ERZFREUNDE – Das Sachsen-Sonderheft zum Welterbe Erzgebirge
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Im 19. Jahrhundert<br />
stellte man im <strong>Erzgebirge</strong><br />
auf die Produktion von<br />
Ultramarin um<br />
<strong>Das</strong> gesamte sächsische Blaufarbenwesen<br />
geriet plötzlich in eine tiefe Krise. Und<br />
auch die Schließung des Schindlerswerks<br />
wurde diskutiert. Doch dann, in<br />
buchstäblich letzter Minute, entschied<br />
man sich 1855 dazu, das Werk zu einer<br />
Fabrik für künstlich erzeugtes Ultramarinblau<br />
umzubauen. Herzstück des<br />
neuen Produktionsprozesses wurde ein<br />
Hüttengebäude mit zwölf Reihenöfen<br />
samt Schamotttiegeln. Sie konnten<br />
aus Schwefel, Soda und Kaolin in langwierigen<br />
Oxidationsprozessen das<br />
neue Blaupigment erzeugen.<br />
Bei der Beschreibung der einzelnen<br />
Arbeitsschritte ist Gerd Bochmann ganz<br />
in seinem Element. Schließlich hat der<br />
Chemiker sein gesamtes DDR-Arbeitsleben<br />
im Schindlerswerk, dem damaligen<br />
„Kombinat Lacke und Farben“,<br />
verbracht. Er kennt also jeden Arbeitsschritt<br />
haargenau. Wo heute ein<br />
ultramarinblauer Farbbrocken als Anschauungsmaterial<br />
einen der historischen<br />
Brennöfen ziert, da hat er das<br />
<strong>Das</strong> Blau aus <strong>Sachsen</strong><br />
fand seinen Weg<br />
auf Delfter Kacheln<br />
und venezianische<br />
Glasmalerei<br />
„empirische System“, wie Bochmann es<br />
nennt, jahrzehntelang gepflegt, gewartet<br />
und betreut. Bochmann war der Herr<br />
über das leuchtend blaue Pulver.<br />
Und wäre er damals nicht gewesen, am<br />
Ende des Produktionsprozesses wäre<br />
oft wohl nur ein gräulicher Klumpen<br />
heraus gekommen. Bei diesem Gedanken<br />
muss Bochmann schmunzeln.<br />
Er scheint sich gern an die alten Zeiten<br />
zurückzuerinnern.<br />
Dann geht er weiter, um in anderen<br />
Gebäudeteilen die historische Trockenmühle<br />
oder die sanierungsbedürftige<br />
Schlämmerei <strong>–</strong> „das Enfant terrible des<br />
schönen Ensembles“ <strong>–</strong> zu erklären.<br />
Schließlich kommt Bochmann auf die<br />
jüngere Vergangenheit der Fabrik zu<br />
sprechen: auf die „kaum zu erfüllenden<br />
Treuhandauflagen“, die neue gesamtdeutsche<br />
Abgasnorm oder die unübersichtliche<br />
Weltmarktstruktur. All das<br />
habe Anfang der 90er-Jahre fast <strong>zum</strong> Aus<br />
des Traditionswerks aus <strong>Sachsen</strong> geführt.<br />
Einige wacklige Monate und viele<br />
mutige Investitionen später werden im<br />
Schindlerswerk keine Pigmente mehr<br />
hergestellt. Man hat sich heute auf die<br />
Veredelung und die Präparierung von<br />
unterschiedlichsten Pigmenten spezialisiert.<br />
Daher birgt das dreigeschossige<br />
Magazin an der Stirnseite des Werks<br />
auch die einzigen Räume, die nicht mehr<br />
vom Leuchten der zauberhaften Blautöne<br />
dominiert werden. Hier, unter einem<br />
alten Tonnengewölbe, befindet sich das<br />
vor bunten Farben nur so strotzende<br />
Pigmentlager. Gelb, Rot, Grün, Orange.<br />
Wie ein Aufbegehren gegen die blauen<br />
Stunden aus der Frühzeit der alten Fabrik.<br />
Ein Besuch des Schindler’schen Blaufarbenwerk<br />
hinterlässt also Spuren:<br />
Blau funkeln diese am Ende an den Händen<br />
und Schuhen, und farbenfroh<br />
bleibt die Stippvisite im Gedächtnis der<br />
vielen Besucher hängen. •<br />
<strong>ERZFREUNDE</strong>