Berliner Kurier 24.06.2019
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
REPORT<br />
Rudolf Horn wird 90<br />
Der Einrichter<br />
des Ostens<br />
Warum Walter Ulbricht ihn hasste<br />
Im DDR-Museum stehen<br />
MDW-Möbel, allerdings<br />
spätere, die wie massive<br />
Schrankwände wirken.<br />
Von<br />
GERHARD LEHRKE<br />
Leipzig – In der einen oder<br />
anderen Wohnung im Ostteil<br />
Berlins dürfte noch zu finden<br />
sein, was laut Volksmund<br />
vom „Ikea des Ostens“<br />
stammte: „Montagemöbel<br />
Deutsche Werkstätten“ kurz<br />
MDW. Ihr Schöpfer, der Möbeldesigner<br />
Rudolf Horn,<br />
wird heute 90 Jahre alt. Er<br />
hatte Erfolg, obwohl Staatsund<br />
Parteichef Walter Ulbricht<br />
seine Arbeit hasste.<br />
Klare Linien, aber keine Festlegung,<br />
wie genau die Möbel aussehen<br />
mussten: Das war die<br />
Idee, mit der Horn und die<br />
Deutschen Werkstätten von<br />
1967 an neue Wege beschritten.<br />
Die Werkstätten, 1898 in Hellerau<br />
am Rande Dresdens gegründet,<br />
hatten bereits Mobiliar<br />
skandinavischer Anmutung<br />
im Angebot. Es ging auf Entwicklungen<br />
lange vor dem<br />
Krieg zurück –man sollte keine<br />
Garnituren mehr kaufen müssen,<br />
sondern seine Einrichtung<br />
Stück für Stück erweitern können.<br />
Horn ging einen Schritt weiter:<br />
Bretter und kleine Schrankund<br />
Schubladenteile konnten<br />
vom Kunden weitgehend nach<br />
eigenem Gusto montiert werden.<br />
„Vor allem bei jungen Leuten<br />
war MDW sehr beliebt“, erinnert<br />
sich Horn. Offenbar hatte<br />
ein Spruch seines Zeichenlehrers<br />
kurz nach dem Krieg<br />
Wirkung gezeigt: Man müsse<br />
sich beim Entwerfen immer die<br />
Frage stellen: „Für wen machst<br />
du das?“<br />
MDW sollten den Bewohnern<br />
der häufiger werdenden Plattenbauwohnungen<br />
helfen,<br />
platzsparend viel unterbringen<br />
zu können und gleichzeitig zu<br />
vermeiden, dass die Möbel genau<br />
so aussahen wie in den<br />
Wohnungen nebenan.<br />
Dafür gab es 1967 gleich eine<br />
Goldmedaille für ein „Erzeugnis<br />
hervorragender Qualität“<br />
auf der Leipziger Herbstmesse<br />
und im gleichen Jahr eine Präsentation<br />
bei der 6. Deutschen<br />
Kunstausstellung in Dresden.<br />
Dort brach Walter Ulbricht den<br />
Stab über Horns Produkte: „Ich<br />
sehe hier keine Möbel, sondern<br />
nur Bretter.“ Der gelernte<br />
Tischler Ulbricht glaubte auch<br />
zu wissen: „Die Werktätigen<br />
wollen solche Möbel nicht.“<br />
So kann man sich irren, die<br />
MDW wurden ein Renner, soweit<br />
die Industriekapazitäten<br />
es hergaben. Der Forscher Andreas<br />
Ludwig: „Von MDW wurden<br />
nicht alle geplanten zwölf<br />
Module hergestellt, sondern<br />
nur sechs.“ Schreibtisch,<br />
Schlafzimmer- und Sitzmöbel<br />
fielen weg.<br />
Die schrumpfende Zahl von<br />
Möbelherstellern (1956: 612 Fabriken,<br />
1986: fünf Kombinate)<br />
führte zu einer Vereinheitlichung<br />
der Produktion. Statt<br />
Modulen wurden Schrankwände<br />
–„vor die Wand gestellter<br />
Stauraum“ –inverschiedenen<br />
Dekors angeboten. Und obwohl<br />
bei einer Marktuntersuchung<br />
herausgekommen war, dass die<br />
Mehrzahl der MDW-Kunden<br />
die Möbel selbst aufbauen wollten,<br />
wurden die Hellerauer<br />
1974 angewiesen, nur noch fest<br />
verklebte Teile anzubieten.<br />
Die Variabilität des Produkts<br />
nahm ab, mit der Wiedervereinigung<br />
kam 1991 das endgültige<br />
Aus: „MDW erging es damals<br />
wie vielen DDR-Produkten<br />
nach der Wende. Sie wollte keiner<br />
mehr haben.“ Die Deutschen<br />
Werkstätten jedoch<br />
produzieren noch heute Mobiliar<br />
für deutsche und internationale<br />
Kunden, vielfach noch<br />
handwerklich und nach Maß<br />
für Hotels, Villen, den brandenburgischen<br />
Landtag und sogar<br />
Jachten.<br />
Horn, inzwischen Urgroßvater<br />
und immer noch Nutzer seiner<br />
eigenen Entwürfe, hatte übrigens<br />
keine Nachteile von Ulbrichts<br />
Abneigung: 30 Jahre<br />
lang lehrte er auf der Kunsthochschule<br />
Giebichenstein in<br />
Halle/S.<br />
Das Kunstgewerbemuseum<br />
Dresden-Pillnitz widmet Rudolf<br />
Horn vom 24. August bis 3.<br />
November eine Ausstellung.<br />
Fotos: dpa, imago/Sven Ellger