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Berliner Kurier 24.06.2019

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REPORT<br />

Rudolf Horn wird 90<br />

Der Einrichter<br />

des Ostens<br />

Warum Walter Ulbricht ihn hasste<br />

Im DDR-Museum stehen<br />

MDW-Möbel, allerdings<br />

spätere, die wie massive<br />

Schrankwände wirken.<br />

Von<br />

GERHARD LEHRKE<br />

Leipzig – In der einen oder<br />

anderen Wohnung im Ostteil<br />

Berlins dürfte noch zu finden<br />

sein, was laut Volksmund<br />

vom „Ikea des Ostens“<br />

stammte: „Montagemöbel<br />

Deutsche Werkstätten“ kurz<br />

MDW. Ihr Schöpfer, der Möbeldesigner<br />

Rudolf Horn,<br />

wird heute 90 Jahre alt. Er<br />

hatte Erfolg, obwohl Staatsund<br />

Parteichef Walter Ulbricht<br />

seine Arbeit hasste.<br />

Klare Linien, aber keine Festlegung,<br />

wie genau die Möbel aussehen<br />

mussten: Das war die<br />

Idee, mit der Horn und die<br />

Deutschen Werkstätten von<br />

1967 an neue Wege beschritten.<br />

Die Werkstätten, 1898 in Hellerau<br />

am Rande Dresdens gegründet,<br />

hatten bereits Mobiliar<br />

skandinavischer Anmutung<br />

im Angebot. Es ging auf Entwicklungen<br />

lange vor dem<br />

Krieg zurück –man sollte keine<br />

Garnituren mehr kaufen müssen,<br />

sondern seine Einrichtung<br />

Stück für Stück erweitern können.<br />

Horn ging einen Schritt weiter:<br />

Bretter und kleine Schrankund<br />

Schubladenteile konnten<br />

vom Kunden weitgehend nach<br />

eigenem Gusto montiert werden.<br />

„Vor allem bei jungen Leuten<br />

war MDW sehr beliebt“, erinnert<br />

sich Horn. Offenbar hatte<br />

ein Spruch seines Zeichenlehrers<br />

kurz nach dem Krieg<br />

Wirkung gezeigt: Man müsse<br />

sich beim Entwerfen immer die<br />

Frage stellen: „Für wen machst<br />

du das?“<br />

MDW sollten den Bewohnern<br />

der häufiger werdenden Plattenbauwohnungen<br />

helfen,<br />

platzsparend viel unterbringen<br />

zu können und gleichzeitig zu<br />

vermeiden, dass die Möbel genau<br />

so aussahen wie in den<br />

Wohnungen nebenan.<br />

Dafür gab es 1967 gleich eine<br />

Goldmedaille für ein „Erzeugnis<br />

hervorragender Qualität“<br />

auf der Leipziger Herbstmesse<br />

und im gleichen Jahr eine Präsentation<br />

bei der 6. Deutschen<br />

Kunstausstellung in Dresden.<br />

Dort brach Walter Ulbricht den<br />

Stab über Horns Produkte: „Ich<br />

sehe hier keine Möbel, sondern<br />

nur Bretter.“ Der gelernte<br />

Tischler Ulbricht glaubte auch<br />

zu wissen: „Die Werktätigen<br />

wollen solche Möbel nicht.“<br />

So kann man sich irren, die<br />

MDW wurden ein Renner, soweit<br />

die Industriekapazitäten<br />

es hergaben. Der Forscher Andreas<br />

Ludwig: „Von MDW wurden<br />

nicht alle geplanten zwölf<br />

Module hergestellt, sondern<br />

nur sechs.“ Schreibtisch,<br />

Schlafzimmer- und Sitzmöbel<br />

fielen weg.<br />

Die schrumpfende Zahl von<br />

Möbelherstellern (1956: 612 Fabriken,<br />

1986: fünf Kombinate)<br />

führte zu einer Vereinheitlichung<br />

der Produktion. Statt<br />

Modulen wurden Schrankwände<br />

–„vor die Wand gestellter<br />

Stauraum“ –inverschiedenen<br />

Dekors angeboten. Und obwohl<br />

bei einer Marktuntersuchung<br />

herausgekommen war, dass die<br />

Mehrzahl der MDW-Kunden<br />

die Möbel selbst aufbauen wollten,<br />

wurden die Hellerauer<br />

1974 angewiesen, nur noch fest<br />

verklebte Teile anzubieten.<br />

Die Variabilität des Produkts<br />

nahm ab, mit der Wiedervereinigung<br />

kam 1991 das endgültige<br />

Aus: „MDW erging es damals<br />

wie vielen DDR-Produkten<br />

nach der Wende. Sie wollte keiner<br />

mehr haben.“ Die Deutschen<br />

Werkstätten jedoch<br />

produzieren noch heute Mobiliar<br />

für deutsche und internationale<br />

Kunden, vielfach noch<br />

handwerklich und nach Maß<br />

für Hotels, Villen, den brandenburgischen<br />

Landtag und sogar<br />

Jachten.<br />

Horn, inzwischen Urgroßvater<br />

und immer noch Nutzer seiner<br />

eigenen Entwürfe, hatte übrigens<br />

keine Nachteile von Ulbrichts<br />

Abneigung: 30 Jahre<br />

lang lehrte er auf der Kunsthochschule<br />

Giebichenstein in<br />

Halle/S.<br />

Das Kunstgewerbemuseum<br />

Dresden-Pillnitz widmet Rudolf<br />

Horn vom 24. August bis 3.<br />

November eine Ausstellung.<br />

Fotos: dpa, imago/Sven Ellger

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