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LGBB_022019_web

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Geschwister Kleobis und Biton. Sowohl Tellos als<br />

auch Kleobis und Biton starben relativ früh. Ihr<br />

Leben sei dennoch lang genug gewesen, so berichtet<br />

es Solon bei Herodot (I, 31,2). Sie waren<br />

alle nicht überaus reich, aber auch nicht arm. Gemeinsame<br />

Charakteristika ihres Lebens sind, dass<br />

sie ein gutes Lebensende fanden. Dieses bestand<br />

darin, dass sie in Verbindung oder in der Folge<br />

einer ehrenvollen Tat für die Gemeinschaft oder<br />

für die Familie starben. Tellos starb im Kampf für<br />

Athen gegen Eleusis, nachdem er zuvor Feinde in<br />

die Flucht geschlagen hatte. Kleobis und Biton<br />

entschliefen ruhig, nachdem sie ihre Mutter auf<br />

einem Wagen über eine Distanz von 45 Stadien<br />

zum Fest der Hera zu deren Tempel gezogen<br />

hatten. Alle drei wurden wegen ihrer Taten auch<br />

noch nach ihrem Tod geehrt. Daran, dass ihr jeweiliger<br />

Tod als Glück zu begreifen ist, lässt Herodot<br />

in seiner Narration keinen Zweifel. Die Mutter<br />

von Kleobis und Biton sei in Freude über ihrer<br />

Kinder Tat und den Ruhm, den sie dafür erhielten,<br />

vor das Bild der Göttin Hera getreten und habe im<br />

Gebet das Beste für ihre Söhne gewünscht, was<br />

Menschen zukommen könne. Darauf entschliefen<br />

ihrer Söhne sanft. Tellos habe ferner vortreffl iche<br />

Kinder gehabt.<br />

Die Charakteristika des Glücks, die Solon dem<br />

Rezipienten der Historien am Beispiel der drei<br />

konkret anhand von Lebenssituationen vor Augen<br />

geführt hat, refl ektiert er selbst im sich<br />

anschließenden Dialog mit Kroisos noch etwas<br />

abstrakter (I, 32,1-2). Der Reiche habe nur zwei<br />

Vorteile gegenüber dem ärmeren Menschen. Er<br />

könne seine Begierden besser befriedigen und<br />

er könne Verblendung oder Unglück (ἄτην) besser<br />

ertragen. Zum Glück wie im Fall des Ärmeren<br />

reicht aber nach Solon bereits aus, dass der<br />

Mensch unversehrt ist, ohne Krankheit, frei von<br />

Übeln, über vortreffl iche Kinder und eine schöne<br />

Gestalt verfügt. Wenn der Mensch diese Güter<br />

besitze, so sei er auch gewappnet gegen das Unglück.<br />

Besonders bedeutsam ist für das Bemessen<br />

eines glücklichen Lebens für Solon aber, dass<br />

der Mensch ein gutes Lebensende fi nde. Zuvor<br />

könne er auch keine Aussage über das Glück des<br />

Kroisos treffen.<br />

Kroisos schickt Solon auf diese Rede hin fort. Er,<br />

der Solon anfangs selbst als weise betrachtete,<br />

hält ihn nun für unverständig, weil er den gegenwärtigen<br />

Gütern zu wenig, dem Ausgang des Lebens<br />

hingegen zu viel Beachtung schenke (I, 33).<br />

Herodot führt mit der Art seiner Darstellung dieser<br />

Reaktion des Kroisos dem Leser unmittelbar<br />

vor, wie Kroisos nur den Argumenten und Einsichten<br />

gegenüber offen ist, die er selbst aufgrund<br />

seiner Denkhaltung für richtig hält. So lässt er<br />

nur seine eigenen Bemessungskriterien für die<br />

Beurteilung, was das größte Glück kennzeichnet,<br />

gelten. Kroisos wird in diesem Gespräch mithin<br />

von Herodot als ein Mensch gezeichnet, dem sein<br />

Reichtum und sein eigenes Ansehen aufgrund<br />

seines momentanen Besitzes wichtig ist und der<br />

es nicht schafft, tiefergehende Zusammenhänge<br />

gedanklich zu durchdringen und sich zu eigen zu<br />

machen.<br />

(c) Kroisos’ gottgesandter<br />

Traum<br />

Herodot leitet nun von dieser Erzählung mit folgenden<br />

Worten zu seinem Bericht der nächsten<br />

Episode aus Kroisos’ Leben über: „Nachdem<br />

Solon gegangen war, ereilte Kroisos eine große<br />

göttliche Strafe (νέμεσις), wie man vermuten<br />

kann, weil er glaubte, dass er selbst unter allen<br />

Menschen der glücklichste sei.“ (I, 34,1). Wenn<br />

Herodot im Folgenden von einem Traum, der<br />

Kroisos heimsuchte, berichtet, suggeriert er, dass<br />

es sich bei diesem Traum um einen göttlichen<br />

Eingriff handelt. Das Traumgesicht zeigt Kroisos,<br />

wie sein geliebter Sohn Atys durch eine eiserne<br />

Lanze getötet wird (I, 34,2). Kroisos’ Reaktion ist<br />

bemerkenswert. Er gerät in Furcht vor dem, was<br />

er im Traum sah. Als Reaktion auf das Traumgesicht<br />

lässt er seinen Sohn zunächst heiraten,<br />

schickt ihn fortan nicht mehr mit dem Heer der<br />

Lyder zu Felde, er lässt gar alle Wurfspeere, Lanzen<br />

und Vergleichbares in den Gemächern von<br />

den Wänden nehmen, damit nicht zufällig eine<br />

dieser Lanzen auf seinen Sohn herabfalle und ihn<br />

töte (I, 34,2-3). Doch dann bitten die befreundeten<br />

Myser Kroisos um Hilfe, weil sie selbst nicht<br />

mit einem gewaltigen Eber, der ihre Felder verwüstete,<br />

fertig werden. Sie ersuchen ihn darum,<br />

dass er ihnen seinen Sohn zusammen mit jungen<br />

Männern und einer Hundemeute schicke. Kroisos<br />

sagt ihnen zwar junge Leute und die Hundemeute<br />

zu, zunächst aber nicht seinen Sohn, um den er<br />

weiterhin Angst hat. Allerdings dringt die Kunde<br />

von der Bitte der Myser bis zu Atys durch. Dieser<br />

beklagt sich nun bei seinem Vater über dessen<br />

Entscheidung und hält ihm vor, dass es für ihn<br />

das Schönste und Ehrenvollste war, in den Krieg<br />

zu ziehen, auf die Jagd zu gehen und auf diese<br />

Weise zu Ansehen zu gelangen. Dadurch, dass<br />

er, sein Vater, ihm dies nun untersage, fürchte er<br />

um seinen guten Ruf sowohl bei seinem Volk als<br />

Herodots Historien in einer Handschrift mit eigenhändigen Korrekturen des Humanisten Lorenzo Valla am Rand. Rom, Biblioteca<br />

Apostolica Vaticana, Vat. Gr. 122, fol. 41r und 122r (frühes 15. Jahrhundert)<br />

https://de.wikipedia.org/wiki/Historien_des_Herodot#/media/File:Herodotus,_Histories,_with_marginalia_by_Lorenzo_Valla,_<br />

Vat._gr._122,_fol._41r_und_122r.jpg<br />

auch bei seiner Gattin. Kroisos wird so letztlich<br />

gezwungen, seinem Sohn von seinem Traum und<br />

seiner Angst zu berichten. Atys allerdings glaubt,<br />

dass sein Vater das Traumgesicht nicht richtig<br />

deute. Er lenkt den Blick seines Vaters in seiner<br />

Erwiderung fortan allein auf den Eber und ver-<br />

92 JAHRGANG LXIII · <strong>LGBB</strong> 02 / 2019<br />

<strong>LGBB</strong> 02 / 2019 · JAHRGANG LXIII<br />

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