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15 <strong>#3</strong> September <strong>2019</strong> Mülheimia Quarterly Stadt. Kultur. Soziales<br />
Urban Gardening im Hof des Peter-Baier-Hauses<br />
Ein Senfkorn<br />
für Mülheim<br />
Von Tom Laroche<br />
Foto: Eva Rusch<br />
Wie komplex die Strukturen einer Großstadt sind, wird einem<br />
oft erst dann bewusst, wenn sich an einer Stelle, die man zuvor<br />
nie so richtig wahrgenommen hat, etwas ändert. So wird es<br />
manchem Besucher des Peter-Baier-Hauses in der Wallstraße<br />
gegangen sein. Sah man von innen letztes Jahr noch auf einen<br />
vergleichsweise tristen Innenhof ohne allzu ersichtliche<br />
Funktion, so erblickt man dort nun merkwürdige, in einem<br />
Halbrund aufgestellte Holzkästen und Dienstags nachmittags<br />
finden sich hier Menschen unterschiedlichen Alters ein, um sich<br />
um diese Kästen zu kümmern, in denen es nun mehr und<br />
mehr grünt.<br />
Was hier im Frühling gestartet wurde, ist ein neues Projekt der<br />
evangelischen Kirchengemeinde, der sowohl das Grundstück als<br />
auch die Immobilie gehört. Pfarrer Sebastian Baer-Henney, seit<br />
September letzten Jahres im Amt, wurde oft gefragt, was denn mit<br />
dem vernachlässigten Grundstück passieren solle, und machte sich<br />
auf Ideensuche. Hierbei erinnert er sich an ein außergewöhnliches<br />
Projekt einer Kirche in England, bei der eine Gemeinde anfing,<br />
unter dem Namen „Paradise Cooperative“ öffentlichen Raum in<br />
Wandsworth mit Gartenarbeit zu erschließen und neu zu gestalten.<br />
Vielleicht auch ein Ansatz für den kargen Hinterhof?<br />
„Urban Gardening“ nennt man solche Initiativen, und man muss<br />
dazu nicht einmal ein Hipster sein, denn das Begrünen und Begärtnern<br />
städtischer Flächen ist ungefähr so alt, wie die Struktur einer<br />
Stadt an sich. Neben klassischen Parkanlagen, spielte selbst oder<br />
gerade in Metropolen auch die Kultivierung von Obst und Gemüse<br />
in vergangenen Jahrhunderten eine sehr wichtige Rolle. Anders als<br />
heute, war es früher nur schwer möglich, leicht verderbliche Obstund<br />
Gemüsesorten in eine Großstadt einzuführen, daher ist man<br />
dazu übergegangen, diese auch innerhalb der Stadtgebiete anzubauen.<br />
So wurde z. B. im Paris des 19. Jahrhunderts etwa ein Sechstel<br />
der Stadtfläche sogar in Vierteln wie dem berühmten Marais,<br />
„landwirtschaftlich“ erschlossen. In Krisenregionen werden bis<br />
heute städtische Flächen zur Sicherung der Lebensmittelproduktion<br />
genutzt, damit etwa die Versorgung von Menschen, die sich aus Bürgerkriegsregionen<br />
in sicherere Stadtgebiete flüchten, sichergestellt<br />
werden kann.<br />
In Friedenszeiten in einem Land mit guter Infrastruktur sind die<br />
Beweggründe der Großstädter*innen, ihr Umfeld zu bepflanzen,<br />
freilich andere. Es geht hier weniger um die Ernteerträge. Das hat<br />
auch Pfarrer Baer-Henney erkannt, der auf die Frage seiner Intention<br />
mit einem Appell antwortet: „Stell Dir einen Garten vor, in dem<br />
Menschen zusammenkommen, die sonst nicht zusammenkommen<br />
würden.“ Dieses Anliegen, den sozialen Zusammenhalt in seiner<br />
Gemeinde und darüber hinaus, zu fördern, war eine der Grundideen<br />
für „Peters Großstadtgrün“. In Zeiten des Mietwuchers und steigendem<br />
Leistungsdruck, ist es für viele Menschen nicht möglich,<br />
einen eigenen Garten zu betreiben. Alternativ einen Schrebergarten<br />
auch nur zu bekommen, wäre da ebenfalls schon ein erstes großes<br />
Hindernis, aber viele hätten auch nicht genug Zeit, einen solchen<br />
sinnvoll zu bepflanzen. Für ältere Menschen würde dies zudem eine<br />
kaum zu überwindende körperliche Hürde darstellen.<br />
All dies muss die Teilnehmer*innen des neuen Gartenprojekts<br />
nicht kümmern: Offen für alle Generationen und Menschen jeden<br />
Glaubens oder Unglaubens, steht bei „Peters Großstadtgrün“ die<br />
Gemeinschaft und der persönliche Ausstausch im Vordergrund.<br />
Gefördert von der evangelischen Kirche, stehen den bislang etwa 20<br />
engagierten Mülheimer*innen, mehrere Hochbeete zum Bepflanzen<br />
zur Verfügung. Die Teilnahme ist hierbei sowohl kostenlos als<br />
auch freiwillig. Jeden Dienstag um 15 Uhr trifft man sich für einige<br />
Stunden; alle zwei Wochen findet im Anschluss unter dem Motto<br />
„Traulich und Hold“ zudem eine Abendandacht statt. Geerntete Lebensmittel<br />
werden gemeinsam zubereitet und verzehrt. Im weiteren<br />
Verlauf der Woche kümmern sich einzelne Teilnehmer*innen nach<br />
Absprache um die Beete und deren Bewässerung. Die Aufzucht und<br />
Pflege von Blumen, Kräutern, Obst und Gemüse ist Teil des weltoffenen<br />
Gemeindelebens geworden und zeigt, wie Kirche im 21. Jahrhundert<br />
aussehen kann.<br />
Ob die Gemeinde wohl irgendwann auch physisch jenes biblische<br />
Senfkorn aussäen wird, aus welchem dann ein großer Baum erwächst?<br />
Im übertragenen Sinn ist dies längst geschehen und man<br />
kann jetzt schon erkennen, welchen wertvollen Beitrag zur Lebensqualität<br />
des Stadtteils eine kleine Truppe engagierter Veedelsbewohner<br />
hier leistet. Wer an näheren Informationen interessiert<br />
ist, der kann im Internet den Blog der Gruppe aufrufen und sich auf<br />
www.peters-grossstadtgruen.de auf dem Laufenden halten.»<br />
>www.muelheimia.koeln/senfkorn