03.09.2019 Aufrufe

GSa147_190822-Web-Einzelseiten

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Die Grundschule der Zukunft ist …<br />

Anne Rumpf<br />

Von Isfahan bis zum<br />

anderen Ende der Galaxie<br />

Zwei Stadtteil-Opern an einer Frankfurter Grundschule<br />

Eine Stadtteil-Oper, aufgeführt von einer Grundschule – warum machen wir<br />

so etwas? Und was ist das überhaupt – eine Stadtteil-Oper? Die Frage nach dem<br />

Warum ist schnell beantwortet: Nichts ist motivierender für Kinder als die Vorbereitung<br />

auf einen großen Auftritt und der Auftritt selbst, nirgendwo sonst<br />

erleben sie so unmittelbar und direkt Reaktionen auf ihre Leistungen, ihre<br />

künstlerische Arbeit, zu kaum einer anderen Gelegenheit erfahren sie solche<br />

Wertschätzung wie nach einem Konzert.<br />

Aber was ist das eigentlich – eine<br />

»Stadtteil-Oper«? Der Name<br />

impliziert bereits den direkten<br />

Bezug zu einem Wohnort, also zum<br />

Frankfurter Stadtteil Sossenheim. Stadtteil-Oper<br />

ist ein Format des Partizipativen<br />

Musiktheaters, in unserem Falle in<br />

einer Grundschule, der Henri-Dunant-<br />

Schule (HDS), die Ausgangs- und Mittelpunkt<br />

der künstlerischen Arbeit ist.<br />

Idyllische Fachwerkhäuser, Äppelwoi-<br />

Kneipen, Geschäfte, kleine Handwerksbetriebe<br />

– und drumherum Wohnblocks,<br />

das ist Sossenheim.<br />

So gemischt wie die Wohnbebauung<br />

ist auch die Herkunft der Menschen, die<br />

hier leben. In der HDS treffen sie alle aufeinander:<br />

engagierte Eltern, Eltern, die<br />

Unterstützung und Familienhilfe benötigen,<br />

Scheinselbstständige ohne Krankenversicherung,<br />

deren Kinder in der<br />

sozialen Notfallsprechstunde behandelt<br />

werden müssen, Eltern mit Migrationshintergrund,<br />

die hier eine neue Heimat<br />

gefunden haben.<br />

So verstehen wir, das Kollegium der<br />

HDS, Partizipation. Es geht uns um die<br />

Entdeckung des musikalischen Potenzials<br />

und der kreativen Energie, die die<br />

Kinder als großes Geschenk für uns<br />

mit in die Schule bringen, und um die<br />

Freude am Spielen, am Singen, am Erfinden<br />

und Entwickeln einer Oper.<br />

März 2018, Volkshaus Sossenheim,<br />

Premiere der Stadtteil-Oper<br />

»Sehnsucht nach Isfahan«<br />

Das Vorspiel zum letzten Chor von<br />

»Sehnsucht nach Isfahan« erklingt. »Zadoc<br />

The Priest« von Georg Friedrich<br />

Händel. Auf der Bühne sitzen die Drittund<br />

Viertklässler*innen der HDS, ca.<br />

150 Kinder. In den ersten Reihen sitzen<br />

noch einmal genauso viele Kinder, nämlich<br />

alle Erst- und Zweitklässler*innen.<br />

Die Kinder wissen, das ist ein langes<br />

Vorspiel. Wie vereinbart und geprobt,<br />

steht ein Kind nach dem anderen auf,<br />

leise, zügig, bleibt ruhig stehen und wartet<br />

auf das Ende des Vorspiels.<br />

Im Saal sitzen 500 Menschen, viele<br />

Eltern, aber auch Freunde, Kollegen, Politikerinnen.<br />

Dann hebt die Musiklehrerin die<br />

Hände, sie zeigt die Töne an: »mi – mi –<br />

mi – fa«. 300 Kinder singen: »Sina, bleib<br />

stark! Die Rettung, sie kommet!«<br />

Ganz vorne steht Giada. Sie singt aus<br />

vollem Herzen und voller Kehle mit. Zwischendurch<br />

muss sie weinen. Artina, ihre<br />

Nachbarin, nimmt sie in den Arm, dann<br />

geht es wieder, und Giada kann wieder<br />

mitsingen.<br />

Als sie später gefragt wird, warum sie<br />

denn habe weinen müssen, sagt sie nur:<br />

»Das ist einfach so emotional.«<br />

Kinder singen Händel. Keines der Kinder,<br />

die bei »Sehnsucht nach Isfahan«<br />

Familienangehörige der Kinder, interessierte<br />

Sossenheimer Bürger*innen, Vereine,<br />

Kolleg*innen und Ex-Kolleg*innen,<br />

Betreuungspersonal, ehemalige<br />

Schüler*innen der HDS – sie alle sind<br />

eingeladen und aufgefordert, sich einzubringen<br />

und die Oper auf ihre Weise<br />

mit zu gestalten.<br />

Wir realisieren ästhetische Partizipation<br />

und kulturelle Teilhabe in Form<br />

eines Musikprojekts, das eben nicht »für«<br />

die Menschen eines Stadtteiles, sondern<br />

»von« ihnen selbst gemacht wird.<br />

Finale der Stadtteil-Oper »Sehnsucht nach Isfahan«.<br />

Die Kinder singen »Sina bleib stark!«<br />

14<br />

GS aktuell 147 • September 2019

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!