Bildung_2019
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4 LEBENSLANGES LERNEN<br />
Vor 50 Jahren: Erste Schüler besuchten die neue Technische Oberschule in der alten Ulmer Pionierskaserne.<br />
Foto: Rolf Geier<br />
Vom Dreher<br />
zum Arzt<br />
Lebenslanges Lernen Im Jahr <strong>2019</strong> feiern Berufliche Gymnasien und<br />
Technische Oberschule in Ulm ihr 50-jähriges Bestehen. Zu den<br />
ersten Schülern gehörte Josef Waitzinger. Von Werner Gallbronner<br />
Als „Glücksfall“ für ihn bezeichnet<br />
Josef Waitzinger<br />
die Tatsache, dass im<br />
Jahr 1969 die Technische<br />
Oberschule in Ulm gegründet<br />
wurde. „Es war just, als ich die<br />
Mittlere Reife abgelegt hatte. Es<br />
herrschte eine Pionierstimmung,<br />
eine Aufbruchstimmung“, erinnert<br />
sich der 68-Jährige. Josef<br />
Waitzinger ist geradezu ein Paradebeispiel<br />
dafür, wie schon damals<br />
der zweite <strong>Bildung</strong>sweg für<br />
jeden persönlich eine Erfolgsgeschichte<br />
werden konnte.<br />
In den 1950er Jahren wuchs er<br />
als Halbwaise in Nersingen unter<br />
sehr einfachen Verhältnissen<br />
auf. Sein Vater war früh gestorben,<br />
die Beziehung zum Stiefvater<br />
– die Mutter hatte wieder geheiratet<br />
– war nicht die beste. Die<br />
Familie betrieb eine kleine Landwirtschaft,<br />
er selbst fing nach<br />
acht Jahren Volksschule im Alter<br />
von knapp 14 Jahren eine Lehre<br />
als Dreher bei der Ulmer Firma<br />
Magirus an. „Es war eine sehr<br />
gute Zeit“, erinnert er sich. Die<br />
Betreuer dort hätten die Lehrlinge<br />
in der großen Lehrwerkstatt<br />
nicht nur nach einem Lernplan<br />
vorbildlich ausgebildet, sondern<br />
seien auch pädagogisch geschult<br />
gewesen. „Man hat etwas gelernt<br />
und wir Lehrlinge wurden ermutigt,<br />
das kannte ich von daheim<br />
gar nicht.“ Auch an die Gemeinschaft<br />
untereinander erinnert er<br />
sich gern zurück, zu einigen der<br />
damaligen Arbeitskollegen habe<br />
er heute noch Kontakt.<br />
Mit 17 Jahren war er mit der<br />
Lehre fertig, durfte aber im Werk<br />
nicht Akkord arbeiten, da er<br />
noch nicht volljährig war. So<br />
blieben ihm oft nur die einfachen<br />
Dinge zu erledigen, ganz im Gegensatz<br />
zu den anspruchsvollen<br />
Tätigkeiten, die er in der Ausbildung<br />
gelernt hatte, auch der Verdienst<br />
war geringer. Ermutigt<br />
von ehemaligen Ausbildern meldete<br />
er sich zur Aufnahmeprü-<br />
fung für die Berufsoberschule in<br />
Ulm an und absolvierte sie nach<br />
eineinhalb Jahren mit der Mittleren<br />
Reife. Finanziert hatte er<br />
weite Abschnitte von seinem Ersparten<br />
aus der Arbeit zuvor, daheim<br />
konnte er ja noch kostenlos<br />
wohnen und essen.<br />
Die Chance auf<br />
<strong>Bildung</strong> ist eine<br />
wichtige Grundlage<br />
für den weiteren<br />
Lebensweg.<br />
Josef Waitzinger<br />
Mediziner auf dem 2. <strong>Bildung</strong>sweg<br />
Dann folgte die Gründung der<br />
Technischen Oberschule Ulm,<br />
zuvor gab es eine solche in Baden-Württemberg<br />
nur in Stuttgart,<br />
was für Waitzinger keine Alternative<br />
gewesen wäre. So aber<br />
konnte er in der ersten Klasse<br />
(TO1) über zwei Jahre die fachgebundene<br />
Hochschulreife erlangen,<br />
die zum Studium an technisch-naturwissenschaftlichen<br />
Hochschulen und Universitäten<br />
berechtigte.