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3 <strong>#3</strong> September <strong>2019</strong> Mülheimia Quarterly Stadt. Kultur. Soziales<br />
Editorial<br />
Inhalt<br />
Liebe Leser*innen,<br />
Ideen-Werkstatt Wiener Platz<br />
Erste Ergebnisse Seite 4<br />
Ana Bolena Kolumna<br />
In Mülheim zuhause <strong>#3</strong><br />
prima Klima – von wegen! Apokalypse:<br />
Schau! Der wüstenheiße<br />
Sommer hat die dräuenden Katastrophenszenarien<br />
sichtbar werden<br />
lassen. Machen wir uns nichts mehr<br />
vor! Zentrales Thema dieser Mülheimia<br />
Quarterly ist folgerichtig der<br />
Klimawandel, wir legen die Finger in<br />
die lokalen Wunden, zeigen aber auch<br />
Lösungen auf.<br />
Während Greta auf dem Segelschiff<br />
nach Amerika unterwegs war, verpesteten<br />
und verpesten weiterhin trotz<br />
einseitiger Befahrung der Mülheimer<br />
Brücke tausende Dieselfahrzeuge den<br />
Clevischen Ring. Was die Überschreitung<br />
der Grenzwerte für Stickstoffdioxid<br />
angeht, immer noch einer der<br />
sogenannten Hot Spots des Landes.<br />
Mülheim steht insofern im Brennpunkt<br />
der Diskussionen und rechtlichen<br />
Auseinandersetzungen über<br />
die Luftrheinhaltung. Das Recht auf<br />
Gesundheit steht gegen das Recht auf<br />
Eigentum bzw. das Auto, die „heilige<br />
Kuh“ der Deutschen, das einer seiner<br />
Ursprünge bei der Deutz AG<br />
in Köln-Mülheim hatte, wo der<br />
„Otto-Motor“ gebaut wurde.<br />
Die Stadt ist wachgerüttelt, E-Busse<br />
werden im großen Stil angeschafft<br />
(hoffentlich dann auch in Mülheim<br />
eingesetzt!) und neue Mobilitätskonzepte<br />
umgesetzt. Die Stadt beginnt<br />
auch auf anderen Gebieten getrieben<br />
durch Greta und Co endlich zu<br />
handeln. Sie fährt Förderprogramme<br />
auf. CO2 einzusparen kann auch Spaß<br />
machen, das zeigt der Beitrag von<br />
Tom Laroche auf humorvolle Weise.<br />
Dass auch Lokalpolitiker*innen<br />
wissen, was die Glocke geschlagen<br />
hat, lesen Sie in den Klimaschutzinterviews.<br />
Wir planen eine Ortsgruppe „Artists<br />
for Future, Ortsgruppe Mülheim“ zu<br />
gründen. Wie das geht finden Sie unter<br />
diesem Link https://artistsforfuture.<br />
org/de/mitmachen/ortsgruppengruenden/<br />
»<br />
Ihre<br />
Herausgeberin<br />
Reden ist Gold! Werkstattgespräche<br />
im Kulturbunker Seite 5<br />
Why Trump?<br />
Ein Roadtrip Seite 6<br />
Gutes Klima im Veedel<br />
Klimaschutz in Köln-Mülheim<br />
Seite 7<br />
Auf der Suche nach der<br />
verlorenene Zeit Plattenbörse<br />
Mülheimer Stadthalle Seite 12<br />
Luftkurort Müllheim a. R.<br />
Mülheimia Minatur #5 Seite 14<br />
Werden Sie Mitglied im<br />
www.muelheimia.koeln/salon<br />
In Mülheim zu Hause zu sein erweckt<br />
in mir viele Gedanken und<br />
Gefühle. Zu Hause kann nur in der<br />
Heimat sein? Ja, definitiv. Aber nicht<br />
im Sinne der begrenzten Idee des<br />
geographischen Territoriums, sondern<br />
der Abstraktion von Heimat,<br />
die sich in universellen Kategorien<br />
wie Ernährung, Natur, Musik oder<br />
Literatur manifestiert. In den zwölf<br />
Jahren meines Lebens in Deutschland<br />
– ab Februar <strong>2019</strong> nun als<br />
deutsche Staatsbürgerin – habe<br />
ich in einigen dieser Kategorien<br />
„Heimat“ erlebt. Aber was Literatur<br />
betrifft: Erfüllt nur die spanische<br />
Literatur mein Bedürfnis nach<br />
Heimat? Deutsche Literatur war mir<br />
stets fremd. Ich hatte keinen Zugang<br />
außer vielleicht über die Zeitschriften<br />
im Wartesaal des Kinderarztes.<br />
Es fehlte mir in der deutschen Literatur<br />
doch immer die irrationelle<br />
Faszination eines Jorge Luis Borges.<br />
Die Säulen meines neuen Zuhauses<br />
waren nicht vollkommen.<br />
Nun – seit dieser einen Scrabble-<br />
Partie im Juni <strong>2019</strong> ist eine erfreuliche<br />
Wendung eingetreten. Deren<br />
unbezwingbare Gewinnerin wird<br />
über ihre Reise nach Norwich befragt.<br />
Sie berichte uns, dass sie im<br />
British Centre for Literary Translation<br />
zu einer Diskussionsrunde<br />
zwischen den europäischen Übersetzern<br />
von W. G. Sebald eingeladen<br />
war. Das Beste: Teresa Ruiz Rosas,<br />
die peruanische Schriftstellerin, die<br />
Sebald kannte und die die erste war,<br />
die sein Werk „Die Ausgewanderten“<br />
ins Spanische („Los Emigrados“)<br />
übersetzt hat, ist meine Nachbarin.<br />
„Sebald ist einer der bedeutendsten<br />
deutschen Schriftsteller des<br />
20. Jahrhunderts“ sagt sie, während<br />
sie ihre mehr als 200 Punkte am<br />
Ende des Spiels zusammenrechnet.<br />
Das ich nur Zweite wurde, war ab<br />
diesem Moment nicht mehr wichtig.<br />
Als ich „Sebald“ Tage später in eine<br />
Suchmaschine eingebe, lese ich<br />
„beeinflusst von Jorge Luis Borges“!<br />
Ich muss dieses Buch lesen und<br />
bestelle „Die Ausgewanderten“ in<br />
der Buchhandlung am Wiener Platz.<br />
Schon am nächsten Morgen kann<br />
ich es abholen und nehme daraufhin<br />
eine U-Bahn in die Innenstadt.<br />
Während meiner geliebten Überquerung<br />
des Rheins beginne ich zu<br />
lesen und bin direkt fasziniert. Ich<br />
erinnere mich nicht mehr, wohin<br />
ich fuhr, und auch damals vergaß<br />
ich es. Zuerst erscheint ein Foto, und<br />
dann beginnt W. G. Sebald mir auf<br />
Deutsch ein neues Universum ganz<br />
tief in mein Bewusstsein zuzuflüstern.<br />
Es ist kein Zufall, dass diese<br />
vier langen Erzählungen von vier<br />
Personen handeln, die ihre Heimat<br />
hinter sich gelassen oder sie verloren<br />
haben. Sebald selbst verlässt<br />
Deutschland als er 22 Jahre alt ist.<br />
Er siedelt nach England um und<br />
versucht dort zurecht zu kommen.<br />
Zwischen Realität und Fiktion,<br />
zwischen Traumgespräch und<br />
Erinnerung erkenne ich Spuren von<br />
Borges. Dies bedeutet für mich eine<br />
wichtige Säule des Zuhauseseins.<br />
Das größte Glück ist, dass ich kürzlich<br />
mit Teresa am Rhein spazieren<br />
gehe. Ich frage, und sie erzählt mir<br />
von ihm, von Sebald. Ihr erstes<br />
Meeting war in London in der Liverpool<br />
Station. Er war groß – wir sind<br />
kleine Südamerikanerinnen – ein<br />
netter und liebevoller Mensch. Vor<br />
etwa 20 Jahren bot er Teresa ein<br />
Stipendium im British Centre for<br />
Literary Translation an. Sie solle<br />
sich in England in Ruhe auf ihre Arbeit<br />
als Übersetzerin konzentrieren.<br />
Jedoch hatte sie zwei kleine Kinder<br />
zu Hause, die sie nicht alleine lassen<br />
konnte. Trotzdem hatte sie das<br />
Glück dem Autor Sebald mehrfach<br />
zu begegnen. Ich wiederum habe<br />
das Glück, dass sie eine Mülheimerin<br />
ist. Unsere Nachbarschaft<br />
weiß nicht, dass sie eine der besten<br />
Schriftstellerin Perus ist. Ihr Roman<br />
„Nada que declarar“ zeichnet mit<br />
den „Fensterfrauen“ die Problematik<br />
des Menschenhandels in unserer<br />
Nachbarstadt nach. Ich lese ihn auf<br />
Spanisch. Ein noch größeres Glück<br />
ist es, dass wir, zwei Ausgewanderte,<br />
gerne Scrabble auf Deutsch und auf<br />
Spanisch spielen.»<br />
> www.muelheimia.koeln/teresa