Meinviertel Juli 2019
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„Versuche so gut es<br />
geht aktiv zu bleiben“<br />
Liebes Redaktionsteam von mein/4,<br />
das Thema Depressionen und Aufklärung dazu liegt mir sehr am Herzen. Daher freue ich mich, dass<br />
Ihr Euch dieser Erkrankung widmet und schreibe Euch über meine Erfahrungen.<br />
Mit meinen inzwischen 50 Jahren kenne ich Depressionen<br />
seit meinen 14. Lebensjahr. Die Krankheit ist<br />
chronisch und sucht mich in jetzt regelmäßigen Abständen<br />
heim. In meiner Jugend waren die Abstände<br />
zwischen den Episoden noch größer und konnten mehrere<br />
Jahre betragen. Inzwischen habe ich eigentlich jedes<br />
Jahr damit zu tun. Soweit zum Hintergrund.<br />
Erstmal zu den Dingen, die ich selbst tun kann, wenn<br />
ich wieder mal nur schwarz sehe und nicht in den Spiegel<br />
schauen mag:<br />
Da ist die Bewegung, ganz gleich welcher Art. Wenn<br />
nichts mehr geht, eben ein kurzer Spaziergang. Es ist<br />
wichtig, dass ich die Wohnung zumindest einmal am<br />
Tag verlasse. Wer es nicht schafft aufzustehen, dem ist<br />
damit nicht geholfen, aber dann schafft man es meiner<br />
Erfahrung nach eh nur mit Hilfe anderer.<br />
Gibt es Dinge, die noch Freude machen und von den<br />
trüben Gedanken ablenken? Dann unbedingt machen!<br />
Auch wenn man den halben Tag vor Netflix hängt -<br />
Hauptsache ich habe zumindest zeitweise ein besseres<br />
Gefühl. Hilft vielleicht Musik, Meditation (bei<br />
Depressionen sehr empfohlen, vor allem vorbeugend)<br />
oder Singen?<br />
Insgesamt ist mein Motto: Versuche so gut es geht aktiv<br />
zu bleiben. Wobei aktiv hier nicht große Anstrengungen<br />
meint, sondern das, was man sich zutraut und<br />
was etwas Spaß machen könnte. Schon das Einkaufen<br />
kann eine riesige Aufgabe sein und ich gestehe mir zu,<br />
dass mich ein Freund begleitet, selbst wenn ich mir<br />
dabei blöd vorkomme.<br />
Geholfen haben mir meine Freunde. Ich habe sie immer<br />
eingeweiht und da ich die meisten schon sehr<br />
lange kenne, war es nicht notwendig etwas zu erklären.<br />
Es war einfach mal wieder soweit. Die Tatsache,<br />
dass mich meine Freunde treffen wollen, obwohl ich<br />
mich selbst nicht ertrage, hilft mir das eigene Gefühl<br />
etwas zu relativieren. Gespräche mit wirklich vertrauten<br />
Menschen sind mir wichtig und es ist immer gut,<br />
wenn jemand da ist, der mich daran erinnert, dass<br />
es auch wieder besser wird. Obwohl ich diese Erfahrung<br />
ja immer wieder gemacht habe, ist das in der<br />
Depression nicht vorstellbar. Gut ist auch, wenn ich<br />
jemandem helfen kann. Dann fühle ich mich nicht<br />
ganz so schlecht und nutzlos.<br />
Medikamente gehören zu meinem Leben. Ich werde<br />
sie immer nehmen müssen. Ich würde sie auch empfehlen.<br />
Sie verändern nicht das Wesen eines Menschen<br />
wie viele befürchten, sondern bringen die Botenstoffe<br />
im Hirn wieder ins Gleichgewicht.<br />
Psychotherapie ist auf jeden Fall hilfreich. Sie soll<br />
ebenso viel bewirken wie Medikamente. Vertrauen<br />
und Wellenlänge müssen stimmen. Der Haken ist<br />
hier natürlich, dass es zu wenig Therapieplätze gibt.<br />
Für mich sind die Gespräche mit meiner Therapeutin<br />
Gold wert, ob ich gerade in einer Krise stecke oder<br />
nicht.<br />
Und wenn es gar nicht anders geht, gibt es das Krankenhaus.<br />
Das ist wirklich die Option für den Worst<br />
Case. Ein Aufenthalt in der Psychiatrie belastet<br />
aufgrund der noch Kränkeren, auf die man treffen<br />
kann. Wenn es aber zuhause nicht mehr geht, man<br />
keine Tagesstruktur mehr hat und dann noch Selbstmordgedanken<br />
an Macht gewinnen, sollte man die<br />
Notbremse ziehen. Es gibt auch die Variante der<br />
psychiatrischen Tagesklinik. Dort verbringt man die<br />
Zeit eines Arbeitstages, schläft Zuhause und kann<br />
unterschiedliche Angebote nutzen. Ärztliche und<br />
psychotherapeutische Betreuung gehören dazu. Aber<br />
auch Sport, Ergotherapie und viele Gruppenangebote<br />
ermöglichen den Erfahrungsaustausch und vermitteln<br />
hilfreiche Informationen zur Erkrankung.<br />
Viele Grüße, B.<br />
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