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KULTUR<br />
BERLINER KURIER, Sonnabend, 1. Juni 2019<br />
Filmfestspiele: Bär weiß<br />
schon,was draus wird<br />
Die neuen Berlinale-Chefs legen jetzt los –das haben sie vor<br />
Eine Reihe wird abgeschafft,<br />
ein neuer Wettbewerb<br />
kommt. Bei der Berlinale tut<br />
sicheiniges.Jetzttritt die neue<br />
Leitung offiziell an. Wie wird<br />
sich Deutschlands größtes<br />
Filmfestival verändern?<br />
Die ersten Änderungen sind<br />
schon verkündet, die Büros am<br />
Potsdamer Platz bezogen: Die<br />
neue Leitung der Berlinale<br />
nimmt in der erstenJuni-Woche<br />
offiziell ihre Arbeit auf. Der Italiener<br />
Carlo Chatrian (47) und<br />
die Niederländerin MarietteRissenbeek<br />
(62) bilden eineDoppelspitze.<br />
Chatrian, zuvor beim<br />
Filmfestival Locarno, wird<br />
künstlerischer Leiter. Rissenbeek,<br />
Expertin für Film-Vermarktung,<br />
übernimmt die Geschäftsführung<br />
(KURIER berichtete).<br />
Für Deutschlands<br />
größtes Filmfestival, neben<br />
Cannes und Venedig eines der<br />
wichtigsten weltweit, hat eine<br />
neueÄra begonnen.<br />
Die 69. Berlinale im Februar<br />
war die letztemit Dieter Kosslick<br />
(71), der nach 18Jahren mit Lobeshymnen<br />
und einem riesigen<br />
Teddy verabschiedet wurde.<br />
Fotos: dpa<br />
Carlo<br />
Chatrian (47)<br />
und Mariette<br />
Rissenbeek (62)<br />
bilden die neue<br />
Berlinale -Doppelspitze.<br />
Chatrian und Rissenbeek erben<br />
ein pulsierendes Festival mit<br />
jährlich 400 Filmen und mehr<br />
als 300 000 verkauften Tickets.<br />
Einen neuen Kurs zu finden, ist<br />
nicht einfach. Sicher ist: Die Berlinale<br />
soll ein Publikumsfestival<br />
bleiben.Neben einigen personellen<br />
Änderungen im Haus sind<br />
nun auch die ersten Einschnitte<br />
im Programm klar.Das von Kosslickeingeführte<br />
Kulinarische Kino,<br />
wird abgeschafft, ebenso die<br />
Reihe Native. Neu ist der<br />
Wettbewerb Encounters (Begegnungen),bei<br />
dem bis zu 15 Filme<br />
gezeigt werden. Er soll neue<br />
Stimmen des Kinosunterstützen.<br />
Und da ist noch die Sache mit<br />
Netflix. „Es sind die jungenLeute,<br />
die Netflix gucken, die man<br />
wieder ins Kino holen will. Aber<br />
Streamingdienste von der Berlinale<br />
auszuschließen, wäre vermutlich<br />
der falsche Weg“, sagte<br />
Rissenbeek. Und Kosslick? Der<br />
hat schon seine Memoiren geschrieben.<br />
Caroline Bock<br />
Fotos: Imago/Müller<br />
Lilith Stangenbergüberzeugt<br />
als<br />
mannstolle<br />
Lulu an der<br />
<strong>Berliner</strong><br />
Volksbühne.<br />
Lulu an derVolksbühne<br />
ApocalypseFrau!<br />
Lilith Stangenbergüberzeugt als mannstolles Mädchen –Buhs für den Regisseur<br />
Mit Textschnipseln von<br />
Virginie Despentes, Joseph<br />
Conradund Valerie Solanas<br />
hat Stefan Pucher seine<br />
„Lulu“-Inszenierung an der<br />
<strong>Berliner</strong> Volksbühne aufgebitcht.<br />
Für die radikalfeministische<br />
Interpretation<br />
der Emanzipationstragödie<br />
von Frank Wedekind gab’s<br />
zur Premiere Buhs fürden Regisseur<br />
und Bravos für ein<br />
starkes Ensemble.<br />
Na bitte, am Ende bekommt er,<br />
was er verdient, der alte weiße<br />
Mann: „Das Grauen, ich habe<br />
das Grauen gesehen“, zitiert<br />
Schön (Waldemar Kobus) eine<br />
berühmte Passage aus Joseph<br />
Conrads „Herz der Finsternis“.<br />
Gerade hat erLulu entdeckt –<br />
dann wird ervon ihr, die einst<br />
seine große Liebe war, abgeknallt<br />
wie ein Hund. Aberhey, er<br />
ist ja auch ein Kerl, der Schön!<br />
„Mann sein, heißt kaputt sein“,<br />
erklärt uns die Schützin stolz.<br />
„Einen Mann Tier nennen, heißt<br />
ihm schmeicheln.“ Und sie darf<br />
das sagen,diese Lulu,denn unter<br />
Männern hat sie arggelitten.<br />
Überhaupt Lilith Stangenberg.<br />
Sie spielt das mannstolle Mädchen,<br />
das seinen gesellschaftlichen<br />
Aufstieg mit dem Liebreiz<br />
eines schmiegsamen Körpers<br />
hinbiegt, mit ausgesuchter Opferbereitschaft<br />
und mit elegisch<br />
gedehnten Vokalen. Zunächst.<br />
Dannnämlich kommt die Selbstermächtigung,<br />
das Empowerment<br />
–Apocalypse Frau, yeah!<br />
Feministisch könnte die Karriere<br />
einer solchen Frau durchaus auf<br />
mehrereArten ausgedeutet werden.<br />
Pucher aber hat wohl geahnt,dassman<br />
in Zeiten der großen<br />
MeToo-Erregung Lulu besser<br />
nichtzuselbstbestimmt, sondern<br />
zuallererst als Opfer einer<br />
brutalen Männlichkeit zeigt.<br />
Und als Opfer einer sozialen Verrenkung.<br />
Entsprechend gespreizt<br />
steigt die tragische „Heldin“<br />
über die brutal hohen Stufen<br />
eines verschachtelten Teleskoptrichters<br />
von Barbara Ehnes<br />
durch die mit Zeitlupenvideos<br />
recht schön bekleckste Bühnenkulisse.<br />
Karten ab 10 Euro unter<br />
www.volksbuehne.berlin.de<br />
Karim Mahmoud