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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 118 · D onnerstag, 23. Mai 2019 – S eite 21 *<br />
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Feuilleton<br />
Gucken! Die Deutsche<br />
Kinemathek bietet<br />
Qualitätsfernsehen.<br />
Seite 23<br />
„Das Schadenspotenzial einer Filmkritik ist begrenzt.“<br />
Daniel Kothenschulte versucht Quentin Tarantino zu beruhigen, dessen neuer Film in Cannes zur Premiere kam. Seite 22<br />
Hoher Arbeitsbesuch<br />
Feuerwehr und<br />
Schriftsteller<br />
Cornelia Geißler<br />
hat ein Königspaar<br />
aus der Nähe betrachtet<br />
Deutschland hat keinen König,<br />
das wird einem selten einmal<br />
bewusst. Eine Königin oder ein König<br />
fordert ordentliche Garderobe,<br />
spezielle Handlungsabläufe und<br />
Formulierungen. „Seine Majestät<br />
König Willem-Alexander und Ihre<br />
Majestät Königin Máxima statten<br />
von Montag, 20. Mai bis Mittwoch,<br />
22. Mai 2019 Mecklenburg-Vorpommern<br />
und Brandenburg einen<br />
Arbeitsbesuch ab“, teilt die Niederländische<br />
Botschaft mit.<br />
Die ZDF-Redakteurin Luzia<br />
Braun kannte Könige bisher nur<br />
aus dem Märchen, sagt sie am<br />
Dienstagabend in der Historischen<br />
Saftfabrik in Werder, da<br />
hatte sie bereits Máxima und Willem-Alexander<br />
begrüßen dürfen.<br />
Ein paar Dutzend literatur- und<br />
kulturverbundene Menschen, von<br />
der Schriftstellerin (zum Beispiel<br />
Helga Schütz) bis zur Schlossherrin<br />
(zum Beispiel die neue Chefin<br />
des Künstlerhauses Wiepersdorf)<br />
sind versammelt, ausgewählt von<br />
der Niederländischen Botschaft in<br />
Berlin und vor allem vom Brandenburgischen<br />
Literaturbüro.<br />
Dass dieses seit 25 Jahren Lesen<br />
und Land verbindet, würdigt der<br />
märchenhafte Besuch auch.<br />
Zwischen Vorspeise und Hauptgang<br />
hat Luzia Braun das Unterhaltungsprogramm<br />
zu bestreiten<br />
und die Schriftsteller Lutz Seiler<br />
(Deutschland) und Tommy Wieringa<br />
(Niederlande) zu befragen.<br />
Das Thema war mit „Literatur und<br />
gesellschaftliche Transformationsprozesse<br />
im ländlichen Raum“<br />
hoch gehängt. Die Gesprächspartner<br />
meiden die großen Vokabeln<br />
und zeigen sich auch in wenigen<br />
Sätzen als Erzähler. Wieringa<br />
spricht von Dörfern an der<br />
deutsch-niederländischen<br />
Royale Literaturfreunde aus Den Haag:<br />
Máxima und Willem-Alexander<br />
DPA<br />
Grenze, wo die Übriggebliebenen<br />
wohnen, die nicht woanders<br />
ihr Glück gesucht haben. Die<br />
Worte Drogen und Alkohol fallen.<br />
Lutz Seiler lobt die Leute, die Literatur<br />
in kleine Orte bringen. Wichtig<br />
sei, dass die Menschen merkten,<br />
man interessiere sich für sie.<br />
„Das restauriert ein wenig den<br />
bröckelnden sozialen Kitt.“ Das<br />
könne sogar die Feuerwehr tun,<br />
wenn sie den Kindernund Jugendlichen<br />
zeige, dass man gemeinsam<br />
etwas zu Wege bringe. Politischer<br />
wird das kurze –öffentliche –Gespräch<br />
nicht.<br />
In Rathenow und Lübbenau, in<br />
Potsdam und Luckenwalde werden<br />
von August bis November niederländische<br />
Autoren lesen.<br />
Tommy Wieringa wird im Peter-<br />
Huchel-Haus in Wilhelmshorst zu<br />
Gast sein. Dortist Lutz Seiler König –<br />
er verantwortet das literarische Programm.<br />
Es ist heiß in der Stadt, und<br />
der nicht enden wollende<br />
Sommer 2018 scheint an<br />
den Kräften zu zehren. Eine<br />
wachsende Nervosität durchzieht die<br />
sich in feinen Nuancen voneinander<br />
unterscheidenden Kieze Berlins.Walter<br />
Noack sieht genau hin bei seinen<br />
ausgedehnten Läufen um Mitternacht,<br />
er hat sie im Blick, die Party-<br />
Areale in Friedrichshain und die vagabundierenden<br />
Dealer aus dem<br />
Görlitzer Park, aber sie interessieren<br />
ihn nicht weiter. Erhält sich fit, Laufen<br />
und Schwimmen, von der Oberbaumbrücke<br />
bis zum Plänterwald.<br />
Noack gehört einer journalistischen<br />
Putztruppe an. In dem großen<br />
Verlagshaus, dessen Ähnlichkeiten<br />
mit dem Springer-Verlag ausdrücklich<br />
gewollt sind, ist er mit einigen<br />
anderen eigens dafür angestellt, die<br />
Hasskommentareunter den Artikeln<br />
der Online-Ausgaben zu sichten und<br />
gegebenenfalls zu löschen.<br />
Löschen, löschen, löschen<br />
Der Job erfordert journalistisches<br />
Einschätzungsvermögen, permanente<br />
Aufmerksamkeit und starke<br />
Nerven. Nicht jeder hält es aus, aus<br />
der Kloake der Meinungsfreiheit das<br />
herauszufischen, was über die<br />
Stränge schlägt. Jeden TagVerschwörungstheorien,<br />
ausländerfeindliche<br />
Hetze, Merkel muss weg. Löschen,<br />
löschen, löschen.<br />
Manchmal muss geantwortet werden,<br />
dann verwendet die Sonderabteilung<br />
der Redaktion einen Tarnnamen.<br />
Freunde machen sie sich mit ihrer<br />
Arbeit nicht, in der Kollegenhierarchie<br />
stehen Noack und Peppa, mit<br />
der er sich ein wenig angefreundet<br />
hat, weit unten. VonPeppa heißt es,<br />
sie studiere Kulturwissenschaften in<br />
Frankfurt (Oder), aber oft schiebt sie<br />
Doppelschichten –des Geldes wegen<br />
und um die Zeit rumzubringen. Auf<br />
eine berufliche Karriere sind beide<br />
nicht aus,Noack ist ein Loner,der den<br />
Job braucht. Seine Frau hat ihn verlassen,<br />
nachdem er mit einem kleinen<br />
Kramladen pleiteging, gelegentlich<br />
schaut sein Sohn Nick vorbei.<br />
Johannes Groschupf hat in seinem<br />
als Thriller bezeichneten Roman<br />
„Berlin Prepper“ das hektisch-düstere<br />
Bild einer Metropole skizziert,<br />
deren Menschen das,was einmal Lebensstil<br />
genannt wurde, aus den Augen<br />
verloren haben. Sie sind auf<br />
Schlimmeres gefasst. Man kämpft<br />
Berlin hat erhöhte Temperatur<br />
Reichsbürger,Journalisten und Security-Mafia: Johannes Gropschupfs Thriller „Berlin Prepper“<br />
sich durchs Leben und versucht, mit<br />
den Überforderungen und Zumutungen<br />
klarzukommen. Es ist ein<br />
schnelles und rohes Buch, das vom<br />
subtilen Witz seines Autors lebt, der<br />
mit seinem Gespür für scheinbare<br />
Nebensächlichkeiten eine flirrende<br />
Atmosphäreerzeugt.<br />
Berlin hat erhöhte Temperatur,<br />
und einer wie Groschupfs Held<br />
Noack ist in der Lage,sie zu messen.<br />
Wenn in den Medien Gewalt und<br />
Kriminalität behandelt werden, an<br />
der Flüchtlinge beteiligt waren,<br />
steigt die Intensität der Hasskommentare<br />
sprunghaft an. Je nach<br />
Nachrichtenlage vermag Noack sein<br />
Arbeitsaufkommen vorherzusehen.<br />
DieEmotionen, die aus der digitalen<br />
Welt in seinen Alltag hereinschwappen,<br />
sind nicht die Wirklichkeit, aber<br />
doch ein Teil vonihr.<br />
Johannes Groschupf hat lange als<br />
Journalist und Autor gearbeitet, ehe<br />
er 2005 seinen Roman „Zuweitdraußen“<br />
veröffentlichte, der von der<br />
Rückkehr ins Leben nach einem<br />
schweren Unfall handelt. Es ist auch<br />
seine Geschichte. 1995 war er als Insasse<br />
eines Hubschraubers über der<br />
Saharaabgestürzt und hatte schwere<br />
Verbrennungen erlitten. Allein seine<br />
Füße blieben vomFeuer verschont.<br />
In dem Roman schildert ernicht<br />
nur das Leiden an den Transplantationen<br />
und der Furcht vor Ausgrenzung<br />
danach. Groschupf erzählt<br />
auch vom Scheitern seiner Ehe und<br />
dem Mut, den ihm seine Kinder mit<br />
ihrer lakonischen Art machten. Der<br />
Roman eröffnete ihm ein ganz neues<br />
Kapitel seiner Autorschaft, obwohl er<br />
bereits als junger Mann eine Art<br />
VonHarry Nutt<br />
Das nächtliche Idyll an der Oberbaumbrückebildet den Überlebensparcour für den Romanhelden Walter Noack.<br />
DAS BUCH<br />
West-<strong>Berliner</strong> Berühmtheit war.<br />
Nicht er persönlich, sondern sein<br />
PseudonymOlgaO’Groschen, unter<br />
dem er 1988 eine „Gebrauchsanweisung<br />
für Neukölln“ veröffentlicht<br />
hatte. Das kleine Bändchen war ein<br />
liebevoll-ironischer Bericht aus dem<br />
damals weitgehend vernachlässigten<br />
<strong>Berliner</strong> Bezirk, der miteinander<br />
kaum in Berührung kommende soziale<br />
Welten in sich vereinte. Die Lebenswirklichkeit<br />
türkischer und arabischer<br />
Migranten prallte hier auf<br />
ein in sich verkapseltes Kleinbürgertum<br />
sowie Studenten, die zwischen<br />
Johannes Groschupf: Berlin Prepper Suhrkamp, 238 S.,14,95 Euro<br />
den häufigen Wohnungswechseln<br />
zum Schlafen herkamen.<br />
Vom hippen Szenebezirk Kreuzkölln,<br />
der heute vergnügungsbereite<br />
Touristen aus ganz Europa anlockt,<br />
war damals noch nicht viel zu sehen.<br />
Eher schon lassen sich heute in den<br />
vermeintlich gentrifizierten Straßen<br />
noch immer Reste des muffig heruntergekommenen<br />
Neukölln der 80er-<br />
Jahrefinden, das Olga O’ Groschen zu<br />
seiner Abenteuerreise gleich um die<br />
Ecke animierthatte.<br />
Johannes Groschupfs Lust an der<br />
Beschreibung sozialer Milieus ist<br />
auch in „Berlin Prepper“ zu finden,<br />
wo all dies jedoch nicht auserzählt,<br />
sondern subtil angedeutet wird. Es<br />
gibt nichts mehr zu entdecken, die<br />
Neugier der Menschen aufeinander<br />
ist verflogen. Die wie atomisiert wirkenden<br />
Einzelnen versuchen mit sich<br />
klarzukommen, so gut es geht. Aber<br />
„Berlin Prepper“ ist keine Sozialstudie,<br />
sondern ein Thriller, und Handlung<br />
kommt auf wie ein Sturm, als<br />
Noack eines Abends beim Verlassen<br />
des Verlages einen Schlag mit einem<br />
hölzernen Gegenstand verpasst bekommt.<br />
Wenig später erwischt es<br />
auch Peppa, und die Suche nach Täternund<br />
Motivenwirdzueiner fiebrigen<br />
Durchquerung der Stadt.<br />
Noackist natürlich nicht der kühle<br />
Beobachter, der weiß, wie die Sache<br />
läuft. Seine Überlegenheit ist eine Illusion,<br />
sein Fitnessprogramm ist das<br />
zwanghafte Tun eines Preppers. Es<br />
geht nicht um Sport und körperliche<br />
Ertüchtigung, er gehört zu der Sorte<br />
Überlebenskünstler, die für den<br />
Ernstfall vorsorgen. In der Stadt hat<br />
Noack kleine Notlager errichtet, Verstecke,indenenerLebensmittelund<br />
Medikamente bunkert.Wenn es noch<br />
schlimmer kommt, glaubt er sich zu<br />
helfen zu wissen. Als sein Sohn in die<br />
Suche nach den Tätern hineingezogen<br />
wird, sieht er sich gezwungen,<br />
seine Deckungaufzugeben.<br />
Soziologischer Blick<br />
MOMENT RF<br />
Soweit der Plot für Krimifreunde.<br />
„Berlin Prepper“ kann man sich auch<br />
als bildstarken „Film noir“ vorstellen,<br />
und doch leben Groschupfs Beschreibungen<br />
neben der Erzeugung von<br />
Spannung vor allem von seinem soziologischen<br />
Blick. Auf der Suche<br />
nach der Wahrheit taucht Noack ein<br />
in die Gesellschaft von Security-Leuten,<br />
die Peppa und ihn seltsamerweise<br />
nicht schützen konnten. Eine<br />
falsche Fährte führtinein Containerdorf<br />
für Flüchtlinge gegenüber der<br />
Berlinischen Galerie.Als es an der Zeit<br />
ist, sich zu bewaffnen, geraten Peppa<br />
und er in Kontakt mit einem Schießklub<br />
inTempelhof, der sich alsbald als<br />
verschworene Zelle von Reichsbürgernentpuppt.<br />
In seiner beiläufigen Art, dies alles<br />
passieren zu lassen, entgeht Groschupf<br />
der Gefahr,einen süßen Cocktail<br />
aus Berlin-Klischees zu mixen.<br />
„Berlin Prepper“ ist schnell geschrieben.<br />
Wie bei einer TV-Soap werden<br />
politische und gesellschaftliche<br />
Ereignisseangespielt, um den Gegenwartsbezug<br />
zu markieren. Unddoch<br />
weist es in seiner witzig kühlen<br />
Durchdringung eines Alltags, deren<br />
Protagonisten wie in einem Kessel<br />
mit ansteigendem Druck agieren,<br />
über die Nacht an der Spreehinaus.<br />
Harry Nutt<br />
ist ins <strong>Berliner</strong><br />
Nachtleben abgetaucht.<br />
NACHRICHTEN<br />
Landesmuseum Berlinische<br />
Galerie wieder geöffnet<br />
Ab soforthat die Berlinische Galerie<br />
wieder geöffnet. VordreiWochen<br />
musste das Landesmuseum unverhofft<br />
wegen Untersuchungen zur<br />
Statik des Daches schließen. Diepeniblen<br />
Überprüfungen der Techniker<br />
sind abgeschlossen, alle Ausstellungs-,<br />
Arbeits- und Archiv-Bereiche<br />
sowie Malschule und Café wieder<br />
unbedenklich zugänglich. Nunkann<br />
auch die vielgefragte Malerei-Schau<br />
„Lotte Laserstein. VonAngesicht zu<br />
Angesicht“ fortgesetzt werden, bevor<br />
sie im Herbst nach Kiel wechselt, was<br />
eine <strong>Berliner</strong> Verlängerung ausschließt.<br />
Unddie Fotoschau „Stadtrand<br />
Berlin“ vonAndré Kirchner<br />
kann überhaupt erst beginnen. Als<br />
kleine Entschädigung aller,die wegen<br />
der Schließung geduldig warten<br />
mussten: Am Sonnabend zahlen alle<br />
nur einen auf sechs Euro reduzierten<br />
Eintritt, Haus und Café haben bis 19<br />
Uhrgeöffnet. (BLZ)<br />
Der kenianische Autor und<br />
Aktivist Wainaina ist tot<br />
Derkenianische Schriftsteller Binyavanga<br />
Wainaina ist im Alter von48<br />
Jahren gestorben. DerAutor ist vor<br />
allem für sein satirisches Essay „How<br />
To Write About Africa“ („Wie man<br />
über Afrika schreibt“) bekannt, in<br />
dem er klischeehafte Erzählungen<br />
über den Kontinent kritisierte.Ersei<br />
am Dienstagabend gestorben, sagte<br />
TomMaliti, der Vorsitzende des von<br />
Wainaina gegründeten Kwani Trusts.<br />
Wainaina war Aktivist für die Rechte<br />
vonLesben, Schwulen, Bisexuellen<br />
und Transgender-Menschen. Als<br />
eine der ersten bekannten Persönlichkeiten<br />
in Kenia machte er seine<br />
Homosexualität öffentlich. In Kenia,<br />
wie in den meisten LändernAfrikas,<br />
sind gleichgeschlechtliche Handlungen<br />
verboten. (dpa)<br />
Man-Booker-Literaturpreis<br />
für Jokha Alharthi aus Oman<br />
Jokha Alharty gewinnt mit „Celestial Bodies“<br />
den Booker-Preis. AFP/SABEL INFANTES<br />
DieSchriftstellerin Jokha Alharthi aus<br />
dem Oman hat den Literaturpreis<br />
ManBooker International 2019 gewonnen.<br />
Ausgezeichnet wurde sie für<br />
ihren Roman„Celestial Bodies“<br />
(Himmelskörper), wie die Jury am<br />
späten Dienstagabend in London<br />
mitteilte.Indem Buch geht es um die<br />
Erinnerungen dreier betagter omanischer<br />
SchwesternanFamilienbande<br />
und Schicksale,verknüpft mit der<br />
postkolonialen Geschichte des<br />
Landes im Süden der arabischen<br />
Halbinsel. DerMan-Booker-Preis<br />
zählt zu den wichtigsten Literaturpreisen<br />
Großbritanniens.Prämiert<br />
werden ausländischeWerke, die ins<br />
Englische übersetzt wurden. Das<br />
Preisgeldvon 50000Pfund (ca. 57000<br />
Euro)teilt sich Alharthi mit ihrer<br />
Übersetzerin Marilyn Booth. (dpa)