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Berliner Kurier 23.08.2019

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*<br />

POLITIK<br />

MEINE<br />

MEINUNG<br />

Von<br />

Jan Sternberg<br />

In Chemnitzist noch<br />

garnichtsgeklärt<br />

Zehn Tage vor der Landtagswahl<br />

in Sachsen,<br />

vier Tage vor dem Jahrestag<br />

des gewaltsamen Todes von<br />

Daniel H. in Chemnitz findet<br />

das Landgericht einen<br />

Schuldigen. Die Tat aufzuklären<br />

hat es nicht vermocht.<br />

Der 23-jährige Alaa S. wird<br />

zu neuneinhalb Jahren Haft<br />

verurteilt, obwohl weder seine<br />

Spuren an der Tatwaffe<br />

gefunden wurden noch Zeugen<br />

ihn eindeutig belastet<br />

haben. Was wirklich in der<br />

Nacht zum 26. August 2018<br />

in der Chemnitzer Brückenstraße<br />

geschah, wird wahrscheinlich<br />

nie ganz geklärt<br />

werden können.<br />

Die Wunden in der Stadt<br />

aber bleiben. Nun gibt es ein<br />

Urteil, einen Schuldigen.<br />

Einen jungen Mann, der vor<br />

Gericht eisern schwieg und<br />

dann in einem Telefon-<br />

Interview seine Unschuld<br />

beteuerte. Der Schuldspruch<br />

für Alaa S. wird dafür sorgen,<br />

dass in Chemnitz zum<br />

Jahrestag nicht erneut ein<br />

Feuer der Wut lodert. Es<br />

wird keine weitere Eskalation<br />

vor der Landtagswahl<br />

geben. Aber das ist es auch<br />

schon. Eine Revision wird<br />

folgen. In Chemnitz, in Sachsen<br />

und darüber hinaus ist<br />

nichts geklärt. Und nichts<br />

gut.<br />

MANN DESTAGES<br />

Wolfgang Thierse<br />

Der alteMahner hebt wieder<br />

den Finger. In einemInterview<br />

mit dem epd sagteEx-<br />

BundestagspräsidentWolfgangThierse<br />

(75,SPD) vor<br />

den Wahlen<br />

in Brandenburg,<br />

Thüringen<br />

und<br />

Sachsen:<br />

„Ichfordere<br />

meineostdeutschen<br />

Landsleute<br />

auf,genau<br />

hinzugucken undden Unterschiedwahrzunehmen<br />

zwischendem,<br />

wasuns 1989 bewegt<br />

hat, unddem, was die<br />

AfD heutewill. Schaut genau<br />

hinund hört genauhin, was<br />

die AfD euchverspricht.“<br />

Foto: Jürgen Blume/epd<br />

Totschlag –9,5 Jahre<br />

Gefängnisfür AlaaS.<br />

RichterinDresden sehen Syrer als Schuldigen fürden Toddes Chemnitzers Daniel H. im August2018<br />

Dresden – Vor fast einem<br />

Jahr wird in Chemnitz ein<br />

Deutscher erstochen, die Tat<br />

ist Auslöser für Übergriffe<br />

und Demonstrationen. Nun<br />

gibt es einen Schuldspruch:<br />

Neun Jahre und sechs Monate<br />

Haft lautet das Urteil im<br />

Prozess um die Tötung des<br />

35-jährigen Daniel H., der vor<br />

einem Jahr auf einem Chemnitzer<br />

Stadtfest mit einem<br />

Messer attackiert wurde.<br />

Knapp ein Jahr nach dem tödlichen<br />

Messerangriff auf Daniel<br />

H. ist der 24 Jahre alte Alaa S.<br />

zu neun Jahren und sechs Monaten<br />

Haft verurteilt worden.<br />

Das Landgericht Chemnitz<br />

sprach den Syrer in Dresden<br />

wegen Totschlags und gefährlicher<br />

Körperverletzung schuldig.<br />

Das Urteil ist noch nicht<br />

rechtskräftig und kann vor dem<br />

Bundesgerichtshof angefochten<br />

werden.<br />

Nach 19 Verhandlungstagen<br />

war die Kammer davon überzeugt,<br />

dass Alaa S. am 26. August<br />

2018 in Chemnitz gemeinsam<br />

mit einem flüchtigen Iraker<br />

den 35-jährigen Daniel H.<br />

erstochen hat. Der mutmaßliche<br />

Mittäter ist weltweit zur<br />

Fahndung ausgeschrieben.<br />

Der nun verurteilte Syrer<br />

hatte in der gesamten Verhandlung<br />

zu den Vorwürfen gegen<br />

ihn geschwiegen. In einem am<br />

Dienstag ausgestrahlten Telefoninterview<br />

des ZDF-Magazins<br />

„Frontal21“ hatte er zwar<br />

seine Unschuld beteuert –diese<br />

Aussagen hatten nach Gerichtsangaben<br />

aber keinen Einfluss<br />

auf die Urteilsfindung.<br />

Foto: Matthias Rietschel/dpa<br />

Dafür seien laut Strafprozessordnung<br />

allein die im Laufe der<br />

Verhandlung durch die Kammer<br />

gewonnenen Erkenntnisse<br />

entscheidend, hatte es geheißen.<br />

In seinem letzten Wort vor<br />

Gericht sprach sich der Angeklagte<br />

für ein faires Urteil aus.<br />

„Ich kann nur hoffen, dass hier<br />

die Wahrheit ans Licht gebracht<br />

wird und ein gerechtes<br />

Urteil gesprochen wird“, ließ<br />

der Syrer durch einen Dolmetscher<br />

übersetzen.<br />

Die Verteidigung hatte kurz<br />

vor dem Urteil auf Freispruch<br />

plädiert. Verteidiger Frank<br />

Wilhelm Drücke rückte in seinem<br />

Plädoyer die Geschehnisse<br />

nach der Tat in den Blickpunkt.<br />

„Für uns ist das mitnichten<br />

ein normales Verfahren“,<br />

sagte er in einem Gebäude des<br />

Oberlandesgerichtes Dresden,<br />

wo der Prozess aus Sicherheitsgründen<br />

stattfand. Er appellierte<br />

an die Kammer des Landgerichts,<br />

sich bei der Urteilsfindung<br />

nicht von Forderungen<br />

aus Politik, Gesellschaft oder<br />

von einem „marodierenden<br />

Mob“ beeinflussen zu lassen.<br />

Die Staatsanwaltschaft hatte<br />

am Montag in ihrem Plädoyer<br />

eine Gesamtfreiheitsstrafe von<br />

zehn Jahren für den Angeklagten<br />

wegen Totschlags und gefährlicher<br />

Körperverletzung<br />

gefordert. Die drei Vertreter<br />

Studie:Zuwenig Sozialwohnungen<br />

der Nebenklage gingen am<br />

Donnerstag in ihren Plädoyers<br />

über diesen Antrag hinaus und<br />

forderten eine Gesamtfreiheitsstrafe<br />

von elf Jahren.<br />

In der Folge der Messerattacke<br />

war es im vergangenen<br />

Jahr in der Stadt zu rassistisch<br />

motivierten Übergriffen gekommen,<br />

diemehr als das Verbrechen<br />

selbst auch auf internationaler<br />

Ebene ein Schlaglicht<br />

auf Chemnitz warfen. Bilder<br />

von rechten Demonstrationen,<br />

Aufmärschen von Neonazis<br />

und Fußball-Hooligans, von<br />

Übergriffen sowie dem Zeigen<br />

des Hitlergrußes in zahlreichen<br />

Fällen gingen um die<br />

Welt.<br />

Der Angeklagte Alaa S.<br />

(Mitte) zwischen<br />

einem Dolmetscher und<br />

seiner Verteidigerin<br />

Ricarda Lang.<br />

Verbändeund Gewerkschaft fordern 155 000 Neubauten proJahr,umzweiMillionen bis 2030zuerreichen<br />

Berlin – Die Politik kommt<br />

beim Bau von sozialen und bezahlbaren<br />

Wohnungen nicht<br />

voran. So jedenfalls sieht es ein<br />

Bündnis mehrerer Verbände.<br />

„Es ist trotz aller Ankündigungen<br />

im Grunde genommen<br />

nichts passiert“, sagte Matthias<br />

Günther vom hannoverschen<br />

Forschungsinstitut Pestel in<br />

Berlin im Hinblick auf die Aktivitäten<br />

der Bundesregierung.<br />

Das Institut hat im Auftrag<br />

der Verbände ermittelt, wie viele<br />

Sozialwohnungen pro Jahr gebaut<br />

werden müssten, um 2030<br />

ein Minimalziel von zwei Millionen<br />

Einheiten zu erreichen.<br />

155000 neue Sozialwohnungen<br />

im Jahr hält Günther dafür für<br />

notwendig: 80000 Neubauten<br />

und 75000 weitere unter anderem<br />

durch Modernisierungsförderung.<br />

Stattdessen fielen seit<br />

2011 rund 500 000 Wohnungen<br />

mehr aus dem Sozialwohnungsbestand<br />

als neue geschaffen<br />

wurden, heißt es in der Untersuchung.<br />

Hinter der Auftragsstudie<br />

stehen die Baugewerkschaft<br />

IG BAU, der Deutsche Mieterbund,<br />

die Caritas, der Bundesverband<br />

Deutscher Baustoff-<br />

Fachhandel sowie die Deutsche<br />

Gesellschaft für Mauerwerksund<br />

Wohnungsbau.

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