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Muelheimia_#3_2019_web

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<strong>2019</strong> <strong>#3</strong> Mülheimia Quarterly<br />

Mülheimia<br />

Klimaschutz in<br />

Köln-Mülheim


Mülheimia Quarterly<br />

Veedelsanzeigen<br />

<strong>#3</strong> September <strong>2019</strong> 2<br />

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3 <strong>#3</strong> September <strong>2019</strong> Mülheimia Quarterly Stadt. Kultur. Soziales<br />

Editorial<br />

Inhalt<br />

Liebe Leser*innen,<br />

Ideen-Werkstatt Wiener Platz<br />

Erste Ergebnisse Seite 4<br />

Ana Bolena Kolumna<br />

In Mülheim zuhause <strong>#3</strong><br />

prima Klima – von wegen! Apokalypse:<br />

Schau! Der wüstenheiße<br />

Sommer hat die dräuenden Katastrophenszenarien<br />

sichtbar werden<br />

lassen. Machen wir uns nichts mehr<br />

vor! Zentrales Thema dieser Mülheimia<br />

Quarterly ist folgerichtig der<br />

Klimawandel, wir legen die Finger in<br />

die lokalen Wunden, zeigen aber auch<br />

Lösungen auf.<br />

Während Greta auf dem Segelschiff<br />

nach Amerika unterwegs war, verpesteten<br />

und verpesten weiterhin trotz<br />

einseitiger Befahrung der Mülheimer<br />

Brücke tausende Dieselfahrzeuge den<br />

Clevischen Ring. Was die Überschreitung<br />

der Grenzwerte für Stickstoffdioxid<br />

angeht, immer noch einer der<br />

sogenannten Hot Spots des Landes.<br />

Mülheim steht insofern im Brennpunkt<br />

der Diskussionen und rechtlichen<br />

Auseinandersetzungen über<br />

die Luftrheinhaltung. Das Recht auf<br />

Gesundheit steht gegen das Recht auf<br />

Eigentum bzw. das Auto, die „heilige<br />

Kuh“ der Deutschen, das einer seiner<br />

Ursprünge bei der Deutz AG<br />

in Köln-Mülheim hatte, wo der<br />

„Otto-Motor“ gebaut wurde.<br />

Die Stadt ist wachgerüttelt, E-Busse<br />

werden im großen Stil angeschafft<br />

(hoffentlich dann auch in Mülheim<br />

eingesetzt!) und neue Mobilitätskonzepte<br />

umgesetzt. Die Stadt beginnt<br />

auch auf anderen Gebieten getrieben<br />

durch Greta und Co endlich zu<br />

handeln. Sie fährt Förderprogramme<br />

auf. CO2 einzusparen kann auch Spaß<br />

machen, das zeigt der Beitrag von<br />

Tom Laroche auf humorvolle Weise.<br />

Dass auch Lokalpolitiker*innen<br />

wissen, was die Glocke geschlagen<br />

hat, lesen Sie in den Klimaschutzinterviews.<br />

Wir planen eine Ortsgruppe „Artists<br />

for Future, Ortsgruppe Mülheim“ zu<br />

gründen. Wie das geht finden Sie unter<br />

diesem Link https://artistsforfuture.<br />

org/de/mitmachen/ortsgruppengruenden/<br />

»<br />

Ihre<br />

Herausgeberin<br />

Reden ist Gold! Werkstattgespräche<br />

im Kulturbunker Seite 5<br />

Why Trump?<br />

Ein Roadtrip Seite 6<br />

Gutes Klima im Veedel<br />

Klimaschutz in Köln-Mülheim<br />

Seite 7<br />

Auf der Suche nach der<br />

verlorenene Zeit Plattenbörse<br />

Mülheimer Stadthalle Seite 12<br />

Luftkurort Müllheim a. R.<br />

Mülheimia Minatur #5 Seite 14<br />

Werden Sie Mitglied im<br />

www.muelheimia.koeln/salon<br />

In Mülheim zu Hause zu sein erweckt<br />

in mir viele Gedanken und<br />

Gefühle. Zu Hause kann nur in der<br />

Heimat sein? Ja, definitiv. Aber nicht<br />

im Sinne der begrenzten Idee des<br />

geographischen Territoriums, sondern<br />

der Abstraktion von Heimat,<br />

die sich in universellen Kategorien<br />

wie Ernährung, Natur, Musik oder<br />

Literatur manifestiert. In den zwölf<br />

Jahren meines Lebens in Deutschland<br />

– ab Februar <strong>2019</strong> nun als<br />

deutsche Staatsbürgerin – habe<br />

ich in einigen dieser Kategorien<br />

„Heimat“ erlebt. Aber was Literatur<br />

betrifft: Erfüllt nur die spanische<br />

Literatur mein Bedürfnis nach<br />

Heimat? Deutsche Literatur war mir<br />

stets fremd. Ich hatte keinen Zugang<br />

außer vielleicht über die Zeitschriften<br />

im Wartesaal des Kinderarztes.<br />

Es fehlte mir in der deutschen Literatur<br />

doch immer die irrationelle<br />

Faszination eines Jorge Luis Borges.<br />

Die Säulen meines neuen Zuhauses<br />

waren nicht vollkommen.<br />

Nun – seit dieser einen Scrabble-<br />

Partie im Juni <strong>2019</strong> ist eine erfreuliche<br />

Wendung eingetreten. Deren<br />

unbezwingbare Gewinnerin wird<br />

über ihre Reise nach Norwich befragt.<br />

Sie berichte uns, dass sie im<br />

British Centre for Literary Translation<br />

zu einer Diskussionsrunde<br />

zwischen den europäischen Übersetzern<br />

von W. G. Sebald eingeladen<br />

war. Das Beste: Teresa Ruiz Rosas,<br />

die peruanische Schriftstellerin, die<br />

Sebald kannte und die die erste war,<br />

die sein Werk „Die Ausgewanderten“<br />

ins Spanische („Los Emigrados“)<br />

übersetzt hat, ist meine Nachbarin.<br />

„Sebald ist einer der bedeutendsten<br />

deutschen Schriftsteller des<br />

20. Jahrhunderts“ sagt sie, während<br />

sie ihre mehr als 200 Punkte am<br />

Ende des Spiels zusammenrechnet.<br />

Das ich nur Zweite wurde, war ab<br />

diesem Moment nicht mehr wichtig.<br />

Als ich „Sebald“ Tage später in eine<br />

Suchmaschine eingebe, lese ich<br />

„beeinflusst von Jorge Luis Borges“!<br />

Ich muss dieses Buch lesen und<br />

bestelle „Die Ausgewanderten“ in<br />

der Buchhandlung am Wiener Platz.<br />

Schon am nächsten Morgen kann<br />

ich es abholen und nehme daraufhin<br />

eine U-Bahn in die Innenstadt.<br />

Während meiner geliebten Überquerung<br />

des Rheins beginne ich zu<br />

lesen und bin direkt fasziniert. Ich<br />

erinnere mich nicht mehr, wohin<br />

ich fuhr, und auch damals vergaß<br />

ich es. Zuerst erscheint ein Foto, und<br />

dann beginnt W. G. Sebald mir auf<br />

Deutsch ein neues Universum ganz<br />

tief in mein Bewusstsein zuzuflüstern.<br />

Es ist kein Zufall, dass diese<br />

vier langen Erzählungen von vier<br />

Personen handeln, die ihre Heimat<br />

hinter sich gelassen oder sie verloren<br />

haben. Sebald selbst verlässt<br />

Deutschland als er 22 Jahre alt ist.<br />

Er siedelt nach England um und<br />

versucht dort zurecht zu kommen.<br />

Zwischen Realität und Fiktion,<br />

zwischen Traumgespräch und<br />

Erinnerung erkenne ich Spuren von<br />

Borges. Dies bedeutet für mich eine<br />

wichtige Säule des Zuhauseseins.<br />

Das größte Glück ist, dass ich kürzlich<br />

mit Teresa am Rhein spazieren<br />

gehe. Ich frage, und sie erzählt mir<br />

von ihm, von Sebald. Ihr erstes<br />

Meeting war in London in der Liverpool<br />

Station. Er war groß – wir sind<br />

kleine Südamerikanerinnen – ein<br />

netter und liebevoller Mensch. Vor<br />

etwa 20 Jahren bot er Teresa ein<br />

Stipendium im British Centre for<br />

Literary Translation an. Sie solle<br />

sich in England in Ruhe auf ihre Arbeit<br />

als Übersetzerin konzentrieren.<br />

Jedoch hatte sie zwei kleine Kinder<br />

zu Hause, die sie nicht alleine lassen<br />

konnte. Trotzdem hatte sie das<br />

Glück dem Autor Sebald mehrfach<br />

zu begegnen. Ich wiederum habe<br />

das Glück, dass sie eine Mülheimerin<br />

ist. Unsere Nachbarschaft<br />

weiß nicht, dass sie eine der besten<br />

Schriftstellerin Perus ist. Ihr Roman<br />

„Nada que declarar“ zeichnet mit<br />

den „Fensterfrauen“ die Problematik<br />

des Menschenhandels in unserer<br />

Nachbarstadt nach. Ich lese ihn auf<br />

Spanisch. Ein noch größeres Glück<br />

ist es, dass wir, zwei Ausgewanderte,<br />

gerne Scrabble auf Deutsch und auf<br />

Spanisch spielen.»<br />

> www.muelheimia.koeln/teresa


Mülheimia Quarterly<br />

Stadt. Kultur. Soziales<br />

<strong>#3</strong> September <strong>2019</strong> 4<br />

#lebenaufdemwienerplatz<br />

Ideenwerkstatt Wiener Platz<br />

Was hätten’s denn gern?<br />

von Kenan Zöngör<br />

Am 8. September <strong>2019</strong> veranstaltet Mülheimia<br />

Quarterly zum Mülheimer Tag auf dem Wiener<br />

Platz eine Ideenwerkstatt mit Ihren Ideen.<br />

Nicht immer ist der Fragende am Wunsch seines<br />

Gegenübers interessiert. In Wien schaut einen der<br />

„Herr Ober“ schon mal herablassend an und quittiert<br />

die Bestellung mit einem „Hätte ich auch gern,<br />

haben tun wir’s aber net.“<br />

Auf dem Wiener Platz fragen sich viele Mülheimer*innen,<br />

was sich die Bauherren gewünscht<br />

haben. Und was sich Architekten bei der Umsetzung<br />

gedacht haben. In der Mülheimia #2 vom<br />

März <strong>2019</strong> haben wir den Architekten Stephan<br />

Schmitz gefragt, der den Platz gestaltet hat. Er<br />

äußerte sich unzufrieden mit der Umsetzung seines<br />

Entwurfs, der immer noch nicht vollendet sei.<br />

Seien Sie Teil davon, tragen Sie die<br />

Botschaft weiter und unterstützen<br />

Sie mit dem Kauf unserer T-Shirts<br />

und Taschen die Aktionen für einen<br />

lebenswerten Wiener Platz.<br />

Vor allem zwei Aspekte hebt er hervor: Zum Einen<br />

vermisst er den geplanten festen Gastropavillon.<br />

Das „Bier“-Zelt sei als vorübergehend gedacht<br />

worden und letztlich als Dauerlösung unzulässig.<br />

Zum Anderen fehlen zum Clevischer Ring zwei<br />

Türme, die noch immer nicht gebaut seien. Die<br />

Sockel und die Versorgungsleitungen für die Türme<br />

sind bereits da. Diese mit vier Geschossen geplanten<br />

Türme seien ohnehin nur die „kleine Lösung“<br />

im Vergleich zum ursprünglich gedachten Torhaus.<br />

Das Torhaus sollte in optischer Verlängerung der<br />

Träger der Mülheimer Brücke entstehen und eine<br />

Achse zwischen Brücke, Platz und Frankfurter<br />

Strasse bilden.<br />

Grundlage für unseren Ideenwettbewerb war eine<br />

Doppelseite in der letzten Printausgabe mit dem<br />

Originalentwurf des Architekten mit Türmen und<br />

Pavillon. Diese konnten Sie nutzen, um ihre Ideen<br />

einzuzeichnen und ergänzend einen Fragebogen<br />

ausfüllen mit folgenden Leitfragen:<br />

• Was kann auf dem Wiener Platz geschehen?<br />

• Was soll mit der roten 2020 geschehen?<br />

• Wer sollte in die Türme ziehen?<br />

• Was sollte in den Pavillon?<br />

• Was sollte in den angeschlossenen Kiosk?<br />

Wir haben zahlreiche Zuschriften, ausgefüllte<br />

Fragebögen, handgezeichnete Entwürfe, Konzeptpräsentationen<br />

und fundierte Stellungnahmen von<br />

Ihnen erhalten. Gemeinsam haben die Einreichungen<br />

das Zielbild von einem ansprechenderen Ort,<br />

der einer vielfältigen Stadtteilgesellschaft Aufenthalts-<br />

und Begegnungsqualität bietet.<br />

Ein Leser wies darauf hin, dass unser Ideenwettbewerb<br />

zu eng am Originalentwurf des Architekten<br />

orientiert sei, der mittlerweile fast 30 Jahre alt und<br />

eigentlich nicht mehr zeitgemäß sei. Zudem sei<br />

weder im Entwurf noch in unserem Wettbewerb<br />

die Eigenschaft des Platzes als Verbindung zwischen<br />

diesseits und jenseits des Clevischen Rings<br />

erkennbar. An unserem Küchentisch entzündete<br />

sich ob der Vorschläge eine hitzige Diskussion, ob<br />

die Gentrifizierungsgefahr hinnehmbar sei, um<br />

Verwahrlosung und Verödung des Platzes entgegenzuwirken.<br />

(„Streitet ihr, Papa?“)<br />

Sowohl der Platz als auch der Wettbewerb bieten<br />

anregende/anstrengende Perspektiven. Dass dies<br />

nicht nur Gedankenspiel bleiben muss, zeigt der<br />

wachgeküsste Ebertplatz. Teilhabe und Initiative<br />

lohnen sich. Hintergründe zum wiedererwachten<br />

Ebertplatz lesen Sie in der nächsten Ausgabe. Die<br />

Ideenwerkstatt mit den eingereichten und neuen<br />

Vorschlägen finden Sie am 8. September zum Mülheimer<br />

Tag. Auf dem Wiener Platz: Was hätten’s<br />

denn gern? Ernsthaft!<br />

Onlineshop-Link:<br />

qrco.de/bbDzks<br />

Ein Spielplatz im Zentrum des Platzes könne Familien<br />

anziehen, ein Bouleplatz und ein Kugelverleih<br />

im Pavillonkiosk nach französischem Vorbild<br />

Anlaufpunkt für Jung und Alt aus dem Veedel sein.<br />

Der Pavillon benötige ein gastronomisches Konzept,<br />

dass gute Küche mit bezahlbaren Preisen und<br />

Strahlkraft über den Stadtteil hinaus verbindet. Die<br />

Türme könnten Studentenwohnheim sein, Museum<br />

mit touristischer Ausrichtung, Anlaufstelle für<br />

Obdachlose oder Coworking Spaces.<br />

Machen Sie mit bei<br />

der Ideen-Werkstatt<br />

am 8. September <strong>2019</strong><br />

zum Mülheimer Tag!


5 <strong>#3</strong> September <strong>2019</strong> Mülheimia Quarterly Stadt. Kultur. Soziales<br />

Werkstattgespräche im Kulturbunker<br />

Reden ist Gold!<br />

llustration von Eva Rusch unter<br />

Verwendung eines Fotos von<br />

Dan Budnik mit James Baldwin<br />

in der Mitte (Aktueller Film<br />

„I Am Not Your Negro“) .<br />

Gesprächsrunde im Café KUBUS<br />

mit der Journalistin Sefa Suvak<br />

und Gästen.<br />

von Kenan Zöngör<br />

Illustration: Eva Rusch<br />

Miteinander Reden ist unschätzbar.<br />

Das Mülheimer Heimatministerium<br />

alias der Kulturbunker lädt Nachbar*innen<br />

und Freund*innen zu<br />

Werkstattgesprächen. Wir erinnern<br />

uns: (siehe Mülheimia #2 <strong>2019</strong>) der<br />

Kulturbunker Mülheim wandelte sich<br />

zum Mülheimer Heimatministerium<br />

(MülHeiMin).<br />

Von 2018 bis 2020 wurden und<br />

werden im MülHeiMin Kunst und<br />

Kultur in den Dienst der Vielfalt der<br />

Heimaten im Stadtteil gestellt. Mit<br />

eigenen Projekten und ausgewähltem<br />

Programm können Mülheimer*innen<br />

Heimaten erleben, eigene Ideen<br />

einbringen und mitgestalten.<br />

Eine wichtige Veranstaltungsreihe<br />

des MülHeiMin sind die Werkstattgespräche.<br />

Die Journalistin Sefa Suvak<br />

moderiert die Gespräche, an denen<br />

sich alle Mülheimer*innen beteiligen<br />

können.<br />

Das Café Kubus des Kulturbunker<br />

Mülheim ist der Ort, an dem die<br />

Gespräche stattfinden. Hier soll ein<br />

Raum etabliert werden, in dem Nachbarn,<br />

Freund*innen, Gäste, Immis<br />

und Durchreisende ins Gespräch<br />

kommen und im Gespräch bleiben.<br />

Bislang haben zwei Werkstattgespräche<br />

stattgefunden. Im ersten<br />

Gespräch hat eine Kölnerin von ihrer<br />

Einwanderung aus der Türkei erzählt.<br />

Die Teilnehmer*innen hatten die<br />

Gelegenheit, den papiernen Begriff<br />

„Migrationshintergrund“ mit einer<br />

lebendigen Biografie abzugleichen<br />

und Fragen zu stellen und mit einem<br />

Experten zu Migration im Stadtteil<br />

zu diskutieren. Im zweiten Gespräch<br />

konnten sich die Mülheimer*innen<br />

mit engagierten Privatleuten und<br />

Vereinsmitgliedern zum Heimatbegriff<br />

austauschen.<br />

Das nächste Werkstattgespräch<br />

findet am 26. September statt.<br />

Thema ist die „kleine Schwester der<br />

Heimat“: Nachbarschaft. Besonders<br />

in Köln gilt die unmittelbare<br />

Nachbarschaft, das „Veedel“ als<br />

identitätsstiftend. Daher möchten<br />

die Projektleiterin MülHeiMin Eva<br />

Liedjens und Sevgi Demirkaya vom<br />

Kulturbunker zum Gespräch einladen<br />

und Fragen stellen:<br />

Was bedeuten uns Nachbarn und<br />

Nachbarschaft? Wie ändert sich<br />

unsere Nachbarschaft? Wie gehen wir<br />

mit alten und neuen Nachbarn um?<br />

Die Beiden sind überzeugt, dass<br />

Miteinanderreden nicht nur Spaß<br />

macht und neue Erkenntnisse bringt.<br />

In erster Linie wird es nach anregenden<br />

Gesprächen richtig schwer, sich<br />

misszuverstehen.<br />

Für weitere Informationen:<br />

www.kulturbunker-heimat.de<br />

oder www.kulturbunkermuelheim.de<br />

Für Themenvorschläge und<br />

Anregungen:<br />

info@kulturbunker-heimat.de<br />

Oder einfach hingehen und mitreden.<br />

• Donnerstag, 26. September <strong>2019</strong><br />

ab 19 Uhr<br />

• Donnerstag, 12. Dezember <strong>2019</strong><br />

ab 19 Uhr »<br />

> www.muelheimia.koeln/<br />

redenistgold


Mülheimia Quarterly<br />

Stadt. Kultur. Soziales<br />

<strong>#3</strong> September <strong>2019</strong> 6<br />

Auf der Suche nach Antworten<br />

Why Trump?<br />

Blick auf Chicago.<br />

von Tim Luecke und Sonja Niemeier<br />

Fotos: Sonja Niemeier<br />

Erst haben wir alle gelacht. Und dann<br />

ist uns das Lachen ordentlich im Hals<br />

stecken geblieben. Am 8. November<br />

2016 wurde Donald Trump, der Herr<br />

mit dem orangenen Gesicht und der<br />

schauerlichen Frisur, zum Präsidenten<br />

der Vereinigten Staaten von Amerika<br />

gewählt. Keine Umfrage, kein Experte,<br />

keine der renommierten Medien<br />

hatte das vorhergesagt. Wie konnte<br />

es passieren, dass jemand, der bisher<br />

nur als Immobilien Tycoon und<br />

Game Show Host bekannt war, zum<br />

mächtigsten Mann der Welt gewählt<br />

wurde? Kurzum, Why Trump?<br />

Die vordergründig offensichtliche Antwort<br />

ist, dass die Menschen in den USA frustriert<br />

sind und Trump aus Protest gewählt haben.<br />

Dann stellt sich aber die Frage, frustriert<br />

worüber? Wogegen wollten so viele der amerikanischen<br />

Wähler protestieren?<br />

Um diesen Fragen auf den Grund zu gehen,<br />

haben die Fotografin Sonja Niemeier und<br />

ich uns im Sommer 2018 in einen Flieger<br />

gesetzt, sind nach Amerika geflogen und<br />

haben dort zwei Monate lang Amerikanerinnen<br />

und Amerikaner interviewt. Wir sind<br />

10.000 Kilometer von der Ost- zur Westküste<br />

gefahren, haben mehr als 40 Interviews von<br />

durchschnittlich einer Stunde gemacht, und<br />

Sonja hat zirka 50.000 Fotos geschossen.<br />

Unser Plan ist es, diese Interviews und Fotos<br />

in einem Buch zu veröffentlichen, vor der<br />

nächsten Wahl in den USA im Herbst 2020.<br />

Nun stellt sich die Frage für den aufmerksamen<br />

Leser wie dich: „Was geht mich das an<br />

als Mülheimer?“ Eine ganze Menge, wie wir<br />

glauben. Die Wahl von Donald Trump ist ein<br />

extremes Beispiel für einen Trend, der seit<br />

einigen Jahren zu beobachten ist, und zwar<br />

nicht nur in den USA, sondern in der gesamten<br />

westlichen Welt. Brexit, die Gelbwesten<br />

Bewegung in Frankreich, der Aufstieg von<br />

Rechtspopulisten in den Niederlanden; in<br />

allen westlichen Demokratien gibt es seit<br />

einigen Jahren starke Protestbewegungen<br />

und Parteien, die den etablierten Volksparteien<br />

das Leben schwer machen.<br />

Stellt dieser Trend eine Bedrohung dar für<br />

die Demokratie? Nicht unbedingt. So lange<br />

sich diese Bewegungen und Parteien an die<br />

demokratischen Regeln halten, die Gesetze<br />

einhalten, nicht zur Gewalt als Mittel<br />

greifen, ist die Demokratie als solche nicht<br />

in Gefahr. Aber wir wissen alle, dass dies<br />

nicht unbedingt der Fall ist und das viele<br />

dieser Bewegungen und Parteien mehr oder<br />

weniger offen gegen unsere demokratische<br />

Ordnung und Prinzipien ins Feld ziehen.<br />

Es gibt eindeutig Elemente, zum Beispiel<br />

innerhalb der AfD, die rechtsextreme Ideen<br />

verfolgen und auch versuchen, diese tatkräftig<br />

umzusetzen. Warum, stellt sich nun<br />

die Frage, sollte man mit Leuten reden, die<br />

einen Trump oder eine AfD wählen? Weil<br />

wir es schaffen müssen, die Menschen, die<br />

solche Parteien aus Frust über bestehende<br />

Verhältnisse wählen, und nicht unbedingt,<br />

weil sie rechtsradikal oder frauenfeindlich<br />

sind, aus dem Einfluss dieser extremen und<br />

demokratiefeindlichen Elemente zu befreien.<br />

Und dazu müssen wir ihnen zuhören, sie<br />

nicht einfach ignorieren oder verteufeln,<br />

sondern versuchen sie zu verstehen. Oder<br />

wir machen es wie der Stern vor kurzem auf<br />

seiner Titelseite, auf der er Donald Trump<br />

in Hitler Pose mit amerikanischer Flagge<br />

und dem Titel „Sein Kampf“ abgebildet hat.<br />

Dann können wir diese Leute abschreiben<br />

und die Demokratie gleich mit. Wir haben<br />

versucht die Sache anders anzugehen als<br />

der Stern und das Resultat ist in vielerlei<br />

Hinsicht überraschend positiv. Mehr dazu<br />

findet ihr in unserem Buch und auf unserer<br />

Webseite. www.why-trump.com.»<br />

>www.muelheimia.koeln/whytrump<br />

Plakat mit der<br />

Aufschrift: „We are<br />

a better people than<br />

this presidency. We<br />

are a better country<br />

than this presidency.<br />

Do not let this<br />

presidency define<br />

America.“


7 #2 Mai <strong>2019</strong> Mülheimia Quarterly Stadt. Kultur. Soziales<br />

Klimaschutz in Köln-Mülheim<br />

Gutes Klima im Veedel<br />

von Eva Rusch<br />

Fotos und Illustrationen: Eva Rusch<br />

Klimawandel, Klimakrise. Wir sind mittendrin. Doch auch<br />

in unserem Veedel kann etwas getan werden – von jedem<br />

Einzelnen. Das Phänomen des Schmetterlingseffekts ist Vorbild<br />

(siehe Cover). Aber machen wir uns nichts vor. Das sind<br />

Verbesserungen im lokalen Klima, aber keine Lösung um die<br />

drohende 5 Grad Erderwärmung abzuwenden. Ein gesamtgesellschaftliches<br />

Umdenken und globale Zusammenarbeit<br />

sind notwendig.<br />

Wir haben für Sie auf den folgenden Seiten das Thema auf unser Veedel<br />

runtergebrochen und Handlungsmöglichkeiten aufgezeigt. Was kann<br />

lokale Politik erreichen für Mülheim? Dieser Frage sind wir nachgegangen<br />

in unseren Interviews. Initiativen aus dem Stadtteil und städtische<br />

Förderprogramme werden vorgestellt und C02-Tipps gegeben.<br />

Es gibt gerade auch in Mülheim viele verantwortungsvolle und engagierte<br />

Menschen, die sich um ihr Umfeld sorgen und aktiv sind. Leider konnten<br />

wir in unseren Politkerinterviews „Klimanotstand in Mülheim“ nicht alle<br />

Parteien abbilden. Hervorheben möchte ich daher wenigstens an dieser<br />

Stelle den Einsatz der DIE LINKE, der Piratenpartei und der DKP in der<br />

„Initiative Frische Luft“.<br />

Alle sind sie fleißige Bienen wie diese Wildbiene. Die Deutsche Wildtier<br />

Stiftung ist in den drei größten Städten Deutschlands aktiv mit ihren<br />

Wildbienenprojekten. In der viertgrößten Stadt, also Köln, gibt es noch<br />

keines. Wir sollten sie zu uns einladen, auch in Köln tätig zu werden:<br />

www.wildbiene.org. (Diese Website liefert zudem Tipps für den eigenen<br />

Garten.)<br />

> www.muelheimia.koeln/gutesklimaimveedel


Mülheimia Quarterly<br />

Stadt. Kultur. Soziales<br />

<strong>#3</strong> September <strong>2019</strong> 8<br />

Lokale Politiker antworten<br />

Klimanotstand<br />

in Mülheim<br />

Radikales Umdenken erforderlich<br />

Gespräch mit Winfried Seldschopf, Max Christian Derichsweiler und Christoph Rückert und Mitglieder der Bezirksvertretung und<br />

des Ortsverbandes Mülheim von BÜNDNDIS 90/DIE GRÜNEN<br />

Die Stadt Köln hat den Klimanotstand ausgerufen. Was bedeutet dies<br />

runtergebrochen auf den Stadtbezirk bzw. Stadtteil Mülheim?<br />

aufgelegt: GRÜN hoch 3, Klima-Schritte, Smart City Cologne GO.<br />

Was haltet ihr von der Wirksamkeit solcher Fördermaßnahmen?<br />

Wir hoffen natürlich, dass dadurch ein allgemeines Umdenken stattfindet.<br />

Dass jetzt endlich Klimapolitik oberste Priorität hat. Dass Klimaschutz endlich<br />

die Nummer Eins ist in allen Angelegenheiten, die die Stadt betreffen, wie beispielsweise<br />

die Stadtentwicklung, und nicht so oft, wenn es zum Beispiel um<br />

irgendwelche Begrünungsfragen geht, nur dort abgetan wird, sondern dass die<br />

Stadt jetzt endlich zum Handeln gezwungen wird. Eine Bewusstseinsänderung<br />

in der Verwaltung ist Pflicht ebenso wie natürlich auch in der Bevölkerung.<br />

Die Grünen haben bei den letzten Europawahlen sehr gut abgeschnitten.<br />

Im Bezirk Mülheim mit über 33 %. Das macht selbstbewußt. Was versprecht<br />

Ihr euch für den Bezirk Mülheim um das „ureigenste“ Grünen-Thema<br />

Nachhaltigkeit weiter nach vorne zu bringen?<br />

Das Wahlergebnis bei der Europawahl in Mülheim war ganz großartig und<br />

zeigt, wieviele Menschen in Europa und hier für Klimaschutz kämpfen.<br />

Gleichzeitig sind an uns dadurch auch hohe Erwartungen gesetzt. Dem wollen<br />

wir natürlich Rechnung tragen. Wir wünschen uns bei den nächsten Kommunalwahlen<br />

gestärkt durch eine gutes Wahlergebnis, Nachhaltigkeit und<br />

Klimapolitik auch durchsetzen zu können. So gut das Europawahlergebnis<br />

auch ist, de facto hat sich dadurch in der Bezirksvertretung noch nichts<br />

verändert. Die Verkehrswende ist ein entscheidender Teil für den Klimaschutz.<br />

Nur wenn die Verkehrswende stattfindet und zwar nicht nur auf lokaler Ebene,<br />

sondern auf allen Ebenen von Bund und Land unterstützt wird, können<br />

überhaupt Alternativen zum motorisierten Verkehr geschaffen werden. Dann<br />

sind die Menschen auch bereit, zu sagen, „ich fahre halt nicht mit dem Auto<br />

zum Bäcker, sondern ich fahre mit dem Fahrrad, weil ich weiß, die Radwege<br />

sind prima, ich komme da gut hin. Ich fahre nicht mit dem Auto, weil ich weiß,<br />

ich habe eine gute Bahnanbindung und kann die KVB nutzen mit einem guten<br />

engen Takt.“ Wenn diese Möglichkeiten geschaffen werden, sind die Menschen<br />

bereit, umzusteigen. Diese Wende muss man deutlicher vorantreiben, hier<br />

fehlt noch einiges.<br />

Das Umwelt- und Verbraucherschutzamt der Stadt Köln sowie die<br />

Koordinationsstelle Klimaschutz der Stadt Köln haben einige Fördertöpfe<br />

Die Stadt hat eine Vorreiterrolle. Wir haben in der Bezirksvertretung einen<br />

Antrag eingebracht, Klimaschutz lokal zu begegnen. Wir sagen, die<br />

Fördertöpfe sind sinnvoll. Alle Maßnahmen sind sinnvoll, die zum Klimaschutz<br />

beitragen und sich ergänzen. Die Stadt ist aber in einer eigenen<br />

Pflichtposition, selber Vorreiter zu sein. Wenn es zum Beispiel um<br />

Baumpflanzungen bei Straßen geht. Gerade was die letzte Hitzewelle<br />

betrifft, hat sich gezeigt, dass eine stärkere Bepflanzung mit Bäumen an<br />

Straßen die Hitze reduziert und einen Beitrag zum Klimaschutz leistet.<br />

Dachbegrünungen von öffentlichen Gebäuden oder auch Fassaden sind<br />

sehr sinnvolle Maßnahmen, die die Stadt durchführen könnte um zu<br />

zeigen, wir sind mutig, wir setzen die Projekte um und prüfen nicht<br />

erst mal alles zehn Jahre lang kaputt, sondern machen etwas aktiv und<br />

jetzt, nicht erst übermorgen.<br />

Wenn ihr sofort den Hebel umlegen könntet: Welche Maßnahmen seht ihr<br />

für Mülheim absolut dringend notwendig an?<br />

Das erste wäre, den Clevischen Ring umzubauen. Wir fordern seit acht Jahren,<br />

dass es eine Busspur gibt. Zwischenzeitlich haben wir die anderen Parteien<br />

davon überzeugt, aber nur soweit es um die Erteilung eines Prüfauftrags<br />

geht. Wir wollen den Clevischen Ring umbauen, um die Schadstoffbelastung<br />

zu senken. Für eine Busspur muss man dem Autoverkehr eine Spur entziehen.<br />

Durch die jetzigen Umbaumaßnahmen der Brücke haben wir das sowieso.<br />

Man sieht also, dass das geht. Dann ganz wichtig, wir wollen nicht mehr, dass<br />

LKWs durch Mülheim durchfahren, weil das der günstigste Weg ist, weil z. B.<br />

die Autobahn gesperrt ist. Wir wollen auch keinen LKW-Verkehr im bisherigen<br />

Maße auf der Mülheimer Brücke haben. Der Niehler Hafen wird zum Teil über<br />

den Weg über die Brücke abgewickelt. Das kann nicht sein. Das muss geändert<br />

werden. Das geht auch anders. Ein LKW-Durchfahrtsverbot ist Konsens,<br />

funktioniert aber wahrscheinlich nicht und ist kaum zu kontrollieren. Es wäre<br />

aber wichtig, die LKWs dauerhaft aus Mülheim raus zu kriegen und nicht nur<br />

solange die Brücke umgebaut wird. »<br />

> www.muelheimia.koeln.de/klimagruene


9 <strong>#3</strong> September <strong>2019</strong> Mülheimia Quarterly Stadt. Kultur. Soziales<br />

Das Recht auf saubere Luft<br />

Gespräch mit Dr. Tobias Jacquemain, Vorsitzender der SPD Mülheim/Buchforst<br />

AKTUELLE FEINSTAUBSTÄNDE AN DER MESSSTATION CLEVISCHER RING<br />

www.lanuv.nrw.de/umwelt/luft/immissionen/aktuelle-luftqualitaet/<br />

Welche umweltpolitischen Forderungen sehen<br />

Sie für den Stadtteil und den Bezirk Mülheim am<br />

dringlichsten an?<br />

Der Clevische Ring mit der Stickoxid- und<br />

Feinstaubbelastung steht im Vordergrund. Herr<br />

Lauterbach als Arzt und Gesundheitspolitiker<br />

hat zu den Auswirkungen dieser Belastungen auf<br />

die Bevölkerung regelmäßig Veranstaltungen in<br />

Mülheim gemacht. Dies ist leider noch nicht in<br />

breiteren Kreisen der Bevölkerung angekommen.<br />

Das wird vielleicht noch dauern. Zukünftig wird<br />

man aber neben dem Wetterbericht auch informiert<br />

sein wollen, wie die aktuellen Feinstaub- und<br />

Stickoxidwerte sind. Es wird in der Bevölkerung ein<br />

hohes Bewusstsein entstanden sein, wie hoch die<br />

Gesundheitsgefährdung durch diese Schadstoffe<br />

für die Menschen ist.<br />

Was halten Sie von Sanktionen wie zum Beispiel<br />

Fahrverbote?<br />

Es wird viel über Fahrverbote für Dieselkraftfahrzeuge<br />

geredet. Dies sehe ich als Sozialdemokrat<br />

skeptisch, weil ich die Dieselbesitzer auf diesem<br />

Wege nicht enteignen will. Wenn man die Dieselautos<br />

durch Normalbenziner ersetzt, bleibt<br />

der Fahrverkehr genau derselbe. Zwar sinken die<br />

Stickoxidwerte, aber die Feinstäube steigen sogar.<br />

Die Gesundheitsgefahr wäre also nicht beseitigt.<br />

Jürgen Fenske der KVB. Wir haben damals schon<br />

darauf hingewiesen, dass Mülheim gerade wegen<br />

dieser starken Belastung, die neue angeschafften<br />

E-Busse mit Abstand am meisten verdient hat.<br />

Stattdessen lässt die KVB diese Busse jetzt durch<br />

die Südstadt, Bayenthal und Zollstock fahren.<br />

Wie schätzen Sie die diskutierte Straßenbahnlinie<br />

von Deutz über Mülheim nach Opladen ein?<br />

Eine neue Fahrbahnlinie von Deutz bis Opladen<br />

für die KVB ist Ambition. Neue E-Buslinien ließen<br />

sich schneller umsetzen. Da fehlt es leider am<br />

politischen Geschäftswillen, diese nach Mülheim<br />

zu lotsen. Genau wie die Busspur auf dem Clevischen<br />

Ring. Das wäre eine einfach umsetzbare<br />

Maßnahme.<br />

Welche Maßnahmen zur alternativen<br />

Energiegewinnung kann die Stadt umsetzen?<br />

Einfach umsetzbar, wie ich im Gespräch mit dem<br />

Umweltdezernenten letzte Woche diskutiert habe,<br />

wäre es, die städtischen Immobilien, wie zum<br />

Beispiel Schulen und Kindergärten mit Photovoltaik<br />

auszurüsten, um damit zumindest für den<br />

Eigenbetrieb sauberen Strom zu produzieren. Eine<br />

charmante Idee, wie ich dem Dezernenten Harald<br />

Rau, auch wenn er einer anderen Partei angehört,<br />

zustimmen muss.<br />

Feinstaub, die Zusammenhänge zwischen Umweltschutz<br />

und Gesundheitspolitik aufgezeigt und<br />

damit auch die Frage nach sozialer Gerechtigkeit<br />

gestellt. Es kommt nicht von ungefähr, dass in<br />

einem Stadtteil wie Mülheim die Werte so hoch<br />

sind und nicht in Müngersdorf oder Junkersdorf,<br />

dass der Verkehr gerade hier durchgelotst wird. Die<br />

Sanierung der Leverkusener Autobahnbrücke ist<br />

zugegebenermaßen ein ungünstiger Umstand, der<br />

nicht in die kommunale Verantwortung fällt.<br />

Haben Sie noch ein weiteres Klimaschutz-<br />

Thema, dass Ihnen wichtig ist?<br />

Der Rhein und Schifffahrtsverkehr liegen mir<br />

noch am Herzen. Schönes Wohnen am Strom und<br />

nahe bei den Schiffen war in meiner Kindheit eine<br />

Assoziation, mittlerweile und mit erwachsenem<br />

Blick hat sich das geändert. Man sieht den Rhein als<br />

den Verkehrsweg mit den größten Dreckschleudern.<br />

Schifffahrtsdiesel ist der ungereinigte Diesel, der<br />

ohne jeglichen Katalysator verbrannt wird und bei<br />

aller Attraktivität, die das Bild, wohnen am Rhein<br />

schafft, ist das geprägt von den höchsten Immissionen.<br />

Das ist nicht ohne. »<br />

> www.muelheimia.koeln/klimaspd<br />

Welche Ideen haben Sie für einen Ausbau des<br />

ÖPNV?<br />

Was ist die besondere Position der SPD in<br />

Mülheim zum Klima- und Umweltschutz?<br />

Wir fordern seit langem eine Busspur auf dem<br />

Clevischen Ring. 2017 war ich persönlich mit<br />

Karl Lauterbach bei bei dem Vorstandsvorsitzenden<br />

Wir haben mit unserem Engagement, insbesondere<br />

mit Herrn Lauterbachs Expertise zum Thema<br />

Städtische Förderprogramme<br />

GRÜN hoch 3<br />

Mit dem bis 2023 angelegten Projekt<br />

wird die Begrünung von Dach-,<br />

Fassaden- und Hofflächen gefördert.<br />

Hier sind die Hauseigentümer*innen<br />

gefragt. Gefördert wird in<br />

Quartieren, die eine hohe bauliche<br />

Dichte aufweisen, so auch in Teilen<br />

Mülheims. 50 % der Kosten für<br />

die Maßnahme (etwa Rankhilfen,<br />

Pflanzen, Entsiegelungen) werden<br />

bezuschusst, maximal 20.000 Euro<br />

pro Projekt und Jahr.<br />

Alle Infos hier: https://www.<br />

stadt-koeln.de/service/ produkte/20148/index.html<br />

E-Mail: gruenhoch3@stadt-koeln.de<br />

Klima-Schritte<br />

Bei diesem Förderprogramm können<br />

ehrenamtliche Vereine und Initiativen,<br />

Bildungseinrichtungen,<br />

religiöse Einrichtungen Anträge<br />

auf Zuschüsse bis max. 5.000 Euro<br />

stellen. Gefördert werden Projekte<br />

für klimafreundliches Verhalten,<br />

etwa durch Aktivierung der Nachbarschaft,<br />

Öffentlichkeitsarbeit,<br />

Mitmach-Aktionen oder auch Wettbewerbe.<br />

Alle Infos hier: https://<br />

www. stadt-koeln.de/klimaschritte,<br />

E-Mail an klimaschritte@stadt-koeln.de<br />

SmartCity Cologne GO<br />

Innovationen und Ideen von Startups<br />

und kleineren Firmen, Freiberuflern<br />

u. ä. gesucht! Denn die sind<br />

oftmals beweglicher als größere<br />

Konzerne. Aber auch Verbände,<br />

Schulen oder Kinder-und Jugendhilfeeinrichtungen<br />

können sich<br />

beteiligen. Gefragt sind alternative<br />

Mobilitätskonzepte, Förderung von<br />

nachhaltigem Verhalten, Vernetzung<br />

und Mitmachprojekte, Workshops,<br />

smarte Lösungen für ältere<br />

Menschen. Beigesteuert werden bis<br />

zu 80 % der Projektkosten. Diese<br />

dürfen bis zu 12.500 Euro betragen.<br />

Alle Infos hier: https://www.<br />

stadt-koeln.de/smartcitycolognego,<br />

E-Mail: smartcitycolognego@<br />

stadt-koeln.de<br />

Starke Veedel – Starkes<br />

Köln, Büro Mülheim<br />

Verfügungsfonds<br />

Der Fonds steht bereit für Projekte<br />

zur Förderung der Nachbarschaft.<br />

Dazu zählen auch Urban Gardening<br />

Projekte. Kontakt: quartiersmanagement@csh.de.<br />

Infos unter<br />

www.starke-veedel.koeln<br />

Grüne Infrastruktur Köln<br />

Die Gartenlabore wollen neue<br />

Formen des Gärtnerns zur Selbstversorgung<br />

unter Aspekten der<br />

gesunden Ernährung und der Umweltbildung<br />

entwickeln. Das Projekt<br />

zeichnet sich durch seinen sozialen<br />

Charakter aus und soll vor allen<br />

Dingen Anwohner*innen aus den<br />

angrenzenden Quartieren<br />

ansprechen. Nach den Erfahrungen<br />

aus der Initialphase in <strong>2019</strong> soll dort<br />

ein dauerhaftes Angebot für Gärtnern<br />

in der Stadt entstehen. Weitere<br />

Infos: https://www.stadt-koeln.<br />

de/leben-in-koeln/freizeit-natur-sport/veranstaltungskalender/<br />

gartenlabor-olpener-strasse


Mülheimia Quarterly<br />

Stadt. Kultur. Soziales<br />

<strong>#3</strong> September <strong>2019</strong> 10<br />

Initiativen, Bürgerschaftliches Engagement<br />

Initiative Frische Luft<br />

… wird von verschiedenen Organisationen<br />

im Stadtteil sowie Parteien (DIE<br />

LINKE, DKP, PIRATEN) unterstützt<br />

und setzt sich z. B. mit fantasievollen<br />

Protestaktionen für frische Luft für<br />

die Menschen in Köln-Mülheim ein<br />

– statt unerträglicher Verkehrsbelastung,<br />

Lärm und Feinstaub. www.<br />

frischeluftmuelheim.wordpress.com<br />

Initiative für ein<br />

lebenswertes Mülheim<br />

… sammelt Ideen und Forderungen<br />

der Bürger*innen für ein lebenswertes<br />

Mülheim und übergibt<br />

diese gebündelt als „Masterplan für<br />

Mülheim“ der Verwaltung, Politik<br />

und Öffentlichkeit. Mit dabei sind<br />

die unterschiedlichsten Initiativen,<br />

Aktivist*innen und Interessenvertreter*innen.<br />

Initiative „Hallo Nachbar,<br />

Danke schön“<br />

… ist eine städtische Initiative des<br />

Umwelt- und Verbraucherschutzamtes<br />

und baut auf das Engagement des<br />

Einzelnen in und für die Nachbarschaft.<br />

Die integrierte Umweltpädagogik<br />

aktiviert Kinder und<br />

Jugendliche – und so werden auch<br />

die Eltern mitgenommen.<br />

www.hallonachbar.koeln<br />

K:R:A:K:E<br />

Die „Kölner Rhein-Aufräum-Kommando-Einheit“<br />

veranstaltet Müllsammelaktionen<br />

am Rhein, an Seen,<br />

in Parks und Wäldern, immer mit<br />

dem Ziel den von Menschen verursachten<br />

Schaden zu begrenzen, Tiere<br />

und Pflanzen zu schützen und das<br />

Stadtbild zu verschönern.<br />

Baumpatenschaften –<br />

Dein Freund, der Baum<br />

Schon 111 Kölner*innen haben <strong>2019</strong><br />

eine neue Baum- bzw. Grünflächenpatenschaft<br />

in der Stadt übernommen.<br />

Besonders gelungen sind die<br />

Schmuckbeete der drei neuen Pat*innen<br />

auf der Düsseldorfer Straße 77-85<br />

oder in der Deutz-Mülheimer Straße<br />

183a. Insgesamt sind im Stadtgebiet<br />

über 1 400 Pat*innen für Baumscheiben<br />

und Grünflächen ehrenamtlich<br />

aktiv. Wer auch ein Stück Natur sucht<br />

und mit dessen Pflege dem Stadtklima<br />

helfen will, findet Infos unter<br />

https://www.stadt-koeln.de/artikel/05239/index.html<br />

Urban Gardening<br />

Prominentes leuchtendes Beispiel ist<br />

der „Carlsgarten“ am Schauspielhaus.<br />

Urban Gardening auch bei der<br />

Jugendhilfe gGbmH in der Berliner<br />

Straße und der Evangelische<br />

Kirchengemeinde im Peter-Baier-Haus.<br />

Das Amt für Landschaftspflege<br />

und Grünflächen ist bemüht,<br />

geeignete Flächen für Aktivitäten<br />

zu finden (gruenflaechenamt@<br />

stadt-koeln.de)<br />

Gartenglück Buchheim<br />

Der Gemeinschaftsgarten „Kölngartenglück“<br />

in Buchheim ist ein großer,<br />

bunter Bio-Gemüsegarten, der unterteilt<br />

ist in viele jeweils gleichgroße<br />

Parzellen. Hier hat jede/r die Möglichkeit,<br />

einmal selbst einen Sommer<br />

lang Gärtner*in zu sein. Mitte<br />

Mai kann eine solche (bereits fertig<br />

bepflanzte!) Parzelle gegen einen<br />

einmalig zu zahlenden Saisonbeitrag<br />

übernommen werden, um eine bunte<br />

Gemüsevielfalt zu ernten.<br />

www.gartenglueck.de<br />

Gespräch mit Dr. Rolf Albach, FDP<br />

Die Menschen müssen mitgenommen werden<br />

Sie sind von Hause aus Chemiker bei einem<br />

großen Chemiekonzern und zugleich Umweltpolitiker.<br />

Passt das zusammen?<br />

Ich bin seit über 20 Jahren Klimaschutzbeauftragter<br />

der FDP Köln und in der Umweltpolitik z. B. bei<br />

KölnAgenda e. V. aktiv. Als Chemiker befasse ich<br />

mich in meinem Labor in Flittard mit Recycling<br />

von Stoffen aber auch mit Rohstoffen aus der Natur<br />

wie zum Beispiel landwirtschaftlichen Abfällen.<br />

Hauptthema und-problem ist die Sauberkeit, die<br />

Sortenreinheit. Seit es superschnelle Computer in<br />

der Sortiertechnologie gibt, kann Chemie Recycling<br />

wirklich in Schwung bringen, europäischen<br />

Müll im Ozean zu verhindern. Wir alle können<br />

helfen, wenn wir bei der gelben Tonne an „Qualität<br />

vor Masse“ denken. Mein Bestreben als Naturwissenschaftler<br />

ist es, durch Kreativität und Innovation<br />

Umweltschutz voranzutreiben.<br />

Wie kann Umweltpolitik auf kommunaler Ebene<br />

wirken?<br />

Die heutigen Themen sind nicht neu. Heute wird<br />

Nachhaltigkeit an 17 UNO-Zielen gemessen aber die<br />

„alte“ Definition von Nachhaltigkeit scheint mir<br />

einfacher. Es geht um die Abwägung von sozialer<br />

Verträglichkeit, die Wirtschaftlichkeit und die Umweltverträglichkeit.<br />

Dabei habe ich zwei Regeln:<br />

was man nicht misst und kommuniziert, kann man<br />

nicht verbessern und Führung ist das Gegenteil<br />

von Alleingängen.<br />

Kommunalpolitisch ist „Bauen und Wohnen“ im<br />

Zusammenhang mit Umweltschutz ein wichtiges<br />

Thema. Schaue ich auf die Stegerwald-Siedlung oder<br />

auch auf die GAG so muss ich feststellen, dass die<br />

energetischen Ertüchtigungen mit Mietpreiserhöhungen<br />

einhergingen. Das ist ein soziales Problem.<br />

Ich bin für eine Weiterentwicklung des Wohngeldes,<br />

dass die energetische Sanierungen und damit verbundene<br />

steigende Belastungen für Mieten auffängt<br />

und die Mieter nicht mit Papierkram belastet.<br />

Alle Parteien sind sich einig, dass die neue Mobiität<br />

ein wichtiger Schlüssel zur CO2 Ersparnis ist.<br />

Welche Ideen haben Sie in diesem Themenfeld?<br />

Die Menschen müssen mitgenommen werden.<br />

Fahrverbote finde ich sozial diskriminierend. Auch<br />

„kleine“ Alternativen zum Auto wie Elektro-“Vespas“<br />

(Roller) und die E-Scooter (mit Helm) für kurze<br />

Strecken finde ich prima. Ich werde mir einen<br />

anschaffen, um im Anzug unverschwitzt ins Büro<br />

zu kommen. Mein Vorschlag einer „Fahrradstraße“<br />

aus recyceltem Kunststoff ging durch die Presse.<br />

Wir sollten mehr Experimente in Köln wie dieses<br />

machen. Ebenso eine weitere charmante Idee aus<br />

den Niederlanden ist, die Dächer der Buswartehäuschen<br />

zu bepflanzen. Die Kölner FPD hat die<br />

Eingabe gemacht, KVB-Häuschen zu begrünen. Das<br />

bringt nicht nur Kühlung für das Stadtklima, es ist<br />

auch nahrhaft für die Wildbienen.<br />

Sie mischen als Naturwissenschaftler Ideen<br />

aus Ihrem beruflichen Alltag mit Ihrem politischen<br />

Engagement, gehen kreativ an die Sachen<br />

ran auf der Suche nach machbarem Umweltschutz.<br />

Was halten Sie von den Förderprogrammen<br />

der Stadt Köln wie zum Beispiel „GRÜN hoch<br />

3“ u. ä.?<br />

Dies sind Maßnahmen zur Aktivierung der Bürger*innen.<br />

Ich finde das begrüßenswert. Aber auch<br />

die Stadt selber sollte das sofort umsetzen. Warum<br />

nicht das Parkhaus der Galerie am Wiener Platz als<br />

Pilotprojekt begrünen? Ich frage mich und Sie: Sind<br />

die Anteile, die übernommen werden für Begrünungsmaßnahmen<br />

genug? Sollte man höher rangehen?<br />

Ich brauche Feedback zu dem Programm,<br />

um zu wissen, ob es ausreicht für die Hausbesitzer.<br />

Dann kann ich mich einsetzen.<br />

Wenn die Fördermaßnahme erfolgreich sein<br />

soll, wäre es wichtig die Umsetzung so einfach<br />

wie möglich zu gestalten. Allein eine Internetseite<br />

mit Handwerker*innen, die die Arbeiten<br />

im Veedel realisieren können, würde helfen.<br />

Es fehlt eben oft nicht am Geld, sondern an<br />

den Leuten, die es tun. Das betrifft beispielsweise<br />

Ingenieure, Poliere, aber auch in anderen Wirtschaftszweigen<br />

fehlen Führungskräfte, auch nicht<br />

akademische Vorarbeiter*innen, oder Meister.<br />

Welche Maßnahmen auf Bundes- oder Landesebene<br />

halten Sie für sinnvoll?<br />

Es wäre möglich, sehr viel mehr Hausdächer mit<br />

Solar auszustatten. Dann tuen wir auch etwas für<br />

den Mittelstand vor Ort, für Architekten, Planer<br />

und Handwerker. Das muss vor allem einfacher<br />

werden. Ich bin zudem für das „Emissionshandel“-Prinzip<br />

„Deckel drauf“: eine Betriebsgenehmigung<br />

gibt es nur dann, wenn man im CO2-Rahmen<br />

bleibt - aber man kann kooperieren. Auch CO2<br />

ist Abfall, den Mensch und Natur recyceln kann.<br />

Auch daran arbeite ich im Labor.<br />

Ich arbeite mit dem Umwelt- und Verbraucherschutzamt<br />

in einem Projekt, das auch auf Umweltpädagogik<br />

setzt. Was halten Sie davon?<br />

Umweltbildung ist mir ganz wichtig. Der „Wildpark<br />

Dünnwald“ sollte als Ziel für Schüler*innen<br />

in Mülheim auf dem Schulplan stehen. „Gut<br />

Leidenhausen“, und die „Villa ÖKi“ sind sehr gute<br />

Beispiele wie sich Umweltbildung entwickeln kann,<br />

das hat die FDP auch mit Zusatzstellen im Haushalt<br />

gefördert. Dünnwald als Bildungsstätte entwickeln,<br />

halte ich also für eine gute Idee. Ich werde mich<br />

dafür einsetzen. Der Wald ist wichtig für das Klima.<br />

Das verstehen die Kinder ganz natürlich. »<br />

> www.muelheimia.koeln.de/klimafdp


11 <strong>#3</strong> September <strong>2019</strong> Mülheimia Quarterly Stadt. Kultur. Soziales<br />

Freie Luft für freie<br />

Bürger*innen<br />

Vorfahrt für das Grundrecht auf Gesundheitsschutz<br />

von Celio Limpia<br />

Bei der aktuell bundesweit hohe Wellen schlagenden Auseinandersetzung<br />

über „saubere Luft“ insbesondere frei von Stickstoffdioxid sind Justitias<br />

Waagschalen gut gefüllt. Im Vordergrund des medialen Interesses stehen<br />

meist die Rechte der Eigentümer*innen, Nutzer*innen und Halter*innen<br />

von Dieselfahrzeugen. Deren permanent lärmendes Wehklagen über<br />

mögliche Fahrverbote (die wegen der hohen Werte am Clevischen Ring<br />

besonders in Mülheim drohen) fällt fast schon selbst unter das Bundesimmissionsschutzgesetz!<br />

Zugegeben: Für die Wehklagenden streitet das Grundrecht auf Schutz des<br />

Eigentums aus Art. 14 des Grundgesetzes (GG). Denn wer das Pech hat, in<br />

einer Fahrverbotszone zu wohnen und nicht den neuesten Diesel mindestens<br />

Euro 6 besitzt, kann seinen Pkw nicht mehr bewegen. Auch weniger dramatische<br />

Einschränkungen der Mobilität, etwa durch Streckenfahrverbote, gehen<br />

zu Lasten der ebenfalls durch das Grundgesetz garantierten allgemeinen<br />

Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG). Außerdem sind durch die eingeschränkte<br />

Möglichkeit insbesondere des gewerblichen Kraftfahrzeugverkehrs Eingriffe<br />

in die Berufsfreiheit aus Art. 12 GG denkbar. Nicht zuletzt sichert der Lieferverkehr<br />

die wirtschaftliche Versorgung der Bevölkerung. Hier legen also schon<br />

einige Gewichte in der Waagschale.<br />

Was steht nun dagegen? Ein wirkliches Schwergewicht! Bei der Luftreinhaltung<br />

sind die Folgen für die Gesundheit jedes/r einzelnen Bürger*in zu<br />

berücksichtigen. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG enthält das Grundrecht auf „Leben<br />

und körperliche Unversehrtheit“. Geschützt wird neben dem Leben an sich<br />

die Gesundheit im umfassenden Sinn. Dieses Grundrecht verpflichtet den<br />

Staat, Maßnahmen gegen Auswirkungen etwa von Immissionen zu ergreifen,<br />

welche die Gesundheit schützen und Gefährdungen verhindern. Zweck des für<br />

die Luftreinhaltpläne maßgeblichen Bundesimmissionsschutzgesetzes ist es<br />

entsprechend, Menschen, Tiere und Pflanzen, den Boden, das Wasser, die Atmosphäre<br />

sowie Kultur- und sonstige Sachgüter vor schädlichen Umwelteinwirkungen<br />

zu bewahren und dem Entstehen schädlicher Umwelteinwirkungen<br />

vorzubeugen. Welches Niveau einzuhalten ist, misst sich beim Menschen<br />

am körperlich Schwächsten, also kleinen Kindern oder sehr alten Menschen.<br />

Zu einem wirklichen „Pfund“ wird das Grundrecht auf Schutz der Gesundheit<br />

aber erst durch europäische Gesetze. Nach der einschlägigen<br />

„Feinstaub-Richtlinie“ muss an sich seit 2010 für Stickstoffdioxid ein Grenzwert<br />

von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter im Jahresmittel „schnellstmöglichst“<br />

eingehalten werden – nur dann ist die Gesundheit nicht gefährdet.<br />

Dieser wurde an der Messstation am Clevischen Ring viele Jahre mit um die<br />

60 Mikrogramm im Jahresschnitt deutlich überschritten. Vor allem wegen der<br />

Verkehrsbeschränkungen auf der Mülheimer Brücke sind die Werte in <strong>2019</strong><br />

gesunken. Nach der Prognose im Luftreinhalteplan sollen sie mit allen Maßnahmen<br />

(auch Fahrverboten) 2020 aber noch 44 Mikrogramm betragen.<br />

Bei der Frage, welche Maßnahmen zur Reduzierung ergriffen werden müssen,<br />

kommt nun vor den Gerichten die Waage zum Einsatz. Nach dem verfassungsmäßig<br />

immer zu beachtenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit werden die<br />

genannten Grundrechte gegeneinander abgewogen: Welche Alternativen zu<br />

Fahrverboten (z. B. neue Mobilitätskonzepte, verkehrslenkende Maßnahmen)<br />

zur Zielerreichung gibt es? Wenn Fahrverbote unumgänglich sind: welche<br />

zeitlichen Staffelungen bzw. Übergangszeiträume nach Schadstoffklassen und<br />

welche Ausnahmen (etwa nachgerüstete Fahrzeuge, Anwohner*innen, Handwerker*innen)<br />

sind vorzusehen? Ist zu berücksichtigen, dass die Gesundheit<br />

durch prognostizierte kurze Überschreitungen weniger beeinträchtigt wird?<br />

Jede Menge Material also, das in die Waagschalen geworfen wird. Die Richter*innen<br />

brauchen einen klaren Blick und vor allem eine ruhige Hand. Am<br />

12. September wird das Oberverwaltungsgericht in Münster über den Kölner<br />

Luftreinhalteplan entscheiden. Besser noch: öfter mal „grüne Welle“ für das<br />

Grundrecht auf „körperliche Unversehrtheit“. »<br />

> www.muelheimia.koeln/freieluft<br />

Spaß am CO2-Sparen<br />

7 Win-Win-Strategien für Lifestyle und Umweltschutz<br />

von Tom Laroche<br />

Der anthropogene Klimawandel ist in aller Munde. Immer mehr Menschen<br />

haben erkannt, dass der Schutz unserer Umwelt und das Schonen der endlichen<br />

Ressourcen ein gesamtgesellschaftliches Thema ist, welches uns<br />

alle angeht. Und so ernst das Thema auch ist, man kann auch mit simplen<br />

Tricks, von denen einige sogar Spaß machen können, einen individuellen<br />

Beitrag zum CO2-Sparen leisten.<br />

1. Flohmärkte & Second-Hand-Läden<br />

finden wir es nicht sexy, das Trinkglas<br />

damit zu befüllen. Stattdessen<br />

Es muss nicht immer Neuware sein.<br />

Viele Dinge kann man in guter Qualität<br />

und für oftmals ganz kleines Geld<br />

heben wir uns lieber an Getränkekästen<br />

einen Bruch. Sehr viel Geld,<br />

gebraucht erstehen. Den Gegenständen<br />

sieht man das nicht an und vieles,<br />

CO2 und Zeit kann man mit eigenen<br />

Limonaden und Eistee-Kreationen<br />

was gebraucht verkauft wird, kommt<br />

sparen. Heißer Tipp: Tee mit Zucker<br />

deshalb unter den Hammer, weil die<br />

(oder Honig) und einem Säuerungsmittel<br />

(z. B. Zitronenkonzentrat) zu<br />

Besitzer*innen es überhaupt nicht<br />

benutzen. Sparen, Konsumieren und<br />

einem Sirup einkochen. Eine Flasche<br />

CO2 einsparen in einem: win-winwin!<br />

Sirup ergibt locker 10 Flaschen Erfrischungsgetränk,<br />

ein Gewicht von<br />

10 kg, die nicht quer durch die Republik<br />

transportiert werden müssen. Mit<br />

2. Upcycling: Aus alt mach Neu<br />

Aus vielen kaputten Dingen kann<br />

Kohlensäure gelingen auch Limonaden<br />

Marke Eigenbau. Zeitaufwand:<br />

man mit ein wenig Fantasie Lifestyle-Accessoires<br />

machen: Aus<br />

ca. 10 Minuten!<br />

alten Taschenbuch-Covern kann<br />

man Postkarten oder Lesezeichen<br />

6. Schwarzer Edding im Kühlschrank<br />

herausschneiden, viele Behältnisse<br />

Wir wissen alle, dass wir viel zu viele<br />

können zu Vasen umgestaltet werden,<br />

Lebensmittel wegwerfen. Schuld daran<br />

der kaputte Lampenschirm kann<br />

ist oftmals das Mindeshaltbarkeitsdatum,<br />

welches wir leider häufig mit<br />

mit dem Stoff alter Klamotten neu<br />

bezogen werden. Neben der umweltfreundlichen<br />

Wiederverwertung ist<br />

tatsächlichen Verfallsdaten verwechseln.<br />

So werfen viele Menschen<br />

Upcycling auch ein toller Zeitvertreib<br />

„abgelaufene“ Lebensmittel weg, weil<br />

für Kreative und Bastler.<br />

sie entgegen besserem Wissen nun ein<br />

schlechtes Gefühl beim Verzehr haben.<br />

3. Repair-Cafés<br />

Dem kann abgeholfen werden: Einfach<br />

Für den individuellen CO2-Footprint<br />

beim Einstellen der Joghurts, Milchtüten,<br />

Brotpackungen etc. mit schwar-<br />

ist es auch hilfreich, defekte Geräte<br />

zu reparieren. Hierfür gibt es sogenannte<br />

Repair-Cafés oder Gemeinzem<br />

Edding das Datum schwärzen und<br />

sich wieder auf den Geruchstest beim<br />

schaftswerkstätten, in denen man<br />

Öffnen verlassen. Aufpassen muss man<br />

unter Anleitung die dort vorhandenen<br />

Geräte nutzen kann. Sicher liegt<br />

lediglich bei Fisch und Fleisch, hier<br />

sind die Daten auf den Packungen tatsächlich<br />

Verfallsdaten, die man ernst<br />

das nicht jedem, aber viele würden<br />

sich wundern, mit wie einfachen<br />

nehmen sollte.<br />

Kniffen die eine oder andere Neuanschaffung<br />

vermieden werden kann.<br />

7. Ran an den Speck<br />

Viele Fleischesser tun sich schwer<br />

4. Freizeitangebote der Region<br />

damit, komplett oder weitreichend<br />

Wie oft ertappt man sich dabei, dass<br />

auf tierische Kost zu verzichten. Und<br />

man auswärtigen Gästen immer<br />

unabhängig der Grundsatzfrage, ob<br />

nur dieselben handvoll Sehenswürdigkeiten<br />

zeigt? Anstelle stressiger<br />

man nun Tiere essen darf oder nicht:<br />

Eine Reduktion der Fleischmasse<br />

Flugreisen kann man in der eigenen<br />

fällt vielen doch erheblich einfacher:<br />

Region sehr viel mehr Ausflugsziele<br />

Nicht ganz so oft Schnitzel (200 g<br />

finden, als einem bewusst ist. Einfach<br />

mal einen Stadtplan hervorholen<br />

oder mehr Fleisch) auf den Teller und<br />

dafür lieber Spaghetti Carbonara mit<br />

und recherchieren, welche Gewässer<br />

sich hinter den etwas größeren<br />

Speck (hier tun es auch 50 g). An dieser<br />

Stelle mag der engagierte Veganer<br />

blauen Flächen verbergen. Manche<br />

die Nase rümpfen, aber wenn jeder<br />

Baggerseen der Region kennt auch<br />

Fleischesser 75 % weniger Tierisches<br />

nach vielen Jahren kaum jemand.<br />

essen würde, so wäre der Effekt<br />

beachtlich. »<br />

5. Das eigene Hipster-Getränk<br />

Wir wissen alle, dass Leitungswasser<br />

> www.muelheimia.koeln/<br />

besser ist als sein Ruf und dennoch<br />

co2spartipps


Mülheimia Quarterly<br />

Stadt. Kultur. Soziales<br />

<strong>#3</strong> September <strong>2019</strong> 12<br />

Bauboom in Mülheim<br />

Bauen im Klimawandel<br />

Vision vom CO2 armen Wohnen<br />

Smart CityCologne in der Stegerwaldsiedlung<br />

Auf der industriehistorisch<br />

bedeutsamen<br />

Deutz-Mülheimer<br />

Straße befindet sich<br />

das Baugebiet<br />

„Cologneo“ links<br />

und die sanierte<br />

Stegerwaldsiedlung<br />

rechts von der Straße.<br />

von Judtih Tausendfreund<br />

Das Thema Klimaschutz ist bei vielen<br />

Bürgern angekommen. Auch die Kölner<br />

haben in den letzten zwei Sommer<br />

geschwitzt. Das Gefühl, dass irgendetwas<br />

falsch läuft, ist nicht zu leugnen. Nun soll<br />

mit Hilfe von Dieselfahrverboten und anderen<br />

Maßnahmen die Notbremse gezogen<br />

werden. Viele Städte, auch Köln, haben<br />

den Klimanotstand ausgerufen. Doch in<br />

Sachen Klimaschutz gibt es in Köln schon<br />

länger einige „Pilotideen“, die einen zweiten<br />

Blick wert sind.<br />

So entstand schon Ende der 80-ziger Jahren<br />

die „Ökosiedlung Blumenberg“. „Wir hatten<br />

den Klima-Wandel schon damals vorgedacht<br />

und Lehm als Außenwandkonstruktion mit<br />

Stroh gewählt, um der Klimaerwärmung<br />

Speichermasse entgegenzuhalten, die dann<br />

für kühleres Raumklima sorgt“, betont<br />

Architekt Reimund Stewen, der damals<br />

beteiligt war. 2007 folgte die autofreie Siedlung<br />

in Nippes, deren Bewohner mit ihrer<br />

Idee zumindest schon mal den klimaschonenden<br />

Verzicht auf das Auto vorleben. Und<br />

dann kam die Sanierung der Stegerwaldsiedlung<br />

in Mülheim - ein Projekt, welches<br />

in diesem Jahr fertiggestellt wurde und vom<br />

Land Nordrhein-Westfalen als 87. Klimaschutzsiedlung<br />

ausgezeichnet wurde. 689<br />

Wohneinheiten der Kölner Siedlung aus den<br />

1950er-Jahren wurde energetisch saniert.<br />

Die Energieerzeugungsanlagen wurden erneuert.<br />

Im Rahmen der Sanierung erhielten<br />

elf Gebäude ein neues Dachgeschoss - so<br />

wurden auch neue Wohnungen geschaffen<br />

und die Wohnfläche erweitert.<br />

Blick zurück<br />

Die Stegerwaldsiedlung war das erste große<br />

geschlossene Bauvorhaben der DEWOG<br />

(Deutsche Wohnungsbau Gesellschaft) und<br />

ist die frühste Großsiedlung Kölns nach dem<br />

Zweiten Weltkrieg. Sie entstand im Zeitraum<br />

von 1951 bis 1956 und ihr Name erinnert<br />

an den christlichen Sozialpolitiker Adam<br />

Stegerwald. Die Siedlung war angelegt für<br />

sogenannte „breite Bevölkerungsschichten“.<br />

Viele Wohnungen waren „Volkswohnungen“,<br />

die von der Stadt Köln finanziert wurden.<br />

Seniorenwohnungen, ein Altenwohnheim,<br />

ein Wohnheim für Ledige, eine Kirche, ein<br />

Kindergarten und ein Bürgerzentrum wurden<br />

errichtet. Die Mieten betrugen im Jahr<br />

1956 zwischen 19 und 47 Euro monatlich,<br />

das monatliche Durchschnittseinkommen<br />

lag damals zwischen 250 und 350 Euro. Noch<br />

1993 wurde die Verwaltung damit beauftragt,<br />

für die Siedlung in eine sogenannte<br />

Erhaltungssatzung, Milieuschutz-Satzung,<br />

aufzustellen. Damit sollte die Zusammensetzung<br />

der Wohnbevölkerung trotz möglicher<br />

Verdrängungstendenzen durch eine<br />

Aufwertung des rechtsrheinischen Kölns<br />

erhalten bleiben. Die Antwort auf die Frage,<br />

ob dies gelungen ist, wäre einen weiteren<br />

Blick wert.<br />

Blick in die Siedlung<br />

Beam me up, Scotty! - dieses geflügelte<br />

Wort aus der Science-Fiction-Serie Raumschiff<br />

Enterprise symbolisiert für viele<br />

Menschen eine Welt, in der Visionen zum<br />

ganz normalen Alltag gehören. Mal eben<br />

durch das Weltall beamen, das ist überhaupt<br />

kein Problem für Captain Kirk, Mister Spok<br />

und deren Kollegen. Um eine Großstadt<br />

in Zukunft und in Zeiten von Klimanotständen<br />

zu managen, braucht es ähnliche<br />

Visionen, wie die aus der Welt von Scotty. In<br />

der Stegerwaldsiedlung hat man versucht,<br />

in Sachen Mobilität zumindest ein wenig<br />

Höhenflug-Atmosphäre zu schaffen und so<br />

nebenbei auch das Klima zu schützen. Denn<br />

eine der Grundideen war es, vor Ort Strom<br />

zu erzeugen. Dieser soll unter anderem zum<br />

Laden von Elektrofahrzeugen und E-Bikes<br />

genutzt werden. Die stehen gemeinsam mit<br />

konventionellen Fahrrädern und Leihwagen<br />

an bestimmten zentralen Stellen,<br />

sogenannten „Mobilitäts-Hubs“ - so soll<br />

Parkplatzsuche und Autoverkehr minimiert<br />

werden. Eine CO2 Reduktion von 60<br />

Prozent stand auf der ehrgeizigen Agenda<br />

von „GrowSmarter“. Das EU-Projekt begann<br />

2015, neben Köln hatten sich Barcelona und<br />

Stockholm beteiligt. Für fünf Jahre gab es<br />

von der EU-Kommission eine Fördersumme<br />

in Höhe von 25 Millionen Euro.<br />

„Entscheidend ist, dass in der Stadtverwaltung<br />

ein Umdenken stattfindet und<br />

der Mobilitätsgedanke, der hier entwickelt<br />

wird, auf die ganze Stadt übertragen<br />

werden kann“, betonte Dr. Barbara Möhlendick,<br />

Koordinationsstelle Klimaschutz,<br />

schon 2017 - keine Frage, die Siedlung ist<br />

ein Pilotprojekt. Wärmedämmung wurde<br />

an den Häusern vorgenommen. Die Anwohner<br />

sollten durch Einsatz modernster<br />

Sensortechnik zum Energiesparen motiviert<br />

werden. Mit Isolierung, Photovoltaik,<br />

Wärmepumpen, Batteriespeicher, aber auch<br />

Verhaltensänderungen der Bewohner sollte<br />

die Stegerwaldsiedlung eine Vorreiterfunktion<br />

übernehmen.<br />

Blick auf die Mietpreise<br />

„Es bleibt bei einer Durchschnittsmiete von<br />

sieben Euro“, versprach vor zwei Jahren<br />

Andre Esser, DEWOG, einigen Mietern, die<br />

sich zu einer Info-Veranstaltung mit ihm<br />

und anderen Projektverantwortlichen<br />

getroffen hatten. Doch wer sich heute<br />

für eine Neubauwohnung in der Siedlung<br />

interessiert, wird mit einer Kaltmiete von<br />

12,50 Euro konfrontiert. Einige Anwohner<br />

kritisieren die Maßnahmen: „Was in der<br />

Stegerwaldsiedlung geschieht, geht sowohl<br />

wohnungs- wie auch sozialpolitisch völlig<br />

in die falsche Richtung“, so sieht es Roswitha<br />

Müller, eine Anwohnerin. CO2-armes<br />

Wohnen muss am Ende für alle bezahlbar<br />

werden - sonst wird es schwierig werden,<br />

aus den Visionen eine flächendeckende<br />

Wirklichkeit werden zu lassen. »


13 <strong>#3</strong> September <strong>2019</strong> Mülheimia Quarterly Stadt. Kultur. Soziales<br />

Cologneo Areale im Mülheimer Süden<br />

Klimafreundliche Quartiersentwicklung auf industriellen Brachflächen<br />

Lindgens Areal<br />

COLOGNEO III<br />

Otto&Langen Quartier<br />

Deutz Quartiere<br />

Im Mülheimer Süden wird ein neuer Stadtteil auf<br />

ehemaligen Industrieflächen u. a. der DEUTZ AG<br />

entstehen, in dem 10 0000 Menschen wohnen<br />

und arbeiten werden. Wir haben die CG Gruppe,<br />

eines der beiden großen dort tätigen Immobilienentwicklungsunternehmen<br />

gefragt, wie sie im<br />

Angesicht des Klimawandels operieren.<br />

In punkto Ressourceneffizienz steht die nachhaltige<br />

Wärme- und Kältegewinnung im Vordergrund.<br />

Nicht zu vergessen: Die CG Gruppe achtet auf<br />

umweltfreundliche Baumaterialien. Wir bringen<br />

beispielsweise generell nur noch Fassaden mit hitzebeständiger<br />

Mineralwolle zur Wärmedämmung<br />

an und verwenden keine umweltschädlichen Stoffe.<br />

Zoobrücke<br />

COLOGNEO II<br />

COLOGNEO I<br />

Deutzer Zentralwerk<br />

der Schönen Künste<br />

Stegerwaldsiedlung<br />

Mülheimer Süden<br />

Welche Maßnahmen hat die CG Gruppe ergriffen<br />

im Bezug auf nachhaltiges und klimaneutrales<br />

Bauen?<br />

Die CG Gruppe setzt bei ihren Projekten bundesweit<br />

auf die gesamte Bandbreite der Möglichkeiten von<br />

nachhaltigem und klimaneutralem Bauen. Dazu<br />

zählen die Ausstattung der Objekte mit CO2-neutralen<br />

Heizsystemen, die Verwendung umweltfreundlicher<br />

und ökologischer Materialien sowie<br />

der Betrieb der einzelnen Gebäude mit weniger<br />

Energie und Ressourcen.<br />

Inwiefern wird das Wohnen und Arbeiten in den<br />

COLOGNEO Arealen unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit<br />

und Ressourceneffizienz stehen?<br />

Zukünftige Bewohner des Cologneo Quartiers<br />

profitieren von innovativen Mobilitätskonzepten<br />

in allen COLOGNEO-Arealen. Dazu gehört die<br />

Maxime kurze Wege zu schaffen: Neben den<br />

Büros und Arbeitsorten werden ein Angebot von<br />

Gütern des täglichen Bedarfs, Hotel, Hostel, eine<br />

Kita, kulturelle Einrichtungen und Restaurants<br />

innerhalb weniger Minuten im Umkreis fußläufig<br />

erreichbar sein. Eine hervorragende Anbindung an<br />

den öffentlichen Nah- und Fernverkehr runden das<br />

Konzept ab.<br />

Was ist das besondere an der Wärme- und Energieversorgung<br />

bei Ihnen?<br />

Mit dem Einsatz von Green Technology setzen wir<br />

innerhalb des COLOGNEO Quartiers auch ökologisch<br />

neue Maßstäbe. Der Fokus liegt dabei auf<br />

erneuerbarer Energie und konkret auf Geothermie:<br />

Direkt unter diversen Baufeldern entsteht eine<br />

großflächige Geothermie-Anlage zur Energieversorgung<br />

einzelner Gebäude, so dass über 50 Prozent<br />

des Wärmebedarfes mit Geothermie gedeckt<br />

werden wird.<br />

Die baldigen Bewohner und Nutzer erhalten eine<br />

ökologisch ausgerichtete Energieversorgung, die<br />

einen messbaren Beitrag zur Ressourcenschonung<br />

leistet und die CO2-Bilanz vor Ort nachhaltig verbessert.<br />

Der zusätzliche Einsatz von Photovoltaik<br />

komplettiert den regenerativen Energiemix im<br />

Quartier.<br />

Wie steht es um Grünflächen und Verdunstungsflächen<br />

in den Arealen?<br />

Auch im COLOGNEO Quartier realisieren wir ein<br />

Konzept zur Verringerung des urbanen „Hitzeinseleffekts“<br />

durch mehr Grün- und Verdunstungsflächen<br />

und weniger versiegelte Flächen als in den<br />

bestehenden Industriearealen vorgefunden.<br />

Darüber hinaus entsteht eine parkähnliche Grünfläche<br />

im Cologneo II, die neben der erheblichen<br />

Schadstoffsenkung und damit positiven gesundheitlichen<br />

Wirkung auch wesentlich als Erholungsund<br />

Freizeitfläche dient.<br />

Wie behandeln Sie das Thema Mobilität im Bezug<br />

auf CO2-Emissionen?<br />

Die CG Gruppe hat sich gegenüber der Stadt Köln<br />

freiwillig zu einem indivduellen Mobilitätskonzept<br />

verpflichtet. Im COLOGNEO Quartier wird es daher<br />

intelligente Lösungen für Elektromobilität, aber<br />

auch herkömmliche mobile Angebote, in Form von<br />

Kooperationen mit Bike- und Car-Sharing Anbietern<br />

geben. Fahrradstellplätze für alle Fahrradformen<br />

so auch Lastenräder, sind im gesamten<br />

Quartier vorgesehen. In diesem Punkt geht die<br />

CG Gruppe über die in der zugrundeliegenden<br />

Stellplatzsatzung geforderte Anzahl an Stellplätzen<br />

sogar hinaus.<br />

Zudem haben sich die Investoren des Mülheimer<br />

Südens zu einer Gemeinschaft zusammengeschlossen,<br />

der auch die CG Gruppe angehört, die<br />

die Stadt Köln und die Kölner Verkehrsbetriebe<br />

finanziell bei der Realisierung einer Stadtbahnerweiterung<br />

unterstützen, um den öffentlichen<br />

Personennahverkehr zu stärken. »<br />

„I/D Cologne“<br />

Nachhaltigkeit auf dem ehemaligen Güterbahnhof<br />

In Mülheim-Nord wird der ehemalige Güterbahnhof<br />

zwischen Schanzen- und Markgrafenstraße<br />

als eines der größten Baugebiete Kölns<br />

bebaut.<br />

2018 wurde der Spatenstich durchgeführt und<br />

damit sowohl der Projektauftakt als auch der<br />

erste Mieter gefeiert. „I/D Cologne“, angesiedelt<br />

auf dem Gelände des ehemaligen Güterbahnhofs<br />

an der Schanzenstraße, will Identität und Individualität<br />

gleichermaßen berücksichtigen.<br />

Hinter der Idee stecken die Unternehmen<br />

Art-Invest Real Estate und OSMAB. Hinter Begriffen<br />

wie „flexible Office“ und „Coworking Spaces“<br />

verstecken sich Büroflächen, die sich, neben<br />

einem Hotel, Gastronomie und einem Fitnessstudio,<br />

auf 160.000 Quadratmeter Fläche<br />

erstrecken und durchaus etwas zu bieten haben.<br />

So erhält jedes einzelne Gebäude ein Nachhaltigkeitszertifikat.<br />

Das Grünraumkonzept besteht aus Baum- und<br />

Heckenpflanzungen sowie ergänzend Rasen- und<br />

Wasserflächen. Die Energiesparverordnung wird<br />

selbstverständlich beachtet – dies bedeutet in der<br />

Umsetzung zum Beispiel effiziente Fernwärmetechnik<br />

mit einem geringen Primärenergiefaktor<br />

und guter CO2-Bilanz. Die begrünte Parkhaus-Fassade<br />

und extensiv begrünte Dachflächen<br />

sehen nicht nur toll aus, sondern verbessern das<br />

Mikro-Klima. Viel Technik steckt in den Gebäuden,<br />

so gibt es etwa einen Präsenzmelder für Beleuchtung,<br />

so dass Licht nur bei aktiver Nutzung<br />

eingeschaltet ist. Mit intelligenter Licht- und<br />

Temperatursteuerung kann der CO2-Ausstoß<br />

minimiert werden. Das Konzept wird durch<br />

mineralische und haltbare Baustoffen wie Klinkersteinen<br />

abgerundet.<br />

I/D Cologne schließt die seit Jahren brachliegende<br />

Lücke zwischen Wohngebiet und Gewerbestandort. »<br />

Dieses begrünte Parkhaus (Visualisierung) wird voraussichtlich im<br />

August 2020 fertiggestellt. Die ersten beiden Bürogebäude folgen<br />

Ende 2020 mit dem „Haus am Platz“ und dem Design Offices Haus.<br />

Die Gesamtfertigstellung des Quartiers wird voraussichtlich in<br />

2026 sein. Ein weiterer Ankermieter ist, neben Design Offices und<br />

Siemens, die Firma Cancom, Spezialistin für IT und Digitalisierung.<br />

www.muelheimia.koeln/klimabauen


Mülheimia Quarterly<br />

Stadt. Kultur. Soziales<br />

<strong>#3</strong> September <strong>2019</strong> 14<br />

Marktschwärmer Schäl Sick in Mülheim<br />

Emissionsarmer<br />

Genuss<br />

Die „Marktschwärmer<br />

Schäl Sick“ verteilen<br />

die im Internet<br />

vorbestellten Waren<br />

mittwochs von 17.30<br />

bis 19.30 Uhr im<br />

Lindgens Areal am<br />

Mülheimer Hafen.<br />

von Tom Laroche<br />

Foto: Eva Rusch<br />

Mittwoch Abend 17.45 Uhr. Der Weg zu den<br />

Marktschwärmern führt unten am Rhein<br />

entlang von der Brücke stadteinwärts<br />

Richtung Lokschuppen. Dort findet heute<br />

eine sogenannte Marktschwärmerei statt,<br />

ein fester Treffpunkt, an dem Liebhaber<br />

regionaler Spezialitäten aus Höfen und<br />

Manufakturen Waren unterschiedlicher<br />

Erzeuger abholen können, die sie ansonsten<br />

aufwendig von einer Vielzahl kleiner<br />

Hofmärkte abholen müssten.<br />

Gekauft und bezahlt wird hierzu im Internet<br />

über das Portal www.marktschwaermer.de.<br />

Der marktähnliche Aufbau vor Ort dient<br />

neben der Abholung der Bestellungen zusätzlich<br />

dem Direktkontakt zwischen Käufer<br />

und Hersteller. So sind regelmäßig Inhaber<br />

oder Mitarbeiter der verschiedenen Fertigungsstätten<br />

anwesend und informieren<br />

gern über ihre Angebote.<br />

Dem Besuch der seit Frühling diesen Jahres<br />

von Sonja und Finja betreuten Schwärmerei<br />

gingen eine Reihe unterschiedlicher Gespräche<br />

voraus: das zentrale Thema hierzu<br />

war: Was kann man konkret in Mülheim tun,<br />

um mit Hilfe eines bewussteren Konsums<br />

einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten?<br />

Dieser Frage stellen sich bereits seit Jahren<br />

eine ganze Reihe Kölner Gastronomen und<br />

bemühen sich um verantwortungsbewusste<br />

Angebote. So ist nicht nur das Restaurant<br />

Vreiheit dafür bekannt, vorrangig saisonale<br />

und regionale Speisen aufzutischen,<br />

gerne in Bio-Qualität. Ähnlich sieht es<br />

im stylisch-legeren Café jakubowski aus<br />

und auch das edle Willomitzer und andere<br />

informieren gerne über die Herkunft ihrer<br />

Lebensmittel, die eben nicht, wie die meisten<br />

Supermarktwaren quer durch die Welt<br />

geflogen oder verschifft wurden, sondern<br />

mit deutlich geringerem Transportaufwand<br />

von nahegelegenen Höfen bezogen wurden.<br />

Hierdurch wird in großem Maß der Ausstoß<br />

von CO2 (und diversen Schadstoffen)<br />

verringert. Ein anderer wichtiger Faktor ist<br />

die Produktion selbst, so hat etwa billiges<br />

aus Massentierhaltung gewonnenes und im<br />

Übermaß verzehrtes Industriefleisch eine<br />

katastrophale CO2-Bilanz; neben gesundheitlichen<br />

und ethischen Erwägungen ein<br />

weiterer, klarer Grund, diesen Konsum<br />

einzuschränken.<br />

Diesen zentralen Aspekten haben sich seit<br />

einigen Jahren die Betreiber der französischen<br />

Muttergesellschaft des Marktschwärmer-Prinzips<br />

verschrieben, welches<br />

an Grundideen von Biomärkten und<br />

Solidarischer Landwirtschaft erinnert<br />

und doch anders ist: Alle Transportwege<br />

werden minimiert, an allen Produkten<br />

steht eine Kilometerzahl, die angibt, wie<br />

nahe der erzeugende Hof gelegen ist. Durch<br />

die genau geplante Bestellung wird das<br />

Transportvolumen klein gehalten. An die<br />

Stelle eines klassischen Zwischenhändlers<br />

tritt das Onlineportal selbst zusammen mit<br />

ortsansässigen Gastgebern wie der sympathischen<br />

und auskunftsfreudigen Finja, die<br />

die Warenausgabe organisieren. Für Finja<br />

ist dieser Job eine Herzensangelegenheit. Sie<br />

und Sonja, die für Mülheim zuständig sind,<br />

investieren pro Woche rund 20 Stunden<br />

ihrer Zeit in das Projekt. Hierfür werden<br />

sie mit einem einstelligen Umsatzanteil an<br />

den Verkäufen geringfügig entschädigt; die<br />

Portalsbetreiber selbst nehmen mit 10 %<br />

ebenfalls nur eine überschaubare Provision,<br />

die ihnen die weitere Ausbreitung des<br />

ungemein erfolgreichen Systems ermöglicht<br />

(bislang über 1000 Standorte in Europa).<br />

Dadurch, dass zu den festgesetzten Terminen<br />

nur abgeholt, aber keine Nebenverkäufe<br />

getätigt werden dürfen, entfällt der übliche<br />

Zwang einer örtlichen Verkaufslizenz, und<br />

so können Schwärmereien an nahezu jedem<br />

Ort durchgeführt werden, vornehmlich an<br />

Stellen, die wie in diesem Fall, unterstützt<br />

vom Inhaber des Lokschuppens, mietfrei<br />

zur Verfügung gestellt werden. All dies sind<br />

die Garanten dafür, dass der Löwenanteil<br />

der Umsätze wirklich bei den Erzeugern<br />

landet, so dass diese mit den Einnahmen<br />

ihren Betrieb stabilisieren und sukzessive<br />

auf ökologisch verantwortungsbewusste<br />

Produktion umstellen können.<br />

Was im ersten Moment angesichts der<br />

systemischen Nachhaltigkeit des Projekts<br />

euphorisch stimmen mag, ist allem bisherigen<br />

Erfolg zum Trotz, nur ein Anfang und<br />

leider auch in dieser Form so noch nicht<br />

massenkompatibel, auch wenn sich bereits<br />

jetzt dank attraktiver Waren die Umsätze<br />

schön entwickeln. Hohe Qualität muss man<br />

sich leisten können. Selbst für Finja wäre,<br />

so gern sie das täte, ein kompletter Umstieg<br />

auf Marktschwärmerwaren finanziell nicht<br />

möglich. Auch die unflexiblen Abläufe mit<br />

einer Festlegung auf ein enges Abholzeitfenster<br />

sind für einen Teil der Interessenten<br />

problematisch, deren berufliche Einbindung<br />

eine Teilnahme faktisch verhindert.<br />

So bleibt die Marktschwärmerei für viele<br />

vorerst ein „wilder Luxus“ (= Name einer<br />

teilnehmenden Erzeuger*innen), der für die<br />

kleinen Geldbeutel nur punktuell bezahlbar<br />

ist. Und so kann zwar im Kleinen vielen engagierten<br />

Erzeugern der Überlebenskampf<br />

erleichtert werden, dies ersetzt aber nicht<br />

die Notwendigkeit, gesetzliche neue Rahmenbedingungen<br />

zu erkämpfen: für eine<br />

aktive Förderung nachhaltiger Produktion<br />

und Reduktion schädlicher Massenproduktion<br />

auf der einen Seite, und andererseits<br />

für mehr soziale Gerechtigkeit, damit Gutes<br />

nicht nur qualitativ und ethisch attraktiver,<br />

sondern auch für diejenigen bezahlbar wird,<br />

die finanziell ebenso kämpfen müssen, wie<br />

viele der teilnehmenden Erzeuger*innen der<br />

Schwärmereien.»<br />

>www.muelheimia.koeln/<br />

emissionsarmergenuss


15 <strong>#3</strong> September <strong>2019</strong> Mülheimia Quarterly Stadt. Kultur. Soziales<br />

Urban Gardening im Hof des Peter-Baier-Hauses<br />

Ein Senfkorn<br />

für Mülheim<br />

Von Tom Laroche<br />

Foto: Eva Rusch<br />

Wie komplex die Strukturen einer Großstadt sind, wird einem<br />

oft erst dann bewusst, wenn sich an einer Stelle, die man zuvor<br />

nie so richtig wahrgenommen hat, etwas ändert. So wird es<br />

manchem Besucher des Peter-Baier-Hauses in der Wallstraße<br />

gegangen sein. Sah man von innen letztes Jahr noch auf einen<br />

vergleichsweise tristen Innenhof ohne allzu ersichtliche<br />

Funktion, so erblickt man dort nun merkwürdige, in einem<br />

Halbrund aufgestellte Holzkästen und Dienstags nachmittags<br />

finden sich hier Menschen unterschiedlichen Alters ein, um sich<br />

um diese Kästen zu kümmern, in denen es nun mehr und<br />

mehr grünt.<br />

Was hier im Frühling gestartet wurde, ist ein neues Projekt der<br />

evangelischen Kirchengemeinde, der sowohl das Grundstück als<br />

auch die Immobilie gehört. Pfarrer Sebastian Baer-Henney, seit<br />

September letzten Jahres im Amt, wurde oft gefragt, was denn mit<br />

dem vernachlässigten Grundstück passieren solle, und machte sich<br />

auf Ideensuche. Hierbei erinnert er sich an ein außergewöhnliches<br />

Projekt einer Kirche in England, bei der eine Gemeinde anfing,<br />

unter dem Namen „Paradise Cooperative“ öffentlichen Raum in<br />

Wandsworth mit Gartenarbeit zu erschließen und neu zu gestalten.<br />

Vielleicht auch ein Ansatz für den kargen Hinterhof?<br />

„Urban Gardening“ nennt man solche Initiativen, und man muss<br />

dazu nicht einmal ein Hipster sein, denn das Begrünen und Begärtnern<br />

städtischer Flächen ist ungefähr so alt, wie die Struktur einer<br />

Stadt an sich. Neben klassischen Parkanlagen, spielte selbst oder<br />

gerade in Metropolen auch die Kultivierung von Obst und Gemüse<br />

in vergangenen Jahrhunderten eine sehr wichtige Rolle. Anders als<br />

heute, war es früher nur schwer möglich, leicht verderbliche Obstund<br />

Gemüsesorten in eine Großstadt einzuführen, daher ist man<br />

dazu übergegangen, diese auch innerhalb der Stadtgebiete anzubauen.<br />

So wurde z. B. im Paris des 19. Jahrhunderts etwa ein Sechstel<br />

der Stadtfläche sogar in Vierteln wie dem berühmten Marais,<br />

„landwirtschaftlich“ erschlossen. In Krisenregionen werden bis<br />

heute städtische Flächen zur Sicherung der Lebensmittelproduktion<br />

genutzt, damit etwa die Versorgung von Menschen, die sich aus Bürgerkriegsregionen<br />

in sicherere Stadtgebiete flüchten, sichergestellt<br />

werden kann.<br />

In Friedenszeiten in einem Land mit guter Infrastruktur sind die<br />

Beweggründe der Großstädter*innen, ihr Umfeld zu bepflanzen,<br />

freilich andere. Es geht hier weniger um die Ernteerträge. Das hat<br />

auch Pfarrer Baer-Henney erkannt, der auf die Frage seiner Intention<br />

mit einem Appell antwortet: „Stell Dir einen Garten vor, in dem<br />

Menschen zusammenkommen, die sonst nicht zusammenkommen<br />

würden.“ Dieses Anliegen, den sozialen Zusammenhalt in seiner<br />

Gemeinde und darüber hinaus, zu fördern, war eine der Grundideen<br />

für „Peters Großstadtgrün“. In Zeiten des Mietwuchers und steigendem<br />

Leistungsdruck, ist es für viele Menschen nicht möglich,<br />

einen eigenen Garten zu betreiben. Alternativ einen Schrebergarten<br />

auch nur zu bekommen, wäre da ebenfalls schon ein erstes großes<br />

Hindernis, aber viele hätten auch nicht genug Zeit, einen solchen<br />

sinnvoll zu bepflanzen. Für ältere Menschen würde dies zudem eine<br />

kaum zu überwindende körperliche Hürde darstellen.<br />

All dies muss die Teilnehmer*innen des neuen Gartenprojekts<br />

nicht kümmern: Offen für alle Generationen und Menschen jeden<br />

Glaubens oder Unglaubens, steht bei „Peters Großstadtgrün“ die<br />

Gemeinschaft und der persönliche Ausstausch im Vordergrund.<br />

Gefördert von der evangelischen Kirche, stehen den bislang etwa 20<br />

engagierten Mülheimer*innen, mehrere Hochbeete zum Bepflanzen<br />

zur Verfügung. Die Teilnahme ist hierbei sowohl kostenlos als<br />

auch freiwillig. Jeden Dienstag um 15 Uhr trifft man sich für einige<br />

Stunden; alle zwei Wochen findet im Anschluss unter dem Motto<br />

„Traulich und Hold“ zudem eine Abendandacht statt. Geerntete Lebensmittel<br />

werden gemeinsam zubereitet und verzehrt. Im weiteren<br />

Verlauf der Woche kümmern sich einzelne Teilnehmer*innen nach<br />

Absprache um die Beete und deren Bewässerung. Die Aufzucht und<br />

Pflege von Blumen, Kräutern, Obst und Gemüse ist Teil des weltoffenen<br />

Gemeindelebens geworden und zeigt, wie Kirche im 21. Jahrhundert<br />

aussehen kann.<br />

Ob die Gemeinde wohl irgendwann auch physisch jenes biblische<br />

Senfkorn aussäen wird, aus welchem dann ein großer Baum erwächst?<br />

Im übertragenen Sinn ist dies längst geschehen und man<br />

kann jetzt schon erkennen, welchen wertvollen Beitrag zur Lebensqualität<br />

des Stadtteils eine kleine Truppe engagierter Veedelsbewohner<br />

hier leistet. Wer an näheren Informationen interessiert<br />

ist, der kann im Internet den Blog der Gruppe aufrufen und sich auf<br />

www.peters-grossstadtgruen.de auf dem Laufenden halten.»<br />

>www.muelheimia.koeln/senfkorn


Mülheimia Quarterly<br />

Stadt. Kultur. Soziales<br />

<strong>#3</strong> September <strong>2019</strong> 16<br />

Plattenbörse in der Mülheimer Stadthalle<br />

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit<br />

Von Francesco Aneto<br />

Fotos: Eva Rusch<br />

Dreimal im Jahr macht die Mülheimer Stadthalle der<br />

Frankfurter Börse Konkurrenz. In Sachen rastloser<br />

Aufmerksamkeit und fiebriger Erwartung kann sie<br />

es an diesen Tagen locker mit dem dortigen Parkett<br />

aufnehmen. Dann pilgern die Jünger des „Schwarzen<br />

Goldes“ teils von weit her in das in den 60er Jahren gebaute<br />

zentral am Mülheimer Stadtgarten gelegene Gebäude.<br />

Architekturpreise hat die 1400 Besucher*innen<br />

fassende Stadthalle nachvollziehbar nie errungen, aber<br />

der zweckmäßige Beton-Glas-Bau leistet zuverlässig seit<br />

seiner Errichtung treue Dienste. Seitdem sind hier auch<br />

viele, teils erst später populär gewordene Bands aufgetreten,<br />

darunter: Blue Öyster Cult, Whitesnake, Metallica,<br />

The Cure und die Dire Straits.<br />

Young-Tour“ als Hip-Hopper mit umgekehrt aufgesetzter<br />

Baseballmütze und bequemem Jogging-Anzug im 80er<br />

Jahre-Retrostyle. Nachdem ich meine drei Euro Eintritt<br />

an die in dieser Umgebung auffällig junge Frau an der<br />

Kasse gezahlt habe, umweht mich ein zart modriger Geruch<br />

– nicht unbedingt unangenehm. Direkt ruft er alte<br />

Erinnerungen wach. Mir geht es wohl in etwa so wie dem<br />

Protagonisten in Prousts Roman „Recherche de la temps<br />

perdu“ (Übersetzung vgl. Titel), wenn ihm der süßliches<br />

Duft des Madeleine-Gebäcks in die Nase steigt. Vergangenes<br />

taucht schemenhaft auf: Partys in feuchten Kellern mit<br />

duftenden Räucherstäbchen, verschwitztes Engtanzen zu<br />

langsamen und nie enden wollenden Stücken wie „Samba<br />

Pa Ti“ von Santana oder „I am saling“ von Rod Stewart in<br />

den frühen Achtzigern oder furchtsames erstmaliges Anhören<br />

von Dylans „Street Legal“ in den beichtstuhlgroßen<br />

Musikkabinen bei Radio Wilden in Ehrenfeld.<br />

„RETTET DAS VINYL“.<br />

Alexander Lauber,<br />

Organisator von<br />

Plattenbörsen in NRW<br />

und Luxemburg, so auch<br />

regelmäßig in Köln-<br />

Mülheim.<br />

Seit vielen Jahren beherbergt dieser heimliche Tempel<br />

der Rockmusik auch die „Schallplatten-Börse“. Streng<br />

genommen den selten Fall einer „fahrenden Börse“, denn<br />

unter diesem Label schlägt sie zweiwöchentlich wechselnd<br />

ihre Zelte in verschiedenen Städten im Land auf.<br />

Viele folgen der Börse in einem nie nachlassenden Strom<br />

nach Bonn, Oldenburg, Münster, Oberhausen, Dortmund<br />

und Lingen (wo immer das liegen mag) und sogar zu Auslandstrips<br />

ins nahe Luxemburg. Köln gilt aber unter den<br />

mobilen Platten-Börsianern*innen als eines der Highlights.<br />

Entsprechend erwartungsvoll trete ich an einem Sonntagvormittag<br />

am Tag der Arbeit <strong>2019</strong> in die Stadthalle ein,<br />

deren großes zweigeteiltes Foyer heute den Händlern*innen<br />

des „Schwarzen Goldes“ in Gestalt von zigtausenden<br />

Vinylscheiben vorbehalten ist, die daneben auch noch<br />

andere benachbarte Waren, wie CDs, DVDs, Bücher über<br />

Musiker, Poster, Fanartikel, kleine mobile Plattenspieler<br />

etc. feilbieten. Mit mir drängen andere „Early Birds“ in die<br />

Halle, viele dem Klischee-Bilderbuch über den Vinyl-Nerd<br />

entsprungen: Meist Männer in den – wie man beschönigend<br />

sagt – besten Jahren: einer mit zerschlissenem<br />

Metallica-T-Shirt, spärliche Haare halten mit Mühe seine<br />

Alt-Punk-Frisur zusammen, ein anderer auf „Forever<br />

Soweit sich an diesem Morgen die Ersten vor Ort einfinden,<br />

werden sie vielleicht auch getrieben von der Suche<br />

nach sinnlichen Erinnerungen, mehr noch aber von<br />

ihrem Jagdfieber. Nicht von ungefähr firmiert die Schallplatten-Börse<br />

auch als „Sammlerbörse“. An diesem Tag<br />

werden sich 600 bis 700 meist männliche Sammler und<br />

wenige, meist jüngere Sammlerinnen, an den ca. 50 Stände<br />

scharen und in hunderten prall gefüllten Platten-Boxen<br />

mit geübten Fingern und hoffnungsglimmenden<br />

Augen nach den begehrten Objekten krabbeln. Obwohl der<br />

junge Veranstalter der Plattenbörse, der in die Fußstapfen<br />

seines Vaters eingetreten ist, mir versichert, dass das Publikum<br />

seit etwa 2015 mit dem Siegeszug des „Streaming“<br />

immer jünger werde, teils sich ganze Familien mit ihren<br />

Kleinkindern hier vergnügten. Die CD sei ohnehin out, die<br />

Jüngeren wieder mehr an der Musik, weniger am stolzen<br />

„Besitz“ interessiert.<br />

Nicht nur professionelle Händler*innen tummeln sich<br />

dichtgedrängt im Foyer der Stadthalle, die bestpositioniert<br />

ihre Waren an den längsten und aufwendigst<br />

gestalteten Ständen präsentieren. Auch viele Privatleute<br />

entrichten den Obolus von 17,50 € pro Standmeter und<br />

verscherbeln mit verdruckst lächelnder Miene ihre über


17 <strong>#3</strong> September <strong>2019</strong> Mülheimia Quarterly Stadt. Kultur. Soziales<br />

Jahrzehnte aufgebaute Plattensammlung. An einem solchen<br />

Privatstand versuche ich mein Glück, denn auch ich<br />

bin auf der Suche nach einer ganz bestimmten Platte von<br />

der australischen Indie-Band „The Go-Betweens“, populär<br />

vor allem in den 80ern. Inhaber des kleinen Standes<br />

ist Marvin, ein sympathischer Mitte-Zwanzigjähriger. Er<br />

muss aber trotz seines bunten Angebots von Jazz, Rock,<br />

Funk, Soul usw. auf meine Nachfrage leider passen. Fündig<br />

werde ich auch nicht am nächsten Stand, mit einem<br />

etwas üppigeren Angebot, übersichtlich sortiert und<br />

liebevoll von Hand ausgezeichnet nach Fächern, etwa für<br />

Kraut, Progressive, Beatles und Soundtrack. Viele Platten<br />

zum sagenhaften Preis von drei oder fünf Euro. Für den ca.<br />

50 Jahre alten sympathischen Spediteur ist das Verkaufen<br />

nur ein Hobby. Nur so zum Spaß stoße er Teile seiner<br />

ständig wachsenden Sammlung ein bis zweimal im Monat<br />

am Wochenende auf den Börsen ab und verdiene dabei<br />

jeweils so 150 bis 200 €. Ich versuche meine Erfolgsaussichten<br />

zu steigern und steuere den imposantesten Stand<br />

der Börse an. Auf 14 Meter Länge finden sich zehntausende<br />

Platten aus allen Musikrichtungen und -epochen. Der<br />

Herr dieses Imperiums nach eigenen Aussagen fast ein<br />

„Global Player“. Weltweit sei er als „Adrenalin-Mensch“<br />

seit zwanzig Jahren mit seinen derzeit ca. 100.000 Platten<br />

auf jährlich ca. 50 Plattenbörsen und -messen bis ins<br />

ferne Kanada unterwegs (er betont, dass er zwei Kinder<br />

habe). Auf die jährlich größte Schallplattenmesse in<br />

Utrecht/Holland reise er mit sechs Mitarbeitern und zwei<br />

bis drei LKWs an. Die Go-Betweens kennt er natürlich, die<br />

von mir ersehnte Scheibe hat er jedoch nicht im Portfolio.<br />

Da ich mich als Jazzliebhaber geoutet habe, bietet er mir<br />

stattdessen zum Trost eine sehr rare südafrikanische<br />

Erstpressung von Dollar Brand aus den 70er für 1.100 € an,<br />

was ich freundlich dankend ablehne. Das sei noch lange<br />

nicht seine teuerste Platte; für einen hohen vierstelligen<br />

Betrag, raunt er, könne ich auch eine seltene deutsche<br />

Beatles-Platte erwerben.<br />

Ich verabschiede mich und sehe zu, dass ich mich rasch<br />

zu einem meinem bescheidenen Budget adäquateren<br />

Stand bewege. Immerhin entdecke ich nebenan die erste<br />

Platte von den Go-Betweens auf der Börse, „The friends of<br />

Rachel Wood“ für schlappe 100 €. Den recht hohen Preis<br />

erklärt mir fast entschuldigend der Verkäufer damit, dass<br />

es sich um einen Erstdruck in kleiner Auflage aus den 90er<br />

handele. Das Sammlerherz bringt diese Mitteilung zwar<br />

leicht zum Erzittern, aber es ist gerade nicht die gesuchte<br />

Platte; sie wurde mir kurz zuvor vor der Nase weggekauft,<br />

so der Verkäufer. Nach der vergeblichen fast einstündige<br />

Suche gilt es nun, flexibel Frustkäufe vermeidend nach<br />

Alternativen zu graben. Es muss nicht unbedingt eine<br />

Platte sein, die unter die Kategorie „Mint“ fällt (absolut<br />

neuwertiger Zustand, im Idealfall noch versiegelt – „sealed“<br />

- oder ungespielt), es reicht allemal ein „Very Good“<br />

(VG), bei der sich die Gebrauchsspuren in Grenzen halten.<br />

An manchen Ständen im Belagerungszustand ist nur<br />

schwer eine Lücke zu finden. Dort knubbelt sich das bunte<br />

Volk: Frauen mit Dreadlocks im coolen Hippie-Outfit<br />

stöbern lässig nach alten Soulscheiben, Metallfans mit<br />

langen ergrauten Haaren fingern mit stoischer Ruhe nach<br />

obskurem Heavy-Metall-Material und der etablierte Kenner<br />

will seine umfangreiche Sammlung mit einer äußerst<br />

raren (und teuren) Jazzplatte von Coltrane krönen. Doch<br />

ich warte geduldig bis ich an der Reihe bin. Musikgeschmacklich<br />

breit aufgestellt, werde ich auch irgendwann<br />

fündig. Aretha Franklins berühmte Live-Aufnahme in<br />

einer Kirche „Amazing Grace“ hatte ich schon lange im<br />

Auge; zudem fülle ich wieder eine Lücke in meiner breiten<br />

„Neil-Young-Sammlung.“ Dies muss für heute reichen,<br />

schont auch einigermaßen den Geldbeutel. Auch andere<br />

sind zurückhaltend: Schon vom Verkäufer herabgesetzte<br />

40 Euro für den Klassiker von Deep<br />

Purple „Made in Japan“ ist meinem<br />

Nebenmann immer noch entschieden<br />

zu teuer. Und auf Massenankauf bin<br />

ich nicht aus, obgleich die Angebote<br />

verlockend sind („vier für zehn Euro“).<br />

Beim Herausgehen treffe ich einen älteren<br />

Mann mit hochrotem Gesicht und<br />

einer beeindruckenden Sammlung von<br />

Stones- und Beatles-Platten auf dem<br />

Arm, die er an einen der Profi-Händler<br />

im Saal verkaufen wollte. Mit unverkennbarem<br />

kölschen Akzent mault er:<br />

drinnen seien nur „Kniesköpp“, die<br />

ihn „verarschen“ wollten; 200 Euro für<br />

seine 30 Platten habe niemand zahlen<br />

wollen. Zehn Euro habe man ihm maximal<br />

für die Sammlung geboten, da<br />

verkaufe er sie lieber im Netz.<br />

Der Fluch der Moderne: Die Flucht vor der Realität ins<br />

Internet. Als stets verfügbare Alternative hat dieses aber<br />

auch seine Nachteile. Bieten die Plattenbörsen doch jede<br />

Menge sinnliche Erfahrungen (Fühlen, Riechen, Sehen) –<br />

nur der „Hörtest“ unterbleibt leider – und unmittelbare<br />

freundliche Kommunikation mit gleichgesinnten Liebhabern<br />

und Kennern von Pop-, Rock- und Jazzmusik in<br />

allen Spielarten in der Gemeinschaft der „Börsianer*innen.<br />

Wer Vinyl über Internet bestellt, etwa bei discogs<br />

(vgl. auch Überblick auf: https://www.musikexpress.de/<br />

vinyl-im-netz-die-besten-vinyl-online-portale-im-ueberblick-343051/),<br />

ist selber schuld: Er kauft, bezüglich<br />

des Zustandes der Platte und der Hülle, die ,Katze im Sack‘.<br />

Wer das Echte mag und nicht drei Monate bis zur nächsten<br />

Plattenbörse in der Stadthalle warten möchte, der ist in<br />

Köln auch zwischenzeitlich gut versorgt. Das „Magazin<br />

für Vinyl-Kultur“, die Monatszeitschrift „Mint“, listet in<br />

ihrem „Großen Platten-Guide fürs Rheinland“ (Ausgabe<br />

7/2018) allein für Köln siebzehn Plattenläden auf (nur für<br />

Mülheim fehlt noch einer...).<br />

Was macht die Faszination des Vinyls aus, die den<br />

Plattenbörsen und Recordstores einen solchen Hype<br />

verschafft hat? Kann man doch an sich jedes gewünschte<br />

Stück in Sekundenschnelle streamen und anhören.<br />

Zunächst sicher der warme, geschmeidige Sound, der uns<br />

von Platte aus den Lautsprechern herausströmend wohlig<br />

umfängt und dem nichts Sauberes und Glattes anhaftet.<br />

Das Knistern und Rauschen als Begleitmusik nimmt man<br />

dabei fast gerne in Kauf, wie auch Kratzer, die wir alle<br />

auch abbekommen, hat man mal ein paar Lebensjahre<br />

auf dem Buckel. Wer die Mühen der Ebenen des Ankaufs<br />

auf sich nimmt, entreißt zudem seine spezielle Musik der<br />

Beliebigkeit und ständigen Verfügbarkeit und macht sie<br />

zu etwas Besonderem. Sie berührt uns mehr, wir fühlen<br />

uns mit ihr, auch vermittelst eines greifbaren, sorgsam<br />

gehüteten Objekts, enger verbunden. Hinzukommt der<br />

spezielle Charme der Vergangenheit, der besonders der<br />

Musik der 60er- und 70er anhaftet, die mit ihrem oft revolutionären<br />

Anspruch politisch zudem auf der Höhe der<br />

Zeit war. Der Vinyl-Hype ist nicht zuletzt Ausdruck eines<br />

krisengeschüttelten Zeitgeistes „auf der Suche nach der<br />

verlorenen Zeit“: Je düsterer uns die Zukunft erscheint,<br />

desto mehr hängen wir an einer (meist zu glorifizierten)<br />

Vergangenheit mit der Musik als Balsam für unsere vernarbten<br />

und unsicher gewordenen Seelen. In wenigen Monaten<br />

wird die schmucklose Mülheimer Stadthalle wieder<br />

zum Mekka der Börsianer*innen werden, die wieder (fast)<br />

jeden Preis zahlen für die eine Platte, deren Besitz bei<br />

allen gegenwärtigen Schwankungen Sicherheit verspricht<br />

und deren nostalgische Magie sie stets an vergangene<br />

vermeintlich bessere Zeiten erinnert.»<br />

Sammlerinnen, eher<br />

selten.<br />

Das wertvollste Stück seines heutigen Angebotes:<br />

„BEATLES AT“<br />

> www.muelheimia.koeln/<br />

plattenboerse


Mülheimia Quarterly<br />

Stadt. Kultur. Soziales<br />

<strong>#3</strong> September <strong>2019</strong> 18<br />

Partycrasher<br />

Luftkurort Müllheim a. R.<br />

Mülheimia Miniatur #6<br />

Eine Reihe von Marco Hasenkopf<br />

Seebach ist ein Luftkurort im Schwarzwald. Dort gibt es Wiesen, jede Menge<br />

Obstbäume, die namensgebenden „schwarzen“ Nadelwälder und freundliche<br />

Menschen, die mitunter etwas spießig erscheinen, aber was soll’s? Nobody is<br />

perfect. Und es gibt eine Straße. Irgendeine gelbe B500XY, die mitten durch<br />

den Ort führt. Rund um die Uhr rollt hier eine nie enden wollende Blechlawine<br />

hindurch. Die Abgase wabbern durchs Tal wie morgendlicher Nebel, der zu<br />

Eichendorffschen Versen inspirieren will – nein, es ist weit weniger idyllisch<br />

als man denkt. Ich kann es kaum freundlicher formulieren: Luftkurort am<br />

Arsch. Fälle dieser Art sind Fakt und Thema seit den späten 1970ziger Jahren.<br />

Über vierzig Jahre später gibt es ein (erneutes) Wiedererwachen einer Umweltbewegung.<br />

Ob es sich dabei um einen tatsächlichen Weckruf oder nur um eine<br />

kurze Unterbrechung vom Tiefschlaf handelt, wird sich noch herausstellen.<br />

Auch in Müllheim gibt es eine gelbe B XY über die tagtäglich eine Blechlawine<br />

rollt. Seit den 1970zigern weiß man auch, dass Abgase irgendwie ungesund<br />

sind, und nicht nur so tun als würde sie stinken. Gleich einem Patienten,<br />

der die Diagnose nicht wahrhaben will, watscheln wir zum nächsten Facharzt<br />

und bitten um eine zweite Meinung. Und egal was der verkündet, feststeht<br />

unser Abgasproblem ist kein kleiner Schnupfen, der sich von alleine kuriert,<br />

sondern ein bösartiger Tumor mit Todesfolge. Die Medikamente liegen auf<br />

dem Tisch, aber sie schmecken richtig bitter und deshalb schlucken wir sie<br />

nicht. Natürlich gefällt es der Autoindustrie nicht, dass sie ein Krebsgeschwür<br />

ist. Wer ist schon gerne eine tödliche Krankheit? Und wenn man das alles wegleugnet,<br />

kann man gleich noch im ganz großen Stil betrügen. Am Ende steigert<br />

das sogar den Umsatz.<br />

The show must go on – von mir aus, aber... die (Aftershow)-Party ist vorbei –<br />

O Schreck, ja, der Klimawandel ist real. Leider begreifen sehr viele Leute nicht,<br />

dass das Goldene Zeitalter des Automobils längst Geschichte ist. Niemand hat<br />

die Myriaden von Fliegen und anderen Insekten gezählt, die in meiner Kindheit<br />

während langer Autofahrten auf den Windschutzen zerplatzt sind. Stellen<br />

Sie sich eine Frage: Wie viele Insekten sterben im Jahr <strong>2019</strong> bei einer Autofahrt<br />

auf ihrer Windschutzscheibe? Mein Englischlehrer sagte Anno 1993 nach<br />

einer durchzechten Nacht vor(!) dem Abi zu mir, als ich verspätet im<br />

Unterricht erschien: Wer saufen kann, der kann auch lernen! Wer Gas gibt,<br />

kann auch Fahrrad fahren, Bäume pflanzen, auf Inlandsflüge verzichten,<br />

den Motor ausschalten.<br />

Gewöhnlich finden wir den Vergleich wie finster das Mittelalter angeblich<br />

gewesen ist irgendwie chic, weil wir uns als dann als besonders fortschrittlich<br />

ansehen können. Sicherlich hat es im Mittelalter gestunken, weil der Nachttopf<br />

aus dem Fenster auf die Straße gekippt wurde. Drehen wir den Vergleich<br />

um: Stellen wir uns vor jemand aus dem Mittelalter könnte für einen Tag zum<br />

Beispiel die gute Luft am Clevischen Ring schnuppern. Ich wage zu behaupten,<br />

dass es keine Stunde dauern würde und der betreffende würde sich wünschen<br />

lieber wieder Pippi-Kacka-Stinkerei ertragen zu müssen, als den besonders<br />

aparten Abgase-Odeur der vielen Hundert vorbeirasenden Verbrennungsmotoren.<br />

Wir akzeptieren den Gestank. Auch die Menschen im Mittelalter<br />

verpassten ihre Chance. Obwohl sie bereits bekannt war, wurde die Kanalisation<br />

erst viel später eingeführt. Und was tun wir? Wider besseren Wissen lassen<br />

wir mit besonderer Vorliebe bei jeder Gelegenheit den Motor laufen. Brötchen<br />

holen, an Ampeln, wenn wir jemanden aussteigen lassen, beim Altglas<br />

entsorgen. Wir saugen lieber eine Megatüte-Abgase ein, als mal auf die simple<br />

Idee zu kommen den Motor auszuschalten. Selbst angeblich umweltbewusste<br />

Eltern kann man dabei beobachten, wenn sie ihren Nachwuchs mit dem Auto<br />

zur Schule bringen und es ist eh schon fraglich, ob das unbedingt mit dem<br />

Auto passieren muss. Dann wird in zweiter Reihe geparkt und man lässt den<br />

Motor tuckern. Auch wenn das eigene Kind am Kofferraum die Schultasche<br />

herausholt und mitten in den Abgasen steht. Macht nichts, tut gut. Minute um<br />

Minute steht man da, weil man ja die Straße blockiert und wegen den vielen<br />

anderen Autos, die das genauso tun eigentlich nicht mehr von Verkehr sondern<br />

von Stillstand reden muss. Soviel zur Fortschrittlichkeit. Das ist finsteres<br />

Mittelalter.<br />

Die Lösungen und Ideen zum Schutz der Umwelt wie der Demokratie liegen<br />

alle auf dem Tisch, sie werden nur nicht umgesetzt. Der Patient weigert sich<br />

hartnäckig. Wie lautet meiner Ansicht nach die beste Zukunftsperspektive:<br />

Widerstand und Zivilcourage. Gegen das Nichtstun. Gegen das Abwälzen der<br />

Verantwortung auf andere. Gegen die Leute, die ständig behaupten da könne<br />

man nichts tun. Das System sei Schuld. Die Wirtschaft müsse schließlich<br />

wachsen. Unendlich wachsen wie die Zauberbohnen im Märchen. Das müsse<br />

man akzeptieren, dass man im Stau steht. Warum darüber aufregen, was man<br />

eh nicht ändern könne? Aufregung alleine schon ein Unwort in unser stets<br />

wohltemperierten Gesellschaft.<br />

Und deshalb nenne ich „mein“ schönes Mülheim am Rhein bis auf weiteres<br />

Müllheim. Ich wünsche allen Lesern viel Freude beim Aufregen, Widerstand<br />

leisten und Zivilcourage zeigen. Ihr Partycrasher. »<br />

> www.muelheimia.koeln/luftkurort


Die Energie<br />

bleibt im Veedel<br />

Als einer der größten deutschen Projektentwickler<br />

realisieren wir bundesweit nachhaltige Bauvorhaben.<br />

Auch hier im Mülheimer Süden:<br />

Bei dem neuen Quartier COLOGNEO wird die<br />

flächenmäßig größte Geothermieanlage im Viertel<br />

integriert. So wird die in der Erde enthaltene Wärme<br />

sparsam und umweltschonend zum Heizen genutzt.<br />

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Mülheimia-Quarterly_225x103_190820.indd 1 20.08.19 16:52<br />

Impressum<br />

Redaktion: Francesco Aneto, Tom Laroche,<br />

Nachdruckrechte/Lizenzen für Texte, Fotos,<br />

Besuchen Sie unsere Internetseite<br />

Eva Rusch, Judith Tausendfreund,<br />

Grafiken und Illustrationen nur mit schrift-<br />

www.muelheimia.koeln! Dort finden Sie<br />

Herausgeberin: icon Kommunikation für<br />

Ricarda Wassner-Dillmann, Kenan Zöngör<br />

licher Genehmigung der Herausgeberin.<br />

alle Ausgaben und weitere Artikel online.<br />

Kultur und Wirtschaft GmbH<br />

Weitere Autoren dieser Ausgabe:<br />

Auflage: 10.000, Verteilung im Stadtteil<br />

Inhaberin: Eva Rusch<br />

Marco Hasenkopf, Celio Limpia, Tim Luecke,<br />

Köln-Mülheim in Geschäften, Gastronomie,<br />

Deutz-Mülheimer Straße 165<br />

Ana Bolena Müller, Sonja Niemeier<br />

Vereinen und Einrichtungen.<br />

51063 Köln<br />

Cover: Eva Rusch<br />

Diese Zeitung ist ClimatePartner.<br />

V. i. S. d. P.: Eva Rusch<br />

Fotos: Sonja Niemeier, Eva Rusch,<br />

Schreiben Sie uns!<br />

Raven Rusch<br />

Redaktion: redaktion@muelheimia.koeln<br />

Illustrationen: Eva Rusch<br />

Anzeigen: anzeigen@muelheimia.koeln


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