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Mülheimia Quarterly<br />
Stadt. Kultur. Soziales<br />
<strong>#3</strong> September <strong>2019</strong> 12<br />
Bauboom in Mülheim<br />
Bauen im Klimawandel<br />
Vision vom CO2 armen Wohnen<br />
Smart CityCologne in der Stegerwaldsiedlung<br />
Auf der industriehistorisch<br />
bedeutsamen<br />
Deutz-Mülheimer<br />
Straße befindet sich<br />
das Baugebiet<br />
„Cologneo“ links<br />
und die sanierte<br />
Stegerwaldsiedlung<br />
rechts von der Straße.<br />
von Judtih Tausendfreund<br />
Das Thema Klimaschutz ist bei vielen<br />
Bürgern angekommen. Auch die Kölner<br />
haben in den letzten zwei Sommer<br />
geschwitzt. Das Gefühl, dass irgendetwas<br />
falsch läuft, ist nicht zu leugnen. Nun soll<br />
mit Hilfe von Dieselfahrverboten und anderen<br />
Maßnahmen die Notbremse gezogen<br />
werden. Viele Städte, auch Köln, haben<br />
den Klimanotstand ausgerufen. Doch in<br />
Sachen Klimaschutz gibt es in Köln schon<br />
länger einige „Pilotideen“, die einen zweiten<br />
Blick wert sind.<br />
So entstand schon Ende der 80-ziger Jahren<br />
die „Ökosiedlung Blumenberg“. „Wir hatten<br />
den Klima-Wandel schon damals vorgedacht<br />
und Lehm als Außenwandkonstruktion mit<br />
Stroh gewählt, um der Klimaerwärmung<br />
Speichermasse entgegenzuhalten, die dann<br />
für kühleres Raumklima sorgt“, betont<br />
Architekt Reimund Stewen, der damals<br />
beteiligt war. 2007 folgte die autofreie Siedlung<br />
in Nippes, deren Bewohner mit ihrer<br />
Idee zumindest schon mal den klimaschonenden<br />
Verzicht auf das Auto vorleben. Und<br />
dann kam die Sanierung der Stegerwaldsiedlung<br />
in Mülheim - ein Projekt, welches<br />
in diesem Jahr fertiggestellt wurde und vom<br />
Land Nordrhein-Westfalen als 87. Klimaschutzsiedlung<br />
ausgezeichnet wurde. 689<br />
Wohneinheiten der Kölner Siedlung aus den<br />
1950er-Jahren wurde energetisch saniert.<br />
Die Energieerzeugungsanlagen wurden erneuert.<br />
Im Rahmen der Sanierung erhielten<br />
elf Gebäude ein neues Dachgeschoss - so<br />
wurden auch neue Wohnungen geschaffen<br />
und die Wohnfläche erweitert.<br />
Blick zurück<br />
Die Stegerwaldsiedlung war das erste große<br />
geschlossene Bauvorhaben der DEWOG<br />
(Deutsche Wohnungsbau Gesellschaft) und<br />
ist die frühste Großsiedlung Kölns nach dem<br />
Zweiten Weltkrieg. Sie entstand im Zeitraum<br />
von 1951 bis 1956 und ihr Name erinnert<br />
an den christlichen Sozialpolitiker Adam<br />
Stegerwald. Die Siedlung war angelegt für<br />
sogenannte „breite Bevölkerungsschichten“.<br />
Viele Wohnungen waren „Volkswohnungen“,<br />
die von der Stadt Köln finanziert wurden.<br />
Seniorenwohnungen, ein Altenwohnheim,<br />
ein Wohnheim für Ledige, eine Kirche, ein<br />
Kindergarten und ein Bürgerzentrum wurden<br />
errichtet. Die Mieten betrugen im Jahr<br />
1956 zwischen 19 und 47 Euro monatlich,<br />
das monatliche Durchschnittseinkommen<br />
lag damals zwischen 250 und 350 Euro. Noch<br />
1993 wurde die Verwaltung damit beauftragt,<br />
für die Siedlung in eine sogenannte<br />
Erhaltungssatzung, Milieuschutz-Satzung,<br />
aufzustellen. Damit sollte die Zusammensetzung<br />
der Wohnbevölkerung trotz möglicher<br />
Verdrängungstendenzen durch eine<br />
Aufwertung des rechtsrheinischen Kölns<br />
erhalten bleiben. Die Antwort auf die Frage,<br />
ob dies gelungen ist, wäre einen weiteren<br />
Blick wert.<br />
Blick in die Siedlung<br />
Beam me up, Scotty! - dieses geflügelte<br />
Wort aus der Science-Fiction-Serie Raumschiff<br />
Enterprise symbolisiert für viele<br />
Menschen eine Welt, in der Visionen zum<br />
ganz normalen Alltag gehören. Mal eben<br />
durch das Weltall beamen, das ist überhaupt<br />
kein Problem für Captain Kirk, Mister Spok<br />
und deren Kollegen. Um eine Großstadt<br />
in Zukunft und in Zeiten von Klimanotständen<br />
zu managen, braucht es ähnliche<br />
Visionen, wie die aus der Welt von Scotty. In<br />
der Stegerwaldsiedlung hat man versucht,<br />
in Sachen Mobilität zumindest ein wenig<br />
Höhenflug-Atmosphäre zu schaffen und so<br />
nebenbei auch das Klima zu schützen. Denn<br />
eine der Grundideen war es, vor Ort Strom<br />
zu erzeugen. Dieser soll unter anderem zum<br />
Laden von Elektrofahrzeugen und E-Bikes<br />
genutzt werden. Die stehen gemeinsam mit<br />
konventionellen Fahrrädern und Leihwagen<br />
an bestimmten zentralen Stellen,<br />
sogenannten „Mobilitäts-Hubs“ - so soll<br />
Parkplatzsuche und Autoverkehr minimiert<br />
werden. Eine CO2 Reduktion von 60<br />
Prozent stand auf der ehrgeizigen Agenda<br />
von „GrowSmarter“. Das EU-Projekt begann<br />
2015, neben Köln hatten sich Barcelona und<br />
Stockholm beteiligt. Für fünf Jahre gab es<br />
von der EU-Kommission eine Fördersumme<br />
in Höhe von 25 Millionen Euro.<br />
„Entscheidend ist, dass in der Stadtverwaltung<br />
ein Umdenken stattfindet und<br />
der Mobilitätsgedanke, der hier entwickelt<br />
wird, auf die ganze Stadt übertragen<br />
werden kann“, betonte Dr. Barbara Möhlendick,<br />
Koordinationsstelle Klimaschutz,<br />
schon 2017 - keine Frage, die Siedlung ist<br />
ein Pilotprojekt. Wärmedämmung wurde<br />
an den Häusern vorgenommen. Die Anwohner<br />
sollten durch Einsatz modernster<br />
Sensortechnik zum Energiesparen motiviert<br />
werden. Mit Isolierung, Photovoltaik,<br />
Wärmepumpen, Batteriespeicher, aber auch<br />
Verhaltensänderungen der Bewohner sollte<br />
die Stegerwaldsiedlung eine Vorreiterfunktion<br />
übernehmen.<br />
Blick auf die Mietpreise<br />
„Es bleibt bei einer Durchschnittsmiete von<br />
sieben Euro“, versprach vor zwei Jahren<br />
Andre Esser, DEWOG, einigen Mietern, die<br />
sich zu einer Info-Veranstaltung mit ihm<br />
und anderen Projektverantwortlichen<br />
getroffen hatten. Doch wer sich heute<br />
für eine Neubauwohnung in der Siedlung<br />
interessiert, wird mit einer Kaltmiete von<br />
12,50 Euro konfrontiert. Einige Anwohner<br />
kritisieren die Maßnahmen: „Was in der<br />
Stegerwaldsiedlung geschieht, geht sowohl<br />
wohnungs- wie auch sozialpolitisch völlig<br />
in die falsche Richtung“, so sieht es Roswitha<br />
Müller, eine Anwohnerin. CO2-armes<br />
Wohnen muss am Ende für alle bezahlbar<br />
werden - sonst wird es schwierig werden,<br />
aus den Visionen eine flächendeckende<br />
Wirklichkeit werden zu lassen. »