Tagungsmappe 8. Potsdamer iGZ-Rechtsforum
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8. Potsdamer
Rechtsforum
zur Zeitarbeit
3. September 2019
EINLADUNG
Sehr geehrte Damen und Herren,
im Jahr der Europawahl stehen auch beim diesjährigen
Potsdamer Rechtsforum europarechtliche Themen
auf der Agenda. Europarecht ist nicht nur etwas für
die großen, EU-weiten Akteure. Auch der kleine Wirtschaftsbetrieb
muss in der täglichen Personalarbeit Regelungen
umsetzen, die der europäische Gesetzgeber
und die europäische Rechtsprechung vorgeben. Ein
gutes Beispiel hierfür ist das nationale Urlaubsrecht,
das regelmäßig vom EuGH auf den Prüfstand gestellt
wird.
Wer europaweit agiert und z.B. Mitarbeiter in das
Ausland entsendet, muss noch mehr tun: Er hat nicht
nur bestimmte europarechtliche Entsendevorgaben
zu beachten, sondern muss auch einen Blick über die
Grenzen hinaus wagen. Wie funktioniert Zeitarbeit im
Tätigkeitsstaat? Welche Reglementierungen gibt es?
Muss Equal Pay gezahlt werden, und unter welchen
Voraussetzungen kann ein Zeitarbeitsunternehmen in
anderen EU-Ländern gegründet werden? Eine Diskussionsrunde,
an der Zeitarbeitsexperten aus Belgien,
den Niederlanden und Österreich teilnehmen, wird
Aufschluss über diese Fragen geben.
Aber auch andere wichtige Themen, mit denen sich
Personaldienstleister im Alltag auseinandersetzen
müssen, kommen nicht zu kurz. Die Zeitarbeitsbranche
ist Speerspitze des Fachkräftemangels. Umso wichtiger
ist es, Strategien zur Mitarbeitergewinnung zu entwickeln,
die nicht nur tatsächlichen Erfolg versprechen,
sondern auch rechtskonform sind. Hierüber werden
Sie ebenso informiert, wie dazu, ob es sich lohnt, gegen
Beanstandungen der Bundesagentur für Arbeit
vorzugehen.
Spannende Themen, die gehört werden wollen. Wir freuen uns, Sie am 3. September auf dem
8. Potsdamer Rechtsforum begrüßen zu dürfen.
Werner Stolz
iGZ-Hauptgeschäftsführer
Dr. Martin Dreyer
stellv. iGZ-Hauptgeschäftsführer
Judith Schröder
Leiterin iGZ-Fachbereich Arbeits- und Tarifrecht
PROGRAMM
MODERATION
Marcel Speker | Leiter
iGZ-Fachbereich Kommunikation
und Digitalisierungsbeauftragter
9.30 BEGRÜSSUNG
Dr. Martin Dreyer | stellv. iGZ-Hauptgeschäftsführer
9.45 Aktuelles Urlaubsrecht – die neuen Vorgaben
von BAG und EuGH
Dr. Nathalie Oberthür | RPO Rechtsanwälte
Partnerschaftsgesellschaft Köln | Fachanwältin für
Arbeitsrecht und Sozialrecht
10.45 Flexible Formen der Beschäftigung:
Entwicklungen aus der Sicht eines Europapolitikers
Elmar Brok | Mitglied des Europäischen Parlamentes (1980 – 2019)
11:45 Rechtliche Herausforderungen bei Prüfungen
durch die Bundesagentur für Arbeit
Jörg Hennig | HK2 Rechtsanwälte Berlin | Fachanwalt für
Arbeitsrecht und Sozialrecht
12:30 MITTAGSPAUSE
13:30 Reform der Entsenderichtlinie: Bedeutung für
die Zeitarbeit
Prof. Dr. Martin Franzen | Juristische Fakultät der
Ludwig-Maximilians-Universität München
14:30 DISKUSSIONSRUNDE
Blick über die Grenzen hinaus: Zeitarbeit in der Europäischen
Union – Gemeinsamkeiten und Unterschiede
Markus Archan | Präsident Österreichs Personaldienstleister
Norbert Schommers | Leiter Fachbereich Beschäftigung
Ministerium der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgien
David van Swol | NBBU Niederlande
Judith Schröder | Leiterin iGZ-Fachbereich Arbeits- und Tarifrecht
15:15 KAFFEEPAUSE
15:45 Fairer Wettbewerb in der Zeitarbeit – von der
unerlaubten Abwerbung zum Geschäftsgeheimnis-Verrat
Dr. Oliver Bertram | Taylor Wessing Düsseldorf | Fachanwalt
für Arbeitsrecht
16.45 SCHLUSSWORT
Judith Schröder | Leiterin iGZ-Fachbereich Arbeits- und Tarifrecht
Netz: Zeitarbeit
Passwort: EineGuteWahl
Marcel Speker
MODERATION
Leiter
iGZ-Fachbereich Kommunikation
und Digitalisierungsbeauftragter
speker@ig-zeitarbeit.de
Marcel Speker ist studierter Politikwissenschaftler und
ausgebildeter Redakteur. Er verfügt über Erfahrungen
als Journalist und Autor.
Als Pressesprecher war er im politischen und arbeitgeberverbandlichen
Umfeld unter anderem beim Spitzenverband
der rheinland-pfälzischen Wirtschaft (LVU)
und dem Verband der Pfälzischen Metall- und Elektroindustrie
tätig.
Seit 2012 leitet er den Fachbereich Kommunikation beim
iGZ. Darüber hinaus ist er für das Thema Digitalisierung
/ Arbeit 4.0 zuständig. Ebenfalls seit 2012 vertritt er den
iGZ im Beirat des Instituts der deutschen Wirtschaft
(IW Köln).
Von 2013 bis 2018 war er Lehrbeauftragter an der
Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster und
lehrte dort zu aktuellen Fragen der Arbeitsmarktpolitik.
» zurück zum Programm
Dr. Martin Dreyer
BEGRÜSSUNG
Stellv. iGZ-Hauptgeschäftsführer
dreyer@ig-zeitarbeit.de
Dr. jur. Martin Dreyer ist seit 2004 beim iGZ. Er ist
Geschäftsführer und begleitet die Tarifpolitik sowie die
Arbeit in den Projektgruppen.
Dr. Dreyer ist Mitglied in der Vertreterversammlung der
VBG und vertritt die Verbandspolitik gegenüber der
Berufsgenossenschaft gemeinsam mit dem Vorstandsmitglied
Martin Gehrke.
» zurück zum Programm
Weil Weil ich hier ich so meine akzeptiert Chance
bekommen werde, wie habe. ich bin.
Jessica Thilo Brewe Koch | | Kommissionierer
Bürokauffrau
Ihre Geschichte finden Sie unter www.zeitarbeit-einegutewahl.de
Dr. Nathalie Oberthür
Aktuelles Urlaubsrecht
die neuen Vorgaben von
BAG und EuGH
RPO Rechtsanwälte
Partnerschaftsgesellschaft Köln |
Fachanwältin für
Arbeitsrecht und Sozialrecht
oberthuer@rpo-rechtsanwaelte.de
Dr. Nathalie Oberthür ist Fachanwältin für Arbeitsrecht
und Sozialrecht und Partnerin der Arbeitsrechtsboutique
RPO Rechtsanwälte in Köln. Sie berät und vertritt Mandanten
in allen Fragen des individuellen und kollektiven
Arbeitsrechts, des Dienstvertragsrechts und bei angrenzenden
Fragestellungen im Sozialversicherungsrecht.
Neben ihrer Anwaltstätigkeit ist sie als Referentin arbeitsrechtlicher
Fachvorträge und als Autorin und Herausgeberin
arbeitsrechtlicher Fachliteratur tätig. Sie
ist Mitglied des Geschäftsführenden Ausschusses der
Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht und Vorsitzende des
Gesetzgebungsausschusses Arbeitsrecht im DAV.
Ein Schwerpunkt ihrer Tätigkeit liegt in der Prozessführung,
der Gestaltung und Verhandlung von Anstellungs-
und Aufhebungsverträgen und der Beratung und
Vertretung der Betriebsparteien in betriebsverfassungsrechtlichen
Angelegenheiten.
» zurück zum Programm
Dr. Nathalie Oberthür | Aktuelles Urlaubsrecht – die neuen Vorgaben von BAG und EuGH
AKTUELLES ZUM ULAUBSRECHT
8. Potsdamer Rechtsforum zur Zeitarbeit
Potsdam, 3. September 2019
Referentin: Dr. Nathalie Oberthür, Fachanwältin für Arbeits- und Sozialrecht
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Dr. Nathalie Oberthür | Aktuelles Urlaubsrecht – die neuen Vorgaben von BAG und EuGH
Themen
• Rechtsgrundlagen
• Entstehung des Urlaubsanspruchs
• Übertragung des Urlaubsanspruchs
• Vererblichkeit des Abgeltungsanspruchs
• Berechnung des Urlaubsentgelts
RA FAArbRSozR Dr. Nathalie Oberthür
2
Dr. Nathalie Oberthür | Aktuelles Urlaubsrecht – die neuen Vorgaben von BAG und EuGH
RECHTSGRUNDLAGEN
3
Dr. Nathalie Oberthür | Aktuelles Urlaubsrecht – die neuen Vorgaben von BAG und EuGH
Rechtsgrundlagen
▪
▪
§ 1 BUrlG: „Jeder Arbeitnehmer hat in jedem Kalenderjahr Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub“
§ 3 BUrlG: „Der Urlaub beträgt jährlich mindestens 24 Werktage“
• Artikel 7 RL 2003/88/EG:
• (1) Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit jeder Arbeitnehmer einen bezahlten
Mindestjahresurlaub von vier Wochen nach Maßgabe der Bedingungen für die Inanspruchnahme und die Gewährung
erhält, die in den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder nach den einzelstaatlichen Gepflogenheiten
vorgesehen sind.
• (2) Der bezahlte Mindestjahresurlaub darf außer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht durch eine finanzielle
Vergütung ersetzt werden.
• Art 31 Abs. 2 GRC: Jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer hat das Recht auf eine Begrenzung der
Höchstarbeitszeit, auf tägliche und wöchentliche Ruhezeiten sowie auf bezahlten Jahresurlaub.
RA FAArbRSozR Dr. Nathalie Oberthür
4
Dr. Nathalie Oberthür | Aktuelles Urlaubsrecht – die neuen Vorgaben von BAG und EuGH
Rechtsgrundlagen
• Unmittelbare Anwendung der Richtlinie ?
• Unmittelbare Anwendung der Grundrechte-Charta ?
Das in Art. 31 Abs. 2 GRC verankerte Recht auf bezahlten Jahresurlaub verleiht den Arbeitnehmern
ein Recht, das sie gegen ihren Arbeitgeber in einem vom Unionsrecht erfassten und daher in den
Anwendungsbereich der Charta fallenden Sachverhalt als solches geltend machen können (EuGH
06.11.2018 – C-569/16 und C-570/16, Bauer und Broßonn; bestätigt von EuGH vom 14.05.2019 –
C.55/18, CCOO)
RA FAArbRSozR Dr. Nathalie Oberthür
5
Dr. Nathalie Oberthür | Aktuelles Urlaubsrecht – die neuen Vorgaben von BAG und EuGH
Rechtsgrundlagen
Anwendungsvorrang des Unionsrechts
• Richtlinienkonforme Auslegung: Nationale Gerichte haben die Bestimmungen des innerstaatlichen
Rechts, die zur Umsetzung der in einer Richtlinie vorgesehenen Verpflichtungen erlassen worden sind, so
weit wie möglich anhand des Wortlauts und des Zweckes der Richtlinie auszulegen, um zu einem
Ergebnis zu gelangen, das mit dem von der Richtlinie verfolgten Ziel vereinbar ist (EuGH 24.01.2012 –
C-282/10, Dominguez)
• Dies umfasst die Verpflichtung der nationalen Gerichte, eine gefestigte Rechtsprechung gegebenenfalls
abzuändern, wenn sie auf einer Auslegung des nationalen Rechts beruht, die mit den Zielen einer Richtlinie
unvereinbar ist. Folglich darf ein nationales Gericht u.a. nicht davon ausgehen, dass es eine nationale
Vorschrift nicht im Einklang mit dem Unionsrecht auslegen könne, nur weil sie in ständiger Rechtsprechung
in einem nicht mit dem Unionsrecht vereinbaren Sinne ausgelegt worden ist (EuGH 06.11.2018
– C-569/16 und C-570/16, Bauer und Broßonn)
RA FAArbRSozR Dr. Nathalie Oberthür
6
Dr. Nathalie Oberthür | Aktuelles Urlaubsrecht – die neuen Vorgaben von BAG und EuGH
Rechtsgrundlagen
Anwendungsvorrang des Unionsrechts
• Dies umfasst auch das Gebot einer richtlinienkonformen Rechtsfortbildung, insbesondere dann, wenn
der Gesetzgeber mit der von ihm geschaffenen Regelung eine Richtlinie umsetzen wollte, hierbei aber
deren Inhalt missverstanden hat (BAG, EuGH-Vorlage 28. Juli 2016 – 2 AZR 746/14 (A)
• Hypothetischer Umsetzungswille des Gesetzgebers: Die maßgebliche gesetzgeberische Grundentscheidung,
an die die Gerichte verfassungsrechtlich gebunden sind, trifft der nationale Gesetzgeber. Einer
unionsrechtlichen Determinierung kann innerstaatlich durch die Annahme Rechnung getragen werden,
dass der mitgliedstaatliche Gesetzgeber nicht gegen Pflicht zur fristgemäßen Umsetzung (Art. 288 Abs 3
AEUV) verstoßen wollte (BVerfG 26.´09.2011 – 2 BvR 2216/06).
• Grenze: keine Auslegung contra legem
RA FAArbRSozR Dr. Nathalie Oberthür
7
Dr. Nathalie Oberthür | Aktuelles Urlaubsrecht – die neuen Vorgaben von BAG und EuGH
Rechtsgrundlagen
Anwendungsvorrang des Unionsrechts
• Unionsrechtliche Vorgaben gelten nur für gesetzlichen Mindesturlaub und Schwerbehindertenurlaub.
Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsansprüche, die den von Art 7 Abs 1 EGRL 88/2003 gewährleisteten und
von §§ 1, 3 Abs 1 BUrlG begründeten Anspruch auf Mindestjahresurlaub von vier Wochen übersteigen,
können frei geregelt werden (BAG vom 22.01.2019 – 9 AZR 149/17).
• Dies gilt auch, wenn der übergesetzliche Urlaub wegen Krankheit nicht genommen werden konnte (EuGH
03.05.2012 – C-337/10 „Neidel“; ebenso GA Yves Bot (Schlussanträge vom 04.06.2019 – C-609/17,
TSN): richtlinienüberschießende Regelung dient zwar der Durchführung des Unionsrechts (mit der Folge
der Anwendung der Grundechte-Charta), allerdings regelt Art. 31 Abs. 2 GRC nur den
Mindesturlaubsanspruch und findet deshalb keine Anwendung
RA FAArbRSozR Dr. Nathalie Oberthür
8
Dr. Nathalie Oberthür | Aktuelles Urlaubsrecht – die neuen Vorgaben von BAG und EuGH
Rechtsgrundlagen
Anwendungsvorrang des Unionsrechts
• PRAXISTIPP: Freie Regelbarkeit des vertraglichen / tariflichen Zusatzurlaubs. Voraussetzung: klare und
differenzierende Regelung erforderlich, ansonsten bleibt es bei dem Regelfall des Gleichlaufs.
• Manteltarifvertrag iGZ / DGB: § 6.1 „Die Urlaubsgewährung richtet sich nach den Regelungen des
Bundesurlaubsgesetzes.“ Damit gelten für den tariflichen Zusatzurlaub dieselben Bedingungen wie für den
gesetzlichen Mindesturlaubsanspruch.
RA FAArbRSozR Dr. Nathalie Oberthür
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Dr. Nathalie Oberthür | Aktuelles Urlaubsrecht – die neuen Vorgaben von BAG und EuGH
ENTSTEHUNG DES ANSPRUCHS
10
Dr. Nathalie Oberthür | Aktuelles Urlaubsrecht – die neuen Vorgaben von BAG und EuGH
Anspruchsentstehung
▪
Bisherige Rechtsprechung: der Anspruch entsteht zum 01.01. des jeweiligen Urlaubsjahres. Eine aktive
Arbeitsleistung ist nicht erforderlich. Deshalb entsteht der (unabdingbare) Mindesturlaubsanspruch auch im ruhenden
Arbeitsverhältnis
▪
▪
BAG 30.07.1986 – 8 AZR 475/84: Wenn allein das Ruhen zu einer Verringerung des Urlaubsanspruchs führen würde,
hätte es gesetzlicher Regelungen wie § 8d MuSchG, § 4 ArbPlSchG, § 17 BEEG nicht bedurft. Die dort enthaltenen
Kürzungsmöglichkeiten kompensieren besondere Schutzpflichten des Arbeitgebers, die bei anderen
Ruhenstatbeständen nicht auftreten.
BAG 07.08.2012 – 9 AZR 353/10: Jeder Arbeitnehmer hat nach § 1 BUrlG in jedem Kalenderjahr auch dann Anspruch
auf bezahlten Jahresurlaub, wenn er im gesamten Urlaubsjahr arbeitsunfähig krank war. Dies gilt auch, wenn der
Arbeitnehmer eine befristete Rente wegen Erwerbsminderung bezogen hat.
RA FAArbRSozR Dr. Nathalie Oberthür
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Dr. Nathalie Oberthür | Aktuelles Urlaubsrecht – die neuen Vorgaben von BAG und EuGH
Anspruchsentstehung
• EuGH 20.01.2009 – C-350/06 „Schulz-Hoff“: Der Urlaubsanspruch kann bei ordnungsgemäß
krankgeschriebenen Arbeitnehmern nicht davon abhängig gemacht werden, dass diese im Bezugs-zeitraum
tatsächlich gearbeitet haben
• EuGH vom 13.12.2018 – C-385/17, Hein: RL 2003/88 gewährleistet einen Urlaubsanspruch nur für Zeiten, in
denen tatsächlich gearbeitet wurde (mithin nicht für Kurzarbeit). Günstigere mitgliedsstaatliche Regelungen
sind zulässig
• EuGH vom 04.10.2018 – C-12/17, Dicu: Art. 7 der RL 88/2003 (Arbeitszeit) erlaubt die Berechnung der
einem Arbeitnehmer gewährleisteten Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub dahingehend, dass die Dauer
eines von dem Arbeitnehmer in diesem Zeitraum genommenen Elternurlaubs nicht als Zeitraum tatsächlicher
Arbeitsleistung angesehen wird.
RA FAArbRSozR Dr. Nathalie Oberthür
12
Dr. Nathalie Oberthür | Aktuelles Urlaubsrecht – die neuen Vorgaben von BAG und EuGH
Anspruchsentstehung
• BAG 19.03.2019 – 9 AZR 315/17: Befindet sich ein Arbeitnehmer im Urlaubsjahr ganz oder teilweise im
unbezahlten Sonderurlaub, ist bei der Berechnung der Urlaubsdauer zu berücksichtigen, dass die
Arbeitsvertragsparteien ihre Hauptleistungspflichten durch die Vereinbarung von Sonderurlaub vorübergehend
ausgesetzt haben. Dies führt dazu, dass einem Arbeitnehmer für ein Kalenderjahr, in dem er sich
durchgehend im unbezahlten Sonderurlaub befindet, mangels einer Arbeitspflicht kein Anspruch auf
Erholungsurlaub zusteht (unter Aufgabe von BAG 06.05.2014 - 9 AZR 678/12)
• BAG 19.03.2019 – 9 AZR 362/18: Anteilige Kürzung bei Elternzeit gemäß § 17 BEEG zulässig
• LAG Köln 13.12.2018 – 7 Sa 269/18 (anhängig 9 AZR 33/19): Während der Freistellungsphase einer
Altersteilzeit im Blockmodell entstehen keine Urlaubsansprüche, da sie in natura mangels Arbeitsverpflichtung
nie verwirklicht werden können
RA FAArbRSozR Dr. Nathalie Oberthür
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Dr. Nathalie Oberthür | Aktuelles Urlaubsrecht – die neuen Vorgaben von BAG und EuGH
Anspruchsentstehung
Umfang des Anspruchs bei Arbeitszeitänderung
• BAG, Urt. v. 10.2.2015 – 9 AZR 53/14: bei einem Wechsel von Voll- in Teilzeit ist der Urlaubsanspruch
anzupassen (Anschluss an EuGH vom 13.06.2013 – C-415/12, Brandes)
• BAG vom 14.03.2017 – 9 AZR 7/16: Im Falle eines unterjährigen Wechsels der Arbeitszeitverteilung kann
§ 26 Abs. 1 Satz 4 TVöD aF nicht dahin gehend ausgelegt werden, dass der kalenderjährig be-stimmte
Urlaubsanspruch in Zeitabschnitte fragmentiert und damit als Summe mehrerer (Teil-)Urlaubs-ansprüche
zu berechnen ist. Vielmehr wird die Anzahl der zum Zeitpunkt des Wechsels noch nicht ge-nommenen
Urlaubstage mit dem Quotienten multipliziert, der sich aus der Anzahl der Wochenarbeitstage unter dem
neuen Arbeitszeitregime (Divident) und der Anzahl der Wochenarbeitstage unter dem alten
Arbeitszeitregime (Divisor) ergibt.
RA FAArbRSozR Dr. Nathalie Oberthür
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Dr. Nathalie Oberthür | Aktuelles Urlaubsrecht – die neuen Vorgaben von BAG und EuGH
ÜBERTRAGUNG DES ANSPRUCHS
15
Dr. Nathalie Oberthür | Aktuelles Urlaubsrecht – die neuen Vorgaben von BAG und EuGH
Anspruchsübertragung
• § 7 Abs. 3 BUrlG: „Der Urlaub muss im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden. Eine
Übertragung des Urlaubs auf das nächste Kalenderjahr ist nur statthaft, wenn dringende betriebliche oder
in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe dies rechtfertigen. Im Fall der Übertragung muss der
Urlaub in den ersten drei Monaten des folgenden Kalenderjahrs gewährt und genommen werden.
• Rechtsfolge (bislang): Bei persönlichen oder betrieblichen Übertragungsgründen Übertrag ins erste
Quartal des Folgejahres. Im Übrigen ersatzloser Verfall des Urlaubsanspruchs, es sei denn, der Arbeitnehmer
habe den Urlaub erfolglos beantragt; dann Anspruch auf Schadenersatz in Form der Gewährung
von Ersatzurlaub. Verjährungsfrist: 3 Jahre
RA FAArbRSozR Dr. Nathalie Oberthür
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Dr. Nathalie Oberthür | Aktuelles Urlaubsrecht – die neuen Vorgaben von BAG und EuGH
Anspruchsübertragung
Übertragung bei Langzeiterkrankung
• BAG 13.05.1982 – 6 AZR 360/80: Der Anspruch auf Gewährung von Erholungsurlaub besteht nach dem
BUrlG nur jeweils während des Urlaubsjahrs / Übertragungszeitraums. Daran ändert sich nichts, wenn ein
Arbeitnehmer infolge lang dauernder Arbeitsunfähigkeit gehindert war, den Urlaub zu nehmen. Auch dann
ist der Urlaubsanspruch in seinem Bestand auf die genannten Zeiträume beschränkt.
Ständige und herrschende Rechtsprechung seitdem:
- Entstehung des vollen Urlaubsanspruchs unabhängig von der Arbeitsleistung
- Verfall bei langdauernder Erkrankung am 31.03 des Folgejahres
- Surrogatstheorie
• Vorlageverfahren: LAG Düsseldorf 02.08.2006 – 12 Sa 486/06
RA FAArbRSozR Dr. Nathalie Oberthür
17
Dr. Nathalie Oberthür | Aktuelles Urlaubsrecht – die neuen Vorgaben von BAG und EuGH
Anspruchsübertragung
Übertragung bei Langzeiterkrankung
▪
EuGH 20.01.2009 – C-350/06 „Schulz-Hoff“: Nach ständiger Rechtsprechung ist der Anspruch jedes
Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub als ein besonders bedeutsamer Grundsatz des Sozialrechts
der Union anzusehen, von dem nicht abgewichen werden darf.
▪
Art. 7 Abs. 1 der RL 2003/88 steht grundsätzlich einer nationalen Regelung nicht entgegen, die für die
Ausübung des mit dieser Richtlinie ausdrücklich verliehenen Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub
Modalitäten vorsieht, die sogar den Verlust dieses Anspruchs am Ende eines Bezugszeitraums oder eines
Übertragungszeitraums umfassen.
▪
Allerdings muss der Arbeitnehmer, dessen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub erloschen ist, tatsächlich
die Möglichkeit gehabt haben, den ihm mit der Richtlinie verliehenen Anspruch auszuüben.
RA FAArbRSozR Dr. Nathalie Oberthür
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Dr. Nathalie Oberthür | Aktuelles Urlaubsrecht – die neuen Vorgaben von BAG und EuGH
Anspruchsübertragung
Übertragung bei Langzeiterkrankung
▪
Der Urlaubsanspruch kann bei ordnungsgemäß krankgeschriebenen Arbeitnehmern nicht davon abhängig
gemacht werden, dass diese im Bezugszeitraum tatsächlich gearbeitet haben
▪
Der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub erlischt mit Ablauf des Bezugszeitraums / Übertragungszeitraums
nicht, wenn der Arbeitnehmer während des gesamten Bezugszeitraums oder eines Teils davon
krankgeschrieben war und seine Arbeitsunfähigkeit bis zum Ende seines Arbeitsverhältnisses fortgedauert
hat, weshalb er seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub nicht ausüben konnte.
▪
Für nicht genommenen Jahresurlaub am Ende des Arbeitsverhältnisses muss eine finanzielle Vergütung
gezahlt werden, wenn der Arbeitnehmer während des gesamten Bezugszeitraums /
Übertragungszeitraums oder eines Teils davon krankgeschrieben war und deshalb seinen Anspruch auf
bezahlten Jahresurlaub nicht ausüben konnte.
RA FAArbRSozR Dr. Nathalie Oberthür
19
Dr. Nathalie Oberthür | Aktuelles Urlaubsrecht – die neuen Vorgaben von BAG und EuGH
Anspruchsübertragung
Übertragung bei Langzeiterkrankung
▪
BAG 24.03.2009 – 9 AZR 983/07: § 7 Abs. 3 und 4 BUrlG ist im Verhältnis zu privaten Arbeitgebern nach
den Vorgaben des Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG durch teleologische Reduktion der zeitlichen Grenzen
richtlinienkonform fortzubilden.
▪ Der Urlaubsanspruch besteht fort, auch wenn der Arbeitnehmer bis zum Ende des Urlaubsjahres /
Übertragungszeitraums arbeitsunfähig erkrankt war. Bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses ist der
Urlaubsanspruch abzugelten.
RA FAArbRSozR Dr. Nathalie Oberthür
20
Dr. Nathalie Oberthür | Aktuelles Urlaubsrecht – die neuen Vorgaben von BAG und EuGH
Anspruchsübertragung
Übertragung bei Langzeiterkrankung
▪
Allgemeine Auffassung danach: keine zeitliche Begrenzung der Übertragung
▪
Eine zeitliche Grenze für das „Ansammeln von Urlaubsansprüchen existiert nicht. Art. 9 Abs. 1 des
Übereinkommens Nr. 132 der Internationalen Arbeitsorganisation, der die Urlaubsgewährung spätestens
18 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres vorsieht, ist im nationalen Recht nicht unmittelbar anwendbar.
Selbst wenn der Verfall des Urlaubsanspruches auch bei langer andauernder Arbeitsunfähigkeit
europarechtlich zulässig wäre, mangelt es im nationalen Recht an einer Norm, die diesen Verfall anordnet.
Ein solches Gesetz mag sozialpolitisch wünschenswert sein; es existiert jedoch zum gegenwärtigen
Zeitpunkt nicht (LAG Niedersachsen 16.09.2011 – 6 Sa 348/11 LAG Baden- Württemberg 02.12.2010 – 22
Sa 59/10; LAG Düsseldorf 25.02.2011 – 9 Sa 258/10).
RA FAArbRSozR Dr. Nathalie Oberthür
21
Dr. Nathalie Oberthür | Aktuelles Urlaubsrecht – die neuen Vorgaben von BAG und EuGH
Anspruchsübertragung
Übertragung bei Langzeiterkrankung
▪
Die „Nuancierung“: EuGH 22.11.2011 – C-241/10 „Schulte - KHS“: Eine zeitlich unbegrenzte Übertragung
des Urlaubs entspricht nicht dem doppelten Zweck des Urlaubsanspruchs (Zeitraum für Freizeit
und Erholung von der Arbeitsleistung). Eine Erholungszeit ist nicht mehr erreichbar, wenn ein bestimmter
zeitlicher Abstand zum Bezugszeitraum überschritten wird. Der Arbeitgeber muss vor der Gefahr der Ansammlung
zu langer Abwesenheitszeiträumen geschützt werden.
▪
Art. 9 Abs. 1 des Übereinkommens Nr. 132 IAO bestätigt, dass der Erholungszweck 18 Monate nach
Ablauf des Bezugszeitraums nicht mehr erreicht werden kann.
▪
Ein Übertragungszeitraum von 15 Monaten ist ausreichend, um den positiven Zweck der Erholungszeit für
den Arbeitnehmer zu gewährleisten.
RA FAArbRSozR Dr. Nathalie Oberthür
22
Dr. Nathalie Oberthür | Aktuelles Urlaubsrecht – die neuen Vorgaben von BAG und EuGH
Anspruchsübertragung
Übertragung bei Langzeiterkrankung
▪ BAG 07.08.2012 – 9 AZR 353/10: Bei langjährig arbeitsunfähigen Arbeitnehmern ist § 7 Abs. 3 Satz 3
BUrlG, wonach im Fall der Übertragung der Urlaub in den ersten drei Monaten des folgenden Kalenderjahres
gewährt und genommen werden muss, unionsrechtskonform so auszulegen, dass der Urlaubsanspruch
15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres verfällt. Der EuGH hat in der KHS-Entscheidung vom
22.11.2011 seine Rechtsprechung bezüglich des zeitlich unbegrenzten Ansammelns von Urlaubsansprüchen
arbeitsunfähiger Arbeitnehmer geändert und den Verfall des Urlaubs 15 Monate nach Ablauf
des Urlaubsjahres nicht beanstandet.
▪
Ziffer 6.2.4 Manteltarifvertrag iGZ / DGB: „Wenn Urlaub wegen einer Langzeitarbeitsunfähigkeit nicht
genommen werden konnte, auch nicht bis zum 31. März des Folgejahres, so verfällt der Anspruch.“ -→
wegen Verstoßes gegen Art. 31 Abs. 2 GRC unanwendbar
RA FAArbRSozR Dr. Nathalie Oberthür
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Dr. Nathalie Oberthür | Aktuelles Urlaubsrecht – die neuen Vorgaben von BAG und EuGH
Anspruchsübertragung
Fehlende Geltendmachung
• EuGH vom 29.11.2017 – C-214/16, King:
• Sachverhalt: ein vermeintlich selbständiger Arbeitnehmer begehrte nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses
Urlaubsabgeltung für Urlaubstage aus den Jahren 1999 – 2012, die er ohne Vergütung
genommen hatte, und für Urlaubstage, die er nicht genommen hatte
• 1. Feststellung: Mitgliedstaaten dürfen keinen Verfall des Anspruchs vorsehen, wenn keine ausreichenden
Rechtsschutzmöglichkeiten gewährt werden, um den bezahlten Urlaub geltend zu machen. An-spruch
auf Urlaub und Urlaubsvergütung sind zwei Seiten derselben Medaille. Unsicherheit über die
Urlaubsvergütung verhindere den vollständigen Freizeitgenuss.
Folge: Gewährung von (bezahltem) Urlaub durch einstweilige Verfügung
RA FAArbRSozR Dr. Nathalie Oberthür
24
Dr. Nathalie Oberthür | Aktuelles Urlaubsrecht – die neuen Vorgaben von BAG und EuGH
Anspruchsübertragung
Fehlende Geltendmachung
• 2. Feststellung: jede Praxis oder Unterlassung eines Arbeitgebers, die den Arbeitnehmer davon ab-halten
kann, den Jahresurlaub zu nehmen, verstößt gegen die Vorgaben der Richtlinie und darf nicht zum Verfall
des Urlaubs(abgeltungs)anspruchs führen.
• 3. Feststellung: Eine zeitliche Begrenzung ist nicht vorgesehen. Zwar kann (wie bei längerer Krankheit)
der Urlaubszweck der Erholung nicht mehr erreicht werden. Allerdings streiten hier keine schutzwürdigen
Interessen des Arbeitgebers an einer funktionierenden Arbeitsorganisation, vielmehr würde dieser von der
fortlaufenden Anwesenheit des Arbeitnehmers profitieren und damit dem Zweck des Gesundheitsschutzes
unterlaufen. Ob der Arbeitgeber einem Irrtum unterliegt, ist unerheblich.
RA FAArbRSozR Dr. Nathalie Oberthür
25
Dr. Nathalie Oberthür | Aktuelles Urlaubsrecht – die neuen Vorgaben von BAG und EuGH
Anspruchsübertragung
Fehlende Geltendmachung
• Rechtsfolge: Richtlinienkonformen Auslegung des § 7 Abs. 3 BUrlG ergibt, dass; der Urlaubsanspruch
nicht erlischt, wenn er „aus vom Willen des Arbeitnehmers unabhängigen Gründen nicht genommen
wurde“.
• HINWEIS: Dies betrifft neben Scheinselbständigen bspw. in Bestandsstreitigkeiten die Zeit nach Ablauf
der Kündigungsfrist, evtl. Minijobber
• Rechtsfolge: keine zeitliche Begrenzung durch Ausschlussfristen und Verjährungsfristen; § 195 BGB
wegen Art. 31 Abs. 2 GRC ab richtlinienkonform einzuschränken.
RA FAArbRSozR Dr. Nathalie Oberthür
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Dr. Nathalie Oberthür | Aktuelles Urlaubsrecht – die neuen Vorgaben von BAG und EuGH
Anspruchsübertragung
Pflicht zur Urlaubsgewährung ?
• EuGH vom 06.11.2018 – C-684/16, Max-Planck-Institut:
• Sachverhalt: Ein Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts war aufgrund befristeten Arbeitsvertrages bis
zum 31.12.2013 beschäftigt. Mit Schreiben vom 23.10.2013 wies der Arbeitgeber darauf hin, dass der
Arbeitnehmer den Urlaub vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses nehmen solle, ohne diesen verbind-lich
anzuordnen. Der Arbeitnehmer verlangt Abgeltung des Urlaubs aus 2012 und 2013.
RA FAArbRSozR Dr. Nathalie Oberthür
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Dr. Nathalie Oberthür | Aktuelles Urlaubsrecht – die neuen Vorgaben von BAG und EuGH
Anspruchsübertragung
Pflicht zur Urlaubsgewährung ?
• 1. Feststellung: Die Mitgliedstaaten können Modalitäten zur Inanspruchnahme des Urlaubs vorsehen. Die
Regelungen dürfen einen Verfall des Anspruchs vorsehen; der Urlaubsanspruch muss dem Arbeit-nehmer
nicht völlig unabhängig von den Umständen erhalten bleiben, die dazu geführt haben, dass er den
bezahlten Jahresurlaub nicht genommen hat. Voraussetzung ist aber, dass der Arbeitnehmer tat-sächlich
die Möglichkeit hatte, den Anspruch auszuüben. Ein Verfall kann nicht allein aufgrund der Tat-sache
eintreten, dass der Arbeitnehmer keinen Antrag gestellt hat, ohne dass zuvor geprüft wurde, ob der
Arbeitgeber geeignete Maßnahmen getroffen hat, um dafür zu sorgen, dass der Arbeitnehmer seinen
Anspruch auf Jahresurlaub tatsächlich ausüben kann.
RA FAArbRSozR Dr. Nathalie Oberthür
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Dr. Nathalie Oberthür | Aktuelles Urlaubsrecht – die neuen Vorgaben von BAG und EuGH
Anspruchsübertragung
Pflicht zur Urlaubsgewährung ?
• 2. Feststellung: Aufgrund des „wesenhaften Ungleichgewichts“ im Arbeitsverhältnis, das den Arbeitnehmer
von der Inanspruchnahme seiner Ansprüche abhalten könnte, und der Verantwortung des Arbeitgebers für den
Gesundheitsschutz muss der Arbeitgeber konkrete organisatorische Maßnahmen zur Gewährleistung des
Urlaubs ergreifen. Er muss den Arbeitnehmer – erforderlichenfalls förmlich – auffordern, den Urlaub zu nehmen
und ihm rechtzeitig und klar darüber informieren, dass der Urlaub ersatzlos und ohne finanzielle Kompensation
verfällt, wenn er nicht genommen wird. Dies hat der Arbeitgeber im Streitfall nachzuweisen. Seine Verpflichtung
geht aber nicht so weit, den Arbeitnehmer zu zwingen, den Erholungsurlaub tatsächlich in Anspruch zu
nehmen.
• Der Verfall des Urlaubsanspruchs ist damit nicht zu beanstanden, wenn er von dem (informierten) freien Willen
des Arbeitnehmers abhängt.
RA FAArbRSozR Dr. Nathalie Oberthür
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Dr. Nathalie Oberthür | Aktuelles Urlaubsrecht – die neuen Vorgaben von BAG und EuGH
Anspruchsübertragung
Pflicht zur Urlaubsgewährung ?
• 3. Feststellung: RL 2003/88 ist hinreichend bestimmt und findet gegenüber dem öffentlichen Arbeit-geber
unmittelbare Anwendung; nicht aber im Rechtsstreit zwischen Privaten
• In Art. 31 Abs. 2 GRC ist das Recht jeder Arbeitnehmerin und jedes Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub
verankert. Dieser Grundsatz hat seinen Ursprung sowohl in Rechtsakten, die wie die in Art. 151
AEUV erwähnte Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer von den Mitgliedstaaten
auf Unionsebene geschaffen wurden, als auch in den völkerrechtlichen Verträgen, bei denen die
Mitgliedstaaten mitgewirkt haben oder denen sie beigetreten sind, zu denen ebenfalls die in Art. 151 AEUV
erwähnte Europäische Sozialcharta gehört.
→ entgegenstehendes nationales Recht hat unangewendet zu bleiben
RA FAArbRSozR Dr. Nathalie Oberthür
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Dr. Nathalie Oberthür | Aktuelles Urlaubsrecht – die neuen Vorgaben von BAG und EuGH
Anspruchsübertragung
Pflicht zur Urlaubsgewährung ?
• BAG 19.02.2019 – 9 AZR 278/16 und 541/15: Bei einer richtlinienkonformen Auslegung des § 7 BUrlG
kann der Verfall von Urlaub in der Regel nur eintreten, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zuvor
konkret aufgefordert hat, den Urlaub zu nehmen, und ihn klar und rechtzeitig darauf hingewiesen hat, dass
der Urlaub anderenfalls mit Ablauf des Urlaubsjahres oder Übertragungszeitraums erlischt. Die Befristung
zum Jahresende setzt die Erfüllung der Mitwirkungspflichten voraus. Der nicht verfallene Urlaub tritt zu
dem Urlaubsanspruch hinzu, der am 01.01 des Folgejahres entsteht. Dieser Teil des Urlaubsanspruchs ist
gegenüber dem neu erworbenen Urlaubsanspruch nicht privilegiert; für ihn gelten, wie für den neu
entstandenen Urlaubsanspruch, die Regelungen des § 7 Abs. 1 S. 1 und Abs 3 BUrlG.
• LAG Köln 09.04.2019 – 4 Sa 242/18: Diese Initiativlast des Arbeitgebers ist nicht auf den originären
Urlaubsanspruch im jeweiligen Kalenderjahr beschränkt, sondern bezieht sich auch auf Urlaub aus
vorangegangenen Kalenderjahren.
• -→ Mitwirkungspflicht kann im Folgejahr nachgeholt werden !
RA FAArbRSozR Dr. Nathalie Oberthür
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Dr. Nathalie Oberthür | Aktuelles Urlaubsrecht – die neuen Vorgaben von BAG und EuGH
Anspruchsübertragung
Pflicht zur Urlaubsgewährung ?
• PRAXISTIPP des BAG:
• „Der Arbeitgeber kann seine Mitwirkungsobliegenheiten z.B. dadurch erfüllen, dass er dem Arbeitnehmer
* zu Beginn des Kalenderjahres
* in Textform mitteilt,
* wie viele Arbeitstage Urlaub ihm im Kalenderjahr zustehen,
* ihn auffordert, seinen Jahresurlaub so rechtzeitig zu beantragen, dass er innerhalb des laufenden
Urlaubsjahres genommen werden kann, und
* darauf hinweist, dass der Urlaub grundsätzlich am Ende des Kalenderjahres verfällt, wenn der Arbeitnehmer
in der Lage war, seinen Urlaub im Kalenderjahr zu nehmen, er ihn aber nicht beantragt.“
• „Abstrakte Angaben etwa im Arbeitsvertrag, in einem Merkblatt oder in einer Kollektivvereinbarung werden
den Anforderungen i.d.R. nicht genügen.“
RA FAArbRSozR Dr. Nathalie Oberthür
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Dr. Nathalie Oberthür | Aktuelles Urlaubsrecht – die neuen Vorgaben von BAG und EuGH
Anspruchsübertragung
Pflicht zur Urlaubsgewährung ?
• „Andererseits verlangt der Zweck der Mitwirkungsobliegenheiten grundsätzlich nicht die ständige Aktualisierung
dieser Mitteilungen, etwa anlässlich jeder Änderung des Umfangs des Urlaubsanspruchs.
• Entscheidend sind die Umstände des Einzelfalls.
• Setzt sich der Arbeitgeber in Widerspruch zu seinen Erklärungen, indem er etwa einen Urlaubsantrag aus
anderen als den in § 7 Abs. 1 Satz 1 BUrlG genannten Gründen ablehnt oder anderweitig eine Situ-ation
erzeugt, die geeignet ist, den Arbeitnehmer davon abzuhalten, seinen Urlaub zu beantragen, entfällt die
Befristung des Urlaubsanspruchs nach § 7 Abs. 3 BUrlG.“
RA FAArbRSozR Dr. Nathalie Oberthür
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Dr. Nathalie Oberthür | Aktuelles Urlaubsrecht – die neuen Vorgaben von BAG und EuGH
Anspruchsübertragung
unionsrechtskonforme Auslegung des § 7 BUrlG:
• (3) Der Urlaub muss im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden. Eine Übertragung des
Urlaubs auf das nächste Kalenderjahr ist nur statthaft, wenn dringende betriebliche oder in der Person des
Arbeitnehmers liegende Gründe dies rechtfertigen. Im Fall der Übertragung muss der Urlaub in den ersten
drei Monaten des folgenden Kalenderjahrs gewährt und genommen werden. Auf Verlangen des
Arbeitnehmers ist ein nach § 5 Abs. 1 Buchstabe a entstehender Teilurlaub jedoch auf das nächste
Kalenderjahr zu übertragen.
• (3a) Der Urlaubsanspruch verfällt ersatzlos, wenn er nicht rechtzeitig in Anspruch genommen wurde. Dies
gilt nicht, wenn der Urlaub aus vom Willen des Arbeitnehmers unabhängigen Gründen nicht genom-men
wurde oder wenn der der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht rechtzeitig und konkret aufgefordert hat, den
Urlaub zu nehmen, und ihn klar darauf hingewiesen hat, dass der Urlaub anderenfalls mit Ablauf des
Urlaubsjahres oder Übertragungszeitraums erlischt. Kann der Urlaub aufgrund langandauernder Krankheit
nicht genommen werden, erlischt er 15 Monate nach Ende des Urlaubsjahres.
RA FAArbRSozR Dr. Nathalie Oberthür
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Dr. Nathalie Oberthür | Aktuelles Urlaubsrecht – die neuen Vorgaben von BAG und EuGH
VERERBLICHKEIT DES ABGELTUNGSANSPRUCHS
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Dr. Nathalie Oberthür | Aktuelles Urlaubsrecht – die neuen Vorgaben von BAG und EuGH
Vererblichkeit
Rechtsgrundlagen
▪
§ 7 Abs. 4 BUrlG: Kann der Urlaub wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht
mehr gewährt werden, so ist er abzugelten.
▪
Art. 7 Abs. 2 RL: Der bezahlte Mindestjahresurlaub darf außer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses
nicht durch eine finanzielle Vergütung ersetzt werden.
▪
EuGH 06.11.2018 – C-569/16 und C-570/16: Der Anspruch auf Urlaubsabgeltung ergibt sich unmittelbar
aus Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/88; dieser sieht vor, dass der Arbeitnehmer Anspruch auf eine
finanzielle Vergütung für die nicht genommenen Urlaubstage hat. Der Anspruch ist gleichermaßen in
Art. 31 Abs. 2 GRC verankert. Dieses Grundrecht umfasst auch einen Anspruch auf Bezahlung und – als
eng mit diesem Anspruch auf „bezahlten“ Jahresurlaub verbundener Anspruch – den Anspruch auf eine
finanzielle Vergütung für bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht genommenen Jahresurlaub.
RA FAArbRSozR Dr. Nathalie Oberthür
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Dr. Nathalie Oberthür | Aktuelles Urlaubsrecht – die neuen Vorgaben von BAG und EuGH
Vererblichkeit
▪
BAG 20.09.2011 – 9 AZR 416/10: Der Anspruch auf Abgeltung von Urlaub nach § 7 Abs. 4 BurlG setzt
voraus, dass der Arbeitnehmer bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses lebt. Endet das
Arbeitsverhältnis mit dem Tod des Arbeitnehmers, so erlischt mit der Beendigung zugleich der
Urlaubsanspruch. Es kann deshalb kein Urlaubsabgeltungsanspruch mehr entstehen.
▪
EuGH 12.06.2014 – C-118/13, Bollacke: Art. 7 der Richtlinie 2003/88 ist dahin auszulegen, dass er
einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten entgegensteht, wonach der Anspruch auf
bezahlten Jahresurlaub ohne Begründung eines Abgeltungsanspruchs für nicht genommenen Urlaub
untergeht, wenn das Arbeitsverhältnis durch den Tod des Arbeitnehmers endet.
RA FAArbRSozR Dr. Nathalie Oberthür
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Dr. Nathalie Oberthür | Aktuelles Urlaubsrecht – die neuen Vorgaben von BAG und EuGH
Vererblichkeit
• BAG Vorlagebeschluss vom 18.10.2016: Räumt Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG oder Art. 31 Abs 2 GRC
dem Erben eines während des Arbeitsverhältnisses verstorbenen Arbeitnehmers einen Anspruch auf einen
finanziellen Ausgleich für den dem Arbeitnehmer vor seinem Tod zustehenden Mindestjahres-urlaub ein,
was nach § 7 Abs. 4 BUrlG iVm. § 1922 Abs. 1 BGB ausgeschlossen ist ?
• Schlussanträge GA Bot vom 29.05.2018 – C-570/01: Der EuGH hat in der Rs. Bollacke bereits festgestellt,
dass der Anspruch auf Urlaubsvergütung untrennbarer Teil des Urlaubsanspruchs ist. Dieser kann
dem Arbeitnehmer nicht durch ein „unwägbares Ereignis“ nachträglich entzogen werden. Dies gilt auch,
wenn das nationale Erbrecht diese Rechtsfolge ausschließt. Der EuGH hat diesen Aspekt in der Rs.
Bollacke entgegen der Auffassung des vorlegenden Gerichts durchaus berücksichtigt.
RA FAArbRSozR Dr. Nathalie Oberthür
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Dr. Nathalie Oberthür | Aktuelles Urlaubsrecht – die neuen Vorgaben von BAG und EuGH
Vererblichkeit
• EuGH vom 06.11.2018 – C-569/16 und C-570/16, Bauer und Broßonn: das nationale Recht ist unions-rechtskonform
auszulegen. Dabei hat das nationale Gericht zu prüfen, ob eine solche Auslegung tatsächlich contra legem wäre oder
ob nicht eine Änderung der bislang gefestigten Rechtsprechung geboten wäre. (GA Bot: Tatsächlich scheint die
behauptete Unvereinbarkeit des nationalen Rechts mit Unionsrecht maßgeblich auf der Auslegung dieser weit
gefassten Rechtsvorschriften durch das BAG beruhen.)
• Art 7 der RL 2003/88 entfaltet im Rechtsstreit mit dem öffentlichen Arbeitgeber unmittelbare Wirkung, so dass jede
entgegenstehende Vorschrift unangewendet bleiben muss. Art. 7 der RL 2003/88 findet im Rechtsstreit zwischen
Privaten keine unmittelbare Anwendung. Allerdings findet Art. 31 Abs. 2 GRC unmit-telbare Anwendung. Die
Erläuterungen zu Art 31 GRC verweisen auf die RL 2003/88, der Umfang des Urlaubsanspruchs findet damit in Art. 31
GRC eine hinreichende normative Grundlage. Der Urlaubsanspruch ist nicht nur ein besonders bedeutsamer
Grundsatz des Sozialrechts, sondern ein vollwertiges soziales Grundrecht, auf das sich ein Einzelner im Rechtsstreit
zwischen Privatpersonen unmittelbar berufen kann.
RA FAArbRSozR Dr. Nathalie Oberthür
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Dr. Nathalie Oberthür | Aktuelles Urlaubsrecht – die neuen Vorgaben von BAG und EuGH
Vererblichkeit
• BAG vom 22.01.2019 – 9 AZR 45/16:
• Umsetzung der EuGH-Entscheidung: Die nach dem europäischen Unionsrecht gebotene Auslegung von
§§ 1, 7 Abs. 4 BUrlG ergibt, dass der Resturlaub auch dann abzugelten ist, wenn das Arbeitsverhält-nis
durch den Tod des Arbeitnehmers endet. Die Vergütungskomponente des Anspruchs auf den vor dem Tod
nicht mehr genommenen Jahresurlaub wird als Bestandteil des Vermögens Teil der Erbmasse. Der
Abgeltungsanspruch der Erben umfasst dabei nicht nur den Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub nach
§§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG von 24 Werktagen, sondern auch den Anspruch auf Zusatzurlaub für
schwerbehinderte Menschen sowie den Anspruch auf Urlaub nach § 26 TVöD, der den gesetzlichen
Mindesturlaub übersteigt. Dem TVöD lässt sich nicht entnehmen, dass dem Erben das Verfallrisiko für den
tariflichen Mehrurlaub bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Tod des Arbeitnehmers
zugewiesen ist.
RA FAArbRSozR Dr. Nathalie Oberthür
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Dr. Nathalie Oberthür | Aktuelles Urlaubsrecht – die neuen Vorgaben von BAG und EuGH
Vererblichkeit
• BAG vom 22.01.2019 – 9 AZR 149/17: Der Erbe hat die tarifliche Ausschlussfrist des § 37 Abs. 1 Satz 1
TVöD zu beachten, obwohl er nicht in einem Arbeitsverhältnis zum Arbeitgeber stand und selbst nicht
tarifgebunden ist. Dies folgt aus dem Grundsatz der Universalsukzession
RA FAArbRSozR Dr. Nathalie Oberthür
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Dr. Nathalie Oberthür | Aktuelles Urlaubsrecht – die neuen Vorgaben von BAG und EuGH
URLAUBSENTGELT
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Dr. Nathalie Oberthür | Aktuelles Urlaubsrecht – die neuen Vorgaben von BAG und EuGH
Urlaubsentgelt
Berechnung des Urlaubsentgelts
• § 11 BUrlG:
• 1) Das Urlaubsentgelt bemisst sich nach dem durchschnittlichen Arbeitsverdienst, das der Arbeitnehmer in
den letzten dreizehn Wochen vor dem Beginn des Urlaubs erhalten hat, mit Ausnahme des zusätzlich für
Überstunden gezahlten Arbeitsverdienstes. Bei Verdiensterhöhungen nicht nur vorübergehender Natur, die
während des Berechnungszeitraums oder des Urlaubs eintreten, ist von dem erhöhten Ver-dienst
auszugehen. Verdienstkürzungen, die im Berechnungszeitraum infolge von Kurzarbeit, Arbeitsaus-fällen oder
unverschuldeter Arbeitsversäumnis eintreten, bleiben für die Berechnung des Urlaubsentgelts außer Betracht.
Zum Arbeitsentgelt gehörende Sachbezüge, die während des Urlaubs nicht weiter-gewährt werden, sind für
die Dauer des Urlaubs angemessen in bar abzugelten.
• § 13 BUrlG: Von den vorstehenden Vorschriften mit Ausnahme der §§ 1, 2 und 3 Abs. 1 kann in Tarifverträgen
abgewichen werden.
RA FAArbRSozR Dr. Nathalie Oberthür
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Dr. Nathalie Oberthür | Aktuelles Urlaubsrecht – die neuen Vorgaben von BAG und EuGH
Urlaubsentgelt
Berechnung des Urlaubsentgelts
• EuGH vom 13.12.2018 – C-385/17, Hein
• Sachverhalt: Abweichend von § 11 Abs. 1 Satz 3 BUrlG führt im Baugewerbe gemäß § 8 BRTV-Bau
Kurzarbeit im Referenzzeitraum zu einer Kürzung der Urlaubsvergütung.
• 1. Feststellung: RL 2003/88 gewährleistet einen Urlaubsanspruch nur für Zeiten, in denen tatsächlich
gearbeitet wurde (mithin nicht für Kurzarbeit). Günstigere mitgliedsstaatliche Regelungen sind zulässig
• 2. Feststellung: für den unionsrechtlichen Mindesturlaub ist das gewöhnliche Entgelt ohne Berücksichtigung
von Kurzarbeit zu zahlen. Eine Reduzierung wird nicht durch eine Berechnung der Urlaubsdauer
ohne Berücksichtigung der Kurzarbeit „kompensiert“
RA FAArbRSozR Dr. Nathalie Oberthür
44
Dr. Nathalie Oberthür | Aktuelles Urlaubsrecht – die neuen Vorgaben von BAG und EuGH
Urlaubsentgelt
Berechnung des Urlaubsentgelts
• 3. Feststellung: Überstundenvergütung ist aufgrund ihres Ausnahmecharakters und ihrer Unvorhersehbarkeit
grundsätzlich nicht Teil des gewöhnlichen Arbeitsentgelts i.S.d. Richtlinie. Ist der Arbeitnehmer
jedoch arbeitsvertraglich verpflichtet, Überstunden zu leisten, die weitgehend vorhersehbar und gewöhnlich
sind und deren Vergütung einen wesentlichen Teil des gesamten Arbeitsentgelts ausmacht, sollte die
Vergütung für diese Überstunden in das im Urlaub zu gewährende gewöhnliche Arbeitsentgelt einbezogen
werden, damit der Arbeitnehmer während dieses Urlaubs in den Genuss wirtschaftlicher Bedingungen
kommt, die mit denen vergleichbar sind, die ihm bei Ausübung seiner Arbeit zugutekommen.
• 4. Feststellung: kein Vertrauensschutz in anderslautende nationale Rechtsprechung. Vertrauensschutz
kann nur der Gerichtshof selbst gewähren, wenn die Betroffenen gutgläubig waren und die Gefahr
schwerwiegender Störungen besteht
RA FAArbRSozR Dr. Nathalie Oberthür
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Dr. Nathalie Oberthür | Aktuelles Urlaubsrecht – die neuen Vorgaben von BAG und EuGH
Urlaubsentgelt
Berechnung des Urlaubsentgelts
• § 6a Manteltarifvertrag iGZ / DGB:
„Es ist der durchschnittliche Arbeitsverdienst des Referenzzeitraums auf Grundlage der individuellen
regelmäßigen Arbeitszeit zu bilden. Zum Arbeitsverdienst zählen die Entgeltbestandteile gemäß § 2
Entgelttarifvertrag iGZ sowie sonstige Zulagen und Zuschläge (ohne Mehrarbeitszuschläge) gemäß den
Bestimmungen des Bundesurlaubsgesetzes.“
• → unionsrechtskonform auszulegen bei verstetigt geleisteten Überstunden
RA FAArbRSozR Dr. Nathalie Oberthür
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Dr. Nathalie Oberthür | Aktuelles Urlaubsrecht – die neuen Vorgaben von BAG und EuGH
Urlaubsentgelt
Fälligkeit des Urlaubsentgelts
• § 11 Abs. 2 BUrlG: „Das Urlaubsentgelt ist vor Antritt des Urlaubs auszuzahlen.“
• Abweichende Handhabung begründet Verzug des Arbeitgebers, hindert aber nicht die wirksame
Urlaubserteilung:
• BAG 10.02.2015 – 9 AZR 455/13: Der Arbeitgeber gewährt nur dann wirksam Urlaub, wenn er dem
Arbeitnehmer die Urlaubsvergütung vor Antritt des Urlaubs zahlt oder vorbehaltlos zusagt. Dem Arbeitnehmer
im Zeitpunkt der Inanspruchnahme des Urlaubs ein Anspruch auf Vergütung sicher sein.
• LAG Hamm 08.05.2019 – 5 Sa 12/19: Die wirksame Urlaubserteilung in der Kündigungsfrist ist bei unstreitig
bestehendem Vergütungsanspruch auch dann gegeben, wenn die Zusage der Vergütung in der
Freistellungserklärung nicht ausdrücklich wiederholt wird.
RA FAArbRSozR Dr. Nathalie Oberthür
47
Dr. Nathalie Oberthür | Aktuelles Urlaubsrecht – die neuen Vorgaben von BAG und EuGH
Urlaubsentgelt
Fälligkeit des Urlaubsentgelts
▪
EuGH 16.03.2006 – C-131/04 und C-257/04, Robinson-Steele: keine Bestimmung der Richtlinie legt
ausdrücklich den Zeitpunkt fest, zu dem das Entgelt für den Jahresurlaub zu zahlen ist. Die Festlegung
des Zeitpunkts, zu dem das Entgelt für den Jahresurlaub zu zahlen ist, obliegt den Mitgliedstaaten.
RA FAArbRSozR Dr. Nathalie Oberthür
48
Dr. Nathalie Oberthür | Aktuelles Urlaubsrecht – die neuen Vorgaben von BAG und EuGH
Vielen Dank für ihre Aufmerksamkeit!
Dr. Nathalie Oberthür
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht und Sozialrecht
Kanzlei für Arbeitsrecht
Im Mediapark 6D
50670 Köln
T: 0221 - 35 50 51-0
F: 0221 - 35 50 51-35
E: info@rpo-rechtsanwaelte.de
www.rpo-rechtsanwaelte.de
16.05.2019 49
Elmar Brok
Flexible Formen der Beschäftigung:
Entwicklungen aus der Sicht eines
Europapolitikers
Mitglied des Europäischen
Parlamentes (1980 – 2019)
bart@elmarbrok.de
Mitglied des Bundesvorstandes der CDU
seit 2004
Stellvertretender Vorsitzender des Weltverbandes der
Christlich-Demokratischen Parteien (CDI)
Präsident der Europäischen Union Christlich-
Demokratischer Arbeitnehmer (EUCDA) seit 2002
Ehrenpräsident der Europa Union Deutschlands
Präsident der Union Europäischer Föderalisten
Ehrenvorsitzender der CDU Ostwestfalen-Lippe
(Vorsitzender von 1996 bis 2012)
Mitglied des Europäischen Parlaments
von 1980 bis 2019
Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses (AFET)
von 1999 bis 2007 und von 2012 bis Januar 2017
Vorsitzender der CDU-Landesgruppe NRW im
EU-Parlament (1989 bis 2018)
» zurück zum Programm
Auf allen Kanälen erreichbar
Faire Zeitarbeit
Faire Zeitarbeit
iGZ e.V.
Interessenverband
Deutscher Zeitarbeitsunternehmen
e.V.
Moderne Zeitarbeit
www.igz-blog.de
iGZ-Infodienst
Gruppe:
Moderne Zeitarbeit
www.zeitarbeit-einegutewahl.de
Jörg Hennig
Rechtliche Herausforderungen
bei Prüfungen durch die
Bundesagentur für Arbeit
HK2 Rechtsanwälte Berlin |
Fachanwalt für
Arbeitsrecht und Sozialrecht
hennig@hk2.eu
Jörg Hennig ist seit 1997 Rechtsanwalt und Partner der
Kanzlei HK2 Rechtsanwälte in Berlin. Als Fachanwalt für
Arbeitsrecht ist er spezialisiert auf die Beratungsfelder
Zeitarbeit und Flexibilisierung von Arbeitsbedingungen.
Daneben betreut er Unternehmen bei Umstrukturierungen,
Auslandsentsendungen und in sozialversicherungsrechtlichen
Fragen (Versicherungspflicht,
Scheinselbstständigkeit, Auseinandersetzungen mit
Berufsgenossenschaften und SOKA-Bau). Der Fokus
liegt dabei auf den Branchen Personaldienstleistungen,
IT, Health, Engineering und Bau.
» zurück zum Programm
Jörg Hennig | Rechtliche Herausforderungen bei Prüfungen durch die Bundesagentur für Arbeit
Rechtliche Herausforderungen bei Prüfungen
durch die Bundesagentur für Arbeit
RA Jörg Hennig, HK2 Rechtsanwälte Berlin
!1
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Jörg Hennig | Rechtliche Herausforderungen bei Prüfungen durch die Bundesagentur für Arbeit
RA Jörg Hennig
▪
▪
▪
▪
▪
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Fachanwalt für Sozialrecht
Partner bei HK2 Rechtsanwälte Berlin,
Schwerpunkte Arbeitsrecht + Zeitarbeit +
Sozialversicherung
Mitautor des Fachbuchs „Böhm/Hennig/Popp
Zeitarbeit und Arbeiten 4.0“, 4. Aufl. 2017
sowie diverser weiterer Fachbeiträge
Ständige Begleitung von AÜ-Prüfungen,
Widerspruchs- und Klageverfahren gegen die
Bundesagentur für Arbeit
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Jörg Hennig | Rechtliche Herausforderungen bei Prüfungen durch die Bundesagentur für Arbeit
Inhaltsübersicht
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Jörg Hennig | Rechtliche Herausforderungen bei Prüfungen durch die Bundesagentur für Arbeit
▪
▪
▪
▪
▪
▪
▪
Zahlen, Daten, Fakten…
Rechtlicher Rahmen des
Erlaubnisverfahrens
Voraussetzung der
Erlaubniserteilung und
-versagung
Prüfungsschwerpunkte
Verwaltungsentscheidung
Sozialgerichtlicher
Rechtsschutz
Bußgeldverfahren
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Jörg Hennig | Rechtliche Herausforderungen bei Prüfungen durch die Bundesagentur für Arbeit
Zahlen,
Daten,
Fakten...
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Jörg Hennig | Rechtliche Herausforderungen bei Prüfungen durch die Bundesagentur für Arbeit
Zahlen
▪ Versagung / Entziehung /
Widerruf
▪ 2016: 374
▪ 2017: 481
▪ 2018: 501
▪ 2019 (1. Hj.): 316
▪
Entwicklung
▪ Anstieg seit 2016: 69% (p.a.)
▪ Anstieg 2018 / 2019: 26% (p.a.)
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Jörg Hennig | Rechtliche Herausforderungen bei Prüfungen durch die Bundesagentur für Arbeit
Organisation und
Standorte der BA
▪
▪
3 Teams Sachbearbeitung
▪ AA Kiel
▪ AA Düsseldorf
▪ AA Nürnberg
5 Teams Prüfung
▪ AA Berlin für Ostdeutschland, Hamburg
und Schleswig-Holstein
▪ AA Düsseldorf für NRW
▪ AA Hannover für Niedersachsen, Bremen,
Hessen
▪ AA Nürnberg für Bayern
▪ AA Stuttgart für Baden-Württemberg,
Rheinland-Pfalz, Saarland
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Jörg Hennig | Rechtliche Herausforderungen bei Prüfungen durch die Bundesagentur für Arbeit
Rechtlicher Rahmen
des Erlaubnisverfahrens
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Jörg Hennig | Rechtliche Herausforderungen bei Prüfungen durch die Bundesagentur für Arbeit
Vorschriftenmix
▪
Mischung aus Arbeits-, Sozial-,
Verwaltungs- und Straf- / Owi-Recht
▪ Zu beurteilende Rechtsvorschriften:
Überwiegend Arbeitsrecht
▪ Verfahren: VwVfG
▪ Vorläufiger und gerichtlicher
Rechtsschutz: SGG / Sozialgerichte
▪ Rechtsquellen zur SV-Beurteilung:
Fachliche Weisungen / Interne
Richtlinien und Absprachen
▪ Ahndung von Vergehen: OWiG /
StPO
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Jörg Hennig | Rechtliche Herausforderungen bei Prüfungen durch die Bundesagentur für Arbeit
Praktische Bedeutung
▪
▪
Sozialgerichte entscheiden über Arbeitsrecht
Deshalb arbeitsrechtliches eher knapp halten, stattdessen:
▪
▪
▪
Darlegen von Änderungen in der Unternehmenspraxis
Vorlage eidesstattlicher Versicherungen zu relevanten Sachverhalten
(z.B. drohender Nachteile bei Versagung)
Geänderte Vertragsmuster und Workflows einreichen
▪
Es gibt keinen Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X
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Jörg Hennig | Rechtliche Herausforderungen bei Prüfungen durch die Bundesagentur für Arbeit
Erlaubniserteilung /
Versagung
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Jörg Hennig | Rechtliche Herausforderungen bei Prüfungen durch die Bundesagentur für Arbeit
Ausgangspunkt: § 3 AÜG
▪
Die Erlaubnis oder ihre Verlängerung ist zu versagen, wenn Tatsachen die
Annahme rechtfertigen, dass der Antragsteller
▪ nicht die erforderliche Zuverlässigkeit besitzt, insbesondere weil er die Vorschriften
des Sozialversicherungsrechts, über die … Lohnsteuer, … Arbeitsvermittlung, …
Ausländerbeschäftigung, … Überlassungshöchstdauer, … Arbeitsschutzrechts oder
die arbeitsrechtlichen Pflichten nicht einhält (Abs. 1 Nr. 1) = „Generalklausel“
▪ nach der Gestaltung seiner Betriebsorganisation nicht in der Lage ist, die üblichen
Arbeitgeberpflichten zu erfüllen (Abs. 1 Nr. 2)
▪ dem Zeitarbeitnehmer die nach § 8 ihm zustehenden Arbeitsbedingungen (§ 8
AÜG) einschließlich des Arbeitsentgeltes nicht gewährt (Abs. 1 Nr. 3)
▪ § 3 Abs. 4 AÜG: Gleichbehandlung von Personen / Unternehmen aus EWR-
Staaten. Achtung Brexit, vsl. Wegfall der Erlaubnisse aus Großbritannien und
Nordirland (§ 40) Entw. BrexitSozSichÜG v. 28.01.2019, Bt.-Drs. 19/7376, S. 27
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Jörg Hennig | Rechtliche Herausforderungen bei Prüfungen durch die Bundesagentur für Arbeit
Prognoserechtsprechung – „Kerntheorie“
▪
▪
▪
▪
▪
„Ist damit zu rechnen, dass der Personaldienstleister sich in Zukunft an die
gesetzlichen Vorgaben halten wird?“ (BSG v. 06.02.1992 - 7 RAr 140/90)
Zeitpunkt: letzte mündliche Verhandlung (BSG a.a.O.)
Führt die Prognose zu keinem klaren Ergebnis, geht dies zu Lasten der
Erlaubnisbehörde (BSG a.a.O.)
Relevant vor allem Verstöße gegen „Kernpflichten“ (BSG a.a.O.): Vergütung,
Urlaub, sonstige geldwerte Leistungen (vgl. LSG NRW v. 19.02.19 - L 20 AL
188/18 B ER; LSG Sachsen-Anhalt v. 10.11.2017 - L 2 AL 75/17 B ER)
Ausreichend auch: Summierung von Umständen, die für sich allein keinen
Versagungsgrund rechtfertigen (LSG Nds.-Bremen v. 27.06.2018 - L 7 AL 22/18 B
ER)
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Jörg Hennig | Rechtliche Herausforderungen bei Prüfungen durch die Bundesagentur für Arbeit
Ableitungen für die Verfahrenspraxis
▪ Prognose wird durch Tatsachen begründet
▪ Besserung ist immer möglich
▪ Besserung muss nach außen erkennbar sein, z.B. durch:
▪ Seminarbuchungen
▪ Einstellung von Fachkräften
▪ Softwareanschaffung
▪ Neue Vertragsmuster
▪ Abschluss von Beraterverträgen
▪ Erstverstöße sind i.d.R. unproblematisch
▪ Bei Folgeverstößen muss mehr kommen
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Jörg Hennig | Rechtliche Herausforderungen bei Prüfungen durch die Bundesagentur für Arbeit
Prüfungsschwerpunkte
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Jörg Hennig | Rechtliche Herausforderungen bei Prüfungen durch die Bundesagentur für Arbeit
Erforderliche Unterlagen
▪
▪
Gesamte Personalakte, d.h.
Arbeitsverträge, Überlassungsverträge /
Einsatzmitteilungen, Entgeltabrechnungen,
Stundenzettel, Anträge von Arbeitnehmern
(z.B. Urlaub, Freizeitausgleich, AU-
Bescheinigungen), SV-Meldungen,
Kündigungen / Aufhebungsverträge /
Abmahnungen
Aktuelle Brennpunkte:
▪ Grds. keine Dateien erlaubt, nur Ausdrucke
oder digitale Signatur (FW 7.3 (10))
▪ Originaldokumente
▪ § 23 VwVfG: Amtssprache ist deutsch
!16
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Jörg Hennig | Rechtliche Herausforderungen bei Prüfungen durch die Bundesagentur für Arbeit
Prüfungsschwerpunkte
▪
▪
▪
▪
▪
▪
▪
▪
▪
Gewährung von Entgelt/ Entgeltersatz (Eingruppierung, Vergütung
bei Krankheit, Feiertag, Urlaub)
Equal Treatment/Equal Pay und Tarifvertrag
Branchen-Mindestlöhne, Einhaltung Lohnuntergrenze
Überlassungshöchstdauer
Offenlegungs- und Konkretisierungspflicht
Abführen von Sozialversicherungsbeiträgen und Lohnsteuer
Vollständige Vertragsunterlagen + Merkblatt
Arbeitsschutz, Arbeitssicherheit
Datenschutz
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Jörg Hennig | Rechtliche Herausforderungen bei Prüfungen durch die Bundesagentur für Arbeit
Entgelt/ Entgeltersatz
▪
▪
▪
▪
▪
▪
Eingruppierung und Beschreibung
der Tätigkeit? ! Es kommt auf die
Tätigkeit an, nicht auf die
Berufsbezeichnung
Entgeltfortzahlung gemäß § 6a iGZ
MTV
Berechnung von Feiertagen (Echtes
Entgeltausfallprinzip)
Garantielohn für Nichteinsatzzeiten
An Jahressonderzahlung gedacht?
Ist alles transparent auf der
Lohnabrechnung zu erkennen?
!18
Jörg Hennig | Rechtliche Herausforderungen bei Prüfungen durch die Bundesagentur für Arbeit
Verwaltungsentscheidung
tim-napier-181584-unsplash
Jörg Hennig | Rechtliche Herausforderungen bei Prüfungen durch die Bundesagentur für Arbeit
Mögliche Maßnahmen der BA
▪
▪
▪
▪
▪
Beanstandungen
Auflagen (bußgeldbewehrt
bei Nichteinhaltung ( § 16
Abs. 1 Nr. 3 AÜG)
Versagung der Erlaubnis
Ablehnung des Antrags auf
Erteilung einer unbefristeten
Erlaubnis
Ablehnung des Antrages
auf Verlängerung der
Erlaubnis
!20
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Jörg Hennig | Rechtliche Herausforderungen bei Prüfungen durch die Bundesagentur für Arbeit
Was tun bei
Beanstandungen?
▪ Unbedingt ernst nehmen!!!
▪ Fehlende Nachweise erbringen
▪ Schulung zum AÜG besuchen
▪ Darlegen, dass
Arbeitnehmerinteressen nicht
gefährdet waren
▪ Beanstandete Beträge ggf. nachzahlen
▪ Fehler auch mal eingestehen und
Besserung geloben
nik-macmillan-YXemfQiPR_E-unsplash
!21
Jörg Hennig | Rechtliche Herausforderungen bei Prüfungen durch die Bundesagentur für Arbeit
Auflagen (§ 2 Abs. 2 S. 1 AÜG)
▪
▪
Zulässig:
▪ Fall- bzw. fallgruppenbezogene Konkretisierung einer gesetzlichen
Verpflichtung mit potenzieller Verbindlichkeit, deren Umfang umstritten ist
(BSG v. 06.04.2000 - B 11/7 AL 10/99 R), z.B. Auflage, Tarifverträge als
Mischbetrieb nicht in Bezug zu nehmen (BSG v. 12.10.16 – B 11 AL 6/15 R)
Unzulässig
▪ Normwiederholende Auflage
(BSG v. 19.03.1992 - 7 RAr 34/91)
▪ Auflagen ohne hinreichende Bestimmtheit (BSG v. 06.04.2000 - B 11/7
AL 10/99 R)
▪ Unverhältnismäßige Auflagen (SG Berlin v. 28.05.2018 – S 120 AL
380/18 ER)
!22
Jörg Hennig | Rechtliche Herausforderungen bei Prüfungen durch die Bundesagentur für Arbeit
Auflagen (§ 2 Abs. 2 S. 1 AÜG)
Beispiel: SG Berlin v. 28.05.2018 – S 120 AL 380/18 ER zu Kurzzeitbefristungen gem. § 14
Abs. 1 Nr. 6 TzBfG:
„a: Beim Abschluss jeder Einsatzvereinbarung mit dem Arbeitnehmer ist ein individueller Grund
aufzunehmen.
b: Basierend auf der Auflage a ist zu jeder Einsatzvereinbarung ein schriftlicher Nachweis für den
benannten Sachgrund in die Personalakte aufzunehmen.
Bei Schülern und Studenten ist die jeweilige Studien- bzw. Schulbescheinigung beizufügen.
Arbeitnehmer, die einer weiteren Teil- oder Vollzeitbeschäftigung nachgehen, haben die Angaben zu dem
Arbeitgeber (Bezeichnung und vollständige Anschrift) inklusive der dort zu leistenden Arbeitszeit zu
tätigen.
Bei Selbstständigen und freiberuflich Tätigen, die bei Ihnen befristet beschäftigt werden, ist die
Gewerbeanmeldung aufzuheben bzw. die Steuernummer zu protokollieren.
Bei Gründen, die sich nicht ohne weiteres schriftlich belegen lassen (bspw. Hausfrauen, Pflege naher
Angehöriger, Kinderbetreuung) ist für den in der Person liegenden Befristungsgrund eine handschriftliche
Erklärung des Arbeitnehmers erforderlich.“
▪ Unzulässig, da nicht ausreichend bestimmt, unverhältnismäßig und Datenschutzverstoß !23
Jörg Hennig | Rechtliche Herausforderungen bei Prüfungen durch die Bundesagentur für Arbeit
Nichtverlängerung der befristeten Erlaubnis
rechtzeitig
Antragstellung spätestens
3 Monate vor Ablauf
verspätet
Grds. Verlängerung
gem. § 2 Abs. 4 S. 3
Keine Verlängerung möglich, da
Neuantrag
Keine
Entscheidung =
automatische
Verlängerung
Ablehnung =
Wegfall der
Erlaubnis
Keine Entscheidung oder
ablehnende Entscheidung =
Erlöschen der Erlaubnis
12 Monate
„Nachwirkung“
gem.
§ 2 Abs. 4 S. 4
Keine „Nachwirkung“
gem. § 2 Abs. 4 S. 4
!24
Jörg Hennig | Rechtliche Herausforderungen bei Prüfungen durch die Bundesagentur für Arbeit
Nachwirkung gem. § 2 Abs. 4 S. 4 AÜG
▪ Frist gilt gem. § 2 Abs. 4 S. 4 AÜG nur bei Nichtverlängerung, nicht bei Versagung
oder Widerruf (LSG Nds.-Bremen v. 27.06.2018 - L 7 AL 22/18 B ER)
▪ Reichweite der Frist ist aber ohnehin begrenzt, vgl. FW 2.4.:
„(7) Während der zwölfmonatigen Abwicklungsfrist (§ 2 Abs. 4 Satz 4) dürfen weder Überlassungsverträge
noch Arbeitsverträge mit Leiharbeitskräften neu abgeschlossen oder verlängert werden. Dies gilt auch dann,
wenn der Verleiher Arbeitsverträge mit Leiharbeitskräften zur Erfüllung seiner Verpflichtungen aus laufenden
Überlassungsverträgen schließen oder verlängern will und umgekehrt. …
(8) Nach dem Sinn und Zweck der Regelung kommt eine Abwicklung für längstens zwölf Monate nur in
Frage, wenn ein Überlassungsvertrag konkrete Vereinbarungen über eine Arbeitnehmerüberlassung enthält.
Es ist folglich nicht zulässig, auf Grundlage einer nach § 1 erlaubt geschlossenen Rahmenvereinbarung
während der Abwicklungsphase (weitere) Einzelüberlassungsverträge abzuschließen.“
▪ SG Hamburg v. 03.07.19 – S 44 AL 248/19 ER, n. rk. Az. LSG Hamburg L 2 AL
36/19 B ER: „Anhaltspunkte für das Vorliegen einer unbilligen Härte sind wegen
der Abwicklungsfrist nicht erkennbar.“
!25
Jörg Hennig | Rechtliche Herausforderungen bei Prüfungen durch die Bundesagentur für Arbeit
Sozialgerichtlicher
Rechtsschutz
tim-napier-181584-unsplash
Jörg Hennig | Rechtliche Herausforderungen bei Prüfungen durch die Bundesagentur für Arbeit
Verfahrensart
▪
▪
Widerspruch und Anfechtungsklage haben bei Versagung oder
Nichtverlängerung der Erlaubnis keine aufschiebende Wirkung (§ 86a
Abs. 4 SGG)
▪ Deshalb immer Eilverfahren geboten
▪ Manchmal allerdings sinnvoll, zunächst nur Antrag bei der BA gem. § 86a Abs.
3 S. 1 SGG auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung zu stellen,
sofern noch eine Chance auf einvernehmliche Lösung besteht
In anderen Fällen besteht aufschiebende Wirkung, z.B. bei einem
Vorgehen gegen erteilte Auflagen. Der Sofortvollzug kann zwar gem.
§ 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG angeordnet werden, jedoch nur mit
ausdrücklicher Begründung des Vollziehungsinteresses
!27
Jörg Hennig | Rechtliche Herausforderungen bei Prüfungen durch die Bundesagentur für Arbeit
Einstweiliger Rechtsschutz
▪
▪
▪
Antrag bei Nichtverlängerung der befristeten Erlaubnis und
Versagung der unbefristeten Erlaubnis geht gem. § 86b Abs. 1 Nr. 2
SGG auf „Anordnung der aufschiebenden Wirkung“
Bei Ablehnung eines Neuantrages oder eines verspäteten
Verlängerungsantrages ist eine Regelungsanordnung gem. § 86b Abs.
2 S. 2 SGG zu beantragen
Merke: In Eilverfahren ist zusätzlich immer auch Widerspruch gegen die
Verwaltungsentscheidung bzw. Klage gegen den Widerspruchsbescheid
einzulegen!
!28
Jörg Hennig | Rechtliche Herausforderungen bei Prüfungen durch die Bundesagentur für Arbeit
Einstweiliger Rechtsschutz
– Vorwegnahme der Hauptsache
▪
▪
▪
Eilentscheidung bei befristeten Erlaubnissen immer „Vorwegnahme der
Hauptsache“
Andererseits: Die Gewährleistung wirksamen und daher ggf. auch schnellen
Rechtsschutzes verlangt immer die Möglichkeit eines Eilverfahrens, wenn ohne sie
dem Betroffenen eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung in
seinen Rechten droht, die durch die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr
beseitigt werden kann (BVerfGE 79, 69 (74);
93, 1 (14)).
Deshalb wird Vorwegnahme der Hauptsache in Kauf genommen, allerdings
Darlegung schwerer und unzumutbarer, anders nicht abwendbarer
Beeinträchtigungen erforderlich, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu
beseitigen wären (LSG Berlin-Brandenburg v. 22.01.2018 - L 18 AL 209/17 B ER)
!29
Jörg Hennig | Rechtliche Herausforderungen bei Prüfungen durch die Bundesagentur für Arbeit
Einstweiliger Rechtsschutz – Folgenabwägung I
▪
▪
▪
▪
In der Regel summarische Prüfung. Können ohne Eilrechtsschutz jedoch
schwere und unzumutbare Nachteile entstehen, die durch das
Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, ist eine abschließende
Prüfung erforderlich (BVerfG v.12.05.2005 - 1 BvR 569/05)
Summarische Prüfung = Vollständige Prüfung auf Basis des aufgeklärten
Sachverhalts
Bei offenem Ausgang muss das Gericht anhand einer Folgenabwägung
entscheiden, die die grundrechtlichen Belange der Antragsteller umfassend zu
berücksichtigen hat (BVerfG a.a.O.)
Folgenabwägung erfolgt somit weitgehend unabhängig von summarischer
Prüfung
!30
Jörg Hennig | Rechtliche Herausforderungen bei Prüfungen durch die Bundesagentur für Arbeit
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Einstweiliger Rechtsschutz – Folgenabwägung II
Beispiel LSG Berlin-Brandenburg v. 22.01.2018 - L 18 AL 209/17 B ER:
▪ Sachverhalt ist zu komplex für Ermittlungen im Eilrechtsschutz….
Erginge die einstweilige Anordnung nicht, …, so entstünden der
Antragstellerin schon jetzt schwere und kaum wieder gutzumachende
Nachteile. Sie hätte ihre Geschäftstätigkeit, einzustellen. Dauert dieser
Zustand an, so steht zu befürchten, dass die Antragstellerin ihren
Kundenkreis verliert und den Leiharbeitnehmer/innen kündigen muss ... .
!31
Jörg Hennig | Rechtliche Herausforderungen bei Prüfungen durch die Bundesagentur für Arbeit
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Einstweiliger Rechtsschutz – Folgenabwägung III
▪
Erginge die einstweilige Anordnung, könnte die Antragstellerin ihre
Arbeitnehmerüberlassung vorübergehend weiter betreiben. Die Folgen
einer solchen zeitlichen Verzögerung der Betriebseinstellung fallen auch in
Ansehung der Rechte der Leiharbeitnehmer/innen weniger ins Gewicht,
zumal die Antragstellerin auch die Möglichkeit besitzt, Erlaubnisse mit
entsprechenden Auflagen und sonstigen Nebenbestimmungen zu
versehen
!32
Jörg Hennig | Rechtliche Herausforderungen bei Prüfungen durch die Bundesagentur für Arbeit
Einstweiliger Rechtsschutz – Folgenabwägung IV
Beispiel LSG NRW v. 19.02.19 - L 20 AL 188/18 B ER
▪ Der Antragsteller hat allerdings zumindest im Rahmen des
Beschwerdeverfahrens korrigierte Entgeltabrechnungen für sämtliche
Arbeitnehmer vorgelegt, in denen die Verstöße behoben worden sein
sollen. Ob sie tatsächlich vollständig behoben wurden, kann im
derzeitigen Stand des Verfahrens nicht beurteilt werden. Denn die
Antragsgegnerin hat es im Rahmen der am 13.03.2018 durchgeführten
Überprüfung unterlassen, die einzelnen Verstöße exakt und unter
Nennung der Namen des jeweiligen Mitarbeiters zu dokumentieren.
▪ Folge: Abwägung fällt zugunsten des Personaldienstleisters aus
!33
Jörg Hennig | Rechtliche Herausforderungen bei Prüfungen durch die Bundesagentur für Arbeit
Klageverfahren (Hauptsache)
▪
▪
▪
▪
Abgelehnte Anträge auf Ersterteilung: IdR kombinierte Anfechtungs- und
Verpflichtungsklage, da es an den erforderlichen „wesentlichen Nachteilen“
für eine Eilentscheidung meistens fehlen wird
Sinnvoller: Neben der Klage einen Neuantrag auf Ersterteilung stellen,
sofern sich die Gründe für die fehlende Zuverlässigkeit beseitigen lassen
Auflagen ohne Sofortvollzug: Einfache Anfechtungsklage
Wegen der langen Verfahrensdauern oft späterer Wechsel auf
Fortsetzungsfeststellungsklage erforderlich (Bsp. BSG v. 12.10.2016, B 11
AL 6/15 R: Auflage bis 2011 befristet, Entscheidung 2016)
!34
Jörg Hennig | Rechtliche Herausforderungen bei Prüfungen durch die Bundesagentur für Arbeit
Bußgeldverfahren
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Jörg Hennig | Rechtliche Herausforderungen bei Prüfungen durch die Bundesagentur für Arbeit
Tatbestände
▪ Geregelt vor allem in § 16 AÜG
▪ Neu seit 01.4.2017: Bußgelder gegen Entleiher
(z.B. Abs. 1 Nr. 1a., 1b., 1f.)
▪ § 16 Abs. 1 Nr. 7a.: Ordnungswidrig handelt, wer…. entgegen
§ 8 Absatz 1 Satz 1 (Gleichstellung) oder Absatz 2 Satz 2
(Gewährung von Tarifbedingungen) oder 4 (Mindestentgelte) eine
Arbeitsbedingung nicht gewährt.
▪ Bußgeld bis 500.000 € (§ 16 Abs. 2 AÜG).
▪ Bedeutet: Einfache arbeitsrechtliche Verstöße (z.B.
Feiertagsentgelt) sind nicht bußgeldbewehrt!
!36
Jörg Hennig | Rechtliche Herausforderungen bei Prüfungen durch die Bundesagentur für Arbeit
Bußgeldbemessung
▪
▪
▪
▪
Maßgeblich: Bedeutung der Ordnungswidrigkeit und der Vorwurf, der
den Betroffenen trifft, sowie seine wirtschaftlichen Verhältnisse
(§ 17 Abs. 3 OWiG)
Konkret: Höhe des Bußgeldrahmens, persönliche Verhältnisse, Erstoder
Folgebegehung (Präventiveffekt), ggf. erfolgte Wiedergutmachung
Faustregel: Faktor 2-3 bei Hauptbeteiligten (i.d.R. Gesellschaft), bei
Nebenbeteiligten Faktor 1 (i.d.R. GF) auf den gezogenen
wirtschaftlichen Vorteil
Achtung: Bereits ab € 200 erfolgt Eintrag in das GZR. Ziel daher oftmals
Aufteilung in Einzelgeldbußen unter € 200
!37
Jörg Hennig | Rechtliche Herausforderungen bei Prüfungen durch die Bundesagentur für Arbeit
julien-moreau-83192-unsplash
... Vor dem Amtsgericht
▪ Verfahren in Kiel und Düsseldorf waren lange wegen unklarer Zuständigkeit
blockiert
▪ Zuständig nun alle drei Amtsgerichte in Kiel, Düsseldorf und Nürnberg (BGH v.
21.05.2019 – 2 ARs 282/19 und 2 AR 219/18)
▪ Gute Möglichkeit, Absenkung des Bußgeldes auf unter 200 € nach erfolglosem
Einspruch herbeizuführen
!38
Jörg Hennig | Rechtliche Herausforderungen bei Prüfungen durch die Bundesagentur für Arbeit
Haben Sie Fragen?
Jörg Hennig (Partner)
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Fachanwalt für Sozialrecht
HK2 Rechtsanwälte
Hausvogteiplatz 11A
10117 Berlin
Telefon +49 (0) 30 27 89 00-0
Fax +49 (0) 30 27 89 00-20
E-Mail hennig@hk2.eu
www.hk2.eu; www.zeitarbeit-und-recht.de
katie-montgomery-j5dD6jNLhHk-unsplash
!39
Prof. Dr.
Martin Franzen
Reform der Entsenderichtlinie:
Bedeutung für die Zeitarbeit
Juristische Fakultät der
Ludwig-Maximilians-Universität
München
lehrstuhl.franzen@jura.uni-muenchen.de
Studium der Rechtswissenschaft, Politischen Wissenschaft,
Geschichte und Volkswirtschaftslehre in Heidelberg
(1983–1985) und Berlin (1985–1988)
1. Juristisches Staatsexamen 1988, 2. Juristisches Staatsexamen
1991, beide in Berlin
Promotion 1993 am Fachbereich Rechtswissenschaft der
Freien Universität Berlin
1999 Habilitation an der Freien Universität Berlin. Venia
legendi für die Fächer Bürgerliches Recht, Arbeitsrecht,
Europarecht und Internationales Privatrecht
1999–2004 Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht
und Arbeitsrecht an der Universität Konstanz
Seit 2004 Inhaber des Lehrstuhls für deutsches, europäisches,
internationales Arbeitsrecht und Bürgerliches
Recht an der Universität München.
Mitglied der Ständigen Deputation des Deutschen Juristentages
(seit 2014) und des Verbandsausschusses des
Deutschen Arbeitsgerichtsverbandes (seit 2008). Mitherausgeber
der Europäischen Zeitschrift für Arbeitsrecht
(EuZA).
Vorsitzender des Untersuchungsausschusses der LMU
(2013–2015)
Dekan der Juristischen Fakultät (2015–2017), Prodekan
der Juristischen Fakultät (seit 2017)
» zurück zum Programm
Prof. Dr. Martin Franzen | Reform der Entsenderichtlinie: Bedeutung für die Zeitarbeit
Reform der Entsenderichtlinie: Bedeutung für die Zeitarbeit
Vortrag auf dem 8. Potsdamer Rechtsforum zur Zeitarbeit
am Dienstag, 3. 9. 2019
Professor Dr. Martin Franzen
Juristische Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München
Lehrstuhl für deutsches, europäisches, internationales Arbeitsrecht
und Bürgerliches Recht
Prof. Dr. Martin Franzen | Reform der Entsenderichtlinie: Bedeutung für die Zeitarbeit
Überblick über den Inhalt des Vortrags
I. Fakten
II. Die ursprüngliche Entsenderichtlinie 96/71/EG aus dem Jahr 1996
III. Der Vorschlag der EU-Kommission aus dem Jahr 2016
IV. Überblick über den wesentlichen Inhalt der Änderungsrichtlinie
2018/957/EU
V. Vorgaben der Dienstleistungsfreiheit und der darauf bezogenen EuGH-
Rechtsprechung
!2
Prof. Dr. Martin Franzen | Reform der Entsenderichtlinie: Bedeutung für die Zeitarbeit
Einige Zahlen
EU-Kommission 2014:
− 1,9 Mio. Entsendungen ≙ 0,7% der Erwerbsbevölkerung der EU
− Drei Viertel aller Entsendungen finden in den drei Sektoren
Baugewerbe (43,7%), verarbeitende Industrie (21,8%) und
Unternehmensdienstleistungen (10,3%) statt.
!3
Prof. Dr. Martin Franzen | Reform der Entsenderichtlinie: Bedeutung für die Zeitarbeit
Entsendestaaten
Polen: 514.000
Deutschland: 260.000
Slowenien: 164.000
Spanien: 147.000
Frankreich: 136.000
Italien: 115.000
Slowakei: 112.00
Belgien: 104.000.
!4
Prof. Dr. Martin Franzen | Reform der Entsenderichtlinie: Bedeutung für die Zeitarbeit
Zielstaaten einer Entsendung
!5
Prof. Dr. Martin Franzen | Reform der Entsenderichtlinie: Bedeutung für die Zeitarbeit
Ursprüngliche EntsendeRL 96/71
Überblick über den wesentlichen Inhalt der ursprünglichen
Arbeitnehmer-Entsenderichtlinie 96/71/EG aus dem Jahr 1996
1. Kollisionsrechtliche Ausgangslage
Art. 8 Abs. 2 S. 2 Rom I-VO:
− gewöhnlicher Arbeitsort bleibt erhalten, wenn der Arbeitnehmer seine Arbeit
vorübergehend in einem anderen Staat als dem Staat des gewöhnlichen
Arbeitsorts verrichtet.
− gewöhnlicher Arbeitsort ist nach Art. 8 Abs. 2 S. 1 Rom I-VO das zentrale
Merkmal für die objektive Anknüpfung des Arbeitsvertragsstatut
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Prof. Dr. Martin Franzen | Reform der Entsenderichtlinie: Bedeutung für die Zeitarbeit
Ursprüngliche EntsendeRL 96/71
Eingriffsnormen nach Art. 9 Rom I-VO:
Zwingende Vorschrift, deren Einhaltung von einem Staat als so
entscheidend für die Wahrung seines öffentlichen Interesses,
insbesondere seiner politischen, sozialen oder wirtschaftlichen
Organisation, angesehen wird, dass sie ungeachtet des nach Maßgabe
dieser Verordnung auf den Vertrag anwendbaren Rechts auf alle
Sachverhalte anzuwenden ist, die in ihren Anwendungsbereich fallen.
!7
Prof. Dr. Martin Franzen | Reform der Entsenderichtlinie: Bedeutung für die Zeitarbeit
Ursprüngliche EntsendeRL 96/71
2. Modifizierung und Präzisierung in der Entsenderichtlinie
96/71/EG
− Politischer Kompromiss zwischen Hochlohnländer im Zentrum und Norden
Europas und Niedriglohnländer im Süden und im mittleren Osten Europas.
−Art. 3 Abs. 1 RL 96/71/EG:
Katalog mitgliedstaatlicher Rechtsvorschriften, die als Eingriffsnormen im
Sinne der heutigen Rom I-VO für den arbeitsrechtlichen Bereich festgelegt
wurden.
!8
Prof. Dr. Martin Franzen | Reform der Entsenderichtlinie: Bedeutung für die Zeitarbeit
Ursprüngliche EntsendeRL 96/71
Art. 3 Abs. 1 UAbs. 1 RL 96/71/EG:
−
Höchstarbeitszeiten und Mindestruhezeiten; bezahlter Mindestjahresurlaub;
Mindestlohnsätze einschließlich der Überstundensätze mit Ausnahme
zusätzlicher betrieblicher Altersversorgungssysteme; Bedingungen für die
Überlassung von Arbeitskräften, insbesondere durch Leiharbeitsunternehmen;
Sicherheit, Gesundheitsschutz und Hygiene am Arbeitsplatz; Schutzmaßnahmen
im Zusammenhang mit den Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen von
schwangeren Frauen, Kindern und Jugendlichen sowie Gleichbehandlung von
Männern und Frauen und andere Nichtdiskriminierungsbestimmungen.
!9
Prof. Dr. Martin Franzen | Reform der Entsenderichtlinie: Bedeutung für die Zeitarbeit
Ursprüngliche EntsendeRL 96/71
− Regelungen müssen in Rechts- oder Verwaltungsvorschriften
des Destinationsstaats oder für allgemein verbindlich erklärten
Tarifverträgen enthalten sein.
− Für allgemeinverbindlich erklärte Tarifverträge ist dies durch die
Entsenderichtlinie 96/71/EG nur für den Bereich der Bauwirtschaft
verbindlich für die Mitgliedstaaten vorgegeben (Art. 3 Abs. 1
UAbs. 1 Spiegelstrich 2 RL 96/71/EG mit dem Verweis auf den
Anhang der Richtlinie).
!10
Prof. Dr. Martin Franzen | Reform der Entsenderichtlinie: Bedeutung für die Zeitarbeit
Ursprüngliche EntsendeRL 96/71
− Mitgliedstaaten ohne System einer Allgemeinverbindlicherklärung
von Tarifverträgen können nach Art. 3 Abs. 8
UAbs. 2 RL 96/71/EG Tarifverträge oder Schiedssprüche
zugrundelegen, welche „für alle in den jeweiligen geographischen
Bereich fallenden und die betreffende Tätigkeit oder das
betreffende Gewerbe ausübenden gleichartigen Unternehmen
allgemein wirksam sind“, ersatzweise Tarifverträge, die von
„repräsentativsten Organisationen der Tarif- vertragsparteien“
landesweit geschlossen wurden und gelten.
!11
Prof. Dr. Martin Franzen | Reform der Entsenderichtlinie: Bedeutung für die Zeitarbeit
Ursprüngliche EntsendeRL 96/71/EG
3. Bedeutung für die Zeitarbeit
− Art. 1 Abs. 3 lit. c RL 96/71/EG: Grenzüberschreitende
Arbeitnehmerüberlassung gilt als Entsendung im Sinne der
EntsendeRL 96/71/EG
− Art. 3 Abs. 1 UAbs. 1 lit. d RL 96/71/EG: Bedingungen für
die Überlassung von Arbeitskräften, insbesondere durch
Leiharbeitsunternehmen
!12
Prof. Dr. Martin Franzen | Reform der Entsenderichtlinie: Bedeutung für die Zeitarbeit
Ursprüngliche EntsendeRL 96/71/EG
− Art. 3 Abs. 9 RL 96/7/EG: Mitgliedstaaten (Zielstaaten)
dürfen grenzüberschreitend eingesetzte Leiharbeitnehmer
denselben Rechtsregeln unterwerfen wie rein innerstaatlich
überlassene Arbeitnehmer.
− Die genannten Vorschriften (mit Ausnahme von Art. 3 Abs. 1
UAbs. 1 lit. d RL 96/71/EG) werden durch die ÄnderungsRL
2018/957/EU modifiziert.
!13
Prof. Dr. Martin Franzen | Reform der Entsenderichtlinie: Bedeutung für die Zeitarbeit
Der Vorschlag der EU-Kommission zur Änderung der Entsenderichtlinie
96/71/EG aus dem Jahr 2016
−
−
−
−
Statutenwechsel des Arbeitsvertrags nach 24 Monaten
Art. 3 Abs. 1 UAbs. 1 Buchst. c RL 96/71/EG: Änderung des Terminus
„Mindestlohnsätze“ in „Entlohnung“ in Anknüpfung an EuGH „Elektrobudowa“
vom 12. Februar 2015
Tarifvertraglich geregelte Arbeitsbedingungen sollten unionsrechtlich
verbindlich auf entsandte Arbeitnehmer in allen Wirtschaftszweigen und nicht
nur in der Bauwirtschaft angewandt werden.
Verpflichtung der Destinationsstaaten zur öffentlichen Information über die
einzelnen Entgeltbestandteile.
!14
Prof. Dr. Martin Franzen | Reform der Entsenderichtlinie: Bedeutung für die Zeitarbeit
Wesentlicher Inhalt der Richtlinie 2018/957/EU zur Änderung
der Entsenderichtlinie 96/71/EG
1. Erweiterung der Instrumente auf nicht für
allgemeinverbindlich erklärte Tarifverträge in allen
Mitgliedstaaten auf freiwilliger Basis durch Änderung von Art.
3 Abs. 8 UAbs. 2 RL 96/71/EG-neu
!15
Prof. Dr. Martin Franzen | Reform der Entsenderichtlinie: Bedeutung für die Zeitarbeit
Änderungen durch RL 2018/957/EU
Mitgliedstaaten können nun alle Tarifverträge auf entsandte
Arbeitnehmer und deren Arbeitgeber anwenden, sofern sie in
dem jeweiligen Gebiet „allgemein wirksam“ sind oder von den
„repräsentativsten“ Tarifvertragsparteien auf Arbeitgeber- und
Arbeitnehmerseite mit Geltung im gesamten Staatsgebiet
geschlossen wurden (Art. 3 Abs. 8 UAbs. 2 RL 96/71/EG).
Für Deutschland m. E. bedeutungslos, da es Tarifverträge mit
diesen Anforderungen wohl hier nicht gibt.
!16
Prof. Dr. Martin Franzen | Reform der Entsenderichtlinie: Bedeutung für die Zeitarbeit
Änderungen durch RL 2018/957/EU
2. Erweiterung der zwingend anwendbaren Regelungsbereiche
nach Art. 3 Abs. 1 UAbs. 1 RL 96/71/EG-neu
Art. 3 Abs. 1 UAbs. 1 Buchst. c RL 96/71/EG-neu: „Entlohnung“
anstelle von „Mindestlohnsätze“ (EuGH Rechtssache
„Sähköalojen/Elektrobudowa“ vom 12. Februar 2015)
!17
Prof. Dr. Martin Franzen | Reform der Entsenderichtlinie: Bedeutung für die Zeitarbeit
Änderungen durch RL 2018/957/EU
Zwei zusätzliche Tatbestände im Katalog des Art. 3 Abs. 1 UAbs. 1 RL 96/71/
EG-neu:
−
−
Regelungen über die Bedingungen der Unterkünfte entsandter Arbeitnehmer,
soweit diese vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellt werden (Art. 3 Abs. 1
UAbs. 1 Buchst. h RL 96/71/EG-neu),
Zulagen oder Aufwandsentschädigungen, welche Reisekosten oder Kosten für
die Unterkunft ausgleichen sollen, die für den Weg vom gewöhnlichen
Arbeitsort zum Ort der Arbeitserbringung oder an diesem Ort während der
Entsendung entstehen (Art. 3 Abs. 1 UAbs. 1 Buchst. i RL 96/71/EG-neu).
!18
Prof. Dr. Martin Franzen | Reform der Entsenderichtlinie: Bedeutung für die Zeitarbeit
Änderungen durch RL 2018/957/EU
3. Entsendungen von längerer Dauer als 12 Monate: Grundsatz der
Gleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1a UAbs. 1 RL 96/71/EG-neu)
− unabhängig vom jeweils auf den Arbeitsvertrag anwendbaren
Recht und nur bezogen auf die obengenannten
Regelungsinstrumente Rechts- oder Verwaltungsvorschriften
des Zielstaats sowie allgemeinverbindliche Tarifverträge und
sonstige allgemeine Tarifverträge, die der Mitgliedstaat nun
von sich aus auch auf entsandte Arbeitnehmer anwendet.
!19
Prof. Dr. Martin Franzen | Reform der Entsenderichtlinie: Bedeutung für die Zeitarbeit
Gleichbehandlungsgrundsatz
Ausnahme nach Art. 3 Abs. 1a UAbs. 2 RL 96/71/EG-neu:
−
−
−
Verfahren, Formvorschriften und Bedingungen für den Abschluss und die
Beendigung der Arbeitsverträge einschließlich Wettbewerbsverboten und
zusätzliche betriebliche Altersversorgungssysteme.
Verlängerung der Frist von 12 Monaten auf 18 Monate durch den Zielstaat
möglich
Transparente Information nach Maßgabe von Art. 3 Abs. 1 UAbs. 3 und 4 RL
96/71/EG-neu über die nach Art. 3 Abs. 1a RL 96/71/EG-neu geltenden
Arbeitsbedingungen sowie die Entlohnung und deren Bestandteile gemäß Art.
3 Abs. 1 UAbs. 1 Buchst. c RL 96/71/EG-neu auf einer offiziellen Internetseite
durch den Zielstaat
!20
Prof. Dr. Martin Franzen | Reform der Entsenderichtlinie: Bedeutung für die Zeitarbeit
Änderungen durch RL 2018/957/EU
4. Regelungen über die grenzüberschreitende
Arbeitnehmerüberlassung
Art. 3 Abs. 1 lit. c RL 96/71/EG-neu:
Mittelbare Überlassungen ebenfalls erfasst.
Beispiele:
!21
Prof. Dr. Martin Franzen | Reform der Entsenderichtlinie: Bedeutung für die Zeitarbeit
Grenzüberschreitende Arbeitnehmerüberlassung nach RL
2018/957/EU
Verleiher mit Sitz in Polen leiht Leiharbeitnehmer an in Deutschland
sitzende Entleiher aus. Entleiher beschäftigt Leiharbeitnehmer in
Deutschland: EntsendeRL 96/71/EG galt schon bislang.
Entleiher setzt den Leiharbeitnehmer in Frankreich ein: Leiharbeitnehmer
gilt als vom polnischen Verleiher nach Frankreich entsandt; Verleiher muss
die dortigen Regelungen einschließlich Durchsetzungsrichtlinie 2014/67/EU
beachten.
Dasselbe gilt, wenn deutscher Verleiher Leiharbeitnehmer an deutschen
Entleiher überlässt und dieser den Leiharbeitnehmer in einem anderen
Mitgliedstaat einsetzt.
!22
Prof. Dr. Martin Franzen | Reform der Entsenderichtlinie: Bedeutung für die Zeitarbeit
Grenzüberschreitende Arbeitnehmerüberlassung nach RL
2018/957/EU
Art. 3 Abs. 1b RL 96/71/EG-neu:
Mitgliedstaaten müssen für grenzüberschreitend eingesetzte
Leiharbeitnehmer den Gleichbehandlungsgrundsatz nach Art. 5 RL
2008/104/EG anwenden.
Außerdem können die Mitgliedstaaten nach Art. 3 Abs. 9 RL 96/71/
EG grenzüberschreitend eingesetzte Leiharbeitnehmer
vollumfänglich mit rein innerstaatlich eingesetzten Leiharbeitnehmer
gleichstellen.
!23
Prof. Dr. Martin Franzen | Reform der Entsenderichtlinie: Bedeutung für die Zeitarbeit
Änderungen durch RL 2018/957/EU
5. Regelung zu den Entsendungszulagen nach
Art. 3 Abs. 7 RL 96/71/EG
„Unklarheitenregel“ in Art. 3 Abs. 7 UAbs. 3 RL
96/71/EG-neu
!24
Prof. Dr. Martin Franzen | Reform der Entsenderichtlinie: Bedeutung für die Zeitarbeit
Vorgaben der Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 AEUV)
1. Grundlinien der EuGH-Rechtsprechung
a) Obersätze des EuGH
− Anwendung von arbeitsrechtlichen Vorschriften des
Destinationsstaats auf Arbeitnehmer, die im Rahmen der
Erbringung von Dienstleistungen in diesen Staat entsandt
werden, beschränkt grundsätzlich die Dienstleistungsfreiheit.
!25
Prof. Dr. Martin Franzen | Reform der Entsenderichtlinie: Bedeutung für die Zeitarbeit
Dienstleistungsfreiheit
− Rechtfertigung aus zwingenden Gründen
des Allgemeininteresses (etwa Schutz der
Arbeitnehmer)
− Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
!26
Prof. Dr. Martin Franzen | Reform der Entsenderichtlinie: Bedeutung für die Zeitarbeit
Dienstleistungsfreiheit
b) Einzelfragen
Bedenklich: Vorschriften des Destinationsstaats,
welche dem Dienstleister Pflichten auferlegen, deren
Zweck der Dienstleister bereits in seinem
Niederlassungsstaat erfüllt (Doppelregelung)
!27
Prof. Dr. Martin Franzen | Reform der Entsenderichtlinie: Bedeutung für die Zeitarbeit
Dienstleistungsfreiheit
Beispiele:
− Kostenpflicht für Arbeitserlaubnisse von Arbeitnehmern
aus Drittstaaten aufgrund von Vorschriften des
Destinationsstaats.
− Belastung mit Beiträgen zu Sozialkassen, die zu gleichem
oder ähnlichem Zweck bereits von Institutionen des
Herkunftsstaats des Dienstleisters erhoben werden.
!28
Prof. Dr. Martin Franzen | Reform der Entsenderichtlinie: Bedeutung für die Zeitarbeit
Dienstleistungsfreiheit
Zulässig:
− Haftung des Bauunternehmers für den vom
Nachunternehmer zu zahlenden Mindestlohn
− Mindestlohn des Destinationsstaats
c) Anwendung dieser Maßstäbe auf die neugefasste
Entsenderichtlinie
!29
Prof. Dr. Martin Franzen | Reform der Entsenderichtlinie: Bedeutung für die Zeitarbeit
Dienstleistungsfreiheit
Grundsatz der Gleichbehandlung bei länger dauernder
Entsendung (Art. 3 Abs. 1a UAbs. 1 RL 96/71/EG-neu)
−
Schwer durchschaubares Regelungsgeflecht von Arbeitsvertragsstatut des
Herkunftsstaats und zwingenden Bestimmungen des Zielstaats.
=> Transparenz der Regelung des Art. 3 Abs. 1a RL 96/71/EG
problematisch!
−
Transparenz und Durchschaubarkeit der Regelungen des Zielstaats für den
ausländischen Dienstleistungserbringer werden vom EuGH im Rahmen der
Verhältnismäßigkeit genau geprüft.
!30
Prof. Dr. Martin Franzen | Reform der Entsenderichtlinie: Bedeutung für die Zeitarbeit
Dienstleistungsfreiheit
EuGH 12. 2. 2015 – C-396/13 – Rn. 44, NZA 2015,
345 (Sähköalojen/Elektrobudowa):
EuGH legt Begriff der „Mindestlohnsätze“ im Sinne von Art. 3 Abs.
1 UAbs. 1 Buchst. c RL 96/71/EG weit aus, aber unter dem
Vorbehalt, dass die Anwendung der Bestimmungen des Zielstaats in
transparenter und zwingender Weise vorgenommen werden kann.
− Außerdem problematisch:
Aspekt der „Doppelregelung“
!31
Prof. Dr. Martin Franzen | Reform der Entsenderichtlinie: Bedeutung für die Zeitarbeit
Keine Abstimmung mit Kollisionsrecht
Sozialversicherungsrecht (Art. 12 Abs. 1 VO
883/2004):
Frist von 24 Monaten bis zum Wechsel des
Sozialversicherungsstatuts
Arbeitsvertragsrecht (Art. 8 Abs. 2 S. 2 Rom I-VO):
Keine zeitlichen Vorgaben, sondern einsatzbezogen
!32
Prof. Dr. Martin Franzen | Reform der Entsenderichtlinie: Bedeutung für die Zeitarbeit
Fazit
−
−
Bedingungen für die Erbringer grenzüberschreitender
Dienstleistungen aus Mitgliedstaaten mit niedrigerem
Lohnniveau werden verschlechtert.
Entsendungen von Arbeitnehmern aus Hochlohnländern wie
Deutschland werden erschwert, weil ab 12 bzw. 18 Monate
nahezu das gesamte Arbeitsrecht des Zielstaats zu beachten
ist!
!33
Prof. Dr. Martin Franzen | Reform der Entsenderichtlinie: Bedeutung für die Zeitarbeit
Vielen Dank für Ihre Geduld
Bei Fragen und Anregungen:
Lehrstuhl.franzen@jura.uni-muenchen.de
https://www.jura.uni-muenchen.de/personen/f/franzen_martin
!34
EVENTS
2. Halbjahr 2019
OKTOBER
1.
Landeskongress Süd
Nürnberg
NOVEMBER
13.
Landeskongress Nord
Lübeck
Markus Archan
DISKUSSIONSRUNDE
Blick über die Grenzen hinaus:
Zeitarbeit in der Europäischen
Union – Gemeinsamkeiten und
Unterschiede
Präsident
Österreichs Personaldienstleister
h.mayerhoffer@personaldienstleister.at
15 Jahre Branchenerfahrung, vom Kundenund
Personalberater bis in das Management
bei einem der führenden Personaldienstleister
in Österreich
Studium Professional Workforce Management,
Donau Universität Krems, Abschluss mit
Master of Science
2016 Mitglied des Vorstands des Verbandes
„Österreichs Personaldienstleister“
Seit 2018 Verbandspräsident
„Österreichs Personaldienstleister“
Seit 2019 Mitglied des Vorstands, Sozialund
Weiterbildungsfonds (SWF) der
Arbeitskräfteüberlassung Österreichs
» zurück zum Programm
Norbert Schommers
DISKUSSIONSRUNDE
Blick über die Grenzen hinaus:
Zeitarbeit in der Europäischen
Union – Gemeinsamkeiten und
Unterschiede
Leiter Fachbereich Beschäftigung
Ministerium der Deutschsprachigen
Gemeinschaft Belgien
dany.meessen@dgov.be
Nach seinem Wehrdienst (1982–1983) war Norbert
Schommers bis August 1991 als Berufssoldat in der
belgischen Armee tätig. Im September 1991 nahm er als
Sachbearbeiter im Ministerium der Deutschsprachigen
Gemeinschaft seinen Dienst auf und war dort mit der
Aktenbearbeitung im Bereich der Ausbildungs- und
Beschäftigungspolitik beauftragt.
Nach bestandenen Aufstiegsprüfungen wurde Norbert
Schommers im 2000 zum Referenten und Sozialinspektor
für den Bereich der Ausbildung- und Beschäftigungspolitik
in der Deutschsprachigen Gemeinschaft
ernannt. Seit Januar 2006 leitet Norbert Schommers
den Fachbereich Beschäftigung des Ministeriums der
Deutschsprachigen Gemeinschaft.
Sein Fachbereich umfasst elf Mitarbeiter, die für die Bereiche
Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, Beschäftigung
ausländischer Arbeitnehmer, private Arbeitsvermittlung,
Aufsicht über das Arbeitsamt, Pilotprojekte, Umsetzung
6. Staatsreform, Gesetzgebung und sachpolitische Beratung
der Regierung zuständig sind.
» zurück zum Programm
LUST AUF
KARRIERE?
Fortbildungsmöglichkeiten
für
internes Personal
www.ig-zeitarbeit.de/bildung/weiterbildung
David van Swol
DISKUSSIONSRUNDE
Blick über die Grenzen hinaus:
Zeitarbeit in der Europäischen
Union – Gemeinsamkeiten und
Unterschiede
NBBU Niederlande
D.vanSwol@nbbu.nl
» zurück zum Programm
Judith Schröder
DISKUSSIONSRUNDE
Blick über die Grenzen hinaus:
Zeitarbeit in der Europäischen
Union – Gemeinsamkeiten und
Unterschiede
Leiterin iGZ-Fachbereich
Arbeits- und Tarifrecht
recht@ig-zeitarbeit.de
Judith Schröder arbeitet seit 2011 beim iGZ. Nach dem
Studium der Rechtswissenschaften in Trier und dem
zweiten juristischen Staatsexamen 2006 in Duisburg
arbeitete Judith Schröder zunächst als Rechtsanwältin
in Rechtsanwaltskanzleien in Düsseldorf und Mülheim
an der Ruhr. Dort war sie im Wesentlichen mit Rechtsfragen
aus dem Bereich des Wirtschafts- und Arbeitsrechts
befasst.
Weitere berufliche Erfahrungen konnte Judith Schröder
als Juristin in der Rechtsabteilung eines Großhandelsunternehmens
sammeln. Zudem hat sie eine Weiterbildung
zur geprüften Personalreferentin absolviert.
Seit 2018 ist Judith Schröder Leiterin des Fachbereiches
Arbeits- und Tarifrecht.
» zurück zum Programm
Weil die Bedingungen
einfach stimmen.
Irene Kuczera | Krankenschwester
Ihre Geschichte finden Sie unter www.zeitarbeit-einegutewahl.de
Dr. Oliver Bertram
Fairer Wettbewerb in der Zeitarbeit –
von der unerlaubten Abwerbung zum
Geschäftsgeheimnis-Verrat
Taylor Wessing Düsseldorf |
Fachanwalt für Arbeitsrecht
o.bertram@taylorwessing.com
Dr. Oliver Bertram (Jahrgang 1971) berät nationale und
internationale Unternehmen sowie Arbeitgeberverbände
in allen Fragen des Arbeitsrechts, der Gestaltung
von Tarif- sowie Arbeitsverträgen und der Personal-,
Entgelt- und Arbeitszeitflexibilisierung.
Er unterstützt seine Mandanten bei Umstrukturierungen,
der Beauftragung von Fremdpersonal und einem
damit verbundenen Outsourcing von betrieblichen
Teilbereichen.
Dr. Bertram führt Verhandlungen mit Gewerkschaften
über Haustarifverträge sowie mit Betriebsräten über
Interessenausgleich, Sozialplan und Überleitungsvereinbarungen.
Des Weiteren ist Dr. Oliver Bertram Lehrbeauftragter
der Heinrich-Heine-Universität, Düsseldorf sowie Autor
zahlreicher Veröffentlichungen zum Arbeitsrecht und
vielfach als Referent bei Vorträgen und Seminaren tätig.
» zurück zum Programm
Dr. Oliver Bertram | Fairer Wettbewerb in der Zeitarbeit – von der unerlaubten Abwerbung zum Geschäftsgeheimnis-Verrat
Fairer Wettbewerb in der Zeitarbeit
Von der unerlaubten Abwerbung zum Geschäftsgeheimnis-Verrat
Private and Confidential
Dienstag, 3. September 2019
Dr. Oliver Bertram
English (United Kingdom)
Dr. Oliver Bertram | Fairer Wettbewerb in der Zeitarbeit – von der unerlaubten Abwerbung zum Geschäftsgeheimnis-Verrat
Agenda
Teil I.
Verletzung von Mindestarbeitsbedingungen als Wettbewerbsverstoß
Teil II.
Rechtliche Grenzen des Abwerbens von Mitarbeitern
Teil III.
Das Geschäftsgeheimnisgesetz im Überblick
2
Dr. Oliver Bertram | Fairer Wettbewerb in der Zeitarbeit – von der unerlaubten Abwerbung zum Geschäftsgeheimnis-Verrat
I.
Verletzung von
Mindestarbeitsbedingungen als
Wettbewerbsverstoß
English (United Kingdom)
Dr. Oliver Bertram | Fairer Wettbewerb in der Zeitarbeit – von der unerlaubten Abwerbung zum Geschäftsgeheimnis-Verrat
Verstoß gegen Mindestarbeitsbedingungen als Form unlauteren Wettbewerbs?
• Bereits Reichsgericht bestätigte in Urteil vom 12.04.1927, dass Unterbieten von
Wettbewerbern mit Hilfe der Zahlung von “Dumpinglöhnen” einen Verstoß gegen das
Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) darstellt.
• Ungeachtet von Streitfragen im Detail, Fortsetzung dieser Rechtsprechung in der
Bundesrepublik durch die Obergerichte und den BGH.
• Entscheidende Norm § 3a UWG:
„Unlauter handelt, wer einer gesetzlichen Vorschrift zuwiderhandelt, die auch dazu
bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln, und
der Verstoß geeignet ist, die Interessen von Verbrauchern, sonstigen
Marktteilnehmern oder Mitbewerbern spürbar zu beeinträchtigen.“
• Im Allgemeinen sehr umstritten, ob NIchtbeachtung von gesetzlichen
Mindestarbeitsbedingungen diese Voraussetzungen erfüllt. Spürbarkeit der
Interessenbeeinträchtigung im Zeitarbeits-Wettbewerb jedoch zu bejahen, mangels
anderer Preisfaktoren.
4
English (United Kingdom)
Dr. Oliver Bertram | Fairer Wettbewerb in der Zeitarbeit – von der unerlaubten Abwerbung zum Geschäftsgeheimnis-Verrat
Mindestarbeitsbedingungen als Marktverhaltensregeln (1)
• Marktverhalten ist jede Tätigkeit, auf einem Markt, die objektiv der Absatz- oder
Bezugsförderung von Waren dient oder Dienstleistungen oder dem Abschluss oder der
Durchführung von Verträgen dient.
• Mindestentgelte regeln das Verhalten der Unternehmen auf dem Nachfragemarkt für
Arbeitsleistungen. Ihre Einführung und Durchsetzung dient in erster Linie den
Interessen der Arbeitnehmer als sonstigen Marktteilnehmern.
• Ihre Einhaltung ist allerdings auch im Interesse aller Unternehmer, die sich an die
Mindestentgeltbestimmungen halten, insbesondere der tarifgebundenen Unternehmen,
die sich entschlossen haben, an einem Lohnunterbietungswettbewerb nicht
teilzunehmen.
• Auch das Interesse der Mitbewerber an Mindestbedingungen für Personalkosten
betroffen; Einhaltung dieser Mindestbedingungen daher als Marktverhaltensregelung zu
qualifizieren.
5
English (United Kingdom)
Dr. Oliver Bertram | Fairer Wettbewerb in der Zeitarbeit – von der unerlaubten Abwerbung zum Geschäftsgeheimnis-Verrat
Mindestarbeitsbedingungen als Marktverhaltensregeln (2)
• § 3a UWG erfordert zusätzlich, dass Markverhaltensregelung den Interessen der
Marktteilnehmer zu dienen „bestimmt“ ist. Regelmäßig fehlt es an dieser sekundären
Schutzfunktion zugunsten des Wettbewerbs bei Regelungen des Arbeitnehmerschutzes.
Es fehlt dabei an der Zielsetzung des Gesetzgebers, den Arbeitsmarkt bzw.
den Wettbewerb zwischen Unternehmen regulieren zu wollen.
‣ Beispiele: Gesundheitsschutz- und Arbeitszeitvorschriften
• Anders bei Mindestarbeitsbedingungen, insbesondere beim Mindestlohn, denn dieser
soll nach dem MiLoG einen „Beitrag zu fairen und funktionierenden
Wettbewerbsbedingungen“ leisten:
‣ Gleiches gilt für andere Formen von Mindestarbeitsbedingungen in Form von equal
pay-ablösenden Tarifentgelten gemäß § 8 AÜG (insbesondere
Branchenzuschlägen), equal pay selbst sowie AEntG-Mindestlöhnen; auch hier soll
ein Lohnunterbietungswettbewerb zulasten der Arbeitnehmer verhindert werden.
6
English (United Kingdom)
Dr. Oliver Bertram | Fairer Wettbewerb in der Zeitarbeit – von der unerlaubten Abwerbung zum Geschäftsgeheimnis-Verrat
Geschäftliche Handlungen bei Verstoß gegen Mindestarbeitsbedingungen (1)
• § 3a UWG erfordert eine geschäftliche Handlung, die geeignet ist, die Interessen der
geschützten Marktteilnehmer spürbar zu beeinträchtigen.
• Geschäftliche Handlung = unter anderem jedes Verhalten, „das mit der Förderung des
Absatzes oder des Bezugs von Waren oder Dienstleistungen oder mit dem Abschluss
oder der Durchführung eines Vertrags über Waren oder Dienstleistungen objektiv
zusammenhängt“ (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG).
• Objektiver Zusammenhang: Handlung muss darauf gerichtet sein, durch Beeinflussung
der geschäftlichen Entscheidung der Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer den
Absatz oder Bezug von Waren oder Dienstleistungen des eigenen Unternehmens zu
fördern.
‣ Zahlung von Entgelt unterhalb eines gesetzlichen oder tarifvertraglichen
Mindestentgelts , Nichtgewährung von Urlaub grundsätzlich zur Absatzförderung
geeignet, weil günstigere Preise kalkuliert werden können, aber
‣ für sich genommen nicht darauf gerichtet, geschäftliche Entscheidungen anderer
Marktteilnehmer (= der Kunden) zu beeinflussen.
7
English (United Kingdom)
Dr. Oliver Bertram | Fairer Wettbewerb in der Zeitarbeit – von der unerlaubten Abwerbung zum Geschäftsgeheimnis-Verrat
Geschäftliche Handlungen bei Verstoß gegen Mindestarbeitsbedingungen (2)
Rechtsprechung bedient sich eines „Begründungstricks“:
• Geschäftliche Handlung liegt in der fehlerhaften Abrechnung nach § 108 Abs. 1 GewO.
• Lohnabrechnung bringt nicht zur zum Ausdruck, dass der Arbeitgeber diese für
ordnungsgemäß hält, sie ist vielmehr typischerweise darauf gerichtet, ein Absehen von
Rechtsverfolgung nahezulegen, da viele Arbeitgeber eine Klage als Vertrauensbruch
wahrnehmen und kaum ein Arbeitnehmer freiwillig sein Arbeitsverhältnis riskiert, um
offene Lohnforderungen geltend zu machen.
• Entgeltabrechnung ist geschäftliche Maßnahme, die aufgrund ihrer Fehlerhaftigkeit den
lauterkeitsrechtlichen Rechtsbruchtatbestand erfüllt.
• Arbeitnehmer wird im Hinblick auf die Ausübung seiner vertraglichen Rechte
beeinflusst.
8
English (United Kingdom)
Dr. Oliver Bertram | Fairer Wettbewerb in der Zeitarbeit – von der unerlaubten Abwerbung zum Geschäftsgeheimnis-Verrat
Spürbarkeit der Beeinträchtigung
- § 3a UWG erfordert Spürbarkeit der Beeinträchtigung. Kriterien: z.B. Gewicht des
betroffenen Interesses, Intensität des Eingriffs, Dauer und Häufigkeit der Verletzung
sowie die Anzahl der betroffenen Marktteilnehmer.
- Einmalige oder wiederholte geringfügige Verstöße reichen regelmäßig nicht aus.
- Hinsichtlich Bedeutung des Verstoßes ist zu differenzieren:
- Verstoß aus der Sicht von Mitbewerbern in wenig lohnintensiven Branchen
möglicherweise noch kaum wahrnehmbar.
- Gleicher Verstoß kann für mindestentgeltberechtigten Arbeitnehmer von ganz
erheblicher Bedeutung sein.
9
English (United Kingdom)
Dr. Oliver Bertram | Fairer Wettbewerb in der Zeitarbeit – von der unerlaubten Abwerbung zum Geschäftsgeheimnis-Verrat
Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche
- Wer eine unzulässige geschäftliche Handlung vornimmt, kann auf Beseitigung und bei
Wiederholungsgefahr auf Unterlassung in Anspruch genommen werden (§ 8 Abs. 1
UWG).
- Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch können in erster Linie Unternehmen oder
Unternehmenszusammenschlüsse mit Branchenbezug geltend machen (§ 8 Abs. 3 Nr.
1, 2, 4 UWG).
- Mitbewerber können gemäß § 9 UWG auch einen Schadensersatzanspruch geltend
machen.
ABER:
- Es wird Mitbewerbern aber regelmäßig schwer fallen, Beweis über
Mindestentgeltverstöße zu führen, da typischerweise die Mitwirkung der betroffenen
Mitarbeiter erforderlich ist.
10
Dr. Oliver Bertram | Fairer Wettbewerb in der Zeitarbeit – von der unerlaubten Abwerbung zum Geschäftsgeheimnis-Verrat
II.
Rechtliche Grenzen des Abwerbens
von Mitarbeitern
English (United Kingdom)
Dr. Oliver Bertram | Fairer Wettbewerb in der Zeitarbeit – von der unerlaubten Abwerbung zum Geschäftsgeheimnis-Verrat
Abwerbung von Mitarbeitern - Überblick
Abwerbung von Mitarbeitern
Arbeitsrecht Wettbewerbsrecht Strafrecht Datenschutz
12
English (United Kingdom)
Dr. Oliver Bertram | Fairer Wettbewerb in der Zeitarbeit – von der unerlaubten Abwerbung zum Geschäftsgeheimnis-Verrat
Abwerbung von Mitarbeitern & Arbeitsrecht (1)
1. Abwerbung durch Arbeitskollegen
‣ Im laufenden Arbeitsverhältnis grundsätzlich unzulässig
Treuepflicht aus § 60 Abs. 1 HGB
Treuepflicht gilt auch während Kündigungsfrist / Freistellung
‣ Vorbereitung selbständige Tätigkeit grundsätzlich zulässig
Bloße Mitteilung an Arbeitskollegen von künftiger Tätigkeit
Anmietung Geschäftsräume
Unzulässig: aktive Beeinflussung zur Kündigung
‣ Sanktionen bei Verstoß gegen Treuepflicht
Außerordentliche Kündigung
Schadensersatz (u.a. §§ 823, 826 BGB)
Unterlassungsanspruch (ggf. Durchsetzung im Wege e.V. gemäß §§ 935, 940 ZPO)
13
English (United Kingdom)
Dr. Oliver Bertram | Fairer Wettbewerb in der Zeitarbeit – von der unerlaubten Abwerbung zum Geschäftsgeheimnis-Verrat
Abwerbung von Mitarbeitern & Arbeitsrecht (2)
2. Abwerbung durch Dritte
Unlauterbarkeit
Unlauterer Zweck
Unlautere Mittel
• Gezielte erhebliche Beeinträchtigung z.B.
durch Abwerben Schlüsselpersonal
(Führungskräfte, Know-how Träger) / große
Anzahl Fachkräfte („Kampfabwerbung“)
• Abwerbung eines wertvollen Mitarbeiters
kann ausreichen; entscheidend Umstände d.
Einzelfalls (BGH v. 19.11.1965 – Ib ZR 122/63
• Verleitung zum Vertragsbruch (vorzeitige
Beendigung AV / Verstoß gg.
Wettbewerbsverbot)
• ≠ nicht bloßes Ausnutzen Vertragsbruch
ohne Einflussnahme
14
English (United Kingdom)
Dr. Oliver Bertram | Fairer Wettbewerb in der Zeitarbeit – von der unerlaubten Abwerbung zum Geschäftsgeheimnis-Verrat
Abwerbung von Mitarbeitern & Arbeitsrecht (3)
3. Eindringen in betriebliche Organisation
‣ Unzulässig: jeglicher Eingriff in den Betriebsablauf des bisherigen Arbeitgebers.
Aufsuchen des Arbeitnehmers am Arbeitsplatz
Systematisches Ausforschen von Arbeitnehmern als potentiell geeignete Kandidaten für Position
Schriftliche Kontaktaufnahme über dienstliche Anschrift
‣ Zulässig: Kontaktaufnahme im privaten Umfeld.
Kurzfristige Beeinträchtigungen, z.B. kurzer Telefonanruf am Arbeitsplatz, der sich auf „erste Kontaktaufnahme“
beschränkt (unzulässig: z.B. detaillierte Fragen zu bisheriger Tätigkeit / Lebenslauf)
So auch bei einem Anruf auf dem Privathandy (OLG Frankfurt v. 09.08.2018 – 6 U 51/18); es besteht
Erkundigungspflicht für Dritten, ob sich Angerufener am Arbeitsplatz befindet
15
English (United Kingdom)
Dr. Oliver Bertram | Fairer Wettbewerb in der Zeitarbeit – von der unerlaubten Abwerbung zum Geschäftsgeheimnis-Verrat
Abwerbung von Mitarbeitern & Wettbewerbsrecht (1)
1. Sperrabreden („Einstellungsverbote“)
‣ Vereinbarungen zwischen Arbeitgebern, Arbeitnehmer des jeweils anderen Arbeitgebers nicht einzustellen (Beispiel:
Master/Vendor-Systeme).
‣ Zulässig, aber gemäß § 75 f HGB / § 110 Satz 2 GewO nicht durchsetzbar:
Beiden Parteien steht Rücktritt frei
Kein gerichtliches Vorgehen aus Sperrabrede
‣ Fehlende Durchsetzbarkeit erstreckt sich auch auf Vertragsstrafen aus Sperrabrede (vgl. BGH v. 30.03.2014 – I ZR
245/12).
16
English (United Kingdom)
Dr. Oliver Bertram | Fairer Wettbewerb in der Zeitarbeit – von der unerlaubten Abwerbung zum Geschäftsgeheimnis-Verrat
Abwerbung von Mitarbeitern & Wettbewerbsrecht (2)
2. Abwerbungsverbote
‣ Vereinbarungen zwischen Arbeitgebern, die Arbeitnehmer des jeweils anderen Arbeitgebers nicht abzuwerben
(Beispiel: Master/Vendor-Systeme).
‣ § 75 f HGB anwendbar? Arbeitnehmer wird nicht in Entscheidungsfreiheit und Initiative zum AG-Wechsel beschränkt
Nach BGH v. 30.04.2014 – I ZR 245/12 findet § 75 f HGB grds. Anwendung, außer
Abwerbeverbot ist nur Nebenbestimmung der Vereinbarung
Es besteht besonderes Vertrauensverhältnis oder einer Partei ist besonders schutzbedürftig
Zeitliche Grenze: 2 Jahre
‣ Sonderfall: arbeitsvertragliche Abwerbeverbote, in denen Arbeitnehmer verpflichtet wird, keine Arbeitnehmer des
derzeitigen Arbeitgebers abzuwerben, wenn der Arbeitnehmer das Unternehmen zukünftig verlassen sollte:
Macht sich AN selbständig, findet § 75 f HGB Anwendung, da Abwerbeverbot zur Sperrabrede wird
Bei AG-Wechsel, gelten Grundsätze zum nachvertraglichen Wettbewerbsverbot nach §§ 74 ff. HGB, insbesondere
Erfordernis der Vereinbarung einer Karenzentschädigung
17
English (United Kingdom)
Dr. Oliver Bertram | Fairer Wettbewerb in der Zeitarbeit – von der unerlaubten Abwerbung zum Geschäftsgeheimnis-Verrat
Abwerbung von Mitarbeitern & Strafrecht
‣ Strafbarkeit nach § 23 GeschGehG (ersetzt §§ 17-19 UWG a.F.)
Knüpft an Handlungsverbote des § 4 GeschGehG an
Bereits auf Tatbestandsebene zu prüfen, ob Ausschluss nach § 5 GeschGehG wegen berechtigten Interesse
In subjektiver Hinsicht Vorsatz bzgl. objektivem Tatbestand sowie besondere Schädigungs-Absicht
‣ Strafbarkeit nach § 266 StGB
Vermögensbetreuungspflicht insbes. für Organe (§§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 AktG bzw. §§ 34, 43 GmbHG) und
Führungskräfte
Unterstützung Abwerbemaßnahmen ist mit Treuepflicht nicht vereinbar (Vorgesetzter fordert Mitarbeiter zum
Vertragsbruch auf, LAG Düsseldorf v. 23.02.2017 – 17 Sa 113/08)
„Humankapital“ als Vermögenswert (vgl. BGH v. 10.07.1996 – 3 StR 50/96)
In der Praxis schwierig: Zurechenbarkeit und Bezifferung Vermögensnachteil
18
English (United Kingdom)
Dr. Oliver Bertram | Fairer Wettbewerb in der Zeitarbeit – von der unerlaubten Abwerbung zum Geschäftsgeheimnis-Verrat
Abwerbung von Mitarbeitern & Datenschutz
‣ Mitnahme von Arbeitnehmer-Daten bzw. personenbezogenen Kunden-Daten als Datenschutz-Verstoß
Kopieren/Speichern der Daten beim Altarbeitgeber als Datenschutz-relevante Handlung
Kein Legitimationstatbestand, da „Datenräuber“ nicht in der Funktion als Arbeitgeber handelt und keine
Einwilligung der betroffenen Arbeitnehmer vorliegt
‣ „Googeln“ von potentiellen Kandidaten
Verarbeitung „gegoogelter“ Daten von abzuwerbenden Arbeitnehmern ggf. über Art. 9 Abs. 2 DS-GVO
(offensichtliche Öffentlich-Machung)
Anhand „gegoogelter“ Daten darf kein Persönlichkeitsprofil von Ziel-Kandidat erstellt werden
‣ Recherche in sozialen Netzwerken
Verarbeitung „gegoogelter“ Daten über Ziel-Kandidat ggf. über Art. 9 Abs. 2 DS-GVO (offensichtliche Öffentlich-
Machung)
Private Netzwerke (z.B. Facebook) unzulässig (insbesondere auch „Erfragen“ oder „Erschleichen“ von
Passwörtern für Netzwerk)
In beruflichen Netzwerken (Xing, LinkedIn) grundsätzlich zulässig, aber Beachtung Transparenzgebot nach Art. 88
Abs. 2 DS-GVO (kein „Erschleichen“ des Zugangs durch das Unternehmen)
19
Dr. Oliver Bertram | Fairer Wettbewerb in der Zeitarbeit – von der unerlaubten Abwerbung zum Geschäftsgeheimnis-Verrat
III.
Das Geschäftsgeheimnisgesetz im
Überblick
English (United Kingdom)
Dr. Oliver Bertram | Fairer Wettbewerb in der Zeitarbeit – von der unerlaubten Abwerbung zum Geschäftsgeheimnis-Verrat
Europäische Vorgaben – Richtlinie (EU) 2016/943
Ziel der Richtlinie:
˃
Mindestharmonisierung des Schutzes von Geschäftsgeheimnissen in der EU.
˃
˃
˃
˃
Europäische Richtlinie (EU) 2016/943 vom 8. Juni 2016 zum Schutz
vertraulichen Know-hows und vertraulicher Geschäftsinformationen
(Geschäftsgeheimnisse) vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger
Nutzung und Offenlegung
Europaweit einheitlicher Schutz vor Geheimnisverrat und Wirtschaftsspionage.
Förderung von grenzüberschreitenden Innovationen im europäischen Binnenmarkt.
Festlegung von Anforderungen an den Schutz von Geschäftsgeheimnissen.
Wirksam, verhältnismäßig und abschreckend – auch in der Rechtsdurchsetzung (Gerichtsverfahren)
Umsetzungsfrist für die nationalen Gesetzgeber: Bis zum 09. Juni 2018 (Art. 19 Abs. 1 RL (EU) 2016/943)
21
English (United Kingdom)
Dr. Oliver Bertram | Fairer Wettbewerb in der Zeitarbeit – von der unerlaubten Abwerbung zum Geschäftsgeheimnis-Verrat
Zentrale Bedeutung von Geschäftsgeheimnissen
Der Zugang zu Geschäftsgeheimnissen und deren Verwertung
können einen erheblichen wirtschaftlichen Wert darstellen.
˃
˃
Unternehmen haben großes Interesse daran, vertrauliche
kaufmännische Informationen (Kunden und Lieferantendaten,
Businesspläne, Marktstrategien, Bilanzen etc.) von der Öffentlichkeit
und der Konkurrenz abzuschirmen.
Technische Innovationen und Know-how sind entscheidende
Faktoren für die Wettbewerbsfähigkeit und den Markterfolg von
Unternehmen.
Dennoch:
˃
Aufgrund ihrer Art unterliegen sie nicht immer dem besonderen
Schutz von Spezialgesetzen (z.B. dem Patentgesetz, dem
Urheberrechtsgesetz etc.)
22
English (United Kingdom)
Dr. Oliver Bertram | Fairer Wettbewerb in der Zeitarbeit – von der unerlaubten Abwerbung zum Geschäftsgeheimnis-Verrat
Was sind die
typischen Risiken
für den Schutz
von Geschäftsgeheimnissen?
Arbeitnehmerwechsel
• Gefahr, dass mit Arbeitnehmer auch das Wissen zum Mitbewerber
wechselt.
• Berücksichtigt werden sollte das „Need-to-know“-Prinzip.
• Abschluss von Geheimhaltungsvereinbarung
Informationstransfer
• Wenn Geheimnisträger sein Wissen einem Mitbewerber auf
vertraglicher Basis zugänglich macht, ist der Geheimnisschutz von
der Vertragstreue des Geschäftspartners abhängig.
• Gefahr: Geschäftsbeziehung scheitern – Risiko des Vertragsbruch
erhöht sich.
Industriespionage & Competitive Intelligence
• Gefahr durch Mitbewerber mit denen keine Kooperation besteht. Durch illegale
Methoden (Computerhacking, Ausspähen und Abfange von Daten mit Hilfe von
gefälschter digitaler Identitäten).
• Legale Möglichkeit der Informationsgewinnung: Competitive Intelligence
• systematische Erhebung von relevanten Informationen (z.B. über Technologien,
Produkte, Märkte, Wettbewerber, Preis- und Kundenstrukturen) Absuchen der
Webseite der Konkurrenz / Informationen aus sozialen Netzwerken etc.
23
English (United Kingdom)
Dr. Oliver Bertram | Fairer Wettbewerb in der Zeitarbeit – von der unerlaubten Abwerbung zum Geschäftsgeheimnis-Verrat
Was ändert sich durch das neue Gesetz?
- Das neue Geschäftsgeheimnis -
Im Sinne dieses Gesetzes ist
§ 2 Nr. 1 GeschGehG
1. Geschäftsgeheimnis eine Information,
a) die weder insgesamt noch in der genauen Anordnung und Zusammensetzung ihrer Bestandteile
den Personen in den Kreisen, die üblicherweise mit dieser Art von Informationen umgehen,
allgemein bekannt oder ohne Weiteres zugänglich ist und daher von
wirtschaftlichem Wert ist und
b) die Gegenstand von den Umständen nach angemessenen
Geheimhaltungsmaßnahmen durch ihren rechtmäßigen Inhaber ist und
c) bei der berechtigtes Interesse an der Geheimhaltung besteht;
24
English (United Kingdom)
Dr. Oliver Bertram | Fairer Wettbewerb in der Zeitarbeit – von der unerlaubten Abwerbung zum Geschäftsgeheimnis-Verrat
Was ändert sich durch das neue Gesetz?
- angemessene Geheimhaltungsmaßnahmen -
Angemessene Geheimhaltungsmaßnahmen
˃
˃
˃
BGH: Manifestation eines erkennbaren subjektiven Geheimhaltungswillens
Vermutungsregelung bei betriebsinternen Kenntnissen.
Keine hohe Hürde für Geschäftsgeheimnisinhaber. Derjenige, der ein Geschäftsgeheimnis verletzte,
musste nachweisen, dass dem Inhaber der Wille zur Geheimhaltung fehlte.
Zukünftig:
˃
Geschäftsgeheimnisinhaber muss darlegen und beweisen können
1. dass er angemessene Maßnahmen zum Schutz des Know-hows getroffen hat, und
2. welche Maßnahmen er zum Schutz getroffen hat.
Bisher:
„subjektiver
Geheimhaltungswille“
vs.
Neu:
„angemessene
Geheimhaltungsmaßnahme“
25
English (United Kingdom)
Dr. Oliver Bertram | Fairer Wettbewerb in der Zeitarbeit – von der unerlaubten Abwerbung zum Geschäftsgeheimnis-Verrat
Was ändert sich durch das neue Gesetz?
- angemessene Geheimhaltungsmaßnahmen -
Was muss ein Unternehmen machen, um den Anforderungen zukünftig gerecht zu werden?
Beispiele für zu treffende Sicherheitsmaßnahmen:
Sicherheitsmechanismen
schaffen
Physischer Art
Vertraglicher Art
Zugangsbeschränkung für Akten / bestimmte Räumlichkeiten
Kennzeichnung der Know-how relevanten Unterlagen
Zugriffsbeschränkungen zu Know-how („Need-to-know“-Prinzip)
Sicherung der EDV mind. durch Passwortschutz und den
Einsatz von Firewalls
Vertraulichkeitsklauseln und Verschwiegenheitsvereinbarungen
(nachvertragliche) Wettbewerbsverbote
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English (United Kingdom)
Dr. Oliver Bertram | Fairer Wettbewerb in der Zeitarbeit – von der unerlaubten Abwerbung zum Geschäftsgeheimnis-Verrat
Was ändert sich durch das neue Gesetz?
- angemessene Geheimhaltungsmaßnahmen -
Wann ist die zu treffenden Schutzmaßnahme „angemessen“?
Begründung des Regierungsentwurfs:
„Bei der Wertung der Angemessenheit der Schutzmaßnahmen können insbesondere berücksichtigt
werden:
der Wert des Geschäftsgeheimnisses und dessen Entwicklungskosten,
die Natur der Informationen,
die Bedeutung für das Unternehmen,
die Größe des Unternehmens,
die üblichen Geheimhaltungsmaßnahmen in dem Unternehmen,
die Art der Kennzeichnung der Informationen
und vereinbarte vertragliche Regelungen mit Arbeitnehmern und Geschäftspartnern.“
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English (United Kingdom)
Dr. Oliver Bertram | Fairer Wettbewerb in der Zeitarbeit – von der unerlaubten Abwerbung zum Geschäftsgeheimnis-Verrat
Was ändert sich durch das neue Gesetz?
- angemessene Geheimhaltungsmaßnahmen -
Das „Der-Stufen Modell“
Echtes Schlüssel-Know-how:
Der Verlust ist existenzgefährdend für das Unternehmen
Weitgehende und kostenintensive
Schutzmaßnahmen erforderlich.
Strategisch besonders wichtiges Know-how:
Der Verlust ist erheblich spürbar für das Unternehmen
Umfangreiche und kostengenerierende
Schutzmaßnahmen erforderlich.
Sonstiges Know-how:
Der Verlust ist überschaubar für das Unternehmen
Schutzmaßnahmen im Kompromiss aus Wirksamkeit
und Handhabbarkeit.
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English (United Kingdom)
Dr. Oliver Bertram | Fairer Wettbewerb in der Zeitarbeit – von der unerlaubten Abwerbung zum Geschäftsgeheimnis-Verrat
Was ändert sich durch das neue Gesetz?
- berechtigtes Interesse an der Geheimhaltung (§ 2 Nr. 1 c) GeschGehG) -
► Voraussetzung „berechtigtes Interesse an der Geheimhaltung“
wurde der Definition (überraschend) auf Empfehlung
des Rechtsausschusses hinzugefügt
► Regierungsentwurf: Unternehmen hätten
entscheiden können, was als Geheimnis gilt
► Amtliche Begründung: „Berechtigtes Interesse
kann jedes von der Rechtsordnung gebilligte
Interesse sein. Es umfasst auch Interessen
wirtschaftlicher oder ideeller Art , wenn diese
von der Rechtsordnung gebilligt werden.“
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English (United Kingdom)
Dr. Oliver Bertram | Fairer Wettbewerb in der Zeitarbeit – von der unerlaubten Abwerbung zum Geschäftsgeheimnis-Verrat
Erlaubte Handlungen
§ 3 GeschGehG - Erlaubte Handlungen
(1) Ein Geschäftsgeheimnis darf insbesondere erlangt werden durch
1. eine eigenständige Entdeckung oder Schöpfung;
2. ein Beobachten, Untersuchen, Rückbauen oder Testen eines Produkts oder Gegenstands, das oder der
a) öffentlich verfügbar gemacht wurde oder
b) sich im rechtmäßigen Besitz des Beobachtenden, Untersuchenden, Rückbauenden oder Testenden befindet und
c) dieser keiner Pflicht zur Beschränkung der Erlangung des Geschäftsgeheimnisses unterliegt;
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English (United Kingdom)
Dr. Oliver Bertram | Fairer Wettbewerb in der Zeitarbeit – von der unerlaubten Abwerbung zum Geschäftsgeheimnis-Verrat
„Whistleblowing“ nunmehr ausdrückliche Ausnahme für die Preisgabe von
Geschäftsgeheimnissen
Aktuelle Rechtslage:
Marginaler Schutz für Hinweisgeber.
Beachte:
Wirksamer Whistleblower-Schutz wird ferner von
Europäischer Kommission verfolgt:
˃
˃
Richtlinien-Vorschlag 2018/0160(COD) vom
23.04.2018 zum Schutz von Personen, die
gegen das Unionsrecht melden.
Mindeststandards zur Gewährleistung eines
hohen Schutzniveaus für solche Hinweisgeber.
§ 5 GeschGehG – Ausnahmen
Die Erlangung, die Nutzung oder die Offenlegung
eines Geschäftsgeheimnisses fällt nicht unter die
Verbote des § 4, wenn dies zum Schutz eines
berechtigten Interesses erfolgt, insbesondere
1. [Meinungsfreiheit]
2. zur Aufdeckung einer rechtswidrigen
Handlung oder eines beruflichen oder
sonstigen Fehlverhaltens, wenn die
Erlangung, Nutzung oder Offenlegung geeignet ist,
dass allgemeine öffentliche Interesse zu schützen;
3. [Arbeitnehmervertretung]
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English (United Kingdom)
Dr. Oliver Bertram | Fairer Wettbewerb in der Zeitarbeit – von der unerlaubten Abwerbung zum Geschäftsgeheimnis-Verrat
Handlungsverbote
§ 4 GeschGehG - Handlungsverbote
(1) Ein Geschäftsgeheimnis darf nicht erlangt werden
durch
1. unbefugten Zugang […];
2. sonstige [unlauteres] Verhalten […]
(2) Ein Geschäftsgeheimnis darf nicht nutzen oder
offenlegen, wer
1. […] nach Abs. 1 […] erlangt hat
2. gegen eine Verpflichtung zur Beschränkung der
Nutzung des GeschGeh verstößt
(3) Ein Geschäftsgeheimnis darf nicht erlangen, nutzen
oder offenlegen, wer das
Geschäftsgeheimnis über eine andere Person erlangt
hat und zum Zeitpunkt der Erlangung, Nutzung oder
Offenlegung weiß oder wissen müsste, dass diese das
Geschäftsgeheimnis entgegen Absatz 2 genutzt oder
offengelegt hat.
Das gilt insbesondere, wenn die Nutzung in der
Herstellung, dem Anbieten, dem Inverkehrbringen oder
der Einfuhr, der Ausfuhr oder der Lagerung für diese
Zwecke von rechtsverletzenden Produkten besteht.
3. gegen eine Verpflichtung verstößt, das GeschGeh
nicht offenzulegen
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English (United Kingdom)
Dr. Oliver Bertram | Fairer Wettbewerb in der Zeitarbeit – von der unerlaubten Abwerbung zum Geschäftsgeheimnis-Verrat
Zur mittelbaren Geheimnisverletzung (§ 4 Abs. 3 GeschGehG-E)
˃
˃
˃
D.h. der/die Handelnde selbst muss keinen Verstoß gegen § 4 Abs. 2 begangen haben.
Es reicht wenn eine andere Person aus der Kette gegen § 4 Abs. 2 verstößt.
Beispiel:
Der vom Wettbewerber A zum Personaldienstleister B wechselnde
Niederlassungsleiter bringt von dort „seine“ Kunden-/Mitarbeiterliste mit.
Für die mittelbare Geheimnisverletzung reicht zukünftig einfache Fahrlässigkeit beim
Handelnden aus.
Um eine Haftung zu vermeiden ist es daher erforderlich, jeden neuen Mitarbeiter/ neuen
Vertragspartner über die Risiken zu informieren, die ein Mitbringen von unredlich
erworbenem Know-hows aus einer vorausgegangenen Vertragsbeziehung begründet
und dies entsprechend mit Sanktionen zu belegen.
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English (United Kingdom)
Dr. Oliver Bertram | Fairer Wettbewerb in der Zeitarbeit – von der unerlaubten Abwerbung zum Geschäftsgeheimnis-Verrat
Vollwertiger Anspruchskanon (I)
Anspruchskanon
Beseitigung & Unterlassung, § 6
Vernichtung, Herausgabe des „Geheimnisträgers“, § 7 Nr. 1
Vernichtung „rechtsverletzendes Produkt“, § 7 Nr. 4
Rückruf, Entfernung und Rücknahme vom Markt „rechtsverletzendes Produkt“
§ 7 Nr. 2-3, 5
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English (United Kingdom)
Dr. Oliver Bertram | Fairer Wettbewerb in der Zeitarbeit – von der unerlaubten Abwerbung zum Geschäftsgeheimnis-Verrat
Vollwertiger Anspruchskanon (II)
Anspruchskanon
Auskunft, § 8 Abs. 1
Schadensersatz bei Auskunftspflichtverletzung, § 8 Abs. 2
Schadensersatz, § 10
Abfindung in Geld, § 11
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English (United Kingdom)
Dr. Oliver Bertram | Fairer Wettbewerb in der Zeitarbeit – von der unerlaubten Abwerbung zum Geschäftsgeheimnis-Verrat
§ 11 Abs. 1 GeschGehG – Abfindung in Geld
Wenn ein Verletzter weder vorsätzlich noch fahrlässig gehandelt hat….
Ist ein Schadensersatzanspruch ausgeschlossen.
Gleichwohl ist er Beseitigungs- und Unterlassungsansprüchen (gem. § 6) und Ansprüchen auf Vernichtung,
Herausgabe und Vernichtung (gem. § 7) ausgesetzt.
ABER
Wenn Verletzter geltend machen kann, dass
1. ihm durch die Erfüllung dieser Ansprüche ein unverhältnismäßig großer Nachteil entstehen würde und
2. die Abfindung in Geld angemessen erscheint.
ist er nur zur Zahlung einer Abfindung in Geld verpflichtet.
˃
Höhe der Abfindung bestimmt sich nach § 11 Abs. 2: Sie bestimmt sich danach, was im Falle der
vertraglichen Einräumung eines Nutzungsrechts (z.B. durch Lizenz) angemessen wäre.
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English (United Kingdom)
Dr. Oliver Bertram | Fairer Wettbewerb in der Zeitarbeit – von der unerlaubten Abwerbung zum Geschäftsgeheimnis-Verrat
Fazit: Das neue GeschGehG - Herausforderung für Unternehmen?
Schutz von Know-how wird durch ein eigenes Schutzgesetz
aufgewertet und verstärkt.
Dennoch: Geheimnisinhaber muss strengere Anforderungen
erfüllen, um das Vorliegen eines Geschäftsgeheimnis nachweisen
zu können. Er/Sie muss den Nachweis führen können,
„angemessene Geheimhaltungsmaßnahmen“ getroffen zu haben.
Insgesamt wird durch das GeschGehG ein effektiver Schutz des
Inhabers von Geschäftsgeheimnissen geschaffen. Effektivere
zivilrechtliche Durchsetzung des Geheimnisschutzes.
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English (United Kingdom)
Dr. Oliver Bertram | Fairer Wettbewerb in der Zeitarbeit – von der unerlaubten Abwerbung zum Geschäftsgeheimnis-Verrat
Vielen Dank
für Ihre Aufmerksamkeit!
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Dr. Oliver Bertram | Fairer Wettbewerb in der Zeitarbeit – von der unerlaubten Abwerbung zum Geschäftsgeheimnis-Verrat
Profil
Dr. Oliver Bertram
Partner, Düsseldorf
Practice Area Arbeitsrecht
Dr. Oliver Bertram berät nationale und internationale Unternehmen sowie Arbeitgeberverbände
in allen Fragen des Arbeitsrechts, insbesondere bei der Verhandlung
und Gestaltung von Konzepten zur Personal-, Entgelt- und Arbeitszeitflexibilisierung.
Dr. Bertram ist spezialisiert auf die vertragliche und tatsächliche Gestaltung des
Einsatzes flexibler Personalreserven (Zeitarbeit, InterimManagement, Freelancer)
und unterstützt seine Mandanten bei Um- und Restrukturierungen, der Beauftragung
von Fremdpersonal und einem damit verbundenen Outsourcing von
betrieblichen Teilbereichen im Wege von Dienst- oder Werkverträgen.
Im JUVE Handbuch Wirtschaftskanzleien 2017/18 heißt es hierzu über Dr. Bertram:
„[Er] hat vor allem bei AÜG und Fremdpersonaleinsatz einen Überblick über
Materie und Fallstricke, der deutschlandweit so nicht zu finden ist, so ein Mandant“.
Insbesondere auf dem Gebiet des Fremdpersonaleinsatzes setzt Dr. Bertram mit
seinem Beraterteam unternehmens- und konzernweite HR-Compliance-Projekte zur
Implementierung rechtssicherer Beauftragungsprozesse und zur ressourcengerechten
Aufarbeitung etwaiger Fehlabgrenzungsfälle um. Er nutzt hierbei sein
hervorragendes Netzwerk zu den Sozialversicherungsträgern und fachzuständigen
Prüfungsbehörden.
Dr. Oliver Bertram ist vielfach als Dozent auf Seminarveranstaltungen tätig und
veröffentlicht regelmäßig Beiträge, insbesondere zu Themen der Personalflexibilisierung
in juristischen Fachzeitschriften. Er ist Lehrbeauftragter der Heinrich Heine-
Universität Düsseldorf auf den Gebieten des Arbeits- und Sozialrechts.
Kontaktdetails
T: +49 211 8387-218 E: o.bertram@taylorwessing.com
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