Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
<strong>2019</strong> <strong>#3</strong> Mülheimia Quarterly<br />
Mülheimia<br />
Klimaschutz in<br />
Köln-Mülheim
Mülheimia Quarterly<br />
Veedelsanzeigen<br />
<strong>#3</strong> September <strong>2019</strong> 2<br />
KULTUR AUF<br />
DER RICHTIGEN<br />
SEITE<br />
Berliner Straße 20, 51063 Köln<br />
Tel. 0221 – 61 69 26<br />
Fax 0221 – 6 16 07 96<br />
info@kulturbunker-muelheim.de<br />
www.kulturbunker-muelheim.de<br />
mülheim<br />
fünfmal<br />
anders<br />
Der Kalender für 2020 ist da!<br />
Zu beziehen über<br />
info@geschichtswerkstatt-muelheim.de<br />
oder info@ssm-koeln.org<br />
www.geschichtswerkstatt-muelheim.de<br />
2020<br />
VAN DYCK RÖSTEREI<br />
MIT CAFÉ<br />
bonnboniere<br />
im ♥ von Köln-Mülheim<br />
Wir fertigen Pralinen, Torten oder Kuchen ganz individuell nach<br />
Ihren Wünschen! Oder möchten Sie das selbst können?<br />
Wir bieten Ihnen im Laden Kurse zu festen Terminen<br />
oder in Gruppen an! Besonders beliebt:<br />
Pralinenkurse<br />
Kaffee, Kuchen & Mittagssnacks<br />
Schanzenstr. 36, 51063 Köln-Mülheim | Öffnungszeiten: Mo.-Do. 9-16:30 Uhr, Fr. 9-16 Uhr<br />
Schokoladen •<br />
b<br />
•<br />
Sabine Bonn<br />
Konditormeisterin<br />
Bonnboniere • Wallstraße 117 • 51063 Köln<br />
Tel. 0221-16 92 48 75 • info@bonnboniere.de • www.bonnboniere.de<br />
b<br />
Manufaktur<br />
bb-Anzeige.indd 1 15.12.17 17:17<br />
GUTE BÜCHER IN GUTE HÄNDE<br />
ANNAHMESTELLE FÜR GEBRAUCHTE BÜCHER UND MEDIEN IN MÜLHEIM<br />
Sie wissen nicht, wohin mit Ihren<br />
gebrauchten Büchern, CDs, Vinyls,<br />
DVDs, BluRays oder Brettspielen?<br />
Helfen Sie uns mit, unser kleines<br />
Antiquariat aufrecht zu erhalten<br />
indem Sie ihre ausrangierten Schätze<br />
bei uns abgeben. Die Verkaufserlöse<br />
ermöglichen es uns, eine tolle<br />
Auswahl guter Bücher zu einem<br />
fairen Preis wieder abzugeben.<br />
Bei mehr als vier Umzugskartons<br />
bitten wir um kurze Vorankündigung<br />
per Telefon unter 0221/16 95 82 12.<br />
Unsere Öffnungszeiten:<br />
Montags bis freitags 12 bis 19.30 Uhr,<br />
samstags 12 bis 15 Uhr<br />
Ladenadresse:<br />
Buchheimer Straße 25,<br />
51063 Köln (Nähe Wiener Platz)<br />
Kemo Bajramovic wurde zum 20. Kölner Ehrenamtstag <strong>2019</strong><br />
der Ehrenamtspreis „KölnEngagiert“ verliehen. Lesen Sie hier<br />
seine Geschichte: www.muelheimia.koeln/kemobajramovic<br />
Wir freuen uns über neue ehrenamtliche Unterstützer*innen!<br />
www.wiku-koeln-muelheim.de<br />
Ausstellung<br />
„Das Zeitalter der<br />
fossilen Brennstoffe<br />
ist überfällig.“<br />
Eva Rusch<br />
HANIMELI<br />
VON DAMENHAND GEMACHT<br />
MEDITERRANES FRÜHSTÜCKSBUFFET<br />
TRADITIONELL, VEGETARISCH, VEGAN<br />
Eva Rusch, Erschütternde Ereignisse<br />
Ausstellung im SPD Bürgerbüro,<br />
Buchheimer Straße 20, 51063 Köln<br />
8. September (Vernissage 18.30 Uhr)<br />
bis 6. Oktober <strong>2019</strong>, www.evarusch.com<br />
TÄGLICH VON 8 BIS 15 UHR, SO. AB 9 UHR<br />
KEUPSTRAßE 33, 51063 KÖLN<br />
TEL. 0221/79 00 70 22<br />
www.hanimeli.koeln<br />
info@hanimeli.koeln
3 <strong>#3</strong> September <strong>2019</strong> Mülheimia Quarterly Stadt. Kultur. Soziales<br />
Editorial<br />
Inhalt<br />
Liebe Leser*innen,<br />
Ideen-Werkstatt Wiener Platz<br />
Erste Ergebnisse Seite 4<br />
Ana Bolena Kolumna<br />
In Mülheim zuhause <strong>#3</strong><br />
prima Klima – von wegen! Apokalypse:<br />
Schau! Der wüstenheiße<br />
Sommer hat die dräuenden Katastrophenszenarien<br />
sichtbar werden<br />
lassen. Machen wir uns nichts mehr<br />
vor! Zentrales Thema dieser Mülheimia<br />
Quarterly ist folgerichtig der<br />
Klimawandel, wir legen die Finger in<br />
die lokalen Wunden, zeigen aber auch<br />
Lösungen auf.<br />
Während Greta auf dem Segelschiff<br />
nach Amerika unterwegs war, verpesteten<br />
und verpesten weiterhin trotz<br />
einseitiger Befahrung der Mülheimer<br />
Brücke tausende Dieselfahrzeuge den<br />
Clevischen Ring. Was die Überschreitung<br />
der Grenzwerte für Stickstoffdioxid<br />
angeht, immer noch einer der<br />
sogenannten Hot Spots des Landes.<br />
Mülheim steht insofern im Brennpunkt<br />
der Diskussionen und rechtlichen<br />
Auseinandersetzungen über<br />
die Luftrheinhaltung. Das Recht auf<br />
Gesundheit steht gegen das Recht auf<br />
Eigentum bzw. das Auto, die „heilige<br />
Kuh“ der Deutschen, das einer seiner<br />
Ursprünge bei der Deutz AG<br />
in Köln-Mülheim hatte, wo der<br />
„Otto-Motor“ gebaut wurde.<br />
Die Stadt ist wachgerüttelt, E-Busse<br />
werden im großen Stil angeschafft<br />
(hoffentlich dann auch in Mülheim<br />
eingesetzt!) und neue Mobilitätskonzepte<br />
umgesetzt. Die Stadt beginnt<br />
auch auf anderen Gebieten getrieben<br />
durch Greta und Co endlich zu<br />
handeln. Sie fährt Förderprogramme<br />
auf. CO2 einzusparen kann auch Spaß<br />
machen, das zeigt der Beitrag von<br />
Tom Laroche auf humorvolle Weise.<br />
Dass auch Lokalpolitiker*innen<br />
wissen, was die Glocke geschlagen<br />
hat, lesen Sie in den Klimaschutzinterviews.<br />
Wir planen eine Ortsgruppe „Artists<br />
for Future, Ortsgruppe Mülheim“ zu<br />
gründen. Wie das geht finden Sie unter<br />
diesem Link https://artistsforfuture.<br />
org/de/mitmachen/ortsgruppengruenden/<br />
»<br />
Ihre<br />
Herausgeberin<br />
Reden ist Gold! Werkstattgespräche<br />
im Kulturbunker Seite 5<br />
Why Trump?<br />
Ein Roadtrip Seite 6<br />
Gutes Klima im Veedel<br />
Klimaschutz in Köln-Mülheim<br />
Seite 7<br />
Auf der Suche nach der<br />
verlorenene Zeit Plattenbörse<br />
Mülheimer Stadthalle Seite 12<br />
Luftkurort Müllheim a. R.<br />
Mülheimia Minatur #5 Seite 14<br />
Werden Sie Mitglied im<br />
www.muelheimia.koeln/salon<br />
In Mülheim zu Hause zu sein erweckt<br />
in mir viele Gedanken und<br />
Gefühle. Zu Hause kann nur in der<br />
Heimat sein? Ja, definitiv. Aber nicht<br />
im Sinne der begrenzten Idee des<br />
geographischen Territoriums, sondern<br />
der Abstraktion von Heimat,<br />
die sich in universellen Kategorien<br />
wie Ernährung, Natur, Musik oder<br />
Literatur manifestiert. In den zwölf<br />
Jahren meines Lebens in Deutschland<br />
– ab Februar <strong>2019</strong> nun als<br />
deutsche Staatsbürgerin – habe<br />
ich in einigen dieser Kategorien<br />
„Heimat“ erlebt. Aber was Literatur<br />
betrifft: Erfüllt nur die spanische<br />
Literatur mein Bedürfnis nach<br />
Heimat? Deutsche Literatur war mir<br />
stets fremd. Ich hatte keinen Zugang<br />
außer vielleicht über die Zeitschriften<br />
im Wartesaal des Kinderarztes.<br />
Es fehlte mir in der deutschen Literatur<br />
doch immer die irrationelle<br />
Faszination eines Jorge Luis Borges.<br />
Die Säulen meines neuen Zuhauses<br />
waren nicht vollkommen.<br />
Nun – seit dieser einen Scrabble-<br />
Partie im Juni <strong>2019</strong> ist eine erfreuliche<br />
Wendung eingetreten. Deren<br />
unbezwingbare Gewinnerin wird<br />
über ihre Reise nach Norwich befragt.<br />
Sie berichte uns, dass sie im<br />
British Centre for Literary Translation<br />
zu einer Diskussionsrunde<br />
zwischen den europäischen Übersetzern<br />
von W. G. Sebald eingeladen<br />
war. Das Beste: Teresa Ruiz Rosas,<br />
die peruanische Schriftstellerin, die<br />
Sebald kannte und die die erste war,<br />
die sein Werk „Die Ausgewanderten“<br />
ins Spanische („Los Emigrados“)<br />
übersetzt hat, ist meine Nachbarin.<br />
„Sebald ist einer der bedeutendsten<br />
deutschen Schriftsteller des<br />
20. Jahrhunderts“ sagt sie, während<br />
sie ihre mehr als 200 Punkte am<br />
Ende des Spiels zusammenrechnet.<br />
Das ich nur Zweite wurde, war ab<br />
diesem Moment nicht mehr wichtig.<br />
Als ich „Sebald“ Tage später in eine<br />
Suchmaschine eingebe, lese ich<br />
„beeinflusst von Jorge Luis Borges“!<br />
Ich muss dieses Buch lesen und<br />
bestelle „Die Ausgewanderten“ in<br />
der Buchhandlung am Wiener Platz.<br />
Schon am nächsten Morgen kann<br />
ich es abholen und nehme daraufhin<br />
eine U-Bahn in die Innenstadt.<br />
Während meiner geliebten Überquerung<br />
des Rheins beginne ich zu<br />
lesen und bin direkt fasziniert. Ich<br />
erinnere mich nicht mehr, wohin<br />
ich fuhr, und auch damals vergaß<br />
ich es. Zuerst erscheint ein Foto, und<br />
dann beginnt W. G. Sebald mir auf<br />
Deutsch ein neues Universum ganz<br />
tief in mein Bewusstsein zuzuflüstern.<br />
Es ist kein Zufall, dass diese<br />
vier langen Erzählungen von vier<br />
Personen handeln, die ihre Heimat<br />
hinter sich gelassen oder sie verloren<br />
haben. Sebald selbst verlässt<br />
Deutschland als er 22 Jahre alt ist.<br />
Er siedelt nach England um und<br />
versucht dort zurecht zu kommen.<br />
Zwischen Realität und Fiktion,<br />
zwischen Traumgespräch und<br />
Erinnerung erkenne ich Spuren von<br />
Borges. Dies bedeutet für mich eine<br />
wichtige Säule des Zuhauseseins.<br />
Das größte Glück ist, dass ich kürzlich<br />
mit Teresa am Rhein spazieren<br />
gehe. Ich frage, und sie erzählt mir<br />
von ihm, von Sebald. Ihr erstes<br />
Meeting war in London in der Liverpool<br />
Station. Er war groß – wir sind<br />
kleine Südamerikanerinnen – ein<br />
netter und liebevoller Mensch. Vor<br />
etwa 20 Jahren bot er Teresa ein<br />
Stipendium im British Centre for<br />
Literary Translation an. Sie solle<br />
sich in England in Ruhe auf ihre Arbeit<br />
als Übersetzerin konzentrieren.<br />
Jedoch hatte sie zwei kleine Kinder<br />
zu Hause, die sie nicht alleine lassen<br />
konnte. Trotzdem hatte sie das<br />
Glück dem Autor Sebald mehrfach<br />
zu begegnen. Ich wiederum habe<br />
das Glück, dass sie eine Mülheimerin<br />
ist. Unsere Nachbarschaft<br />
weiß nicht, dass sie eine der besten<br />
Schriftstellerin Perus ist. Ihr Roman<br />
„Nada que declarar“ zeichnet mit<br />
den „Fensterfrauen“ die Problematik<br />
des Menschenhandels in unserer<br />
Nachbarstadt nach. Ich lese ihn auf<br />
Spanisch. Ein noch größeres Glück<br />
ist es, dass wir, zwei Ausgewanderte,<br />
gerne Scrabble auf Deutsch und auf<br />
Spanisch spielen.»<br />
> www.muelheimia.koeln/teresa
Mülheimia Quarterly<br />
Stadt. Kultur. Soziales<br />
<strong>#3</strong> September <strong>2019</strong> 4<br />
#lebenaufdemwienerplatz<br />
Ideenwerkstatt Wiener Platz<br />
Was hätten’s denn gern?<br />
von Kenan Zöngör<br />
Am 8. September <strong>2019</strong> veranstaltet Mülheimia<br />
Quarterly zum Mülheimer Tag auf dem Wiener<br />
Platz eine Ideenwerkstatt mit Ihren Ideen.<br />
Nicht immer ist der Fragende am Wunsch seines<br />
Gegenübers interessiert. In Wien schaut einen der<br />
„Herr Ober“ schon mal herablassend an und quittiert<br />
die Bestellung mit einem „Hätte ich auch gern,<br />
haben tun wir’s aber net.“<br />
Auf dem Wiener Platz fragen sich viele Mülheimer*innen,<br />
was sich die Bauherren gewünscht<br />
haben. Und was sich Architekten bei der Umsetzung<br />
gedacht haben. In der Mülheimia #2 vom<br />
März <strong>2019</strong> haben wir den Architekten Stephan<br />
Schmitz gefragt, der den Platz gestaltet hat. Er<br />
äußerte sich unzufrieden mit der Umsetzung seines<br />
Entwurfs, der immer noch nicht vollendet sei.<br />
Seien Sie Teil davon, tragen Sie die<br />
Botschaft weiter und unterstützen<br />
Sie mit dem Kauf unserer T-Shirts<br />
und Taschen die Aktionen für einen<br />
lebenswerten Wiener Platz.<br />
Vor allem zwei Aspekte hebt er hervor: Zum Einen<br />
vermisst er den geplanten festen Gastropavillon.<br />
Das „Bier“-Zelt sei als vorübergehend gedacht<br />
worden und letztlich als Dauerlösung unzulässig.<br />
Zum Anderen fehlen zum Clevischer Ring zwei<br />
Türme, die noch immer nicht gebaut seien. Die<br />
Sockel und die Versorgungsleitungen für die Türme<br />
sind bereits da. Diese mit vier Geschossen geplanten<br />
Türme seien ohnehin nur die „kleine Lösung“<br />
im Vergleich zum ursprünglich gedachten Torhaus.<br />
Das Torhaus sollte in optischer Verlängerung der<br />
Träger der Mülheimer Brücke entstehen und eine<br />
Achse zwischen Brücke, Platz und Frankfurter<br />
Strasse bilden.<br />
Grundlage für unseren Ideenwettbewerb war eine<br />
Doppelseite in der letzten Printausgabe mit dem<br />
Originalentwurf des Architekten mit Türmen und<br />
Pavillon. Diese konnten Sie nutzen, um ihre Ideen<br />
einzuzeichnen und ergänzend einen Fragebogen<br />
ausfüllen mit folgenden Leitfragen:<br />
• Was kann auf dem Wiener Platz geschehen?<br />
• Was soll mit der roten 2020 geschehen?<br />
• Wer sollte in die Türme ziehen?<br />
• Was sollte in den Pavillon?<br />
• Was sollte in den angeschlossenen Kiosk?<br />
Wir haben zahlreiche Zuschriften, ausgefüllte<br />
Fragebögen, handgezeichnete Entwürfe, Konzeptpräsentationen<br />
und fundierte Stellungnahmen von<br />
Ihnen erhalten. Gemeinsam haben die Einreichungen<br />
das Zielbild von einem ansprechenderen Ort,<br />
der einer vielfältigen Stadtteilgesellschaft Aufenthalts-<br />
und Begegnungsqualität bietet.<br />
Ein Leser wies darauf hin, dass unser Ideenwettbewerb<br />
zu eng am Originalentwurf des Architekten<br />
orientiert sei, der mittlerweile fast 30 Jahre alt und<br />
eigentlich nicht mehr zeitgemäß sei. Zudem sei<br />
weder im Entwurf noch in unserem Wettbewerb<br />
die Eigenschaft des Platzes als Verbindung zwischen<br />
diesseits und jenseits des Clevischen Rings<br />
erkennbar. An unserem Küchentisch entzündete<br />
sich ob der Vorschläge eine hitzige Diskussion, ob<br />
die Gentrifizierungsgefahr hinnehmbar sei, um<br />
Verwahrlosung und Verödung des Platzes entgegenzuwirken.<br />
(„Streitet ihr, Papa?“)<br />
Sowohl der Platz als auch der Wettbewerb bieten<br />
anregende/anstrengende Perspektiven. Dass dies<br />
nicht nur Gedankenspiel bleiben muss, zeigt der<br />
wachgeküsste Ebertplatz. Teilhabe und Initiative<br />
lohnen sich. Hintergründe zum wiedererwachten<br />
Ebertplatz lesen Sie in der nächsten Ausgabe. Die<br />
Ideenwerkstatt mit den eingereichten und neuen<br />
Vorschlägen finden Sie am 8. September zum Mülheimer<br />
Tag. Auf dem Wiener Platz: Was hätten’s<br />
denn gern? Ernsthaft!<br />
Onlineshop-Link:<br />
qrco.de/bbDzks<br />
Ein Spielplatz im Zentrum des Platzes könne Familien<br />
anziehen, ein Bouleplatz und ein Kugelverleih<br />
im Pavillonkiosk nach französischem Vorbild<br />
Anlaufpunkt für Jung und Alt aus dem Veedel sein.<br />
Der Pavillon benötige ein gastronomisches Konzept,<br />
dass gute Küche mit bezahlbaren Preisen und<br />
Strahlkraft über den Stadtteil hinaus verbindet. Die<br />
Türme könnten Studentenwohnheim sein, Museum<br />
mit touristischer Ausrichtung, Anlaufstelle für<br />
Obdachlose oder Coworking Spaces.<br />
Machen Sie mit bei<br />
der Ideen-Werkstatt<br />
am 8. September <strong>2019</strong><br />
zum Mülheimer Tag!
5 <strong>#3</strong> September <strong>2019</strong> Mülheimia Quarterly Stadt. Kultur. Soziales<br />
Werkstattgespräche im Kulturbunker<br />
Reden ist Gold!<br />
llustration von Eva Rusch unter<br />
Verwendung eines Fotos von<br />
Dan Budnik mit James Baldwin<br />
in der Mitte (Aktueller Film<br />
„I Am Not Your Negro“) .<br />
Gesprächsrunde im Café KUBUS<br />
mit der Journalistin Sefa Suvak<br />
und Gästen.<br />
von Kenan Zöngör<br />
Illustration: Eva Rusch<br />
Miteinander Reden ist unschätzbar.<br />
Das Mülheimer Heimatministerium<br />
alias der Kulturbunker lädt Nachbar*innen<br />
und Freund*innen zu<br />
Werkstattgesprächen. Wir erinnern<br />
uns: (siehe Mülheimia #2 <strong>2019</strong>) der<br />
Kulturbunker Mülheim wandelte sich<br />
zum Mülheimer Heimatministerium<br />
(MülHeiMin).<br />
Von 2018 bis 2020 wurden und<br />
werden im MülHeiMin Kunst und<br />
Kultur in den Dienst der Vielfalt der<br />
Heimaten im Stadtteil gestellt. Mit<br />
eigenen Projekten und ausgewähltem<br />
Programm können Mülheimer*innen<br />
Heimaten erleben, eigene Ideen<br />
einbringen und mitgestalten.<br />
Eine wichtige Veranstaltungsreihe<br />
des MülHeiMin sind die Werkstattgespräche.<br />
Die Journalistin Sefa Suvak<br />
moderiert die Gespräche, an denen<br />
sich alle Mülheimer*innen beteiligen<br />
können.<br />
Das Café Kubus des Kulturbunker<br />
Mülheim ist der Ort, an dem die<br />
Gespräche stattfinden. Hier soll ein<br />
Raum etabliert werden, in dem Nachbarn,<br />
Freund*innen, Gäste, Immis<br />
und Durchreisende ins Gespräch<br />
kommen und im Gespräch bleiben.<br />
Bislang haben zwei Werkstattgespräche<br />
stattgefunden. Im ersten<br />
Gespräch hat eine Kölnerin von ihrer<br />
Einwanderung aus der Türkei erzählt.<br />
Die Teilnehmer*innen hatten die<br />
Gelegenheit, den papiernen Begriff<br />
„Migrationshintergrund“ mit einer<br />
lebendigen Biografie abzugleichen<br />
und Fragen zu stellen und mit einem<br />
Experten zu Migration im Stadtteil<br />
zu diskutieren. Im zweiten Gespräch<br />
konnten sich die Mülheimer*innen<br />
mit engagierten Privatleuten und<br />
Vereinsmitgliedern zum Heimatbegriff<br />
austauschen.<br />
Das nächste Werkstattgespräch<br />
findet am 26. September statt.<br />
Thema ist die „kleine Schwester der<br />
Heimat“: Nachbarschaft. Besonders<br />
in Köln gilt die unmittelbare<br />
Nachbarschaft, das „Veedel“ als<br />
identitätsstiftend. Daher möchten<br />
die Projektleiterin MülHeiMin Eva<br />
Liedjens und Sevgi Demirkaya vom<br />
Kulturbunker zum Gespräch einladen<br />
und Fragen stellen:<br />
Was bedeuten uns Nachbarn und<br />
Nachbarschaft? Wie ändert sich<br />
unsere Nachbarschaft? Wie gehen wir<br />
mit alten und neuen Nachbarn um?<br />
Die Beiden sind überzeugt, dass<br />
Miteinanderreden nicht nur Spaß<br />
macht und neue Erkenntnisse bringt.<br />
In erster Linie wird es nach anregenden<br />
Gesprächen richtig schwer, sich<br />
misszuverstehen.<br />
Für weitere Informationen:<br />
www.kulturbunker-heimat.de<br />
oder www.kulturbunkermuelheim.de<br />
Für Themenvorschläge und<br />
Anregungen:<br />
info@kulturbunker-heimat.de<br />
Oder einfach hingehen und mitreden.<br />
• Donnerstag, 26. September <strong>2019</strong><br />
ab 19 Uhr<br />
• Donnerstag, 12. Dezember <strong>2019</strong><br />
ab 19 Uhr »<br />
> www.muelheimia.koeln/<br />
redenistgold
Mülheimia Quarterly<br />
Stadt. Kultur. Soziales<br />
<strong>#3</strong> September <strong>2019</strong> 6<br />
Auf der Suche nach Antworten<br />
Why Trump?<br />
Blick auf Chicago.<br />
von Tim Luecke und Sonja Niemeier<br />
Fotos: Sonja Niemeier<br />
Erst haben wir alle gelacht. Und dann<br />
ist uns das Lachen ordentlich im Hals<br />
stecken geblieben. Am 8. November<br />
2016 wurde Donald Trump, der Herr<br />
mit dem orangenen Gesicht und der<br />
schauerlichen Frisur, zum Präsidenten<br />
der Vereinigten Staaten von Amerika<br />
gewählt. Keine Umfrage, kein Experte,<br />
keine der renommierten Medien<br />
hatte das vorhergesagt. Wie konnte<br />
es passieren, dass jemand, der bisher<br />
nur als Immobilien Tycoon und<br />
Game Show Host bekannt war, zum<br />
mächtigsten Mann der Welt gewählt<br />
wurde? Kurzum, Why Trump?<br />
Die vordergründig offensichtliche Antwort<br />
ist, dass die Menschen in den USA frustriert<br />
sind und Trump aus Protest gewählt haben.<br />
Dann stellt sich aber die Frage, frustriert<br />
worüber? Wogegen wollten so viele der amerikanischen<br />
Wähler protestieren?<br />
Um diesen Fragen auf den Grund zu gehen,<br />
haben die Fotografin Sonja Niemeier und<br />
ich uns im Sommer 2018 in einen Flieger<br />
gesetzt, sind nach Amerika geflogen und<br />
haben dort zwei Monate lang Amerikanerinnen<br />
und Amerikaner interviewt. Wir sind<br />
10.000 Kilometer von der Ost- zur Westküste<br />
gefahren, haben mehr als 40 Interviews von<br />
durchschnittlich einer Stunde gemacht, und<br />
Sonja hat zirka 50.000 Fotos geschossen.<br />
Unser Plan ist es, diese Interviews und Fotos<br />
in einem Buch zu veröffentlichen, vor der<br />
nächsten Wahl in den USA im Herbst 2020.<br />
Nun stellt sich die Frage für den aufmerksamen<br />
Leser wie dich: „Was geht mich das an<br />
als Mülheimer?“ Eine ganze Menge, wie wir<br />
glauben. Die Wahl von Donald Trump ist ein<br />
extremes Beispiel für einen Trend, der seit<br />
einigen Jahren zu beobachten ist, und zwar<br />
nicht nur in den USA, sondern in der gesamten<br />
westlichen Welt. Brexit, die Gelbwesten<br />
Bewegung in Frankreich, der Aufstieg von<br />
Rechtspopulisten in den Niederlanden; in<br />
allen westlichen Demokratien gibt es seit<br />
einigen Jahren starke Protestbewegungen<br />
und Parteien, die den etablierten Volksparteien<br />
das Leben schwer machen.<br />
Stellt dieser Trend eine Bedrohung dar für<br />
die Demokratie? Nicht unbedingt. So lange<br />
sich diese Bewegungen und Parteien an die<br />
demokratischen Regeln halten, die Gesetze<br />
einhalten, nicht zur Gewalt als Mittel<br />
greifen, ist die Demokratie als solche nicht<br />
in Gefahr. Aber wir wissen alle, dass dies<br />
nicht unbedingt der Fall ist und das viele<br />
dieser Bewegungen und Parteien mehr oder<br />
weniger offen gegen unsere demokratische<br />
Ordnung und Prinzipien ins Feld ziehen.<br />
Es gibt eindeutig Elemente, zum Beispiel<br />
innerhalb der AfD, die rechtsextreme Ideen<br />
verfolgen und auch versuchen, diese tatkräftig<br />
umzusetzen. Warum, stellt sich nun<br />
die Frage, sollte man mit Leuten reden, die<br />
einen Trump oder eine AfD wählen? Weil<br />
wir es schaffen müssen, die Menschen, die<br />
solche Parteien aus Frust über bestehende<br />
Verhältnisse wählen, und nicht unbedingt,<br />
weil sie rechtsradikal oder frauenfeindlich<br />
sind, aus dem Einfluss dieser extremen und<br />
demokratiefeindlichen Elemente zu befreien.<br />
Und dazu müssen wir ihnen zuhören, sie<br />
nicht einfach ignorieren oder verteufeln,<br />
sondern versuchen sie zu verstehen. Oder<br />
wir machen es wie der Stern vor kurzem auf<br />
seiner Titelseite, auf der er Donald Trump<br />
in Hitler Pose mit amerikanischer Flagge<br />
und dem Titel „Sein Kampf“ abgebildet hat.<br />
Dann können wir diese Leute abschreiben<br />
und die Demokratie gleich mit. Wir haben<br />
versucht die Sache anders anzugehen als<br />
der Stern und das Resultat ist in vielerlei<br />
Hinsicht überraschend positiv. Mehr dazu<br />
findet ihr in unserem Buch und auf unserer<br />
Webseite. www.why-trump.com.»<br />
>www.muelheimia.koeln/whytrump<br />
Plakat mit der<br />
Aufschrift: „We are<br />
a better people than<br />
this presidency. We<br />
are a better country<br />
than this presidency.<br />
Do not let this<br />
presidency define<br />
America.“
7 #2 Mai <strong>2019</strong> Mülheimia Quarterly Stadt. Kultur. Soziales<br />
Klimaschutz in Köln-Mülheim<br />
Gutes Klima im Veedel<br />
von Eva Rusch<br />
Fotos und Illustrationen: Eva Rusch<br />
Klimawandel, Klimakrise. Wir sind mittendrin. Doch auch<br />
in unserem Veedel kann etwas getan werden – von jedem<br />
Einzelnen. Das Phänomen des Schmetterlingseffekts ist Vorbild<br />
(siehe Cover). Aber machen wir uns nichts vor. Das sind<br />
Verbesserungen im lokalen Klima, aber keine Lösung um die<br />
drohende 5 Grad Erderwärmung abzuwenden. Ein gesamtgesellschaftliches<br />
Umdenken und globale Zusammenarbeit<br />
sind notwendig.<br />
Wir haben für Sie auf den folgenden Seiten das Thema auf unser Veedel<br />
runtergebrochen und Handlungsmöglichkeiten aufgezeigt. Was kann<br />
lokale Politik erreichen für Mülheim? Dieser Frage sind wir nachgegangen<br />
in unseren Interviews. Initiativen aus dem Stadtteil und städtische<br />
Förderprogramme werden vorgestellt und C02-Tipps gegeben.<br />
Es gibt gerade auch in Mülheim viele verantwortungsvolle und engagierte<br />
Menschen, die sich um ihr Umfeld sorgen und aktiv sind. Leider konnten<br />
wir in unseren Politkerinterviews „Klimanotstand in Mülheim“ nicht alle<br />
Parteien abbilden. Hervorheben möchte ich daher wenigstens an dieser<br />
Stelle den Einsatz der DIE LINKE, der Piratenpartei und der DKP in der<br />
„Initiative Frische Luft“.<br />
Alle sind sie fleißige Bienen wie diese Wildbiene. Die Deutsche Wildtier<br />
Stiftung ist in den drei größten Städten Deutschlands aktiv mit ihren<br />
Wildbienenprojekten. In der viertgrößten Stadt, also Köln, gibt es noch<br />
keines. Wir sollten sie zu uns einladen, auch in Köln tätig zu werden:<br />
www.wildbiene.org. (Diese Website liefert zudem Tipps für den eigenen<br />
Garten.)<br />
> www.muelheimia.koeln/gutesklimaimveedel
Mülheimia Quarterly<br />
Stadt. Kultur. Soziales<br />
<strong>#3</strong> September <strong>2019</strong> 8<br />
Lokale Politiker antworten<br />
Klimanotstand<br />
in Mülheim<br />
Radikales Umdenken erforderlich<br />
Gespräch mit Winfried Seldschopf, Max Christian Derichsweiler und Christoph Rückert und Mitglieder der Bezirksvertretung und<br />
des Ortsverbandes Mülheim von BÜNDNDIS 90/DIE GRÜNEN<br />
Die Stadt Köln hat den Klimanotstand ausgerufen. Was bedeutet dies<br />
runtergebrochen auf den Stadtbezirk bzw. Stadtteil Mülheim?<br />
aufgelegt: GRÜN hoch 3, Klima-Schritte, Smart City Cologne GO.<br />
Was haltet ihr von der Wirksamkeit solcher Fördermaßnahmen?<br />
Wir hoffen natürlich, dass dadurch ein allgemeines Umdenken stattfindet.<br />
Dass jetzt endlich Klimapolitik oberste Priorität hat. Dass Klimaschutz endlich<br />
die Nummer Eins ist in allen Angelegenheiten, die die Stadt betreffen, wie beispielsweise<br />
die Stadtentwicklung, und nicht so oft, wenn es zum Beispiel um<br />
irgendwelche Begrünungsfragen geht, nur dort abgetan wird, sondern dass die<br />
Stadt jetzt endlich zum Handeln gezwungen wird. Eine Bewusstseinsänderung<br />
in der Verwaltung ist Pflicht ebenso wie natürlich auch in der Bevölkerung.<br />
Die Grünen haben bei den letzten Europawahlen sehr gut abgeschnitten.<br />
Im Bezirk Mülheim mit über 33 %. Das macht selbstbewußt. Was versprecht<br />
Ihr euch für den Bezirk Mülheim um das „ureigenste“ Grünen-Thema<br />
Nachhaltigkeit weiter nach vorne zu bringen?<br />
Das Wahlergebnis bei der Europawahl in Mülheim war ganz großartig und<br />
zeigt, wieviele Menschen in Europa und hier für Klimaschutz kämpfen.<br />
Gleichzeitig sind an uns dadurch auch hohe Erwartungen gesetzt. Dem wollen<br />
wir natürlich Rechnung tragen. Wir wünschen uns bei den nächsten Kommunalwahlen<br />
gestärkt durch eine gutes Wahlergebnis, Nachhaltigkeit und<br />
Klimapolitik auch durchsetzen zu können. So gut das Europawahlergebnis<br />
auch ist, de facto hat sich dadurch in der Bezirksvertretung noch nichts<br />
verändert. Die Verkehrswende ist ein entscheidender Teil für den Klimaschutz.<br />
Nur wenn die Verkehrswende stattfindet und zwar nicht nur auf lokaler Ebene,<br />
sondern auf allen Ebenen von Bund und Land unterstützt wird, können<br />
überhaupt Alternativen zum motorisierten Verkehr geschaffen werden. Dann<br />
sind die Menschen auch bereit, zu sagen, „ich fahre halt nicht mit dem Auto<br />
zum Bäcker, sondern ich fahre mit dem Fahrrad, weil ich weiß, die Radwege<br />
sind prima, ich komme da gut hin. Ich fahre nicht mit dem Auto, weil ich weiß,<br />
ich habe eine gute Bahnanbindung und kann die KVB nutzen mit einem guten<br />
engen Takt.“ Wenn diese Möglichkeiten geschaffen werden, sind die Menschen<br />
bereit, umzusteigen. Diese Wende muss man deutlicher vorantreiben, hier<br />
fehlt noch einiges.<br />
Das Umwelt- und Verbraucherschutzamt der Stadt Köln sowie die<br />
Koordinationsstelle Klimaschutz der Stadt Köln haben einige Fördertöpfe<br />
Die Stadt hat eine Vorreiterrolle. Wir haben in der Bezirksvertretung einen<br />
Antrag eingebracht, Klimaschutz lokal zu begegnen. Wir sagen, die<br />
Fördertöpfe sind sinnvoll. Alle Maßnahmen sind sinnvoll, die zum Klimaschutz<br />
beitragen und sich ergänzen. Die Stadt ist aber in einer eigenen<br />
Pflichtposition, selber Vorreiter zu sein. Wenn es zum Beispiel um<br />
Baumpflanzungen bei Straßen geht. Gerade was die letzte Hitzewelle<br />
betrifft, hat sich gezeigt, dass eine stärkere Bepflanzung mit Bäumen an<br />
Straßen die Hitze reduziert und einen Beitrag zum Klimaschutz leistet.<br />
Dachbegrünungen von öffentlichen Gebäuden oder auch Fassaden sind<br />
sehr sinnvolle Maßnahmen, die die Stadt durchführen könnte um zu<br />
zeigen, wir sind mutig, wir setzen die Projekte um und prüfen nicht<br />
erst mal alles zehn Jahre lang kaputt, sondern machen etwas aktiv und<br />
jetzt, nicht erst übermorgen.<br />
Wenn ihr sofort den Hebel umlegen könntet: Welche Maßnahmen seht ihr<br />
für Mülheim absolut dringend notwendig an?<br />
Das erste wäre, den Clevischen Ring umzubauen. Wir fordern seit acht Jahren,<br />
dass es eine Busspur gibt. Zwischenzeitlich haben wir die anderen Parteien<br />
davon überzeugt, aber nur soweit es um die Erteilung eines Prüfauftrags<br />
geht. Wir wollen den Clevischen Ring umbauen, um die Schadstoffbelastung<br />
zu senken. Für eine Busspur muss man dem Autoverkehr eine Spur entziehen.<br />
Durch die jetzigen Umbaumaßnahmen der Brücke haben wir das sowieso.<br />
Man sieht also, dass das geht. Dann ganz wichtig, wir wollen nicht mehr, dass<br />
LKWs durch Mülheim durchfahren, weil das der günstigste Weg ist, weil z. B.<br />
die Autobahn gesperrt ist. Wir wollen auch keinen LKW-Verkehr im bisherigen<br />
Maße auf der Mülheimer Brücke haben. Der Niehler Hafen wird zum Teil über<br />
den Weg über die Brücke abgewickelt. Das kann nicht sein. Das muss geändert<br />
werden. Das geht auch anders. Ein LKW-Durchfahrtsverbot ist Konsens,<br />
funktioniert aber wahrscheinlich nicht und ist kaum zu kontrollieren. Es wäre<br />
aber wichtig, die LKWs dauerhaft aus Mülheim raus zu kriegen und nicht nur<br />
solange die Brücke umgebaut wird. »<br />
> www.muelheimia.koeln.de/klimagruene
9 <strong>#3</strong> September <strong>2019</strong> Mülheimia Quarterly Stadt. Kultur. Soziales<br />
Das Recht auf saubere Luft<br />
Gespräch mit Dr. Tobias Jacquemain, Vorsitzender der SPD Mülheim/Buchforst<br />
AKTUELLE FEINSTAUBSTÄNDE AN DER MESSSTATION CLEVISCHER RING<br />
www.lanuv.nrw.de/umwelt/luft/immissionen/aktuelle-luftqualitaet/<br />
Welche umweltpolitischen Forderungen sehen<br />
Sie für den Stadtteil und den Bezirk Mülheim am<br />
dringlichsten an?<br />
Der Clevische Ring mit der Stickoxid- und<br />
Feinstaubbelastung steht im Vordergrund. Herr<br />
Lauterbach als Arzt und Gesundheitspolitiker<br />
hat zu den Auswirkungen dieser Belastungen auf<br />
die Bevölkerung regelmäßig Veranstaltungen in<br />
Mülheim gemacht. Dies ist leider noch nicht in<br />
breiteren Kreisen der Bevölkerung angekommen.<br />
Das wird vielleicht noch dauern. Zukünftig wird<br />
man aber neben dem Wetterbericht auch informiert<br />
sein wollen, wie die aktuellen Feinstaub- und<br />
Stickoxidwerte sind. Es wird in der Bevölkerung ein<br />
hohes Bewusstsein entstanden sein, wie hoch die<br />
Gesundheitsgefährdung durch diese Schadstoffe<br />
für die Menschen ist.<br />
Was halten Sie von Sanktionen wie zum Beispiel<br />
Fahrverbote?<br />
Es wird viel über Fahrverbote für Dieselkraftfahrzeuge<br />
geredet. Dies sehe ich als Sozialdemokrat<br />
skeptisch, weil ich die Dieselbesitzer auf diesem<br />
Wege nicht enteignen will. Wenn man die Dieselautos<br />
durch Normalbenziner ersetzt, bleibt<br />
der Fahrverkehr genau derselbe. Zwar sinken die<br />
Stickoxidwerte, aber die Feinstäube steigen sogar.<br />
Die Gesundheitsgefahr wäre also nicht beseitigt.<br />
Jürgen Fenske der KVB. Wir haben damals schon<br />
darauf hingewiesen, dass Mülheim gerade wegen<br />
dieser starken Belastung, die neue angeschafften<br />
E-Busse mit Abstand am meisten verdient hat.<br />
Stattdessen lässt die KVB diese Busse jetzt durch<br />
die Südstadt, Bayenthal und Zollstock fahren.<br />
Wie schätzen Sie die diskutierte Straßenbahnlinie<br />
von Deutz über Mülheim nach Opladen ein?<br />
Eine neue Fahrbahnlinie von Deutz bis Opladen<br />
für die KVB ist Ambition. Neue E-Buslinien ließen<br />
sich schneller umsetzen. Da fehlt es leider am<br />
politischen Geschäftswillen, diese nach Mülheim<br />
zu lotsen. Genau wie die Busspur auf dem Clevischen<br />
Ring. Das wäre eine einfach umsetzbare<br />
Maßnahme.<br />
Welche Maßnahmen zur alternativen<br />
Energiegewinnung kann die Stadt umsetzen?<br />
Einfach umsetzbar, wie ich im Gespräch mit dem<br />
Umweltdezernenten letzte Woche diskutiert habe,<br />
wäre es, die städtischen Immobilien, wie zum<br />
Beispiel Schulen und Kindergärten mit Photovoltaik<br />
auszurüsten, um damit zumindest für den<br />
Eigenbetrieb sauberen Strom zu produzieren. Eine<br />
charmante Idee, wie ich dem Dezernenten Harald<br />
Rau, auch wenn er einer anderen Partei angehört,<br />
zustimmen muss.<br />
Feinstaub, die Zusammenhänge zwischen Umweltschutz<br />
und Gesundheitspolitik aufgezeigt und<br />
damit auch die Frage nach sozialer Gerechtigkeit<br />
gestellt. Es kommt nicht von ungefähr, dass in<br />
einem Stadtteil wie Mülheim die Werte so hoch<br />
sind und nicht in Müngersdorf oder Junkersdorf,<br />
dass der Verkehr gerade hier durchgelotst wird. Die<br />
Sanierung der Leverkusener Autobahnbrücke ist<br />
zugegebenermaßen ein ungünstiger Umstand, der<br />
nicht in die kommunale Verantwortung fällt.<br />
Haben Sie noch ein weiteres Klimaschutz-<br />
Thema, dass Ihnen wichtig ist?<br />
Der Rhein und Schifffahrtsverkehr liegen mir<br />
noch am Herzen. Schönes Wohnen am Strom und<br />
nahe bei den Schiffen war in meiner Kindheit eine<br />
Assoziation, mittlerweile und mit erwachsenem<br />
Blick hat sich das geändert. Man sieht den Rhein als<br />
den Verkehrsweg mit den größten Dreckschleudern.<br />
Schifffahrtsdiesel ist der ungereinigte Diesel, der<br />
ohne jeglichen Katalysator verbrannt wird und bei<br />
aller Attraktivität, die das Bild, wohnen am Rhein<br />
schafft, ist das geprägt von den höchsten Immissionen.<br />
Das ist nicht ohne. »<br />
> www.muelheimia.koeln/klimaspd<br />
Welche Ideen haben Sie für einen Ausbau des<br />
ÖPNV?<br />
Was ist die besondere Position der SPD in<br />
Mülheim zum Klima- und Umweltschutz?<br />
Wir fordern seit langem eine Busspur auf dem<br />
Clevischen Ring. 2017 war ich persönlich mit<br />
Karl Lauterbach bei bei dem Vorstandsvorsitzenden<br />
Wir haben mit unserem Engagement, insbesondere<br />
mit Herrn Lauterbachs Expertise zum Thema<br />
Städtische Förderprogramme<br />
GRÜN hoch 3<br />
Mit dem bis 2023 angelegten Projekt<br />
wird die Begrünung von Dach-,<br />
Fassaden- und Hofflächen gefördert.<br />
Hier sind die Hauseigentümer*innen<br />
gefragt. Gefördert wird in<br />
Quartieren, die eine hohe bauliche<br />
Dichte aufweisen, so auch in Teilen<br />
Mülheims. 50 % der Kosten für<br />
die Maßnahme (etwa Rankhilfen,<br />
Pflanzen, Entsiegelungen) werden<br />
bezuschusst, maximal 20.000 Euro<br />
pro Projekt und Jahr.<br />
Alle Infos hier: https://www.<br />
stadt-koeln.de/service/ produkte/20148/index.html<br />
E-Mail: gruenhoch3@stadt-koeln.de<br />
Klima-Schritte<br />
Bei diesem Förderprogramm können<br />
ehrenamtliche Vereine und Initiativen,<br />
Bildungseinrichtungen,<br />
religiöse Einrichtungen Anträge<br />
auf Zuschüsse bis max. 5.000 Euro<br />
stellen. Gefördert werden Projekte<br />
für klimafreundliches Verhalten,<br />
etwa durch Aktivierung der Nachbarschaft,<br />
Öffentlichkeitsarbeit,<br />
Mitmach-Aktionen oder auch Wettbewerbe.<br />
Alle Infos hier: https://<br />
www. stadt-koeln.de/klimaschritte,<br />
E-Mail an klimaschritte@stadt-koeln.de<br />
SmartCity Cologne GO<br />
Innovationen und Ideen von Startups<br />
und kleineren Firmen, Freiberuflern<br />
u. ä. gesucht! Denn die sind<br />
oftmals beweglicher als größere<br />
Konzerne. Aber auch Verbände,<br />
Schulen oder Kinder-und Jugendhilfeeinrichtungen<br />
können sich<br />
beteiligen. Gefragt sind alternative<br />
Mobilitätskonzepte, Förderung von<br />
nachhaltigem Verhalten, Vernetzung<br />
und Mitmachprojekte, Workshops,<br />
smarte Lösungen für ältere<br />
Menschen. Beigesteuert werden bis<br />
zu 80 % der Projektkosten. Diese<br />
dürfen bis zu 12.500 Euro betragen.<br />
Alle Infos hier: https://www.<br />
stadt-koeln.de/smartcitycolognego,<br />
E-Mail: smartcitycolognego@<br />
stadt-koeln.de<br />
Starke Veedel – Starkes<br />
Köln, Büro Mülheim<br />
Verfügungsfonds<br />
Der Fonds steht bereit für Projekte<br />
zur Förderung der Nachbarschaft.<br />
Dazu zählen auch Urban Gardening<br />
Projekte. Kontakt: quartiersmanagement@csh.de.<br />
Infos unter<br />
www.starke-veedel.koeln<br />
Grüne Infrastruktur Köln<br />
Die Gartenlabore wollen neue<br />
Formen des Gärtnerns zur Selbstversorgung<br />
unter Aspekten der<br />
gesunden Ernährung und der Umweltbildung<br />
entwickeln. Das Projekt<br />
zeichnet sich durch seinen sozialen<br />
Charakter aus und soll vor allen<br />
Dingen Anwohner*innen aus den<br />
angrenzenden Quartieren<br />
ansprechen. Nach den Erfahrungen<br />
aus der Initialphase in <strong>2019</strong> soll dort<br />
ein dauerhaftes Angebot für Gärtnern<br />
in der Stadt entstehen. Weitere<br />
Infos: https://www.stadt-koeln.<br />
de/leben-in-koeln/freizeit-natur-sport/veranstaltungskalender/<br />
gartenlabor-olpener-strasse
Mülheimia Quarterly<br />
Stadt. Kultur. Soziales<br />
<strong>#3</strong> September <strong>2019</strong> 10<br />
Initiativen, Bürgerschaftliches Engagement<br />
Initiative Frische Luft<br />
… wird von verschiedenen Organisationen<br />
im Stadtteil sowie Parteien (DIE<br />
LINKE, DKP, PIRATEN) unterstützt<br />
und setzt sich z. B. mit fantasievollen<br />
Protestaktionen für frische Luft für<br />
die Menschen in Köln-Mülheim ein<br />
– statt unerträglicher Verkehrsbelastung,<br />
Lärm und Feinstaub. www.<br />
frischeluftmuelheim.wordpress.com<br />
Initiative für ein<br />
lebenswertes Mülheim<br />
… sammelt Ideen und Forderungen<br />
der Bürger*innen für ein lebenswertes<br />
Mülheim und übergibt<br />
diese gebündelt als „Masterplan für<br />
Mülheim“ der Verwaltung, Politik<br />
und Öffentlichkeit. Mit dabei sind<br />
die unterschiedlichsten Initiativen,<br />
Aktivist*innen und Interessenvertreter*innen.<br />
Initiative „Hallo Nachbar,<br />
Danke schön“<br />
… ist eine städtische Initiative des<br />
Umwelt- und Verbraucherschutzamtes<br />
und baut auf das Engagement des<br />
Einzelnen in und für die Nachbarschaft.<br />
Die integrierte Umweltpädagogik<br />
aktiviert Kinder und<br />
Jugendliche – und so werden auch<br />
die Eltern mitgenommen.<br />
www.hallonachbar.koeln<br />
K:R:A:K:E<br />
Die „Kölner Rhein-Aufräum-Kommando-Einheit“<br />
veranstaltet Müllsammelaktionen<br />
am Rhein, an Seen,<br />
in Parks und Wäldern, immer mit<br />
dem Ziel den von Menschen verursachten<br />
Schaden zu begrenzen, Tiere<br />
und Pflanzen zu schützen und das<br />
Stadtbild zu verschönern.<br />
Baumpatenschaften –<br />
Dein Freund, der Baum<br />
Schon 111 Kölner*innen haben <strong>2019</strong><br />
eine neue Baum- bzw. Grünflächenpatenschaft<br />
in der Stadt übernommen.<br />
Besonders gelungen sind die<br />
Schmuckbeete der drei neuen Pat*innen<br />
auf der Düsseldorfer Straße 77-85<br />
oder in der Deutz-Mülheimer Straße<br />
183a. Insgesamt sind im Stadtgebiet<br />
über 1 400 Pat*innen für Baumscheiben<br />
und Grünflächen ehrenamtlich<br />
aktiv. Wer auch ein Stück Natur sucht<br />
und mit dessen Pflege dem Stadtklima<br />
helfen will, findet Infos unter<br />
https://www.stadt-koeln.de/artikel/05239/index.html<br />
Urban Gardening<br />
Prominentes leuchtendes Beispiel ist<br />
der „Carlsgarten“ am Schauspielhaus.<br />
Urban Gardening auch bei der<br />
Jugendhilfe gGbmH in der Berliner<br />
Straße und der Evangelische<br />
Kirchengemeinde im Peter-Baier-Haus.<br />
Das Amt für Landschaftspflege<br />
und Grünflächen ist bemüht,<br />
geeignete Flächen für Aktivitäten<br />
zu finden (gruenflaechenamt@<br />
stadt-koeln.de)<br />
Gartenglück Buchheim<br />
Der Gemeinschaftsgarten „Kölngartenglück“<br />
in Buchheim ist ein großer,<br />
bunter Bio-Gemüsegarten, der unterteilt<br />
ist in viele jeweils gleichgroße<br />
Parzellen. Hier hat jede/r die Möglichkeit,<br />
einmal selbst einen Sommer<br />
lang Gärtner*in zu sein. Mitte<br />
Mai kann eine solche (bereits fertig<br />
bepflanzte!) Parzelle gegen einen<br />
einmalig zu zahlenden Saisonbeitrag<br />
übernommen werden, um eine bunte<br />
Gemüsevielfalt zu ernten.<br />
www.gartenglueck.de<br />
Gespräch mit Dr. Rolf Albach, FDP<br />
Die Menschen müssen mitgenommen werden<br />
Sie sind von Hause aus Chemiker bei einem<br />
großen Chemiekonzern und zugleich Umweltpolitiker.<br />
Passt das zusammen?<br />
Ich bin seit über 20 Jahren Klimaschutzbeauftragter<br />
der FDP Köln und in der Umweltpolitik z. B. bei<br />
KölnAgenda e. V. aktiv. Als Chemiker befasse ich<br />
mich in meinem Labor in Flittard mit Recycling<br />
von Stoffen aber auch mit Rohstoffen aus der Natur<br />
wie zum Beispiel landwirtschaftlichen Abfällen.<br />
Hauptthema und-problem ist die Sauberkeit, die<br />
Sortenreinheit. Seit es superschnelle Computer in<br />
der Sortiertechnologie gibt, kann Chemie Recycling<br />
wirklich in Schwung bringen, europäischen<br />
Müll im Ozean zu verhindern. Wir alle können<br />
helfen, wenn wir bei der gelben Tonne an „Qualität<br />
vor Masse“ denken. Mein Bestreben als Naturwissenschaftler<br />
ist es, durch Kreativität und Innovation<br />
Umweltschutz voranzutreiben.<br />
Wie kann Umweltpolitik auf kommunaler Ebene<br />
wirken?<br />
Die heutigen Themen sind nicht neu. Heute wird<br />
Nachhaltigkeit an 17 UNO-Zielen gemessen aber die<br />
„alte“ Definition von Nachhaltigkeit scheint mir<br />
einfacher. Es geht um die Abwägung von sozialer<br />
Verträglichkeit, die Wirtschaftlichkeit und die Umweltverträglichkeit.<br />
Dabei habe ich zwei Regeln:<br />
was man nicht misst und kommuniziert, kann man<br />
nicht verbessern und Führung ist das Gegenteil<br />
von Alleingängen.<br />
Kommunalpolitisch ist „Bauen und Wohnen“ im<br />
Zusammenhang mit Umweltschutz ein wichtiges<br />
Thema. Schaue ich auf die Stegerwald-Siedlung oder<br />
auch auf die GAG so muss ich feststellen, dass die<br />
energetischen Ertüchtigungen mit Mietpreiserhöhungen<br />
einhergingen. Das ist ein soziales Problem.<br />
Ich bin für eine Weiterentwicklung des Wohngeldes,<br />
dass die energetische Sanierungen und damit verbundene<br />
steigende Belastungen für Mieten auffängt<br />
und die Mieter nicht mit Papierkram belastet.<br />
Alle Parteien sind sich einig, dass die neue Mobiität<br />
ein wichtiger Schlüssel zur CO2 Ersparnis ist.<br />
Welche Ideen haben Sie in diesem Themenfeld?<br />
Die Menschen müssen mitgenommen werden.<br />
Fahrverbote finde ich sozial diskriminierend. Auch<br />
„kleine“ Alternativen zum Auto wie Elektro-“Vespas“<br />
(Roller) und die E-Scooter (mit Helm) für kurze<br />
Strecken finde ich prima. Ich werde mir einen<br />
anschaffen, um im Anzug unverschwitzt ins Büro<br />
zu kommen. Mein Vorschlag einer „Fahrradstraße“<br />
aus recyceltem Kunststoff ging durch die Presse.<br />
Wir sollten mehr Experimente in Köln wie dieses<br />
machen. Ebenso eine weitere charmante Idee aus<br />
den Niederlanden ist, die Dächer der Buswartehäuschen<br />
zu bepflanzen. Die Kölner FPD hat die<br />
Eingabe gemacht, KVB-Häuschen zu begrünen. Das<br />
bringt nicht nur Kühlung für das Stadtklima, es ist<br />
auch nahrhaft für die Wildbienen.<br />
Sie mischen als Naturwissenschaftler Ideen<br />
aus Ihrem beruflichen Alltag mit Ihrem politischen<br />
Engagement, gehen kreativ an die Sachen<br />
ran auf der Suche nach machbarem Umweltschutz.<br />
Was halten Sie von den Förderprogrammen<br />
der Stadt Köln wie zum Beispiel „GRÜN hoch<br />
3“ u. ä.?<br />
Dies sind Maßnahmen zur Aktivierung der Bürger*innen.<br />
Ich finde das begrüßenswert. Aber auch<br />
die Stadt selber sollte das sofort umsetzen. Warum<br />
nicht das Parkhaus der Galerie am Wiener Platz als<br />
Pilotprojekt begrünen? Ich frage mich und Sie: Sind<br />
die Anteile, die übernommen werden für Begrünungsmaßnahmen<br />
genug? Sollte man höher rangehen?<br />
Ich brauche Feedback zu dem Programm,<br />
um zu wissen, ob es ausreicht für die Hausbesitzer.<br />
Dann kann ich mich einsetzen.<br />
Wenn die Fördermaßnahme erfolgreich sein<br />
soll, wäre es wichtig die Umsetzung so einfach<br />
wie möglich zu gestalten. Allein eine Internetseite<br />
mit Handwerker*innen, die die Arbeiten<br />
im Veedel realisieren können, würde helfen.<br />
Es fehlt eben oft nicht am Geld, sondern an<br />
den Leuten, die es tun. Das betrifft beispielsweise<br />
Ingenieure, Poliere, aber auch in anderen Wirtschaftszweigen<br />
fehlen Führungskräfte, auch nicht<br />
akademische Vorarbeiter*innen, oder Meister.<br />
Welche Maßnahmen auf Bundes- oder Landesebene<br />
halten Sie für sinnvoll?<br />
Es wäre möglich, sehr viel mehr Hausdächer mit<br />
Solar auszustatten. Dann tuen wir auch etwas für<br />
den Mittelstand vor Ort, für Architekten, Planer<br />
und Handwerker. Das muss vor allem einfacher<br />
werden. Ich bin zudem für das „Emissionshandel“-Prinzip<br />
„Deckel drauf“: eine Betriebsgenehmigung<br />
gibt es nur dann, wenn man im CO2-Rahmen<br />
bleibt - aber man kann kooperieren. Auch CO2<br />
ist Abfall, den Mensch und Natur recyceln kann.<br />
Auch daran arbeite ich im Labor.<br />
Ich arbeite mit dem Umwelt- und Verbraucherschutzamt<br />
in einem Projekt, das auch auf Umweltpädagogik<br />
setzt. Was halten Sie davon?<br />
Umweltbildung ist mir ganz wichtig. Der „Wildpark<br />
Dünnwald“ sollte als Ziel für Schüler*innen<br />
in Mülheim auf dem Schulplan stehen. „Gut<br />
Leidenhausen“, und die „Villa ÖKi“ sind sehr gute<br />
Beispiele wie sich Umweltbildung entwickeln kann,<br />
das hat die FDP auch mit Zusatzstellen im Haushalt<br />
gefördert. Dünnwald als Bildungsstätte entwickeln,<br />
halte ich also für eine gute Idee. Ich werde mich<br />
dafür einsetzen. Der Wald ist wichtig für das Klima.<br />
Das verstehen die Kinder ganz natürlich. »<br />
> www.muelheimia.koeln.de/klimafdp
11 <strong>#3</strong> September <strong>2019</strong> Mülheimia Quarterly Stadt. Kultur. Soziales<br />
Freie Luft für freie<br />
Bürger*innen<br />
Vorfahrt für das Grundrecht auf Gesundheitsschutz<br />
von Celio Limpia<br />
Bei der aktuell bundesweit hohe Wellen schlagenden Auseinandersetzung<br />
über „saubere Luft“ insbesondere frei von Stickstoffdioxid sind Justitias<br />
Waagschalen gut gefüllt. Im Vordergrund des medialen Interesses stehen<br />
meist die Rechte der Eigentümer*innen, Nutzer*innen und Halter*innen<br />
von Dieselfahrzeugen. Deren permanent lärmendes Wehklagen über<br />
mögliche Fahrverbote (die wegen der hohen Werte am Clevischen Ring<br />
besonders in Mülheim drohen) fällt fast schon selbst unter das Bundesimmissionsschutzgesetz!<br />
Zugegeben: Für die Wehklagenden streitet das Grundrecht auf Schutz des<br />
Eigentums aus Art. 14 des Grundgesetzes (GG). Denn wer das Pech hat, in<br />
einer Fahrverbotszone zu wohnen und nicht den neuesten Diesel mindestens<br />
Euro 6 besitzt, kann seinen Pkw nicht mehr bewegen. Auch weniger dramatische<br />
Einschränkungen der Mobilität, etwa durch Streckenfahrverbote, gehen<br />
zu Lasten der ebenfalls durch das Grundgesetz garantierten allgemeinen<br />
Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG). Außerdem sind durch die eingeschränkte<br />
Möglichkeit insbesondere des gewerblichen Kraftfahrzeugverkehrs Eingriffe<br />
in die Berufsfreiheit aus Art. 12 GG denkbar. Nicht zuletzt sichert der Lieferverkehr<br />
die wirtschaftliche Versorgung der Bevölkerung. Hier legen also schon<br />
einige Gewichte in der Waagschale.<br />
Was steht nun dagegen? Ein wirkliches Schwergewicht! Bei der Luftreinhaltung<br />
sind die Folgen für die Gesundheit jedes/r einzelnen Bürger*in zu<br />
berücksichtigen. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG enthält das Grundrecht auf „Leben<br />
und körperliche Unversehrtheit“. Geschützt wird neben dem Leben an sich<br />
die Gesundheit im umfassenden Sinn. Dieses Grundrecht verpflichtet den<br />
Staat, Maßnahmen gegen Auswirkungen etwa von Immissionen zu ergreifen,<br />
welche die Gesundheit schützen und Gefährdungen verhindern. Zweck des für<br />
die Luftreinhaltpläne maßgeblichen Bundesimmissionsschutzgesetzes ist es<br />
entsprechend, Menschen, Tiere und Pflanzen, den Boden, das Wasser, die Atmosphäre<br />
sowie Kultur- und sonstige Sachgüter vor schädlichen Umwelteinwirkungen<br />
zu bewahren und dem Entstehen schädlicher Umwelteinwirkungen<br />
vorzubeugen. Welches Niveau einzuhalten ist, misst sich beim Menschen<br />
am körperlich Schwächsten, also kleinen Kindern oder sehr alten Menschen.<br />
Zu einem wirklichen „Pfund“ wird das Grundrecht auf Schutz der Gesundheit<br />
aber erst durch europäische Gesetze. Nach der einschlägigen<br />
„Feinstaub-Richtlinie“ muss an sich seit 2010 für Stickstoffdioxid ein Grenzwert<br />
von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter im Jahresmittel „schnellstmöglichst“<br />
eingehalten werden – nur dann ist die Gesundheit nicht gefährdet.<br />
Dieser wurde an der Messstation am Clevischen Ring viele Jahre mit um die<br />
60 Mikrogramm im Jahresschnitt deutlich überschritten. Vor allem wegen der<br />
Verkehrsbeschränkungen auf der Mülheimer Brücke sind die Werte in <strong>2019</strong><br />
gesunken. Nach der Prognose im Luftreinhalteplan sollen sie mit allen Maßnahmen<br />
(auch Fahrverboten) 2020 aber noch 44 Mikrogramm betragen.<br />
Bei der Frage, welche Maßnahmen zur Reduzierung ergriffen werden müssen,<br />
kommt nun vor den Gerichten die Waage zum Einsatz. Nach dem verfassungsmäßig<br />
immer zu beachtenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit werden die<br />
genannten Grundrechte gegeneinander abgewogen: Welche Alternativen zu<br />
Fahrverboten (z. B. neue Mobilitätskonzepte, verkehrslenkende Maßnahmen)<br />
zur Zielerreichung gibt es? Wenn Fahrverbote unumgänglich sind: welche<br />
zeitlichen Staffelungen bzw. Übergangszeiträume nach Schadstoffklassen und<br />
welche Ausnahmen (etwa nachgerüstete Fahrzeuge, Anwohner*innen, Handwerker*innen)<br />
sind vorzusehen? Ist zu berücksichtigen, dass die Gesundheit<br />
durch prognostizierte kurze Überschreitungen weniger beeinträchtigt wird?<br />
Jede Menge Material also, das in die Waagschalen geworfen wird. Die Richter*innen<br />
brauchen einen klaren Blick und vor allem eine ruhige Hand. Am<br />
12. September wird das Oberverwaltungsgericht in Münster über den Kölner<br />
Luftreinhalteplan entscheiden. Besser noch: öfter mal „grüne Welle“ für das<br />
Grundrecht auf „körperliche Unversehrtheit“. »<br />
> www.muelheimia.koeln/freieluft<br />
Spaß am CO2-Sparen<br />
7 Win-Win-Strategien für Lifestyle und Umweltschutz<br />
von Tom Laroche<br />
Der anthropogene Klimawandel ist in aller Munde. Immer mehr Menschen<br />
haben erkannt, dass der Schutz unserer Umwelt und das Schonen der endlichen<br />
Ressourcen ein gesamtgesellschaftliches Thema ist, welches uns<br />
alle angeht. Und so ernst das Thema auch ist, man kann auch mit simplen<br />
Tricks, von denen einige sogar Spaß machen können, einen individuellen<br />
Beitrag zum CO2-Sparen leisten.<br />
1. Flohmärkte & Second-Hand-Läden<br />
finden wir es nicht sexy, das Trinkglas<br />
damit zu befüllen. Stattdessen<br />
Es muss nicht immer Neuware sein.<br />
Viele Dinge kann man in guter Qualität<br />
und für oftmals ganz kleines Geld<br />
heben wir uns lieber an Getränkekästen<br />
einen Bruch. Sehr viel Geld,<br />
gebraucht erstehen. Den Gegenständen<br />
sieht man das nicht an und vieles,<br />
CO2 und Zeit kann man mit eigenen<br />
Limonaden und Eistee-Kreationen<br />
was gebraucht verkauft wird, kommt<br />
sparen. Heißer Tipp: Tee mit Zucker<br />
deshalb unter den Hammer, weil die<br />
(oder Honig) und einem Säuerungsmittel<br />
(z. B. Zitronenkonzentrat) zu<br />
Besitzer*innen es überhaupt nicht<br />
benutzen. Sparen, Konsumieren und<br />
einem Sirup einkochen. Eine Flasche<br />
CO2 einsparen in einem: win-winwin!<br />
Sirup ergibt locker 10 Flaschen Erfrischungsgetränk,<br />
ein Gewicht von<br />
10 kg, die nicht quer durch die Republik<br />
transportiert werden müssen. Mit<br />
2. Upcycling: Aus alt mach Neu<br />
Aus vielen kaputten Dingen kann<br />
Kohlensäure gelingen auch Limonaden<br />
Marke Eigenbau. Zeitaufwand:<br />
man mit ein wenig Fantasie Lifestyle-Accessoires<br />
machen: Aus<br />
ca. 10 Minuten!<br />
alten Taschenbuch-Covern kann<br />
man Postkarten oder Lesezeichen<br />
6. Schwarzer Edding im Kühlschrank<br />
herausschneiden, viele Behältnisse<br />
Wir wissen alle, dass wir viel zu viele<br />
können zu Vasen umgestaltet werden,<br />
Lebensmittel wegwerfen. Schuld daran<br />
der kaputte Lampenschirm kann<br />
ist oftmals das Mindeshaltbarkeitsdatum,<br />
welches wir leider häufig mit<br />
mit dem Stoff alter Klamotten neu<br />
bezogen werden. Neben der umweltfreundlichen<br />
Wiederverwertung ist<br />
tatsächlichen Verfallsdaten verwechseln.<br />
So werfen viele Menschen<br />
Upcycling auch ein toller Zeitvertreib<br />
„abgelaufene“ Lebensmittel weg, weil<br />
für Kreative und Bastler.<br />
sie entgegen besserem Wissen nun ein<br />
schlechtes Gefühl beim Verzehr haben.<br />
3. Repair-Cafés<br />
Dem kann abgeholfen werden: Einfach<br />
Für den individuellen CO2-Footprint<br />
beim Einstellen der Joghurts, Milchtüten,<br />
Brotpackungen etc. mit schwar-<br />
ist es auch hilfreich, defekte Geräte<br />
zu reparieren. Hierfür gibt es sogenannte<br />
Repair-Cafés oder Gemeinzem<br />
Edding das Datum schwärzen und<br />
sich wieder auf den Geruchstest beim<br />
schaftswerkstätten, in denen man<br />
Öffnen verlassen. Aufpassen muss man<br />
unter Anleitung die dort vorhandenen<br />
Geräte nutzen kann. Sicher liegt<br />
lediglich bei Fisch und Fleisch, hier<br />
sind die Daten auf den Packungen tatsächlich<br />
Verfallsdaten, die man ernst<br />
das nicht jedem, aber viele würden<br />
sich wundern, mit wie einfachen<br />
nehmen sollte.<br />
Kniffen die eine oder andere Neuanschaffung<br />
vermieden werden kann.<br />
7. Ran an den Speck<br />
Viele Fleischesser tun sich schwer<br />
4. Freizeitangebote der Region<br />
damit, komplett oder weitreichend<br />
Wie oft ertappt man sich dabei, dass<br />
auf tierische Kost zu verzichten. Und<br />
man auswärtigen Gästen immer<br />
unabhängig der Grundsatzfrage, ob<br />
nur dieselben handvoll Sehenswürdigkeiten<br />
zeigt? Anstelle stressiger<br />
man nun Tiere essen darf oder nicht:<br />
Eine Reduktion der Fleischmasse<br />
Flugreisen kann man in der eigenen<br />
fällt vielen doch erheblich einfacher:<br />
Region sehr viel mehr Ausflugsziele<br />
Nicht ganz so oft Schnitzel (200 g<br />
finden, als einem bewusst ist. Einfach<br />
mal einen Stadtplan hervorholen<br />
oder mehr Fleisch) auf den Teller und<br />
dafür lieber Spaghetti Carbonara mit<br />
und recherchieren, welche Gewässer<br />
sich hinter den etwas größeren<br />
Speck (hier tun es auch 50 g). An dieser<br />
Stelle mag der engagierte Veganer<br />
blauen Flächen verbergen. Manche<br />
die Nase rümpfen, aber wenn jeder<br />
Baggerseen der Region kennt auch<br />
Fleischesser 75 % weniger Tierisches<br />
nach vielen Jahren kaum jemand.<br />
essen würde, so wäre der Effekt<br />
beachtlich. »<br />
5. Das eigene Hipster-Getränk<br />
Wir wissen alle, dass Leitungswasser<br />
> www.muelheimia.koeln/<br />
besser ist als sein Ruf und dennoch<br />
co2spartipps
Mülheimia Quarterly<br />
Stadt. Kultur. Soziales<br />
<strong>#3</strong> September <strong>2019</strong> 12<br />
Bauboom in Mülheim<br />
Bauen im Klimawandel<br />
Vision vom CO2 armen Wohnen<br />
Smart CityCologne in der Stegerwaldsiedlung<br />
Auf der industriehistorisch<br />
bedeutsamen<br />
Deutz-Mülheimer<br />
Straße befindet sich<br />
das Baugebiet<br />
„Cologneo“ links<br />
und die sanierte<br />
Stegerwaldsiedlung<br />
rechts von der Straße.<br />
von Judtih Tausendfreund<br />
Das Thema Klimaschutz ist bei vielen<br />
Bürgern angekommen. Auch die Kölner<br />
haben in den letzten zwei Sommer<br />
geschwitzt. Das Gefühl, dass irgendetwas<br />
falsch läuft, ist nicht zu leugnen. Nun soll<br />
mit Hilfe von Dieselfahrverboten und anderen<br />
Maßnahmen die Notbremse gezogen<br />
werden. Viele Städte, auch Köln, haben<br />
den Klimanotstand ausgerufen. Doch in<br />
Sachen Klimaschutz gibt es in Köln schon<br />
länger einige „Pilotideen“, die einen zweiten<br />
Blick wert sind.<br />
So entstand schon Ende der 80-ziger Jahren<br />
die „Ökosiedlung Blumenberg“. „Wir hatten<br />
den Klima-Wandel schon damals vorgedacht<br />
und Lehm als Außenwandkonstruktion mit<br />
Stroh gewählt, um der Klimaerwärmung<br />
Speichermasse entgegenzuhalten, die dann<br />
für kühleres Raumklima sorgt“, betont<br />
Architekt Reimund Stewen, der damals<br />
beteiligt war. 2007 folgte die autofreie Siedlung<br />
in Nippes, deren Bewohner mit ihrer<br />
Idee zumindest schon mal den klimaschonenden<br />
Verzicht auf das Auto vorleben. Und<br />
dann kam die Sanierung der Stegerwaldsiedlung<br />
in Mülheim - ein Projekt, welches<br />
in diesem Jahr fertiggestellt wurde und vom<br />
Land Nordrhein-Westfalen als 87. Klimaschutzsiedlung<br />
ausgezeichnet wurde. 689<br />
Wohneinheiten der Kölner Siedlung aus den<br />
1950er-Jahren wurde energetisch saniert.<br />
Die Energieerzeugungsanlagen wurden erneuert.<br />
Im Rahmen der Sanierung erhielten<br />
elf Gebäude ein neues Dachgeschoss - so<br />
wurden auch neue Wohnungen geschaffen<br />
und die Wohnfläche erweitert.<br />
Blick zurück<br />
Die Stegerwaldsiedlung war das erste große<br />
geschlossene Bauvorhaben der DEWOG<br />
(Deutsche Wohnungsbau Gesellschaft) und<br />
ist die frühste Großsiedlung Kölns nach dem<br />
Zweiten Weltkrieg. Sie entstand im Zeitraum<br />
von 1951 bis 1956 und ihr Name erinnert<br />
an den christlichen Sozialpolitiker Adam<br />
Stegerwald. Die Siedlung war angelegt für<br />
sogenannte „breite Bevölkerungsschichten“.<br />
Viele Wohnungen waren „Volkswohnungen“,<br />
die von der Stadt Köln finanziert wurden.<br />
Seniorenwohnungen, ein Altenwohnheim,<br />
ein Wohnheim für Ledige, eine Kirche, ein<br />
Kindergarten und ein Bürgerzentrum wurden<br />
errichtet. Die Mieten betrugen im Jahr<br />
1956 zwischen 19 und 47 Euro monatlich,<br />
das monatliche Durchschnittseinkommen<br />
lag damals zwischen 250 und 350 Euro. Noch<br />
1993 wurde die Verwaltung damit beauftragt,<br />
für die Siedlung in eine sogenannte<br />
Erhaltungssatzung, Milieuschutz-Satzung,<br />
aufzustellen. Damit sollte die Zusammensetzung<br />
der Wohnbevölkerung trotz möglicher<br />
Verdrängungstendenzen durch eine<br />
Aufwertung des rechtsrheinischen Kölns<br />
erhalten bleiben. Die Antwort auf die Frage,<br />
ob dies gelungen ist, wäre einen weiteren<br />
Blick wert.<br />
Blick in die Siedlung<br />
Beam me up, Scotty! - dieses geflügelte<br />
Wort aus der Science-Fiction-Serie Raumschiff<br />
Enterprise symbolisiert für viele<br />
Menschen eine Welt, in der Visionen zum<br />
ganz normalen Alltag gehören. Mal eben<br />
durch das Weltall beamen, das ist überhaupt<br />
kein Problem für Captain Kirk, Mister Spok<br />
und deren Kollegen. Um eine Großstadt<br />
in Zukunft und in Zeiten von Klimanotständen<br />
zu managen, braucht es ähnliche<br />
Visionen, wie die aus der Welt von Scotty. In<br />
der Stegerwaldsiedlung hat man versucht,<br />
in Sachen Mobilität zumindest ein wenig<br />
Höhenflug-Atmosphäre zu schaffen und so<br />
nebenbei auch das Klima zu schützen. Denn<br />
eine der Grundideen war es, vor Ort Strom<br />
zu erzeugen. Dieser soll unter anderem zum<br />
Laden von Elektrofahrzeugen und E-Bikes<br />
genutzt werden. Die stehen gemeinsam mit<br />
konventionellen Fahrrädern und Leihwagen<br />
an bestimmten zentralen Stellen,<br />
sogenannten „Mobilitäts-Hubs“ - so soll<br />
Parkplatzsuche und Autoverkehr minimiert<br />
werden. Eine CO2 Reduktion von 60<br />
Prozent stand auf der ehrgeizigen Agenda<br />
von „GrowSmarter“. Das EU-Projekt begann<br />
2015, neben Köln hatten sich Barcelona und<br />
Stockholm beteiligt. Für fünf Jahre gab es<br />
von der EU-Kommission eine Fördersumme<br />
in Höhe von 25 Millionen Euro.<br />
„Entscheidend ist, dass in der Stadtverwaltung<br />
ein Umdenken stattfindet und<br />
der Mobilitätsgedanke, der hier entwickelt<br />
wird, auf die ganze Stadt übertragen<br />
werden kann“, betonte Dr. Barbara Möhlendick,<br />
Koordinationsstelle Klimaschutz,<br />
schon 2017 - keine Frage, die Siedlung ist<br />
ein Pilotprojekt. Wärmedämmung wurde<br />
an den Häusern vorgenommen. Die Anwohner<br />
sollten durch Einsatz modernster<br />
Sensortechnik zum Energiesparen motiviert<br />
werden. Mit Isolierung, Photovoltaik,<br />
Wärmepumpen, Batteriespeicher, aber auch<br />
Verhaltensänderungen der Bewohner sollte<br />
die Stegerwaldsiedlung eine Vorreiterfunktion<br />
übernehmen.<br />
Blick auf die Mietpreise<br />
„Es bleibt bei einer Durchschnittsmiete von<br />
sieben Euro“, versprach vor zwei Jahren<br />
Andre Esser, DEWOG, einigen Mietern, die<br />
sich zu einer Info-Veranstaltung mit ihm<br />
und anderen Projektverantwortlichen<br />
getroffen hatten. Doch wer sich heute<br />
für eine Neubauwohnung in der Siedlung<br />
interessiert, wird mit einer Kaltmiete von<br />
12,50 Euro konfrontiert. Einige Anwohner<br />
kritisieren die Maßnahmen: „Was in der<br />
Stegerwaldsiedlung geschieht, geht sowohl<br />
wohnungs- wie auch sozialpolitisch völlig<br />
in die falsche Richtung“, so sieht es Roswitha<br />
Müller, eine Anwohnerin. CO2-armes<br />
Wohnen muss am Ende für alle bezahlbar<br />
werden - sonst wird es schwierig werden,<br />
aus den Visionen eine flächendeckende<br />
Wirklichkeit werden zu lassen. »
13 <strong>#3</strong> September <strong>2019</strong> Mülheimia Quarterly Stadt. Kultur. Soziales<br />
Cologneo Areale im Mülheimer Süden<br />
Klimafreundliche Quartiersentwicklung auf industriellen Brachflächen<br />
Lindgens Areal<br />
COLOGNEO III<br />
Otto&Langen Quartier<br />
Deutz Quartiere<br />
Im Mülheimer Süden wird ein neuer Stadtteil auf<br />
ehemaligen Industrieflächen u. a. der DEUTZ AG<br />
entstehen, in dem 10 0000 Menschen wohnen<br />
und arbeiten werden. Wir haben die CG Gruppe,<br />
eines der beiden großen dort tätigen Immobilienentwicklungsunternehmen<br />
gefragt, wie sie im<br />
Angesicht des Klimawandels operieren.<br />
In punkto Ressourceneffizienz steht die nachhaltige<br />
Wärme- und Kältegewinnung im Vordergrund.<br />
Nicht zu vergessen: Die CG Gruppe achtet auf<br />
umweltfreundliche Baumaterialien. Wir bringen<br />
beispielsweise generell nur noch Fassaden mit hitzebeständiger<br />
Mineralwolle zur Wärmedämmung<br />
an und verwenden keine umweltschädlichen Stoffe.<br />
Zoobrücke<br />
COLOGNEO II<br />
COLOGNEO I<br />
Deutzer Zentralwerk<br />
der Schönen Künste<br />
Stegerwaldsiedlung<br />
Mülheimer Süden<br />
Welche Maßnahmen hat die CG Gruppe ergriffen<br />
im Bezug auf nachhaltiges und klimaneutrales<br />
Bauen?<br />
Die CG Gruppe setzt bei ihren Projekten bundesweit<br />
auf die gesamte Bandbreite der Möglichkeiten von<br />
nachhaltigem und klimaneutralem Bauen. Dazu<br />
zählen die Ausstattung der Objekte mit CO2-neutralen<br />
Heizsystemen, die Verwendung umweltfreundlicher<br />
und ökologischer Materialien sowie<br />
der Betrieb der einzelnen Gebäude mit weniger<br />
Energie und Ressourcen.<br />
Inwiefern wird das Wohnen und Arbeiten in den<br />
COLOGNEO Arealen unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit<br />
und Ressourceneffizienz stehen?<br />
Zukünftige Bewohner des Cologneo Quartiers<br />
profitieren von innovativen Mobilitätskonzepten<br />
in allen COLOGNEO-Arealen. Dazu gehört die<br />
Maxime kurze Wege zu schaffen: Neben den<br />
Büros und Arbeitsorten werden ein Angebot von<br />
Gütern des täglichen Bedarfs, Hotel, Hostel, eine<br />
Kita, kulturelle Einrichtungen und Restaurants<br />
innerhalb weniger Minuten im Umkreis fußläufig<br />
erreichbar sein. Eine hervorragende Anbindung an<br />
den öffentlichen Nah- und Fernverkehr runden das<br />
Konzept ab.<br />
Was ist das besondere an der Wärme- und Energieversorgung<br />
bei Ihnen?<br />
Mit dem Einsatz von Green Technology setzen wir<br />
innerhalb des COLOGNEO Quartiers auch ökologisch<br />
neue Maßstäbe. Der Fokus liegt dabei auf<br />
erneuerbarer Energie und konkret auf Geothermie:<br />
Direkt unter diversen Baufeldern entsteht eine<br />
großflächige Geothermie-Anlage zur Energieversorgung<br />
einzelner Gebäude, so dass über 50 Prozent<br />
des Wärmebedarfes mit Geothermie gedeckt<br />
werden wird.<br />
Die baldigen Bewohner und Nutzer erhalten eine<br />
ökologisch ausgerichtete Energieversorgung, die<br />
einen messbaren Beitrag zur Ressourcenschonung<br />
leistet und die CO2-Bilanz vor Ort nachhaltig verbessert.<br />
Der zusätzliche Einsatz von Photovoltaik<br />
komplettiert den regenerativen Energiemix im<br />
Quartier.<br />
Wie steht es um Grünflächen und Verdunstungsflächen<br />
in den Arealen?<br />
Auch im COLOGNEO Quartier realisieren wir ein<br />
Konzept zur Verringerung des urbanen „Hitzeinseleffekts“<br />
durch mehr Grün- und Verdunstungsflächen<br />
und weniger versiegelte Flächen als in den<br />
bestehenden Industriearealen vorgefunden.<br />
Darüber hinaus entsteht eine parkähnliche Grünfläche<br />
im Cologneo II, die neben der erheblichen<br />
Schadstoffsenkung und damit positiven gesundheitlichen<br />
Wirkung auch wesentlich als Erholungsund<br />
Freizeitfläche dient.<br />
Wie behandeln Sie das Thema Mobilität im Bezug<br />
auf CO2-Emissionen?<br />
Die CG Gruppe hat sich gegenüber der Stadt Köln<br />
freiwillig zu einem indivduellen Mobilitätskonzept<br />
verpflichtet. Im COLOGNEO Quartier wird es daher<br />
intelligente Lösungen für Elektromobilität, aber<br />
auch herkömmliche mobile Angebote, in Form von<br />
Kooperationen mit Bike- und Car-Sharing Anbietern<br />
geben. Fahrradstellplätze für alle Fahrradformen<br />
so auch Lastenräder, sind im gesamten<br />
Quartier vorgesehen. In diesem Punkt geht die<br />
CG Gruppe über die in der zugrundeliegenden<br />
Stellplatzsatzung geforderte Anzahl an Stellplätzen<br />
sogar hinaus.<br />
Zudem haben sich die Investoren des Mülheimer<br />
Südens zu einer Gemeinschaft zusammengeschlossen,<br />
der auch die CG Gruppe angehört, die<br />
die Stadt Köln und die Kölner Verkehrsbetriebe<br />
finanziell bei der Realisierung einer Stadtbahnerweiterung<br />
unterstützen, um den öffentlichen<br />
Personennahverkehr zu stärken. »<br />
„I/D Cologne“<br />
Nachhaltigkeit auf dem ehemaligen Güterbahnhof<br />
In Mülheim-Nord wird der ehemalige Güterbahnhof<br />
zwischen Schanzen- und Markgrafenstraße<br />
als eines der größten Baugebiete Kölns<br />
bebaut.<br />
2018 wurde der Spatenstich durchgeführt und<br />
damit sowohl der Projektauftakt als auch der<br />
erste Mieter gefeiert. „I/D Cologne“, angesiedelt<br />
auf dem Gelände des ehemaligen Güterbahnhofs<br />
an der Schanzenstraße, will Identität und Individualität<br />
gleichermaßen berücksichtigen.<br />
Hinter der Idee stecken die Unternehmen<br />
Art-Invest Real Estate und OSMAB. Hinter Begriffen<br />
wie „flexible Office“ und „Coworking Spaces“<br />
verstecken sich Büroflächen, die sich, neben<br />
einem Hotel, Gastronomie und einem Fitnessstudio,<br />
auf 160.000 Quadratmeter Fläche<br />
erstrecken und durchaus etwas zu bieten haben.<br />
So erhält jedes einzelne Gebäude ein Nachhaltigkeitszertifikat.<br />
Das Grünraumkonzept besteht aus Baum- und<br />
Heckenpflanzungen sowie ergänzend Rasen- und<br />
Wasserflächen. Die Energiesparverordnung wird<br />
selbstverständlich beachtet – dies bedeutet in der<br />
Umsetzung zum Beispiel effiziente Fernwärmetechnik<br />
mit einem geringen Primärenergiefaktor<br />
und guter CO2-Bilanz. Die begrünte Parkhaus-Fassade<br />
und extensiv begrünte Dachflächen<br />
sehen nicht nur toll aus, sondern verbessern das<br />
Mikro-Klima. Viel Technik steckt in den Gebäuden,<br />
so gibt es etwa einen Präsenzmelder für Beleuchtung,<br />
so dass Licht nur bei aktiver Nutzung<br />
eingeschaltet ist. Mit intelligenter Licht- und<br />
Temperatursteuerung kann der CO2-Ausstoß<br />
minimiert werden. Das Konzept wird durch<br />
mineralische und haltbare Baustoffen wie Klinkersteinen<br />
abgerundet.<br />
I/D Cologne schließt die seit Jahren brachliegende<br />
Lücke zwischen Wohngebiet und Gewerbestandort. »<br />
Dieses begrünte Parkhaus (Visualisierung) wird voraussichtlich im<br />
August 2020 fertiggestellt. Die ersten beiden Bürogebäude folgen<br />
Ende 2020 mit dem „Haus am Platz“ und dem Design Offices Haus.<br />
Die Gesamtfertigstellung des Quartiers wird voraussichtlich in<br />
2026 sein. Ein weiterer Ankermieter ist, neben Design Offices und<br />
Siemens, die Firma Cancom, Spezialistin für IT und Digitalisierung.<br />
www.muelheimia.koeln/klimabauen
Mülheimia Quarterly<br />
Stadt. Kultur. Soziales<br />
<strong>#3</strong> September <strong>2019</strong> 14<br />
Marktschwärmer Schäl Sick in Mülheim<br />
Emissionsarmer<br />
Genuss<br />
Die „Marktschwärmer<br />
Schäl Sick“ verteilen<br />
die im Internet<br />
vorbestellten Waren<br />
mittwochs von 17.30<br />
bis 19.30 Uhr im<br />
Lindgens Areal am<br />
Mülheimer Hafen.<br />
von Tom Laroche<br />
Foto: Eva Rusch<br />
Mittwoch Abend 17.45 Uhr. Der Weg zu den<br />
Marktschwärmern führt unten am Rhein<br />
entlang von der Brücke stadteinwärts<br />
Richtung Lokschuppen. Dort findet heute<br />
eine sogenannte Marktschwärmerei statt,<br />
ein fester Treffpunkt, an dem Liebhaber<br />
regionaler Spezialitäten aus Höfen und<br />
Manufakturen Waren unterschiedlicher<br />
Erzeuger abholen können, die sie ansonsten<br />
aufwendig von einer Vielzahl kleiner<br />
Hofmärkte abholen müssten.<br />
Gekauft und bezahlt wird hierzu im Internet<br />
über das Portal www.marktschwaermer.de.<br />
Der marktähnliche Aufbau vor Ort dient<br />
neben der Abholung der Bestellungen zusätzlich<br />
dem Direktkontakt zwischen Käufer<br />
und Hersteller. So sind regelmäßig Inhaber<br />
oder Mitarbeiter der verschiedenen Fertigungsstätten<br />
anwesend und informieren<br />
gern über ihre Angebote.<br />
Dem Besuch der seit Frühling diesen Jahres<br />
von Sonja und Finja betreuten Schwärmerei<br />
gingen eine Reihe unterschiedlicher Gespräche<br />
voraus: das zentrale Thema hierzu<br />
war: Was kann man konkret in Mülheim tun,<br />
um mit Hilfe eines bewussteren Konsums<br />
einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten?<br />
Dieser Frage stellen sich bereits seit Jahren<br />
eine ganze Reihe Kölner Gastronomen und<br />
bemühen sich um verantwortungsbewusste<br />
Angebote. So ist nicht nur das Restaurant<br />
Vreiheit dafür bekannt, vorrangig saisonale<br />
und regionale Speisen aufzutischen,<br />
gerne in Bio-Qualität. Ähnlich sieht es<br />
im stylisch-legeren Café jakubowski aus<br />
und auch das edle Willomitzer und andere<br />
informieren gerne über die Herkunft ihrer<br />
Lebensmittel, die eben nicht, wie die meisten<br />
Supermarktwaren quer durch die Welt<br />
geflogen oder verschifft wurden, sondern<br />
mit deutlich geringerem Transportaufwand<br />
von nahegelegenen Höfen bezogen wurden.<br />
Hierdurch wird in großem Maß der Ausstoß<br />
von CO2 (und diversen Schadstoffen)<br />
verringert. Ein anderer wichtiger Faktor ist<br />
die Produktion selbst, so hat etwa billiges<br />
aus Massentierhaltung gewonnenes und im<br />
Übermaß verzehrtes Industriefleisch eine<br />
katastrophale CO2-Bilanz; neben gesundheitlichen<br />
und ethischen Erwägungen ein<br />
weiterer, klarer Grund, diesen Konsum<br />
einzuschränken.<br />
Diesen zentralen Aspekten haben sich seit<br />
einigen Jahren die Betreiber der französischen<br />
Muttergesellschaft des Marktschwärmer-Prinzips<br />
verschrieben, welches<br />
an Grundideen von Biomärkten und<br />
Solidarischer Landwirtschaft erinnert<br />
und doch anders ist: Alle Transportwege<br />
werden minimiert, an allen Produkten<br />
steht eine Kilometerzahl, die angibt, wie<br />
nahe der erzeugende Hof gelegen ist. Durch<br />
die genau geplante Bestellung wird das<br />
Transportvolumen klein gehalten. An die<br />
Stelle eines klassischen Zwischenhändlers<br />
tritt das Onlineportal selbst zusammen mit<br />
ortsansässigen Gastgebern wie der sympathischen<br />
und auskunftsfreudigen Finja, die<br />
die Warenausgabe organisieren. Für Finja<br />
ist dieser Job eine Herzensangelegenheit. Sie<br />
und Sonja, die für Mülheim zuständig sind,<br />
investieren pro Woche rund 20 Stunden<br />
ihrer Zeit in das Projekt. Hierfür werden<br />
sie mit einem einstelligen Umsatzanteil an<br />
den Verkäufen geringfügig entschädigt; die<br />
Portalsbetreiber selbst nehmen mit 10 %<br />
ebenfalls nur eine überschaubare Provision,<br />
die ihnen die weitere Ausbreitung des<br />
ungemein erfolgreichen Systems ermöglicht<br />
(bislang über 1000 Standorte in Europa).<br />
Dadurch, dass zu den festgesetzten Terminen<br />
nur abgeholt, aber keine Nebenverkäufe<br />
getätigt werden dürfen, entfällt der übliche<br />
Zwang einer örtlichen Verkaufslizenz, und<br />
so können Schwärmereien an nahezu jedem<br />
Ort durchgeführt werden, vornehmlich an<br />
Stellen, die wie in diesem Fall, unterstützt<br />
vom Inhaber des Lokschuppens, mietfrei<br />
zur Verfügung gestellt werden. All dies sind<br />
die Garanten dafür, dass der Löwenanteil<br />
der Umsätze wirklich bei den Erzeugern<br />
landet, so dass diese mit den Einnahmen<br />
ihren Betrieb stabilisieren und sukzessive<br />
auf ökologisch verantwortungsbewusste<br />
Produktion umstellen können.<br />
Was im ersten Moment angesichts der<br />
systemischen Nachhaltigkeit des Projekts<br />
euphorisch stimmen mag, ist allem bisherigen<br />
Erfolg zum Trotz, nur ein Anfang und<br />
leider auch in dieser Form so noch nicht<br />
massenkompatibel, auch wenn sich bereits<br />
jetzt dank attraktiver Waren die Umsätze<br />
schön entwickeln. Hohe Qualität muss man<br />
sich leisten können. Selbst für Finja wäre,<br />
so gern sie das täte, ein kompletter Umstieg<br />
auf Marktschwärmerwaren finanziell nicht<br />
möglich. Auch die unflexiblen Abläufe mit<br />
einer Festlegung auf ein enges Abholzeitfenster<br />
sind für einen Teil der Interessenten<br />
problematisch, deren berufliche Einbindung<br />
eine Teilnahme faktisch verhindert.<br />
So bleibt die Marktschwärmerei für viele<br />
vorerst ein „wilder Luxus“ (= Name einer<br />
teilnehmenden Erzeuger*innen), der für die<br />
kleinen Geldbeutel nur punktuell bezahlbar<br />
ist. Und so kann zwar im Kleinen vielen engagierten<br />
Erzeugern der Überlebenskampf<br />
erleichtert werden, dies ersetzt aber nicht<br />
die Notwendigkeit, gesetzliche neue Rahmenbedingungen<br />
zu erkämpfen: für eine<br />
aktive Förderung nachhaltiger Produktion<br />
und Reduktion schädlicher Massenproduktion<br />
auf der einen Seite, und andererseits<br />
für mehr soziale Gerechtigkeit, damit Gutes<br />
nicht nur qualitativ und ethisch attraktiver,<br />
sondern auch für diejenigen bezahlbar wird,<br />
die finanziell ebenso kämpfen müssen, wie<br />
viele der teilnehmenden Erzeuger*innen der<br />
Schwärmereien.»<br />
>www.muelheimia.koeln/<br />
emissionsarmergenuss
15 <strong>#3</strong> September <strong>2019</strong> Mülheimia Quarterly Stadt. Kultur. Soziales<br />
Urban Gardening im Hof des Peter-Baier-Hauses<br />
Ein Senfkorn<br />
für Mülheim<br />
Von Tom Laroche<br />
Foto: Eva Rusch<br />
Wie komplex die Strukturen einer Großstadt sind, wird einem<br />
oft erst dann bewusst, wenn sich an einer Stelle, die man zuvor<br />
nie so richtig wahrgenommen hat, etwas ändert. So wird es<br />
manchem Besucher des Peter-Baier-Hauses in der Wallstraße<br />
gegangen sein. Sah man von innen letztes Jahr noch auf einen<br />
vergleichsweise tristen Innenhof ohne allzu ersichtliche<br />
Funktion, so erblickt man dort nun merkwürdige, in einem<br />
Halbrund aufgestellte Holzkästen und Dienstags nachmittags<br />
finden sich hier Menschen unterschiedlichen Alters ein, um sich<br />
um diese Kästen zu kümmern, in denen es nun mehr und<br />
mehr grünt.<br />
Was hier im Frühling gestartet wurde, ist ein neues Projekt der<br />
evangelischen Kirchengemeinde, der sowohl das Grundstück als<br />
auch die Immobilie gehört. Pfarrer Sebastian Baer-Henney, seit<br />
September letzten Jahres im Amt, wurde oft gefragt, was denn mit<br />
dem vernachlässigten Grundstück passieren solle, und machte sich<br />
auf Ideensuche. Hierbei erinnert er sich an ein außergewöhnliches<br />
Projekt einer Kirche in England, bei der eine Gemeinde anfing,<br />
unter dem Namen „Paradise Cooperative“ öffentlichen Raum in<br />
Wandsworth mit Gartenarbeit zu erschließen und neu zu gestalten.<br />
Vielleicht auch ein Ansatz für den kargen Hinterhof?<br />
„Urban Gardening“ nennt man solche Initiativen, und man muss<br />
dazu nicht einmal ein Hipster sein, denn das Begrünen und Begärtnern<br />
städtischer Flächen ist ungefähr so alt, wie die Struktur einer<br />
Stadt an sich. Neben klassischen Parkanlagen, spielte selbst oder<br />
gerade in Metropolen auch die Kultivierung von Obst und Gemüse<br />
in vergangenen Jahrhunderten eine sehr wichtige Rolle. Anders als<br />
heute, war es früher nur schwer möglich, leicht verderbliche Obstund<br />
Gemüsesorten in eine Großstadt einzuführen, daher ist man<br />
dazu übergegangen, diese auch innerhalb der Stadtgebiete anzubauen.<br />
So wurde z. B. im Paris des 19. Jahrhunderts etwa ein Sechstel<br />
der Stadtfläche sogar in Vierteln wie dem berühmten Marais,<br />
„landwirtschaftlich“ erschlossen. In Krisenregionen werden bis<br />
heute städtische Flächen zur Sicherung der Lebensmittelproduktion<br />
genutzt, damit etwa die Versorgung von Menschen, die sich aus Bürgerkriegsregionen<br />
in sicherere Stadtgebiete flüchten, sichergestellt<br />
werden kann.<br />
In Friedenszeiten in einem Land mit guter Infrastruktur sind die<br />
Beweggründe der Großstädter*innen, ihr Umfeld zu bepflanzen,<br />
freilich andere. Es geht hier weniger um die Ernteerträge. Das hat<br />
auch Pfarrer Baer-Henney erkannt, der auf die Frage seiner Intention<br />
mit einem Appell antwortet: „Stell Dir einen Garten vor, in dem<br />
Menschen zusammenkommen, die sonst nicht zusammenkommen<br />
würden.“ Dieses Anliegen, den sozialen Zusammenhalt in seiner<br />
Gemeinde und darüber hinaus, zu fördern, war eine der Grundideen<br />
für „Peters Großstadtgrün“. In Zeiten des Mietwuchers und steigendem<br />
Leistungsdruck, ist es für viele Menschen nicht möglich,<br />
einen eigenen Garten zu betreiben. Alternativ einen Schrebergarten<br />
auch nur zu bekommen, wäre da ebenfalls schon ein erstes großes<br />
Hindernis, aber viele hätten auch nicht genug Zeit, einen solchen<br />
sinnvoll zu bepflanzen. Für ältere Menschen würde dies zudem eine<br />
kaum zu überwindende körperliche Hürde darstellen.<br />
All dies muss die Teilnehmer*innen des neuen Gartenprojekts<br />
nicht kümmern: Offen für alle Generationen und Menschen jeden<br />
Glaubens oder Unglaubens, steht bei „Peters Großstadtgrün“ die<br />
Gemeinschaft und der persönliche Ausstausch im Vordergrund.<br />
Gefördert von der evangelischen Kirche, stehen den bislang etwa 20<br />
engagierten Mülheimer*innen, mehrere Hochbeete zum Bepflanzen<br />
zur Verfügung. Die Teilnahme ist hierbei sowohl kostenlos als<br />
auch freiwillig. Jeden Dienstag um 15 Uhr trifft man sich für einige<br />
Stunden; alle zwei Wochen findet im Anschluss unter dem Motto<br />
„Traulich und Hold“ zudem eine Abendandacht statt. Geerntete Lebensmittel<br />
werden gemeinsam zubereitet und verzehrt. Im weiteren<br />
Verlauf der Woche kümmern sich einzelne Teilnehmer*innen nach<br />
Absprache um die Beete und deren Bewässerung. Die Aufzucht und<br />
Pflege von Blumen, Kräutern, Obst und Gemüse ist Teil des weltoffenen<br />
Gemeindelebens geworden und zeigt, wie Kirche im 21. Jahrhundert<br />
aussehen kann.<br />
Ob die Gemeinde wohl irgendwann auch physisch jenes biblische<br />
Senfkorn aussäen wird, aus welchem dann ein großer Baum erwächst?<br />
Im übertragenen Sinn ist dies längst geschehen und man<br />
kann jetzt schon erkennen, welchen wertvollen Beitrag zur Lebensqualität<br />
des Stadtteils eine kleine Truppe engagierter Veedelsbewohner<br />
hier leistet. Wer an näheren Informationen interessiert<br />
ist, der kann im Internet den Blog der Gruppe aufrufen und sich auf<br />
www.peters-grossstadtgruen.de auf dem Laufenden halten.»<br />
>www.muelheimia.koeln/senfkorn
Mülheimia Quarterly<br />
Stadt. Kultur. Soziales<br />
<strong>#3</strong> September <strong>2019</strong> 16<br />
Plattenbörse in der Mülheimer Stadthalle<br />
Auf der Suche nach der verlorenen Zeit<br />
Von Francesco Aneto<br />
Fotos: Eva Rusch<br />
Dreimal im Jahr macht die Mülheimer Stadthalle der<br />
Frankfurter Börse Konkurrenz. In Sachen rastloser<br />
Aufmerksamkeit und fiebriger Erwartung kann sie<br />
es an diesen Tagen locker mit dem dortigen Parkett<br />
aufnehmen. Dann pilgern die Jünger des „Schwarzen<br />
Goldes“ teils von weit her in das in den 60er Jahren gebaute<br />
zentral am Mülheimer Stadtgarten gelegene Gebäude.<br />
Architekturpreise hat die 1400 Besucher*innen<br />
fassende Stadthalle nachvollziehbar nie errungen, aber<br />
der zweckmäßige Beton-Glas-Bau leistet zuverlässig seit<br />
seiner Errichtung treue Dienste. Seitdem sind hier auch<br />
viele, teils erst später populär gewordene Bands aufgetreten,<br />
darunter: Blue Öyster Cult, Whitesnake, Metallica,<br />
The Cure und die Dire Straits.<br />
Young-Tour“ als Hip-Hopper mit umgekehrt aufgesetzter<br />
Baseballmütze und bequemem Jogging-Anzug im 80er<br />
Jahre-Retrostyle. Nachdem ich meine drei Euro Eintritt<br />
an die in dieser Umgebung auffällig junge Frau an der<br />
Kasse gezahlt habe, umweht mich ein zart modriger Geruch<br />
– nicht unbedingt unangenehm. Direkt ruft er alte<br />
Erinnerungen wach. Mir geht es wohl in etwa so wie dem<br />
Protagonisten in Prousts Roman „Recherche de la temps<br />
perdu“ (Übersetzung vgl. Titel), wenn ihm der süßliches<br />
Duft des Madeleine-Gebäcks in die Nase steigt. Vergangenes<br />
taucht schemenhaft auf: Partys in feuchten Kellern mit<br />
duftenden Räucherstäbchen, verschwitztes Engtanzen zu<br />
langsamen und nie enden wollenden Stücken wie „Samba<br />
Pa Ti“ von Santana oder „I am saling“ von Rod Stewart in<br />
den frühen Achtzigern oder furchtsames erstmaliges Anhören<br />
von Dylans „Street Legal“ in den beichtstuhlgroßen<br />
Musikkabinen bei Radio Wilden in Ehrenfeld.<br />
„RETTET DAS VINYL“.<br />
Alexander Lauber,<br />
Organisator von<br />
Plattenbörsen in NRW<br />
und Luxemburg, so auch<br />
regelmäßig in Köln-<br />
Mülheim.<br />
Seit vielen Jahren beherbergt dieser heimliche Tempel<br />
der Rockmusik auch die „Schallplatten-Börse“. Streng<br />
genommen den selten Fall einer „fahrenden Börse“, denn<br />
unter diesem Label schlägt sie zweiwöchentlich wechselnd<br />
ihre Zelte in verschiedenen Städten im Land auf.<br />
Viele folgen der Börse in einem nie nachlassenden Strom<br />
nach Bonn, Oldenburg, Münster, Oberhausen, Dortmund<br />
und Lingen (wo immer das liegen mag) und sogar zu Auslandstrips<br />
ins nahe Luxemburg. Köln gilt aber unter den<br />
mobilen Platten-Börsianern*innen als eines der Highlights.<br />
Entsprechend erwartungsvoll trete ich an einem Sonntagvormittag<br />
am Tag der Arbeit <strong>2019</strong> in die Stadthalle ein,<br />
deren großes zweigeteiltes Foyer heute den Händlern*innen<br />
des „Schwarzen Goldes“ in Gestalt von zigtausenden<br />
Vinylscheiben vorbehalten ist, die daneben auch noch<br />
andere benachbarte Waren, wie CDs, DVDs, Bücher über<br />
Musiker, Poster, Fanartikel, kleine mobile Plattenspieler<br />
etc. feilbieten. Mit mir drängen andere „Early Birds“ in die<br />
Halle, viele dem Klischee-Bilderbuch über den Vinyl-Nerd<br />
entsprungen: Meist Männer in den – wie man beschönigend<br />
sagt – besten Jahren: einer mit zerschlissenem<br />
Metallica-T-Shirt, spärliche Haare halten mit Mühe seine<br />
Alt-Punk-Frisur zusammen, ein anderer auf „Forever<br />
Soweit sich an diesem Morgen die Ersten vor Ort einfinden,<br />
werden sie vielleicht auch getrieben von der Suche<br />
nach sinnlichen Erinnerungen, mehr noch aber von<br />
ihrem Jagdfieber. Nicht von ungefähr firmiert die Schallplatten-Börse<br />
auch als „Sammlerbörse“. An diesem Tag<br />
werden sich 600 bis 700 meist männliche Sammler und<br />
wenige, meist jüngere Sammlerinnen, an den ca. 50 Stände<br />
scharen und in hunderten prall gefüllten Platten-Boxen<br />
mit geübten Fingern und hoffnungsglimmenden<br />
Augen nach den begehrten Objekten krabbeln. Obwohl der<br />
junge Veranstalter der Plattenbörse, der in die Fußstapfen<br />
seines Vaters eingetreten ist, mir versichert, dass das Publikum<br />
seit etwa 2015 mit dem Siegeszug des „Streaming“<br />
immer jünger werde, teils sich ganze Familien mit ihren<br />
Kleinkindern hier vergnügten. Die CD sei ohnehin out, die<br />
Jüngeren wieder mehr an der Musik, weniger am stolzen<br />
„Besitz“ interessiert.<br />
Nicht nur professionelle Händler*innen tummeln sich<br />
dichtgedrängt im Foyer der Stadthalle, die bestpositioniert<br />
ihre Waren an den längsten und aufwendigst<br />
gestalteten Ständen präsentieren. Auch viele Privatleute<br />
entrichten den Obolus von 17,50 € pro Standmeter und<br />
verscherbeln mit verdruckst lächelnder Miene ihre über
17 <strong>#3</strong> September <strong>2019</strong> Mülheimia Quarterly Stadt. Kultur. Soziales<br />
Jahrzehnte aufgebaute Plattensammlung. An einem solchen<br />
Privatstand versuche ich mein Glück, denn auch ich<br />
bin auf der Suche nach einer ganz bestimmten Platte von<br />
der australischen Indie-Band „The Go-Betweens“, populär<br />
vor allem in den 80ern. Inhaber des kleinen Standes<br />
ist Marvin, ein sympathischer Mitte-Zwanzigjähriger. Er<br />
muss aber trotz seines bunten Angebots von Jazz, Rock,<br />
Funk, Soul usw. auf meine Nachfrage leider passen. Fündig<br />
werde ich auch nicht am nächsten Stand, mit einem<br />
etwas üppigeren Angebot, übersichtlich sortiert und<br />
liebevoll von Hand ausgezeichnet nach Fächern, etwa für<br />
Kraut, Progressive, Beatles und Soundtrack. Viele Platten<br />
zum sagenhaften Preis von drei oder fünf Euro. Für den ca.<br />
50 Jahre alten sympathischen Spediteur ist das Verkaufen<br />
nur ein Hobby. Nur so zum Spaß stoße er Teile seiner<br />
ständig wachsenden Sammlung ein bis zweimal im Monat<br />
am Wochenende auf den Börsen ab und verdiene dabei<br />
jeweils so 150 bis 200 €. Ich versuche meine Erfolgsaussichten<br />
zu steigern und steuere den imposantesten Stand<br />
der Börse an. Auf 14 Meter Länge finden sich zehntausende<br />
Platten aus allen Musikrichtungen und -epochen. Der<br />
Herr dieses Imperiums nach eigenen Aussagen fast ein<br />
„Global Player“. Weltweit sei er als „Adrenalin-Mensch“<br />
seit zwanzig Jahren mit seinen derzeit ca. 100.000 Platten<br />
auf jährlich ca. 50 Plattenbörsen und -messen bis ins<br />
ferne Kanada unterwegs (er betont, dass er zwei Kinder<br />
habe). Auf die jährlich größte Schallplattenmesse in<br />
Utrecht/Holland reise er mit sechs Mitarbeitern und zwei<br />
bis drei LKWs an. Die Go-Betweens kennt er natürlich, die<br />
von mir ersehnte Scheibe hat er jedoch nicht im Portfolio.<br />
Da ich mich als Jazzliebhaber geoutet habe, bietet er mir<br />
stattdessen zum Trost eine sehr rare südafrikanische<br />
Erstpressung von Dollar Brand aus den 70er für 1.100 € an,<br />
was ich freundlich dankend ablehne. Das sei noch lange<br />
nicht seine teuerste Platte; für einen hohen vierstelligen<br />
Betrag, raunt er, könne ich auch eine seltene deutsche<br />
Beatles-Platte erwerben.<br />
Ich verabschiede mich und sehe zu, dass ich mich rasch<br />
zu einem meinem bescheidenen Budget adäquateren<br />
Stand bewege. Immerhin entdecke ich nebenan die erste<br />
Platte von den Go-Betweens auf der Börse, „The friends of<br />
Rachel Wood“ für schlappe 100 €. Den recht hohen Preis<br />
erklärt mir fast entschuldigend der Verkäufer damit, dass<br />
es sich um einen Erstdruck in kleiner Auflage aus den 90er<br />
handele. Das Sammlerherz bringt diese Mitteilung zwar<br />
leicht zum Erzittern, aber es ist gerade nicht die gesuchte<br />
Platte; sie wurde mir kurz zuvor vor der Nase weggekauft,<br />
so der Verkäufer. Nach der vergeblichen fast einstündige<br />
Suche gilt es nun, flexibel Frustkäufe vermeidend nach<br />
Alternativen zu graben. Es muss nicht unbedingt eine<br />
Platte sein, die unter die Kategorie „Mint“ fällt (absolut<br />
neuwertiger Zustand, im Idealfall noch versiegelt – „sealed“<br />
- oder ungespielt), es reicht allemal ein „Very Good“<br />
(VG), bei der sich die Gebrauchsspuren in Grenzen halten.<br />
An manchen Ständen im Belagerungszustand ist nur<br />
schwer eine Lücke zu finden. Dort knubbelt sich das bunte<br />
Volk: Frauen mit Dreadlocks im coolen Hippie-Outfit<br />
stöbern lässig nach alten Soulscheiben, Metallfans mit<br />
langen ergrauten Haaren fingern mit stoischer Ruhe nach<br />
obskurem Heavy-Metall-Material und der etablierte Kenner<br />
will seine umfangreiche Sammlung mit einer äußerst<br />
raren (und teuren) Jazzplatte von Coltrane krönen. Doch<br />
ich warte geduldig bis ich an der Reihe bin. Musikgeschmacklich<br />
breit aufgestellt, werde ich auch irgendwann<br />
fündig. Aretha Franklins berühmte Live-Aufnahme in<br />
einer Kirche „Amazing Grace“ hatte ich schon lange im<br />
Auge; zudem fülle ich wieder eine Lücke in meiner breiten<br />
„Neil-Young-Sammlung.“ Dies muss für heute reichen,<br />
schont auch einigermaßen den Geldbeutel. Auch andere<br />
sind zurückhaltend: Schon vom Verkäufer herabgesetzte<br />
40 Euro für den Klassiker von Deep<br />
Purple „Made in Japan“ ist meinem<br />
Nebenmann immer noch entschieden<br />
zu teuer. Und auf Massenankauf bin<br />
ich nicht aus, obgleich die Angebote<br />
verlockend sind („vier für zehn Euro“).<br />
Beim Herausgehen treffe ich einen älteren<br />
Mann mit hochrotem Gesicht und<br />
einer beeindruckenden Sammlung von<br />
Stones- und Beatles-Platten auf dem<br />
Arm, die er an einen der Profi-Händler<br />
im Saal verkaufen wollte. Mit unverkennbarem<br />
kölschen Akzent mault er:<br />
drinnen seien nur „Kniesköpp“, die<br />
ihn „verarschen“ wollten; 200 Euro für<br />
seine 30 Platten habe niemand zahlen<br />
wollen. Zehn Euro habe man ihm maximal<br />
für die Sammlung geboten, da<br />
verkaufe er sie lieber im Netz.<br />
Der Fluch der Moderne: Die Flucht vor der Realität ins<br />
Internet. Als stets verfügbare Alternative hat dieses aber<br />
auch seine Nachteile. Bieten die Plattenbörsen doch jede<br />
Menge sinnliche Erfahrungen (Fühlen, Riechen, Sehen) –<br />
nur der „Hörtest“ unterbleibt leider – und unmittelbare<br />
freundliche Kommunikation mit gleichgesinnten Liebhabern<br />
und Kennern von Pop-, Rock- und Jazzmusik in<br />
allen Spielarten in der Gemeinschaft der „Börsianer*innen.<br />
Wer Vinyl über Internet bestellt, etwa bei discogs<br />
(vgl. auch Überblick auf: https://www.musikexpress.de/<br />
vinyl-im-netz-die-besten-vinyl-online-portale-im-ueberblick-343051/),<br />
ist selber schuld: Er kauft, bezüglich<br />
des Zustandes der Platte und der Hülle, die ,Katze im Sack‘.<br />
Wer das Echte mag und nicht drei Monate bis zur nächsten<br />
Plattenbörse in der Stadthalle warten möchte, der ist in<br />
Köln auch zwischenzeitlich gut versorgt. Das „Magazin<br />
für Vinyl-Kultur“, die Monatszeitschrift „Mint“, listet in<br />
ihrem „Großen Platten-Guide fürs Rheinland“ (Ausgabe<br />
7/2018) allein für Köln siebzehn Plattenläden auf (nur für<br />
Mülheim fehlt noch einer...).<br />
Was macht die Faszination des Vinyls aus, die den<br />
Plattenbörsen und Recordstores einen solchen Hype<br />
verschafft hat? Kann man doch an sich jedes gewünschte<br />
Stück in Sekundenschnelle streamen und anhören.<br />
Zunächst sicher der warme, geschmeidige Sound, der uns<br />
von Platte aus den Lautsprechern herausströmend wohlig<br />
umfängt und dem nichts Sauberes und Glattes anhaftet.<br />
Das Knistern und Rauschen als Begleitmusik nimmt man<br />
dabei fast gerne in Kauf, wie auch Kratzer, die wir alle<br />
auch abbekommen, hat man mal ein paar Lebensjahre<br />
auf dem Buckel. Wer die Mühen der Ebenen des Ankaufs<br />
auf sich nimmt, entreißt zudem seine spezielle Musik der<br />
Beliebigkeit und ständigen Verfügbarkeit und macht sie<br />
zu etwas Besonderem. Sie berührt uns mehr, wir fühlen<br />
uns mit ihr, auch vermittelst eines greifbaren, sorgsam<br />
gehüteten Objekts, enger verbunden. Hinzukommt der<br />
spezielle Charme der Vergangenheit, der besonders der<br />
Musik der 60er- und 70er anhaftet, die mit ihrem oft revolutionären<br />
Anspruch politisch zudem auf der Höhe der<br />
Zeit war. Der Vinyl-Hype ist nicht zuletzt Ausdruck eines<br />
krisengeschüttelten Zeitgeistes „auf der Suche nach der<br />
verlorenen Zeit“: Je düsterer uns die Zukunft erscheint,<br />
desto mehr hängen wir an einer (meist zu glorifizierten)<br />
Vergangenheit mit der Musik als Balsam für unsere vernarbten<br />
und unsicher gewordenen Seelen. In wenigen Monaten<br />
wird die schmucklose Mülheimer Stadthalle wieder<br />
zum Mekka der Börsianer*innen werden, die wieder (fast)<br />
jeden Preis zahlen für die eine Platte, deren Besitz bei<br />
allen gegenwärtigen Schwankungen Sicherheit verspricht<br />
und deren nostalgische Magie sie stets an vergangene<br />
vermeintlich bessere Zeiten erinnert.»<br />
Sammlerinnen, eher<br />
selten.<br />
Das wertvollste Stück seines heutigen Angebotes:<br />
„BEATLES AT“<br />
> www.muelheimia.koeln/<br />
plattenboerse
Mülheimia Quarterly<br />
Stadt. Kultur. Soziales<br />
<strong>#3</strong> September <strong>2019</strong> 18<br />
Partycrasher<br />
Luftkurort Müllheim a. R.<br />
Mülheimia Miniatur #6<br />
Eine Reihe von Marco Hasenkopf<br />
Seebach ist ein Luftkurort im Schwarzwald. Dort gibt es Wiesen, jede Menge<br />
Obstbäume, die namensgebenden „schwarzen“ Nadelwälder und freundliche<br />
Menschen, die mitunter etwas spießig erscheinen, aber was soll’s? Nobody is<br />
perfect. Und es gibt eine Straße. Irgendeine gelbe B500XY, die mitten durch<br />
den Ort führt. Rund um die Uhr rollt hier eine nie enden wollende Blechlawine<br />
hindurch. Die Abgase wabbern durchs Tal wie morgendlicher Nebel, der zu<br />
Eichendorffschen Versen inspirieren will – nein, es ist weit weniger idyllisch<br />
als man denkt. Ich kann es kaum freundlicher formulieren: Luftkurort am<br />
Arsch. Fälle dieser Art sind Fakt und Thema seit den späten 1970ziger Jahren.<br />
Über vierzig Jahre später gibt es ein (erneutes) Wiedererwachen einer Umweltbewegung.<br />
Ob es sich dabei um einen tatsächlichen Weckruf oder nur um eine<br />
kurze Unterbrechung vom Tiefschlaf handelt, wird sich noch herausstellen.<br />
Auch in Müllheim gibt es eine gelbe B XY über die tagtäglich eine Blechlawine<br />
rollt. Seit den 1970zigern weiß man auch, dass Abgase irgendwie ungesund<br />
sind, und nicht nur so tun als würde sie stinken. Gleich einem Patienten,<br />
der die Diagnose nicht wahrhaben will, watscheln wir zum nächsten Facharzt<br />
und bitten um eine zweite Meinung. Und egal was der verkündet, feststeht<br />
unser Abgasproblem ist kein kleiner Schnupfen, der sich von alleine kuriert,<br />
sondern ein bösartiger Tumor mit Todesfolge. Die Medikamente liegen auf<br />
dem Tisch, aber sie schmecken richtig bitter und deshalb schlucken wir sie<br />
nicht. Natürlich gefällt es der Autoindustrie nicht, dass sie ein Krebsgeschwür<br />
ist. Wer ist schon gerne eine tödliche Krankheit? Und wenn man das alles wegleugnet,<br />
kann man gleich noch im ganz großen Stil betrügen. Am Ende steigert<br />
das sogar den Umsatz.<br />
The show must go on – von mir aus, aber... die (Aftershow)-Party ist vorbei –<br />
O Schreck, ja, der Klimawandel ist real. Leider begreifen sehr viele Leute nicht,<br />
dass das Goldene Zeitalter des Automobils längst Geschichte ist. Niemand hat<br />
die Myriaden von Fliegen und anderen Insekten gezählt, die in meiner Kindheit<br />
während langer Autofahrten auf den Windschutzen zerplatzt sind. Stellen<br />
Sie sich eine Frage: Wie viele Insekten sterben im Jahr <strong>2019</strong> bei einer Autofahrt<br />
auf ihrer Windschutzscheibe? Mein Englischlehrer sagte Anno 1993 nach<br />
einer durchzechten Nacht vor(!) dem Abi zu mir, als ich verspätet im<br />
Unterricht erschien: Wer saufen kann, der kann auch lernen! Wer Gas gibt,<br />
kann auch Fahrrad fahren, Bäume pflanzen, auf Inlandsflüge verzichten,<br />
den Motor ausschalten.<br />
Gewöhnlich finden wir den Vergleich wie finster das Mittelalter angeblich<br />
gewesen ist irgendwie chic, weil wir uns als dann als besonders fortschrittlich<br />
ansehen können. Sicherlich hat es im Mittelalter gestunken, weil der Nachttopf<br />
aus dem Fenster auf die Straße gekippt wurde. Drehen wir den Vergleich<br />
um: Stellen wir uns vor jemand aus dem Mittelalter könnte für einen Tag zum<br />
Beispiel die gute Luft am Clevischen Ring schnuppern. Ich wage zu behaupten,<br />
dass es keine Stunde dauern würde und der betreffende würde sich wünschen<br />
lieber wieder Pippi-Kacka-Stinkerei ertragen zu müssen, als den besonders<br />
aparten Abgase-Odeur der vielen Hundert vorbeirasenden Verbrennungsmotoren.<br />
Wir akzeptieren den Gestank. Auch die Menschen im Mittelalter<br />
verpassten ihre Chance. Obwohl sie bereits bekannt war, wurde die Kanalisation<br />
erst viel später eingeführt. Und was tun wir? Wider besseren Wissen lassen<br />
wir mit besonderer Vorliebe bei jeder Gelegenheit den Motor laufen. Brötchen<br />
holen, an Ampeln, wenn wir jemanden aussteigen lassen, beim Altglas<br />
entsorgen. Wir saugen lieber eine Megatüte-Abgase ein, als mal auf die simple<br />
Idee zu kommen den Motor auszuschalten. Selbst angeblich umweltbewusste<br />
Eltern kann man dabei beobachten, wenn sie ihren Nachwuchs mit dem Auto<br />
zur Schule bringen und es ist eh schon fraglich, ob das unbedingt mit dem<br />
Auto passieren muss. Dann wird in zweiter Reihe geparkt und man lässt den<br />
Motor tuckern. Auch wenn das eigene Kind am Kofferraum die Schultasche<br />
herausholt und mitten in den Abgasen steht. Macht nichts, tut gut. Minute um<br />
Minute steht man da, weil man ja die Straße blockiert und wegen den vielen<br />
anderen Autos, die das genauso tun eigentlich nicht mehr von Verkehr sondern<br />
von Stillstand reden muss. Soviel zur Fortschrittlichkeit. Das ist finsteres<br />
Mittelalter.<br />
Die Lösungen und Ideen zum Schutz der Umwelt wie der Demokratie liegen<br />
alle auf dem Tisch, sie werden nur nicht umgesetzt. Der Patient weigert sich<br />
hartnäckig. Wie lautet meiner Ansicht nach die beste Zukunftsperspektive:<br />
Widerstand und Zivilcourage. Gegen das Nichtstun. Gegen das Abwälzen der<br />
Verantwortung auf andere. Gegen die Leute, die ständig behaupten da könne<br />
man nichts tun. Das System sei Schuld. Die Wirtschaft müsse schließlich<br />
wachsen. Unendlich wachsen wie die Zauberbohnen im Märchen. Das müsse<br />
man akzeptieren, dass man im Stau steht. Warum darüber aufregen, was man<br />
eh nicht ändern könne? Aufregung alleine schon ein Unwort in unser stets<br />
wohltemperierten Gesellschaft.<br />
Und deshalb nenne ich „mein“ schönes Mülheim am Rhein bis auf weiteres<br />
Müllheim. Ich wünsche allen Lesern viel Freude beim Aufregen, Widerstand<br />
leisten und Zivilcourage zeigen. Ihr Partycrasher. »<br />
> www.muelheimia.koeln/luftkurort
Die Energie<br />
bleibt im Veedel<br />
Als einer der größten deutschen Projektentwickler<br />
realisieren wir bundesweit nachhaltige Bauvorhaben.<br />
Auch hier im Mülheimer Süden:<br />
Bei dem neuen Quartier COLOGNEO wird die<br />
flächenmäßig größte Geothermieanlage im Viertel<br />
integriert. So wird die in der Erde enthaltene Wärme<br />
sparsam und umweltschonend zum Heizen genutzt.<br />
@kadawittfeldarchitektur gmbh (unverbindliche Darstellung)<br />
Mülheimia-Quarterly_225x103_190820.indd 1 20.08.19 16:52<br />
Impressum<br />
Redaktion: Francesco Aneto, Tom Laroche,<br />
Nachdruckrechte/Lizenzen für Texte, Fotos,<br />
Besuchen Sie unsere Internetseite<br />
Eva Rusch, Judith Tausendfreund,<br />
Grafiken und Illustrationen nur mit schrift-<br />
www.muelheimia.koeln! Dort finden Sie<br />
Herausgeberin: icon Kommunikation für<br />
Ricarda Wassner-Dillmann, Kenan Zöngör<br />
licher Genehmigung der Herausgeberin.<br />
alle Ausgaben und weitere Artikel online.<br />
Kultur und Wirtschaft GmbH<br />
Weitere Autoren dieser Ausgabe:<br />
Auflage: 10.000, Verteilung im Stadtteil<br />
Inhaberin: Eva Rusch<br />
Marco Hasenkopf, Celio Limpia, Tim Luecke,<br />
Köln-Mülheim in Geschäften, Gastronomie,<br />
Deutz-Mülheimer Straße 165<br />
Ana Bolena Müller, Sonja Niemeier<br />
Vereinen und Einrichtungen.<br />
51063 Köln<br />
Cover: Eva Rusch<br />
Diese Zeitung ist ClimatePartner.<br />
V. i. S. d. P.: Eva Rusch<br />
Fotos: Sonja Niemeier, Eva Rusch,<br />
Schreiben Sie uns!<br />
Raven Rusch<br />
Redaktion: redaktion@muelheimia.koeln<br />
Illustrationen: Eva Rusch<br />
Anzeigen: anzeigen@muelheimia.koeln
Seit über 100 Jahren Ihr zuverlässiger<br />
Dienstleister in Sachen Bad, Heizung &<br />
Lüftung in Köln.<br />
Schmalen Versorgungstechnik Telefon 0221-671166-0<br />
www.schmalen-koeln.de