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Berliner Zeitung 18.05.2019

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18./19. MAI 2019 7<br />

Mutter und Tochter<br />

im Gespräch: „Das Beste ist, die Kinder<br />

Es gibt Wichtigeres, als perfekt<br />

selbst<br />

herausfinden<br />

zu lassen,wer sie sind und was sie werden wollen.“<br />

zu<br />

sein<br />

Das Kind weigert<br />

sich, zur Schule zu<br />

gehen, trödelt<br />

herum oder hat<br />

wieder unendlich schlechte<br />

Laune. Und man ist eh schon<br />

spät dran. Da bricht es aus einem<br />

heraus: Man schreit los,<br />

meckert und kritisiert. Im gleichen<br />

Moment merkt man schon,<br />

dass das keine gute Idee war.<br />

Denn eigentlich wollte man ja<br />

nicht laut werden. Und das Kind<br />

guckt einen bedröppelt an, wendet<br />

sich ab oder schmollt noch mehr.<br />

Doch wie kann man in solchen Momenten<br />

anders reagieren, besser mit<br />

dem Kind umgehen und die Situation gut<br />

auflösen? Undwie können es Elterngrundsätzlich<br />

schaffen, auch im vollen Alltag die<br />

Bedürfnisse ihres Kindes zu respektieren<br />

und ihm ein gesundes Selbstwertgefühl zu<br />

vermitteln? Die schwedische Erziehungsexpertin<br />

Petra Krantz Lindgren zeigt in ihrem<br />

neuen Buch „Wenn du mit mir schimpfst,<br />

kann ich mich nicht leiden, Mama“ an ganz<br />

praktischen Beispielen, wie allein die Artund<br />

Weise,wie wir uns ausdrücken, wenn wir mit<br />

unserem Kind sprechen, alles verändern<br />

kann. EinGespräch.<br />

Frau Krantz Lindgren, warum ist es so<br />

wahnsinnig wichtig, wie Eltern mit ihren<br />

Kindern sprechen? Hängt die Artund Weise,<br />

wie das Kind sich selbst sieht, wirklich von<br />

so etwas ab?<br />

Wenn ich meinem Kind immer wieder<br />

sage, dass es dumm ist, wird esdas irgendwann<br />

glauben. Wenn ich ihm immer wieder<br />

sage,dass es ein Weichei ist, wirdesdie eigenen<br />

Gefühle infrage stellen.Wenn ich meiner<br />

Tochter dauernd sage, Mathe ist nichts für<br />

sie,wirdsie vermutlich keine KarriereinMathematik<br />

anstreben. Das bedeutet nicht, wir<br />

sollten unseren Kindern immer sagen, dass<br />

sie klug, starkoder zukünftige Mathe-Genies<br />

sind. Das Beste was wir tun können, ist, sie<br />

selbst herausfinden zu lassen, wer sie sind<br />

und was sie werden wollen.<br />

Und doch wählen Eltern oft die falschen<br />

Worte. Können Sieein paar Beispiele nennen,<br />

wann sie bei der täglichen Erziehung das Falsche<br />

sagen –und wie sie es besser machen<br />

könnten?<br />

Ob etwas richtig oder falsch ist, hängt davonab,<br />

was man erreichen will. Für mich ist es<br />

wichtig, dass meine Tochter lernt, ihre Gefühle<br />

auszudrücken und ernst zu nehmen.<br />

Deswegen tue ich mein Bestes,ihr zu zeigen,<br />

dass ihre Emotionen wichtig für mich sind.<br />

Wenn sie sagt: „Ich werde nie wieder zur<br />

Schule gehen!“ und ich darauf antworte: „Du<br />

musst aber,indiesem Land gibt es schließlich<br />

eine Schulpflicht!“, dann nehme ich ihre Gefühle<br />

nicht ernst. Stattdessen könnte ich zu<br />

ihr sagen: „Du wirkst aufgebracht. Ist etwas<br />

passiert?“ Wenn mein Kind sagt: „Ich hasse<br />

Jake,erist ein Idiot“, dann sage ich nicht: „So<br />

redet man nicht über einen Freund.“ Stattdessen<br />

antworte ich nur: „Du klingst echt wütend.“<br />

Vielleicht sollte man schon irgendwann<br />

darüber reden, dass man so etwas nicht<br />

über seine Freunde sagt, aber wenn das Kind<br />

so aufgebracht ist, ist der Zeitpunkt ganz unpassend.<br />

Noch ein weiteres Beispiel dazu:<br />

Wenn das Kind sagt: „Ich glaube,Sophie mag<br />

mich nicht mehr“, und die Eltern antworten<br />

„Natürlich mag sie dich!“, dann drücken sie<br />

damit aus: „Deine Gefühle sind falsch.“ Stattdessen<br />

könnten sie einfach erwidern: „Du<br />

klingst traurig. Möchtest du darüber reden?“<br />

Zerstören Eltern manchmal das Selbstbewusstsein<br />

ihrer Kinder, obwohl sie es eigentlich<br />

gut meinen?<br />

Ichwürde hier nicht das Wort „zerstören“<br />

benutzen, das klingt zu hart. Ichglaube aber<br />

Dass zu viel Schimpfen der Entwicklung der Kinder schadet, hat sich<br />

inzwischen rumgesprochen. Erziehungsexpertin Petra Krantz Lindgren<br />

erklärt nun, dass auch übermäßiges Lob zu Selbstzweifel führen kann<br />

schon, dass das wohlmeinende Verhalten<br />

der Eltern für Kinder nicht immer so günstig<br />

ist. Phrasen wie „gut gemacht“ oder “lieber<br />

Junge“ tun Kindern zum Beispiel nicht gut.<br />

Wenn wir ein Kind nur danach beurteilen,<br />

was es tut, hat es das Gefühl, dass es nur darüber<br />

definiertwird–und nicht über das,was<br />

es ist, also was es fühlt, denkt und hofft.<br />

Wenn ihm dann etwas nicht gelingt, bekommt<br />

es schnell den Eindruck, ein Versager<br />

zu sein. Eltern sollten ihr Kind also nicht<br />

ständig für etwas preisen, sondern sich einfach<br />

ernsthaft für ihr Kind interessieren. Natürlich<br />

darf auch mal gelobt werden. Aber<br />

warum sollten Eltern Kinder bewerten? Kinder<br />

werden durchandereDinge angetrieben.<br />

Sie malen und bauen, weil sie sich kreativ<br />

ausdrücken wollen. Sie klettern, weil sie Bewegung<br />

und eine Herausforderung brauchen.<br />

Sielernenmit Messer und Gabel zu essen,<br />

um selbstständig zu werden.Wir Eltern<br />

können einfach an ihren Erfahrungen teilnehmen.<br />

Unddann mit ihnen jubeln, wenn<br />

ihnen etwas gelingt oder mittrauern, wenn<br />

es einmal nicht gelingt.<br />

Wie wichtig ist es, dass Eltern ihre Kinder<br />

dabei genau beobachten und ihnen wirklich<br />

zuhören?<br />

Das ist unglaublich wichtig! Wie sollen<br />

Kindern lernen, ihre Bedürfnisse und Gefühle<br />

ernst zu nehmen, wenn die Eltern das<br />

nicht tun? Heute gibt es so viele Menschen,<br />

die unglücklich sind, weil sie den Traum anderer<br />

Leute leben statt ihren eigenen. So<br />

viele sind ausgebrannt, weil sie zuden Forderungen<br />

anderer nicht „Nein“ und zu den<br />

eigenen Bedürfnissen nicht „Ja“ sagen gelernt<br />

haben. Unseren KindernAufmerksamkeit<br />

zu schenken heißt aber nicht, sie machen<br />

zu lassen, was sie wollen. Es geht vielmehr<br />

darum, ihre Gefühle und Bedürfnisse<br />

anzuerkennen –genau so wie wir unsere eigenen<br />

und die des Partners anerkennen. Eltern<br />

sollten sich deshalb immer fragen: Wie<br />

Interview: Isabell Wohlfarth<br />

PetraKrantz Lindgren ...<br />

…ist eine der bekanntesten Familientherapeutinnen<br />

in Schweden. Sie bietet Kurse und<br />

Vorträgefür Erwachsene an, die ihre Beziehung<br />

zu ihren Kindernentwickeln möchten.<br />

…beantwortet auf ihrem Blog „En annan du“<br />

(Ein anderes du) http://petrakrantzlindgren.se/<br />

regelmäßig Fragen über Erziehung und richtige<br />

Kommunikation mit Kindern.<br />

…veröffentlichte zuletzt das Buch „Wenn du<br />

mit mir schimpfst, kann ich mich nicht leiden,<br />

Mama.“ (Trias Verlag,152 S.,14,90 Euro).<br />

IMAGO IMAGES, G. LILJEVALL<br />

würde ich mich fühlen, wenn mich jemand<br />

so behandeln würde, wie ich mein Kind behandele?<br />

Es ist wichtig, ihnen beizubringen,<br />

dass siedie Gefühle anderer berücksichtigen<br />

undeine Lösung finden, diefür alle Beteiligten<br />

funktioniert. Sie sollten lernen, wie sie<br />

kooperieren und Konflikte lösen können.<br />

Das sind entscheidende Überlebensstrategien<br />

in unserer heutigen Gesellschaft.<br />

Und wie kann man dem Kind imAlltag zeigen,<br />

dass man seine Gedanken und Gefühle<br />

für wichtighält?<br />

Man könnte dem Kind zum Beispiel Fragen<br />

stellen, zu dem, was estut –und zwar<br />

ohne zu bewerten oder loben. Das könnten<br />

Fragen sein wie: „Erzähl mir etwas über dieses<br />

Bild.“ oder „Wie fühlt es sich an, wenn du<br />

so hoch schaukelst?“ oder „Was denkst du<br />

über die Ergebnisse des Mathe-Tests?“ Solche<br />

Fragen stoßen weitereGespräche an und<br />

zeigen, dass man sich für die Gedanken und<br />

Gefühle des Kindes interessiert. Dabei sollten<br />

Eltern nicht immer die gleichen Fragen<br />

stellen. Täglich geäußerte Sätze wie „Wie<br />

war’s in der Schule?“ oder „Mit wem hast du<br />

gespielt?“ hören sich eher wie ein Pflichtprogramm<br />

an. Stattdessenkönnten Erwachsene<br />

einfach mal Neugier zeigen und Neues fragen.<br />

„Wenn du unsichtbar sein könntest –<br />

was würdest du tun?“ Oder:„Heute habe ich<br />

in der <strong>Zeitung</strong>gelesen, dass Lehrer Jungs und<br />

Mädchen anders behandeln. Wie ist das an<br />

eurer Schule?“<br />

MancheEltern loben ihr Kind nur,wennesetwas<br />

Besonderes erreicht. Wie können sie ihm<br />

stattdessen auch im Alltag immer wieder Bestätigung<br />

geben?<br />

Eltern können ihren Kindernzeigen, dass<br />

sie ihnen wichtig sind, wenn sie Zeit mit ihnen<br />

verbringen. Undsie auch spüren lassen,<br />

wie sehr sie das genießen. Gerade Müttern<br />

und Vätern, die viele Konflikte mit ihren Kindernhaben,<br />

empfehle ich, jedenTag10bis 15<br />

Minuten Spaß zu haben mit ihren<br />

Söhnen oder Töchtern.<br />

Verstecken spielen, Tanzen, ein<br />

Spiel spielen –eigentlich egal,<br />

was es ist. Entscheidend ist,<br />

dass sie jeden Tagetwas tun,<br />

das Liebe und Zusammengehörigkeit<br />

ausdrückt. Oft kommt es<br />

so rüber, als würden Eltern ihrem<br />

Kind einen Gefallen tun,<br />

wenn sie Zeit mit ihm verbringen.<br />

Wenn sie etwa sagen: „Ich kann dir<br />

jetzt ein Buch vorlesen, wenn du<br />

willst.“ Dabei sollten sie es umdrehen<br />

und ausdrücken, dass sie gerne<br />

Zeit mit dem Kind verbringen wollen:<br />

„Ich würde furchtbar gerne ein Buch mit<br />

dir lesen. Bist du dabei?“ Das schafft ein<br />

Gefühl vonGemeinschaft.<br />

Sie sagen: Die Art und Weise, wie Eltern mit<br />

Kindern umgehen, beeinflusst maßgeblich,<br />

wie diese sich selbst wahrnehmen. Kann man<br />

dieser riesigen Verantwortung überhaupt jemals<br />

gerecht werden?<br />

Natürlich spielt es eine riesengroße Rolle,<br />

wie wir unsereKinder behandeln. Allerdings<br />

sind sie nicht einfach leere Leinwände, die<br />

von den Eltern bemalt werden. Es gibt viele<br />

andere Faktoren in ihrem Leben, von denen<br />

sie beeinflusst werden. Sie haben immer<br />

noch ihren eigenen Willen und ihre eigene<br />

Persönlichkeit. Ich glaube nicht, dass Eltern<br />

hier einer Verantwortung gerecht werden<br />

müssen. Meine Tochterhat einmal zu mir gesagt:<br />

„Elternsollten ihren Kindernnicht beibringen,<br />

perfekt zu sein, sonderndass sie gut<br />

genug sind, genau so wie sie sind.“ Auch Kinder<br />

brauchen nämlich keine perfekten Eltern,<br />

die immer mit allem zurecht kommen.<br />

Siebrauchen echte Vorbilder.Menschen, die<br />

ihr Bestes geben, Ideale und Ziele haben,<br />

aber auch die Fähigkeit, sich selbst zu vergeben,<br />

wenn sie diese nicht immer erreichen.<br />

Viel wichtiger als perfekt zu sein ist es, KinderninechtenLebenssituationen<br />

zu zeigen,<br />

dass man sie bedingungslos liebt.<br />

Undtrotzdem haben Eltern oft ein schlechtes<br />

Gewissen, weil sie ihreKinder nicht so gut behandelt<br />

haben.Wiekönnen sie besser mit den<br />

Schuldgefühlen umgehen?<br />

Wenn wir uns schuldig fühlen, hängt das<br />

in der Regel damit zusammen, dass wir uns<br />

um etwas kümmern, das uns wichtig ist, aber<br />

in der gleichen Zeit etwas anderes Wichtiges<br />

vernachlässigen. Wenn ich zum Beispiel<br />

mein Kind anschreie, weil es noch aufs Klo<br />

muss und wir fast den Bus verpassen, dann<br />

kann ich mich natürlich nachträglich als<br />

schlechte Mutter fühlen. Ich kann es aber<br />

auch so sehen: Ich habe mein Kind respektiert.<br />

Wenn ich wirklich eine schlechte Mutter<br />

wäre, würde ich mich gar nicht erst<br />

schlecht fühlen, weil ich es angeschrieen<br />

habe.Wir sollten also Schuldgefühle nicht als<br />

etwas Schlechtes betrachten: Es ist einfach<br />

nur eine Nachricht unseres Unterbewusstseins,dass<br />

wir Gutes wollen, aber eben nicht<br />

perfekt sind und manchmal scheitern. Wenn<br />

Elternsich schuldig fühlen, dann können sie<br />

Verantwortung für ihre Fehler übernehmen.<br />

Sich etwa fragen: Was könnte ich morgen<br />

besser machen, um allen Bedürfnissen gerecht<br />

zuwerden? Und sie könnten sich bei<br />

Ihrem Kind entschuldigen: „Tut mir leid,<br />

dass ich dich heute Morgen angeschrieen<br />

habe. Ich war gestresst und wollte den Bus<br />

nicht verpassen. Deshalb hab ich dich so<br />

behandelt. Morgen früh werde ich dich früher<br />

daran erinnern, noch mal aufs Klo zu gehen.<br />

Okay?“<br />

Isabell Wohlfarth denkt sich jetzt<br />

kreativere Fragen aus, wenn sie ihre<br />

Kinder nach deren Tagfragt.

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