Berliner Zeitung 18.05.2019
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Anzeigen-Sonderveröffentlichung Nr. 41|20. Mai 2019<br />
<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 114 · 1 8./19. Mai 2019 15 *<br />
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Berlin<br />
Zivilcourage beginnt mit Empathie<br />
Jonny K. wollte einen Streit schlichten und wurde getötet. Seine Schwester gründete daraufhin den Verein „I am Jonny“, der junge Leute ermutigen soll<br />
VonKatrin Bischoff<br />
Der Eindruck täuscht<br />
enorm. Der Eindruck,<br />
dass der Verein „I am<br />
Jonny“ nicht mehr so aktiv<br />
ist wie nach dem Todvon Jonny K.<br />
Tina K., die den Verein nach ihrem<br />
Bruder benannt hat, ist nur nicht<br />
mehr so sehr in der Öffentlichkeit<br />
präsent wie damals.Ihr Bruder hatte<br />
im Oktober 2012 am Alexanderplatz<br />
einen Streit schlichten wollen und<br />
war dabei zu Tode geprügelt und getreten<br />
worden. Er wurde 20 Jahrealt.<br />
Noch im Krankenhaus, indem ihr<br />
Bruder starb, hatte Tina K. gedacht,<br />
dass sie etwas machen müsse. Sie<br />
gründete den Verein, um Menschen<br />
aufzurütteln, um Zivilcourage zu zeigen.<br />
„Denn wir alle können Jonny<br />
sein“, sagt Tina K.<br />
Die 34-Jährige sitzt an diesem<br />
Montag im Büro des Vereins in der<br />
Potsdamer Straße. Sie will noch immer<br />
nicht ihren vollen Namen in der<br />
<strong>Zeitung</strong> lesen. Es<br />
liegt am Schicksal<br />
ihres Bruders,<br />
der in allen <strong>Zeitung</strong>en<br />
nur<br />
Jonny K. genannt<br />
wurde. „Und ich<br />
bin Tina K., die<br />
Schwester von<br />
Tina K. verlor ihren Jonny K.“, erklärt<br />
Bruder durch eine sie. Die Abkürzung<br />
habe einst<br />
Gewalttat.<br />
auch ihre Familie<br />
schützen sollen, die nach der Tat<br />
von Journalisten belagert worden<br />
sei.<br />
Tina K. ist an diesem Tagnicht allein<br />
in dem hellen Büro. Am Konferenztisch<br />
sitzt auch der 16-jährige<br />
Tim Möcks. Beide koordinieren die<br />
nächsten Termine, die Workshops<br />
zum Thema Zivilcourage, indenen<br />
Tina K. auch über den Todihres kleinen<br />
Bruders sprechen wird, der nur<br />
helfen wollte. Die 34-Jährige hat<br />
montags frei, muss als Mutter eines<br />
eineinhalb Jahre alten Jungen nicht<br />
arbeiten. Tina K. ist Übersetzerin.<br />
Und bei Tim Möcks ist wegen Lehrermangels<br />
der Unterricht ausgefallen.<br />
Die gebürtige Spandauerin hat<br />
seit dem Tod von Jonny K. vor<br />
300 Schulklassen geredet. Nunist sie<br />
dabei, zusammen mit TimMöcks an<br />
Spandauer Schulen ein Netzwerkfür<br />
CHRISTIAN SCHULZ<br />
Alexanderplatz<br />
Zivilcourage aufzubauen. Möcks ist<br />
Schülersprecher der Spandauer<br />
Wolfgang-Borchert-Schule und Vorsitzender<br />
des Bezirksschülerausschusses<br />
in Spandau. Ziel des Netzwerkes<br />
sei es, an jeder Schule ein<br />
„I am Jonny“- Team mit engagierten<br />
Schülern aufzubauen, sagt Tina K.<br />
„Es gibt sehr viele junge Leute, die<br />
sich heute engagieren. Aber es läuft<br />
auch viel falsch an Berlins Schulen.“<br />
Mobbing, Schulschwänzer – alles<br />
Themen, die man nicht totschweigen<br />
dürfe, sondern hinterfragen<br />
müsse. Warum kommen schon<br />
Grundschüler nicht zur Schule? Was<br />
läuft schief? Werden sie in der Schule<br />
gemobbt, oder sind sie zu Hause Gewalt<br />
ausgesetzt? Fragen, mit denen<br />
sich die Teams befassen sollen.<br />
Tim Möcks hat Tina K. bei einem<br />
Workshop im vergangenen Jahr kennengelernt.<br />
Er habe sofort gewusst,<br />
dass derVerein„I am Jonny“ sehr viel<br />
bewegen könne, erzählt er. Tina sei<br />
authentisch, wenn sie von ihrem<br />
Bruder erzähle. Sie könne die Mädchen<br />
und Jungen überzeugen, das<br />
Gewalt nichts bringe, sagt der Ju-<br />
Zivilcourage<br />
Um den eigenen Wohnort sicherer zu machen, würden ...<br />
DIE SERIE<br />
Kriminalität und Prävention: Die Zahl der Gewalttaten ist weiter gestiegen, ebenso die Angst<br />
der Menschen, Opfer eines Verbrechens zu werden. Wasbedeutet das für das<br />
Zusammenleben in unserer Stadt? Wiekönnen Politik, Sicherheitsbehörden und Bürger<br />
dieser Entwicklung entgegensteuern? Diese Fragen werden am 20. und 21. Mai beim<br />
24. Deutschen Präventionstag (DPT) im Estrel Congress Center in Neukölln erörtert.<br />
Teilnehmer: 600 Vortragende und Fachinstitutionen und mehr als 3000 Teilnehmende aus<br />
den Bereichen Präventionspraxis, -politik und -wissenschaft sind beim DPT vertreten.<br />
Serie: Anlässlich des Deutschen Präventionstages beschäftigte sich die <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> in<br />
dieser Woche mit Fragen rund um Kriminalität und Vorsorge. Es ging um Wohnungseinbrüche,<br />
Drogendelikte, Gewalt auf dem Schulhof und Extremismus. Mit diesem Teil endet die Serie.<br />
gendliche. Wie groß die Resonanz<br />
auf die Workshops sei, habe sich an<br />
einem Freitagnachmittag im vergangenen<br />
Oktober gezeigt. 70 Schülerund<br />
Klassensprecher seien zur Auftaktveranstaltung<br />
für das Courage-<br />
Netzwerk gekommen, erzählt<br />
Möcks.<br />
15%<br />
Fragt man Tina<br />
K., was für sie eigentlich<br />
Zivilcourage<br />
bedeutet, dann<br />
antwortet sie,dass es<br />
nicht nur darum gehe,<br />
Gewalt zu stoppen. „Zivilcourage<br />
fängt bereits<br />
Zivilcourage zeigen/<br />
bei Straftaten nicht wegsehen<br />
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In der Rathausstraße<br />
erinnerteineTafel an Jonny<br />
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POLIZEI<br />
BLZ/GALANTY; QUELLE: FORSA 2018<br />
mit Achtsamkeit und Empathie gegenüber<br />
anderen an“, sagt Tina K. Sie<br />
stellt bei ihren Workshops den Schülern<br />
häufig zuallererst eine Frage:<br />
Wofür seid ihr dankbar? „Und es ist<br />
erstaunlich, wie viele junge Menschen<br />
plötzlich in sich gehen und<br />
über diese Frage nachdenken“, sagt<br />
die junge Frau. Auch darüber, dass<br />
man dankbar sein könne,zuleben.<br />
Für Tim Möcks beinhaltet Zivilcourage<br />
auch die Hilfe für den anderen.<br />
Er erzählt davon, dass Schüler<br />
aus Spandau und Wedding im vorigen<br />
Jahr einer wohnungslosen vietnamesischen<br />
Familie geholfen hätten.<br />
Die alleinerziehende Mutter<br />
und deren zwei Kinder bekamen<br />
nach seinen Worten<br />
eine völlig heruntergekommene<br />
Bleibe zugewiesen.<br />
„Wir haben<br />
die Wohnung tapeziert,<br />
Möbel besorgt<br />
– und es hat<br />
echt Spaß gemacht“,<br />
erzählt Tim Möcks.<br />
Auch das sei „I am<br />
Jonny“.<br />
In den Workshops wird nicht selten<br />
auch über Politik geredet, über<br />
das,was falsch läuft in diesem Land.<br />
„Darüber, dass die Schere zwischen<br />
Arm und Reich immer weiter auseinandergeht“,<br />
sagt Tina K. Die Schüler<br />
überlegen dann, was man tun<br />
könne,umdiesen Trend zu stoppen.<br />
„Es stimmt nicht, dass sich junge<br />
Leute immer weniger für Politik interessieren.<br />
Dassieht man an der Fridays-for-future-Bewegung“,<br />
ist die<br />
34-Jährige überzeugt. Und Tim<br />
meint: „Die Politik von heute ist aus<br />
meiner Sicht völlig realitätsfern.“<br />
Darummüsse man sich engagieren.<br />
Tina K. weiß, dass sie das Schicksal<br />
ihres Bruders nie loslassen wird.<br />
Und auch ihre Familie werde damit<br />
leben müssen, sagt die fröhliche<br />
junge Frau, die keinesfalls verbittert<br />
wirkt. In ihrer Wohnung hänge ein<br />
großes Bild von ihrem kleinen Bruder<br />
Jonny. Es schmerze sie immer<br />
wieder, wenn sie daran denke, dass<br />
er seinen Neffen niemals habe kennenlernen<br />
dürfen.<br />
Tina K. hat<br />
ihren Sohn, der<br />
zwei Tage nach<br />
Jonnys Todestag<br />
zur Welt kam,<br />
Rajon genannt.<br />
Ra steht für den<br />
ägyptischen<br />
Sonnengott, jon<br />
für Jonny.<br />
Tina K. sucht<br />
für den Verein,<br />
CHRISTIAN SCHULZ<br />
TimMöcks<br />
engagiertsich in<br />
Tina K.s Verein<br />
der sich immer noch aus Spenden finanziert,<br />
derzeit nach einer neuen<br />
Bleibe. „IamJonny“ sei dabei, sich<br />
neu aufzustellen, größer zu werden,<br />
erzählt sie.Nach Spandau sollen auch<br />
an den Schulen der anderen Bezirke<br />
„I am Jonny“-Teams für Zivilcourage<br />
entstehen. Dann soll die Bewegung<br />
deutschlandweit ausgebaut werden.<br />
Es gebe Anfragen aus Bayern, Nordrhein-Westfalen,<br />
Hamburg.<br />
Tim Möcks macht derzeit den<br />
mittleren Schulabschluss und will<br />
danach in der Altenpflege arbeiten.<br />
„Später will ich der älteren Generation<br />
helfen“, sagt er.AmNachmittag<br />
haben Tina K. und Tim Möcks noch<br />
einen Termin, auf dem sie ihr Zivilcourage-Netzwerk<br />
bekannt machen<br />
wollen. Beim Deutschen Präventionstag<br />
ist „I am Jonny“ auch vertreten.<br />
Der Verein will Gesicht zeigen<br />
und für Zivilcourage werben.<br />
BERLIN<br />
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SICHERHEIT<br />
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Die Themen in dieser Beilage<br />
Wie sicher ist Ihr Zuhause?<br />
DerrichtigeSchutz gegenunerwünschten Besuch<br />
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am Montag, den<br />
20.05.2019,<br />
in Ihrer<br />
<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong><br />
Augenauf! 04<br />
Gefahren rechtzeitig erkennen<br />
Runder Tisch 06<br />
Sicherheit aus vielen Perspektiven<br />
Abgesichert 10<br />
So schützen Sie Ihr Zuhause<br />
Sommerzeit ist Urlaubszeit<br />
WieSie sich optimal auf einesichereReise vorbereiten<br />
Gefahr erkannt,Gefahr gebannt<br />
Mehr Sicherheit durch Achtsamkeit<br />
Herausforderungen 02<br />
Obwohl die Fallzahlen der Straftaten in Berlin sinken, fühlen<br />
sich viele Menschen unsicher. Worin liegen die Ursachen und<br />
was sind die dringendsten Aufgaben der <strong>Berliner</strong> Polizei?