und bürgernah. f<br />

Ausgabe 11 | Mai 2019 | Umweltdialog.de<br />

39


Klimawandel<br />

Baustelle Energiewende<br />

Neue Bauleiter g<strong>es</strong>ucht!<br />

Gut ein Drittel d<strong>es</strong> Stroms in Deutschland kommt bereits aus Erneuerbaren Energien, die<br />

Energiewende genießt breite Zustimmung in der Bevölkerung. Doch Deutschland reguliert seit<br />

Jahren seine eigene Energiewende erfolgreich herunter. <strong>Die</strong> Klimaziele sind unter den jetzigen<br />

Rahmenbedingungen nicht mehr zu erreichen. Der Bund<strong>es</strong>rechnungshof hat 2018 gewarnt,<br />

dass die Bund<strong>es</strong>regierung <strong>mit</strong> ihrem Generationenprojekt der Energiewende zu scheitern drohe.<br />

Von Nicole Allé, Chefredaktion energiezukunft<br />

EU-Kommissar Cañete wollte vor der Weltklimakonferenz<br />

in Polen im vergangenen Jahr ein Zeichen<br />

setzen und die Partner dazu ermutigen, mehr gegen<br />

die Erderwärmung zu tun. Er hatte dafür plädiert, auf internationaler<br />

Ebene bis 2030 das Niveau für die Senkung<br />

der Treibhausgase weiter anzuheben. Doch sein Vorschlag<br />

stieß auf Ablehnung. Widerstand kam auch aus Deutschland<br />

von Seiten der Bund<strong>es</strong>regierung und der In<strong>du</strong>strie<br />

– kein Wunder, wird Deutschland ja selbst das 2020-Ziel<br />

klar verfehlen. Dabei hat Angela Merkel einst die internationalen<br />

Klimaverhandlungen <strong>mit</strong>geprägt, <strong>mit</strong> ehrgeizigen<br />

Zusagen b<strong>es</strong>chleunigt und Skeptiker überzeugt. Doch in<br />

Deutschland hat sie kaum etwas davon umg<strong>es</strong>etzt. Dabei<br />

ist all<strong>es</strong> bekannt. In den Ministerien sitzen kluge Berater<br />

und Experten, doch sie finden kein Gehör. Stattd<strong>es</strong>sen wurde<br />

in den vergangenen Jahren der Fortschritt der Energiewende<br />

totreguliert. Dabei sinken die G<strong>es</strong>tehungskosten<br />

für Erneuerbare Energien, die Erträge steigen. Heute<br />

lässt sich Solarstrom so günstig erzeugen wie<br />

noch nie. In den ersten neun Monaten 2018<br />

etwa wurde in Deutschland bereits so<br />

viel Solarstrom erzeugt wie im Jahr<br />

2017, berichtet der Bund<strong>es</strong>verband<br />

Solarwirtschaft.<br />

Trotz guter Zahlen ist<br />

die Branche verärgert.<br />

„Es<br />

herrscht<br />

40 Ausgabe 11 | Mai 2019 | Umweltdialog.de


Klimawandel<br />

groß<strong>es</strong> Unverständnis, warum der<br />

Ausbau der Solarenergie in Deutschland<br />

noch immer so erschwert wird“,<br />

sagt Carsten Körnig, G<strong>es</strong>chäftsführer<br />

d<strong>es</strong> BSW. <strong>Die</strong> Bund<strong>es</strong>regierung hat<br />

den Ausbau von Solaranlagen ab einer<br />

Leistung von 750 Kilowatt gedeckelt,<br />

2018 wurden in drei Ausschreibungen<br />

nur 600 Megawatt neue Kapazitäten<br />

ausg<strong>es</strong>chrieben. Viel zu wenig,<br />

um das eigene Ziel von 65 Prozent<br />

Erneuerbaren Energien am<br />

Stromverbrauch bis 2030<br />

zu erreichen.<br />

Foto: denisismagilov / stock.adobe.com<br />

Bäume statt Kohle – die Wende im<br />

Wald<br />

Nach Rekordsommer und einer<br />

alarmierenden Heißzeitstudie sind<br />

zunehmend Menschen für das Thema<br />

<strong>Klimaschutz</strong> und Energiewende sensibilisiert.<br />

Dabei erfahren beispielsweise<br />

Klimaaktivisten, die 2018 im Hambacher<br />

Wald <strong>dem</strong>onstriert haben, eine<br />

ungeahnte Unterstützung von einem<br />

breiten zivilg<strong>es</strong>ellschaftlichen Bündnis.<br />

Es erinnert an die Anti-AKW-Bewegung<br />

der 80er-Jahre. RWE und die<br />

nordrhein-w<strong>es</strong>tfälische Land<strong>es</strong>regierung<br />

bewegen sich zwar noch im g<strong>es</strong>etzlichen<br />

Rahmen, doch das Beharren<br />

auf veralteten Strukturen verstößt<br />

gegen jede ökologische als auch ökonomische<br />

Vernunft. Zumal die Kohle<br />

unter <strong>dem</strong> Wald für eine verlässliche<br />

Stromversorgung in den kommenden<br />

Jahren noch nicht mal benötigt wird.<br />

500 Windkraftanlagen oder 29 Quadratkilometer<br />

Solaranlagen könnten<br />

die Menge Strom ersetzen, die RWE<br />

<strong>mit</strong> der Braunkohle unter <strong>dem</strong> Hambacher<br />

Wald erzeugen will, hat Volker<br />

Quaschning, Prof<strong>es</strong>sor für das Fachgebiet<br />

Regenerative Energi<strong>es</strong>ysteme an<br />

der Hochschule für Technik und Wirtschaft<br />

HTW Berlin, ausgerechnet. <strong>Die</strong><br />

Folgekosten <strong>mit</strong> eingerechnet, wäre<br />

der vergleichbare Ökostrom nicht nur<br />

klima- und umweltschonender, sondern<br />

sogar deutlich günstiger.<br />

Energiewende um Faktor vier<br />

b<strong>es</strong>chleunigen<br />

Doch die Regierung macht einmal<br />

mehr den Kotau vor der klimaschädlichen<br />

In<strong>du</strong>strie. „Sie schadet da<strong>mit</strong><br />

der g<strong>es</strong>amten deutschen Volkswirtschaft<br />

und verspielt genau die Jobs,<br />

die sie angeblich retten will“, sagt der<br />

Autor Franz Alt. Ohne Einbeziehung<br />

klima- und energiepolitischer Ziele<br />

in ihrer strategischen Ausrichtung<br />

könnten wichtige deutsche In<strong>du</strong>stri<strong>es</strong>parten<br />

bald immens an Vermögenswerten<br />

verlieren, warnt die Stiftung<br />

2 Grad. Bisher werden immer noch<br />

große Summen in Öl-, Gas- und Kohleprojekte<br />

inv<strong>es</strong>tiert. Eine wachsende<br />

Div<strong>es</strong>tment-Bewegung versucht gegenzusteuern:<br />

Fonds und Institutionen<br />

ziehen ihr Geld aus klimaschädlichen<br />

Energien ab und lenken <strong>es</strong><br />

in nachhaltige Kapitalanlagen und<br />

klimaschützende Unternehmen. Jede<br />

Einsparung von fossilen Energieimporten<br />

hat positive Effekte auf die<br />

Energi<strong>es</strong>icherheit und die Volkswirtschaft.<br />

Für Menschen, die in der alten<br />

fossilen Energiewirtschaft b<strong>es</strong>chäftigt<br />

sind, geht die Energiewende jedoch<br />

meist <strong>mit</strong> Zukunftsangst einher. Ihnen<br />

müssen Chancen aufgezeigt werden<br />

anstatt ihnen vorzugaukeln, dass<br />

ihre Arbeitsplätze auf Jahre sicher<br />

bleiben. „Wenn wir die Probleme ignorieren,<br />

werden sie am Ende nicht<br />

verschwinden, sondern uns <strong>mit</strong> noch<br />

größerer Wucht treffen“, warnt Prof<strong>es</strong>sor<br />

Quaschning und fordert, das<br />

Tempo der Energiewende „um den<br />

Faktor vier“ zu steigern. „Wir müssen<br />

endlich akzeptieren, dass die Zeit für<br />

den Abschied von den fossilen Brennstoffen<br />

gekommen ist. Für eine erfolgreiche<br />

Sektorenkopplung brauchen<br />

wir eine Elektrizitätsversorgung, die<br />

vollständig <strong>du</strong>rch Erneuerbare Energien<br />

gedeckt wird.“<br />

Preise müssen die ökologische<br />

Wahrheit sagen<br />

Laut d<strong>es</strong> Sozialen Nachhaltigkeitsbarometers<br />

zur Energiewende, die das<br />

Potsdamer Institut IASS erstellt hat,<br />

erhält der Kohleausstieg eine ähnlich<br />

hohe Zustimmung wie der Atomausstieg.<br />

Eine große Mehrheit in Deutschland<br />

empfindet die Transformation<br />

in der jetzigen Form jedoch als ungerecht,<br />

chaotisch und teuer – dabei geht<br />

<strong>es</strong> um die ungerechte Verteilung der<br />

Kosten. 72 Prozent der Bevölkerung<br />

lehnen die Ausnahmeregelungen für<br />

die In<strong>du</strong>strie bei der EEG-Umlage ab<br />

und 60 Prozent fordern: „Wer mehr klimaschädliche<br />

Emissionen verursacht,<br />

soll mehr dafür zahlen.“ Zu di<strong>es</strong>em<br />

Schluss kam auch der Bund<strong>es</strong>rechnungshof<br />

und kritisiert, dass Aufwand<br />

und Ertrag beim ökologischen Umbau<br />

der Energieversorgung in einem<br />

„krassen Missverhältnis“ stehen. >><br />

Ausgabe 11 | Mai 2019 | Umweltdialog.de<br />

41


Klimawandel<br />

<strong>Die</strong> Steuerung der Energiewende <strong>du</strong>rch das Wirtschaftsministerium<br />

sei mangelhaft und erreiche ihr zentral<strong>es</strong> Ziel<br />

nicht – nämlich die Senkung der CO 2<br />

-Emissionen. Statt die<br />

Energiewende <strong>mit</strong> einer Vielzahl komplizierter G<strong>es</strong>etze und<br />

Verordnungen zu regeln, solle die Bund<strong>es</strong>regierung einen<br />

rechtlichen Rahmen und ökonomische Anreize zu umweltverträglichem<br />

Verhalten setzen – <strong>mit</strong> einer allgemeinen<br />

CO 2<br />

-Bepreisung, wie <strong>es</strong> viele Energieexperten und Klimaökonomen<br />

längst fordern. Da<strong>mit</strong> würde der Ausstoß von<br />

Treibhausgasen für In<strong>du</strong>strie, Gewerbe und Verbraucher<br />

teurer und der Umstieg auf klimafreundliche Technologien<br />

wirtschaftlich angetrieben. Umlagen und Steuern könnten<br />

entfallen und das Regelungsdickicht gelichtet werden.<br />

Nachhilfe für den Energieminister<br />

Und was sagt der schlecht benotete Steuermann Peter<br />

Altmaier dazu? Er sieht immer noch keinen Handlungsbedarf.<br />

In einem Interview erzählt er dagegen wie selbstverständlich,<br />

dass er sich just zuhause eine neue Ölheizung<br />

hat einbauen lassen. „Daran kann man erm<strong>es</strong>sen, wie <strong>es</strong><br />

im einstigen Vorreiterland um Energiewende und <strong>Klimaschutz</strong><br />

steht“, kommentiert der Grünen-Fraktionsvize im<br />

Bund<strong>es</strong>tag Oliver Krischer auf Twitter. „Was hätten Sie<br />

denn einbauen lassen?“, twittert Altmaier zurück. Krischer<br />

schickt ein Foto vom eigenen Haus <strong>mit</strong> begrünter Fassade,<br />

PV-Anlage und Solarthermie auf <strong>dem</strong> Dach. „Ich wollte<br />

ja Wärmepumpe + Solarthermie und PV + alten K<strong>es</strong>sel für<br />

Extremlagen. Gab dafür leider keine Steuerung“, antwortet<br />

der Bund<strong>es</strong>energieminister. Dass <strong>es</strong> bei der Steuerung der<br />

Energiewende auch mächtig schief läuft wurde ihm ja nun<br />

b<strong>es</strong>tätigt. Es fehlt die ausreichende Lenkung für Inv<strong>es</strong>titionen<br />

in saubere Technologien, im Gegenteil gibt <strong>es</strong> Steuerboni<br />

und Zuschüsse für fossile Heizsysteme und Brennstoffe.<br />

„Statt Stückwerk bei der Energiewende braucht <strong>es</strong><br />

endlich grundlegende Reformen“, sagt Jan Dobertin, G<strong>es</strong>chäftsführer<br />

d<strong>es</strong> Land<strong>es</strong>verbands Erneuerbare Energien<br />

NRW. Auch er befürwortet eine CO 2<br />

-Bepreisung, doch dabei<br />

müsse das System insg<strong>es</strong>amt aufkommensneutral umg<strong>es</strong>etzt<br />

werden und in der Summe keine zusätzlichen Steuereinnahmen<br />

entstehen. Bekommen wir den Klimawandel<br />

also in den Griff, wenn CO 2<br />

teurer wird? „Politische Reden<br />

bewirken wenig, aber die Macht der Preise schlägt massiv<br />

zu“, sagt Prof. Ottmar Edenhofer, Direktor d<strong>es</strong> Potsdam-<br />

Instituts für Klimafolgenforschung. Hans-Josef Fell, Präsident<br />

der Energy Watch Group und Mitautor d<strong>es</strong> EEG, geht<br />

noch einen Schritt weiter und fordert eine Steuer auf all<strong>es</strong>,<br />

was klimaschädlich ist – nicht nur auf CO 2<br />

, sondern ebenso<br />

auf Methan, auf Radioaktivität, auf Feinstaub und Stickoxide,<br />

klimaschädliche Kälte<strong>mit</strong>tel und Glyphosat.<br />

Totalausfall beim <strong>Klimaschutz</strong> wird teuer<br />

Über viele Jahrzehnte hat sich eine G<strong>es</strong>etzgebung entwickelt,<br />

die die Inter<strong>es</strong>sen der fossilen Wirtschaft befördert.<br />

Dabei sind alle notwendigen Technologien und auch marktwirtschaftlichen<br />

Konzepte für eine CO 2<br />

-arme Zivilisation<br />

verfügbar – und sie sind auch bezahlbar. Doch wenn die<br />

Bund<strong>es</strong>regierung Energiewende und <strong>Klimaschutz</strong> weiterhin<br />

blockiert, werden die europarechtlich verbindlichen<br />

Ziele in allen folgenden Jahren weit verfehlt werden – und<br />

das wird teuer für die Steuerzahler, warnt eine Studie<br />

von Agora Energiewende. Um die Defizite auszugleichen,<br />

müsste Deutschland bis 2030 für bis zu 60 Milliarden Euro<br />

Emissionsberechtigungen von anderen EU-Ländern zukaufen.<br />

Dabei sind die Erneuerbaren Energien der große <strong>Klimaschutz</strong>-Faktor<br />

in Deutschland. Sie allein vermieden 180<br />

Mio. Tonnen CO 2<br />

im Jahr 2017 – so viel, wie der g<strong>es</strong>amte<br />

deutsche Verkehrssektor ausstieß. <strong>Die</strong> erneuerbare Energieversorgung<br />

darf dabei nicht nur Aufgabe der ländlichen<br />

Räume sein, auch Ballungsräume bieten große Potenziale:<br />

Kluge Energiekonzepte für Quartiere, E-Car-Sharing-<br />

Modelle, Solarpachtmodelle, Mieterstrom und viel<strong>es</strong> mehr.<br />

Häufig mangelt <strong>es</strong> auch nur an der Vorstellungskraft, wie<br />

ein verändert<strong>es</strong> Energi<strong>es</strong>ystem aussehen und funktionieren<br />

könnte. Für Nutzer, Eigentümer oder Mieter von Autos<br />

oder Wohnungen ist die Komplexität der G<strong>es</strong>etze, Verordnungen<br />

und Normen zu<strong>dem</strong> oft nicht mehr überschaubar,<br />

noch weniger nachvollziehbar. Täuschungsmanöver der<br />

In<strong>du</strong>strie erschüttern zu<strong>dem</strong> die Glaubwürdigkeit.<br />

Klient Erde<br />

Man kann nicht mehr darauf warten, dass Politiker auf die<br />

Klimabedrohung angem<strong>es</strong>sen reagieren, meint der Jurist<br />

und ehemalige Bund<strong>es</strong>tagsabgeordnete Hermann Ott und<br />

ruft d<strong>es</strong>halb die Juristen auf den Plan. <strong>Die</strong> G<strong>es</strong>etze zu mehr<br />

<strong>Klimaschutz</strong> seien ja längst da – sie müssten nur eingehalten<br />

werden. In der gerade erst eröffneten Berliner Dependance<br />

der internationalen Umweltrechtsorganisation<br />

ClientEarth will er die Causa <strong>Klimaschutz</strong> in Deutschland<br />

voranbringen – denn die Organisation zieht Regierungen<br />

und Konzerne vor Gericht, um sie zum <strong>Klimaschutz</strong> zu<br />

zwingen. In den Niederlanden hat die Organisation Urgenda<br />

<strong>es</strong> g<strong>es</strong>chafft, dass die Regierung von einem Gericht dazu<br />

verurteilt wurde, strengere <strong>Klimaschutz</strong>maßnahmen zu ergreifen.<br />

Das ließe sich auf Deutschland übertragen. Liefert<br />

die Kohlekommission nicht, muss der <strong>Klimaschutz</strong> juristisch<br />

<strong>du</strong>rchg<strong>es</strong>etzt werden, fordert Ott.<br />

<strong>Klimaschutz</strong> in die Verfassung<br />

<strong>Die</strong> Grünen im Bund<strong>es</strong>tag schlagen d<strong>es</strong>halb vor, die Verpflichtung<br />

zum <strong>Klimaschutz</strong> im Grundg<strong>es</strong>etz zu verankern,<br />

dafür müsste Artikel 20a erweitert werden. Wer dann verbindliche<br />

Klimaziele wie das Pariser Abkommen ignoriert,<br />

beginge Verfassungsbruch. Und auch die Nutzung der<br />

Kernenergie zur Stromerzeugung soll nach Vorstellung der<br />

Grünen untersagt werden. Zusätzlich angepasst werden<br />

soll der Artikel 106 und so<strong>mit</strong> eine B<strong>es</strong>teuerung von CO 2<br />

42 Ausgabe 11 | Mai 2019 | Umweltdialog.de


Klimawandel<br />

möglich werden. In Bayern hatte der Verein<br />

„<strong>Klimaschutz</strong> – Bayerns Zukunft“ im September<br />

2018 ein Volksbegehren g<strong>es</strong>tartet,<br />

um den <strong>Klimaschutz</strong> und da<strong>mit</strong> auch eine<br />

vollständige Umstellung der Energieversorgung<br />

auf Erneuerbare Energien in die<br />

Bayerische Verfassung zu heben. Kurz<br />

davor hatten in Frankreich nach einer<br />

Initiative d<strong>es</strong> französischen Umweltministers<br />

Nicolas Hulot die Abgeordneten<br />

in der Nationalversammlung den „Schutz<br />

der Umwelt, einschließlich Schutz der Artenvielfalt<br />

und Maßnahmen gegen die globale<br />

Erwärmung“ in Artikel 1 der französischen<br />

Verfassung aufgenommen. Doch in der<br />

g<strong>es</strong>amten europäischen Energiepolitik gibt <strong>es</strong><br />

derzeit kein gemeinsam<strong>es</strong> ehrgeizig<strong>es</strong> Ziel, alle<br />

verfolgen nationale Energieinter<strong>es</strong>sen – von Kohle<br />

in Polen und Deutschland bis zu Atom in Frankreich.<br />

Anreize statt politische Hürden<br />

<strong>Die</strong> Studie „Transparenz Stromnetze“ d<strong>es</strong> Öko-Instituts<br />

zeigt, dass ein kompletter Kohleausstieg bis 2030 möglich<br />

wäre und Erneuerbare Energien <strong>mit</strong> 85 Prozent an der g<strong>es</strong>amten<br />

Stromerzeugung dann zum dominanten Akteur<br />

werden können. Für eine dezentrale Bürgerenergiewende<br />

<strong>mit</strong> einem Kohleausstieg bis 2030 müsste das Marktd<strong>es</strong>ign<br />

kräftig umgekrempelt werden, sagt Malte Zieher,<br />

Vorstands<strong>mit</strong>glied im Bündnis Bürgerenergie, und sieht<br />

gerade das als große Chance. „Das Szenario kommt <strong>mit</strong> einem<br />

geringeren Netzausbau aus, als <strong>es</strong> die Übertragungsnetzbetreiber<br />

für 2030 vorsehen, obwohl di<strong>es</strong>e nur von 52,5<br />

Prozent Erneuerbaren und noch 19 Gigawatt an Kohlekapazitäten<br />

ausgehen. Eine b<strong>es</strong>chleunigte Energiewende wäre<br />

<strong>dem</strong>entsprechend nicht nur möglich, sondern <strong>es</strong> gibt viele<br />

gute Gründe, sie auch anzugehen“, sagt Zieher. „Geringere<br />

variable Stromerzeugungskosten, deutlich geringere<br />

CO 2<br />

-Emissionen, ein guter Ausgleich von Stromerzeugung<br />

und -nachfrage, eine ausgeglichene Import-Export-Bilanz<br />

und 34 statt 48 nötige Netzausbauvorhaben.“ Im Zusammenspiel<br />

<strong>mit</strong> Energieeinsparungen und -effizienzmaßnahmen<br />

müssten der Ausbau von Wind- und Solarenergie in<br />

allen Bund<strong>es</strong>ländern gleich verteilt und Speichermöglichkeiten<br />

vor Ort erweitert werden. Das unsinnige System der<br />

Ausschreibungen müsste abg<strong>es</strong>chafft werden, das zu einer<br />

starken Verunsicherung aller Akteure geführt habe, was<br />

bspw. an der dramatisch eingebrochenen Zahl der Genehmigungen<br />

für Windkraftanlagen abzul<strong>es</strong>en sei. Für Photovoltaik-Anlagen<br />

würde ein solcher Anreiz z.B. in einem<br />

Bürgerstromhandel auf der untersten Netzebene b<strong>es</strong>tehen,<br />

den die neue Erneuerbare- Energien-Richtlinie der EU vorsieht.<br />

In Griechenland werde das bereits praktiziert. <strong>Die</strong><br />

regionale Sektorenkopplung werde nur möglich, so Zieher,<br />

wenn die Abgaben auf Energie dafür Anreize bieten.<br />

Energiewende selber machen<br />

Es ist ja viel<strong>es</strong> schon da: Gebäude, die kaum mehr Energie<br />

verbrauchen oder sogar pro<strong>du</strong>zieren, Heizen <strong>mit</strong> der<br />

Sonne, Nullemissionsfabriken, Autos, die <strong>mit</strong> Ökostrom<br />

fahren, energieautarke Dörfer und Inseln oder Bioenergie-Kommunen.<br />

Manchmal fehlen nur die Kenntnisse<br />

zur Nutzung der neuen Energien und Systeme. <strong>Die</strong> Nordseeinsel<br />

Borkum t<strong>es</strong>tet solche Systeme in der Praxis. Der<br />

Standort ist ideal für die Erprobung von Energi<strong>es</strong>peichern<br />

und Energiemanagementsystemen, also genau jenen Technologien,<br />

die in Zukunft für die Energiewende notwendig<br />

werden, wenn die wetterabhängige Wind- und Solarstromerzeugung<br />

zunehmen wird. Bis 2030 will die Gemeinde<br />

klimaneutral sein. Seit rund acht Jahren energieautark ist<br />

auch das kleine Dorf Feldheim im südlichen Brandenburg,<br />

wo der größte Batteri<strong>es</strong>peicher Europas am Netz ist. Es ist<br />

das erste Dorf in Deutschland, das sich zu 100 Prozent eigenständig<br />

<strong>mit</strong> Ökostrom versorgt – und andere <strong>mit</strong>. <strong>Die</strong><br />

Dorfbewohner haben vor acht Jahren die Energiewende auf<br />

eigene Faust umg<strong>es</strong>etzt und inv<strong>es</strong>tierten gemeinsam in<br />

das eigene Strom- und Wärmenetz. Wirtschaftliche Gründe<br />

standen hier im Vordergrund, sagen die Feldheimer, der<br />

<strong>Klimaschutz</strong> ist ein schöner Nebeneffekt. f<br />

Im Original erschienen im Magazin „energiezukunft“;<br />

Ausgabe „Baustelle Energiewende – Was jetzt zu tun ist",<br />

Heft 25, Herbst 2018<br />

Bild: Ismagilov / stock.adobe.com<br />

Ausgabe 11 | Mai 2019 | Umweltdialog.de<br />

43


Klimawandel<br />

Weniger<br />

Stromtrassen<br />

gut für die<br />

Volkswirtschaft?<br />

Forscher haben den deutschen Stromhandel<br />

analysiert: Regionale Preise und<br />

weniger Stromtrassen können zu einem<br />

großen volkswirtschaftlichen G<strong>es</strong>amtnutzen<br />

führen.<br />

Foto: Marion Lenzen<br />

Das System, wie in Deutschland Strom gehandelt und<br />

verteilt wird, könnte effizienter sein. Zu di<strong>es</strong>em Ergebnis<br />

kommt eine Untersuchung von Mathematikern und<br />

Volkswirten der Universität Trier und d<strong>es</strong> Energie Campus<br />

Nürnberg. <strong>Die</strong> Großhandelspreise für Strom entstehen in<br />

Deutschland an der Strombörse in Leipzig. Dort handeln<br />

Strompro<strong>du</strong>zenten <strong>mit</strong> den -verbrauchern die Strommengen<br />

für den kommenden Tag.<br />

„Was bei di<strong>es</strong>em Handel allerdings nicht berücksichtigt<br />

wird, ist die <strong>Frage</strong>, ob der Strom überhaupt transportiert<br />

werden kann“, schildert Martin Schmidt, Mathematik-Prof<strong>es</strong>sor<br />

an der Universität Trier, das Problem. Im Norden<br />

Deutschlands wird unter anderem <strong>du</strong>rch Windkraftanlagen<br />

vergleichsweise viel Strom pro<strong>du</strong>ziert, während im Süden<br />

sehr viel Strom verbraucht wird. Doch aktuell fehlt <strong>es</strong> oft an<br />

den notwendigen Leitungen, um di<strong>es</strong>en Strom zu transportieren.<br />

So kann <strong>es</strong> dazu kommen, dass die Netze gar nicht<br />

die notwendigen Kapazitäten frei haben, um den Strom<br />

zum Endkunden zu bringen. <strong>Die</strong> Netzbetreiber müssen sich<br />

daher häufig <strong>mit</strong> den Kraftwerksbetreibern abstimmen, um<br />

die Handelsergebnisse so zu modifizieren, dass der Strom<br />

auch transportiert werden kann – und das bedeutet bis zu<br />

einer Milliarde Euro pro Jahr an Mehrkosten.<br />

„Eine mögliche Lösung wäre der Ausbau von Stromtrassen.<br />

Doch Hochspannungsleitungen, die quer <strong>du</strong>rch das<br />

Land laufen, stoßen in den betroffenen Regionen auf Widerstand.<br />

Zu<strong>dem</strong> ist di<strong>es</strong>er Ausbau sehr teuer. Letztendlich<br />

werden die Kosten <strong>mit</strong> den Netzgebühren auf die Stromverbraucher<br />

umgelegt“, erklärt Martin Schmidt. Er und seine<br />

Foto: Marion Lenzen<br />

44 Ausgabe 11 | Mai 2019 | Umweltdialog.de


Klimawandel<br />

Grün-grüner Konflikt: Fledermausschutz<br />

im Kontext der Energiewende<br />

Der schrittweise Umstieg der Energieversorgung auf regenerative Quellen ist ein Proz<strong>es</strong>s <strong>mit</strong> hoher g<strong>es</strong>ellschaftlicher<br />

und politischer Akzeptanz. Der Hauptgrund für die Abkehr von fossilen und nuklearen Brennstoffen für die Stromerzeugung<br />

ist umweltpolitischer Natur: Windräder, Solarzellen und Biogasanlagen wirken sich positiv auf die CO 2<br />

-<br />

Bilanz aus und bergen keine Langzeitrisiken. Dennoch haben di<strong>es</strong>e Anlagen keine reine „grüne“ W<strong>es</strong>te, denn ihre<br />

Pro<strong>du</strong>ktion selbst ist oft energieaufwändig und r<strong>es</strong>sourcenintensiv. Dazu kommt, dass Windräder ein erheblich<strong>es</strong><br />

Risiko für Vögel und Fledermäuse darstellen können.<br />

Foto: Eric Isselée / stock.adobe.com<br />

Leibniz-IZW-WissenschaftlerInnen der Abteilung für Evolutionäre Ökologie erforschen seit geraumer Zeit das Risiko,<br />

welch<strong>es</strong> für Fledermäuse von Windkraftanlagen ausgeht. <strong>Die</strong>s<strong>es</strong> Risiko b<strong>es</strong>teht in erster Linie in der Kollision <strong>mit</strong> den<br />

Anlagen beziehungsweise in für Fledermäuse tödlichen Luftturbulenzen, denen die Tiere <strong>du</strong>rch die enorme Rotationsg<strong>es</strong>chwindigkeit<br />

der Rotorblätter ausg<strong>es</strong>etzt sind. Trotz der behördlichen Auflagen im Betrieb von Windkraftanlagen<br />

verstirbt immer noch eine große Zahl an Fledermäusen in Deutschland. <strong>Die</strong> Dunkelziffer scheint hoch zu sein. <strong>Die</strong> ForscherInnen<br />

um Abteilungsleiter Christian Voigt haben zu<strong>dem</strong> herausgefunden, dass Fledermäuse vor allem während<br />

ihrer jährlichen Migration an Windkraftanlagen versterben. D<strong>es</strong>wegen sind nicht nur lokale B<strong>es</strong>tände bedroht, sondern<br />

auch <strong>mit</strong>unter weit entfernte Populationen in Skandinavien, Finnland, <strong>dem</strong> Nordw<strong>es</strong>ten Russlands oder <strong>dem</strong> Baltikum.<br />

<strong>Die</strong> Arbeitsgruppe arbeitet daran, die zu Tage tretenden Konflikte zwischen Artenschutz und Energiewende zu lösen.<br />

Problemfall Windenergie<br />

Ab 2020 endet für viele Windräder die staatliche<br />

Förderung nach <strong>dem</strong> Erneuerbare-Energien-G<strong>es</strong>etz<br />

(EEG). Das Problem: Aufgrund der niedrigen Börsen-<br />

Strompreise können viele der Anlagen ohne den öffentlichen<br />

Zuschuss nicht rentabel arbeiten. Nach 20<br />

Jahren Laufzeit kommen viele Windräder außer<strong>dem</strong><br />

in die Jahre. Aus di<strong>es</strong>en Gründen werden wohl künftig<br />

viele Windkraftanlagen zurückgebaut. Denn ungenutzte<br />

Windräder dürfen laut Baug<strong>es</strong>etzbuch nicht herumstehen,<br />

wie die Stuttgarter Nachrichten berichten.<br />

Bodenversiegelungen sind darüber hinaus zu b<strong>es</strong>eitigen.<br />

Doch wie sieht <strong>es</strong> <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> Recycling der Windräder<br />

aus? Das Zentrum für R<strong>es</strong>sourceneffizienz d<strong>es</strong><br />

Vereins Deutscher Ingenieure sagt, dass 80 bis 90<br />

Prozent der Materialien wie Stahl, Kupfer und Beton<br />

wiederverwertet werden können.<br />

Anders sieht <strong>es</strong> <strong>mit</strong> den Rotorblättern neuerer Generationen<br />

aus, da sie aus Verbundstoffen b<strong>es</strong>tehen: „<strong>Die</strong>se<br />

Stoffe sind nur schwer voneinander zu trennen und<br />

da<strong>mit</strong> schwierig zu recyceln. Mitunter auch, weil CFK<br />

(Kunststoff) und GFK (Glasfaserverstärkter Kunststoff)<br />

<strong>mit</strong>verarbeitet sind – Stoffe, die nicht abbaubar sind“,<br />

erklärt das energieverbraucherportal.<br />

Kollegen haben alternative Ansätze untersucht, die bereits<br />

in Teilen von Skandinavien oder Nordamerika praktiziert<br />

werden: Der Stromhandel könne dezentralisiert werden,<br />

sprich, Strom könnte zu regional unterschiedlichen Preisen<br />

gehandelt werden, falls die Netzkapazitäten zwischen<br />

den Regionen nicht ausreichen. <strong>Die</strong> Wissenschaftler kommen<br />

zu <strong>dem</strong> Ergebnis, dass da<strong>du</strong>rch weniger neue Stromtrassen<br />

gebaut werden müssten.<br />

Schon wenn Deutschland in nur zwei Regionen – eine nördliche<br />

und eine südliche – unterteilt würde, gäbe <strong>es</strong> ein Einsparpotenzial<br />

von bis zu einer Milliarde Euro pro Jahr. <strong>Die</strong><br />

Wissenschaftler bezeichnen di<strong>es</strong>en Wert als Wohlfahrtsgewinn.<br />

„Bisher ist das jedoch politisch noch nicht gewollt.<br />

<strong>Die</strong> Preise für Strom in Norddeutschland würden vorerst<br />

sinken, während Kunden in Süddeutschland mehr bezahlen<br />

müssten“, erklärt Martin Schmidt.<br />

Der Vorschlag der Wissenschaftler hätte noch einen zweiten<br />

Vorteil: Bisher aufgrund mangelnder Wirtschaftlichkeit<br />

nicht genutzte Energieerzeugungsanlagen im Süden<br />

Deutschlands wären dann konkurrenzfähig.<br />

Auch alternative regionale Aufteilungen d<strong>es</strong> Strommarkts<br />

– beispielsweise in drei, vier oder noch mehr Gebiete – haben<br />

die Wissenschaftler <strong>mit</strong> komplexen mathematischen<br />

Verfahren <strong>du</strong>rchkalkuliert. „Mit mehr als zwei Gebieten<br />

würde sich der Wohlfahrtsgewinn noch steigern lassen,<br />

allerdings nicht in einem Ausmaß, dass sich der noch<br />

größere Systemwechsel lohnen würde“, erklärt Martin<br />

Schmidt. f<br />

Ausgabe 11 | Mai 2019 | Umweltdialog.de<br />

45


Klimawandel<br />

Wer das Klima retten will,<br />

benötigt auch Rohstoffe<br />

R<strong>es</strong>sourceneffizienz ist ein Kernbereich einer nachhaltigen<br />

Wirtschaftsweise. Im Fokus: Verantwortungsvoll<strong>es</strong>, ökonomisch<strong>es</strong><br />

Wachstum soll weit<strong>es</strong>tgehend vom Rohstoff-Einsatz<br />

entkoppelt werden. Auf di<strong>es</strong>e Weise würden der R<strong>es</strong>sourcenverbrauch<br />

und da<strong>mit</strong> die Umweltbelastung nicht weiter ansteigen,<br />

ohne Wohlstand und Wirtschaftswachstum<br />

grundsätzlich in <strong>Frage</strong> zu stellen. Was sich in der Theorie so<br />

einfach anhört, stößt aber in der Realität schnell an Grenzen.<br />

Beispielsweise bei der Umsetzung der<br />

nachhaltigen Entwicklungsziele der<br />

Vereinten Nationen oder d<strong>es</strong> Pariser<br />

Klimaabkommens, wie Prof<strong>es</strong>sor<br />

Mario Schmidt vom Institute for<br />

In<strong>du</strong>strial Ecology der Hochschule<br />

Pforzheim sagt: „Nachhaltigkeit heißt,<br />

dass wir weltweit die sozialen Bedingungen<br />

verb<strong>es</strong>sern und gleichzeitig<br />

<strong>Klimaschutz</strong> betreiben wollen, dass<br />

wir einen großen Teil unserer Energieversorgung<br />

auf regenerative Energien<br />

umbauen müssen. Dafür benötigen<br />

wir enorme, rohstoffintensive<br />

Infrastrukturmaßnahmen.“<br />

Herausforderung und zeitlich<strong>es</strong><br />

Problem<br />

Warum ist das so? Weil regenerative<br />

Energien eine niedrigere Exergiedichte<br />

als fossile Energieträger haben.<br />

Dementsprechend werden ri<strong>es</strong>ige<br />

Flächen an Solar- oder Windkraftanlagen<br />

benötigt, um den globalen Strombedarf<br />

zu decken: „Aufgrund d<strong>es</strong><br />

schwankenden Energieangebots brauchen<br />

wir außer<strong>dem</strong> große Netze und<br />

Speicher.“ <strong>Wie</strong> sich das auf den Rohstoffbedarf<br />

auswirken könnte, verdeutlicht<br />

Schmidt am Beispiel Kupfer:<br />

So werden etwa alleine für einen<br />

Kilometer HGÜ-Leitung, die Energie<br />

über große Distanzen transportiert,<br />

28 Tonnen Kupfer verarbeitet. Wenn<br />

man den Bedarf d<strong>es</strong> Metalls für neue,<br />

emissionsarme Technologien für das<br />

Jahr 2050 global hochrechnet, müssten<br />

viele neue Minen erschlossen werden,<br />

so Schmidt.<br />

Das Problem: Kupferminen benötigen<br />

eine Vorlaufzeit von 15 bis 20 Jahren,<br />

bevor sie in Betrieb gehen können.<br />

Demzufolge müssten die B<strong>es</strong>itzer jetzt<br />

in die Minen inv<strong>es</strong>tieren, da<strong>mit</strong> sie<br />

Jahrzehnte später das Kupfer für die<br />

neuen Technologien liefern: „Im privaten<br />

Sektor wird aber erst inv<strong>es</strong>tiert,<br />

wenn der Bedarf wirklich absehbar<br />

ist. Wenn wir also heute nicht die Signale<br />

für den weltweiten Umstieg auf<br />

regenerative Energien und die Erfüllung<br />

d<strong>es</strong> 1,5-Grad-Ziels geben, wird<br />

sich der Proz<strong>es</strong>s verzögern und wir<br />

werden aufgrund fehlender Rohstoffe<br />

das Klimaziel für 2050 nicht erreichen<br />

können.“<br />

Das Narrativ der versiegenden<br />

Rohstoffquellen<br />

ist falsch!<br />

Herr Prof<strong>es</strong>sor Schmidt, Sie sagen,<br />

dass wir die Erfüllung der Nachhaltigkeitsziele<br />

der Vereinten Nationen<br />

nur unter Einsatz großer Rohstoffmengen<br />

umsetzen können. Es heißt<br />

aber, dass uns die Rohstoffe ausgehen.<br />

<strong>Die</strong> jüngsten Prognosen d<strong>es</strong> International<br />

R<strong>es</strong>ource Panels gehen<br />

selbst im b<strong>es</strong>ten Fall von einem<br />

weiteren Anstieg d<strong>es</strong> Rohstoffbedarfs<br />

bis 2060 aus. <strong>Die</strong> Angst vor einem<br />

Versiegen der Rohstoffe steht<br />

dabei nicht im Vordergrund, das ist<br />

eher ein immer wiederkehrend<strong>es</strong><br />

Narrativ in der Öffentlichkeit. Es war<br />

<strong>mit</strong> <strong>dem</strong> Bericht d<strong>es</strong> Club of Rome<br />

wichtig für das Erstarken der Umweltbewegung,<br />

um auch politisch<br />

Gehör zu finden. Aber wir wissen<br />

heute: Es ist falsch. <strong>Die</strong> Rohstoffe<br />

versiegen nicht, zumind<strong>es</strong>t nicht in<br />

für die Menschen überschaubaren<br />

Zeiträumen.<br />

Aber viele Wissenschaftler behaupten<br />

das.<br />

Es gibt hier seit Jahren einen Streit<br />

zwischen Geowissenschaftlern und<br />

Umweltwissenschaftlern, der auf<br />

ganz unterschiedlichen argumentativen<br />

Ebenen ausgetragen wird<br />

und manchmal skurril anmutet.<br />

<strong>Die</strong> Fakten aus der Geologie sprechen<br />

aber dafür, dass wir noch sehr<br />

lange genügend Rohstoffe fördern<br />

können.<br />

46 Ausgabe 11 | Mai 2019 | Umweltdialog.de


Klimawandel<br />

Also ist das R<strong>es</strong>sourcenproblem gar<br />

kein<strong>es</strong>?<br />

Nein, so kann man das nun auch wieder<br />

nicht sagen. Vor allem gehören zu<br />

den natürlichen R<strong>es</strong>sourcen nicht nur<br />

Metalle und Baumineralien, sondern<br />

auch fossile Energieträger, die nach<br />

derzeitigem Wissensstand hauptverantwortlich<br />

für die Klimaerwärmung<br />

sind. „Peak Oil“ ist hier eher Wunschdenken<br />

als Realität: Es gibt leider noch<br />

viel zu viel an fossilen R<strong>es</strong>sourcen.<br />

Dazu kommt Wasser als R<strong>es</strong>source,<br />

die wir verschmutzen, und die Biodiversität,<br />

die wir <strong>du</strong>rch Eingriffe in die Natur<br />

dramatisch verringern. Das R<strong>es</strong>sourcenproblem<br />

ist also vielschichtiger, übrigens<br />

auch im Bereich der Metallerze.<br />

Was ist das Problem bei den Metallen?<br />

Einerseits die ökologischen und sozialen<br />

Bedingungen, unter denen mineralische<br />

Rohstoffe abgebaut werden. Hier<br />

gibt <strong>es</strong> einen ri<strong>es</strong>igen Handlungsbedarf,<br />

aber das betrifft eben hauptsächlich<br />

die Abbausituation in Ländern d<strong>es</strong><br />

sogenannten „Global South“, während<br />

die Hauptkonsumenten der Rohstoffe<br />

im „Global North“ sitzen. Wir haben<br />

2018 viele solcher Minen b<strong>es</strong>ucht und<br />

die Verhältnisse sind erschreckend.<br />

Andererseits treffen wir <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> Narrativ<br />

der versiegenden Quellen die falschen<br />

politischen Entschei<strong>du</strong>ngen.<br />

Was meinen Sie da<strong>mit</strong>?<br />

Wenn ein Rohstoff, auf den unsere<br />

moderne G<strong>es</strong>ellschaft unersetzlich<br />

angewi<strong>es</strong>en ist, wirklich versiegen<br />

würde, dann müssten wir all<strong>es</strong> tun,<br />

um ihn zu recyceln. Total! Das Schließen<br />

von Kreisläufen ist aber ebenfalls<br />

<strong>mit</strong> Aufwand verbunden, der ab einem<br />

b<strong>es</strong>timmten Punkt auch <strong>mit</strong> sehr viel<br />

Energieeinsatz und <strong>mit</strong> Umweltbelastungen<br />

verbunden ist. Das war gerade<br />

Gegenstand von Forschungsprojekten,<br />

die wir <strong>du</strong>rchgeführt haben.<br />

Recycling schadet also der Umwelt?<br />

Nein, das wäre falsch formuliert. Bei<br />

geringen oder <strong>mit</strong>tleren Recyclingquoten<br />

ist Recycling b<strong>es</strong>ser als die Gewinnung<br />

aus primären Quellen, also<br />

aus Bergwerken. Wenn man aber die<br />

Recyclingquote stark steigert, dann<br />

braucht man dafür enorm viel Energie.<br />

Denn viele Metalle sind in nur geringen<br />

Konzentrationen in unseren Pro<strong>du</strong>kten.<br />

<strong>Die</strong>s<strong>es</strong> Aufkonzentrieren kostet die viele<br />

Energie. Wenn die Energie dann aus<br />

fossilen Quellen kommt, haben wir einen<br />

Konflikt zwischen verschiedenen<br />

Umweltzielen – der Schonung von<br />

R<strong>es</strong>sourcen auf der einen Seite und<br />

<strong>dem</strong> Schutz d<strong>es</strong> Klimas auf der anderen<br />

Seite.<br />

Aber <strong>es</strong> werden doch immer mehr regenerative<br />

Energien eing<strong>es</strong>etzt, so dass<br />

das irgendwann keine Rolle mehr spielt<br />

und die Vision von der Circular Economy<br />

wahr werden könnte.<br />

Der weltweite Rohstoffbedarf steigt ang<strong>es</strong>ichts<br />

der wachsenden Weltbevölkerung<br />

sowie der Armutsbekämpfung<br />

und lässt sich in absehbarer Zeit nicht<br />

<strong>du</strong>rch Recycling decken, höchstens etwas<br />

verlangsamen. <strong>Die</strong> regenerativen<br />

Energien sind erst langsam im Kommen,<br />

global betrachtet. Das Problematische<br />

ist, dass wir in Deutschland zwar<br />

für Recycling sind, aber die dafür notwendige<br />

In<strong>du</strong>strie verdrängen wollen,<br />

weil sie zu viel Strom verbraucht oder<br />

keine EEG-Umlage bezahlt. <strong>Die</strong> geht<br />

dann nach China oder Russland, wo<br />

Kohle, Erdöl und Kernenergie weiterhin<br />

die Basis der Energieversorgung sind.<br />

Für das Klima ist da<strong>mit</strong> nichts gewonnen.<br />

Und obendrein begeben wir uns<br />

da<strong>mit</strong> – selbst beim Recycling – in eine<br />

ökonomische Abhängigkeit von di<strong>es</strong>en<br />

Ländern, also nicht nur bei der Belieferung<br />

aus primären Rohstoffquellen. In<br />

der Fachszene spricht man hier von der<br />

„Kritikalität der metallurgischen Infrastruktur“,<br />

die man sehr ernst nehmen<br />

muss. <strong>Die</strong>se Zusammenhänge werden<br />

von der Politik bislang kaum beachtet.<br />

Was ist Ihre Empfehlung?<br />

Natürlich müssen wir <strong>mit</strong> Rohstoffen<br />

sparsam umgehen und auch Recycling<br />

bei uns fördern, weil <strong>es</strong> in den meisten<br />

Bereichen noch zu gering ist und verb<strong>es</strong>sert<br />

werden kann, auch zum Nutzen<br />

der Umwelt. Dafür brauchen wir zwingend<br />

die in<strong>du</strong>strielle Infrastruktur, und<br />

das auf höchstem technischen Niveau.<br />

Und wir müssen für die sogenannte<br />

„Circular Economy“ klare umweltpolitische<br />

Ziele vorgeben – das wichtigste<br />

ist hier nun mal der <strong>Klimaschutz</strong>. „Close<br />

the Loop“ als Selbstzweck macht<br />

keinen Sinn. Das ist die Lehre aus der<br />

Rohstoffdiskussion. Weiterhin müssen<br />

die Auswirkungen von Maßnahmen<br />

global betrachtet werden und dürfen<br />

nicht an Ländergrenzen Halt machen.<br />

D<strong>es</strong>halb reicht die Fixierung auf das<br />

Erreichen nationaler <strong>Klimaschutz</strong>ziele<br />

nicht aus. Aber wir erreichen da<strong>mit</strong> leider<br />

eine Komplexität, die die Öffentlichkeit<br />

und auch die Politik überfordert.<br />

Das ist unser Dilemma. f<br />

Foto: Thomas Linß / stock.adobe.com<br />

Ausgabe 11 | Mai 2019 | Umweltdialog.de<br />

47


Klimawandel<br />

Von Dr. Elmer Lenzen<br />

So senken Unternehmen ihren<br />

CO 2<br />

-Ausstoß<br />

Der letzte Sommer war viel zu trocken. Landwirtschaft,<br />

aber auch In<strong>du</strong>strie litten darunter. <strong>Die</strong>sen Frühling sorgen<br />

wiederum Stürme und sinnflutartiger Regen rund um<br />

den Globus für enorme Schäden. Extremwetter-Ereignisse<br />

werden zur Regel.<br />

Um di<strong>es</strong>e Entwicklung einzuhegen, setzt die internationale<br />

Staatengemeinschaft auf eine gemeinsame Klimapolitik.<br />

„Wir wissen, dass wir im Laufe d<strong>es</strong> Jahrhunderts eine Dekarbonisierung<br />

brauchen“, sagte Bund<strong>es</strong>kanzlerin Angela<br />

Merkel im Sommer 2015 zum Abschluss d<strong>es</strong> G7-Gipfels.<br />

In Berlin drückt man dafür <strong>mit</strong>tlerweile auf´s Tempo. Allen<br />

voran Bund<strong>es</strong>umweltministerin Svenja Schulze (SPD) verlangt,<br />

dass alle ihren Beitrag leisten und verlässliche Pfade<br />

einschlagen sollen. Das Pflichtenheft für die Wirtschaft<br />

trägt den Titel „Dekarbonisierung im In<strong>du</strong>stri<strong>es</strong>ektor“ und<br />

kursiert seit einigen Monaten. Darin ist nachzul<strong>es</strong>en: „Das<br />

Förderprogramm soll ein w<strong>es</strong>entlicher Baustein sein, um<br />

das Ziel einer weitgehenden Treibhausgasneutralität bis<br />

2050 in emissionsintensiven In<strong>du</strong>striebranchen <strong>mit</strong> treibhausrelevanten<br />

Energie- und Proz<strong>es</strong>semissionen zu erreichen.<br />

Für das 2030-Ziel werden erste Beiträge erwartet.“<br />

<strong>Wie</strong> kann di<strong>es</strong>er Beitrag konkret aussehen? Was heißt das<br />

für Unternehmen ganz konkret?<br />

1. Wenn die Politik die selbstg<strong>es</strong>teckten Ziele d<strong>es</strong> Pariser<br />

Klimaabkommens ernst nimmt, dann muss rigoroser<br />

CO 2<br />

eing<strong>es</strong>part werden. Von allen. <strong>Die</strong> staatlichen Auflagen<br />

werden in di<strong>es</strong>e Richtung gehen.<br />

2. Klare Zielvorgaben verlangen Nachprüfbarbeit. Angaben<br />

über den Emissionsausstoß werden auf Dauer verbindlicher<br />

sein, als <strong>es</strong> heute noch der Fall ist. In di<strong>es</strong>e<br />

Richtung drängt etwa die „Task Force on Climate-Related<br />

Financial Disclosur<strong>es</strong>“ (TCFD) unter Leitung von Michael<br />

Bloomberg.<br />

3. Bereits <strong>mit</strong>telständische Unternehmen tun daher gut<br />

daran, sich darauf einzustellen, weil spät<strong>es</strong>tens der Einkauf<br />

der Großunternehmen hier in naher Zukunft belastbare<br />

Kennzahlen abfragen wird.<br />

48 Ausgabe 11 | Mai 2019 | Umweltdialog.de


Klimawandel<br />

Zu<strong>dem</strong> sollte von Anfang an Klarheit herrschen bei <strong>Frage</strong>n<br />

d<strong>es</strong> Zeithorizonts (Geht <strong>es</strong> um kurzfristige oder langfristige<br />

Ziele?), der Systemgrenzen (Welche Standorte und Emissionsquellen<br />

sollen einbezogen werden?) sowie d<strong>es</strong> Ambitionsniveaus<br />

(<strong>Wie</strong> viele THG-Emissionen sollen eing<strong>es</strong>part<br />

werden?). Auch g<strong>es</strong>etzgeberische Entwicklungen und<br />

Erwartungen seitens der Stakeholder sollten vorab <strong>mit</strong>gedacht<br />

werden. Eine ganz praktische Alltagsproblematik ist<br />

auch die Erhebung der Daten. Hier sollten frühzeitig Mitwirkende<br />

eingebunden werden.<br />

Was ist der Corporate Carbon Footprint?<br />

Der Carbon Footprint b<strong>es</strong>chreibt die G<strong>es</strong>amtmenge<br />

an Treibhausgasemissionen, die direkt und indirekt<br />

von einer Person, einer Organisation, einem Event<br />

oder einem Pro<strong>du</strong>kt ausgehen. Der Corporate Carbon<br />

Footprint (CCF) betrachtet die Emissionen ein<strong>es</strong><br />

Unternehmens in t CO 2<br />

e pro Jahr.<br />

Mit Klimamanagement anfangen<br />

<strong>Die</strong> Einführung ein<strong>es</strong> betrieblichen Klimamanagements ist<br />

eine sinnvolle Ergänzung zu b<strong>es</strong>tehen<strong>dem</strong> Umwelt-, Energie-<br />

und/oder Nachhaltigkeitsmanagement. Viel<strong>es</strong> wird an<br />

di<strong>es</strong>en Stellen oft bereits erfasst, neu sind dann eher die<br />

Maßnahmen, die sich ergeben.<br />

Etablierte Methodenstandards wie etwa das GHG Protocol<br />

oder ISO 14064 bieten Orientierung bei der Berechnung<br />

und Berichterstattung ein<strong>es</strong> Corporate Carbon Footprints,<br />

beantworten aber nicht alle <strong>Frage</strong>n. Unternehmen sollten<br />

d<strong>es</strong>halb intern f<strong>es</strong>tlegen, was das Klimamanagement erreiche<br />

will. Ein Ziel kann etwa die Identifikation von Emissions-Hotspots<br />

im eigenen Unternehmen oder entlang der<br />

Wertschöpfungskette sein, oder auch Möglichkeiten der<br />

effektiven Emissions- und Kostenre<strong>du</strong>ktion.<br />

Bild: Foto: Marion Lenzen<br />

M<strong>es</strong>sen und berechnen<br />

„Das Greenhouse Gas Protocol (Treibhausgas-Protokoll)<br />

ist ein weltweit gültig<strong>es</strong> Instrument zur Berichterstattung<br />

über Treibhausgasemissionen. Entwickelt wurden die Standards<br />

vom World R<strong>es</strong>ource Institute (WRI) und <strong>dem</strong> World<br />

Busin<strong>es</strong>s Council for Sustainable Development (WBCSD).<br />

Unternehmen nutzen die Standards für das Management<br />

ihrer Treibhausgasemissionen“, schreibt Josephin Lehnert<br />

im CleanEnergy-Blog. Gemäß Greenhouse-Gas-Protokoll<br />

werden die Emissionsquellen ein<strong>es</strong> Unternehmens in drei<br />

Kategorien unterschieden.<br />

Scope 1: Darunter versteht man direkte Emissionen aus<br />

eigenen Verbrennungsproz<strong>es</strong>sen. Dazu zählen stationäre<br />

oder mobile Anlagen, chemische Proz<strong>es</strong>se sowie eigene<br />

Ernergieerzeugung. Emissionsquellen sind etwa Erdgasheizung,<br />

eigene Kraftwerke auf <strong>dem</strong> Gelände oder Verbrennungsanlagen,<br />

Firmenwagen, Gabelstapler, Kühlgeräte etc.<br />

Scope 2: Darunter versteht man indirekte Emissionen aus<br />

<strong>dem</strong> Bezug von leitungsgebundener Energie. Dazu zählen<br />

z.B. der eingekaufte Strom, Dampf, Heizung, Kühlung.<br />

Scope 3: Das sind Emissionen aus den vor- und nachgelagerten<br />

unternehmerischen Aktivitäten. Dazu zählen u.a.<br />

eingekaufte Güter und <strong>Die</strong>nstleistungen, deren Transport<br />

und Verteilung, Pendeln der Arbeitnehmer, G<strong>es</strong>chäftsreisen,<br />

Nutzung der verkauften Pro<strong>du</strong>kte und der Umgang an<br />

deren Lebenszyklusende. >><br />

Ausgabe 11 | Mai 2019 | Umweltdialog.de<br />

49


Klimawandel<br />

CO 2<br />

CH 4<br />

N 2<br />

O HFCs PFCs SF 6<br />

SCOPE 2<br />

INDIRECT<br />

SCOPE 1<br />

DIRECT<br />

purchased goods<br />

and servic<strong>es</strong><br />

capital goods<br />

fuel and energy<br />

related activiti<strong>es</strong><br />

purchased electricity,<br />

stream, heating and<br />

cooling for own use<br />

transportation and<br />

distribution<br />

waste generated<br />

in operations<br />

SCOPE 3<br />

INDIRECT<br />

leased assets<br />

employee<br />

commuting<br />

busin<strong>es</strong>s travel<br />

company faciliti<strong>es</strong><br />

company vehicl<strong>es</strong><br />

transportation and<br />

distribution<br />

proc<strong>es</strong>sing of<br />

sold pro<strong>du</strong>cts<br />

use of sold<br />

leased assets<br />

pro<strong>du</strong>cts<br />

end-of-life treatment<br />

sold pro<strong>du</strong>cts<br />

SCOPE 3<br />

INDIRECT<br />

inv<strong>es</strong>tments<br />

franchais<strong>es</strong><br />

Upstream activiti<strong>es</strong><br />

Reporting company<br />

Downstream activiti<strong>es</strong><br />

Quelle: Deutsch<strong>es</strong> Global Compact Netzwerk<br />

Scope 1 und Scope 2 sind Emissionen,<br />

die un<strong>mit</strong>telbar vom Unternehmen<br />

verursacht werden. Scope 3 wiederum<br />

lässt sich über die Vertragsg<strong>es</strong>taltung<br />

<strong>mit</strong> Lieferanten steuern. Letzter<strong>es</strong> ist<br />

insofern wichtig, als dass ein Großteil<br />

der Emissionen eben in di<strong>es</strong>er Scope<br />

3-Ebene stattfindet. Nach Berechnungen<br />

d<strong>es</strong> Deutschen Global Compact<br />

Netzwerk<strong>es</strong> aus 2017 fallen 87 Prozent<br />

aller Emissionen in der Automobilbranche<br />

erst nach Auslieferung der<br />

Fahrzeuge an. Nämlich bei der Nutzung<br />

der Fahrzeuge <strong>du</strong>rch uns Verbraucher.<br />

In der IT-Branche beträgt<br />

der Wert 78 Prozent, bei Immobilien<br />

immerhin noch 70 Prozent. Nur in der<br />

Energiewirtschaft ist der größte Klimaschaden<br />

bereits bei der Erzeugung<br />

verursacht. Hier beträgt der Scope<br />

3-Anteil nur 18 Prozent.<br />

Schritt 1 im Unternehmen ist daher<br />

das strukturierte Sammeln von Aktivitätsdaten<br />

zu den Emissionsquellen.<br />

Bei Scope 1 heißt das zum Beispiel:<br />

<strong>Wie</strong> viel und welche Art von Brennstoff<br />

(sei <strong>es</strong> Öl, Erd- oder Biogas, Plastik<br />

oder R<strong>es</strong>tmüll) wird in den Anlagen<br />

verbrannt? <strong>Wie</strong> viele Liter Kraftstoff<br />

hat die eigene Fahrzeugflotte im letzten<br />

Jahr verbraucht? Bei Scope 2 wird<br />

der gekaufte Strom-, Kühlungs- und<br />

Wärmeverbrauch erfasst. Mit Scope 3<br />

tun sich die meisten Unternehmen<br />

schwer. Hier gibt <strong>es</strong> auch kaum Verpflichtungen,<br />

so dass die meisten Betriebe<br />

Rosinenpicken betreiben und<br />

meist jene Werte erfassen, die leicht<br />

zugänglich sind: G<strong>es</strong>chäftsreisen etwa<br />

oder b<strong>es</strong>tenfalls noch Teilangaben zu<br />

Logistik.<br />

Schritt 2 ist die Auswahl geeigneter<br />

Kennzahlen. Je nach Komplexität d<strong>es</strong><br />

Unternehmens empfiehlt <strong>es</strong> sich, Einzelkennzahlen<br />

(z.B. pro Standort) zu<br />

wählen und/oder aggregierte Kennzahlen<br />

für das G<strong>es</strong>amtunternehmen.<br />

Zu<strong>dem</strong> sollte das Unternehmen sich<br />

überlegen, ob <strong>es</strong> Sinn macht, absolute<br />

Kennzahlen (z.B. Kilowattstunden/<br />

Jahr) auszuweisen oder b<strong>es</strong>ser intensitätsbezogene<br />

Kennzahlen. Dann<br />

werden die CO 2<br />

-Angaben z.B. pro Pro<strong>du</strong>kteinheit,<br />

pro Quadratmeter, pro<br />

Mitarbeiter, pro Euro Umsatz oder<br />

Euro Gewinn ausgegeben. Je nach<br />

G<strong>es</strong>chäftsmodell sind solche intensitätsbezogenen<br />

Kennzahlen sinnvoll:<br />

Bei Immobilien ist die Quadratmeter-Angabe<br />

griffig. Firmen <strong>mit</strong> hohen<br />

B<strong>es</strong>chäftigtenzahlen wiederum, z.B.<br />

Logistiker, nutzen gern die Angaben<br />

/Mitarbeiter, um ihre hohen CO 2<br />

-<br />

G<strong>es</strong>amtwerte kleinzurechnen.<br />

Schritt 3 ist schließlich die Berechnung<br />

der THG-Emissionen nach folgender<br />

Formel:<br />

Verbrauchte Materialmenge (z.B. in<br />

kg oder Liter) x GHG Emissionsfaktor<br />

(z.B. 3,14 kg CO 2<br />

e/l bei <strong>Die</strong>sel-Treibstoff)<br />

= GHG Emissionen in kg CO 2<br />

e.<br />

Den Multiplikationsfaktor der jeweiligen<br />

GHG-Emissionen einzelner<br />

Proz<strong>es</strong>se oder Warengruppen können<br />

Unternehmen aus einschlägigen<br />

Datenbanken ableiten. Das britische<br />

Umweltministerium DEFRA veröffentlicht<br />

jährlich aktualisierte Emissionsfaktoren<br />

für eine Vielzahl unterneh-<br />

50 Ausgabe 11 | Mai 2019 | Umweltdialog.de


Klimawandel<br />

mensrelevanter Proz<strong>es</strong>se. Auch die<br />

Deutsche Emissionshandelsstelle gibt<br />

eine Liste von Emissionsfaktoren für<br />

Standardbrennstoffe heraus. Konkretere<br />

Tipps liefern außer<strong>dem</strong> die jeweiligen<br />

Branchenverbände.<br />

Ziele setzen<br />

Immer mehr Unternehmen orientieren<br />

ihre Klimastrategie an den<br />

Vorgaben der Science Based Target<br />

Initative (SBTi). <strong>Die</strong> wird unter anderem<br />

von der Umweltstiftung WWF<br />

getragen und wirbt bei Unternehmen<br />

dafür, sich wissenschaftsbasierte Re<strong>du</strong>ktionsziele<br />

zu setzen. Sie sollen<br />

im Einklang <strong>mit</strong> den Ergebnissen d<strong>es</strong><br />

Paris-Abkommens stehen und helfen,<br />

die Erderwärmung auf deutlich unter<br />

zwei Grad Celsius zu b<strong>es</strong>chränken.<br />

Neue Technologien und Praktiken<br />

z.B. zeigen, dass Unternehmen die<br />

Umweltauswirkungen von der Wirtschaftstätigkeit<br />

entkoppeln können.<br />

Unternehmen können anschließend<br />

ihre jeweilige Klimaperformance bei<br />

der Initiative prüfen lassen. Stehen<br />

sie in Einklang <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> Paris-Abkommen,<br />

werden sie von ihr als wissenschaftlich<br />

fundiert anerkannt.<br />

Welche Methode sollte ein Unternehmen<br />

bei der F<strong>es</strong>tlegung ein<strong>es</strong><br />

wissenschaftlich fundierten Ziels<br />

wählen? <strong>Die</strong> Science Based Target Initative<br />

empfiehlt hier den sogenannten<br />

„Sectoral Decarbonisation Approach“<br />

(SDA), um seine Ziele für die Scop<strong>es</strong><br />

1 und 2 f<strong>es</strong>tzulegen. Unternehmen<br />

sollten sich dabei nicht bloß an das<br />

Ziel halten, das am einfachsten zu<br />

erreichen ist. Vielmehr empfiehlt die<br />

SDA-Methode Unternehmen, die ambitioniert<strong>es</strong>ten<br />

Dekarbonisierungsszenarien<br />

einzusetzen, die zu den<br />

früh<strong>es</strong>ten und massivsten Re<strong>du</strong>zierungen<br />

führen. Das Unternehmen<br />

sollte dafür mehrere mögliche Pfade<br />

<strong>du</strong>rchleuchten und das Ziel wählen,<br />

das die eigene Marktführerschaft am<br />

b<strong>es</strong>ten <strong>dem</strong>onstriert. <strong>Die</strong> Methodenauswahl<br />

kann auch <strong>du</strong>rch praktische<br />

Überlegungen beeinflusst werden,<br />

wie z.B. die Verfügbarkeit von Inputdaten<br />

für das Basisjahr und das Zieljahr.<br />

Sind absolute oder relative<br />

Klimaziele b<strong>es</strong>ser?<br />

Absolute Ziele – also beispielsweise<br />

eine f<strong>es</strong>te Vorgabe wie<br />

Senkung von 20 Prozent CO 2<br />

im<br />

Unternehmen bis 2020 – haben<br />

den Vorteil, dass sie leicht zu<br />

kommunizieren und zu verstehen<br />

sind. Andererseits kann das<br />

dazu führen, dass man an den<br />

falschen Ecken CO 2<br />

einspart, zu<br />

sehr auf schnelle Erfolge setzt<br />

und spät<strong>es</strong>tens bei Unternehmenswachtum<br />

oder Unternehmensveränderungen<br />

anfängt,<br />

Äpfel <strong>mit</strong> Birnen zu vergleichen.<br />

Relative Ziele orientieren sich<br />

meist an intensitätsbezogenen<br />

Kennzahlen. Der Vorteil liegt<br />

so<strong>mit</strong> in Flexibilität in Bezug auf<br />

Wachstumserwartungen oder<br />

veränderte Systemgrenzen. Aber<br />

Obacht: Ein relativ<strong>es</strong> Ziel führt<br />

allerdings nicht zwangsläufig zu<br />

absoluten THG-Emissionsminderungen.<br />

Selbst wenn ein Pro<strong>du</strong>kt<br />

CO 2<br />

-ärmer als der Vorgänger<br />

ist, dafür aber mehr verkauft<br />

werden, hat das Weltklima nichts<br />

gewonnen.<br />

Einschränkend heißt <strong>es</strong> dazu bei<br />

SBTi: „Unternehmen, die ökonomische<br />

Methoden zur F<strong>es</strong>tlegung von<br />

Intensitätszielen verwenden möchten,<br />

können di<strong>es</strong> tun, beachten Sie<br />

aber, dass Intensitätsziele nur dann<br />

als wissenschaftlich fundiert gelten<br />

würden, wenn sie zu absoluten Re<strong>du</strong>ktionen<br />

im Einklang <strong>mit</strong> der Klimawissenschaft<br />

führen oder <strong>mit</strong> einem<br />

anerkannten Sektorpfad oder einer<br />

von der Science Based Targets-Initiative<br />

genehmigten Methode (z.B. <strong>dem</strong><br />

Sectoral Decarbonization Approach)<br />

modelliert werden.“<br />

Ist die Science Based Target Initative<br />

(SBTi) die einzige Methode? Nein,<br />

zahlreiche weitere Methoden sind am<br />

Markt. Auf di<strong>es</strong>e soll an di<strong>es</strong>er Stelle<br />

nicht näher eingegangen werden.<br />

imug, das Hannoveraner Beratungsunternehmen,<br />

schreibt: „In den letzten<br />

Jahren haben sich verschiedene Initiativen<br />

verstärkt da<strong>mit</strong> auseinander- g<strong>es</strong>etzt,<br />

wie die Klimaziele von Unternehmen<br />

<strong>mit</strong> den politischen Vorgaben<br />

in Einklang gebracht werden können.<br />

Zu den als „wissenschaftsbasiert“ bezeichneten<br />

Ansätzen zählen beispielsweise<br />

„The 3 % Solution“, „Corporate<br />

Finance Approach to Climate- Stabilizing<br />

Targets“, „Context-Based Carbon<br />

Metrics“, „Greenhouse Gas Emissions<br />

per Unit of Value Added“, „British<br />

Telecommunications Climate Stabilization<br />

Intensity Targets“ sowie die<br />

„Mars Methode“.“<br />

Maßnahmen ergreifen<br />

Was man m<strong>es</strong>sen kann, kann man<br />

auch steuern. <strong>Die</strong>ser bekannte Satz<br />

von Peter Drucker gilt natürlich auch<br />

beim Klimamanagement. Firmen können<br />

dazu ganz konkrete Maßnahmen<br />

ergreifen. In der Lieferkette kann >><br />

Ausgabe 11 | Mai 2019 | Umweltdialog.de<br />

51


Klimawandel<br />

Scope 3 etwa <strong>du</strong>rch entsprechende Einkaufsrichtlinien,<br />

Reiserichtlinien, die Auswahl alternativer Verpackungsmaterialien,<br />

Training und Qualifikation der Lieferanten<br />

g<strong>es</strong>teuert werden.<br />

Das Unternehmen selbst kann nachhaltige Pro<strong>du</strong>kte und<br />

G<strong>es</strong>chäftsmodelle sowie entsprechende Pro<strong>du</strong>ktrücknahme-<br />

und Entsorgungskonzepte entwickeln. Zu<strong>dem</strong> kann <strong>es</strong><br />

in Scope 1 Maßnahmen in den Bereichen Energieeffizienz<br />

und Flotteneffizienz ergreifen oder einfach anfallend<strong>es</strong> CO 2<br />

<strong>du</strong>rch Kompensation ausgleichen.<br />

Der inter<strong>es</strong>sant<strong>es</strong>te und häufigste Hebel ist jedoch der Bereich<br />

Scope 2: Hier kann über entsprechende Verträge bei<br />

Versorgern relativ einfach und konkret <strong>Klimaschutz</strong> betrieben<br />

werden.<br />

Strom ist nicht gleich Strom<br />

Seit der Deregulierung d<strong>es</strong> europäischen Strommarkt<strong>es</strong><br />

gibt <strong>es</strong> eine Vielzahl an Stromanbietern und Strompro<strong>du</strong>kten.<br />

Jed<strong>es</strong> davon hat einen eigenen CO 2<br />

-Fußabdruck,<br />

w<strong>es</strong>halb sich ein genauer Blick in die Vertrags-Modalitäten<br />

lohnt. Wenn wir noch einmal zurückkehren zur erwähnten<br />

Berechnung der THG-Emissionen, so gibt <strong>es</strong> bei Strom zwei<br />

Faktoren, die zur Auswahl stehen:<br />

a) Länderspezifische Emissionsfaktoren<br />

(location-based method)<br />

<strong>Die</strong>ser basiert auf <strong>dem</strong> jeweiligen nationalen bzw. regionalen<br />

Strommix. <strong>Die</strong>ser Mix wird berechnet nach Energieträgern,<br />

die im jeweiligen Land verbraucht werden. Viel Kohle<br />

und Öl bedeuten viel CO 2<br />

, viele erneuerbare Energien wenig<br />

CO 2<br />

. Der Vorteil der Nutzung di<strong>es</strong>er land<strong>es</strong>weiten Angaben<br />

ist die b<strong>es</strong>sere Vergleichbarkeit bei mehreren Standorten<br />

innerhalb ein<strong>es</strong> Unternehmens oder der Vergleich <strong>mit</strong> Wettbewerbern.<br />

Allerdings lassen sich di<strong>es</strong>e Werte in keiner<br />

Weise <strong>du</strong>rch das Unternehmen steuern oder verb<strong>es</strong>sern.<br />

b) Anbieterspezifische Emissionsfaktoren<br />

(market-based method)<br />

Hierbei werden die jeweiligen CO 2<br />

-Angaben d<strong>es</strong> Anbieters<br />

berechnet. <strong>Die</strong>se ergeben sich aus <strong>dem</strong> spezifischen Energiemix.<br />

Ökostrom beispielsweise ist naturgemäß CO 2<br />

-ärmer.<br />

Daher kann ein Unternehmen <strong>du</strong>rch den gezielten<br />

Anbieterwechsel und entsprechende Vertragsg<strong>es</strong>taltung<br />

seinen CO 2<br />

-Verbrauch selbst steuern. Wichtig ist dabei allerdings,<br />

dass der Kunde auch die Nachweise und Zertifikate<br />

vom Stromhändler erhält. Ohne di<strong>es</strong>en Nachweis gilt die<br />

grüne Berechnung nicht, und <strong>es</strong> wird dann automatisch der<br />

Land<strong>es</strong> - bzw. R<strong>es</strong>i<strong>du</strong>almix zu Grunde gelegt. Grünstrom ist<br />

also gut für´s Klima, anderseits verschleiern solche Stromverträge<br />

<strong>du</strong>rchaus den dahinterliegende Energieverbrauch.<br />

Beispiel: Wenn man zwei Lampen anschaltet und beide <strong>mit</strong><br />

Grünstrom betrieben werden, so liegt der Verbrauch zwar<br />

bei 0 gr CO 2<br />

, aber dennoch ist der Stromverbrauch doppelt<br />

so hoch wie bei einer Lampe. Effizienzmaßnahmen können<br />

also <strong>du</strong>rch Ökostrom ausgebremst werden.<br />

Machen wir eine fiktive Berechnung, um den Verbrauch<br />

nach Land<strong>es</strong>mix- bzw. Anbieter-spezifischem Wert zu<br />

berechnen: Nehmen wir an, eine Firma hat Pro<strong>du</strong>ktionsstandorte<br />

in Deutschland, den USA, China und Belgien. Der<br />

Verbrauch ist der Einfachheit überall gleich. Nach location<br />

based method würde der Stromverbrauch <strong>mit</strong> der Land<strong>es</strong>kennzahl<br />

multipliziert. <strong>Die</strong>ser ist in China hoch (hoher<br />

Kohleanteil) und in Belgien niedrig (hoher Atomstromanteil).<br />

Bei der market-based method lässt sich der Verbrauch<br />

fast überall positiv steuern. Ausnahme China: Hier gibt <strong>es</strong><br />

keinen freien Strommarkt und da<strong>mit</strong> keine Alternative zum<br />

Land<strong>es</strong>mix. Liegen allerdings keine Zertifikate vor, dann<br />

wird auf den R<strong>es</strong>i<strong>du</strong>almix zurückgegriffen, und der ist in<br />

Belgien deutlich schlechter als der Land<strong>es</strong>mix. In unserem<br />

u.g. fiktiven Beispiel lassen sich also 38 Prozent CO 2<br />

nur<br />

<strong>du</strong>rch entsprechend<strong>es</strong> Stromvertrags-Management einsparen.<br />

Das ist ein echter Beitrag zum <strong>Klimaschutz</strong>.<br />

Fiktiv<strong>es</strong> Beispiel der Scope 2-Berechnung<br />

a) location based method<br />

Land<br />

Verbrauch<br />

MWh<br />

Deutschland 10.000 MWh<br />

USA 10.000 MWh<br />

China 10.000 MWh<br />

Belgien 10.000 MWh<br />

Emissionsfaktor<br />

528 gr<br />

CO 2<br />

/ kWh<br />

561 gr<br />

CO 2<br />

/ kWh<br />

749 gr<br />

CO 2<br />

/ kWh<br />

187 gr<br />

CO 2<br />

/ kWh<br />

CO 2<br />

-<br />

Ausstoß<br />

5.280 t<br />

5.610 t<br />

7.490 t<br />

1.870 t<br />

Summe 40.000 MWh 20.250 t<br />

52 Ausgabe 11 | Mai 2019 | Umweltdialog.de


Klimawandel<br />

b) market based method <strong>Wie</strong> die Klimabilanz ausfällt, hängt aber auch schon von<br />

der Auswahl der Datenquelle ab. So sind die Angaben<br />

Land<br />

Verbrauch<br />

MWh<br />

Emissionsfaktor<br />

Deutschland 10.000 MWh 0 gr<br />

CO 2<br />

/ kWh *<br />

USA 10.000 MWh 0 gr<br />

CO 2<br />

/ kWh *<br />

China 10.000 MWh<br />

Belgien 10.000 MWh<br />

749 gr<br />

CO 2<br />

/ kWh<br />

500 gr<br />

CO 2<br />

/ kWh **<br />

CO 2<br />

-<br />

Ausstoß<br />

0 t<br />

0 t<br />

7.490 t<br />

5.000 t<br />

d<strong>es</strong> Umweltbund<strong>es</strong>amt<strong>es</strong> UBA zum nationalen regionalen<br />

Strommix traditionell strenger als die der Internationalen<br />

Energieagentur IEA. Demnach betrug etwa der<br />

deutsche Strommix in 2007 bei der UBA 608 g CO 2<br />

/ kWh<br />

und bei der IEA nur 504 g CO 2<br />

/ kWh. Dank der Energiewende<br />

sanken die Angaben in den letzten Jahren dann<br />

kontinuierlich in beiden Berechnungsmodellen: Auf 544<br />

g CO 2<br />

/ kWh laut UBA und 461 g CO 2<br />

/ kWh laut IEA.<br />

Aufgrund der <strong>du</strong>rchgehend günstigeren Zahlen der IEA<br />

wird bei den allermeisten Unternehmen in der Bilanzierung<br />

stets der IEA Referenzwert genutzt. So fällt der Carbon<br />

Footprint um 15 Prozent b<strong>es</strong>ser aus als nach UBA-<br />

Angaben.<br />

Summe 40.000 MWh 12.490 t<br />

* PPA <strong>mit</strong> RECS Zertifikat<br />

** fehlender Nachweis, daher R<strong>es</strong>i<strong>du</strong>almix (RE-DIS II Belgien 2013)<br />

Wer sich die eigene Performance übrigens rückwirkend<br />

schön rechnen will, der berechnet alte CO 2<br />

-Werte nach<br />

UBA und wechselt dann zu den IEA-Zahlen. Zwischen 2007<br />

und 2010 lassen sich so 25 Prozent Emissionen <strong>mit</strong> bloßem<br />

buchhalterischem Trick auf <strong>dem</strong> Papier einsparen. f<br />

Was ist der R<strong>es</strong>i<strong>du</strong>almix ein<strong>es</strong> Land<strong>es</strong>?<br />

Der R<strong>es</strong>i<strong>du</strong>almix ist der um den Handel <strong>mit</strong><br />

Herkunftsnachweisen bereinigte Strommix ein<strong>es</strong><br />

Land<strong>es</strong>. Zwischen <strong>dem</strong> im Land pro<strong>du</strong>zierten und im<br />

Land verbrauchten Strom kann nämlich ein gewaltiger<br />

Unterscheid liegen, wie das Beispiel Norwegen<br />

zeigt: Norwegen pro<strong>du</strong>ziert zu 98 Prozent umweltfreundlichen<br />

Strom aus Wasserkraft. Grüner geht <strong>es</strong><br />

nicht, sollte man meinen. Tatsächlich sind die Norweger<br />

aber auch gute Kaufleute und exportieren einen<br />

Großteil di<strong>es</strong><strong>es</strong> Grünstroms ins europäische Ausland.<br />

Dort herrscht große Nachfrage nach nachhaltigem<br />

Strom, und die Preise sind entsprechend hoch. Zum<br />

Ausgleich kauft Norwegen günstig Strom auf <strong>dem</strong><br />

europäischen Markt zu, um die eigene Versorgung<br />

sicherzustellen. Das Ergebnis ist schockierend: Aus<br />

einem 98 Prozent Sauberland wird eine echte Dreckschleuder:<br />

Norweger konsumieren zu 54 Prozent<br />

Strom, der aus fossiler Verbrennung gewonnen wurde,<br />

zu 33 Prozent aus Kernenergie und nur zu 13 Prozent<br />

aus erneuerbaren Energien. <strong>Die</strong>sen Verbrauchsmix<br />

nennt man auch R<strong>es</strong>i<strong>du</strong>almix.<br />

Herausgeber:<br />

Deutsch<strong>es</strong> Global Compact Netzwerk,<br />

Berlin 2017<br />

Einführung<br />

Klimamanagement<br />

Schritt für Schritt zu<br />

einem effektiven<br />

Klimamanagement<br />

in Unternehmen<br />

Ausgabe 11 | Mai 2019 | Umweltdialog.de<br />

53


Klimawandel<br />

„Porsche Impact“:<br />

<strong>Klimaschutz</strong> <strong>mit</strong> Kleingeld<br />

Fotos: Porsche<br />

Von Thomas Wischniewski<br />

Ablasshandel? Abgashandel? Oder sinnvoller <strong>Klimaschutz</strong>? Porsche-Fahrer können jetzt<br />

die CO 2<br />

-Emissionen kompensieren, die sie übers Jahr <strong>mit</strong> ihren Flitzern verursachen,<br />

<strong>du</strong>rch freiwillige Zahlungen an <strong>Klimaschutz</strong>projekte. Der Zuffenhausener Sportwagenhersteller<br />

hat dazu die Initiative „Porsche Impact“ g<strong>es</strong>tartet – und gleich den eigenen Firmen-Fuhrpark<br />

ins Rennen g<strong>es</strong>chickt.<br />

54 Ausgabe 11 | Mai 2019 | Umweltdialog.de


Klimawandel<br />

empfohlen wird. Freig<strong>es</strong>chaltet ist der Rechner derzeit in<br />

Deutschland, Großbritannien und Polen, weitere Länder<br />

sollen folgen.<br />

Wer den Ausgleich zahlen will, wird an den Porsche Kooperationspartner<br />

South Pole weitergeleitet, ein international<br />

tätig<strong>es</strong> Unternehmen <strong>mit</strong> Hauptsitz in der Schweiz, das<br />

seit <strong>dem</strong> Jahr 2006 Kompensationsvorhaben entwickelt.<br />

<strong>Die</strong> von Porsche ausgewählten Projekte konzentrieren<br />

sich auf den Aufbau von Wasser- und Sonnenenergie sowie<br />

den Schutz von Wald und Artenvielfalt, befinden sich<br />

in den USA, Mexiko, Vietnam sowie Simbabwe und da<strong>mit</strong><br />

in Ländern, in denen sich nach Porsche-Einschätzung „ein<br />

b<strong>es</strong>onders wirkungsvoller Beitrag zum Umwelt- und <strong>Klimaschutz</strong><br />

erzielen lässt“.<br />

Projekt-Portfolio: Wald-, Arten- und <strong>Klimaschutz</strong><br />

Knapp 6.100 Kraftfahrzeuge umfasst die Flotte nach Unternehmensangaben.<br />

Das Kohlendioxid, das sie in die Luft<br />

stoßen, gleicht Porsche seit November <strong>du</strong>rch Zahlungen<br />

an Klima- und Nachhaltigkeitsprojekte aus. <strong>Die</strong> Summe<br />

berechnet sich je nach Fahrzeugtyp und Fahrleistung. Bei<br />

einem Porsche Cayenne aus der aktuellen Baureihe <strong>mit</strong><br />

jährlich 15.000 Kilometern auf <strong>dem</strong> Tacho kommen beispielsweise<br />

62,70 Euro zusammen.<br />

„B<strong>es</strong>onders wirkungsvoller Beitrag zum Umwelt- und<br />

<strong>Klimaschutz</strong>“<br />

Er<strong>mit</strong>teln lässt sich das <strong>mit</strong> einem Emissionsrechner auf<br />

der Porsche-Website. Einfach Jahr<strong>es</strong>fahrleistung und<br />

Durchschnittsverbrauch eingeben, schon wird angezeigt,<br />

wie viele Tonnen CO 2<br />

da<strong>du</strong>rch im Jahr in die Atmosphäre<br />

entweichen und welche Summe zur Kompensation<br />

Im mexikanischen Bund<strong>es</strong>staat Baja California Sur unterstützt<br />

der Autobauer zum Beispiel ein<strong>es</strong> der ersten großen<br />

Photovoltaik-Projekte in Lateinamerika, den Solarpark<br />

Aurora Solar I. <strong>Die</strong> Anlage erzeugt bereits 82.000 Megawattstunden<br />

Sonnenstrom im Jahr und ist laut Porsche<br />

„zentraler B<strong>es</strong>tandteil der in Mexiko dringend benötigten<br />

Energiewende“. Das Projekt diene Umwelt und Menschen<br />

vor Ort, schaffe Arbeitsplätze und Ausbil<strong>du</strong>ngsmöglichkeiten.<br />

Ein weiter<strong>es</strong> Kompensationsprojekt findet sich im US-Bund<strong>es</strong>staat<br />

Alaska, genauer: auf Afognak, einer Insel an der<br />

Südküste Alaskas, auf der in den 1980-er Jahren die Holzin<strong>du</strong>strie<br />

gewütet hat – bis 15 Prozent d<strong>es</strong> artenreichen<br />

Areals kahlg<strong>es</strong>chlagen waren. <strong>Die</strong> „Porsche Impact“-Gelder<br />

sollen unter anderem in die R<strong>es</strong>tauration di<strong>es</strong>er Flächen<br />

fließen. Ein ähnlich<strong>es</strong> Forstschutz-Projekt unterstützt der<br />

Konzern in Simbawe an der Südküste d<strong>es</strong> Kariba-Se<strong>es</strong>.<br />

<strong>Klimaschutz</strong>? Durch Kompensation?<br />

Neu ist die Idee vom <strong>Klimaschutz</strong> <strong>du</strong>rch Kompensationszahlungen<br />

nicht. Flug- oder Bahnreisende können seit<br />

geraumer Zeit <strong>mit</strong> ähnlichen Programmen ihre CO 2<br />

-Emissionen<br />

ausgleichen. Unumstritten ist das nicht, zumin- >><br />

Ausgabe 11 | Mai 2019 | Umweltdialog.de<br />

55


Klimawandel<br />

d<strong>es</strong>t nicht in Hinsicht auf den Nutzen fürs Klima. „Kompensation<br />

kann das Klimaproblem nicht lösen, weil sie nichts<br />

an den eigentlichen CO 2<br />

-Quellen ändert“, heißt <strong>es</strong> etwa seitens<br />

der gemeinnützigen atmosfair gGmbH, <strong>dem</strong> wohl bekannt<strong>es</strong>ten<br />

Kompensations-Anbieter in Deutschland. Aber:<br />

Sie sei „als zweitb<strong>es</strong>te Lösung notwendig, solange die b<strong>es</strong>te<br />

Lösung noch nicht existiert“.<br />

Fotos: Porsche<br />

atmosfair konzentriert sich auf den Flugverkehr, und<br />

das aus gutem Grund: Für den, heißt <strong>es</strong> auf der Website<br />

der Organisation, „gibt <strong>es</strong> derzeit noch keine technische<br />

Lösung wie problemfreie Biotreibstoffe oder das Null-Emissions-Flugzeug“.<br />

Anders sei das beim Autofahren. Da sei<br />

eine CO 2<br />

-Kompensation nicht sinnvoll. Schlicht, weil <strong>es</strong><br />

nachhaltigere Alternativen gibt: Elektro- oder Hybridautos,<br />

Carsharing-Angebote, den Öffentlichen Personennahverkehr,<br />

das gute alte Fahrrad.<br />

So geht’s: Vermei<strong>du</strong>ng – Re<strong>du</strong>ktion – Kompensation<br />

Einerseits. Andererseits schadet das neue Porsche-Angebot<br />

<strong>dem</strong> Klima auch nicht. Es lenkt Geld in Projekte, die<br />

unter Nachhaltigkeitsaspekten sinnvoll sein können. Und<br />

<strong>es</strong> schärft vielleicht das Bewusstsein der Konzernkunden<br />

dafür, dass der CO 2<br />

-Ausstoß ihrer Boliden einen Schaden<br />

verursacht. Einen Schaden, der sich <strong>mit</strong> einem Preis<br />

beziffern lässt. Im b<strong>es</strong>ten Fall wächst so das Verständnis<br />

dafür, dass das Klima kein frei verfügbar<strong>es</strong> Allgemeingut<br />

ist. Trotz<strong>dem</strong>, da sind sich Klimaschützer einig, sollten die<br />

Vermei<strong>du</strong>ng und Re<strong>du</strong>ktion von Klimagasen stets vor der<br />

Kompensation stehen.<br />

Porsche sagt, das habe man verstanden. Man unternehme<br />

„all<strong>es</strong>, um CO 2<br />

zu vermeiden oder wenigstens zu re<strong>du</strong>zieren“,<br />

und zwar über die komplette Wertschöpfungskette.<br />

So nutze man <strong>mit</strong>tlerweile für Pro<strong>du</strong>ktion und Bahnlogistik<br />

zu 100 Prozent Naturstrom. Und bei der Entwicklung neuer<br />

Fahrzeuge habe man nicht nur deren Leistungsfähigkeit<br />

im Blick, sondern ebenso die Minimierung von Emissionen<br />

und Verbrauch. Ein Beleg, den die Zuffenhausener anführen:<br />

<strong>Die</strong> jüngste Generation d<strong>es</strong> Porsche 911 Carrera, die<br />

gegenüber <strong>dem</strong> Vorgänger zehn Prozent weniger CO 2<br />

ausstoße.<br />

Der Wert liegt jetzt bei 205 Gramm Kohlendioxid je<br />

Kilometer. f<br />

Im Original erschienen bei umweltdialog.de<br />

56 Ausgabe 11 | Mai 2019 | Umweltdialog.de


Klimawandel<br />

SCHON BEGONNEN<br />

<strong>Die</strong> Reinsten<br />

IMMER<br />

HAT<br />

ZUKUNFT<br />

DIE<br />

Wir wissen, dass wir an <strong>dem</strong> Ast sägen, auf welchem wir<br />

selbst sitzen: dass wir die R<strong>es</strong>sourcen der Erde über Gebühr<br />

ausbeuten und trotz<strong>dem</strong> <strong>mit</strong> unserem wachstumsgeprägten<br />

Wirtschaftssystem weitermachen, dass wir – obwohl<br />

der Klimawandel uns bedroht – immer mehr CO 2<br />

in<br />

die Atmosphäre pusten und dass das massive Insektenund<br />

Artensterben das Überleben unserer Spezi<strong>es</strong> selbst<br />

bedroht. Trotz<strong>dem</strong> steuern wir nicht gegen. Ist die Menschheit<br />

noch zu retten? Und wenn <strong>es</strong> der Mensch selbst nicht<br />

kann, schafft das die Künstliche Intelligenz?<br />

2019<br />

R HJAH FRÜ<br />

<strong>Die</strong>sen und weiteren spannenden g<strong>es</strong>ellschaftskritischen<br />

<strong>Frage</strong>n widmet sich der Science Fiction-Roman „<strong>Die</strong><br />

Reinsten“ von Thore D. Hansen. In einer „weit entfernten<br />

Zukunft“ im Jahr 2191 wird ein Großteil der vorhandenen<br />

menschlichen Bevölkerung von insg<strong>es</strong>amt nur noch rund<br />

10 Millionen Menschen weltweit in Paradise, einer künstlich<br />

g<strong>es</strong>chaffenen Welt von acht Metropolen, von Askit,<br />

der all<strong>es</strong> umfassenden KI, versorgt und kontrolliert. Über<br />

Implantate werden „Ausgewählte“ von Askit ausgebildet<br />

und altruistisch erzogen, das sind die Reinsten. Auch Eve<br />

Legrand wird von der KI als Reinste anerkannt, und Askit<br />

sieht in ihr groß<strong>es</strong> Potential.<br />

Askits primär<strong>es</strong> Ziel ist: den Planeten Erde und alle auf ihm<br />

befindlichen Lebew<strong>es</strong>en und Arten – Pflanzen, Insekten,<br />

Tiere und Menschen – zu erhalten, <strong>dem</strong> weiter fortschreitenden<br />

Klimawandel zu trotzen, Wälder zu regenerieren<br />

und bewohnbare Zonen zu schaffen. Dabei geht Askit bedingungslos<br />

nach <strong>dem</strong> Grundsatz: Nur soviel R<strong>es</strong>sourcen<br />

zu verbrauchen, wie nachwachsen können.<br />

Ein weiterer Teil der Menschen, die nicht in den Metropolen<br />

in Paradise leben, bewohnen Waldrandgebiete in<br />

sogenannten Kolonien. In di<strong>es</strong>e werden auch Menschen<br />

aus Paradise, die sich egoistisch verhalten oder über Gefühlsausbrüche<br />

<strong>dem</strong> Gemeinwohl schaden, verbannt. <strong>Die</strong><br />

sogenannten Degenerierten fristen dann ihr Leben bei den<br />

Kolonisten.<br />

Und <strong>es</strong> gibt noch einen kleinen Kreis von Menschen, die<br />

als Nachkommen der ehemaligen Gründer von Askit und<br />

der neuen Weltordnung und als Ausgewählte der b<strong>es</strong>onders<br />

Reinsten „Askit City“ bewohnen und nicht von Askit<br />

kontrolliert werden.<br />

Unter allen Beteiligten beginnt ein Wettstreit um die Zukunftsfähigkeit<br />

der Gattung Mensch! Spannend!<br />

Thore D. Hansen <strong>Die</strong> Reinsten<br />

422 Seiten, 22 Euro, Verlag Golkonda<br />

ISBN: 978-3-946503-90-3 (Buchausgabe)<br />

ISBN: 978-3-946503-91-0 (E-Book)<br />

www.golkonda-verlag.de<br />

Ausgabe 11 | Mai 2019 | Umweltdialog.de<br />

57


Klimawandel<br />

Foto: Kyocera<br />

Der lange Weg Richtung<br />

NULL EMISSIONEN<br />

Von Umweltverbänden bis zur Wirtschaft: Viele kritisieren die Ergebnisse der letzten Klimakonferenz<br />

als nicht ausreichend. Dabei b<strong>es</strong>teht dringender Handlungsbedarf – laut der Weltorganisation<br />

für Meteorologie war der CO 2<br />

-Gehalt in der Atmosphäre 2017 so hoch wie nie.<br />

Eins ist sicher: Staatlich<strong>es</strong> Handeln allein reicht nicht aus.<br />

Von Julia Arendt<br />

„Hearing no objections – it is so decided”<br />

– <strong>mit</strong> di<strong>es</strong>en Worten griff Michał<br />

Kurtyka, Sitzungspräsident der 24.<br />

UN-Klimakonferenz, laut Berichten<br />

d<strong>es</strong> Deutschlandfunks zum Hammer<br />

und beendete die Veranstaltung im<br />

polnischen Kattowitz. Nach zwei Verhandlungswochen<br />

einigten sich die<br />

Staaten auf gemeinsame Regeln zur<br />

Umsetzung d<strong>es</strong> Pariser Klimaabkommens.<br />

Das verabschiedete Regelbuch<br />

– eine Art Gebrauchsanweisung – enthält<br />

Vorgaben, nach denen die Länder<br />

und ihre <strong>Klimaschutz</strong>bemühungen<br />

gem<strong>es</strong>sen und verglichen werden<br />

können.<br />

Ein Schritt in die richtige<br />

Richtung, aber…<br />

<strong>Die</strong> Reaktionen darauf waren geteilt.<br />

Kritik kam vor allem von Umweltschützern,<br />

Ökonomen und Wissenschaftlern,<br />

die mehr politischen<br />

Willen zur Begrenzung der Erderwärmung<br />

fordern. Politiker gaben<br />

sich hingegen optimistisch. „Wir<br />

haben erreicht, dass sich zum ersten<br />

Mal nicht nur die halbe, sondern die<br />

ganze Welt beim <strong>Klimaschutz</strong> in die<br />

Karten schauen lässt“, betonte Bund<strong>es</strong>umweltministerin<br />

Svenja Schulze<br />

gegenüber der Pr<strong>es</strong>se. „Das Pariser<br />

Abkommen beruht auf <strong>dem</strong> gegenseitigen<br />

Vertrauen, dass alle Staaten<br />

ihren Beitrag zum <strong>Klimaschutz</strong> >><br />

58 Ausgabe 11 | Mai 2019 | Umweltdialog.de


Klimawandel<br />

leisten. Darum ist entscheidend, dass<br />

jeder sehen kann, was der andere tut.“<br />

Doch trotz einiger Erfolge sei die Bilanz<br />

der Klimakonferenz überschaubar,<br />

so Ottmar Edenhofer, Direktor<br />

d<strong>es</strong> Potsdam Instituts für Klimafolgenforschung<br />

(PIK) gegenüber <strong>dem</strong><br />

Handelsblatt: „<strong>Die</strong> dringend notwendige<br />

Steigerung d<strong>es</strong> Ambitionsniveaus<br />

ist im W<strong>es</strong>entlichen ausgeblieben,<br />

und beim Regelbuch haben wir<br />

nur ein Minimum erreicht. <strong>Die</strong> Welt<br />

braucht konkrete Maßnahmen zur<br />

Verringerung der Treibhausgase; und<br />

sie braucht di<strong>es</strong>e Maßnahmen nicht<br />

irgendwann, sondern jetzt.“ Sein Kollege<br />

Johan Rockström pflichtet ihm<br />

bei: „Der Klimagipfel in Kattowitz hat<br />

versäumt klarzumachen, dass die globalen<br />

Emissionen aus fossilen Brennstoffen<br />

bis 2030 halbiert werden müssen.<br />

Wir alle müssen jetzt aufhören,<br />

herumzutrippeln. Wir müssen unsere<br />

Schritte b<strong>es</strong>chleunigen“, mahnt der<br />

Schwede.<br />

Mission: Klimaneutralität<br />

<strong>Die</strong>s hat auch das Bund<strong>es</strong>ministerium<br />

für wirtschaftliche Zusammenarbeit<br />

und Entwicklung erkannt: „Staatliche<br />

Anstrengungen reichen allein<br />

nicht aus, um die internationalen<br />

Klima- und Entwicklungsziele zu erreichen.<br />

Alle sind gefordert: Politik,<br />

Wirtschaft, G<strong>es</strong>ellschaft, jede Einzelne<br />

und jeder Einzelne von uns“, heißt<br />

<strong>es</strong> vom Ministerium zur neu gegründeten<br />

„Allianz für Entwicklung und<br />

Klima“. Bund<strong>es</strong>entwicklungsminister<br />

Dr. Gerd Müller präsentierte di<strong>es</strong><strong>es</strong><br />

Bündnis bereits im vergangenen November<br />

im Bund<strong>es</strong>tag. Das Ziel aller<br />

Mitglieder: Klimaneutralität <strong>mit</strong>hilfe<br />

von Vermei<strong>du</strong>ng und Re<strong>du</strong>zierung der<br />

CO 2<br />

-Emissionen. „Was übrig bleibt,<br />

wird <strong>mit</strong> Projekten in Entwicklungsund<br />

Schwellenländern kompensiert,<br />

vor allem <strong>du</strong>rch den Aufbau erneuerbarer<br />

Energien und den Schutz und<br />

die Aufforstung von Wäldern“, erklärt<br />

Müller in einer Pr<strong>es</strong>seerklärung zur<br />

Allianz.<br />

Klimapionier KYOCERA<br />

Bereits 70 Unternehmen, Behörden<br />

und zivilg<strong>es</strong>ellschaftliche Organisationen<br />

sind Teil der Allianz. KYOCERA<br />

Document Solutions Deutschland gehörte<br />

zu den ersten Unternehmen, die<br />

sich ihr anschlossen. „<strong>Die</strong> Aufnahme<br />

in die Allianz für Entwicklung und<br />

<strong>Klimaschutz</strong> macht uns stolz und ist<br />

ein wichtiger Ansporn, unser Nachhaltigkeitsengagement<br />

fortzuführen“,<br />

so Daniela Matysiak, Umwelt- und<br />

CSR-Managerin d<strong>es</strong> Unternehmens.<br />

Mit seiner Mitgliedschaft setzt der<br />

Konzern sein bisherig<strong>es</strong> Klimaengagement<br />

konsequent fort. Bereits seit fünf<br />

Jahren kompensiert er im Rahmen<br />

von KYOCERA PRINT GREEN, <strong>dem</strong><br />

hauseigenen <strong>Klimaschutz</strong>programm,<br />

den CO 2<br />

-Ausstoß aller Drucker und<br />

Multifunktionsgeräte. „Unsere Pro<strong>du</strong>ktverantwortung<br />

endet nicht am<br />

Werkstor, sondern erstreckt sich über<br />

die g<strong>es</strong>amte Pro<strong>du</strong>ktlaufzeit“, betont<br />

Matysiak im Interview <strong>mit</strong> Umwelt-<br />

Dialog. „Neben eigenen Analysen<br />

haben wir im Rahmen unser<strong>es</strong> <strong>Klimaschutz</strong>programms<br />

PRINT GREEN<br />

<strong>du</strong>rch die <strong>Klimaschutz</strong>organisation<br />

myclimate den CO 2<br />

-Fußabdruck unserer<br />

Pro<strong>du</strong>kte über die Lebenszeit berechnen<br />

lassen. <strong>Die</strong>s gibt uns Antworten<br />

auf die <strong>Frage</strong>n, wie viel CO 2<br />

zum<br />

Beispiel bei der Pro<strong>du</strong>ktion oder <strong>dem</strong><br />

Transport verursacht wird.“<br />

Was übrig bleibt, wird<br />

kompensiert<br />

<strong>Die</strong> Emissionen, die unvermeidbar<br />

sind, kompensiert der Konzern <strong>mit</strong><br />

seiner Unterstützung d<strong>es</strong> Projekts<br />

„Effiziente Kocher für Kenia“ von<br />

myclimate. „Im W<strong>es</strong>ten Kenias wird<br />

meist auf offenen Feuerstellen gekocht,<br />

was Unmengen an Feuerholz<br />

verbraucht. Dank eigens aufgebauter<br />

kommunaler Spar- und Darlehensgemeinschaften<br />

können sich Frauen<br />

dort nun b<strong>es</strong>sere Kocher leisten“, erklärt<br />

Dr. Anne Rheinlaender, Projektleiterin<br />

von myclimate, gegenüber<br />

UmweltDialog. <strong>Die</strong>se seien w<strong>es</strong>entlich<br />

effizienter und re<strong>du</strong>zierten die<br />

Nachfrage nach Feuerholz. <strong>Die</strong> Folge:<br />

Lokale Wälder werden g<strong>es</strong>chützt<br />

und CO 2<br />

-Emissionen vermindert. <strong>Die</strong><br />

Effekte sind enorm: „Jeder installierte<br />

Kocher spart im Jahr 2,2 Tonnen<br />

CO 2<br />

-Emissionen ein“, erklärt Daniela<br />

Matysiak.<br />

Außer<strong>dem</strong> setzt das Unternehmen bei<br />

seinen Farbdruckern und Multifunktionssystemen<br />

auf die eigens entwickelte<br />

ECOSYS-Technologie. <strong>Die</strong>se steht<br />

für b<strong>es</strong>onders r<strong>es</strong>sourcenschonend<strong>es</strong><br />

Drucken und Kopieren. Bei Druckern<br />

muss beispielsweise nur der Toner als<br />

Verbrauchsmaterial nachgefüllt werden.<br />

Alle anderen Komponenten sind<br />

in der Regel für die g<strong>es</strong>amte Einsatzzeit<br />

d<strong>es</strong> Druckers ausgelegt. <strong>Die</strong> Folge:<br />

Im Vergleich zu anderen Drucksystemen<br />

re<strong>du</strong>zieren ECOSYS-Systeme die<br />

entstehenden Abfallmengen um bis<br />

zu 75 Prozent. f<br />

Im Original erschienen bei<br />

umweltdialog.de<br />

Ausgabe 11 | Mai 2019 | Umweltdialog.de<br />

59


Klimawandel<br />

Klimawandel: Macht ein halb<strong>es</strong> Grad wirklich<br />

EINEN UNTERSCHIED<br />

1,5 °C 2 °C<br />

gegenüber<br />

<strong>mit</strong>tlerer Erderwärmung<br />

bis Ende d<strong>es</strong> Jahrhunderts<br />

Maximaltemperaturen in Teilen Europas<br />

3-4 °C 5 °C<br />

Um so viel Grad Celsius steigen die höchsten Temperaturen,<br />

die im Verlauf ein<strong>es</strong> Jahr<strong>es</strong> erreicht werden<br />

heutige Rekorde werden Normalität<br />

Beispiel Hitze: Wahrscheinlichkeit, dass jed<strong>es</strong> Jahr so heiß<br />

52 %<br />

wird wie das bisherige weltweite Rekordjahr 2016 – in einer<br />

88 %<br />

1,5°-Welt würde also etwa jed<strong>es</strong> zweite Jahr so heiß wie 2016,<br />

bei 2 °C wären <strong>es</strong> neun von zehn Jahren<br />

42 % 59 %<br />

Wahrscheinlichkeit, dass <strong>es</strong> jed<strong>es</strong> Jahr zu einer<br />

Hitzewelle kommt wie 2003, die europaweit<br />

Zehntausende Tod<strong>es</strong>fälle verursachte<br />

fast 700<br />

Millionen<br />

Zahl der Menschen weltweit, die alle 20 Jahre oder noch<br />

öfter extremen Hitzewellen ausg<strong>es</strong>etzt sein werden –<br />

betroffen wären also entweder etwa jeder zehnte<br />

oder aber etwa jeder vierte Mensch auf der Erde<br />

mehr als 2<br />

Milliarden<br />

Überschwemmungen<br />

Anteil der Landfläche weltweit, auf der das Risiko von<br />

Überschwemmungen an Flüssen deutlich steigt. Hintergrund<br />

sind stärkere Niederschläge infolge d<strong>es</strong> Klimawandels in<br />

vielen Regionen<br />

11 % 21 %<br />

60 Ausgabe 11 | Mai 2019 | Umweltdialog.de


Klimawandel<br />

2,6<br />

Dürremonate<br />

Dürren<br />

Dürremonate pro Jahr in Mitteleuropa; im<br />

Mittelmeerraum wären <strong>es</strong> sogar 3,2 bzw. 3,7 Monate<br />

2,8<br />

Dürremonate<br />

4 mm<br />

pro Jahr<br />

34 cm<br />

Anstieg d<strong>es</strong> Meer<strong>es</strong>spiegels<br />

Zunahme d<strong>es</strong> <strong>mit</strong>tleren Meer<strong>es</strong>spiegels weltweit<br />

zum Ende unser<strong>es</strong> Jahrhunderts<br />

Anstieg d<strong>es</strong> <strong>mit</strong>tleren Meer<strong>es</strong>spiegels der Nordsee<br />

bei Cuxhaven (Niedersachsen)<br />

5,5 mm<br />

pro Jahr<br />

53 cm<br />

alle 100<br />

Jahre<br />

Gefahr von Sturmfluten<br />

Häufigkeit, <strong>mit</strong> der künftig an der Nordseeküste bei<br />

Cuxhaven eine Sturmflut von einer Stärke zu erwarten<br />

ist, <strong>mit</strong> der bislang statistisch nur einmal in 500 Jahren<br />

gerechnet werden musste<br />

alle 33<br />

Jahre<br />

alle 40<br />

Jahre<br />

eisfreier Nordpol<br />

<strong>du</strong>rchschnittliche Häufigkeit, <strong>mit</strong> der das Nordpolarmeer<br />

im September, also zum Ende d<strong>es</strong> arktischen Sommers,<br />

eisfrei ist<br />

alle 3-5<br />

Jahre<br />

Korallensterben<br />

Anteil der Korallenriffe weltweit, die <strong>dem</strong> Risiko von<br />

70 % Korallenbleiche ausg<strong>es</strong>etzt wären 99 %<br />

8 %<br />

Planzen<br />

4 %<br />

Wirbeltiere<br />

6 %<br />

Insekten<br />

Artenvielfalt<br />

Anteil der Pflanzen-, Wirbeltier- und Insektenarten weltweit,<br />

die infolge d<strong>es</strong> Klimawandels mehr als die Hälfte ihr<strong>es</strong><br />

Verbreitungsgebiets verlieren.<br />

Eine Erwärmung um 0,5 °C bedroht bei den Pflanzen und<br />

Wirbeltieren also doppelt so viele, bei den Insekten sogar<br />

dreimal so viele Arten.<br />

16 %<br />

Planzen<br />

8 %<br />

Wirbeltiere<br />

18 %<br />

Insekten<br />

Basierend auf di<strong>es</strong>er Infografik von klimafakten.de: bit.ly/2OROHrR<br />

Ausgabe 11 | Mai 2019 | Umweltdialog.de<br />

61


Klimawandel<br />

Weltklimakonferenz<br />

schlecht geredet oder schlecht gemacht?<br />

Foto: UN Photo / Jam<strong>es</strong> Dowson<br />

Von Germanwatch<br />

Das auf der Weltklimakonferenz<br />

im polnischen<br />

Kattowitz (COP24) vereinbarte<br />

Regelwerk ist eine<br />

solide technische Grundlage<br />

für die weltweite<br />

Umsetzung d<strong>es</strong> Pariser<br />

Klimaabkommens. Aber<br />

zur Abwen<strong>du</strong>ng der Klimakrise<br />

kommt <strong>es</strong> nun darauf<br />

an, dass alle Staaten<br />

deutlich mehr politischen<br />

Willen zur zügigen Umsetzung<br />

d<strong>es</strong> Abkommens<br />

zeigen.<br />

Das Ergebnis von Kattowitz ist vor allem<br />

d<strong>es</strong>wegen beachtlich, weil <strong>es</strong> einige<br />

Sabotageversuche aus <strong>dem</strong> Weißen<br />

Haus, Saudi-Arabien und Brasilien<br />

gab. Es ist vor allem der Verdienst der<br />

ärmsten und <strong>du</strong>rch die Klimakrise verletzlichsten<br />

Entwicklungsländer, die<br />

sich für starke B<strong>es</strong>chlüsse eing<strong>es</strong>etzt<br />

haben. <strong>Die</strong> Abwen<strong>du</strong>ng der Klimakrise<br />

ist gerade für di<strong>es</strong>e Länder eine<br />

<strong>Frage</strong> d<strong>es</strong> Überlebens. Auch Deutschland<br />

hat <strong>du</strong>rch seine Finanzzusagen<br />

und sein Auftreten innerhalb der sogenannten<br />

“High Ambition Coalition”<br />

von In<strong>du</strong>strie- und Entwicklungsländern<br />

zu di<strong>es</strong>em Ergebnis konstruktiv<br />

beigetragen.<br />

Das Ergebnis von Kattowitz ist auch<br />

ein Sieg für den Multilateralismus.<br />

<strong>Die</strong> Bewährungsprobe folgt aber nun,<br />

wenn <strong>es</strong> an die Umsetzung d<strong>es</strong> Pariser<br />

Abkommens geht. <strong>Die</strong> Regierungen<br />

müssen jetzt für entschiedenen<br />

<strong>Klimaschutz</strong> zuhause handeln. <strong>Die</strong><br />

Klimabewegung, die sich gerade vom<br />

Hambacher Wald über Widerstand<br />

gegen Pipelin<strong>es</strong> bis zu Klima-Schulstreiks<br />

weltweit formiert und auch<br />

hier in Kattowitz sichtbar geworden<br />

ist, wird von den Regierungen nun<br />

immer vehementer den notwendigen<br />

<strong>Klimaschutz</strong> einfordern. In Deutschland<br />

muss der Anfang d<strong>es</strong> Jahr<strong>es</strong> von<br />

der Kohlekommission b<strong>es</strong>chlossene<br />

Ausstiegspfad <strong>mit</strong> den Pariser-Klimazielen<br />

vereinbar in einem <strong>Klimaschutz</strong>g<strong>es</strong>etz<br />

f<strong>es</strong>tg<strong>es</strong>chrieben werden.<br />

Reaktion auf den IPCC-Sonderbericht<br />

zu 1,5 Grad und höhere<br />

Anstrengungen im <strong>Klimaschutz</strong><br />

In welcher Form im Abschlussdokument<br />

Bezug auf den Sonderbericht<br />

d<strong>es</strong> Weltklimarats (IPCC) genommen<br />

62 Ausgabe 11 | Mai 2019 | Umweltdialog.de


Klimawandel<br />

wird, war ein<strong>es</strong> der umstrittensten Themen der Konferenz.<br />

Hier versuchten vor allem Saudi-Arabien und die USA,<br />

zeitweise unterstützt <strong>du</strong>rch andere arabische Länder und<br />

<strong>du</strong>rch Russland, eindeutige Bezüge auf die Klimawissenschaft<br />

zu verhindern. Einer Koalition aus der Gruppe der<br />

sogenannten am wenigsten entwickelten Länder (LDCs),<br />

der Allianz der kleinen Inselstaaten (AOSIS), einer Gruppe<br />

lateinamerikanischer Staaten (AILAC), der EU und weiteren<br />

Ländern ist <strong>es</strong> dennoch gelungen, eine umfassende<br />

Sprache zum IPCC im Konferenzb<strong>es</strong>chluss <strong>du</strong>rchzusetzen.<br />

Es wird betont, dass der IPCC die Funktion hat, den Vertragsstaaten<br />

Informationen für die Verstärkung globaler<br />

Klimapolitik zur Verfügung zu stellen und ihm wird für die<br />

Arbeit am Sonderbericht gedankt. Zu<strong>dem</strong> wird anerkannt,<br />

dass der Bericht die b<strong>es</strong>te verfügbare Wissenschaft widerspiegelt.<br />

Ein eindeutiger Bezug auf die im Jahr 2030 noch<br />

möglichen globalen Emissionen, wenn die Erwärmung auf<br />

1,5 Grad begrenzt werden soll, wurde <strong>du</strong>rch das Veto der<br />

USA verhindert. Aus di<strong>es</strong>em Wert – 25 bis 30 Gigatonnen<br />

CO 2<br />

eq – hätte sich noch deutlicher ableiten lassen, wie<br />

stark die Länder ihre Klimapolitik verschärfen müssen,<br />

um das in Paris formulierte 1,5-Grad-Li<strong>mit</strong> einzuhalten. Im<br />

globalen Durchschnitt ginge <strong>es</strong> dabei um eine Emissionsre<strong>du</strong>ktion<br />

von jährlich etwa vier Prozent.<br />

In der COP-Entschei<strong>du</strong>ng wird die bereits in Paris vereinbarte<br />

Aufforderung an alle Länder unterstrichen, bis 2020<br />

ihre 2030-Klimabeiträge (NDCs) einzureichen oder zu aktualisieren.<br />

Viele der verletzlichsten sogenannten Entwicklungsländer<br />

hatten hier für eine noch eindeutigere Formulierung<br />

gekämpft, die explizit b<strong>es</strong>agt, dass di<strong>es</strong>e Ziele höher<br />

sein müssen als die bisherigen und sich am IPCC-Sonderbericht<br />

orientieren sollen. Da jedoch in anderen Absätzen<br />

im selben Dokument sowohl die Dringlichkeit von Ambitionserhöhung<br />

als auch die Funktion d<strong>es</strong> IPCC, Orientierung<br />

für die Klimapolitik zu liefern, betont werden, ist di<strong>es</strong>e<br />

Aussage zumind<strong>es</strong>t indirekt verankert. Positiv ist, dass in<br />

der Konferenzentschei<strong>du</strong>ng der Sondergipfel d<strong>es</strong> UN-Generalsekretärs<br />

im September 2019 als ein Ort erwähnt wird,<br />

an <strong>dem</strong> erhöhte Ambition gezeigt werden soll, d.h. dort sollten<br />

die erhöhten Klimaziele vorg<strong>es</strong>tellt werden.<br />

Auch wenn die COP-Entschei<strong>du</strong>ng zu di<strong>es</strong>em Punkt sehr<br />

verklausuliert bleibt, so haben doch zumind<strong>es</strong>t die Mitglieder<br />

der “High Ambition Coalition”, darunter auch der<br />

EU-Klimakommissar und die deutsche Umweltministerin,<br />

sich in ihrer am 12. Dezember in Kattowitz veröffentlichten<br />

Erklärung eindeutig f<strong>es</strong>tgelegt. Sie verpflichten sich,<br />

bis 2020 dreierlei zu tun: 1. mehr sofortige <strong>Klimaschutz</strong>maßnahmen,<br />

2. Erhöhung ihrer 2030-Klimaziele und<br />

3. Vorlage einer Langfriststrategie für die Zeit bis 2050.<br />

Wenn Deutschland und die EU zur Erhöhung der 2030-Ziele<br />

von Anfang der Konferenz an klarer aufgetreten wären<br />

(Deutschland hatte in EU-internen Diskussionen zur Zielerhöhung<br />

im Gegenteil sogar gebremst), dann wäre in Kattowitz<br />

wahrscheinlich auch mehr zu erreichen gew<strong>es</strong>en,<br />

um mehr Länder <strong>mit</strong> an Bord zu holen.<br />

Mit den Entschei<strong>du</strong>ngen der COP24, den Selbstverpflichtungen<br />

der „High Ambition Coalition“ und der Einla<strong>du</strong>ng<br />

d<strong>es</strong> Generalsekretärs zu seinem Sondergipfel ist aber klar:<br />

<strong>Die</strong> erste Runde Zielanhebungen läuft jetzt an und muss bis<br />

Frühjahr 2020 beendet sein.<br />

Umsetzungsregeln für das Paris-Abkommen<br />

Das w<strong>es</strong>entliche Ergebnis der COP24 ist das sogenannte<br />

Regelbuch zur Umsetzung d<strong>es</strong> Pariser Klimaabkommens.<br />

Im Zentrum d<strong>es</strong> Pariser Klimaabkommens stehen die sogenannten<br />

national b<strong>es</strong>timmten Beiträge (nationally determined<br />

contributions, NDCs) der Staaten. In Kattowitz<br />

wurden Regeln für die Struktur und Inhalte di<strong>es</strong>er Klimabeiträge<br />

sowie für Berichterstattung und Überprüfung<br />

f<strong>es</strong>tgelegt.<br />

Es ist in Kattowitz gelungen, einen gemeinsamen Transparenzrahmen<br />

für alle Länder zu b<strong>es</strong>chließen. Unter anderem<br />

müssen nunmehr alle Länder mind<strong>es</strong>tens die IPCC-Richtlinien<br />

für Treibhausgas-Berichte (engl. GHG inventori<strong>es</strong>)<br />

von 2006 verwenden. Das Transparenz-Regelwerk sieht<br />

Flexibilität für Entwicklungsländer vor, die di<strong>es</strong>e nach<br />

Selbsteinschätzung aufgrund noch unzureichender Kapazitäten<br />

benötigen. Langfristige Verb<strong>es</strong>serungen derer Berichte<br />

werden allerdings <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> Ziel unterstützt, dass alle<br />

Länder quantitativ und qualitativ gleichwertige Transparenz-Berichte<br />

erstellen können. Enttäuschend ist, dass die<br />

ersten Transparenz-Berichte aller Länder erst Ende 2024<br />

eingereicht werden. Das ist zu spät, um <strong>es</strong> für die erste<br />

Runde der Zielüberprüfung 2023 nutzen zu können. Vor<br />

allem Brasilien drängte darauf, dass <strong>es</strong> Ländern freig<strong>es</strong>tellt<br />

wird, ob sie quantitative Indikatoren in ihre Treibhausgas-Berichte<br />

aufnehmen oder sich auf eine rein qualitative<br />

B<strong>es</strong>chreibung b<strong>es</strong>chränken können. <strong>Die</strong>se Verwässerung<br />

der Transparenzregeln konnte allerdings weitgehend vermieden<br />

werde.<br />

Transparenz in der Klimafinanzierung<br />

<strong>Die</strong> Regeln zur Berichterstattung über geplante und geleistete<br />

Beiträge zur Klimafinanzierung liefern ein detailliert<strong>es</strong><br />

Rahmenwerk, um zukünftig mehr Klarheit und Planungssicherheit<br />

für Entwicklungsländer zu liefern. Trotz<strong>dem</strong> gibt<br />

<strong>es</strong> darin noch gewisse Spielräume für Geberländer, zum<br />

Beispiel den Detailgrad ihrer Berichte zu begrenzen, sowie<br />

das, was sie als Klimafinanzierung ansehen, zu b<strong>es</strong>timmen.<br />

Insb<strong>es</strong>ondere ist <strong>es</strong> nicht schlüssig, dass Kredite oder Risikoabsicherungen<br />

<strong>mit</strong> ihrer G<strong>es</strong>amtsumme angerechnet<br />

werden können, genauso wie Zuschüsse. Hier müsste für<br />

eine Vergleichbarkeit jeweils nur der Zuschussanteil ausgewi<strong>es</strong>en<br />

werden dürfen, auch um die Summe nicht >><br />

Ausgabe 11 | Mai 2019 | Umweltdialog.de<br />

63


Klimawandel<br />

künstlich aufzublähen. Es ist zu hoffen,<br />

dass die progr<strong>es</strong>siven Länder die<br />

M<strong>es</strong>slatte vorgeben, an der sich bald<br />

schon alle Länder orientieren. In einigen<br />

Jahren sollte di<strong>es</strong> allerdings verpflichtend<br />

für alle werden. Positiv ist<br />

zu bewerten, dass ein Synth<strong>es</strong>ebericht<br />

über geplante Finanzierung als Input<br />

für die Zielüberprüfungs-Runden alle<br />

fünf Jahre Berücksichtigung findet.<br />

Anpassungskommunikation<br />

<strong>Wie</strong> im Paris-Abkommen f<strong>es</strong>tg<strong>es</strong>chrieben,<br />

sollen die Staaten regelmäßig<br />

ihre Prioritäten, Unterstützungsbedarf,<br />

Pläne und Aktivitäten für die Anpassung<br />

an den Klimawandel kommunizieren.<br />

Dazu wurden in Kattowitz<br />

Richtlinien verabschiedet. Obwohl<br />

deren Einhaltung freiwillig ist, waren<br />

sie umstritten, da sie einen Standard<br />

setzen, was Berichterstattung und Unterstützung<br />

dafür betrifft. Es wird den<br />

berichtenden Ländern selbst überlassen<br />

sein, in welchem Dokument die<br />

Informationen über<strong>mit</strong>telt werden.<br />

Sie können zum Beispiel Teil der Nationalen<br />

Anpassungspläne (NAPs) oder<br />

der NDCs sein. <strong>Die</strong> Richtlinie zum Inhalt<br />

ist aber für alle Dokumente identisch<br />

– hier hatten einige Länder unterschiedliche<br />

Richtlinien gefordert,<br />

was die Vergleichbarkeit verschlechtert<br />

hätte. Weiterhin enthalten die<br />

Richtlinien wichtige Berichtspunkte<br />

wie den Einbezug traditionellen und<br />

indigenen Wissens oder Genderr<strong>es</strong>ponsive<br />

Anpassungsmaßnahmen.<br />

Wichtig ist auch, dass der Fokus auf zukünftigen<br />

Anpassungsbedarfen liegt,<br />

auch wenn man im Bericht über die<br />

Anpassung auch über Erreicht<strong>es</strong> informieren<br />

kann. Um zukünftige Bedarfe<br />

und Lücken erkennen und angehen<br />

zu können, ist der Blick nach vorn<br />

jedoch unerlässlich. Zu bemängeln ist,<br />

dass ärmeren Ländern keine direkte<br />

Unterstützung der Erstellung der Berichte<br />

zug<strong>es</strong>agt wurde. <strong>Die</strong>se Lücke zu<br />

schließen ist nun auch Aufgabe bilateraler<br />

Unterstützung.<br />

Regelmäßige Runden zur Überprüfung<br />

und Verschärfung der Ziele<br />

In Paris wurde vereinbart, alle fünf<br />

Jahre zu überprüfen, wie weit die<br />

Weltgemeinschaft in der Erreichung<br />

der globalen Ziele d<strong>es</strong> Paris-Abkommens<br />

gekommen ist und inwiefern<br />

die nationalen Beiträge nachg<strong>es</strong>chärft<br />

werden müssen. <strong>Die</strong> sogenannte globale<br />

B<strong>es</strong>tandsaufnahme (engl. global<br />

stocktake, GST) ist das Kernstück<br />

di<strong>es</strong><strong>es</strong> Ambitionsmechanismus im<br />

Pariser Klimaabkommen. Sie hat zum<br />

Ziel, eine gemeinsame Bewertung der<br />

bisherigen globalen Maßnahmen zu<br />

<strong>Klimaschutz</strong>, Anpassung und Unterstützung<br />

im Lichte der Paris-Ziele zur<br />

Begrenzung d<strong>es</strong> Temperaturanstiegs,<br />

zu R<strong>es</strong>ilienz und der Ausrichtung<br />

der Finanzflüsse, zu überprüfen. <strong>Die</strong><br />

globale B<strong>es</strong>tandsaufnahme wurde in<br />

Kattowitz <strong>mit</strong> ausreichend robusten<br />

Regeln ausg<strong>es</strong>tattet: Sie wird die kollektiven<br />

Bemühungen der internationalen<br />

Staatengemeinschaft unter<br />

Berücksichtigung von Gerechtigkeit<br />

überprüfen und erlaubt auch eine<br />

(eing<strong>es</strong>chränkte) Rolle für nichtstaatliche<br />

Akteure.<br />

Klimafinanzierung<br />

<strong>Die</strong> B<strong>es</strong>chlüsse zur Klimafinanzierung<br />

sind in der Summe eher als<br />

gut zu bewerten. Zentral sind die<br />

oben genannten Vereinbarungen zur<br />

Transparenz der Klimafinanzierung.<br />

Außer<strong>dem</strong> wurde die Zukunft d<strong>es</strong> Anpassungsfonds<br />

unter <strong>dem</strong> Paris-Abkommen<br />

<strong>du</strong>rch einen B<strong>es</strong>chluss in<br />

Kattowitz g<strong>es</strong>ichert. Der Fonds soll<br />

zukünftig über eine Abgabe auf den<br />

internationalen Emissionshandel sowie<br />

öffentliche und private Quellen<br />

g<strong>es</strong>peist werden. Auch für die F<strong>es</strong>tlegung<br />

ein<strong>es</strong> neuen langfristigen Ziels<br />

für Klimafinanzierung ab 2025 konnte<br />

ein Proz<strong>es</strong>s eingerichtet werden,<br />

der 2020 beginnt. Dabei muss nun<br />

sicherg<strong>es</strong>tellt werden, dass das Ziel<br />

<strong>du</strong>rch konkrete Unterziele so präzise<br />

wie möglich f<strong>es</strong>tgelegt wird, um möglichen<br />

Interpretationsspielraum zu<br />

minimieren.<br />

Auf der ersten Weltklimakonferenz<br />

in Genf warnen<br />

Forscher vor den negativen<br />

Folgen von Treibhausgasen<br />

in der Atmosphäre.<br />

<strong>Die</strong> EU und weitere 23 In<strong>du</strong>stri<strong>es</strong>taaten<br />

b<strong>es</strong>chließen das<br />

Kyoto-Protokoll, das einzige<br />

rechtlich bindende Abkommen zur<br />

Begrenzung der Emissionen.<br />

Weil nun alle Voraussetzungen<br />

erfüllt sind, tritt das Kyoto-Protokoll<br />

in Kraft und die EU führt ein<br />

Handelssystem für CO 2<br />

-Emissionsberechtigungen<br />

ein.<br />

1979 1997<br />

1992 2001<br />

155 Staaten unterzeichnen in<br />

Rio de Janeiro die Klimarahmenkonvention<br />

zur Stabilisierung der<br />

Treibhausgase.<br />

2005<br />

Mit den „Marrak<strong>es</strong>h Accords“ dürfen<br />

die Unterzeichner auch Wälder als<br />

Ausgleich für Emissionen angeben;<br />

In<strong>du</strong>stri<strong>es</strong>taaten ist <strong>es</strong> erlaubt,<br />

Emissionsausgleichsprojekte im<br />

Ausland geltend zu machen.<br />

64 Ausgabe 11 | Mai 2019 | Umweltdialog.de


Klimawandel<br />

Darüber hinaus wurden <strong>dem</strong> Finanzausschuss der Klimarahmenkonvention<br />

wichtige Arbeitsmandate gegeben, deren<br />

Ergebnisse für die weitere Debatte, auch im Rahmen der globalen<br />

B<strong>es</strong>tandsaufnahme, als wichtiger Input dienen können.<br />

Dazu gehörten ein regelmäßiger Bericht zur Er<strong>mit</strong>tlung<br />

der Bedürfnisse von Entwicklungsländern zur Umsetzung<br />

d<strong>es</strong> Paris-Abkommens sowie eine regelmäßige B<strong>es</strong>tandsanalyse<br />

darüber, wie globale Finanzflüsse umgelenkt werden.<br />

<strong>Die</strong> Regeln und Institutionen zur Klimafinanzierung wurden<br />

g<strong>es</strong>tärkt – aber jetzt ist auch mehr Geld notwendig. Für<br />

den Anpassungsfonds wurden auf der COP24 über 129 Millionen<br />

US-Dollar zug<strong>es</strong>agt, das ist ein neuer Rekord. Da <strong>es</strong><br />

sich dabei aber um einmalige freiwillige Beiträge handelt,<br />

wird <strong>es</strong> in den nächsten Jahren darauf ankommen, <strong>dem</strong><br />

Anpassungsfonds stabilere Finanzquellen zu sichern. 2019<br />

steht außer<strong>dem</strong> die <strong>Wie</strong>derauffüllung d<strong>es</strong> Grünen Klimafonds<br />

(Green Climate Fund, GCF) an. Mit Ankündigungen<br />

zur Verdopplung der Beiträge für den Grünen Klimafonds<br />

haben Deutschland und Norwegen vorgelegt; auch die anderen<br />

reichen Länder müssen kommend<strong>es</strong> Jahr ihre Beiträge<br />

verdoppeln.<br />

Umgang <strong>mit</strong> klimabedingten Schäden und Verlusten<br />

Das Thema klimabedingte Schäden und Verluste konnte<br />

unter der globalen B<strong>es</strong>tandsaufnahme verankert werden –<br />

di<strong>es</strong> ist eine klare Aufwertung gegenüber Texten, die hierzu<br />

zwischenzeitlich auf der COP24 vorlagen. <strong>Die</strong>s ist ein<br />

richtiger Schritt, der widerspiegelt, dass die Wichtigkeit<br />

d<strong>es</strong> Themas – also wie <strong>mit</strong> Schäden und Verlusten <strong>du</strong>rch<br />

den Klimawandel, die nicht verhindert werden können, umgegangen<br />

wird – <strong>du</strong>rch einen eigenen Artikel im Paris-Abkommen<br />

anerkannt wurde. Allerdings ist immer noch kein<br />

Proz<strong>es</strong>s vorg<strong>es</strong>ehen, der klärt, wie die Finanzierung für<br />

klimabedingte Schäden und Verluste sicherg<strong>es</strong>tellt werden<br />

kann. Da<strong>mit</strong> reichen die B<strong>es</strong>chlüsse von Kattowitz insg<strong>es</strong>amt<br />

nicht, um die am stärksten vom Klimawandel Betroffenen<br />

zu schützen. Sie leiden heute schon unter den Folgen<br />

von Extremwetterereignissen wie Stürmen oder Dürren,<br />

die <strong>du</strong>rch den Klimawandel intensiver und häufiger werden.<br />

In Zukunft wird aber auch der Umgang <strong>mit</strong> langsam<br />

einsetzenden Ereignissen, wie <strong>dem</strong> Anstieg d<strong>es</strong> Meer<strong>es</strong>spiegels<br />

oder die Versalzung der Böden, zunehmend wichtig.<br />

Oftmals sind <strong>es</strong> die Ärmsten, die am meisten verletzlich<br />

gegen die Auswirkungen di<strong>es</strong>er Ereignisse sind und d<strong>es</strong>halb<br />

unbedingt Unterstützung benötigen.<br />

Marktmechanismen<br />

Im Artikel 6 d<strong>es</strong> Paris-Abkommens sind Mechanismen<br />

für den internationalen Emissionshandel vorg<strong>es</strong>ehen, <strong>mit</strong><br />

denen Länder sich <strong>Klimaschutz</strong>maßnahmen in anderen<br />

Ländern auf eigene Klimaziele anrechnen lassen können.<br />

Wenn hierbei keine Vorsorge gegen doppelte Anrechnung<br />

getroffen wird, können da<strong>du</strong>rch große Schlupflöcher entstehen,<br />

die die Integrität d<strong>es</strong> g<strong>es</strong>amten Paris-Abkommens<br />

bedrohen würden. Insb<strong>es</strong>ondere Brasilien hat bis in die<br />

letzten Stunden der Konferenz erbitterten Widerstand gegen<br />

Regeln geleistet, die solche Doppelanrechnung ausschließen<br />

sollen – sowohl in den Umsetzungsregeln zum<br />

Artikel 6 als auch im Transparenzrahmenwerk. Im Ergebnis<br />

wurden alle Entschei<strong>du</strong>ngen zu Marktmechanismen<br />

auf die Konferenz im kommenden Jahr (COP25) vertagt.<br />

Es ist sehr zu begrüßen, dass die anderen Länder hier <strong>dem</strong><br />

brasilianischen Druck nicht nachgegeben haben. Marktmechanismen<br />

sind hochkomplex und können ohne stringente<br />

Regeln mehr Schaden als Nutzen anrichten. Dass die<br />

VerhandlerIinnen sich hier ein weiter<strong>es</strong> Jahr gegeben haben,<br />

um di<strong>es</strong>e Regeln zu entwickeln, ist richtig. f<br />

Im Original erschienen auf Germanwatch.org<br />

<strong>Die</strong> Teilnehmerstaaten<br />

b<strong>es</strong>chließen in Cancún auf der<br />

COP 16, die Erderwärmung auf<br />

zwei Grad begrenzen zu wollen.<br />

US-Präsident Donald Trump gibt<br />

bekannt, dass die USA aus <strong>dem</strong><br />

Pariser Abkommen aussteigen.<br />

2009<br />

2010<br />

2015<br />

2017<br />

2018<br />

Aufgrund der Weigerung vieler<br />

Staaten scheitert der „Copenhagen<br />

Accord“ als Nachfolgevertrag<br />

für das Kyoto-Protokoll.<br />

Mit <strong>dem</strong> Pariser Klimaabkommen<br />

(COP 21) verpflichten sich 195<br />

Staaten dazu, die Erderwärmung<br />

auf deutlich unter zwei Grad,<br />

möglichst auf 1,5 Grad, zu begrenzen.<br />

In Kattowitz einigt man sich<br />

nach langen Verhandlungen<br />

auf Regeln zur Umsetzung der<br />

Pariser Klimaziele.<br />

Quellen: Bund<strong>es</strong>zentrale für politische Bil<strong>du</strong>ng, Greenpeace, FAZ<br />

Ausgabe 11 | Mai 2019 | Umweltdialog.de<br />

65


Klimawandel<br />

Foto: adrenalinapura / stock.adobe.com<br />

Im Bund<strong>es</strong>kabinett stimmt nicht<br />

nur das Betriebsklima nicht<br />

Deutschland will bis zur zweiten Hälfte di<strong>es</strong><strong>es</strong><br />

Jahrhunderts weitgehend treibhausgasneutral sein –<br />

das ist das ambitionierte Ziel der Bund<strong>es</strong>regierung, das sie<br />

im <strong>Klimaschutz</strong>plan 2050 formuliert hat. Doch der Weg dahin<br />

ist umstritten. <strong>Die</strong> Einhaltung der <strong>Klimaschutz</strong>ziele sorgt derzeit<br />

für erhitzte Gemüter in Berlin. Bund<strong>es</strong>umweltministerin<br />

Svenja Schulze legte im Februar ihren Entwurf für ein<br />

<strong>Klimaschutz</strong>g<strong>es</strong>etz im Bund<strong>es</strong>tag vor – und entfachte<br />

so die nächste Runde im Koalitionskampf.<br />

Von Julia Arendt<br />

Bund<strong>es</strong>kanzlerin Angela Merkel bezog<br />

zu <strong>dem</strong> Thema klar Stellung: Sie<br />

halte an der Verabschie<strong>du</strong>ng ein<strong>es</strong><br />

<strong>Klimaschutz</strong>g<strong>es</strong>etz<strong>es</strong> für die Etappenziele<br />

bis 2030 (55 Prozent weniger<br />

Treibhausgase gegenüber 1990) noch<br />

in di<strong>es</strong>em Jahr f<strong>es</strong>t. „Ich erinnere an<br />

den Koalitionsvertrag, in <strong>dem</strong> wir gemeinsam<br />

f<strong>es</strong>tgelegt haben, dass die<br />

Bund<strong>es</strong>regierung in di<strong>es</strong>em Jahr g<strong>es</strong>etzliche<br />

Regelungen verabschieden<br />

will, um die Einhaltung der <strong>Klimaschutz</strong>ziele<br />

2030 zu gewährleisten“,<br />

betont dazu Steffen Seibert, Sprecher<br />

der Kanzlerin, gegenüber n-tv.<br />

<strong>Die</strong> Bund<strong>es</strong>umweltministerin Svenja<br />

Schulze erhielt bisweilen viel Kritik,<br />

zu untätig in puncto <strong>Klimaschutz</strong> zu<br />

sein. Im Februar machte sie ernst<br />

und legte ihren Entwurf für ein <strong>Klimaschutz</strong>g<strong>es</strong>etz<br />

vor. Kern d<strong>es</strong> Dokuments:<br />

Der Ausstoß von Treibhausgasen<br />

soll bis 2050 um mind<strong>es</strong>tens<br />

95 Prozent im Vergleich zu 1990<br />

g<strong>es</strong>enkt werden. Dem Papier zufolge<br />

sollen für die einzelnen Sektoren<br />

zunächst für die Jahre bis 2030 verbindliche<br />

Emissionshöchstmengen<br />

f<strong>es</strong>tgelegt werden. Laut Angaben der<br />

Südw<strong>es</strong>t Pr<strong>es</strong>se sollen zum Beispiel<br />

die Emissionen im Verkehrsbereich<br />

von 170 Millionen auf 95 Millionen<br />

Tonnen re<strong>du</strong>ziert werden. Entsprechende<br />

Vorgaben gibt <strong>es</strong> auch für die<br />

Energiewirtschaft, In<strong>du</strong>strie, Gebäude,<br />

Landwirtschaft und Abfallwirtschaft.<br />

<strong>Wie</strong> genau die Vorgaben umg<strong>es</strong>etzt<br />

werden, sollen die R<strong>es</strong>sorts<br />

selbst entscheiden. „Wir brauchen einen<br />

verlässlichen Rahmen für <strong>Klimaschutz</strong><br />

in Deutschland. Erneute Zielverfehlungen<br />

können wir uns weder<br />

politisch noch finanziell leisten“, twitterte<br />

die Bund<strong>es</strong>umweltministerin am<br />

20. Februar 2019. „D<strong>es</strong>halb habe ich<br />

einen Entwurf für ein <strong>Klimaschutz</strong>g<strong>es</strong>etz<br />

vorgelegt, den wir jetzt innerhalb<br />

der Bund<strong>es</strong>regierung konstruktiv diskutieren.“<br />

66 Ausgabe 11 | Mai 2019 | Umweltdialog.de


Klimawandel<br />

Von konstruktiver Kritik kann bei der Reaktion ihrer Koalitionspartner<br />

jedoch nicht die Rede sein. Bund<strong>es</strong>wirtschaftsminister<br />

Peter Altmaier griff Schulze gegenüber der<br />

Bild-Zeitung hart an: „Das einseitige Vorgehen dient weder<br />

<strong>dem</strong> <strong>Klimaschutz</strong>, noch <strong>dem</strong> Erhalt von Arbeitsplätzen in<br />

Deutschland.“ Auch die stellvertretende CDU-Fraktionsvorsitzende<br />

Gitta Connemann kritisiert laut der Berliner<br />

Zeitung Schulz<strong>es</strong> Vorgehen. Der <strong>Klimaschutz</strong> sei „zu wichtig<br />

für Alleingänge und Effekthascherei einer Ministerin.“<br />

Ökonomen schlagen CO 2<br />

-Preisreform vor<br />

Christoph Schmidt, Vorsitzender der Wirtschaftsweisen vom RWI Essen<br />

und Ottmar Edenhofer, Direktor d<strong>es</strong> Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung<br />

(PIK) sowie d<strong>es</strong> Mercator R<strong>es</strong>earch Institute for Global Commons<br />

and Climate Change (MCC), haben Ende 2018 Eckpunkte für einen<br />

marktwirtschaftlichen Weg raus aus der Kohle entworfen. Der Ausstoß<br />

von klimaschädlichem CO 2<br />

soll teurer werden, zugleich aber die Stromsteuer<br />

billiger. Ein sozial gerechter und effizienter Übergang zu nachhaltigem<br />

Wirtschaften ist möglich, so die Prof<strong>es</strong>soren. „Wir wollen die<br />

Steuerlast nicht erhöhen, sondern nur anders verteilen“, sagte Ottmar<br />

Edenhofer gegenüber <strong>dem</strong> SPIEGEL. „Heute b<strong>es</strong>teuern wir zum Beispiel<br />

das vergleichsweise weniger klimaschädliche Erdgas viel höher als<br />

Heizöl. Mit solchem Unfug wollen wir Schluss machen und künftig alle<br />

Energieträger einheitlich nach ihrem CO 2<br />

-Gehalt <strong>mit</strong> Abgaben belegen.<br />

Und noch etwas gehört zu unserem Konzept: Was der Staat zusätzlich<br />

einnimmt, gibt er eins zu eins wieder an Wirtschaft und Verbraucher zurück.“<br />

Dabei setzen die beiden Ökonomen darauf, dass Deutschland den<br />

Klimaplan gemeinsam <strong>mit</strong> einer Pionier-Koalition anderer europäischer<br />

Länder umsetzen könnte – insb<strong>es</strong>ondere Frankreich setzt sich stark<br />

für eine wirksame CO 2<br />

-Bepreisung ein, aber auch die Niederlande und<br />

skandinavische Länder haben das Thema erkannt.<br />

Sie wirft der Ministerin außer<strong>dem</strong> Planwirtschaft und Aktionismus<br />

vor.<br />

Rückendeckung erfährt die Politikerin aus den eigenen<br />

Reihen. SPD-Fraktionsvize Matthias Miersch wi<strong>es</strong> Altmaiers<br />

Kritik zurück: „Wenn Wirtschaftsminister Altmaier der<br />

Umweltministerin Schulze einseitig<strong>es</strong> Verhalten vorwirft,<br />

ist das ein Witz“, sagte er laut der Berliner Zeitung. <strong>Die</strong><br />

Umweltministerin wolle genau das nicht, sondern strebe<br />

vielmehr die Verantwortung aller zuständigen<br />

Minister an. Auch Carsten<br />

Träger, umweltpolitischer Sprecher<br />

der SPD-Fraktion, unterstützt Schulze.<br />

Deutschland könne bereits jetzt die<br />

Klimaziele 2020 nicht erreichen, so<br />

Träger gegenüber der Südw<strong>es</strong>t Pr<strong>es</strong>se.<br />

„Es ist klar, dass wir jetzt große<br />

Schritte gehen müssen, um die Lücke<br />

zu schließen“, betonte er und warnte<br />

davor, dass Deutschland andernfalls<br />

Strafzahlungen in Milliardenhöhe an<br />

die Europäische Union zahlen müsse.<br />

Als Orientierung für ein <strong>Klimaschutz</strong>g<strong>es</strong>etz<br />

gilt der Abschlussbericht der<br />

Kommission für Wachstum, Strukturwandel<br />

und B<strong>es</strong>chäftigung, kurz Kohlekommission.<br />

<strong>Die</strong> Bund<strong>es</strong>regierung<br />

setzte di<strong>es</strong>e im Juni 2018 selbst ein,<br />

um im Rahmen der Klimakrise einen<br />

Vorschlag für den Kohleausstieg zu<br />

erarbeiten. <strong>Die</strong>ser soll den <strong>Klimaschutz</strong>,<br />

das Wirtschaftswachstum<br />

und den Arbeitsplatzschutz berücksichtigen.<br />

Ein Staatsfonds für den <strong>Klimaschutz</strong><br />

Anlässlich der vergangenen Klimakonferenz in Kattowitz hat u.a.<br />

Prof. Hans Joachim Schellnhuber, ehemaliger Leiter d<strong>es</strong> Potsdam-<br />

Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), die Grün<strong>du</strong>ng ein<strong>es</strong> <strong>Klimaschutz</strong>-Staatsfonds<br />

vorg<strong>es</strong>chlagen. <strong>Die</strong>ser solle <strong>mit</strong> einem Volumen von<br />

bis zu 0,6 Billionen Euro ausg<strong>es</strong>tattet werden, wie die Frankfurter<br />

Allgemeine Sonntagszeitung berichtet hat. Das Geld dafür solle aus<br />

höheren Abgaben auf CO 2<br />

-Emissionen sowie aus einer höheren<br />

Erbschaftsteuer g<strong>es</strong>peist werden. Ziel: Während ein Teil d<strong>es</strong> Geld<strong>es</strong><br />

an die Haushalte <strong>du</strong>rch eine geringere Mehrwertsteuer zurückfließen<br />

solle, könne der R<strong>es</strong>t dann beispielsweise direkt in Infrastrukturprojekte<br />

fließen oder in den Staatsfonds. <strong>Die</strong>ser könne dann nach f<strong>es</strong>tgelegten<br />

Kriterien in Unternehmen inv<strong>es</strong>tieren, die einen Nutzen für <strong>Klimaschutz</strong><br />

und Energiewende bringen.<br />

Das 28-köpfige Gremium, in <strong>dem</strong> Vertreter<br />

aus In<strong>du</strong>strie, Gewerkschaften,<br />

Umweltverbänden und Wissenschaft<br />

sitzen, stellte Ende Januar seinen<br />

Abschlussbericht vor. Laut EURAC-<br />

TIV Deutschland einigten sich die<br />

Mitglieder unter anderem auf einen<br />

Kohleausstieg bis spät<strong>es</strong>tens zum<br />

Jahr 2038 und einen Strukturwandel<br />

in den Kohleländern Nordrhein-W<strong>es</strong>tfalen,<br />

Brandenburg, Sachsen und<br />

Sachsen-Anhalt. <strong>Die</strong>se sollen Unterstützung<br />

beim Umbau ihrer In<strong>du</strong>strie<br />

erhalten. Der Bericht der Kohlekommission<br />

dient lediglich als Vorschlag<br />

für die Bund<strong>es</strong>regierung, ein G<strong>es</strong>etz<br />

für den Kohleausstieg zu erlassen.<br />

Verpflichtend sind die Angaben d<strong>es</strong><br />

Berichts nicht. f<br />

Ausgabe 11 | Mai 2019 | Umweltdialog.de<br />

67


Klimawandel<br />

Priorität für Wachstum<br />

oder <strong>Klimaschutz</strong>?<br />

Vor <strong>dem</strong> Hintergrund der<br />

alarmierenden Ergebnisse der<br />

Klimaforschung ist klar: „Wir<br />

müssen das menschliche<br />

Handeln in eine neue Richtung<br />

lenken, von der Ausbeutung<br />

zu einem verantwortungsvollen<br />

Umgang <strong>mit</strong> <strong>dem</strong><br />

Erdsystem“, so Will Steffen<br />

vom Stockholm R<strong>es</strong>ilienz<br />

Center.<br />

Von Prof. Dr. Angelika Zahrnt,<br />

Ehrenvorsitzende d<strong>es</strong> BUND<br />

Aber wie sehen die <strong>Klimaschutz</strong>szenarien<br />

d<strong>es</strong> IPCC-Sonderberichts<br />

aus? Und hier setzt bei aller Wertschätzung<br />

der Klimaforschung d<strong>es</strong><br />

IPCC (Weltklimarat) unsere kritische<br />

Auseinandersetzung an: denn die<br />

Klimaszenarien werden verbunden<br />

<strong>mit</strong> fünf sozioökonomischen Entwicklungsszenarien<br />

(Shared Socio-economic<br />

Pathways). <strong>Die</strong>se Entwicklungsszenarien,<br />

die auf ökonomischen<br />

Modellen beruhen, gehen alle von der<br />

Annahme aus, dass <strong>es</strong> weltweit weiter<strong>es</strong><br />

Wirtschaftswachstum geben wird<br />

bis zum Jahr 2100, weil der Wohlstand<br />

– verstanden als Konsum pro<br />

Kopf – g<strong>es</strong>teigert werden soll. Unter<br />

di<strong>es</strong>er Annahme kann ein zumind<strong>es</strong>t<br />

temporärer Überschuss – eine Überschreitung<br />

der kritischen Schwellen<br />

d<strong>es</strong> CO 2<br />

- Ausstoß<strong>es</strong> – nicht verhindert<br />

werden. D<strong>es</strong>halb braucht <strong>es</strong> Technologien,<br />

die geeignet erscheinen, die – zu<br />

vielen – Emissionen der Erdatmosphäre<br />

wieder zu entziehen. Dabei stehen<br />

derzeit im Mittelpunkt BECCS (Bioenergy<br />

with Carbon Capture and Storage),<br />

der Anbau von Biomasse und die<br />

folgende Verbrennung der Biomasse<br />

<strong>mit</strong> Abschei<strong>du</strong>ng d<strong>es</strong> CO 2<br />

und danach<br />

die Speicherung d<strong>es</strong> CO 2<br />

.<br />

<strong>Die</strong>se sozio-ökonomischen Szenarien<br />

gehen von weiterem Wirtschaftswachstum<br />

aus, auch das sogenannte<br />

Sustainability-Szenario, das für<br />

2010-2100 in den In<strong>du</strong>stri<strong>es</strong>taaten<br />

eine <strong>du</strong>rchschnittliche Wachstumsrate<br />

von 1,0-1,4 Prozent annimmt<br />

und weltweit eine Wachstumsrate<br />

von 2,1-2,2 Prozent. Aber wie steht<br />

<strong>es</strong> <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> Verhältnis von Wirtschaftswachstum<br />

und <strong>Klimaschutz</strong>,<br />

68 Ausgabe 11 | Mai 2019 | Umweltdialog.de


Klimawandel<br />

Bild: pict rider / stock.adobe.com<br />

<strong>mit</strong> der Vereinbarkeit von Wirtschaftswachstum und<br />

<strong>Klimaschutz</strong>? Welche Erfahrungen gibt <strong>es</strong>, seit<strong>dem</strong> <strong>Klimaschutz</strong><br />

seit der Rio-Konferenz 1992 und den Klimavereinbarungen<br />

von Kyoto ein herausragend<strong>es</strong> politisch<strong>es</strong><br />

Ziel der Staatengemeinschaft wurde? Es gibt weltweit<strong>es</strong><br />

Wachstum und weltweit steigende CO 2<br />

Emissionen, und<br />

auch in den In<strong>du</strong>stri<strong>es</strong>taaten ist die absolute Entkoppelung,<br />

d.h. weniger CO 2<br />

-Emissionen bei steigender Wirtschaftsleistung,<br />

nicht gelungen. In den In<strong>du</strong>stri<strong>es</strong>taaten<br />

kommt hinzu, dass sie im Zuge der Globalisierung <strong>mit</strong> der<br />

Verlagerung ihrer Pro<strong>du</strong>ktion in Länder d<strong>es</strong> Südens und<br />

<strong>dem</strong> Import von Konsumgütern ihre CO 2<br />

-Emissionen ins<br />

Ausland verlagern.<br />

Rebound-Effekt macht Erfolge zunichte<br />

<strong>Die</strong> Hoffnung, über Energieeffizienz und über eine Green<br />

Economy auch bei Wirtschaftswachstum die nötigen<br />

CO 2<br />

-Re<strong>du</strong>ktionen und nationalen Klimaziele zu erreichen,<br />

haben sich auch wegen d<strong>es</strong> Rebound-Effekts nicht erfüllt.<br />

<strong>Die</strong> Bund<strong>es</strong>regierung hat ihre Klimaziele für 2030, weil sie<br />

absehbar nicht erreicht werden würden, von 40 Prozent auf<br />

35 Prozent re<strong>du</strong>ziert.<br />

Deutschland ist in der europäischen Klimapolitik vom Vorreiter<br />

zum Mitläufer und jetzt zum Hauptbremser geworden<br />

– wie beim EU-Gipfel im Oktober 2018 zur Re<strong>du</strong>zierung<br />

der CO 2<br />

-Emissionen bei Automobilen. Und warum?<br />

Weil im Automobilland Deutschland die Autoin<strong>du</strong>strie <strong>mit</strong><br />

<strong>dem</strong> Verlust von Arbeitsplätzen gedroht hat und die Bund<strong>es</strong>regierung<br />

Wachstumseinbußen befürchtete. „Auch der<br />

<strong>Klimaschutz</strong> steht unter Wachstumsvorbehalt“, so prägnant<br />

hat <strong>es</strong> der frühere Wirtschaftsminister Clement bei<br />

der Entschei<strong>du</strong>ng über die Einführung d<strong>es</strong> Emissionshandels<br />

formuliert, worauf di<strong>es</strong><strong>es</strong> Instrument so <strong>du</strong>rchlöchert<br />

wurde, dass <strong>es</strong> – wie beabsichtigt – wirkungslos wurde.<br />

<strong>Klimaschutz</strong>maßnahmen und Wirtschaftswachstum können<br />

<strong>mit</strong>einander vereinbar sein, wie beim Ausbau der<br />

erneuerbaren Energien, aber <strong>Klimaschutz</strong> darf nicht vom<br />

Wachstum abhängig sein. <strong>Die</strong> planetaren Grenzen sind<br />

auch unsere menschlichen Grenzen, und Wirtschaft und<br />

G<strong>es</strong>ellschaft müssen so organisiert werden, dass di<strong>es</strong>e<br />

Grenzen eingehalten werden – auch wenn das Änderungen<br />

in unserem Wirtschaftssystem und eine Abkehr vom<br />

Wachstumsparadigma bedeutet. Wir brauchen eine Postwachstumsg<strong>es</strong>ellschaft,<br />

in der Wirtschaft und G<strong>es</strong>ellschaft<br />

auch ohne Wachstum funktionieren. >><br />

Ausgabe 11 | Mai 2019 | Umweltdialog.de<br />

69


Klimawandel<br />

Konsumsteigerung versus Suffizienz<br />

<strong>Die</strong> seit den „Grenzen d<strong>es</strong> Wachstums“ d<strong>es</strong> Club of Rome<br />

1972 immer wieder aufkommende Debatte lässt sich nicht<br />

<strong>mit</strong> neuen Wortschöpfungen entschärfen oder gar lösen,<br />

<strong>mit</strong> qualitativem Wachstum, <strong>mit</strong> grünem Wachstum oder<br />

auch nachhaltigem Wachstum – wie das auch in den Sustainable<br />

Development Goals oder jetzt in <strong>dem</strong> Nachhaltigkeitsszenario<br />

d<strong>es</strong> IPCC angenommen wird. <strong>Die</strong> Auseinandersetzung<br />

<strong>mit</strong> <strong>dem</strong> Paradigma Wirtschaftswachstum und<br />

unserer derzeitigen tatsächlichen Abhängigkeit d<strong>es</strong> Wirtschafts-<br />

und G<strong>es</strong>ellschaftssystems vom Wirtschaftswachstum<br />

ist zentral für die Klimapolitik.<br />

<strong>Die</strong>s ist auch meine persönliche Erfahrung. Als Misereor<br />

und der BUND in die Mitte der Neunzigerjahre als deutsche<br />

Übersetzung der Agenda 21 von Rio die Studie „Zukunftsfähig<strong>es</strong><br />

Deutschland“ veröffentlichten, <strong>mit</strong> den gleichen weitreichenden<br />

Re<strong>du</strong>ktionszielen für CO 2<br />

und Rohstoffe, wie<br />

sie heute gefordert werden, gab <strong>es</strong> kein extra Kapitel zum<br />

Thema Wachstum, sondern die Aussage: <strong>Die</strong> ökologischen<br />

Grenzen, damals Umweltraum genannt, seien die Grenzen<br />

für die wirtschaftliche Entwicklung. Wachstumsraten seien<br />

ein Ergebnis wirtschaftlicher Aktivität und kein eigenständig<strong>es</strong><br />

Ziel. Wir waren damals überzeugt, dass die Weltgemeinschaft<br />

die Brisanz der Klimaentwicklung erkannt<br />

hätte und klimapolitisch<strong>es</strong> Handeln Priorität hätten. Das<br />

war ein Irrtum – und di<strong>es</strong>en dürfen wir nicht wiederholen.<br />

<strong>Die</strong> Debatte um Wirtschaftswachstum muss offensiv in die<br />

Debatte um <strong>Klimaschutz</strong>politik eingeführt werden. Denn in<br />

den <strong>Klimaschutz</strong>szenarien werden Wachstumsraten angenommen,<br />

die zu so hohen Treibhausgasemissionen führen,<br />

dass das 1,5-Grad-Ziel überschritten würde.<br />

<strong>Die</strong> Integrated Ass<strong>es</strong>sment Modelle arbeiten <strong>mit</strong> Nutzenund<br />

Wohlfahrtsfunktionen, die das Ziel haben, den materiellen<br />

Wohlstand zu maximieren. Der G<strong>es</strong>amtnutzen ergibt<br />

sich dabei aus <strong>dem</strong> Konsum pro Kopf multipliziert <strong>mit</strong> der<br />

Anzahl der Menschen. Dabei erhöhen – wegen der logarithmischen<br />

Funktion – Konsumzugewinne in armen Ländern<br />

den G<strong>es</strong>amtnutzen stärker als Konsumzugewinne in reichen<br />

Ländern.<br />

Foto: gustavofrazao / stock.adobe.com<br />

Das Dilemma ist: <strong>Die</strong> Konsumsteigerung ist das Ziel, aber<br />

gleichzeitig sind wirtschaftliche Aktivitäten und Konsum<br />

der Hauptmotor für Treibhausgasemissionen.<br />

<strong>Die</strong>s Dilemma soll nach <strong>dem</strong> IPCC-Sonderbericht <strong>du</strong>rch<br />

folgende Strategien gelöst werden:<br />

1. Effizienz,<br />

2. andere Formen der Energiebereitstellung,<br />

3. Technologien für negative Emissionen, d.h. Technologien,<br />

die CO 2<br />

-Emissionen wieder aus der Atmosphäre<br />

zurückholen und unwirksam werden lassen.<br />

Welche Optionen dabei zum Einsatz kommen, wird nach<br />

Grenzvermei<strong>du</strong>ngskosten entschieden (g<strong>es</strong>amtwirtschaftliche<br />

Kosten pro eing<strong>es</strong>parter Tonne CO 2<br />

). Dabei werden<br />

die g<strong>es</strong>ellschaftlichen und Umweltkosten der Maßnahmen<br />

nicht berücksichtigt.<br />

Eine g<strong>es</strong>ellschaftliche Debatte über die Annahmen di<strong>es</strong>er<br />

ökonomischen Modelle, die die Höhe der angenommenen<br />

C0 2<br />

-Emissionen zentral b<strong>es</strong>timmen, findet nicht statt. <strong>Die</strong><br />

Debatte wird sich absehbar an den Auswirkungen der<br />

Technologien für negative Emissionen entzünden.<br />

So halten wir von Friends of the Earth die Risiken von BEC-<br />

CS (das in allen Szenarien vorg<strong>es</strong>ehen ist) für zu hoch:<br />

1. Für die zu eliminierenden Mengen an CO 2<br />

sind ri<strong>es</strong>ige<br />

Flächen Land nötig, ca. ein Drittel der aktuellen<br />

Anbaufläche weltweit, und <strong>es</strong> b<strong>es</strong>teht daher die Gefahr<br />

weiterer Waldro<strong>du</strong>ngen für den Anbau von Biomasse.<br />

2. Der Anbau von Biomasse erfolgt in Monokulturen <strong>mit</strong><br />

einem hohen Einsatz von P<strong>es</strong>tiziden und gefährdet<br />

die Biodiversität.<br />

3. <strong>Die</strong> Risiken der Speicherung von CO 2<br />

sind zu hoch.<br />

Ist das 1,5-Grad-Ziel noch zu schaffen?<br />

Erreichen wir das 1,5-Grad-Ziel nicht, drohen dramatische<br />

Konsequenzen. Das ist ein Ergebnis d<strong>es</strong> IPCC-Sonderberichts<br />

von Oktober 2018, der die Grundlage für die<br />

Klimakonferenz in Kattowitz war. Grundsätzlich sei das Ziel<br />

noch machbar. Dafür müsse allerdings der CO 2<br />

-Ausstoß ab<br />

Quelle: br.de/klimawandel/weltklimabericht-weltklimarat-ipccklimawandel-100.html<br />

70 Ausgabe 11 | Mai 2019 | Umweltdialog.de


Klimawandel<br />

Wir halten d<strong>es</strong>halb den Ansatz für<br />

falsch, bei Rückholtechniken für die<br />

Emissionen anzusetzen, sondern setzen<br />

darauf, die Entstehung von CO 2<br />

zu<br />

verringern, nicht nur über Effizienz<br />

und alternative Energiebereitstellung,<br />

sondern auch über Suffizienz. Aber<br />

di<strong>es</strong>e Option zur Re<strong>du</strong>zierung der<br />

Treibhausgasemissionen wird überhaupt<br />

nicht ang<strong>es</strong>prochen – über Verhaltensänderungen<br />

in Konsum und<br />

Lebensstilen die Emissionen zu verringern,<br />

z. B. in den Bereichen Ernährung/insb.<br />

Fleischkonsum, Verkehr/<br />

Sharing-Modelle, Flugverkehr, Regionalisierung.<br />

Effizienzmaßnahmen und neue Energieformen<br />

sind wichtig, aber ohne<br />

Suffizienzmaßnahmen wird das Klimaziel<br />

1,5 Grad nicht zu erreichen<br />

sein. Um Suffizienz im nötigen Umfang<br />

wirksam werden zu lassen, brauchen<br />

wir fördernde Suffizienzpolitik.<br />

Wirksame Suffizienz steht allerdings<br />

im Konflikt <strong>mit</strong> Konsumsteigerung.<br />

Der IPCC-Bericht selbst fordert einen<br />

Systemwechsel, „a completely new<br />

paradigm“. Systemwechsel bedeutet<br />

nach unserer Einschätzung den Abschied<br />

von der gegenwärtigen Priorität<br />

für Wirtschaftswachstum und das<br />

Ziel einer Postwachstumsg<strong>es</strong>ellschaft,<br />

in der nicht mehr die Steigerung der<br />

materiellen Güter im Mittelpunkt<br />

steht, sondern ein gut<strong>es</strong> Leben – weltweit<br />

und für künftige Generationen. f<br />

Im Original erschienen auf<br />

postwachstum.de<br />

2020 sinken, spät<strong>es</strong>tens 2050 bei null<br />

sein. Drastische Maßnahmen seien<br />

nötig. Alleine für den Umbau d<strong>es</strong><br />

Energi<strong>es</strong>ektors schätzt der IPCC die<br />

Kosten bis 2035 auf ca. 2,1 Billionen<br />

Euro. <strong>Die</strong> Folgen der Klimaerwärmung<br />

wären allerdings deutlich teurer.<br />

Frau Prof. Zahrnt, um das Klima zu schützen, fordern Sie eine<br />

Postwachstumsg<strong>es</strong>ellschaft, in der Wirtschaft und G<strong>es</strong>ellschaft<br />

ohne Wachstum funktionieren. <strong>Wie</strong> soll das gehen?<br />

<strong>Die</strong> Fakten zeigen: <strong>Die</strong> „Entkoppelung“ funktioniert nicht, d.h. Effizienzsteigerungen<br />

reichen nicht aus, um die Re<strong>du</strong>ktionsziele zu erreichen, die für<br />

1,5-2-Grad erforderlich sind. Daher sind die <strong>Klimaschutz</strong>ziele bei einem<br />

weiteren Wachstum der Pro<strong>du</strong>ktion (BIP) nicht erreichbar, da <strong>es</strong> zu einem<br />

„overshoot“ kommt, einem zu hohen Ausstoß von Treibhausgasen. Wachstum<br />

ist nicht Teil der Problemlösung, sondern Teil d<strong>es</strong> Problems. Daher ist<br />

<strong>es</strong> höchste Zeit, dass sich Wirtschaftswissenschaft und G<strong>es</strong>ellschaft <strong>mit</strong> der<br />

Transformation unserer Wirtschaft befassen – hin zu einer Wirtschaft, die auch<br />

ohne Wachstum funktioniert, zu einer Postwachstumsg<strong>es</strong>ellschaft. Dazu gibt<br />

<strong>es</strong> Konzepte und im kleinen Rahmen auch Beispiele in der Praxis. Sowohl die<br />

Forschung als auch der g<strong>es</strong>ellschaftliche Diskurs dazu müssen aber dringend<br />

verstärkt werden. Das aufziehende Postwachstumszeitalter wird <strong>mit</strong> massivem<br />

Strukturwandel (Beispiele Kohle, Auto-In<strong>du</strong>strie) und <strong>mit</strong> zunehmenden Verteilungskonflikten<br />

verbunden sein, die – am b<strong>es</strong>ten vorausschauend und proaktiv<br />

– aufgearbeitet werden müssen.<br />

In di<strong>es</strong>em Zusammenhang kritisieren Sie auch die SDGs, die ein nachhaltig<strong>es</strong><br />

Wachstum postulieren. Können die SDGs <strong>Klimaschutz</strong>zielen dennoch dienlich sein?<br />

In SDG 8 wird Wachstum vor allem im Hinblick auf die Entwicklungsländer<br />

gefordert. Das darf nicht auf die reichen In<strong>du</strong>stri<strong>es</strong>taaten übertragen werden.<br />

Zum <strong>Klimaschutz</strong> verweist SDG 13 ja auf das Paris-Abkommen, und da<strong>mit</strong> haben<br />

wir die Verbin<strong>du</strong>ng in den SDGs zu einem globalen Abkommen <strong>mit</strong> ambitionierten<br />

<strong>Klimaschutz</strong>zielen. Das verpflichtet Alt-In<strong>du</strong>strieländer wie Deutschland<br />

<strong>mit</strong> weitgehend ausg<strong>es</strong>chöpftem „Carbon Budget“ (d.h. <strong>dem</strong> Deutschland<br />

zustehenden Anteil am globalen Kohlenstoffbudget) zur Dekarbonisierung bis<br />

spät<strong>es</strong>tens 2040. Erst wenn neben den Klimazielen auch andere ökologische<br />

und soziale Zielvorgaben eingehalten werden, könnte von „nachhaltigem<br />

Wachstum“ die Rede sein. Ob <strong>es</strong> unter ökologischen und sozialen R<strong>es</strong>triktionen<br />

aber noch zu Wachstum kommt, erscheint fraglich. B<strong>es</strong>ser wir bereiten uns auf<br />

die Postwachstumsg<strong>es</strong>ellschaft vor.<br />

Sie wollen Treibhausgasemissionen <strong>du</strong>rch Suffizienz re<strong>du</strong>zieren. Das betrifft vor<br />

allem den privaten Konsum. <strong>Wie</strong> wollen Sie davon die Verbraucher überzeugen?<br />

Ohne Wachstum werden auch die Einkommen nicht mehr steigen – und auch<br />

nicht der Konsum. Zusätzlich kann jede(r) das Konsumverhalten ändern, z.B.<br />

beim Fleischverbrauch, SUV oder bei Fernreisen. <strong>Die</strong> Änderung d<strong>es</strong> Konsumverhaltens<br />

ist aber nicht allein Aufgabe der KonsumentInnen, sondern vor allem<br />

Aufgabe der Politik: Überzeugen <strong>du</strong>rch Information („aufgeklärte Präferenzen“)<br />

– aber auch <strong>du</strong>rch Ordnungsrecht (Tempoli<strong>mit</strong>) und <strong>du</strong>rch Preise: Umweltschädlich<strong>es</strong><br />

muss teurer werden, Mehreinnahmen können <strong>du</strong>rch Öko-Steuern in<br />

Form ein<strong>es</strong> Öko-Bonus zurückgegeben werden. Wenn Fleisch teurer wird (<strong>du</strong>rch<br />

Vorschriften für artgerechte Tierhaltung) und wenn fossile Brennstoffe höher<br />

b<strong>es</strong>teuert werden, dann ändert sich auch das Verbraucherverhalten. Insg<strong>es</strong>amt<br />

geht <strong>es</strong> auch im privaten Konsum um technische Veränderungen<br />

(Innovationen und Effizienz) und Veränderungen<br />

im Verbraucherverhalten (<strong>du</strong>rch andere und weniger Pro<strong>du</strong>kte,<br />

<strong>du</strong>rch sparsame und gemeinsame Nutzung). Nur in<br />

Kombination von Effizienz und Suffizienz sind die Re<strong>du</strong>ktionsziele<br />

im privaten Konsum bis 2040 erreichbar.<br />

Ausgabe 11 | Mai 2019 | Umweltdialog.de<br />

71


Klimawandel<br />

Klimapolitik<br />

Bild: Anterovium / stock.adobe.com<br />

per Zertifikatekauf?<br />

Von Dr. Alexander Fink und<br />

Kalle Kappner<br />

Bis 2020 sollte in Deutschland<br />

der Ausstoß klimaschädlicher<br />

Gase um 40 Prozent gegenüber<br />

1990 sinken, so der 2007 b<strong>es</strong>chlossene<br />

Plan von Kanzlerin<br />

Merkel. Nach<strong>dem</strong> sich in den<br />

letzten Jahren abzeichnete,<br />

dass di<strong>es</strong><strong>es</strong> Ziel deutlich verfehlt<br />

wird, erklärte die schwarz-rote<br />

Bund<strong>es</strong>regierung den Klimaplan<br />

Anfang 2018 für g<strong>es</strong>cheitert.<br />

72 Ausgabe 11 | Mai 2019 | Umweltdialog.de


Klimawandel<br />

Umweltpolitiker und Inter<strong>es</strong>sengruppen schlugen Alarm.<br />

Vielleicht sei das ursprüngliche Einsparungsziel tatsächlich<br />

nicht mehr zu halten, aber das könne nur bedeuten,<br />

dass künftig noch mehr Anstrengungen für den <strong>Klimaschutz</strong><br />

zu unternehmen seien – <strong>du</strong>rch neue Subventionen,<br />

einen schnelleren Kohleausstieg und g<strong>es</strong>etzliche Anreize<br />

zur Emissionsminderung.<br />

Ein naheliegender Alternativvorschlag findet in der Diskussion<br />

dagegen wenig Gehör: Über das EU-weite Emissionshandelssystem<br />

ETS kann die Bund<strong>es</strong>regierung Verschmutzungsrechte<br />

erwerben. Lässt sie di<strong>es</strong>e ungenutzt,<br />

trägt sie effektiv zum <strong>Klimaschutz</strong> bei, da die G<strong>es</strong>amtmenge<br />

der Verschmutzungsrechte li<strong>mit</strong>iert ist.<br />

Deutschlands Emissionsziele<br />

Es gibt drei w<strong>es</strong>entliche staatliche Mechanismen zur Emissionsre<strong>du</strong>zierung:<br />

➊ Über das Emissionshandelssystem ETS wird der Ausstoß<br />

klimaschädlicher Gase in rund 45 Prozent der<br />

EU-weiten Emissionsquellen reguliert. In jeder mehrjährigen<br />

Handelsperiode stellt die EU eine fixe Menge<br />

an zum Ausstoß klimaschädlicher Gase berechtigenden<br />

Zertifikaten bereit. Alle partizipierenden Unternehmen<br />

müssen anschließend eine ihren Emissionen entsprechende<br />

Menge an Zertifikaten vorweisen, die sie teils<br />

unentgeltlich erhalten, teils per Auktion ersteigern<br />

müssen. Über die Menge der in jeder Handelsperiode<br />

ausgegebenen Verschmutzungsrechte gibt die EU das<br />

Tempo der Emissionssenkungen in Europa – und da<strong>mit</strong><br />

auch in Deutschland – vor.<br />

➋ Für die nicht im ETS integrierten Emissionsquellen –<br />

im W<strong>es</strong>entlichen Verkehr, Gebäudeenergie und Landwirtschaft<br />

– gibt die EU im Rahmen der Lastenteilungsentschei<strong>du</strong>ng<br />

länderspezifische Einsparziele vor. So<br />

soll Deutschland seine Emissionen in di<strong>es</strong>en Bereichen<br />

zwischen 2005 und 2020 um 14 Prozent senken – ein<br />

Ziel, das zunehmend unrealistisch erscheint.<br />

➌ Darüber hinaus gibt sich die Bund<strong>es</strong>regierung Selbstverpflichtungsziele,<br />

aktuell etwa im <strong>Klimaschutz</strong>plan<br />

2050. Frühere Ziele wie die sogenannten M<strong>es</strong>eberger<br />

B<strong>es</strong>chlüsse konnten nicht eingehalten werden. Ein<br />

wichtiger Grund für das Scheitern ist die unerwartet<br />

gute Konjunktur der letzten Jahre, die zu höheren Emissionen<br />

geführt hat.<br />

Konventionelle Klimapolitik: Ineffizient und<br />

inflexibel<br />

Vor di<strong>es</strong>em Hintergrund wird der Ruf nach zusätzlichen<br />

Subventionen und g<strong>es</strong>etzlichen Anreizen zur Emissionsre<strong>du</strong>ktion<br />

wieder lauter. Doch Subventionen haben unerwünschte<br />

Umverteilungseffekte und sind teuer: Zu den<br />

direkt für die Steuerzahler anfallenden Kosten kommen<br />

indirekte <strong>du</strong>rch Marktverzerrung entstehende Kosten hinzu.<br />

So zahlen deutsche Stromkunden schon heute auch<br />

aufgrund der EEG-Umlage europaweit <strong>mit</strong> die höchsten<br />

Strompreise.<br />

Subventionsgetriebene Klimapolitik ist nicht nur teuer,<br />

sondern auch inflexibel. So ist etwa eine 2018 ersonnene<br />

Subvention aufgrund langwieriger G<strong>es</strong>etzgebungsverfahren<br />

kaum in der Lage, Emissionen schon zwei Jahre später<br />

effektiv zu senken. Einmal eingeführt, ist <strong>es</strong> allerdings<br />

schwer, eine Subvention wieder abzuschaffen, wenn ihre<br />

ursprüngliche Begrün<strong>du</strong>ng längst weggefallen ist.<br />

Ein weiter<strong>es</strong> Problem entsteht aus der Interaktion zwischen<br />

nationaler Klimapolitik und EU-weitem Emissionshandel:<br />

Da die in jeder Handelsperiode zur Verfügung stehende<br />

Menge an Verschmutzungsrechten EU-weit fixiert ist,<br />

führt jede aufgrund einer Subvention in Deutschland eing<strong>es</strong>parte<br />

Tonne lediglich zur Emission einer zusätzlichen<br />

Tonne in einem anderen europäischen Land – jedenfalls in<br />

den knapp 45 Prozent der Emissionen umfassenden Sektoren,<br />

die derzeit im ETS integriert sind. Zwar verpuffen<br />

Subventionen so nicht gänzlich, doch ihr Einsparpotenzial<br />

wird da<strong>mit</strong> relativ zu den <strong>du</strong>rch sie verursachten Kosten<br />

eing<strong>es</strong>chränkt. >><br />

Ausgabe 11 | Mai 2019 | Umweltdialog.de<br />

73


Klimawandel<br />

Ein unmoralischer Ablasshandel?<br />

Alternative: Regierung kauft<br />

Verschmutzungsrechte<br />

Als Alternative zur teuren und inflexiblen<br />

Subventionspolitik bietet sich<br />

die Beteiligung der Bund<strong>es</strong>regierung<br />

am europäischen Emissionshandel<br />

an. Kauft die Bund<strong>es</strong>regierung Unternehmen<br />

Zertifikate ab und lässt di<strong>es</strong>e<br />

anschließend ungenutzt verfallen,<br />

entspricht di<strong>es</strong> einer <strong>du</strong>rch die deutschen<br />

Steuerzahler finanzierten Re<strong>du</strong>ktion<br />

der weltweiten Emissionen.<br />

Auch zertifikatebasierte Klimapolitik<br />

ist nicht billig. Das Recht zur Emission<br />

einer Tonne CO 2<br />

kostet im ETS derzeit<br />

rund 16 Euro (Stand Juni 2018).<br />

Würde die Bund<strong>es</strong>regierung eine<br />

Großorder aufgeben, so würde di<strong>es</strong>er<br />

Preis steigen. Im Vergleich zur konventionellen<br />

Klimapolitik verspräche<br />

eine zertifikatebasierte Klimapolitik<br />

den Steuerzahlern dennoch substantielle<br />

Entlastungen, da die Verzerrungskosten<br />

herkömmlicher Subventionen<br />

vermieden würden. In europaweiter<br />

Perspektive würde zu<strong>dem</strong> dafür g<strong>es</strong>orgt,<br />

dass die Einsparungen effizient<br />

vorgenommen werden.<br />

Einsparungsziele <strong>du</strong>rch Zertifikatekauf<br />

realisierbar<br />

Auch das 2007 formulierte Ziel,<br />

Deutschlands Emissionen bis 2020<br />

relativ zu 1990 um 40 Prozent zu<br />

senken, könnte <strong>mit</strong>tels ein<strong>es</strong> entsprechenden<br />

Zertifikatkaufs erreicht<br />

werden. 2017 wurden in Deutschland<br />

etwa 904,7 Millionen Tonnen<br />

Treibhausgase freig<strong>es</strong>etzt. Um die<br />

Differenz zu den ab 2020 nur noch<br />

erlaubten 751 Millionen Tonnen zu<br />

überbrücken, wäre der Kauf von 153<br />

Millionen Zertifikaten nötig – eine solche<br />

Order kostet zu heutigen Preisen<br />

2,4 Milliarden Euro. Zum Vergleich:<br />

Das Erneuerbare-Energien-G<strong>es</strong>etz hat<br />

im Jahr 2016 Kosten von rund 22 Milliarden<br />

Euro verursacht.<br />

<strong>Die</strong> Verpflichtung gegenüber der EU<br />

ließe sich über den Zertifikatekauf<br />

dagegen nicht vertragsgenau einhalten,<br />

schließlich beziehen sich die<br />

darin formulierten Einsparungsziele<br />

auf jene Emissionsquellen, die nicht<br />

vom ETS abgedeckt werden. Das ist<br />

bedauerlich, da effizienter zu realisierende<br />

Einsparungen in <strong>du</strong>rch das<br />

ETS abgedeckten Emissionsquellen<br />

nicht gegen weniger effiziente Einsparungen<br />

in Nicht-ETS-Emissionsquellen<br />

aufgerechnet werden können.<br />

Solange di<strong>es</strong>e Emissionsquellen nicht<br />

integriert sind, sollte die EU erwägen,<br />

<strong>es</strong> Regierungen zu erlauben, etwaige<br />

Lücken gegenüber den Zielvorgaben<br />

<strong>du</strong>rch den Kauf von ETS-Zertifikaten<br />

zu schließen. Für den <strong>Klimaschutz</strong><br />

spielt <strong>es</strong> keine Rolle, in welchen In<strong>du</strong>strien<br />

die Einsparungen vorgenommen<br />

werden.<br />

Kritiker bezeichnen Unternehmen,<br />

die ihren Kunden klimaneutrale Pro<strong>du</strong>kte<br />

per Zertifikatekauf anbieten als<br />

„moderne Ablasshändler“. Der Kritik<br />

liegt die Vorstellung zugrunde, dass<br />

jeder E<strong>mit</strong>tent für den <strong>du</strong>rch ihn angerichteten<br />

Schaden moralisch verantwortlich<br />

ist und di<strong>es</strong>en daher selbst zu<br />

beheben hat – selbst, wenn <strong>es</strong> effizienter<br />

wäre, andere für eine klimaäquivalente<br />

Schadensbehebung zu bezahlen.<br />

Auch die Bund<strong>es</strong>regierung träfe die<br />

Kritik, sich „freizukaufen“, sollte sie<br />

die Klimapolitik zukünftig auf den<br />

Kauf von Zertifikaten b<strong>es</strong>chränken<br />

und Unternehmen so<strong>mit</strong> dafür bezahlen,<br />

weniger Emissionen auszustoßen.<br />

Derartige Kritik übersieht allerdings,<br />

dass auch die heutige Subventionspolitik<br />

einem „Ablasshandel“ entspricht.<br />

Der Übergang zu einer zertifikatebasierten<br />

Klimapolitik würde lediglich<br />

bewirken, dass die Steuerzahler<br />

zusätzlich zu inländischen Unternehmen<br />

auch ausländische Unternehmen<br />

für Emissionsre<strong>du</strong>ktionen bezahlen.<br />

Emissionshandel stärken<br />

Schwerwiegendere Kritik am Vorschlag<br />

einer zertifikatebasierten Klimapolitik<br />

speist sich aus der derzeit<br />

nur eing<strong>es</strong>chränkten Reichweite d<strong>es</strong><br />

ETS. Nur wenn möglichst viele wichtige<br />

Emissionsquellen in das ETS einbezogen<br />

werden, bewirkt di<strong>es</strong><strong>es</strong> eine<br />

EU-weite Priorisierung von Emissionseinsparungen<br />

in jenen Bereichen,<br />

in denen di<strong>es</strong>e am kostengünstigsten<br />

sind.<br />

Zwar werden die Reichweite d<strong>es</strong> ETS<br />

steigernde Reformen bereits diskutiert.<br />

Doch der Einbezug von Privathaushalten<br />

(ca. zehn Prozent der Emissionen),<br />

<strong>Die</strong>nstleistungssektor (ca. vier<br />

74 Ausgabe 11 | Mai 2019 | Umweltdialog.de


Klimawandel<br />

Prozent) sowie Verkehrssektor (ca.<br />

17,7 Prozent) würde zu erheblichen<br />

Transaktionskosten führen. Zwar ist<br />

vorstellbar, dass die europäischen Regierungen<br />

den notwendigen Zertifikatekauf<br />

stellvertretend für ihre Bürger<br />

vornehmen, etwa auf Basis einer jährlichen<br />

Schätzung der aus di<strong>es</strong>en Quellen<br />

entsprungenen Emissionen. Eine solche<br />

Stellvertreterlösung würde jedoch<br />

zu Trittbrettfahrerverhalten einladen<br />

und die Effizienz d<strong>es</strong> ETS mindern.<br />

Trotz di<strong>es</strong>er Schwierigkeiten stellt<br />

das ETS für die Bund<strong>es</strong>regierung<br />

bereits heute ein vielversprechend<strong>es</strong><br />

Instrument zur Realisierung<br />

selbstg<strong>es</strong>teckter Einsparungsziele<br />

dar. <strong>Die</strong> Vorteile gegenüber der konventionellen<br />

subventionsbasierten<br />

Klimapolitik – eine geringere Verzerrungswirkung<br />

und flexiblere Anwen<strong>du</strong>ngsmöglichkeiten<br />

– wachsen<br />

in <strong>dem</strong> Maße, in <strong>dem</strong> <strong>es</strong> zukünftig<br />

gelingt, weitere Emissionsquellen in<br />

das ETS einzubeziehen. Statt auf die<br />

Einführung neuer Subventionen hinzuwirken,<br />

sollten am <strong>Klimaschutz</strong><br />

inter<strong>es</strong>sierte Inter<strong>es</strong>sengruppen und<br />

Umweltpolitiker daher auf die Ausweitung<br />

d<strong>es</strong> ETS und die Nutzung d<strong>es</strong><br />

Zertifikatekaufs als klimapolitische<br />

Maßnahme <strong>du</strong>rch die Bund<strong>es</strong>regierung<br />

pochen. f<br />

Im Original erschienen bei IREF –<br />

Institute for R<strong>es</strong>earch in Economic<br />

and Fiscal Issu<strong>es</strong><br />

Dr. Alexander Fink, Universität<br />

Leipzig, Senior Fellow d<strong>es</strong> IREF –<br />

Institute for R<strong>es</strong>earch in Economic<br />

and Fiscal Issu<strong>es</strong><br />

Kalle Kappner, Promotionsstudent<br />

an der Humboldt-Universität zu<br />

Berlin, R<strong>es</strong>earch Fellow bei IREF<br />

>><br />

Ausgabe 11 | Mai 2019 | Umweltdialog.de<br />

75


Klimawandel<br />

Geo-Engineering<br />

Hilft jetzt nur noch<br />

Klima-Klempnern?<br />

Von Dr. Elmer Lenzen<br />

Hintergrund: oraziopuccio / stock.adobe.com, Bild: Veniamin Kraskov / stock.adobe.com<br />

Das Wetter zu manipulieren ist<br />

ein alter Menschheitstraum.<br />

Mit <strong>dem</strong> Klimawandel<br />

bekommt das Thema wieder<br />

neue Bedeutung. Bei <strong>dem</strong><br />

sogenannten Geo-Engineering<br />

geht <strong>es</strong> um gezielte<br />

Veränderungen d<strong>es</strong> Klimas<br />

zur Senkung der Temperatur.<br />

Derartige Projekte zielen<br />

zum Beispiel darauf ab,<br />

die Erde vor der Sonne zu<br />

schützen oder Kohlendioxid zu<br />

binden. Eine gute Idee oder<br />

schlimmer Unfug?<br />

Herman Sörgel hatte in seinem Leben nur ein einzig<strong>es</strong><br />

Ziel: die Verwirklichung einer gigantischen Vision. Vor<br />

90 Jahren begann der Münchener Architekt, der sich gern<br />

„Weltbaumeister” nannte, <strong>mit</strong> den ersten Konzepten zum<br />

Bau d<strong>es</strong> neuen Kontinents Atlantropa. Das Herzstück von<br />

Sörgels Plan aus <strong>dem</strong> Jahr 1928 war ein 2,5 Kilometer breiter,<br />

300 Meter hoher und 35 Kilometer langer Staudamm<br />

an der Straße von Gibraltar. Da<strong>mit</strong> wollte er das Mittelmeer<br />

vom Atlantik trennen und langsam trockenlegen – um bis<br />

zu 200 Meter sollte der Meer<strong>es</strong>spiegel abg<strong>es</strong>enkt werden.<br />

Das Mittelmeer sollte um 20 Prozent schrumpfen und neu<strong>es</strong><br />

Land etwa in der Größe Frankreichs entstehen. Und dort,<br />

wo heute der Nil langsam in einem Delta mündet, wäre ein<br />

gigantischer Wasserfall von 200 Metern Höhe entstanden.<br />

<strong>Die</strong> Idee dahinter: <strong>Die</strong> beiden Kontinente Afrika und Europa<br />

sollten zusammenwachsen. <strong>Die</strong> R<strong>es</strong>sourcen Afrikas sollten<br />

<strong>dem</strong> Zugriff Europas zugänglich gemacht werden, und<br />

nebenher würden die Staudämme Unmengen an nachhaltiger<br />

Energie aus Wasserkraft liefern. Sörgel errechnete eine<br />

Dauerleistung von rund „70 Millionen PS“. Der Bau sollte<br />

in zehn Jahren zu schaffen sein, dafür kalkulierte Sörgel<br />

<strong>mit</strong> je 200.000 Arbeitern in vier Schichten.<br />

76 Ausgabe 11 | Mai 2019 | Umweltdialog.de


Klimawandel<br />

„Was uns heute größenwahnsinnig<br />

erscheint, hatte damals viele prominente<br />

Unterstützer“, erklärt Wilhelm<br />

Füßl, Leiter d<strong>es</strong> Archivs d<strong>es</strong> Deutschen<br />

Museums, wo Sörgels Nachlass<br />

aufbewahrt wird. „Selbst im Nachkriegsdeutschland<br />

hat man an das<br />

Projekt noch geglaubt.“ Während die<br />

deutsche Pr<strong>es</strong>se von <strong>dem</strong> Atlantropa-<br />

Projekt teils sehr begeistert war,<br />

konnten die Italiener der Trockenlegung<br />

„ihr<strong>es</strong>“ Mittelmeer<strong>es</strong> weitaus<br />

weniger abgewinnen. Der „Corriere<br />

della Sera“ schrieb empört: „Hat denn<br />

der arglose Herr Sörgel keine anderen<br />

Pläne, <strong>mit</strong> denen er seine wirre Fantasie<br />

b<strong>es</strong>chäftigen kann?“<br />

All<strong>es</strong> Spinnerei? Möglich. Aber so<br />

war der Geist der 20er Jahre. In der<br />

gleichen Zeit begann etwa der niederländische<br />

Ingenieur Cornelis Lely<br />

<strong>mit</strong> der Trockenlegung der Nordsee.<br />

Nur wenige Dekaden später hatten die<br />

Niederländer rund 3.000 Quadratkilometer<br />

Landfläche der Nordsee abgewonnen.<br />

Mit <strong>dem</strong> Ijsselmeer entstand<br />

zu<strong>dem</strong> ein großer, neuer Binnensee.<br />

Pariser Klimaabkommen setzt auf<br />

„Negative Emissionen“<br />

Zurück in die Gegenwart: Terraforming<br />

oder Geo-Engineering, wie wir <strong>es</strong><br />

heute nennen, hat <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> Klimawandel<br />

neue Aktualität bekommen. „Geo-<br />

Engineering ist der Plan C der Klimapolitik.<br />

Plan A lautet: <strong>Die</strong> Menschheit<br />

muss weniger CO 2<br />

ausstoßen. Ein guter<br />

Plan, aber <strong>es</strong> hapert an der Umsetzung.<br />

Plan B ist die Anpassung an den<br />

Klimawandel, beispielsweise <strong>du</strong>rch<br />

hitzer<strong>es</strong>istente Getreid<strong>es</strong>orten. Früher<br />

tabu, heute Realpolitik“, schreibt Max<br />

Rauner in der ZEIT.<br />

Um die schlimmsten Folgen d<strong>es</strong> Klimawandels<br />

abzuwenden, soll das Pariser<br />

Klimaabkommen die Erderwärmung<br />

auf deutlich unter zwei Grad<br />

und möglichst auf eineinhalb Grad<br />

begrenzen. Das ist nur möglich, wenn<br />

die Staaten ihre Emissionen erheblich<br />

stärker re<strong>du</strong>zieren, als sie <strong>es</strong> bisher<br />

im Rahmen d<strong>es</strong> Abkommens zug<strong>es</strong>agt<br />

haben. Fragt sich nur: <strong>Wie</strong>?<br />

Das Intergovernmental Panel on Climate<br />

Change (IPCC) hat unterschiedliche<br />

Szenarien <strong>du</strong>rchgerechnet. Nur<br />

im optimistischsten Szenario kann<br />

das Klimaziel <strong>du</strong>rch sofortige und<br />

drastische Maßnahmen in allen >><br />

Abbil<strong>du</strong>ng: Deutsch<strong>es</strong> Museum<br />

Ausgabe 11 | Mai 2019 | Umweltdialog.de<br />

77


Klimawandel<br />

Sektoren (Verkehr, Landwirtschaft, Bau, Energie etc.) noch<br />

erreicht werden. In den weniger optimistischen Szenarien<br />

muss die Weltgemeinschaft ab 2030 oder spät<strong>es</strong>tens 2050<br />

zusätzliche Maßnahmen ergreifen: Sie muss große Mengen<br />

an CO 2<br />

aus der Atmosphäre entnehmen oder dauerhaft lagern,<br />

um <strong>mit</strong> „negativen Emissionen“ die Bilanz auszugleichen.<br />

Dafür sind die Selbstverpflichtungen der Staaten bei weitem<br />

nicht ehrgeizig genug. <strong>Die</strong> aktuelle Rechnung sieht<br />

nämlich so aus: Um die Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen,<br />

dürfen weltweit bis 2050 nur noch knapp 400 Gigatonnen<br />

CO 2<br />

e<strong>mit</strong>tiert werden. Aktuell beträgt der globale<br />

Ausstoß jedoch 40-42 Gigatonnen im Jahr. Also ausgehend<br />

vom Pariser Klimaabkommen in 2015 wären die 400 Gigatonnen<br />

CO 2<br />

da<strong>mit</strong> spät<strong>es</strong>tens bereits im Jahr 2026 aufgebraucht.<br />

„<strong>Die</strong> Welt steuert derzeit auf eine Erderwärmung<br />

von drei Grad oder mehr zu“, sagt Katja Frieler vom Potsdam-Institut<br />

für Klimafolgenforschung. D<strong>es</strong>halb bringt die<br />

UN seit längerem schon als Lösung die sogenannten „negativen<br />

Emissionen“ ins G<strong>es</strong>präch. Dabei werden Klimagase<br />

aus der Atmosphäre entnommen. Das geht nur <strong>mit</strong><br />

viel Technik und bedeutet einen fundamentalen Paradigmenwechsel<br />

in der Klimapolitik.<br />

Grundsätzlich kann man die Vielzahl der Maßnahmen<br />

in zwei Lösungsansätze unterscheiden:<br />

1. Beim Carbon Dioxide Removal (CDR) wird überschüssig<strong>es</strong><br />

CO 2<br />

in der Atmosphäre herausgefiltert und in<br />

anderer Form genutzt oder g<strong>es</strong>peichert.<br />

2. Beim Solar Radiation Management (SRM) wiederum<br />

geht <strong>es</strong> darum, die ankommenden Sonnenstrahlen zu<br />

reflektieren und so die Erwärmung zu begrenzen.<br />

Aufforsten, Filtern, Verarbeiten – CDR-Maßnahmen im<br />

Überblick<br />

A) AUFFORSTEN<br />

Ein Beispiel für negative Emissionen sind<br />

Aufforstungen – Wald bindet CO 2<br />

im Holz, so<br />

lange das Holz nicht später als Brennstoff genutzt<br />

wird. Das Aufforsten oder der Anbau von Biomasse<br />

zur CO 2<br />

-Re<strong>du</strong>ktion konkurriert allerdings um die gleichen<br />

Flächen, die auch für die Landwirtschaft benötigt werden.<br />

Allein <strong>mit</strong> mehr Biomasse ist <strong>es</strong> so<strong>mit</strong> schwierig, die Klimaziele<br />

zu erreichen, denn die natürliche Photosynth<strong>es</strong>e<br />

ist kein b<strong>es</strong>onders effizienter Proz<strong>es</strong>s. Maximal zwei Prozent<br />

d<strong>es</strong> Lichts können Blätter nutzen, um CO 2<br />

und Wasser<br />

in neue chemische Verbin<strong>du</strong>ngen umzuwandeln. Um<br />

beispielsweise zehn Gigatonnen CO 2<br />

pro Jahr im Wald zu<br />

binden, argumentieren Physiker, müssten etwa zehn Millionen<br />

Quadratkilometer der fruchtbaren Flächen auf der<br />

Erde <strong>mit</strong> neuem Wald bepflanzt werden. <strong>Die</strong>s entspricht<br />

der Fläche d<strong>es</strong> Kontinents Europa (bis zum Ural!).<br />

B) KÜNSTLICHE PHOTOSYNTHESE<br />

Auch <strong>mit</strong> Systemen, die eine „künstliche<br />

Photosynth<strong>es</strong>e“ ermöglichen, könnte CO 2<br />

aus<br />

der Atmosphäre entnommen und gebunden<br />

werden. Ähnliche Materialsysteme, wie sie derzeit für<br />

die künstliche Photosynth<strong>es</strong>e erforscht werden, könnten<br />

deutlich effizienter CO 2<br />

binden. Bei einer angenommenen<br />

Effizienz von 19 Prozent und 50 Prozent Systemverlusten<br />

könnten Mo<strong>du</strong>le von etwa 30.000 Quadratkilometern<br />

schon ausreichen, um jährlich zehn Gigatonnen CO 2<br />

aus<br />

der Atmosphäre zu entnehmen. <strong>Die</strong>s entspricht etwa der<br />

Fläche d<strong>es</strong> Bund<strong>es</strong>lands Brandenburg.<br />

„Es könnte zwar möglich sein, solche Mo<strong>du</strong>le zu entwickeln,<br />

aber selbst wenn wir sie dann bauen könnten, wird<br />

die Umwandlung nach unserer Schätzung mind<strong>es</strong>tens<br />

65 Euro pro Tonne CO 2<br />

kosten. Da<strong>mit</strong> verursacht die Entnahme<br />

von zehn Gigatonnen CO 2<br />

jed<strong>es</strong> Jahr erneut Kosten<br />

von 650 Milliarden Euro“, sagt Dr. Matthias May vom HZB-<br />

Institut für Solare Brennstoffe.<br />

C) FILTERN & SPEICHERN<br />

Beim „Direct Air Capture“ (DAC) Verfahren<br />

wird CO 2<br />

<strong>mit</strong>hilfe chemischer Verfahren aus<br />

der Luft extrahiert. Anschließend muss das gewonnene<br />

CO 2<br />

in unterirdischen G<strong>es</strong>teinsschichten g<strong>es</strong>peichert<br />

oder anderweitig verarbeitet werden. Experten haben<br />

vor allem die Speicherung im Blick: Sogenannte "Carbon<br />

Sinks", also Lagerstätten von Kohle- und Erdölförderung,<br />

sind geologisch schon seit Jahrmillionen stabil und könnten<br />

als CO 2<br />

-Speicher herhalten. <strong>Die</strong>se CCS-Technologie (Carbon<br />

Dioxide Capture and Storage) steht für die Abschei<strong>du</strong>ng und<br />

Speicherung d<strong>es</strong> in Kraftwerks- und In<strong>du</strong>strieproz<strong>es</strong>sen anfallenden<br />

CO 2<br />

. Ob die Technik wirklich sicher ist, wird von<br />

vielen jedoch bezweifelt. Hinzu kommen immense Kosten:<br />

<strong>Die</strong>se liegen laut <strong>dem</strong> Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung<br />

bei 200 bis 1.000 Dollar je Tonne CO 2<br />

.<br />

D) INDUSTRIELLE ANWENDUNGEN<br />

Bisher wenig entwickelt ist der Einsatz von<br />

Kohlendioxid als Rohstoff für die in<strong>du</strong>strielle<br />

Nutzung. Das entnommene CO 2<br />

könnte zu<br />

Ameisensäure, Alkohol oder Oxalat umgewandelt werden<br />

und <strong>mit</strong> weiteren Verbin<strong>du</strong>ngen (zum Beispiel Kalziumchlorid)<br />

zu f<strong>es</strong>ten Mineralien reagieren, die gelagert<br />

oder sogar in Form von Kunststoff als Baumaterial genutzt<br />

werden können. Bei Bayer verwandelt man in einem Pilot-<br />

78 Ausgabe 11 | Mai 2019 | Umweltdialog.de


Klimawandel<br />

projekt das Treibhausgas in einen nützlichen Rohstoff. Ein<br />

neu<strong>es</strong> Verfahren g<strong>es</strong>tattet <strong>es</strong>, CO 2<br />

in Schaumstoffe einzubauen<br />

und so einen Teil d<strong>es</strong> knappen Erdöls zu ersetzen,<br />

aus <strong>dem</strong> sie sonst komplett b<strong>es</strong>tehen. Erst<strong>es</strong> Einsatzgebiet:<br />

Matratzen.<br />

Spiegel, Schirme, Vulkanausbrüche –<br />

SRM-Maßnahmen im Überblick<br />

A) SPIEGEL & SCHIRME<br />

Der Klimawandel entsteht <strong>du</strong>rch globale Erwärmung.<br />

Deren Verursacher ist die Sonneneinstrahlung.<br />

Beim Solar Radiation Management<br />

(SRM) geht <strong>es</strong> daher darum, die Sonnenstrahlen zu<br />

reflektieren. Hierbei setzt man auf Spiegel und Sonnenschirme.<br />

Das ist auch nicht aus der Luft gegriffen: Bereits<br />

jetzt werden etwa 25 Prozent der eintreffenden Sonnenstrahlen<br />

von der Erdatmosphäre reflektiert (das Prinzip<br />

Spiegel) oder wie bei einem Sonnenschirm in den oberen<br />

Schichten der Atmosphäre absorbiert. SRM-Technologien<br />

setzten daher auf die Veränderung der Zusammensetzung<br />

der Atmosphäre. Dann kommen, so denken sich das die<br />

Wissenschaftler, weniger Sonnenstrahlen an und die Erde<br />

kühlt automatisch ab.<br />

<strong>Die</strong> Idee klingt verrückt, aber praktisch passiert di<strong>es</strong>e Art<br />

von Atmosphärenbeeinflussung schon heute in großem<br />

Stil. <strong>Die</strong> Abgase von In<strong>du</strong>strie und Verkehr reichern die Atmosphäre<br />

<strong>mit</strong> winzigen Partikeln, sogenannten Aerosolen,<br />

an. Wissenschaftler haben errechnet, dass seit Beginn der<br />

In<strong>du</strong>strialisierung sich die Erde um rund ein Grad erhitzt<br />

hat. Ohne den Effekt der Aerosole wären <strong>es</strong> 1,3 Grad. Makaber:<br />

Dreckige Luft hemmt also die globale Erwärmung.<br />

Reflexion geht aber auch weniger martialisch, etwa <strong>du</strong>rch<br />

bauliche Maßnahmen wie weiße Gebäude, Dächer und Flächen,<br />

zusätzlicher Wasserflächen, die Licht spiegeln oder<br />

das Weißen von Wüstenflächen. Astronauten wiederum haben<br />

vorg<strong>es</strong>chlagen, einen ri<strong>es</strong>igen Sonnenschirm im Weltall<br />

zu spannen.<br />

B) GEZIELTE VULKANAUSBRÜCHE<br />

Ganz ähnlich wie Aerosole verhalten sich auch<br />

die Auswirkungen von Vulkanausbrüchen. Jed<strong>es</strong><br />

Mal werden dann erhebliche Mengen von<br />

Staub und Asche in die Atmosphäre g<strong>es</strong>chleudert. <strong>Die</strong> beiden<br />

Berkeley-Wissenschaftler Jonathan Proctor und Solomon<br />

Hsiang werteten Daten zu weltweiten Vulkanausbrüche<br />

zwischen 1979 und 2009 aus und korrelierten di<strong>es</strong>e<br />

<strong>mit</strong> den Ernteerträgen von Mais, Soja, Reis und Weizen<br />

im gleichen Zeitraum. <strong>Die</strong> Ergebnisse veröffentlichten sie<br />

jetzt in einer Ausgabe der Fachzeitschrift Nature. Demnach<br />

re<strong>du</strong>zierte etwa der Ausbruch d<strong>es</strong> Pinatubu-Vulkans 1991<br />

auf den Philippinen die weltweite Sonneneinstrahlung um<br />

2,5 Prozent. <strong>Die</strong> Temperaturen sanken da<strong>du</strong>rch weltweit<br />

um ein halb<strong>es</strong> Grad. Zugleich sanken aber auch die Ernteerträge.<br />

Der Spiegel zitiert Hsiang: „Das ist, als gleiche<br />

man die Schulden einer Kreditkarte <strong>mit</strong> einer anderen aus.<br />

Am Ende hat man das, wo<strong>mit</strong> man angefangen hat, ohne<br />

das Problem zu lösen."<br />

Dennoch sind vor allem explorative Konzerne <strong>mit</strong> ihrer<br />

Bohrerfahrung an g<strong>es</strong>teuerten Vulkanausbrüchen als <strong>Klimaschutz</strong>-Maßnahme<br />

äußerst inter<strong>es</strong>siert. Vor allem auch,<br />

weil solche Aufträge dauerhaft wären. Würde man sich<br />

nämlich ein<strong>es</strong> Tag<strong>es</strong> entschließen, den künstlichen Vulkanismus<br />

wieder zu beenden, dann droht der "Termination<br />

Shock". <strong>Die</strong> Zeit schreibt: „Wenn das Geo-Engineering nach<br />

50 Jahren aus welchen Gründen auch immer g<strong>es</strong>toppt würde,<br />

stiegen die Temperaturen innerhalb von nur 20 Jahren<br />

um zwei Grad an. Das wäre der Klimawandel in Zeitraffer.“<br />

Gehören technische Klima-Eingriffe verboten?<br />

Technisch betrachtet ist Geo-Engineering machbar. Aber<br />

wollen wir <strong>es</strong> d<strong>es</strong>halb auch machen? <strong>Die</strong>se <strong>Frage</strong> b<strong>es</strong>chäftigt<br />

nicht nur Forscher, sondern auch Politiker und engagierte<br />

Bürger. Jonathan Proctor von der University of<br />

California in Berkeley warnt: „Das ist ein bisschen so wie<br />

experimentelle Chirurgie, wenn man herausfindet, dass<br />

die Nebeneffekte der Behandlung so schlimm sind wie die<br />

Krankheit."<br />

<strong>Die</strong> Bund<strong>es</strong>regierung unterstützt derzeit hierzulande 18<br />

Universitäten und Institute <strong>mit</strong> insg<strong>es</strong>amt zehn Millionen<br />

Euro, um Geo-Engineering zu erforschen. „<strong>Die</strong>se Forschung<br />

wird missbraucht werden", beklagt der Physiker David<br />

Keith von der Harvard University in einem ZEIT-Beitrag.<br />

„Ölkonzerne und Petro-Staaten werden versuchen, sich aus<br />

der Verantwortung zu stehlen, in<strong>dem</strong> sie uns das Wort im<br />

Mund umdrehen." D<strong>es</strong>halb regt sich immer mehr Widerstand:<br />

„<strong>Die</strong> Zivilg<strong>es</strong>ellschaft bekräftigt die Forderung nach<br />

einem internationalen Verbot der technischen Eingriffe in<br />

Naturkreisläufe“, sagt Lili Fuhr von der Heinrich-Böll-Stiftung.<br />

<strong>Die</strong> Forderungen nach einer weltweiten Regulierung der<br />

Geo-Engineering-Technologi<strong>es</strong> sind zuletzt aber auf der<br />

UN-Umweltkonferenz UNEA4 im März 2019 in Nairobi<br />

g<strong>es</strong>cheitert. Vor allem Inv<strong>es</strong>toren aus <strong>dem</strong> Silicon Valley<br />

sowie Lobbyisten der fossilen In<strong>du</strong>strie und der Bergbauin<strong>du</strong>strie<br />

stemmten sich gegen neue Regeln. Lili Fuhr<br />

ist dennoch nicht unzufrieden: „<strong>Die</strong> gute Nachricht ist: Das<br />

2010 in der UN-Biodiversitätskonvention (CBD) b<strong>es</strong>chlossene<br />

Moratorium auf Geo-Engineering hat unverändert<br />

B<strong>es</strong>tand, ebenso wie die Regulierungsansätze für marin<strong>es</strong><br />

Geo-Engineering zur Verhütung der Meer<strong>es</strong>verschmutzung<br />

(LP/LC).“ >><br />

Ausgabe 11 | Mai 2019 | Umweltdialog.de<br />

79


Klimawandel<br />

Glossar<br />

Wettlauf gegen die Zeit<br />

„Keine der hier vorg<strong>es</strong>chlagenen<br />

Klima-Geo-Engineering-Techniken<br />

könnte realistisch innerhalb der<br />

nächsten Jahrzehnte in globalem<br />

Maßstab eing<strong>es</strong>etzt werden. Das<br />

heißt, man kann nicht da<strong>mit</strong> rechnen,<br />

dass sie einen w<strong>es</strong>entlichen<br />

Beitrag zum Erreichen d<strong>es</strong> 2-Grad-<br />

Ziels – g<strong>es</strong>chweige denn d<strong>es</strong><br />

1,5-Grad-Ziels – leisten könnten“,<br />

sagt der Wissenschaftler Mark<br />

Lawrence. Sollten Klima-Geo-Engineering-Technologien<br />

je Anwen<strong>du</strong>ngsreife<br />

erreichen, dann<br />

<strong>mit</strong> hoher Wahrscheinlichkeit<br />

erst in der zweiten Hälfte d<strong>es</strong><br />

21. Jahrhunderts.<br />

Geopolitische Risiken<br />

<strong>Die</strong> Informationsstelle Militarisierung<br />

e.V. (IMI) verweist in einer<br />

aktuellen Studie auf die geopolitischen<br />

Implikationen. Da jede<br />

der bislang erwogenen und kurz<br />

vorg<strong>es</strong>tellten Technologien Gewinner<br />

und Verlierer hervor brächte,<br />

b<strong>es</strong>tehe die Gefahr einer „Militarisierung<br />

d<strong>es</strong> Klimas“: „Es drohen<br />

Wettkämpfe um R<strong>es</strong>sourcen,<br />

Streite um negative Folgen oder<br />

Konflikte um die Kontrolle d<strong>es</strong> regionalen<br />

Klimas“, so Jürgen Wagner,<br />

Vorstand der IMI. <strong>Die</strong>s wecke<br />

Hoffnungen und Begehrlichkeiten,<br />

<strong>mit</strong> großtechnischen Scheinlösungen<br />

in das Klima einzugreifen.<br />

Dass bereits jetzt häufig das Militär<br />

und militärnahe Institutionen<br />

in die Entwicklung eingebunden<br />

und di<strong>es</strong>e auch präd<strong>es</strong>tiniert für<br />

die Bereitstellung und den Schutz<br />

der benötigten Infrastrukturen<br />

sind, erhöhe das Konfliktpotenzial<br />

weiter. f<br />

Was heißt eigentlich Mitigation? Was sind negative<br />

Emissionen? Sind Wetter und Klima nicht das Gleiche?<br />

Und was macht überhaupt der IPCC? <strong>Die</strong>s<strong>es</strong> Glossar<br />

enthält Erklärungen für wichtige Begriffe zum Thema<br />

Klima(wandel).<br />

Anpassung an den Klimawandel<br />

1992 einigte sich die Staatengemeinschaft<br />

in der UN-Klimarahmenkonvention<br />

darauf, Maßnahmen<br />

zur Anpassung an den<br />

Klimawandel zu ergreifen. <strong>Die</strong>se<br />

sollen die (Folge-) Schäden <strong>du</strong>rch<br />

bereits eingetretene oder zu erwartende<br />

Klimaveränderungen für die<br />

Menschen verhindern oder zumind<strong>es</strong>t<br />

abmildern.<br />

Anthropogen<br />

Anthropogen (griech. anthropos<br />

= Mensch; gen<strong>es</strong>e = Erzeugung/<br />

Erschaffung) bedeutet menschengemacht.<br />

Der anthropogene Klimawandel<br />

bezeichnet also den vom<br />

Menschen verursachten Klimawandel.<br />

CO 2<br />

-Budget<br />

Das CO 2<br />

-Budget ist die Menge an<br />

CO 2<br />

, die wir noch maximal freisetzen<br />

dürfen, um das 1,5-Grad-Ziel<br />

einhalten zu können. Laut <strong>dem</strong><br />

IPCC-Sonderbericht von Oktober<br />

2018 liegt di<strong>es</strong><strong>es</strong> nur noch bei etwa<br />

420 Gigatonnen CO 2<br />

. Da die Welt<br />

jährlich knapp 42 Gigatonnen ausstößt,<br />

ist das Budget wahrscheinlich<br />

in weniger als neun Jahren<br />

aufgebraucht. Für das 2-Grad-Ziel<br />

reicht das CO 2<br />

-Budget voraussichtlich<br />

noch ca. 26 Jahre.<br />

CO 2<br />

-Senke<br />

Als CO 2<br />

-Senken bezeichnet man<br />

R<strong>es</strong>ervoirs und Ökosysteme, die<br />

CO 2<br />

aufnehmen und (zum Teil dauerhaft)<br />

speichern können, wie etwa<br />

Wälder, Böden und Meere.<br />

Emissionshandel<br />

Der Emissionshandel ist ein marktwirtschaftlich<strong>es</strong><br />

Instrument zur Re<strong>du</strong>zierung<br />

von Treibhausgas-Emissionen.<br />

Der G<strong>es</strong>etzgeber legt die<br />

G<strong>es</strong>amtmenge an Treibhausgasen<br />

f<strong>es</strong>t, die emissionshandelspflichtige<br />

Unternehmen in einem b<strong>es</strong>timmten<br />

Zeitraum ausstoßen dürfen („Cap“).<br />

<strong>Die</strong>se bewilligte Menge wird in Form<br />

von Emissionszertifikaten ausgegeben.<br />

Stößt ein Unternehmen<br />

weniger Treibhausgase aus, darf<br />

<strong>es</strong> die nicht benötigten Zertifikate<br />

verkaufen. Andersherum kann ein<br />

Unternehmen Emissionszertifikate<br />

nachkaufen, sofern <strong>es</strong> die erlaubte<br />

Menge an Treibhausgasen überschreitet.<br />

Wer die Abgabepflicht für<br />

die Zertifikate nicht erfüllt, muss <strong>mit</strong><br />

Sanktionen rechnen.<br />

Endenergie<br />

Endenergie ist die Energie, die nach<br />

Abzug von Wandlungs- und Übertragungsverlusten<br />

beim Endverbraucher,<br />

z.B. als Strom, ankommt<br />

und genutzt werden kann.<br />

80 Ausgabe 11 | Mai 2019 | Umweltdialog.de


Klimawandel<br />

Folgen d<strong>es</strong> Meer<strong>es</strong>spiegelanstiegs<br />

Der Anstieg d<strong>es</strong> Meer<strong>es</strong>spiegels<br />

bringt viele Probleme <strong>mit</strong> sich: Neben<br />

der Erosion von Küstengebieten,<br />

versalzt das eindringende Meerwasser<br />

das Grundwasser und Sturmfluten<br />

laufen höher auf. <strong>Wie</strong> groß die<br />

Gefahr für einzelne Küsten ist, hängt<br />

aber auch von ihrer Form ab. Vor allem<br />

flache Küsten und Deltas, beid<strong>es</strong><br />

beliebte Siedlungsgebiete, sind <strong>du</strong>rch<br />

Erosion b<strong>es</strong>onders gefährdet.<br />

IPCC<br />

Der Intergovernmental Panel on<br />

Climate Change (IPCC) oder auch<br />

Weltklimarat wurde 1988 gegründet.<br />

Er berichtet regelmäßig über die aktuelle<br />

Forschung zum anthropogenen<br />

Klimawandel, d<strong>es</strong>sen Risiken und<br />

Folgen sowie über Möglichkeiten zur<br />

Anpassung und zur Vermei<strong>du</strong>ng. Zusätzlich<br />

zu den Sachstandsberichten<br />

erscheinen immer wieder kurze<br />

Sonderreports zu speziellen Themen.<br />

Der fünfte Sachstandsbericht (AR5)<br />

wurde 2013 / 14 veröffentlicht. Einige<br />

Ergebnisse in Kürze: Zu 95 bis 100 Prozent<br />

ist der Mensch Hauptverursacher<br />

der globalen Erwärmung. Sowohl die<br />

Durchschnittstemperatur an der Erdoberfläche<br />

als auch die Meer<strong>es</strong>temperatur<br />

steigen stetig an, die Gletscher<br />

schmelzen bis auf wenige Ausnahmen.<br />

Durch die Aufnahme von Kohlenstoffdioxyd<br />

versauern die Ozeane<br />

zunehmend, was die dortigen Lebenswelten<br />

beeinträchtigt. Wahrscheinlich<br />

steigen zu<strong>dem</strong> weltweit die Meer<strong>es</strong>spiegel<br />

bis Ende d<strong>es</strong> 21. Jahrhunderts<br />

um 25 bis 55 Zentimeter. Werden die<br />

Emissionen nicht b<strong>es</strong>chränkt, könnten<br />

<strong>es</strong> sogar bis zu 82 Zentimeter<br />

werden. Außer<strong>dem</strong> wird sich die Erde<br />

vermutlich bis 2100 um 2,6 bis 4,8<br />

Grad erwärmen, sofern wir weiterhin<br />

so viele Treibhausgase ausstoßen wie<br />

bisher. Der nächste Bericht d<strong>es</strong> Weltklimarats<br />

soll 2020 / 21 veröffentlicht<br />

werden.<br />

Klimamodelle<br />

Mit Klimamodellen kann man das Klimasystem<br />

und d<strong>es</strong>sen Veränderungen<br />

relativ passend (aber dennoch<br />

vereinfacht) abbilden und berechnen.<br />

Solche Modelle sind daher wichtig für<br />

klimapolitische Entschei<strong>du</strong>ngen.<br />

Klimasystem<br />

Das komplexe Klimasystem b<strong>es</strong>teht<br />

aus Atmosphäre, Hydrosphäre (Ozeane,<br />

Seen, Flüsse), Kryosphäre (Eis und<br />

Schnee), Lithosphäre (f<strong>es</strong>t<strong>es</strong> G<strong>es</strong>tein<br />

und Böden) und Biosphäre. Das g<strong>es</strong>amte<br />

System verändert sich <strong>du</strong>rch<br />

innere und äußere Einflüsse stetig.<br />

Kohlendioxid<br />

Kohlendioxid (CO 2<br />

) ist ein<strong>es</strong> von vielen<br />

langlebigen Treibhausgasen, die nach<br />

ihrem Ausstoß mind<strong>es</strong>tens ein Jahr in<br />

der Atmosphäre verbleiben. CO 2<br />

beeinflusst<br />

den Strahlungshaushalt der<br />

Atmosphäre und ist da<strong>du</strong>rch <strong>mit</strong>verantwortlich<br />

für den Treibhauseffekt.<br />

Andere Treibhausgase sind z.B. Methan<br />

(CH4) und Distickstoffoxid bzw.<br />

Lachgas (N2O).<br />

Mitigation<br />

Mit Mitigation bezeichnet man die<br />

Maßnahmen zur Verringerung und<br />

Vermei<strong>du</strong>ng von Treibhausgasemissionen.<br />

Der klimawissenschaftliche<br />

Fachbegriff umfasst sowohl technische<br />

Vorgehensweisen als auch die<br />

Schaffung von CO 2<br />

-Senken.<br />

Negative Emissionen<br />

CO 2<br />

-Emissionen, die man der Erdatmosphäre<br />

gezielt entzieht, heißen<br />

Negative Emissionen. Das geht unter<br />

anderem <strong>du</strong>rch Aufforstungsprogramme,<br />

da Bäume CO 2<br />

speichern.<br />

Eine wichtige Technik ist außer<strong>dem</strong><br />

BECCS (Bio Energy with Carbon Capture<br />

and Storage). Dabei verbrennt<br />

man Biomasse in Kraftwerken, <strong>es</strong><br />

entsteht Energie. Das CO 2<br />

wird abg<strong>es</strong>chieden<br />

und unterirdisch g<strong>es</strong>peichert.<br />

Das ist allerdings <strong>mit</strong> hohen<br />

Infrastrukturkosten verbunden und<br />

benötigt viel Land. Da<strong>du</strong>rch entsteht<br />

ein Konflikt <strong>mit</strong> der Nahrungs<strong>mit</strong>telpro<strong>du</strong>ktion.<br />

Netto-Null-Emissionen<br />

Als Netto-Null-Emissionen bezeichnet<br />

man bereits freig<strong>es</strong>etzte bzw.<br />

unvermeidbare CO 2<br />

-Emissionen, die<br />

man ausgleicht – also der Atmosphäre<br />

(an anderer Stelle) wieder entzieht.<br />

Treibhauseffekt<br />

Der Treibhauseffekt ist der Wärm<strong>es</strong>tau<br />

in der unteren Atmosphäre.<br />

Verursacher di<strong>es</strong><strong>es</strong> Effekts sind<br />

Treibhausgase (THG). <strong>Die</strong>se absorbieren<br />

Infrarot-Wärm<strong>es</strong>trahlung (z.B.<br />

von der Erdoberfläche) und geben sie<br />

wieder ab. Da<strong>du</strong>rch steigt der Wärmegehalt<br />

d<strong>es</strong> Klimasystems. Treibhausgase<br />

entstehen einerseits auf<br />

natürliche Weise. Andererseits erhöht<br />

der Mensch ihre Konzentration in der<br />

Atmosphäre zusätzlich. Daher gibt <strong>es</strong><br />

den natürlichen und anthropogenen<br />

Treibhauseffekt.<br />

Wetter und Klima<br />

Unter „Wetter“ versteht man den ständig<br />

wechselnden Zustand der Atmosphäre,<br />

z.B. aktuelle Temperaturen,<br />

Wind, Regen, Wolkendichte und Luftfeuchtigkeit.<br />

Es entsteht <strong>du</strong>rch Wetterlagen<br />

wie Tief- oder Hochdruckgebiete,<br />

die sich schnell verändern.<br />

Das „Klima“ hingegen bezeichnet das<br />

<strong>du</strong>rchschnittliche Wetter (inkl. Extremwerte),<br />

das an einem b<strong>es</strong>timmten<br />

Ort über einen längeren Zeitraum<br />

hinweg herrscht. Während man das<br />

„Wetter“ begrenzt vorhersagen kann,<br />

lässt sich das „Klima“ nur <strong>mit</strong> Statistiken<br />

anhand mehrerer M<strong>es</strong>sungen<br />

b<strong>es</strong>timmen.<br />

Ausgabe 11 | Mai 2019 | Umweltdialog.de<br />

81


Klimawandel<br />

guter<br />

Letzt<br />

Zu<br />

Mein Feind,<br />

der Baum?<br />

Der Wald ist seit der deutschen<br />

Romantik der Ort, an <strong>dem</strong> die<br />

deutsche Seele ihre Ruhe findet.<br />

Es gibt sogar schon den Welln<strong>es</strong>s-Begriff<br />

d<strong>es</strong> „Waldbadens“,<br />

früher bekannt als Waldspaziergang.<br />

Der Wald ist aber nicht nur<br />

Balsam für unsere Seele, sondern<br />

auch fürs Klima. Wälder absorbieren<br />

CO 2<br />

. Wälder sind das natürliche<br />

Bollwerk gegen den Klimawandel.<br />

Dachten wir bisher.<br />

Falsch gedacht, sagt Dominique Blain, wissenschaftliche<br />

Direktorin bei der kanadischen <strong>Klimaschutz</strong>behörde.<br />

Im ARD-Radio erläutert sie: „Wenn die Bäume wachsen,<br />

dann nehmen sie CO 2<br />

aus der Atmosphäre auf. Sie werden<br />

also zum Speicher. Aber wenn Bäume verfaulen,<br />

<strong>du</strong>rch Schädlinge absterben oder verbrennen <strong>du</strong>rch<br />

Waldbrände werden sie zur CO 2<br />

-Quelle.“ In der G<strong>es</strong>amtsumme<br />

sind Wälder kein<strong>es</strong>wegs CO 2<br />

-Speicher.<br />

Am Beispiel Kanadas haben Klima- und Treibhausgas-Statistiker<br />

sogar eine negative Bilanz errechnet:<br />

Demnach hat die bewirtschaftete Forstfäche Kanadas -<br />

wir reden hier von einer gigantischen Fläche von 226<br />

Millionen Hektar – in den letzten 15 Jahren mehr CO 2<br />

pro<strong>du</strong>ziert als aufgenommen. Vor allem Waldbrände<br />

verhageln die Statistik. 2016 etwa haben Kanadas Bäume<br />

rechnerisch 152 Megatonnen CO 2<br />

g<strong>es</strong>peichert, aber<br />

<strong>du</strong>rch Waldbrände und Pilz- und Schädlingsbefall wurden<br />

244 Megatonnen CO 2<br />

freig<strong>es</strong>etzt. Macht ein Minus<br />

von stolzen 92 Megatonnen CO 2<br />

. Das verhagelt Kanadas<br />

Klimabilanz – aktuell sind <strong>es</strong> 700 Megatonnen CO 2<br />

/ Jahr<br />

– ganz gewaltig. Und bis 2030 soll ja der Ausstoß um 30<br />

Prozent re<strong>du</strong>ziert werden. Was tun? <strong>Die</strong>se Emissionen<br />

tauchen künftig einfach nicht mehr in Kanadas offizieller<br />

Statistik auf. Begrün<strong>du</strong>ng: Ziel ist die Re<strong>du</strong>ktion d<strong>es</strong><br />

„Menschen-gemachten Klimawandels“. Tony Lemprìere,<br />

Klimapolitik-Manager der kanadischen Forstbehörde,<br />

sagt in der ARD: „Es geht um das, was wir kontrollieren<br />

können, Emissionen <strong>du</strong>rch Holzernte, solche Dinge.<br />

Aber wir können keine Waldbrände kontrollieren.“ f<br />

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82 Ausgabe 11 | Mai 2019 | Umweltdialog.de


Bisherige Ausgaben<br />

Das nächste<br />

UmweltDialog-Magazin<br />

erscheint am 15.11.2019.


GLOBAL GOALS FORUM 2019<br />

OCTOBER 10, 2019, BERLIN<br />

visitBerlin, Foto: Pierre Adenis<br />

Anmel<strong>du</strong>ng und weitere Informationen:<br />

globalgoals-forum.org<br />

Der Countdown läuft – 10 Jahre bleiben noch zur Umsetzung der Agenda 2030 und der globalen<br />

Nachhaltigkeitsziele, den Sustainable Development Goals (SDGs). Aus di<strong>es</strong>em Anlass laden die<br />

macondo foundation und das Deutsche Global Compact Netzwerk (DGCN) am 10. Oktober 2019 nach<br />

Berlin zum Global Goals Forum / zur DGCN-Teilnehmerkonferenz ein. Im Fokus steht dabei die <strong>Frage</strong>,<br />

welchen Beitrag Unternehmen zum Gelingen der Nachhaltigkeitsagenda beitragen können.<br />

Das Global Goals Forum versteht sich als „Marktplatz der Ideen“: In einer Zeit, wo Unvorhersagbarkeit<br />

die Signatur unserer Welt zu sein scheint, gibt die Konferenz führenden Persönlichkeiten aus Politik<br />

und Wirtschaft ein Forum, um zentrale <strong>Frage</strong>n wie gerechte Globalisierung, Klimawandel und unternehmerische<br />

Verantwortung zu diskutieren.

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